Erleben vollständig aufgenommen hat, während im
gewöhnlichen Erleben nur der gegenwärtige Augenblick
subjektiv, der übrige Zeitverlauf einschließlich des
eigenen Erlebens seit der Geburt aber eigentlich objektiv ist.
Man kann sehen, daß es sich bei einem solchen
systematischen Ausbilden von inneren Erkenntnisfähigkeiten
um ein Untertauchen in die Objektivität handelt, ja, es
ist die erste Art des Untertauchens in die Objektivität,
die darin besteht, daß man in den Zeitenverlauf auf dem
angedeuteten Gebiete untertaucht.
Indem das Ich in einer solchen Weise sich steigert, gelangt es
zu einer Art von Kulmination. Es ist so, daß das Ich
übend zunächst sich steigern muß, daß es
aber, indem es sich steigert, einen Punkt erreicht, wo die
Steigerung durch die eigene Gesetzmäßigkeit der Sache
aufhört, indem von einem gewissen Punkte ab das Ich zum
Abschwächen ganz von selbst kommt. Nur bis zu einem
gewissen Punkte hin kann das Ich in bezug auf sein Inneres sich
erfühlend steigern; dann kommt es dazu, dieses
Ich-Erfühlen wiederum in absteigender Kurve in einer
Abschwächung zu erleben. Das ist so, daß das Ich sich
dann von dem eigenen Erleben, das zunächst da war in dem
Erleben des Zeitenstromes, hinausbegibt in ein nun nicht in den
eigenen Zeitenstrom eingeschlossenes Erleben, sondern in ein
Erleben des kosmischen Weltendaseins. Dieses Erleben ist dann
ein solches, das zunächst nicht in abstrakten
Verstandesbegriffen auftritt, sondern in etwas, was deshalb
Imagination genannt werden darf, weil es bildhaft auftritt.
Obwohl das Erleben der Art nach genau dasjenige ist, was ich
für das Begreifen der Freiheit in meiner «Philosophie
der Freiheit» geschildert habe, so ist doch der Inhalt
dieses Erlebens so, daß man in dem Bildhaften, das sich in
das Bewußtsein hereinbegibt, nun nicht einen eigenen
Inhalt hat, sondern einen Weltinhalt, wie man in der
Sinneswahrnehmung einen Weltinhalt hat.
Geistesforschung kann in ganz systematischer Weise jeden
einzelnen Schritt, ja jedes Schrittchen angeben, durch welches
sie sich bewegt von dem gewöhnlichen Verstandeserkennen zu
dem Auftreten des imaginativen Erkennens. Wenn dieses
imaginative Erkennen eintritt, ist das allerdings, man darf das
schon sagen, ein inneres Schicksalserlebnis. Und damit bin ich
an einem Punkte, wo ein Unterschied anzugeben ist zwischen dem
Verlauf des übersinnlichen und des gewöhnlichen
Erkenntnisstrebens, das man heute als das einzig objektive
ansehen möchte. Dieses gewöhnliche Erkenntnisstreben
macht man in den meisten Fällen ohne Katastrophen und
Peripetien durch. Denn, was während des gewöhnlichen
Erkenntnisstrebens durchgemacht wird mit Bezug auf den
Vollmenschen, nicht auf den Kopfmenschen, das sind doch
Äußerlichkeiten gegenüber dem eigentlichen
Erkenntnisvorgange. Man kann als Forscher gewiß eine
gewisse Freude und Befriedigung haben, wenn man etwas Neues
gefunden hat, aber dasjenige, was man da als Freude empfindet
über das Ereignis, über die Erfindung, die
Entdeckung, das hängt mit der Methodik der Entdeckung
selber höchstens ganz entfernt zusammen. Schließlich
haben auch mit dem Erkenntnisverlauf selber die andern
katastrophen- oder peripetie-ähnlichen inneren Erlebnisse,
welche man bezeichnen muß als Examensschmerzen und
dergleichen, nichts zu tun. Solche Dinge kann man im
gewöhnlichen Erkenntniserleben haben, aber sie haben mit
dem Erkenntnisvorgang als solchem nichts zu tun. Dagegen ist
tatsächlich dasjenige, was einen von dem gewöhnlichen
Verstandeserkennen in das imaginative Erkennen
hineinführt, etwas, das den ganzen, den vollen Menschen
mit Erlebnissen durchsetzt, was inneres Schicksal
darstellt.
