SEELENRÄTSEL UND WELTRÄTSEL:
FORSCHUNG UND ANSCHAUUNG IM DEUTSCHEN
GEISTESLEBEN
Berlin, 17. März 1917
Im
letzten Vortrag versuchte ich zu zeigen, wie es
Mißverständnissen zuzuschreiben ist, wenn sich in der
gegenwärtigen Geisteskultur so wenig verstehen diejenigen,
welche ihre Forschung, ihre Aufmerksamkeit auf das Seelische
und seine Vorgänge richten, und jene, die ihre
Aufmerksamkeit richten auf die materiellen Vorgänge im
menschlichen Organismus, welche ablaufen-nun, wie man es nennen
will — als Begleiterscheinungen oder auch, wie der
Materialismus meint, als notwendige Ursachen für das
seelische Geschehen. Und ich versuchte zu zeigen, welches die
Gründe für solches Mißverstehen sind. Heute
möchte ich vor allen Dingen darauf aufmerksam machen,
daß überall, wo wirkliche, wahre Erkenntnis gesucht
wird, ganz notwendigerweise solche Mißverständnisse,
und auch Mißverständnisse nach anderer Richtung, sich
ergeben müssen, wenn man eines nicht berücksichtigt
im Erkenntnisvorgange selbst, was sich bei intimerer,
namentlich bei längerer Forschung dem Geistesforscher
immer mehr und mehr wie ein unmittelbares Erlebnis, wie eine
innere Erfahrung aufdrängt. Es ist dies etwas, was
zunächst sehr merkwürdig erscheint, wenn es
ausgesprochen wird: Auf den Weltanschauungsgebieten, das
heißt auf den Gebieten der Erkenntnis des
Geistig-Wirklichen oder überhaupt der Erkenntnis der
Quellen des Daseins, muß, wenn man sich, ich möchte
sagen, zu sehr verstrickt in gewisse Vorstellungen, in gewisse
Begriffe, notwendigerweise eine solche Anschauungsweise der
menschlichen Seele eintreten, die unbedingt widerlegt werden
kann, und ebensogut natürlich bewiesen werden kann.
Daher wird der Geistesforscher immer mehr und mehr abkommen von
dem, was sonst in Weltanschauungsfragen Gepflogenheit ist,
nämlich das oder jenes zur Bekräftigung der einen
oder anderen Anschauung vorzubringen, was ähnlich
wäre dem, was man im gewöhnlichen Leben einen Beweis
oder auch eine Widerlegung nennt. Denn auf diesem Gebiete ist,
wie gesagt, alles mit gewissen Gründen zu beweisen, alles
mit gewissen Gründen zu widerlegen. Der Materialismus kann
durchaus streng bewiesen werden in seiner Ganzheit, und er kann
streng bewiesen werden, wenn er sich auf einzelne Fragen des
Lebens oder des Daseins einläßt. Und man wird
dasjenige, was ein Materialist zur Bekräftigung seiner
Anschauungen anführen kann, bei ihm nicht ohne weiteres
aus dem Feld schlagen können, wenn man von
entgegengesetzten Gesichtspunkten aus seine Anschauung einfach
widerlegen will. Ebenso ist es bei demjenigen, der ein
geistiges Dasein vertritt. Daher muß, wer wirklich auf
geistigen Gebieten forschen will, für irgendeine solche
Weltanschauungsfrage nicht nur dasjenige kennen, was für
eine Sache spricht, sondern er muß auch all dasjenige
kennen, was gegen eine Sache spricht. Denn das merkwürdige
Resultat stellt sich heraus, daß die eigentliche Wahrheit
erst auftaucht, wenn man auf die Seele wirken läßt
das, was für eine Sache spricht, und das, was gegen eine
Sache spricht. Und wer seinen Geist, ich möchte sagen, so
fest hinstarren läßt auf irgendein Begriffs- oder
Vorstellungsgewebe einer einseitigen Weltanschauung, der wird
sich immer der Tatsache verschließen, daß auch das
Gegenteil in der Seele sich geltend machen kann, das Gegenteil
sogar bis zu einem gewissen Grade richtig erscheinen muß.
Und er wird daher in einer Lage sein, wie etwa jemand, der
behaupten wollte, das menschliche Leben könnte nur durch
die Einatmung erhalten werden. Einatmung setzt Ausatmung
voraus, beide gehören zusammen. So aber verhalten sich
immer unsere Begriffe, unsere Vorstellungen, die sich auf
Weltanschauungsfragen beziehen. Wir können für irgend
etwas einen Begriff, der die Sache bejaht, vorbringen, wir
können einen Begriff vorbringen, der die Sache verneint;
das eine fordert das andere, wie die Einatmung die Ausatmung,
und umgekehrt. Und so wie das wirkliche Leben nur erscheinen
kann, nur sich offenbaren kann durch Ausatmen und
Einatmen, wenn also beides vorhanden ist, so kann das, was das
Geistige ist, in der Seele nur aufleben, wenn man in der Lage
ist, in ebenso positiver Weise auf das Für wie auf
das Gegen einer Sache einzugehen. Der bejahende Begriff,
die bejahende Vorstellung, ist innerhalb des lebendigen Ganzen
der Seele gewissermaßen wie ein Ausatmen, der verneinende
Begriff wie eine Einatmung; und in ihrem lebendigen
Zusammenwirken enthüllt sich erst dasjenige, was sich auf
die geistige Wirklichkeit bezieht. Daher wird es der
Geisteswissenschaft gar nicht liegen, die gewöhnlichen
Methoden anzuwenden, die man so gewohnt ist aus der
alltäglichen Literatur, wo dieses oder jenes bewiesen oder
widerlegt wird. Der Geisteswissenschaftler sieht nämlich
ein, daß das, was in positiver Weise vorgebracht wird,
immer eine gewisse Berechtigung haben kann, wenn es sich auf
Weltanschauungsfragen bezieht, ebenso aber auch die
entgegengesetzte Erscheinung, Wenn man nun aber vorschreitet in
Weltanschauungsfragen zu jenem unmittelbaren Leben, das in
positiven und negativen Begriffen lebt, so wie das
körperliche Leben in Ausatmung und Einatmung lebt, dann
kommt man zu wirklich den Geist unmittelbar in sich
aufnehmenden Begriffen, zu Begriffen, welche der Wirklichkeit
gewachsen sind. Man muß sich dann allerdings öfters
anders aussprechen, als man sich ausspricht nach den
Denkgewohnheiten des gewöhnlichen Lebens. Aber die Art und
Weise, wie man sich ausspricht, ergibt sich aus dem lebendig
tätigen inneren Erleben des Geistes. Und der Geist kann
nur innerlich erlebt, nicht nach Art des materiellen Daseins
äußerlich wahrgenommen werden.
Nun
wissen Sie ja, daß eine der hauptsächlichsten
Weltanschauungsfragen diejenige ist, welche auch behandelt
worden ist in den ersten Vorträgen, die ich in diesem
Winter hier gehalten habe, die Frage nach dem Stoff, nach der
Materie. Und ich will von dem eben angedeuteten Gesichtspunkte
aus diese Frage heute kurz einleitungsweise berühren.
Mit
der Frage nach dem Stoff oder der Materie kann man nicht
zurechtkommen, wenn man versucht, immer wieder und wiederum
sich Vorstellungen oder Begriffe zu bilden, was denn Materie
eigentlich sei; wenn man verstehen will — mit anderen
Worten —, was denn Materie, was Stoff sei. Wer mit
solchen für viele Menschen abgelegenen Rätselfragen
wirklich seelisch gerungen hat, der weiß, was es mit
solchen Fragen auf sich hat. Denn wenn er eine Zeitlang
gerungen hat, ohne sich irgendeinem Vorurteil hinzugeben, dann
kommt er zu einem ganz anderen Gesichtspunkt gegenüber
einer solchen Frage. Er kommt zu einem Gesichtspunkt, der ihm
wichtiger erscheinen läßt die Art, wie man sich
überhaupt in der Seele verhält, wenn man sich einen
solchen Begriff wie den Begriff der Materie bildet. Dieses
Ringen der Seele selber, das wird ins Bewußtsein
herauf-gehoben. Und dann kommt man zu einer Anschauung gerade
über diese Rätselfragen, welche ich etwa in folgender
Weise aussprechen konnte.
Derjenige, der die Materie, den Stoff, so verstehen will, wie
man das gewöhnlich auffaßt, der gleicht einem
Menschen, welcher sagt: Ich will jetzt den Eindruck bekommen
von der Dunkelheit, von einem dunklen Zimmer. Was tut er? Er
zündet ein Licht an und betrachtet das als die richtige
Methode, den Eindruck vom dunklen Zimmer zu bekommen. Nicht
wahr, es wird das Verkehrteste sein, was man tun kann. Ebenso
ist es das Verkehrteste, was man tun kann — nur muß
man das durch das gekennzeichnete Ringen gewahr werden —,
wenn man sich dem Glauben hingibt, daß man jemals Materie
erkennen wird, wenn man den Geist in Bewegung setzt, um
gewissermaßen mit dem Geist die Materie, den Stoff zu
beleuchten. Einzig und allein da, wo der Geist in unserem Leibe
selber schweigen kann, bei der Sinnesempfindung, wo das
Vorstellungsleben aufhört, da geschieht es, daß ein
äußerer Vorgang in unser Inneres dringt. Da
können wir — indem wir den Geist eben schweigen
lassen und dieses Schweigen des Geistes erleben —
Materie, Stoff, wirklich in unsere Seele gewissermaßen
hereinrepräsentiert haben.
Zu
solchen Begriffen kommt man nicht durch die gewöhnliche
Logik; oder kommt man durch die gewöhnliche Logik dazu,
dann stellen sie sich, ich möchte sagen, als viel zu
dünn heraus, um wirkliche Überzeugung hervorzurufen.
Erst wenn man in der angedeuteten Weise ringt in seiner Seele
mit gewissen Begriffen, dann führen sie einen zu einem
solchen Ergebnis, wie ich es angedeutet habe.
Nun
ist auch das Umgekehrte der Fall. Nehmen wir an, es will jemand
den Geist begreifen. Wenn er ihn sucht zum Beispiel in der rein
äußeren materiellen Gestaltung des Menschenleibes, so
gleicht er demjenigen, der, um das Licht zu begreifen, es
auslöscht. Denn das ist das Geheimnis der Sache, daß
die äußere sinnliche Natur selber die Widerlegung des
Geistes, die Auslöscherin des Geistes ist. Sie bildet den
Geist nach, ebenso wie die beleuchteten Gegenstände das
Licht zurückwerfen. Aber nirgends können wir, wenn
wir den Geist nicht in lebendiger Tätigkeit erfassen, ihn
jemals aus irgendwelchen materiellen Vorgängen finden.
