SECHSTER VORTRAG
Bern, 6. September 1910
Jedem, der das Lukas-Evangelium in die Hand nimmt und jenes
Kapitel betrachtet, in dem die Abstammung des dort
behandelten Jesus zurückgeführt wird auf frühere
Generationen, wird es ohne weiteres einleuchten können,
daß die Absicht des Schreibers des Lukas-Evangeliums
übereinstimmt mit dem, was gestern hier gesagt worden ist.
Es handelte sich gestern darum, daß sozusagen in demselben
Sinne, wie eine göttliche Kraftwesenheit durchdringen
sollte den physischen Leib und Ätherleib des salomonischen
Jesus, ebenfalls eine göttliche Kraftwesenheit
durchdringen sollte den astralischen Leib und das Ich bei jener
Persönlichkeit, die wir als den nathanischen Jesus, den
Jesus des Lukas-Evangeliums kennen. Und deutlich wird es ja im
LukasEvangelium gesagt: diese göttliche
Kraftwesenheit soll das, was sie ist, dadurch sein, daß
durch alle Generationen herunter die Erbfolge in einer geraden
Linie von jener Stufe der Menschlichkeit strömt, da der
Mensch noch nicht innerhalb des Erdendaseins zum ersten Male in
eine irdische, physisch-sinnliche Inkarnation eingetreten ist.
Wir sehen ja, wie das Lukas-Evangelium durch, sagen wir,
Generationen die Abstammung seines Jesus
zurückführt bis auf Adam, bis auf Gott. Das aber will
nichts anderes heißen, als daß wir, wenn wir jenes
Prinzip im astralischen Leibe und im Ich des nathanischen Jesus
finden wollen, hinaufzugehen haben bis zu einem solchen
Zustande des Menschen, da dieser Mensch noch nicht aufgenommen
war von einer physischsinnlichen Erdeninkarnation, da er
noch nicht herabgestiegen war aus dem göttlich-geistigen
Dasein, sondern noch im Schöße jener geistigen
Sphären war, innerhalb welcher wir den Menschen als ein
gott- angehöriges, als ein göttliches Wesen
bezeichnen können. Wir müssen ja im Sinne der ganzen
anthroposophischen Auseinandersetzungen auf diesen Zeitpunkt
der alten lemurischen Zeit hinweisen und ihn festsetzen
als denjenigen, wo der Mensch noch nicht inkarniert war in den
Elementen des Erdendaseins, sondern wo er noch in einer
göttlich-geistigen Sphäre war. Bis hinauf in
jene Zeiten, da der Mensch noch göttlicher Natur war
und auch noch nicht das auf den Menschen gewirkt hatte, was wir
den luziferischen Einfluß nennen, verfolgt
tatsächlich das Lukas-Evangelium seinen Jesus.
In
der Tat wollten diejenigen Mysterien, die ihre Schüler bis
zu jener Einweihung führten, die wir gestern
charakterisiert haben als die Erkenntnis der großen
Geheimnisse des kosmischen Raumes, den Menschen
hinausführen über alles Irdische, oder besser gesagt,
über das, was der Mensch durch das Irdische geworden ist.
Sie wollten lehren, wie man die Welt anschauen kann, wenn
man sie nicht durch die Werkzeuge anschaut, die der Mensch seit
der Zeit erhalten hat, da der luziferische Einfluß wirken
konnte. Wie nimmt sich das Weltall aus für das
hellseherische Anschauen, wenn der Mensch sich frei macht von
der Wahrnehmung durch physischen Leib und Ätherleib, sich
frei macht von allem, was aus dem Irdischen an ihn herankommen
kann, das war zunächst die große Frage für die
Mysterienschüler. In einem solchen Zustande war der Mensch
auf natürliche Weise vor dem Eintreten in eine
irdische Inkarnation und bevor er zu dem «irdischen
Adam» geworden ist, um im Sinne der Bibel und des
Lukas-Evangeliums besonders zu sprechen. Also nur ein
Zweifaches gibt es, wodurch der Mensch das sein kann, was ihn
zu einem göttlich-geistigen Menschen macht: Das eine
ist die hohe Initiation der großen Mysterien; das andere
ist nicht zu verwirklichen in einer beliebigen Erdenzeit,
sondern war vorhanden auf einer elementaren Stufe des
Menschenseins, vor dem Herabsteigen des göttlichen
Menschen in der lemurischen Zeit zu dem, was die Bibel den
«irdischen Menschen» nennt; denn «Adam»
heißt «Erdenmensch», der nicht mehr
göttlich-geistiger Art ist, sondern sich bekleidet
hat mit den irdischen Elementen.