Solch inneres Schicksal erlebt man insbesondere dann, wenn mit
Bezug auf irgendeinen Punkt dieser Erkenntnisentwickelung das
eintritt, daß, nachdem man zuerst mehr innerliche
Erlebnisse hatte, die noch mit dem Menschen
zusammenhängen, diese Erlebnisse sich hinausversetzen in
das Durchschauen von Geheimnissen des Kosmos. Wenn ich ein
Beispiel anführen sollte, das zu gleicher Zeit ein wenig,
figürlich gesprochen, in das Laboratorium des
Geistesforschers hineinführt, so möchte ich folgendes
sagen. Es ist jetzt ziemlich lange her, da hatte ich einen
inneren Erwägungsund Urteilsprozeß durchgemacht, der
sich namentlich damit beschäftigte: Wie steht das
seelische Erleben bei demjenigen, der genötigt ist, durch
seine Lebensimpulse Materialist zu werden, wie steht es bei
demjenigen, der durch seine Lebensimpulse genötigt ist,
Idealist oder Spiritualist zu werden — ich meine das Wort
«spirituell» jetzt im Sinne des deutschen
philosophischen Sprachgebrauchs —, oder wie verhalten
sich überhaupt solche an der Welt erworbene
Seelenverfassungen zueinander? Ich versuchte objektiv
drinnenzustehen in dem seelischen Erleben, das den
Materialisten, den Naturalisten ausfüllt, und wiederum in
dem seelischen Erleben, das den Idealisten, den Spiritualisten
ausfüllt; ich versuchte gewissermaßen
hineinzuschlüpfen in die Seelenverfassungen, die in dieser
Weise sich des Menschen bemächtigen können. Nur auf
diese Art lernt man eigentlich die Welt des Seelischen in ihrem
Inneren verstehen, daß man mit dem Materialisten
freiwillig, wenn auch probeweise, Materialist sein kann,
daß man auf der andern Seite Idealist oder Spiritualist in
ebendemselben Sinne probeweise sein kann. Man bekommt ein neues
Verhältnis dadurch zu der Art und Weise, wie der Mensch
logisch dasjenige zusammenfaßt, was dann Inhalt seiner
Weltanschauung wird.
Ich
erwähne dieses aber jetzt nur in methodischer Beziehung.
Wer in ehrlicher, innerlich aufrichtiger Weise so etwas
durchmacht, wie ich es jetzt geschildert habe, der erlebt schon
an diesen besonderen Seelenverfassungen
schicksalsmäßige Dinge, denn man sieht dann in ganz
anderer Weise ein, warum Menschen zum Materialismus oder zum
Spiritualismus gedrängt werden können. Man hört
auf, im gewöhnlichen Sinne kritisch gestachelt zu werden,
eben nur von seinem eigenen Gesichtspunkt aus die andern
abzukanzeln. Das führt das seelische Erleben in ein
anderes Niveau hinein; es wird umgeartet. Wenn man das dann
längere Zeit durchmacht, so merkt man, daß in solchen
Meditationen, die aber das seelische Leben ergreifen, etwas
liegt, das einen realen Seelenprozeß darstellt und das
sich gerade hinbewegt zur Entwickelung der Fähigkeiten
für objektive Erkenntnisimaginationen. Denn dadurch,
daß sich gewissermaßen meine Seele so präpariert
hatte, wie ich geschildert habe, dadurch artete sich die Seele
so, daß vor ihr plötzlich stand das Verständnis
dafür, anschauend zu erleben, wie in dem sonst nur
sinnlich-mechanistisch angeschauten Gang der Sonne durch den
Tierkreis ein lebendiger, ein kosmisch-organischer
Vorgang liegt. Was sonst nur in einem kosmisch-mechanischen
Bilde angeschaut werden kann, das wurde imaginativ inhaltsvoll.