Denn das ist gerade das Wesen der materiellen Vorgänge,
daß sich der Geist in sie verwandelt hat, daß sich
der Geist in sie umgesetzt hat. Und versuchen wir dann, den
Geist aus ihnen zu erkennen, dann mißverstehen wir uns
selber.
Ich
wollte dies einleitungsweise vorausschicken, damit immer mehr
und mehr Klarheit darüber kommen kann, was eigentlich die
Erkenntnisgesinnung des Geistesforschers ist, und wie der
Geistesforscher eine gewisse Weite und Beweglichkeit des
Vorstellungslebens braucht, um in die Dinge, in die
einzudringen ist, eben einzudringen. Mit solchen Begriffen ist
es dann möglich, die wichtigen Fragen zu beleuchten, die
ich auch das letztemal hier berührt habe, und die ich, um
zu unseren heutigen Betrachtungen überzugehen, nur kurz
andeute.
Ich
habe gesagt: So wie sich einmal die Dinge entwickelt haben in
der neueren Geistesbildung, ist man immer mehr zu einer
einseitigen Anschauung gekommen über die Beziehungen des
Seelisch-Geistigen zu dem Leiblich-Physischen, die sich dadurch
ausdrückt, daß man heute das Seelisch-Geistige
eigentlich nur sucht innerhalb jenes Teiles der menschlichen
Leiblichkeit, der im Nervensystem beziehungsweise im Gehirn
liegt. Man teilt gewissermaßen das Seelisch-Geistige dem
Gehirn und Nervensystem allein zu, und man betrachtet mehr oder
weniger den übrigen Organismus, wenn man vom
Seelisch-Geistigen spricht, nur wie eine Art von Beigabe zum
Gehirn und Nervensystem. Nun habe ich versucht, die Ergebnisse
der Geistesforschung auf diesem Gebiete klarzulegen, indem ich
darauf hingewiesen habe, daß man zu einer wahren
Anschauung über das Verhältnis von Menschenseele und
Menschenleib nur kommt, wenn man die ganze menschliche Seele in
Beziehung zu der ganzen Leiblichkeit setzt. Dann aber zeigt es
sich, daß es wohl einen tieferen Hintergrund hat, das
Ganze der menschlichen Seele zu gliedern in das eigentliche
Vorstellungsleben, in das Gefühlsleben und das
Willensleben. Denn nur das eigentliche Vorstellungsleben der
Seele ist in der Weise an den Nervenorganismus gebunden, wie es
die neuere physiologische Psychologie annimmt. Dagegen ist das
Gefühlsleben — wohlgemerkt: nicht insofern es
vorgestellt wird, sondern insofern es entsteht — in einer
solchen Beziehung zu dem Atmungsorganismus des Menschen, zu
alle dem, was Atmung ist und mit der Atmung zusammenhängt,
wie das Vorstellungsleben zum Nervensystem. So daß wir
zuteilen müssen das Gefühlsleben der Seele dem
Atmungsorganismus. Dann weiter: dasjenige, was wir Willensleben
nennen, ist in einer gleichen Beziehung zu dem, was wir
physisch im Leibe den Stoffwechsel nennen müssen;
natürlich bis in seine feinsten Verzweigungen hinein. Und
indem man berücksichtigt, daß ja im Organismus die
einzelnen Systeme ineinandergreifen — der Stoffwechsel
geht natürlich auch in den Nerven vor —, dadurch
dringen, ich möchte sagen, an diesen äußersten
Enden die Dinge ineinander. Es bleibt aber doch ein richtiges
Verständnis nur möglich, wenn man die Dinge so
ansieht, wenn man weiß, daß die Willensimpulse ebenso
zuzuteilen sind den Stoffwechselvorgängen, wie die
Vorstellungserlebnisse den Vorgängen im menschlichen
Nervensystem beziehungsweise im Gehirn. Solche Dinge
können selbstverständlich zunächst nur
angedeutet werden. Und auch schon aus dem Grunde, weil sie nur
angedeutet werden können, sind Einwände über
Einwände möglich. Aber ich weiß es ganz
bestimmt: Wenn nicht mit Berücksichtigung bloßer
Teile von Tatsachen der heutigen naturwissenschaftlichen
Forschung, sondern mit dem ganzen Umfang der
anatomisch-physiologischen Forschung an das eben
Auseinandergesetzte wirklich herangegangen wird, das heißt
wenn man an alles denkt, was anatomisch-physiologische
Forschung ist, dann wird sich ein vollständiger Einklang
zwischen den von mir gemachten geisteswissenschaftlichen
Behauptungen und den naturwissenschaftlichen Behauptungen
ergeben. Oberflächlich angesehen — lassen Sie mich
den Einwand nur als besonders Charakteristisches vorbringen
— lassen sich natürlich Einwände über
Einwände gegen eine so umfassende Wahrheit machen. Es
könnte jemand sagen: Nun wollen wir uns zunächst
darin einigen, daß gewisse Gefühle mit dem
Atmungsorganismus zusammenhängen; denn daß dies
für gewisse Gefühle sehr einleuchtend gezeigt werden
kann, daran kann eigentlich niemand zweifeln. Aber es
könnte jemand sagen: Ja, wie verhältst du dich denn
dann dazu, daß wir zum Beispiel Melodien wahrnehmen,
daß Melodien in unserem Bewußtsein auftreten; an
Melodien knüpft sich das Gefühl des ästhetischen
Wohlgefallens an. Kann man da sprechen von irgendeiner
Beziehung des Atmungsorganismus zu dem, was ja ganz offenbar im
Haupte entsteht, was so ganz offenbar nach physiologischen
Ergebnissen zusammenhängt mit dem Nervenorganismus?
— Sobald man die Sache richtig betrachtet, stellt sich
auch sogleich mit vollständiger Klarheit das Richtige
meiner Behauptung heraus. Nämlich, man muß dann in
Erwägung ziehen, daß mit jeder Ausatmung ein
wichtiger Vorgang im Gehirn parallel geht: daß das Gehirn
bei der Ausatmung, wenn es nicht von der Schädeldecke
niedergehalten würde, steigen würde — die
Atmung pflanzt sich ins Gehirn hinein fort — und
umgekehrt; bei der Einatmung sinkt das Gehirn. Und da es nicht
steigen und sinken kann, weil die Schädeldecke da ist, so
tritt das ein, was der Physiologie ganz bekannt ist: es tritt
der Wechsel in der Blutströmung ein, es findet das statt,
was die Physiologie als Gehirn-Atmung kennt, das heißt
gewisse Vorgänge, die in der Nervenumgebung parallel
vorgehen dem Atmungsprozeß. Und in dieser Begegnung des
Atmungsprozesses mit dem, was durch unser Ohr in uns als
Töne lebt, spielt sich das ab, was eben darauf hinweist,
daß das Fühlen auch auf diesem Gebiet so
zusammenhängt mit dem Atmungsorganismus, wie das
bloße Vorstellungsleben mit dem Nervenorganismus.
Ich
will dieses andeuten, weil es etwas besonders Fernliegendes ist
und deshalb einen naheliegenden Einwand abgibt. Könnte man
sich mit jemand verständigen über alle Einzelheiten
der physiologischen Ergebnisse, so würden keine solchen
Einzelheiten dem widersprechen, was das letztemal hier
vorgebracht wurde und heute wieder vorgebracht worden ist.
Nun
soll es meine Aufgabe sein, wiederum in einer ähnlichen
Weise wie im letzten Vortrag unsere Betrachtung weiter
auszubauen. Und da muß ich ein wenig näher eingehen
auf die Art und Weise, wie der Mensch das sinnliche
Wahrnehmungsleben entfaltet, um zu zeigen, welches eigentlich
das Verhältnis ist zwischen dem sinnlichen
Wahrnehmungsvermögen, das zu Vorstellungen führt, und
dem Gefühls- und Willensleben, überhaupt dem Leben
des Menschen als Seele, als Leib und als Geist.
Durch unser Sinnesleben kommen wir mit der sinnlichen Umgebung
in Verkehr. Innerhalb dieser sinnlichen Umgebung unterscheidet
die Naturforschung gewisse Stoffe, sagen wir besser
Stoff-Formen — denn auf diese kommt es ja jetzt an; wenn
ich mit dem Physiker sprechen wollte, würde ich sagen
müssen Aggregatzustände —: Festes,
Flüssiges, Luftförmiges. Nun aber kommt, wie Sie ja
alle wohl wissen, die physikalisch-naturwissenschaftliche
Forschung dazu, außer diesen stofflichen Formen noch etwas
anderes anzunehmen. Wenn die Naturwissenschaft das Licht
erklären will, so begnügt sie sich nicht damit, diese
Stoff-Formen nur gelten zu lassen, welche ich eben
angeführt habe, sondern sie greift dann zu dem, was ihr
zunächst feiner erscheint als diese Stoffsorten; sie
greift zu dem, was man gewöhnlich Äther nennt. Die
Vorstellung des Äthers ist ja eine außerordentlich
schwierige, und man kann sagen: Die verschiedenen Gedanken, die
man sich über das gemacht hat, was über den
Äther gesagt werden soll, sind denkbar verschieden,
mannigfaltig. Auf alle diese Einzelheiten kann natürlich
nicht eingegangen werden. Nur darauf soll aufmerksam gemacht
werden, daß eben die Naturwissenschaft sich gedrängt
fühlt, den Ätherbegriff aufzustellen, das heißt
die Welt nicht nur von der unmittelbar sinnlichen Wahrnehmung
der dichteren Stoffe erfüllt zu denken, sondern sie
erfüllt zu denken von Äther. Das Charakteristische
ist, daß die Naturforschung nicht heraufkommt mit ihren
Methoden zu dem, was eigentlich Äther ist. Denn die
Naturforschung braucht zu ihrer wirklichen Betätigung doch
immer materielle Grundlagen. Der Äther selber aber
entzieht sich gewissermaßen doch immer den materiellen
Grundlagen. Er erscheint in Verbindung mit materiellen
Vorgängen, er ruft materielle Vorgänge hervor; aber
er ist sozusagen mit den Mitteln, die an die materiellen
Grundlagen gebunden sind, nicht zu fassen. Daher hat sich
gerade in der neueren Zeit ein eigentümlicher
Ätherbegriff herausgebildet, der im Grunde genommen
außerordentlich interessant ist. Der Ätherbegriff,
den man heute schon bei Physikern finden kann, der geht dahin,
zu sagen: Äther muß dasjenige sein — was es
auch sonst sein mag —, was jedenfalls keine Eigenschaften
hat, wie sie die gewöhnliche Materie hat. So weist die
Naturforschung über ihre eigenen materiellen Grundlagen
hinaus, indem sie vom Äther sagt, er habe das, was sie mit
ihren Mitteln nicht finden kann. Die Naturforschung kommt
gerade bis zu der Annahme eines Äthers, aber nicht dazu,
mit ihren Mitteln diese Äthervorstellung mit irgendeinem
Inhalt zu erfüllen.