Nun
könnte aber eines auffallen, wenn wir so etwas zum
Ausdruck bringen. Das ist, daß ja immerhin nur
siebenundsiebzig, sagen wir, Generationen oder Stufen des
Daseins, Vererbungsstufen genannt werden. Schon beim
Matthäus-Evangelium könnte es jemand auffällig
finden, daß nur zweiundvierzig Generationen von Abraham
bis auf Christus genannt werden, und er könnte
nachrechnen, daß die Zahl der Jahre, die man
gewöhnlich für eine Generation annimmt, nicht
ausreichen würde bis zu Abraham hinauf Wer das sagen
würde, müßte aber berücksichtigen, daß
früher mit Recht für die alten Zeiten, für die
Patriarchenzeiten von Salomo und David aufwärts,
längere Zeiten angenommen wurden für die Dauer
einer Generation als später. Wenn wir nur
einigermaßen selbst mit den historischen Daten fertig
werden wollen, dürfen wir nicht bei drei Generationen -
zum Beispiel Abraham, Isaak und Jakob - das rechnen, was
jetzt der Durchschnitt für drei Generationen ergeben
würde, sondern wir müssen für diese drei
Generationen etwa zweihundertfünfzehn Jahre
festsetzen. Das ergibt auch die okkulte Forschung. Die
Tatsache, daß für jene alten Zeiten die Dauer einer
Generation länger anzusetzen ist als heute, ergibt sich
noch deutlicher für die Generationen von Adam bis auf
Abraham herunter. Bei der Generationenfolge von Abraham
abwärts kann schon jeder sich klarmachen, daß die
einzelne Generation länger angesetzt worden ist; denn es
wird immer schon ein hohes Alter den Patriarchen Abraham, Isaak
und Jakob zugeschrieben, wenn sie einen Sohn bekommen, der ein
Erbsohn ist. Und rechnet man gewöhnlich heute
dreiunddreißig Jahre für eine Generation, so
rechneten mit Recht diejenigen, die das
Matthäus-Evangelium schrieben, in den alten Zeiten
fünfundsiebzig bis achtzig und eine noch längere
Anzahl von Jahren auf eine Generation. Aber wir haben zu
betonen, daß im Matthäus-Evangelium bis zu Abraham
gemeint sind einzelne Menschen. Nicht mehr aber sind
einzelne Menschen gemeint, wenn wir von Abraham
heraufgehen und diejenigen Namen in Betracht ziehen, die
das Lukas-Evangelium anführt. Da müssen wir durchaus
an etwas erinnern, was richtig ist, wenn es vielleicht auch
für die heutigen materialistischen Vorstellungen der
Menschen unglaublich erscheint.