Etwas Neues sah ich in dem Kosmos. Gerade bei einem solchen
Sich-Erweitern des Bewußtseins über den Kosmos
erfährt man schicksalsmäßig, was es heißt,
sein Ich erst verstärkt zu haben, indem man kraftvoller
gewisse Verstandesoperationen durchgeführt hat, und dann
von einer gewissen Kulmination an dieses Ich nun in die Welt
ausfließen zu fühlen, so daß man mit diesem Ich
nun drinnensteht in der Welt. Das ist ein Erlebnis, das im
Erkenntnisvorgang selbst etwas Schicksalsmäßiges
anzeigt, das einen Erkenntnisvorgang hervorruft, der in der Tat
den ganzen Menschen ergreift; und dieses Zusammenhängen
mit dem ganzen Menschen, während eigentlich der
gewöhnliche Erkenntnisvorgang nur mit dem Kopfmenschen
zusammenhängt, das ist das unterscheidende Merkmal. Ich
wollte auf diese Weise nur aufmerksam darauf machen, wie nicht
in irgendeiner verschwommenen Mystik dasjenige dargestellt
werden soll, was zu den Erkenntnisimaginationen führt,
sondern wie dieser Vorgang mit derselben Exaktheit geschildert
werden kann wie das Auflösen irgendeines mathematischen
Problems. Und was auf solchen Wegen an Fähigkeiten
für Erkenntnisimaginationen erworben wird, das ist so in
der Seele präsent, wie mathematisch-geometrische Gebilde
mit aller Klarheit und Durchsichtigkeit in der Seele
präsent sind. Man hat nicht einen Seeleninhalt, dem man
sich nur in verborgenem, innerem Erleben nebulos hingibt,
sondern einen so durchsichtigen und mit der Aufrechterhaltung
seines eigenen Wirklichkeitswertes verbundenen, wie das bei dem
mathematischen Seeleninhalt der Fall ist.
Ich
habe damit zunächst in einer etwas äußerlichen
Weise geschildert, wie in der Seele das imaginative Leben Platz
greift, das dann auf die ebenfalls weiter zu schildernde Weise
zu Erkenntnissen der übersinnlichen Welt führt. Ich
möchte aber nie aus dem Auge verlieren, zu zeigen,
daß mit dem Erringen, mit dem Erstreben solcher
übersinnlicher Erkenntnisarten nicht irgend etwas gegeben
ist, was ganz willkürlich in unserer heutigen Zeit in die
Kultur- und Zivilisationsentwickelung der Menschheit sich
hereinstellen will, sondern was aus dem Gange dieser Zeit
selber mit einer gewissen Notwendigkeit folgt. Was heute nur in
aller Bewußtheit, so wie ich es geschildert habe, als
imaginative Erkenntnis errungen werden kann, was sich dann auch
in Begriffen aussprechen kann, wenn es den Umweg durch das
Bildwesen genommen hat, das ist in früheren
Entwickelungsepochen der Menschheit auf mehr instinktive Art
angestrebt worden. Der Gang der Entwickelung der Menschheit war
so, daß ältere Zeiten ihre Erkenntnisse nicht durch
jene logisch-empirischen Erwägungen empfangen haben, die
wir seit der Mitte des 15. Jahrhunderts als die unseres rechten
Weges anerkennen, sondern daß in älteren Zeiten eine
Art instinktiven Strebens nach Imaginationen und auch ein
Erreichen solcher Imaginationen vorhanden war.
Diese Imaginationen hat man zur Zeit dieses instinktiven
Geistschauens nicht bis zum Begriffe bringen können.
Daß man sich in Begriffen so aussprechen kann, wie wir das
heute wissenschaftlich gewöhnt sind aus dem begrifflichen
Bearbeiten der unorganischen Welt, das ist erst ein Ergebnis
des Galilei- und Kopernikus-Zeitalters. Früher hat man
sich nicht in Begriffen in dieser Weise auszudrücken
vermocht. Die griechischen Begriffe sind etwas wesentlich
anderes gewesen. Man hat sich in Bildern ausgedrückt, in
Bildern, die durch Linien oder auch wohl durch
Farbenzusammenstellungen zustande gekommen sind. Ich
möchte nur nebenbei erwähnen, daß Erkenntnisse
in früheren Epochen der Menschheitsentwickelung nicht so
allgemein, ich möchte sagen, demokratisch behandelt
wurden, wie heute das Wissen, die Erkenntnis behandelt wird,
sondern daß sich die Erkennenden abschlössen in
kleinere Gruppen, die man gewöhnt worden ist,
Geheimgesellschaften und dergleichen zu nennen, wovon heute
noch die Spuren, allerdings nur mißverständliche
Spuren, in allerlei Orden und ähnlichen Gruppen vorhanden
sind. Die Erkennenden haben sich in kleine Gruppen
abgeschlossen. Diejenigen Menschen, die sie in diese
Gruppen eingelassen haben, haben sie sorgfältig
vorbereitet, so daß sie gefahrlos für ihr moralisches
Leben zu diesen Erkenntnissen, die man für notwendig
hielt, kommen konnten. Und es wurde in gewissen, sagen wir
symbolischen, bildhaften Darstellungen dasjenige gelehrt, was
man in instinktiven Imaginationen erleben konnte. Solche Bilder
bildeten den Lehrinhalt der alten Weisheitsschulen, so wie
heute unsere Bücher unseren Lehrinhalt bilden, aber diese
Lehrmittel bestanden eben durchaus in Bildern, die aus dem
Inneren des Menschen hervorgeholt waren.