Nun, Geistesforschung ergibt das Folgende. Die Naturforschung
geht von der materiellen Grundlage aus, die Geistesforschung
geht von der geistig-seelischen Grundlage aus. Der
Geistesforscher wird nun, wenn er nicht willkürlich stehen
bleibt bei einer gewissen Grenze, ebenso zu dem
Ätherbegriff getrieben wie der Naturforscher, nur von der
anderen Seite her. Der Geistesforscher versucht in seine
Erkenntnis aufzunehmen dasjenige, was im Innern der Seele
regsam und wirksam ist. Würde er nun bei dem stehen
bleiben, was er so innerlich im gewöhnlichen Seelenleben
erleben kann, dann würde er auf diesem Gebiet nicht einmal
so weit gehen wie der Naturforscher, der den Ätherbegriff
annimmt. Denn der Naturforscher stellt wenigstens den
Ätherbegriff auf, er läßt ihn gelten. Der
Seelenforscher, wenn er von sich aus zu keinem
Ätherbegriff kommt, gleicht einem Naturforscher, der da
sagte: Was kümmere ich mich darum, was da noch lebt! Ich
nehme an die drei Grundformen: feste, flüssige,
luftförmige Körper; was noch dünner sein soll,
darum kümmere ich mich nicht. — So macht es in der
Tat zumeist die Seelenlehre.
Allein nicht jeder, der auf dem Gebiete der Seelenforschung
sich betätigt hat, macht es so; und man findet
insbesondere innerhalb jener außerordentlich
bedeutungsvollen wissenschaftlichen Entwicklung, die sich auf
der Grundlage des im ersten Drittel des neunzehnten
Jahrhunderts geltend gewordenen deutschen Idealismus aufbaut
— nicht in diesem Idealismus selber, aber in dem, was
dann aus diesem Idealismus geworden ist —, Ansätze,
zu dem Ätherbegriffe so von der anderen Seite, von der
geistigseelischen Seite aus hinzukommen, wie die Naturforschung
von der materiellen Seite zum Äther aufsteigt. Und man
muß sich, will man den Ätherbegriff wirklich haben,
von zwei Seiten her diesem Begriff nähern. Anders wird man
mit diesem Begriff nicht zurechtkommen. Nun, das Interessante
liegt darin, daß die großen deutschen philosophischen
Idealisten, Fichte, Schelling, Hegel, trotz ihres von mir ja
öfter hier charakterisierten eindringlichen Vor-stellens
und Denkens, den Ätherbegriff noch liegengelassen haben.
Sie konnten gewissermaßen das innere Seelenleben nicht so
erstarken, nicht so erkraften, daß ihnen der
Ätherbegriff sich ergeben hätte. Dafür ist in
denjenigen, die sich haben befruchten lassen von diesem
Idealismus, die gewissermaßen die Gedanken, die damals
erzeugt worden sind, in ihrer Seele haben weiterwirken lassen,
trotzdem sie nicht so große Genies waren, wie die
Idealisten-Vorgänger, dieser Ätherbegriff entsprungen
aus dieser Seelenforschung heraus. Wir finden diesen
Ätherbegriff zunächst bei Immanuel Hermann
Fichte, dem Sohn des großen Johann Gottlieb Fichte,
zugleich Schüler seines Vaters, indem er in sich
fortwirken ließ, was Johann Gottlieb Fichte und seine
Nachfolger, Schelling und Hegel, in ihrer Seele
gewissermaßen gemacht haben. Aber es zu größerer
innerer Wirksamkeit gleichsam verdichtend, kam er dazu, sich zu
sagen: Wenn man das seelisch-geistige Leben betrachtet, wenn
man es, ich möchte sagen, nach allen Seiten
durchmißt, dann kommt man dazu, sich zu sagen: Da nach
unten muß dieses seelischgeistige Leben in den Äther
auslaufen, so wie Festes, Flüssiges, Luftförmiges
nach oben hin in den Äther ausläuft. Es muß
gewissermaßen das Niederste des Seelischen so in den
Äther hineinmünden, wie das Höchste des
Materiellen in den Äther hineinmündet nach oben. Und
charakteristisch sind gewisse Vorstellungen, die sich
darüber Immanuel Hermann Fichte gebildet hat, und durch
die er nun wirklich von dem Geistig-Seelischen aus bis an die
Grenze des Äthers gekommen ist. Wir lesen in seiner
«Anthropologie» 1860 — Sie finden die Stelle
angeführt in meinem letzten Buche «Vom
Menschenrätsel» —:
«In den Stoffelementen ... kann das wahrhaft Beharrende,
jenes einende Formprinzip des Leibes nicht gefunden werden,
welche sich während unseres ganzen Lebens wirksam
erweist.» «So werden wir auf eine zweite, wesentlich
andere Ursache im Leibe hingewiesen.»
«Indem» dieses «das eigentlich im Stoffwechsel
Beharrliche enthält, ist es der wahre, innere,
unsichtbare, aber in aller sichtbaren Stofflichkeit
gegenwärtige Leib. Das andere, die äußere
Erscheinung desselben, aus unablässigem Stoffwechsel
gebildet, möge fortan <Körper> heißen, der
wahrhaft nicht beharrlich und nicht eins, der bloße Effekt
oder das Nachbild jener inneren Leiblichkeit ist, welche ihn in
die wechselnde Stoff weit hineinwirft, gleichwie etwa die
magnetische Kraft aus den Teilen des Eisenfeilstaubes sich
einen scheinbar dichten Körper bereitet, der aber nach
allen Seiten zerstäubt, wenn die bindende Gewalt ihm
entzogen ist.»
Nun, für I. H. Fichte lebte also in dem gewöhnlichen,
aus dem äußeren Stoff bestehenden Leib ein
unsichtbarer Leib, und diesen unsichtbaren Leib könnten
wir auch den ätherischen Leib nennen; ein Äther leib,
der die einzelnen Stoffteilchen dieses sichtbaren Leibes in
ihre Formen hereinbringt, sie gestaltet, sie ausbildet. Und I.
H. Fichte ist sich so klar, daß dieser Ätherleib, zu
dem er aus dem Seelischen heruntersteigt, nicht den
Vorgängen des physischen Leibes unterworfen ist, daß
für ihn schon genug ist die Einsicht in das Dasein eines
solchen Ätherleibes, um über das Todesrätsel
hinauszukommen. Denn I. H. Fichte sagt in seiner
«Anthropologie»:
«Denn kaum braucht noch gefragt zu werden, wie der Mensch
an sich selbst sich verhalte in diesem Todesvorgange. Dieser
bleibt auch nach dem letzten, uns sichtbaren Akte des
Lebensprozesses in seinem Wesen ganz derselbe nach Geist und
Organisationskraft, welcher er vorher war. Seine
Integrität ist bewahrt; denn er hat durchaus nichts
verloren von dem, was sein war und zu seiner Substanz
gehörte während des sichtbaren Lebens. Er kehrt nur
im Tode in die unsichtbare Welt zurück, oder vielmehr, da
er dieselbe nie verlassen hatte, da sie das eigentlich
Beharrende in allem Sichtbaren ist, — er hat nur eine
bestimmte Form der Sichtbarkeit abgestreift. <Totsein>
bedeutet lediglich, der gewöhnlichen Sinnesauffassung
nicht mehr perceptibel bleiben, ganz auf gleiche Weise, wie
auch das eigentlich Reale, die letzten Gründe der
Körper er scheinungen, den Sinnen imperceptibel
sind.»
Ich
habe bei I. H. Fichte aufgezeigt, wie er zu einem solchen
unsichtbaren Leibe vorrückt von dem Seelischen.
Interessant ist es, daß an vielen Stellen in der
Nachblüte des deutschen idealistischen Geisteslebens
dasselbe aufgetaucht ist. Ich habe auch hier schon vor
längerer Zeit aufmerksam gemacht auf einen einsamen
Denker, der Schuldirektor in Bromberg war, der sich befaßt
hat mit der Unsterblichkeitsfrage: Johann Heinrich
Deinhardt, der in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts
gestorben ist. Er hat sich zunächst mit der
Unsterblichkeitsfrage befaßt wie die anderen, indem er
versuchte, durch Vorstellungen und Begriffe hinter diese
Unsterblichkeitsfrage zu kommen. Aber für ihn hat sich
mehr ergeben als für diejenigen, die bloß in
Begriffen leben. Und so konnte der Herausgeber jener Abhandlung
über Unsterblichkeit, die J. H. Deinhardt geschrieben hat,
aus einem Briefe, den der Verfasser an ihn geschrieben hat,
eine Stelle anführen, in der dieser J. H. Deinhardt sagt,
daß er zwar noch nicht dazu gekommen wäre, die Sache
einem Buche mitzuteilen, daß aber seine innerliche
Forschung ihm klar ergeben hätte, daß der Mensch
während seines Lebens zwischen Geburt und Tod an der
Ausgestaltung eines unsichtbaren Leibes arbeite, welcher mit
dem Tod in die geistige Welt hinein entlassen wird.
Und
so könnten noch mannigfaltige andere Erscheinungen des
deutschen Geisteslebens für eine solche Forschungsrichtung
und Anschauungsrichtung angeführt werden. Sie alle
würden beweisen, daß in dieser Forschungsrichtung der
Drang war, nicht stehen zu bleiben bei dem, was bloß
philosophierende Spekulation, was bloßes Leben in
Begriffen ergeben kann, sondern das innere Seelenleben so zu
erkraften, daß es her andringt bis zu jener Dichtigkeit,
welche den Äther erreicht.