Was
wir heute unser Gedächtnis, unser zusammenhaltendes
Bewußtsein nennen können, die Erinnerung an das
Gleichbleibende unserer inneren Wesenheit, das reicht ja
heute für den normalen Menschen nur bis in die
ersten Kindheitsjahre. Der moderne Mensch wird, wenn er sein
Leben zurückverfolgt, finden, daß irgendwo die
Erinnerung abreißt. Der eine wird sich mehr, der
andere weniger an die Kindheit erinnern. Aber unser
heutiges Gedächtnis ist durchaus im einzelnen
persönlichen Leben beschlossen, ja, umfaßt nicht
einmal das ganze persönliche Leben bis zum Tage der
Geburt. Wenn wir uns zum Bewußtsein bringen, wie die
Seelenfähigkeiten, die
Bewußtseinseigentümlichkeiten der Menschen
überhaupt in alten Zeiten waren, wenn wir uns erinnern,
wie wir in der Menschheitsevolution beim Zurückgehen
auf Zeiten stoßen, wo ein gewisser hellseherischer Zustand
normales menschliches Bewußtsein war, dann werden
wir es auch nicht mehr verwunderlich finden, daß wir uns
für diese verhältnismäßig naheliegenden
Zeiten sagen können - was uns die Geistesforschung
bestätigt -, daß die
Bewußtseinsverhältnisse in bezug auf das
Gedächtnis in alten Zeiten durchaus andere waren,
als sie später geworden sind.
Wenn wir also hinter die Zeiten zurückgehen, die in der
Bibel als die Zeiten des Abraham bezeichnet werden, wird die
ganze Seelenverfassung doch etwas anders, als sie
später war, und namendich wird das Gedächtnis anders.
Und wenn wir von Abraham an noch weiter zurückgehen
bis in die atlantische Zeit, durch die atlantische Zeit
hindurch, so müssen wir sagen: Es war damals das
Gedächtnis etwas ganz anderes. Es war vor allen Dingen so,
daß man sich nicht nur, wie heute, zurückerinnerte an
persönliche Erlebnisse des einzelnen Lebens, sondern
man erinnerte sich durch die Geburt hindurch an das, was der
Vater, was der Großvater und so weiter erlebt hatten.
Gedächtnis war etwas, was durch das Blut durch eine Reihe
von Generationen hindurchrann, und erst später wurde
es für einzelne Zeiten und auf das einzelne Leben
zusammengezogen.
Und
wenn für die früheren Zeiten Namen gebraucht werden -
die. Namengebung der alten Zeiten würde heute ein
besonderes Studium erfordern -, so ist unter einem solchen
Namen etwas ganz anderes zu begreifen, als was wir heute mit
einem Namen verbinden. Und was die äußere Philologie
heute darüber zu sagen weiß, ist wirklich ein ganz
dilettantenhaftes Zeug. Der Gebrauch der Namen war früher
ein ganz anderer. Man hätte sich überhaupt nicht eine
solche Vorstellung machen können, daß Namen mit
Dingen oder Wesenheiten so in äußerlicher Weise
verknüpft werden könnten, wie es heute geschieht. Der
Name war in alten Zeiten etwas, was wesenhaft war, was
wesenhaft mit dem Wesen oder Ding zusammenhing und
ausdrücken sollte den inneren Charakter des Wesens im Ton.
Ein Nachklang des Wesens im Ton sollte der Name damals sein.
Davon hat unsere heutige Zeit gar keinen Begriff mehr, denn
sonst könnten solche Bücher heute nicht entstehen wie
die «Kritik der Sprache» von Fritt^ Mauthner,
die alles neuere Forschen, alle gelehrte Kritik der letzten
Jahre über die Sprache in großartiger Weise
berücksichtigt, aber nur nicht das, was für alte
Zeiten das Wesenhafte der Sprache war. Der Name war durchaus in
alten Zeiten nicht angewendet auf den einzelnen Menschen in
seinem persönlichen Leben, sondern auf das, was durch das
Gedächtnis zusammengehalten wurde, so daß sein
Name so lange gebraucht wurde, als die Erinnerung dauerte. So
ist Noah zum Beispiel nicht ein einzelner Mensch, sondern
der Name Noah bedeutet, daß sich zunächst irgendein
einzelner Mensch erinnert an sein eigenes Leben und dann durch
die Geburt hindurch an das Leben seines Vaters, seines
Großvaters und so weiter, so lange, als das
Gedächtnis anhielt. So weit als der Gedächtnisfaden
reichte, wurde für eine solche Folge von Menschen derselbe
Name gebraucht. Ebenso sind Namen wie Adam, Seth oder Enoch
derartige Namen, mit denen man an Personen so viel
zusammenfaßte, als es möglich war, mit dem
Gedächtnis in der Rückerinnerung
zusammenzuhalten. Wenn also für die alten Zeiten gesagt
wird, irgend jemand heißt Enoch, so will das sagen: Es
entstand in einer Persönlichkeit, die der Sohn einer
anders vorausbenannten Persönlichkeit war, ein neuer
Gedächtnisfaden; da erinnerte er sich nicht mehr an die
früheren Persönlichkeiten. Aber dieser neue
Gedächtnisfaden hörte nun nicht auf mit dem
Tode dieser zuerst Enoch benannten Persönlichkeit,
sondern er pflanzte sich fort vom Vater auf den Sohn, auf den
Enkel und so weiter, bis wieder ein neuer
Gedächtnisfaden entstand. Und so lange dieser
Gedächtnisfaden sich erhielt, gebrauchte man
denselben Namen. Also es sind in der Generationenfolge
verschiedene Persönlichkeiten zusammen damit bezeichnet,
wenn zum Beispiel von Adam die Rede ist.