Ich
möchte, um Ihnen nicht im Unbestimmten etwas vorzureden,
an etwas ganz Bestimmtes, an ein einzelnes Bild erinnern: Da
trat immer wiederum ein Bild auf, das gebraucht wurde für
die imaginative Erkenntnis des Erkenntnisvorgangs beim Menschen
selber. Man schilderte den Erkenntnisvorgang nicht so wie heute
die Erkenntnistheoretiker. Man schaute ihn in einer Art
instinktiven Hellsehens an, und das, was man da anschaute,
charakterisierte man dadurch, daß man das Bild der
Schlange, die sich in den Schwanz beißt, zeichnete. Ein
wesentliches Charakteristikon des Erkennens war in diesem Bilde
zu sehen. Aber dieses Bild, wie ich es Ihnen jetzt geschildert
habe, ist eigentlich nur dasjenige, was dann mehr oder weniger
in populäre Darstellungen übergegangen ist. Die
eigentlichen symbolischen Bilder haben sie, die Erkennenden,
aus einem gewissen Machtdrang heraus, damit sie allein die
Wissenden sein konnten, die andern die Unwissenden sein
sollten, in den Gruppen sorgfältig geheimgehalten. Das
Bild, das eigentlich gemeint ist mit dem Exoterischen der
Schlange, die sich in den Schwanz beißt, ist ein solches,
in dem die Schlange so gemalt wird, daß sie sich nicht nur
in den Schwanz beißt, sondern gewissermaßen den
eigenen Schwanz verschlingt. Immer so weit dieses Schwanzende
in den Mund hineingeht, vergeistigt es sich. Und es erscheint
dann etwas, das man, wenn man die Schlange mit einer dichteren
Farbe aufzeichnet, mit einer dünneren Farbe wie eine Art
Aura der Schlange hinzuzumalen hätte. Man bekommt dadurch
ein kompliziertes Gebilde, das aber, wenn man es mit einfachen
Worten charakterisieren will, mit den Worten charakterisiert
werden muß, die heute morgen Dr. Unger in seinem Vortrage
gebraucht hat, indem er sich fortwährend für dieses
Wort eigentlich entschuldigte. Man muß sich schon für
vieles, was im höchsten Grade heute berechtigt ist, wenn
man es aus der Geisteswissenschaft heraus sagt,
gewissermaßen entschuldigen. Unger gebrauchte mehrmals das
Wort «umstülpen». Man denke, man habe eine
elastische Kugel und man bohrte oben an einer Stelle hinein, so
daß man die Kugel so in sich stülpt, daß dann
dasjenige, was zuerst nach oben geragt hat, nun nach unten hin
gepreßt ist, so daß man also eine Art
Schüsselchen oder Teller aus der Kugel bekommt, und man
denke jetzt daran, daß man nun nicht nur bis zum unteren
Boden der Kugel umstülpt, sondern noch über diesen
hinaus, gleichsam ihn durchdringend, daß aber auf der
andern Seite die Kugelsubstanz in einer andern Konsistenz
herauskommt, so daß sich die Kugel nun, nachdem man sie
durchstoßen hat, von außen wie mit einem Lichte
umsäumt, das aber aus dem umgestülpten Teil selber
entstanden ist. Das ist eine Figur, die man nicht so einfach
hinmalen kann, welche aber auf eine einfachere Weise das
wiedergibt, was symbolisch angedeutet werden sollte mit dem,
was in solchen Geheimgesellschaften für den
Erkenntnisvorgang hingemalt worden ist, um die Anschauung
dieses Erkenntnisvorganges anzuregen bei denjenigen, die durch
diese Anschauung lernen sollten.