Nun
wird allerdings auf den Wegen, die diese Forscher eingeschlagen
haben, noch nicht von innen heraus das wirkliche
Ätherrätsel gelöst werden können, aber man
kann gewissermaßen sagen: diese Forscher sind auf dem Wege
zur Geisteswissenschaft. Denn dieses Rätsel nach dem
Äther wird gelöst, indem die menschliche Seele
diejenigen übungsgemäßen inneren Vorgänge
durchmacht, welche ich hier öfters charakterisiert habe,
und die in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der
höheren Welten?» genauer beschrieben werden. Der
Mensch gelangt, wenn er diese inneren Seelenvorgänge
durchmacht, allerdings nach und nach, dazu, den Äther
wirklich von innen heraus zu erreichen. Dann wird der
Äther für ihn unmittelbar da sein. Dann aber erst ist
er imstande zu begreifen, was eigentlich eine Sinnesempfindung
ist, was eigentlich vorliegt in der sinnlichen Wahrnehmung.
Um
dieses heute darzustellen, muß ich gewissermaßen von
anderer Seite den Zugang zu dieser Frage suchen. Gehen wir
heran an das, was in den Stoffwechselvorgängen für
den Menschen eigentlich vorgeht. Grob gesprochen, können
wir uns die Stoffwechselvorgänge im menschlichen
Organismus als so verlaufend denken, daß sie im
wesentlichen mit dem flüssigen Stoffelement zu tun haben.
Das wird ja leicht eingesehen werden können, wenn man sich
nur ein wenig mit den gangbarsten naturwissenschaftlichen
Vorstellungen auf diesem Gebiete bekannt macht. Was Stoff
Wechselvorgang ist, das lebt gewissermaßen im
flüssigen Element. Das, was Atmung ist, lebt im
luftförmigen Element; in der Atmung haben wir eine
Wechselwirkung zwischen inneren und äußeren
Luftvorgängen, wie wir im Stoffwechsel eine Wechselwirkung
haben zwischen stofflichen Vorgängen, die sich außer
unserem Leibe abgespielt haben, und solchen, die sich in
unserem Leibe abspielen. Was geht nun vor, wenn wir sinnlich
wahrnehmen und das Vorstellen daran reihen? Was entspricht dem
eigentlich? In ebensolcher Weise, wie die flüssigen
Vorgänge dem Stoffwechsel, die luftförmigen
Vorgänge dem Atmen entsprechen — was entspricht dem
Wahrnehmen? Dem Wahrnehmen entsprechen ätherische
Vorgänge. So wie wir gewissermaßen mit dem
Stoffwechsel im Flüssigen leben, leben wir mit der Atmung
in der Luft, leben wir mit der Wahrnehmung im Äther. Und
innere Ätherprozesse, innere ätherische
Vorgänge, die sich in dem unsichtbaren Leibe, von dem eben
gesprochen worden ist, abspielen, berühren sich mit
äußeren ätherischen Vorgängen in der
sinnlichen Wahrnehmung. Wenn eingewendet wird: Ja, aber gewisse
sinnliche Wahrnehmungen sind doch so offenbare Stoff
Wechselvorgänge! — es ist für diejenigen
sinnlichen Wahrnehmungen besonders auffällig, die den
sogenannten niederen Sinnen entsprechen, Geruch, Geschmack
—, so würde ein genaueres Eingehen zeigen, daß
dabei das, was stofflich ist, dem Stoffwechsel selbst
angehört, und daß bei jedem solchen Vorgang, auch
beim Schmecken zum Beispiel ein ätherischer Prozeß
vorgeht, durch den wir in Beziehung treten mit dem
äußeren Äther, wie wir mit dem physischen Leibe
zu der Luft in Beziehung treten, indem wir atmen. Ohne das
Verständnis der ätherischen Welt ist ein
Verständnis der Sinnesempfindungen nicht möglich.
Und
was geschieht denn eigentlich? Nun, was da geschieht, das kann
man im Grunde genommen erst durchschauen, wenn man den inneren
Seelenprozeß so weit gebracht hat, daß einem das
innerlich Ätherisch-Leibliche eine Wirklichkeit geworden
ist. Das wird es, wenn das erreicht ist, was ich in den
Vorträgen vor kurzem hier das imaginative Vorstellen
genannt habe. Wenn die Vorstellungen durch die Übungen,
die Sie in dem genannten Buche finden können, sich so
erkraftet haben, daß sie nicht mehr abstrakte
Vorstellungen sind, die wir sonst haben, sondern lebensvolle
Vorstellungen sind, dann kann man sie Imaginationen nennen.
Wenn diese Vorstellungen so lebensvoll geworden sind, daß
sie Imaginationen sind, dann leben sie unmittelbar im
Ätherischen, während sie, wenn sie abstrakte
Vorstellungen sind, nur im Seelischen leben. Sie greifen auf
das Ätherische über. Und dann, wenn man es so weit
gewissermaßen im innerlichen Experimentieren gebracht hat,
daß man den Äther als Lebendig-Wirkliches in sich
erlebt, dann kann man erfahren, was geschieht in der
Sinnesempfindung. Die Sinnesempfindung besteht darin —
ich kann dies heute nur als Ergebnis anführen —,
daß, indem die äußere Umgebung das
Ätherische aus dem Materiellen in unsere Sinnesorgane
hineinsendet, jene Golfe macht, von denen ich vorgestern
sprach, so daß das, was draußen ist, innerhalb
unseres Sinnenbereiches auch innerlich wird, wir zum Beispiel
einen Ton haben gewissermaßen zwischen Sinnesleben und
Außenwelt. Dann wird dadurch, daß der
äußere Äther eindringt in unsere Sinnesorgane,
dieser äußere Äther abgetötet. Und indem
der äußere Äther abgetötet in unsere
Sinnesorgane hereinkommt, wird er, indem der innere Äther
vom ätherischen Leibe ihm entgegenwirkt, wieder belebt.
Darin haben wir das Wesen der Sinnesempfindung. Wie
Ertötung und Belebung im Atmungsprozeß entsteht,
indem wir den Sauerstoff einatmen, und ausatmen die
Kohlensäure, so besteht eine Wechselwirkung zwischen
gewissermaßen erstorbenem Äther und belebtem
Äther in der Sinnesempfindung.
Dies ist eine außerordentlich wichtige Tatsache, die sich
der Geisteswissenschaft ergibt. Denn das, was keine
philosophischen Spekulationen finden, woran die philosophische
Spekulation der letzten Jahrhunderte so unzählige Male
gescheitert ist, das kann nur auf dem Wege der
Geisteswissenschaft gefunden werden. Sinnesempfindung kann so
erkannt werden als eine feine Wechselwirkung zwischen
äußerem und innerem Äther; als Belebung des im
Sinnesorgan ertöteten Äthers vom inneren Äther
leibe aus. So daß dasjenige, was die Sinne uns aus der
Umgebung abtöten, innerlich durch den Ätherleib
wieder belebt wird, und wir dadurch zu dem kommen, was eben
Wahrnehmung der Außenwelt ist.
Dies ist außerordentlich wichtig, denn es zeigt, wie der
Mensch, schon wenn er der Sinnesempfindung sich hingibt, nicht
nur lebt im physischen Organismus, sondern im ätherisch
Übersinnlichen, wie das ganze Sinnesleben ein Leben und
Weben im Ätherisch-Unsichtbaren ist. Dies ist es, das eben
in der charakterisierten Zeit die tieferen Forscher immer
geahnt haben, das aber zur Gewißheit erhoben werden wird
durch die Geisteswissenschaft. Ich will unter denen, die diese
bedeutsame Wahrheit erkannten, noch anführen den fast ganz
vergessenen /. P. V. Troxler. Ich habe ihn in
früheren Vorträgen, in früheren Jahren, hier
schon erwähnt. Er sagte in seinen «Vorlesungen
über Philosophie»:
«Schon früher haben die Philosophen einen feinen,
hehren Seelenleib unterschieden von dem gröberen
Körper ... eine Seele, die ein Bild des Leibes an sich
habe, das sie Schema nannten, und das ihnen der innere
höhere Mensch war ... In der neuesten Zeit selbst Kant in
den Träumen eines Geistersehers träumt ernsthaft im
Scherze einen ganzen inwendigen seelischen Menschen, der alle
Gliedmaßen des auswendigen an seinem Geistesleib trage;
Lavater dichtet und denkt ebenso. ...»
Diese Forscher waren sich aber auch klar, daß mit dem
Augenblick, wo man aufsteigt nur aus dem gewöhnlichen
materiellen Anschauen zu dem Anschauen dieses
übersinnlichen Organismus in uns, man überzugehen hat
von der gewöhnlichen Anthropologie zu einer solchen Art
von Erkenntnis, die durch Erkraftung des Inneren zu ihren
Ergebnissen kommt. Daher ist es interessant, wie zum Beispiel
sowohl I. H. Fichte wie auch Troxler sich klar sind
darüber, daß Anthropologie aufsteigen müsse zu
etwas anderem, wenn sie den ganzen Menschen erfassen will. I.
H. Fichte sagt in seiner «Anthropologie»:
«Das Sinnenbewußtsein ... mit dem gesamten, auch
menschlichen Sinnenleben, hat keine andere Bedeutung, als nur
die Stätte zu sein, in welcher jenes übersinnliche
Leben des Geistes sich vollzieht, indem er durch frei
bewußte eigene Tat den jenseitigen Geistgehalt der Ideen
in die Sinnenwelt einführt ... Diese gründliche
Erfassung des Menschenwesens erhebt nunmehr die
<Anthropologie> in ihrem Endresultate zur
<Anthroposophie>.»
Wir
sehen aus dieser Strömung des deutschen Geisteslebens,
die, ich möchte sagen, den Idealismus von seiner
Abstraktheit zur Wirklichkeit hintreibt, die Ahnung einer
Anthroposophie. Und Troxler sagt, daß man annehmen
müsse einen übergeistigen Sinn im Verein mit einem
übersinnlichen Geiste, und daß man dadurch den
Menschen so erfassen kann, daß man es nicht mehr zu tun
hat mit einer gewöhnlichen Anthropologie, sondern mit
etwas Höherem:
«Wenn es nun höchst erfreulich ist, daß die
neueste Philosophie, welche ... in jeder Anthroposophie ...
sich offenbaren muß, emporwindet, so ist doch nicht zu
übersehen, daß diese Idee nicht eine Frucht der
Spekulation sein kann, und die wahrhafte ...
Individualität des Menschen weder mit dem, was sie
als subjektiven Geist oder endliches Ich aufstellt, noch mit
dem, was sie als absoluten Geist oder absolute
Persönlichkeit diesem gegenüberstellt, verwechselt
werden darf.»