In
diesem Sinne gebraucht das Lukas-Evangelium
selbstverständlich die Namen; denn es will sagen:
Diejenige Kraftwesenheit des göttlich-geistigen
Daseins, die in das Ich und in den astralischen Leib des
nathanischen Jesus hineingetaucht worden ist, müssen wir
verfolgen bis da hinauf, wo der Mensch zum ersten Male in eine
irdische Inkarnation gestiegen ist. Wir haben also im
Lukas-Evangelium zunächst Namen für die einzelnen
Persönlichkeiten. Gehen wir aber hinauf über Abraham
hinaus, dann kommen wir in die Zeit, wo das Gedächtnis
länger dauert, und nehmen das, was durch mehrere
Persönlichkeiten gleichsam als ein Ich durch das
Gedächtnis zusammengehalten wird, auch wirklich unter
einem Namen zusammen.
So
wird es Ihnen leichter werden, die siebenundsiebzig Namen, die
das Lukas-Evangelium aufzählt, wirklich als ausgedehnt
über sehr lange Zeiträume anzusehen, wirklich bis da
hinauf, wo die Wesenheit, die wir als die
göttlich-geistige Wesenheit des Menschen bezeichnen
können, sich zum ersten Male inkarnierte in einem
physisch-sinnlichen Menschenleib. Das andere, was darin gesucht
werden muß, ist dies: Wer in den großen Mysterien
durch die siebenundsiebzig Stufen das erreichte, daß er
seine Seele reinigte von allem, was die Menschheit in dem
Erdendasein aufgenommen hatte, der erreichte damit jenen
Zustand, der heute nur möglich ist, wenn der Mensch
leibfrei wird und in dem astralischen Leib und Ich leben kann.
Da kann er sich ausgießen über das, aus dem die Erde
selbst heraus entstanden ist, über den umliegenden
Kosmos, über unser ganzes kosmisches System. Und das
sollte sein. Dann hat er erreicht jene götdich-geistige
Kraftwesenheit, welche in den astralischen Leib und das Ich des
nathanischen Jesus einzog.
In
dem nathanischen Jesus sollte dargestellt werden, was der
Mensch nicht aus irdischen, sondern aus himmlischen
Verhältnissen hat. So schildert uns das Lukas-Evangelium
die göttlich-geistige Wesenheit, die durchdrungen,
imprägniert hat astralischen Leib und Ich des
Lukas-Jesus. Und das Matthäus-Evangelium schildert
diejenige göttlichgeistige Kraftwesenheit, die auf
der einen Seite in Abraham gewirkt hat, damit das innerliche
Organ zum Jahve-Bewußtsein entstand. Und auf der anderen
Seite ist es dieselbe Kraftwesenheit, die durch
zweiundvierzig Generationen hindurch wirkte im physischen
Leib und Ätherleib und die dort eine Vererbungslinie durch
die zweiundvierzig Generationen zusammenfaßt.