Diese Figuren wurden, wie gesagt, aus einem gewissen
Machtbewußtsein heraus sehr geheimgehalten. Man bekam sie
nur, wenn man innerlich die Anschauung eines Weltenprozesses
erlebte. Es gab keinen andern Weg, um einen Sinn zu bekommen
für das innerliche Erleben und Verstehen solcher Figuren.
Wenn ich mich eines Ausdrucks bedienen darf, der gegenüber
dem Vorgang etwas trivial ist, so muß ich sagen: Durch
Aufsteigen innerer Geistinhalte bekam man etwas, wofür
man, wie in etwas Selbstverständlichem, einen solchen
symbolischen Ausdruck versuchte. Es waren das fixierte
instinktive Imaginationen.
Nun
tauchten diejenigen neueren Forschungen in der
Naturwissenschaft auf, die in gewissem Sinne einen
Zusammenfasser in Haeckel fanden. Haeckel dachte
über das, worüber er überhaupt forschte, in
einem gewissen zusammenfassenden, man kann sogar sagen
großartigen Sinne nach. Und er hatte aus
Untergründen, die ich gestern charakterisiert habe, ein
Bedürfnis, das, was er am tierischen Lebewesen erforschte,
zu zeichnen, namentlich dasjenige, was mit dem Werden der
ganzen tierischen Organisation zusammenhängt. Wenn Sie
Haeckels Schriften aufschlagen und wenn Sie die Zeichnungen
betrachten — andere haben sie ja auch gemacht, aber
Haeckel hat sie eben, ich möchte sagen, zum Grundkern
seines ganzen Denkens gemacht —, die Haeckel über
die ersten Stadien des Embryonallebens gemacht hat, über
diejenigen Stadien, durch die er zeigen wollte, wie die
Ontogenie eines Wesens ein verkürztes Werden
gegenüber der Phylogenie ist, dann werden Sie Zeichnungen
finden, die, wenn Sie kennen würden dasjenige, was als
instinktive Imaginationen alte Weise aufgezeichnet haben, an
diese Imaginationen erinnern.
Haeckel hat den Anfangsvorgang der Embryonalentwickelung
studiert, den man die Gastrulation nennt, das Herausbilden des
Keimbechers, wo tatsächlich die Zellenanordnung so
geschieht, wie wenn man eben eine Kugel einstülpte; und er
hat in der Phantasie konstruiert die Gasträa, ein
hypothetisches Wesen, welches einmal eine solche Gestaltung
gehabt hat in der Stammesentwickelung, die sich in diesem
Frühstadium der Embryonalentwickelung, im Gastrulastadium,
wiederholt. Mit andern Worten: was Haeckel da zeichnete, das
sollte sein, obwohl es nur an der sinnlichen Außenwelt
gewonnen worden ist, eine treue Wiedergabe, höchstens
etwas phantasiemäßig ausgestaltet und in die
Hypothese eingekleidet, eine Wiedergabe solcher Vorgänge,
die sich in der Welt abspielen, die wir mit unseren Sinnen
überschauen.
Ich
deute Ihnen damit etwas an, was vielleicht manchen Menschen der
Gegenwart höchst gleichgültig ist, was aber
derjenige, der ehrlich im Erkenntnisleben drinnensteht, als ein
im allereminentesten Sinne hervorragendes Kulturfaktum ansehen
muß. Haeckel zeichnet die Außenwelt ab und kommt zu
den Anfängen jener symbolischen Figuren, die in einer
gewissen Vorzeit als die esoterischsten galten, die heute zwar
da und dort bewahrt werden, aber sehr verborgen gehalten
werden. Man betrachtet es geradezu als Verrat innerhalb
gewisser machtdürstiger Gruppen, wenn davon gesprochen
wird. Diese Figuren waren ehedem hervorgeholt aus inneren
Erlebnissen; sie waren die aufgezeichneten instinktiven
Imaginationen. Das heißt nichts Geringeres als: Wir sind
mit der Naturforschung auf einem Punkte angekommen —
indem sie heraufrückt in das Erkennen der Vorgänge in
der tierischen Organisation —, wo die Naturforschung
zeichnen muß als Wiedergabe äußerer
Vorgänge so, wie man einstmals gezeichnet hat aus dem in
der Seele frei aufsteigenden imaginativen Leben, das durch eine
Intensivierung des Inneren sich kosmische Erkenntnisse
verschaffte. Inneres Erleben wurde in Symbole gegossen, die
— und es werden noch ganz andere im Verlaufe der weiteren
Naturforschung gefunden werden — ganz und gar ähneln
denjenigen, die nunmehr im Abzeichnen der äußeren
Welt gewonnen werden. Ein kulturhistorisches Faktum allerersten
Ranges!