Mit
Anthroposophie ist nicht irgend etwas vorgebracht, was
gewissermaßen aus der Willkür heraus auftritt,
sondern etwas, wozu mit Notwendigkeit jenes Geistesleben
führt, das sich einmal darauf einläßt, Begriffe
und Vorstellungen nicht nur als Begriffe und Vorstellungen zu
erleben, sondern sie so weit — und ich möchte den
Ausdruck noch einmal gebrauchen — zu verdichten, daß
sie in die Wirklichkeit hineinführen, daß sie
wirklichkeitsgesättigt werden.
Man
kommt aber, und das ist nun der Mangel dieser Forschung, wenn
man sich bloß erhebt vom physischen zu dem
ätherischen Leibe, doch nicht zurecht; sondern man kommt
da nur an eine gewisse Grenze, die aber überschritten
werden muß; denn jenseits des Ätherischen liegt erst
das Seelisch-Geistige. Und das Wesentliche ist, daß eben
dieses Seelisch-Geistige nur durch die Vermittlung des
Ätherischen mit dem Physischen in eine Beziehung kommen
kann. So haben wir das eigentlich Seelische des Menschen erst
in dem zu suchen, was nun völlig überätherisch
arbeitet und kraftet im Ätherischen, so daß das
Ätherische wiederum das Physische gestaltet, wie es selbst
gestaltet, durchkraftet, durchlebt ist von dem Seelischen.
Versuchen wir den Menschen nun am anderen, am Willens-Pol zu
ergreifen: Wir haben ja gesagt, daß das Willensleben
zusammenhängt mit dem Stoffwechsel. Indem der
Willensimpuls sich im Stoffwechsel auslebt, lebt er nicht
bloß in dem äußeren physischen Stoffwechsel,
sondern da überall der ganze Mensch ist innerhalb der
Grenzen seiner Wesenheit, so lebt auch das Ätherische in
dem, was sich als Stoffwechsel ausgestaltet, wenn ein
Willensimpuls vorgeht. Nun zeigt die Geisteswissenschaft,
daß im Willensimpuls gerade das Umgekehrte vorliegt von
der Sinneswahrnehmung. Während bei der Sinneswahrnehmung
der äußere Äther gewissermaßen belebt wird
durch den inneren Äther, also der innere Äther sich
in den toten Äther hinein ergießt, ist es beim
Willensimpuls so, daß, wenn er aus dem Seelisch-Geistigen
heraus entspringt, dann immer durch den Stoffwechsel und alles
das, was damit zusammenhängt, der Ätherleib
herausgelockert, herausgetrieben wird aus dem physischen Leibe
für diejenigen Gebiete, in denen sich der Stoffwechsel
abspielt. Wir haben also hier das Umgekehrte: der
Ätherleib zieht sich gewissermaßen zurück von
den physischen Vorgängen. Und darin liegt das Wesentliche
der Willenshandlungen, daß sich bei ihnen der
Ätherleib zurückzieht von dem physischen Leib.
Nun
werden sich diejenigen verehrten Zuhörer, die die
früheren Vorträge gehört haben, erinnern,
daß ich außer der imaginativen Erkenntnis
unterschieden habe die inspirierte und dann die eigentliche
intuitive Erkenntnis. Und ebenso, wie die imaginative
Erkenntnis ein solches Erkraften des Seelenlebens ist, daß
man zu dem Ätherleben auf die vorhin angedeutete Weise
kommt, so ist die intuitive Erkenntnis dadurch gegeben,
daß man im Seelenleben gewissermaßen lernt, durch
mächtige Willensimpulse mitzumachen, ja selbst
hervorzurufen, was man nennen kann: Zurückziehen des
Ätherleibes von den physischen Vorgängen. So ragt auf
diesem Gebiete das Seelisch-Geistige in das Physisch-Leibliche
hinein. Dringt ein Willensimpuls ursprünglich aus dem
Seelisch-Geistigen heraus, so findet er sich mit dem
Ätherischen, und die Folge ist, daß dieses
Ätherische zurückgezogen wird aus irgendeinem
Stoffwechsel-Gebiet des Physisch-Leiblichen. Und aus diesem
Wirken des Geistig-Seelischen durch das Ätherische auf das
Leibliche entsteht das, was man nennen kann den Übergang
eines Willensimpulses zu irgendeiner leiblichen Bewegung, zu
einer leiblichen Hantierung. Dann aber erst, wenn man in dieser
Weise den ganzen Menschen ins Auge faßt, gelangt man zu
seinem eigentlichen unsterblichen Teil. Denn sobald man
erkennen lernt, wie das Geistig-Seelische im Äther webt,
wird einem auch klar, daß dieses Weben des
Geistig-Seelischen im Äther unabhängig ist auch von
denjenigen Vorgängen des physischen Leibes, die in Geburt,
Empfängnis und Tod eingeschlossen sind. Und auf diesem
Wege ist möglich ein wirkliches Sich-Erheben zu dem
Unsterblichen im Menschenwesen, zu demjenigen, das sich mit dem
Leibe, den man durch die Vererbungsströmung erhält,
verbindet, und das sich erhält, wenn der Mensch wiederum
durch die Pforte des Todes geht. Denn mit dem, was hier geboren
wird und stirbt, steht das Ewig-Geistige auf dem Umwege durch
das Ätherische in Zusammenhang.
Es
hat sich ja bis jetzt ergeben, daß die Vorstellungen, zu
denen Geisteswissenschaft kommt, den Denkgewohnheiten von heute
gar sehr widerstreben, daß sich die Menschen schwer
hineinfinden können in diese Vorstellungen. Man kann
sagen, daß ein Hindernis für dieses Hineinfinden
neben anderem auch dies ist, daß man sich so wenig
bemüht, den wirklichen Zusammenhang des Geistig-Seelischen
mit dem Leiblichen in der heute angedeuteten Weise zu suchen.
Die meisten Menschen ersehnen nämlich ganz anderes als
dasjenige, was die Geistesforschung eigentlich liefern kann.
Was ist es eigentlich, was im Menschen stattfindet, wenn er
vorstellt? Ein Ätherprozeß, der nur in eine
Wechselwirkung tritt mit einem äußeren
Ätherprozeß. Notwendig ist aber, damit der Mensch
sozusagen in gesundem seelischen und leiblichen Leben nach
dieser Richtung ist, daß der Mensch gewahr werde, wo die
Grenze ist, in der sich berührt der innere und der
äußere Äther. Das geschieht zumeist ja
unbewußt. Es wird bewußt, wenn der Mensch zur
imaginativen Erkenntnis aufsteigt, wenn er innerlich erlebt das
Regen und Bewegen des Äthers, und sein Zusammenkommen mit
dem äußeren Äther, der im Sinnesorgan erstirbt.
In diesem Wechselwirken zwischen dem inneren und
äußeren Äther haben wir gewissermaßen die
äußerste Grenze der Wirksamkeit des Äthers
überhaupt auf den menschlichen Organismus. Denn das, was
in unserem Ätherleibe ist, wirkt auf den Organismus zum
Beispiel vornehmlich im Wachstum. Da ist es noch von innen
heraus bildend im Organismus wirksam. Es organisiert
allmählich unseren Organismus, so daß er sich
anpaßt in der Weise an die Außenwelt, wie wir das
sehen, wenn das Kind heranwächst. Aber dieses innerlich
bildende Ergreifen des physischen Leibes durch den Äther
muß an einer gewissen Grenze anlangen. Wenn es über
diese Grenze hinausgeht durch irgendwelche krankhaften
Prozesse, dann tritt das ein, daß das im Äther
Lebende und Webende, das aber im Ätherischen sich erhalten
soll, übergreift auf den physischen Organismus, so
daß dieser gewissermaßen in sich verwoben erhält
dasjenige, was als Ätherbewegung bleiben soll. Was tritt
dann ein? Das, was eigentlich nur innerlich erlebt werden soll
als Vorstellung, das tritt auf als ein Vorgang im physischen
Leibe. Dann ist es das, was man eine Halluzination nennt. Wenn
der Äthervorgang seine Grenze überschreitet nach dem
Leiblichen hin, dadurch daß der Leib ihm durch seine
Krankhaftigkeit nicht den richtigen Widerstand entgegensetzt,
dann entsteht das, was man eine Halluzination nennt. Nun
wünschen sich eigentlich sehr viele Menschen, die in die
geistige Welt eindringen wollen, vor allen Dingen
Halluzinationen. Das kann ihnen der Geistesforscher
selbstverständlich nicht bieten; denn die Halluzination
ist nichts anderes als die Wiedergabe eines rein materiellen
Vorganges, eines Vorganges, der sich gegenüber der Seele
jenseits der Grenzen des Leibes abspielt, das heißt im
Leibe. Dagegen besteht das, was in die geistige Welt
führt, darin, daß man von dieser Grenze zurück
ins Seelische geht und statt zu Halluzinationen, zur
Imagination kommt, und die Imagination ist ein rein seelisches
Erlebnis. Und indem sie rein seelisches Erlebnis ist, lebt die
Seele in der Imagination in der geistigen Welt. Dadurch aber
auch lebt die Seele in vollbewußtem Durchdringen der
Imagination. Und ein Wichtiges ist, daß man einsieht,
daß Imagination, das heißt berechtigter Weg, um
geistige Erkenntnis zu erlangen, und Halluzination, das
Entgegengesetzte sind und sich auch gegenseitig vernichten. Wer
durch einen krankhaften Organismus zur Halluzination kommt,
verlegt sich den Weg zur eigentlichen Imagination; und wer zur
wirklichen Imagination kommt, bewahrt sich am sichersten vor
allem Halluzinieren. Halluzination und Imagination
schließen sich gegenseitig aus, zerstören sich
gegenseitig.