Schon gestern habe ich erwähnt, daß diese Lehren,
namentlich die Lehren des Matthäus-Evangeliums in bezug
auf diese Herkunft des Blutes des Jesus von Nazareth, gepflegt
wurden, zum Verständnis gebracht wurden in jenen
Gemeinden, die wir die Therapeuten- und Essäergemeinden
nennen können, und daß als großer Lehrer
innerhalb der Therapeuten und Essäer Jeshu ben Pandira
wirkte, der vorzubereiten hatte das Zeitalter des
Christus Jesus. Er hatte wenigstens einige wenige darauf
vorzubereiten, daß mit dem Ablauf eines bestimmten
Zeitpunktes, nämlich zweiundvierzig Generationen nach
Abraham, das hebräische Volk sozusagen so weit sein
würde, daß die Zarathustra- Individualität sich
werde inkarnieren können in einem Sproß der
Abraham-Linie, in einem Sproß der salomonischen
Linie des Hauses David. Das ist vorausgelehrt worden. Dazu
gehörte natürlich in der damaligen Zeit
Mysterienerfahrung. In der damaligen Zeit wurde dies nicht nur
in den Essäerschulen gelehrt, sondern es gab in den
Essäerschulen auch solche Zöglinge, welche die
zweiundvierzig Stufen auch wirklich durchmachten, so daß
sie hellseherisch schauen konnten, wie jene Wesenheit war, die
durch die zweiundvierzig Stufen heruntergestiegen ist. Es
sollte die Welt darüber aufgeklärt werden durch
entsprechende Lehren. Dafür hatten die Essäer zu
sorgen, daß wenigstens bei einigen Menschen
Verständnis vorhanden wäre für das, was der
Christus sein werde.
Nun
haben wir schon erwähnt, welchen eigentümlichen Gang
jene Menschenindividualität zunächst genommen hat,
die sich in jenem Blute inkarniert hat, von dessen
Zusammensetzung das MatthäusEvangelium spricht. Wir
wissen, daß dieser ursprüngliche große
Lehrer, der unter dem Namen Zarathustra oder Zoroaster
bekannt ist, im Morgenlande das lehrte, was wir
hinlänglich betrachtet haben, was ihn geradezu geeignet
gemacht hat für diese Inkarnation. Wir wissen, daß er
eingeleitet hat die ägyptische Hermes-Kultur, indem er zu
diesem Zwecke hingeopfert hat seinen astralischen Leib, der
dann dem Hermes eingeprägt wurde. Wir wissen ferner,
daß er hingeopfert hat seinen damaligen
Ätherleib, der aufbewahrt wurde für Moses, und
daß Moses für seine Kulturschöpfung in sich
hatte den Ätherleib des Zarathustra. Zarathustra selber
hat sich später weiter inkarnieren können in
anderen astralischen und Ätherleibern. Besonders
interessiert uns dann die Inkarnation des Zarathustra im 6.
Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung als Zarathas oder
Nazarathos im alten Chaldäa, wo er als Schüler hatte
die chaldäischen Weisen und Magier, und wo insbesondere
die weisesten der hebräischen Geheimschüler zur Zeit
der babylonischen Gefangenschaft mit ihm in Berührung
kamen. Und die ganzen folgenden sechs Jahrhunderte waren
für die chaldäischen Geheimschulen erfüllt
von den Traditionen, Zeremonien und Kulten, die herrührten
von Zarathustra in der Persönlichkeit des Zarathas oder
Nazarathos. Und alle die Generationen von chaldäischen,
babylonischen, assyrischen und so weiter Geheimschülern,
die in jenen Gegenden Asiens lebten, verehrten aufs
höchste den Namen dieses ihres großen Meisters, des
Zarathustra, unter der Veränderung als Zarathas oder
Nazarathos. Und sie warteten sehnsüchtig auf die
nächste Inkarnation ihres großen Lehrers und
Führers, denn sie wußten, daß er
wiedererscheinen werde nach sechshundert Jahren. Das Geheimnis
von diesem Wiedererscheinen war ihnen bekannt; das lebte
sozusagen wie etwas, was ihnen von der Zukunft
hereinschien.