So
stehen wir denn in der Menschheitsentwickelung mit Bezug auf
die Erkenntnis heute an einem Punkte, wo empirische
Außenbeobachtung des Tierischen uns aufdrängt
dasjenige, was einmal im intimsten Inneren der Seele gefunden
wurde. Exoterik liefert heute einen Inhalt, der einmal zu der
tiefsten Esoterik gehört hat. Haeckel kam in einer ganz
naiven Weise zu diesen Dingen. Viel interessanter ist der
Vorgang noch, wenn wir ihn beobachten in demjenigen Geiste, der
weniger naiv dazugekommen ist, der so, wie ich es gestern
charakterisiert habe, die Stufen seines Erkenntniserlebens mit
einer gewissen Besonnenheit durchlief, wenn wir ihn bei
Goethe beobachten. Goethe zeichnete in den neunziger
Jahren vor Schiller seine Urpflanze auf, eine symbolische
Pflanze. Er zeichnete mit wenig Strichen dasjenige hin, was er
glaubte, daß es wiedergeben könne die Pflanze, die
eben metamorphosisch sich in allen Pflanzenformen zeigt.
Schiller sagte: Das ist keine Empirie, das ist eine
Idee. — Goethe sagte darauf: Dann sehe ich meine Ideen
mit Augen. — Goethe war sich bewußt, daß er
etwas Objektives, etwas, das er aus der Pflanzenwelt abgesehen
hat, hingezeichnet habe. Warum konnte Goethe das? Wie der
innere Prozeß war, durch den Goethe getrieben wurde, in
einer solchen Weise das Pflanzenleben anzuschauen, daß er
zu seiner Metamorphosenanschauung kam, das habe ich in meinen
Schriften über Goethe des öfteren geschildert.
Seither ist, wohl in Anlehnung an dasjenige, was da als der
Goethesche Erkenntnisweg dargestellt worden ist, jetzt auch
schon vor vielen Jahren in Berlin von einem jüngeren Mann,
der dazumal viel bei mir ein- und ausging, eine Dissertation
erschienen über den Einfluß von Swedenborg auf
Goethe. Diese Dissertation gehört zu den hervorragenderen
literarischen Erscheinungen der neuen Zeit. Solche Dinge
verschwinden nur in dem Wust von Dissertationen, die sonst
auftauchen und die nicht gelesen werden. Diese Dissertation
über Goethes Naturphilosophie im Verhältnis zu
Swedenborg zeigt, wie Goethe gerade dadurch, daß er sich
als junger Mann in Swedenborgs Seelenverfassung hineingelebt
hat, zu gewissen Begriffsformen kam, die ihn dann mehr oder
weniger unbewußt leiteten zu seinen morphologischen
Imaginationen über die Pflanzenwelt. Es ist höchst
interessant, von diesem Gesichtspunkt aus das Verhältnis
Goethes zu Swedenborg ins Auge zu fassen.
Bei
Swedenborg liegt die Sache so, daß er durchaus eine
wissenschaftliche Persönlichkeit auf der Höhe seiner
Zeit war. Er hat bis zu seinem vierzigsten Jahr
Begriffsformulierungen ausgebildet, durch die er
gemäß dem wissenschaftlichen Standpunkt seiner Zeit
in echt naturwissenschaftlichem Sinne so vorgehen konnte,
daß jetzt seine noch nicht gedruckten wissenschaftlichen
Manuskripte durch eine Gelehrtengesellschaft als etwas
höchst Wertvolles herausgegeben werden. Swedenborg war bis
zu seinem vierzigsten Jahre ein tonangebender,
repräsentativer naturforschender Gelehrter seiner Zeit. Er
war es aus dem Grund, weil in ihm synthetisierende Ideen gelebt
haben, durch die er größere Zusammenhänge des
Naturgeschehens konstatieren konnte. Dann wurde er in einer
gewissen Weise krank, und in einen kranken Organismus hinein
ergossen sich diejenigen Begriffsformationen, die er
früher für das Naturerkennen ausgebildet hatte. Was
gewisse mystische Naturen an Swedenborg verehren, das ist
dessen vorherige wissenschaftliche Seelenverfassung in ihrer
Erkrankungsmetamorphose.