So
aber liegt die Sache auch am anderen Pol des Menschen. Ebenso
wie der Ätherleib übergreifen kann auf das Leibliche,
seine Bildekraft in das Leibliche hineinsenken kann, und
dadurch die Halluzination, das heißt die rein leiblichen
Vorgänge, hervorrufen kann, so kann auf der anderen Seite
durch gewisse krankhafte Bildungen des Organismus oder durch
herbeigeführte Ermüdung oder sonstige Zustande des
Organismus das Heraustreten des Ätherischen, wie es
charakterisiert wurde bei der Willenshandlung, in
unregelmäßiger Weise erfolgen. Dann kann es
geschehen, daß, statt daß in einer richtigen
Willenshandlung das Ätherische wirklich aus dem physischen
Stoff-wechselgebiet herausgenommen wird, es drinnen bleibt, und
das physische Stoffwechsel-Gebiet in seiner rein physischen
Betätigung in das Ätherische hineingreift, so
daß das Ätherische abhängig wird von dem
Physischen, während im normalen Willensentfalten das
Physische abhängig ist vom Ätherischen, das wiederum
seinerseits bestimmt wird von dem Seelisch-Geistigen. Wenn das
geschieht durch solche Vorgänge, wie ich es angedeutet
habe, dann entsteht, ich möchte sagen, wie das krankhafte
Gegenbild der Halluzination die Zwangshandlung, die darin
besteht, daß sich der physische Leib mit seinen
Stoffwechselvorgängen in das Ätherische
hereindrängt, in den Ätherleib gewissermaßen
hereinschiebt. Und wird die Zwangshandlung als krankhafte
Erscheinung hervorgerufen, so kann man wiederum sagen: sie
schließt das aus, was man in der geisteswissenschaftlichen
Erkenntnis die Intuition nennt. Intuition und Zwangshandlung
schließen sich gegenseitig aus, so wie sich Halluzination
und Imagination ausschließen. Daher ist es auch, daß
es nichts Seelenloseres gibt, als auf der einen Seite die
Halluzinierenden, denn die Halluzinationen sind eben
Andeutungen von Körperzuständen, die nicht sein
sollten; und auf der anderen Seite zum Beispiel die tanzenden
Derwische. Der Tanz des Derwischs entsteht dadurch, daß
sich das Physisch-Leibliche hineinschiebt in das
Ätherische, so daß nicht das Ätherische vom
Geistig-Seelischen aus das Wirksame wird, sondern im Grunde
genommen nur reguläre Zwangshandlungen auftreten. Und wer
da glaubt, im tanzenden Derwisch Offenbarungen des Seelischen
zu erhalten, der sollte gerade sich in die Geisteswissenschaft
einlassen, um sich darüber klar zu werden, daß der
tanzende Derwisch ein Beweis dafür ist, daß der
Geist, das Geistig-Seelische aus seinem Leibe herausgegangen
ist; deshalb tanzt er in dieser Weise.
Und, ich möchte sagen, nur etwas umfangreicher ist
dasjenige, was nun nicht Tanzen ist, sondern was zum Beispiel
automatisches Schreiben, mediales Schreiben ist. Das besteht
auch in nichts anderem, als daß man erst das
Geistig-Seelische ganz heraustreibt aus dem Menschlichen, und
den in den Ätherleib hineingeschobenen physischen Leib
sich entfalten läßt, wie er sich entfaltet, wenn er,
der gleichsam leer geworden ist von innerem Äther, nun in
die Gewalt des äußeren umgebenden Äthers kommt.
Diese Gebiete alle führen gerade von der
Geisteswissenschaft ab, nicht zur Geisteswissenschaft hin,
obwohl durchaus nicht von jenen Gesichtspunkten aus etwas
eingewendet werden soll gegen diese Dinge, von denen man
gewöhnlich gegen sie so viel einwendet. Gerade am
tanzenden Derwisch kann studiert werden, was ein Kunsttanzen,
ein wirklich künstlerischer Tanz sein soll. Der
künstlerische Tanz soll gerade darin bestehen, daß
jeder einzelnen Bewegung ein Willensimpuls, der dem
Betreffenden auch zum Bewußtsein kommen kann, entspricht,
so daß man es niemals zu tun hat mit einem bloßen
Hereindrängen der physischen Vorgänge in die
ätherischen Vorgänge. Mit Vorstellungen
durchgeistigter Tanz ist allein Kunsttanz. Das Tanzen des
Derwischs, das ist nur Verleugnung der Geistigkeit. Manche
werden einwenden: Aber es zeigt doch den Geist an! — Das
tut es, aber wie? Nun, eine Muschel können Sie studieren,
wenn Sie die lebendige Muschel aufnehmen und anschauen; aber
Sie können sie auch studieren, wenn die lebendige Muschel
heraus ist, indem Sie die Schale anschauen: in der
Muschelschale ist nachgebildet die Form der Muschel, die aus
dem Leben geborene Form. So ungefähr hat man aber auch
eine Nachbildung des Geistigen, eine tote Nachbildung des
Geistigen, wenn man es mit dem automatischen Schreiben oder mit
dem tanzenden Derwisch zu tun hat. Deshalb sieht das dem
Geistigen so ähnlich, wie die Muschelschale der Muschel,
und kann so leicht verwechselt werden. Aber nur wenn man
wirklich innerlich in das wahrhaft Geistige eindringt, kann man
für diese Dinge auch das richtige Verständnis
haben.
Wenn wir von dem Leiblichen ausgehen, durch die
Sinnesempfindung hinaufgelangen zum Vorstellen, das sich dann
in das Seelisch-Geistige überträgt, so kommen wir auf
diesem Wege dazu, geisteswissenschaftlich zu erkennen, daß
das, was durch die Sinnesempfindungen erregt wird, in einem
bestimmten Punkte gleichsam abgesetzt wird und Erinnerung wird.
Erinnerung entsteht dadurch, daß der Sinneseindruck sich
nach dem Leibe fortsetzt, so daß nicht nur in den
Sinneseindrücken selbst das Ätherische von innen
wirken kann, sondern in dem, was der Sinneseindruck im Leibe
zurückgelassen hat, nun das Ätherische sich
betätigt. Dann wird das, was in die Erinnerung gegangen
ist, aus der Erinnerung wieder heraufgeholt.
Es
ist natürlich nicht möglich, in der kurzen Zeit eines
einstündigen Vortrages genauer auf diese Dinge einzugehen.
Aber man wird niemals zu einem wirklichen Verständnis
desjenigen kommen, was Vorstellung und Erinnerung ist, und wie
sie sich zum Geistig-Seelischen verhalten, wenn man nicht
vorrückt im geisteswissenschaftlichen Sinne auf dem Wege,
der angedeutet worden ist.
Nun
liegt auf dem anderen Pol die ganze Strömung, die da
fließt von dem Geistig-Seelischen der Willensimpulse
herunter in das Physisch-Leibliche, durch das die Handlungen
bewirkt werden. Im gewöhnlichen Menschenleben ist die
Sache so, daß das Sinnesleben bis zur Erinnerung kommt,
bei der Erinnerung gewissermaßen stehen bleibt. Die
Erinnerung stellt sich gleichsam vor das Geistig-Seelische hin,
so daß dieses sich selbst nicht gewahr wird, wie es
schafft und kraftet, indem es Sinnesempfindungen hat. Nur eine
Andeutung, eine verworrene Andeutung davon, daß die Seele
im Ätherischen webt und lebt, entsteht dann, wenn diese im
Ätherischen lebende und webende Seele in diesem
Ätherweben noch nicht so erkraftet ist, daß alles
Ätherweben an der Grenze des Körperlichen sich
bricht. Wenn das Seelisch-Geistige den Ätherleib so
durchwebt, daß sich das, was es im Ätherleibe
ausprägt, nicht sofort bricht an dem physischen Leibe,
sondern sich im Ätherischen so erhält, daß es
gleichsam an die Grenzen des physischen Leibes kommt, aber im
Ätherischen noch bemerkt wird, dann entsteht der Traum.
Und das Traumleben, wenn es wirklich studiert wird, wird ein
Beweis werden für die niederste Form des
übersinnlichen Erlebens des Menschen. Denn im Traume
erlebt der Mensch, daß er sein Seelisch-Geistiges, weil es
zu kraftlos wirkt, nicht entfalten kann in Willensimpulsen
innerhalb desjenigen, was in den Traumbildern vorliegt. Und
indem die Willensimpulse fehlen, indem der Geist und die
Seele im Traum in das Ätherische so wenig eingreifen,
daß die Seele selbst diese Willensimpulse gewahr wird,
entsteht das chaotische Gewebe, das der Traum eben
darstellt.
Was
auf der einen Seite die Träume sind, sind auf der anderen
Seite diejenigen Erscheinungen, wo der Wille, der aus dem
Geistig-Seelischen kommt, durch das Ätherisch-Leibliche in
die äußere Welt eingreift, aber ebensowenig gewahr
wird, was da eigentlich vorgeht, wie er im Traum wegen des
schwachen Wirkens des Geistig-Seelischen gewahr werden kann,
daß der Mensch da im Geistigen webt und lebt. Wie der
Traum so gewissermaßen die abgeschwächte sinnliche
Erkenntnis darstellt, so stellt etwas anderes die
verstärkte Wirkung des Geistig-Seelischen, die
verstärkte Wirkung der Willensimpulse dar; und das ist
dasjenige, was wir Schicksal nennen.
Wir
sehen in dem Schicksal die Zusammenhänge nicht, so wie wir
im Traum nicht sehen, was da eigentlich als das Wirkliche webt
und lebt. Wie im Traum immer materielle Vorgänge zugrunde
liegen, die in den Äther hineinwogen, so brandet heran das
im Willen verankerte Geistig-Seelische an die äußere
Welt. Aber das Geistig-Seelische ist nicht so organisiert im
gewöhnlichen Leben, daß der Geist selber in seiner
Wirksamkeit geschaut werden kann in dem, was als die
Aufeinanderfolge der sogenannten Schicksalserlebnisse für
uns vorgeht. In dem Augenblick, wo wir diese Aufeinanderfolge
ergreifen, lernen wir das Gewebe des Schicksals erkennen,
lernen wir erkennen, daß ebenso, wie im gewöhnlichen
Leben die Seele durch die Vorstellungen sich das Geistige
verdeckt, sie im Schicksal sich das Geistige verdeckt durch den
Affekt, durch Sympathie und Antipathie, mit denen sie die
Ereignisse, die als Lebensereignisse an sie herankommen,
aufnimmt. In dem Augenblick, wo man geisteswissenschaftlich
durchblickt durch Sympathie und Antipathie, wo man den Lauf der
Lebensereignisse objektiv in Gelassenheit wirklich ergreift,
merkt man, wie alles das, was schicksalsmäßig in
unserem Leben zwischen Geburt und Tod vorgeht, entweder die
Nachwirkung ist früherer Erdenleben oder die Vorbereitung
für spätere Erdenleben. So wie auf der einen Seite
die äußere Naturwissenschaft nicht vordringt zum
Geistig-Seelischen, nicht einmal zum Ätherischen, wenn sie
die Beziehungen aufsucht zwischen der materiellen Welt und dem
Vorstellen, so kommt die Naturwissenschaft heute am anderen Pol
mit ihren Bemühungen nicht zurecht. Wie sie auf der einen
Seite im Vorstellungsleben haften bleibt an den materiellen
Vorgängen im Nervenorganismus, so bleibt sie haften am
anderen Pol bei einem Unklaren, das da, ich möchte sagen,
nebulos schwebt zwischen Physischem und Seelischem.
Das
sind gerade diejenigen Gebiete, wo man so recht gewahr werden
muß, wie Weltanschauungsbegriffe sich sowohl beweisen wie
widerlegen lassen. Und für den, der sich auf den Beweis
versteift, hat das Positive viel für sich; man muß
aber, wie zur Ausatmung die Einatmung, auch das Negative
innerlich erkenntnisgemäß erleben können. Nun
trat ja in der neueren Zeit das hervor, was man die
analytische Psychologie nennt. Diese analytische
Psychologie ist, ich möchte sagen, von guten Ahnungen
beseelt. Denn was will sie? Diese analytische Psychologie, oder
wie man sie gewöhnlich heute nennt, Psychoanalyse, sie
will von dem gewöhnlichen Seelenleben zu dem
heruntersteigen, was in dem gewöhnlichen
gegenwärtigen Seelenleben nicht mehr enthalten ist, aber
Rest ist aus früherem seelischen Erleben. Der
Psychoanalytiker nimmt an, das seelische Leben erschöpfe
sich nicht in dem gegenwärtigen seelischen Erleben, in dem
bewußten seelischen Erleben, sondern das Bewußtsein
tauche hinunter ins Unterbewußte. Und in vielem, was im
seelischen Leben als Störung, als Verwirrung, als dieses
oder jenes Mangelhafte auftritt, sieht der Psychoanalytiker
eine Wirkung des unten im Unterbewußten Wogenden. Aber
interessant ist es, was in diesem Unterbewußten der
Psychoanalytiker nun sieht. Wenn man hört, was er
aufzählt in diesem Unterbewußten, so ist es
zunächst getäuschte Lebenshoffnung. Der
Psychoanalytiker findet irgendeinen Menschen, der unter dieser
oder jener Depression leidet. Diese Depression braucht ihren
Ursprung nicht im gegenwärtigen bewußten Seelenleben
zu haben, sondern in der Vergangenheit. In diesem Leben trat
einmal irgend etwas im seelischen Erleben auf. Der Mensch ist
darüber hinausgekommen, aber nicht vollständig; im
Unterbewußten ist ein Rest geblieben. Er hat zum Beispiel
Enttäuschungen erlebt. Er ist durch Erziehung, durch
andere Vorgänge, mit dem bewußten Seelenleben
über diese Enttäuschungen hinweggekommen, aber im
Unterbewußten, da leben sie. Da wogt sie, diese
Enttäuschung, gewissermaßen bis an die Grenze der
Bewußtheit heran. Da erzeugt sie dann die unklare
seelische Depression. Der Psychoanalytiker sucht also in
allerlei Enttäuschungen, in getäuschten
Lebenshoffnungen, die ins Unterbewußte heruntergezogen
sind, dasjenige, was das bewußte Leben in einer dunklen
Weise bestimmt. Das sucht er auch in dem, was das Seelenleben
als Temperament färbt. In dem, was das Seelenleben aus
gewissen rationalen Impulsen heraus färbt, sucht der
Psychoanalytiker ein Unterbewußtes, das gewissermaßen
nur anschlägt an das Bewußtsein. Dann aber kommt er
zu einem weiten Gebiete — ich referiere hier nur —,
welches der Psychoanalytiker dadurch faßt, daß er
sagt: Da spielt herauf in das bewußte Leben der
animalische Grundschlamm der Seele. Nun soll gar nicht
geleugnet werden, daß dieser Grundschlamm vorhanden ist.
Ich selber habe in diesen Vorträgen hier schon aufmerksam
gemacht, wie gewisse Mystiker Erlebnisse haben dadurch,
daß irgend etwas, sei es zum Beispiel die Erotik,
raffiniert gemacht wird und heraufspielt in das
Bewußtsein, so daß man glaubt, ganz besonders
erhabene Vorgänge zu haben, während nur die Erotik,
«der animalische Grundschlamm der Seele»,
heraufschlägt und ausgedeutet wird manchmal im tief
mystischen Sinne. Man kann noch bei einer so poetisch feinen
Mystikerin wie Mechthild von Magdeburg nachweisen, wie bis in
die Einzelheiten der Vorstellungen hinein das erotische
Empfinden geht. Diese Dinge muß man gerade klar erfassen,
damit man auf geisteswissenschaftlichem Gebiet keine
Irrtümer begeht. Denn wer in den Geist eindringen will,
ist ganz besonders darauf angewiesen, alle Irrtumswege zu
kennen, nicht um sie zu gehen, sondern um sie zu vermeiden.
Derjenige aber, der von diesem animalischen Grundschlamm der
Seele spricht, der nur von enttäuschten Lebenshoffnungen
spricht und dergleichen, der geht nicht tief genug in das
seelische Leben hinein: der gleicht einem Menschen, der
über ein Feld geht, auf dem noch nichts zu sehen ist, und
der glaubt, daß nur die Ackererde oder gar der Dünger
in ihm enthalten ist, während in diesem Felde schon
enthalten sind alle die Früchte, die demnächst
herauskommen werden als Getreide oder sonstiges. Wenn man vom
Grundschlamm der Seele spricht, dann sollte man auch sprechen
von dem, was darin eingebettet ist. Gewiß, es sind
enttäuschte Hoffnungen in diesem Grundschlamm enthalten;
aber in dem, was da eingebettet ist, birgt sich zu gleicher
Zeit eine Keimkraft, welche das darstellt, was — wenn der
Mensch durch die Pforte des Todes gegangen sein wird in das
Leben, das zwischen dem Tod und einer neuen Geburt
verläuft, und dann in ein neues Erdenleben eintritt-aus
den getäuschten Hoffnungen etwas ganz anderes macht als
eine Depression, dasjenige aus ihnen macht, was dann in einem
nächsten Leben zur Ent-Täuschung, zur
Ertüchtigung führt. In dem, was der Psychoanalytiker
in den enttäuschten Lebenshoffnungen in den
Untergründen der Seele sucht, liegt, wenn er nur tief
genug darauf eingeht, dasjenige, was sich vorbereitet in einem
gegenwärtigen Leben, um schicksalsmäßig in ein
nächstes Leben einzugreifen.
So
findet man überall, wenn man den animalischen
Grundschlamm—ohne sich die Hände dabei zu
beschmutzen, wie es bei den Psychoanalytikern leider so
häufig geschieht — umgräbt, durchforscht, das
geistig-seelische Weben des Schicksals, das über Geburt
und Tod mit dem geistig-seelischen Leben der Seele hinausgeht.
Gerade an der analytischen Psychologie haben wir ein Gebiet, an
dem so recht gelernt werden kann, wie alles richtig und alles
falsch ist, wenn es sich um Weltanschauungsfragen handelt,
nämlich von der einen oder anderen Seite aus. Doch
läßt sich ungeheuer viel für die einseitigen
Behauptungen der Psychoanalytiker vorbringen; daher wird eine
Widerlegung denjenigen, die eingeschworen sind auf diese
Begriffe, nicht sehr imponieren. Aber lernt man mit der
Erkenntnisgesinnung, die am Anfange dieses Vortrages
charakterisiert worden ist, das erkennen, was für und
wider spricht, so wird gerade aus dem Für und Wider an der
Seele das erlebt werden, was wirklich wirkt. Denn, ich
möchte sagen, zwischen dem, was man nur beobachten kann im
Seelischen, so wie es die Psychologen tun, die bloß auf
das Bewußtsein gehen, und dem, was der Psychoanalytiker
unten im animalischen Grundschlamm der Seele findet, da liegt
das Gebiet, das dem Geistig-Seelisch-Ewigen angehört, das
durch Geburten und Tode geht.
Die
Ergründung des ganzen Inneren des Menschen führt auch
zu einem richtigen Verhältnis zur Außenwelt.
Über den Äther ist ja von der neueren
Naturwissenschaft nicht nur in unbestimmter Weise gesprochen
worden, sondern von ihm wird auch so gesprochen, daß
geradezu auf ihn zurückgeführt werden die
größten Weltenrätsel: Aus
Ätherzuständen soll sich herausgebildet haben, was
dann feste Formen angenommen hat, zu Planeten, Sonnen und
Monden geworden ist und so weiter. Da wird dasjenige, was sich
als Seelisch-Geistiges im Menschen abspielt, gewissermaßen
nur als eine Episode angesehen. Vorne und rückwärts
ist der tote Äther. Wenn man den Äther nur von der
einen Seite kennenlernt, dann kann man zu einer solchen
Konstruktion des Weltenwerdens kommen, zu der der feinsinnige
Herman Grimm — ich habe seinen Ausspruch
schon öfter angeführt, aber er ist so bedeutsam,
daß er immer wiederum vor die Seele geführt werden
kann — die folgenden Worte sagt. Indem er sich bekannt
gemacht hat damit, wie man denkt, aus dem toten
Weltenäthernebel heraus sei das entstanden, worin sich
jetzt Leben und Geist entwickelt, und es an der Weltanschauung
Goethes mißt, kommt er zu dem folgenden
Ausspruch:
«Langst hatte, in seinen (Goethes) Jugendzeiten schon, die
große Laplace-Kant'sche Phantasie von der Entstehung und
dem einstigen Untergange der Erdkugel Platz gegriffen. Aus dem
in sich rotierenden Weltnebel- die Kinder bringen es bereits
aus der Schule mit — formt sich der zentrale Gastropfen,
aus dem hernach die Erde wird, und macht, als erstarrende
Kugel, in unfaßbaren Zeiträumen alle Phasen, die
Episode der Bewohnung durch das Menschengeschlecht mit
einbegriffen, durch, um endlich als ausgebrannte Schlacke in
die Sonne zurückzustürzen: ein langer, aber dem
heutigen Publikum völlig begreiflicher Prozeß,
für dessen Zustandekommen es nun weiter keines
äußeren Eingreifens mehr bedurfte, als die
Bemühung irgendeiner außenstehenden Kraft, die Sonne
in gleicher Heiztemperatur zu erhalten. — Es kann keine
fruchtlosere Perspektive für die Zukunft gedacht werden,
als die, welche uns in dieser Erwartung als wissenschaftlich
notwendig heute aufgedrängt werden soll. Ein Aasknochen,
um den ein hungriger Hund einen Umweg machte, wäre ein
erfrischendes, appetitliches Stück im Vergleich zu diesem
letzten Schöpfungsexkrement, als welches unsere Erde
schließlich der Sonne wieder anheimfiele, und es ist die
Wißbegier, mit der unsere Generation dergleichen aufnimmt
und zu glauben vermeint, ein Zeichen kranker Phantasie, die als
ein historisches Zeitphänomen zu erklären die
Gelehrten zukünftiger Epochen einmal viel Scharfsinn
aufwenden werden.»