So
wie Swedenborg kann gesundes geistiges Anschauen die geistigen
Welten nicht sehen, nicht in diesen Personifikationen, in
diesen ganz und gar aus der eigenen Konstitution hervorgeholten
Bildern, die mit einigen Änderungen eigentlich dem
irdischen Leben voll gleichen, wenn man diesem nur eine gewisse
Schwere nimmt. Ich will nicht weiter eingehen auf dasjenige,
was Swedenborgs Erkrankung zugrunde liegt, will aber, damit ich
nicht mißverstanden werde, aufmerksam darauf machen,
daß allerdings dasjenige, was Swedenborg als Seher
geleistet hat, immerhin dadurch auch von höchstem
Interesse sein kann, weil sich in dies hinein etwas ergossen
hat, was aus einer großen, umfassenden, wissenschaftlich
denkenden Seele gekommen ist. Von demjenigen nun, was bei
Swedenborg in dieser Art begrifflicher Synthese auftauchte,
wurde Goethe im höchsten Sinne schon als junger Mann
angeregt, und er bildete für seine Morphologie, für
die charakteristisch-wissenschaftliche Durchdringung des
Pflanzenwesens dasjenige gesund aus, was Swedenborg als
krankhaftes Sehen ausgebildet hat. Dieses Verhältnis von
Goethe zu Swedenborg ist im höchsten Grade interessant,
weil hier ein Weg gegangen worden ist, den der eine nach der
kranken, der andere im intensivsten Sinne nach der gesunden
Richtung hin gegangen ist. Und diejenigen
Begriffsformulierungen, zu denen da Goethe gekommen ist in
bezug auf das plastische Erfassen der Pflanzenwelt, sie liegen
schon auf dem Wege zu solchen Zeichnungen, zu solchen
«Malereien» möchte ich sagen, den Begriff des
Malens weit fassend, wie sie dann Haeckel genötigt war,
für die organische Welt der Tiere anzuwenden. Goethe geht
nur besonnener vor. Er ist ja so besonnen, daß er den
Swedenborgianismus nur mitmacht, soweit er gesund ist. Aber
auch Goethe segelt hinein in das Erbilden der äußeren
Welt in solchen Bildern, welche früher, als die
menschliche Erkenntnis innerlichere Wege genommen hat, aus dem
Inneren aufgestiegen oder heraufgeholt worden sind. Schon zu
Goethes Zeit war eben, wenigstens für Goethe und
diejenigen, die ihn verstanden, die Entwickelung des
Erkenntnislebens so weit gekommen, daß man genötigt
war, in der äußeren Welt dieselbe Bildlichkeit zu
suchen, die früher gefunden worden war in einem
instinktiven Imaginationsleben.
Auf
dem Boden des instinktiven Imaginationslebens kann man
gegenüber dem Fortschritt der Menschheitsentwickelung
nicht stehenbleiben. So bewußt, wie ich es im Anfange der
heutigen Betrachtung geschildert habe, muß das
Imaginationsleben gesucht werden. Dann aber ergibt sich das
Folgende. Wir kommen mit unserer Verstandeserkenntnis so weit,
daß wir die unorganische Außenwelt nach Maß,
Zahl und Gewicht begreifen, wiedergeben können, daß
wir zu konstruktiven Begriffen über diese Welt kommen, die
in Maß, Zahl und Gewicht lebt. Wenn wir heraufsteigen ins
Pflanzliche, heraufsteigen ins Tierische, da reichen wir gerade
aus dem Grunde, weil die naturwissenschaftliche Anschauung in
unserem Zeitalter einen gewissen Fortschritt erreicht hat,
nicht aus mit diesen Verstandeserwägungen. Wir brauchen
eine andere Art der Darstellung, und wenn der Mensch die
unorganische Natur vor sich hat, dann geht er zu seinem
begreifenden Verstände und verinnerlicht sich diese
unlebendige Natur, kommt zu einem Wissen, zu einer Erkenntnis
dieser in Maß, Zahl und Gewicht lebenden Natur.