Was
hier wiederum innerhalb des deutschen Geisteslebens auftritt
als eine aus gesundem Seelenleben herausgeborene Empfindung,
das zeigt gerade Geisteswissenschaft in wahrem Lichte. Denn,
lernt man erkennen, wie die Belebung des toten Äthers
durch das Seelische, durch den lebendigen Äther,
geschieht, dann kommt man durch die innere Erfahrung ab von der
Möglichkeit, daß aus einem toten Ätherischen
jemals unser Weltengebäude hätte entstehen
können. Und dieses Weltenrätsel nimmt eine ganz
andere Gestalt an dadurch, daß man sich bekannt macht mit
dem entsprechenden Seelenrätsel. Man erkennt nun den
Äther selber in seiner lebendigen Gestalt, erkennt, wie
der tote Äther erst aus dem lebendigen entstehen muß.
So daß, indem man zu dem Weltenanfang zurückgeht, man
zur Seele zurückkommen muß und im Geistig-Seelischen
den Ursprung desjenigen sieht, was sich heute entwickelt. Aber
während dieses Geistig-Seelische so lange eine bloße
Hypothese, ein bloß Ausgedachtes bleibt in bezug auf die
äußeren Weltenrätsel, solange man nicht durch
Geisteswissenschaft in der Begegnung des lebendigen Äthers
von innen mit dem toten Äther von außen das ganze
Leben und Weben des Ätherischen kennenlernt, wird eben
durch Geisteswissenschaft der Weltennebel selber ein
Lebendiges, ein Geistig-Seelisches.
Sie
sehen, auch für die Weltenrätsel ergibt sich gerade
aus den Seelenrätseln eine bedeutsame Perspektive. Bei
dieser Perspektive muß ich heute innehalten. Sie sehen,
daß eine wirkliche Betrachtung des äußeren und
inneren Lebens vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft aus
über den Äther hinüber in das Geistig-Seelische
hineinführt, sowohl in der Seele selbst wie in der
äußeren Welt.
Dem
steht allerdings gegenüber solch eine Erkenntnisgesinnung,
wie ich sie bei einem Manne angeführt habe, den ich schon
das letztemal nannte. Wir können es ja heute wenigstens
ahnen, daß von einem so gedachten Leiblichen, wie es die
Geisteswissenschaft denkt, unmittelbar die Brücke
hinaufführt zu dem Geistig-Seelischen, in dem die Ethik,
die Moral, die Sittlichkeit wurzelt, die aus dem Geiste stammt
— wie überhaupt das Sinnliche in das Geistige
hineinführt. Aber innerhalb der Beschäftigung mit dem
rein äußerlich Materiellen hat es die Wissenschaft zu
einer Gesinnung gebracht, welche ein Verankern der Ethik in
einem Geistigen überhaupt schon leugnet. Die Ethik selber
zu leugnen geniert man sich ja heute noch, aber man sagt heute
über die Ethik folgendes, was nun am Schlüsse des
Vortrags von Jacques Loeb steht, den ich mit Bezug auf
den Anfang das letztemal vorbrachte. Dort sagt er, der durch
naturwissenschaftliche Forschung zu einer brutalen Ableugnung
der Ethik kommt:
«Wenn unsere Existenz auf dem Spiel blinder Kräfte
beruht und nur ein Werk des Zufalls ist, wenn wir selbst nur
chemische Mechanismen sind — wie kann es für uns
eine Ethik geben? Darauf lautet die Antwort, daß unsere
Instinkte die Wurzel unserer Ethik bilden, und daß die
Instinkte ebenso erblich sind, wie die Formbestandteile unseres
Körpers. Wir essen und trinken und pflanzen uns fort,
nicht, weil Metaphysiker zu der Einsicht gelangt sind, daß
das wünschenswert ist, sondern weil wir
maschinenmäßig dazu veranlaßt werden. Wir sind
tätig, weil wir maschinenmäßig durch die
Vorgänge in unserem Nervensystem dazu gezwungen werden,
und, wenn die Menschen nicht ökonomische Sklaven sind, so
bestimmt der Instinkt der gelungenen Auslösung) oder der
erfolgreichen Arbeit die Richtung ihrer Tätigkeit. Die
Mutter liebt ihre Kinder und pflegt dieselben, nicht, weil
Metaphysiker den Einfall hatten, daß das schön sei,
sondern weil der Instinkt der Brutpflege, vermutlich durch die
zwei Geschlechtschromosomen, ebenso fest bestimmt ist wie die
morphologischen Charaktere des weiblichen Körpers. Wir
erfreuen uns der Gesellschaft anderer Menschen, weil wir durch
erbliche Bedingungen dazu gezwungen werden. Wir kämpf en
für Gerechtigkeit und Wahrheit, und sind bereit, Opfer
für dieselben zu bringen, weil wir instinktiv unsere
Mitmenschen glücklich zu sehen wünschen. Daß wir
eine Ethik besitzen, verdanken wir lediglich unseren
Instinkten, welche in derselben Weise chemisch und erblich in
uns festgelegt sind wie die Form unseres
Körpers.»
Sittliches Handeln führt zurück auf Instinkte!
Instinkte führen zurück auf physisch-chemisches
Wirken! Die Logik ist allerdings sehr fadenscheinig. Denn
selbstverständlich kann man sagen, daß man mit dem
ethischen Handeln nicht erst auf die Metaphysiker warten soll,
bis sie irgendwelche metaphysischen Grundsätze
ausgetüftelt haben, aber das ist doch dasselbe, wie wenn
jemand etwa sagen wollte: soll man denn mit der Verdauung
warten, bis die Metaphysiker oder die Physiologen die Gesetze
der Verdauung gefunden haben? Ich möchte einmal dem
Professor Loeb anempfehlen, deshalb ebenso die physiologischen
Gesetze der Verdauung nicht zu erforschen, wie er brutal
anstürmt gegen die metaphysischen Gesetze des ethischen
Lebens. Aber man kann schon sagen: Man kann heute ein
bedeutender Naturforscher sein — die Denkgewohnheiten
aber gehen dahin, daß sie einen gewissermaßen
abschnüren von allem geistigen Leben, daß man sich
gar keinen Blick mehr wahrt für dieses geistige Leben.
Damit geht aber immer parallel, daß man wird nachweisen
können gewissermaßen einen Defekt im Denken, so
daß man niemals ganz wirksam hat alles, was zu einem
Gedanken dazugehört.
Darüber kann man ja eigentümliche Erfahrungen machen.
Ich habe hier schon vor einiger Zeit eine solche Erfahrung
vorgebracht; aber ich möchte sie doch noch einmal
vorbringen, weil sie anknüpft an Ausführungen eines
sehr bedeutsamen Naturforschers der Gegenwart, der auch zu
denen gehört, die ich angreife, gerade weil ich sie auf
einem Gebiete sehr hoch schätze. Dieser Naturforscher hat
große Verdienste auf dem Gebiete der Astro-Physik und auch
auf gewissen anderen Gebieten der Naturforschung. Als er aber
ein zusammenfassendes Buch geschrieben hat über das
Weltbild der Gegenwart und die Entstehung dieses Weltbildes, da
kommt er in der Vorrede zu einem merkwürdigen Ausspruch.
Er ist gewissermaßen entzückt, wie wir es so herrlich
weit gebracht haben dadurch, daß wir alles
naturwissenschaftlich auslegen können, und zeigt mit einem
gewissen Hochmut, wie das ja gang und gäbe ist in solchen
Kreisen, auf die früheren Zeiten, die das nicht konnten,
und er beruft sich dabei auf Goethe, indem er sagt: Ob man
wirklich sagen kann, daß wir in der besten Zeit leben, das
ist nicht auszumachen; aber daß wir mit Bezug auf die
naturwissenschaftliche Erkenntnis im Vergleich mit
früheren Zeiten, in der besten der Erkenntniszeiten leben,
dafür können wir uns auf Goethe berufen, der da
sagt:
Es ist ein groß Ergötzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
Damit schließt, also mit einem Bekenntnis, das er aus
Goethe nimmt, ein großer Naturforscher der Gegenwart. Er
hat nur vergessen, daß Wagner es ist, der dieses
Bekenntnis ablegt und daß Faust zu diesem Bekenntnis sagt,
als Wagner wieder fort ist:
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
Sich zu besinnen darauf, was Goethe eigentlich sagt, hat dieser
große Forscher in dem Moment vergessen, wo er sich auf
Wagner beruft, um auszudrücken, wie wir es so herrlich
weit gebracht haben. Da kann man, ich mochte sagen, abfangen,
wo das Denken ausläßt im Verfolgen der
Wirklichkeit.
Und
solcher Beispiele könnten wir viele vorführen, wenn
wir uns gerade in die wissenschaftliche Literatur der Gegenwart
ein wenig vertiefen. Es wird ja gewiß, da ich den
genannten Naturforscher, wie ich gesagt habe, sehr
schätze, nicht übel genommen werden können, wenn
ich gegenüber solcher Naturforschung, die sich
aufbläht, auch über den Geist Auskunft geben zu
können, die wahre Goethesche Gesinnung geltend machen
möchte. Denn können wir es auch manchem Monisten
verzeihen, wenn er aus der Schwachmütigkeit seines Denkens
eben nicht zum Geiste kommen kann: gefährlich ist es, wenn
die Gesinnung, die bei Jacques Loeb und bei dem
charakterisierten Naturforscher auftritt, der sich als Wagner
charakterisiert, aber glaubt, sich als Goethe zu
charakterisieren, immer mehr und mehr durch den
Autoritätsglauben sich in weiteste Kreise verbreitet. Das
tut sie. Wer eindringt in dasjenige, was aus der
Geisteswissenschaft heraus Gesinnung geben kann, der wird
vielleicht, wenn das auch manchem nicht genug ehrerbietig
scheinen könnte, solchem Ausspruch gegenüber, wie ihn
jener Naturforscher getan hat, in Anknüpfung an Goethe zu
der echten Goethe'schen Gesinnung kommen, wenn er anknüpft
an die Worte, mit denen ich diesen Vortrag beschließen
möchte:
Es ist ein groß Entsetzen,
Sich in dergleichen Seelen zu versetzen,
Wie gierig sie den Stoff betasten
Und an dem Geist vorüberhasten!
|