Wenn der Mensch aber nun die Pflanzenwelt, die tierische Welt
so vor sich hat, wie er heute schon die unorganische Natur vor
sich hat und wie frühere Zeitalter mit der instinktiven
Imagination diese nicht vor sich hatten, dann ist er
genötigt, nun nicht das Pflanzen-, das Tierwesen zu
begreifen mit einem inneren Seelenerfassen, das nur im
Verstandesbegriff lebt, sondern dann zeigt sich, daß
Goethe mehr bewußt, Haeckel ganz naiv und unbewußt,
in Darstellungen hineinkommen, die an frühere instinktive
Imaginationen erinnern. Das aber weist darauf hin, daß wir
gerade deswegen, weil wir im Naturbeobachten allmählich so
weit gekommen sind, dann, wenn wir aufrücken vom Mineral
zur Pflanze, vom Tier zum Menschen, zum Erkennen der Welt
überhaupt, höhere Erkenntnisstufen anwenden
müssen, daß wir aufrücken müssen vom
gewöhnlichen begreifenden Verstände zu der
Imagination, Inspiration und Intuition. Das weitere soll sich
aus den folgenden Betrachtungen ergeben. Das aber wird zeigen,
daß es noch ganz andere gesunde Gebiete gibt als
diejenigen, die oftmals aufgezählt werden, um zu der durch
Haeckel mit einer gewissen Färbung behandelten
Naturwissenschaft der neueren Zeit ein Verhältnis zu
gewinnen. Dieses Verhältnis muß ein lebendiges sein.
Man muß gerade auf diese Naturforschung eingehen, um zu
zeigen, wie sich durch ihre eigene Entwickelung die
Notwendigkeit ergibt, zum imaginativen Leben in voller
Bewußtheit hinzukommen. Und in dem Folgenden wird einfach
durch die objektive Darstellung der Erkenntnisquellen der
Anthroposophie sich zeigen, daß es sich beim Ausbilden
dieser anthroposophischen Weltanschauung um die Wende vom 19.
zum 20. Jahrhundert für mich wirklich darum handeln
konnte, zu zeigen, wie von demjenigen, was Haeckel ganz naiv
nur für die äußere Natur andeutend hingestellt
hat, zu einer wirklichen Geist-Erkenntnis geschritten werden
muß.
Dazumal lag dieses vor, daß Haeckel eine solche
Naturerkenntnis entwickelte, von der eigentlich nur die Bilder,
die er hinmalte, eine Bedeutung hatten. In diesen Bildern
entwickelte er allerlei Begriffe. Diese Begriffe entnahm er
seinem Zeitalter. Ich habe es oftmals gesagt, wenn ich damals
über Haeckel Vortrage gehalten habe: Man nehme selbst von
dem vielverpönten Buche «Die Welträtsel»
die ersten Seiten, wo positiv, konstruktiv dargestellt wird
dasjenige, was in der tierischen Natur lebt, und man reiße
die Polemik der letzten Seiten weg, den größten Teil
des Buches, dann bleibt noch immer ein wertvolles Buch für
denjenigen übrig, der sich hineinfinden will in die Art,
wie man die organische Natur heute anschauen muß. Aber die
Begriffe, die Haeckel nun herausnimmt von alldem und die eben
in dem Teil des Buches stehen, von dem ich sagte, daß man
ihn wegreißen soll, diese Begriffe sind entlehnt aus der
allgemeinen Begriffswelt der neueren Zeit. Die Begriffe aber
sind allmählich tot geworden für das Gebiet der
organischen Natur.
Haeckel arbeitete mit lebendigen Anschauungen, aber mit toten
Begriffen. Das mußte ich oft bei Vorträgen über
den Haeckelismus bemerken, und so schrieb ich meine Schrift
«Haeckel und seine Gegner». Sie ging aus von der
Empfindung, daß Haeckel zwar tote Begriffe, die man nicht
brauchen kann, für seine Anschauungen hat, daß aber
seine Gegner auch seine Anschauungen wieder mit ihren toten
Begriffen bekämpften. Daher konnte es sich schon damals um
nichts anderes handeln, als es sich mit Bezug auf die
Naturforschung für die Geisteswissenschaft auch heute
handeln muß: man soll der Naturforschung von Seiten der
Geisteswissenschaft in anthroposophischer Orientierung nicht
kritisierend begegnen mit toten Begriffen, aber man soll ihre
Anschauungen, die sie durch den Fortschritt der
naturforschenden Methoden gewonnen hat, weiterführen zu
lebendigen Begriffen; man soll dasjenige, was in der
Naturforschung auftritt, nicht bekämpfen durch den toten
Geist, sondern fortführen zum lebendigen Geist.
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