Und
als die Zeit heranrückte, da das Blut für die neue
Inkarnation des Zarathustra bereitet war, da machten sich die
drei Abgesandten, die drei weisen Magier aus dem Morgenlande,
auf. Sie wußten, daß der verehrte Name des
Zarathustra selber wie ihr Stern sie führen würde
nach jenem Orte, wo die Wiederinkarnation des Zarathustra
stattfinden sollte. Es war die Wesenheit des großen
Lehrers selber, die als der «Stern» die drei Magier
hinführte zur Geburtsstätte des Jesus des
Matthäus-Evangeliums. - Auch das ist ja selbst
äußerlich philologisch zu belegen, daß in der
Tat das Wort« Stern» als Name für menschliche
Individualitäten in alten Zeiten gebraucht worden ist.
Nicht nur durch die Geistesforschung, die es uns aus ihren
Quellen klarer als etwas anderes sagt, daß damals
die drei Magier folgten dem Stern Zoroaster, dem
«Goldstern» Zoroaster, daß er sie dahin
führte, wo er sich wieder in- karnieren wollte, sondern
auch aus dem Gebrauch des Wortes « Stern» für
hohe menschliche Individualitäten - wie gesagt, eine
Tatsache, die auch philologisch belegt werden kann -
könnte sich schon manchem ergeben, daß unter dem
Stern, der die Weisen führte, Zarathustra selbst zu
verstehen ist.
Sechs Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung sind also die
Magier des Morgenlandes zusammengewesen mit jener
Individualität, die sich inkarnierte als der Jesus des
Matthäus-Evangeliums. Und Zarathustra selber führte
die Magier dahin; sie folgten seiner Spur. Denn es war
sozusagen der Zug des Zarathustra, des die Magier
führenden, nach Palästina ziehenden Sternes, der die
Magier leitete auf ihren Wegen von den morgenländischen,
chaldäischen Mysterien nach Palästina, wo sich
Zarathustra zu seiner nächsten Inkarnation anschickte.
Dieses Geheimnis von der künftigen Inkarnation des
Zarathustra, des Zarathas oder Nazarathos, kannte man auch in
den chaldäischen Mysterien. Das Geheimnis aber von dem
Blut des hebräischen Volkes, welches geeignet sein sollte,
wenn der entsprechende Zeitpunkt herangekommen wäre,
für die neue Leiblichkeit des Zarathustra, das
lehrten jene, die in den Essäermysterien sozusagen
hinaufgehoben wurden durch die zweiundvierzig Stufen.
Es
waren also im Grunde zweierlei Menschen, die zunächst um
das Geheimnis des Jesus des Matthäus-Evangeliums etwas
wußten. Von der Zarathustra-Seite her, wo auf die
Individualität, die sich im jüdischen Blute
inkarnieren sollte, hingewiesen wurde, kannten es die
chaldäischen Eingeweihten; von der Blutseite, von der
äußeren Seite, von der Seite des Leibes her kannten
es die Essäer. Es war also schon eine Lehre, die
ungefähr durch hundert und mehr Jahre in den Essäer-
schulen gelehrt worden war, die Lehre von dieser Ankunft des
Jesus des Matthäus-Evangeliums, jenes Jesus, der in seiner
Gesamtheit erfüllen sollte einmal alle Bedingungen,
von denen ich gesprochen habe, dann aber auch noch andere, die
wir etwa in der folgenden Weise charakterisieren
können.
Ein
solcher Essäerschüler wurde nach langer Zeit nach
vielen Reinigungen und Übungen seiner Seele durch
die zweiundvierzig Stufen hinaufgeführt, um sozusagen zu
sehen die Geheimnisse des physischen Leibes und
Ätherleibes. Derjenige, der da geboren werden sollte, der
sich in dieses Blut hineininkamieren sollte, stieg von oben
herunter; er hatte die Fähigkeiten, welche der
Essäerschüler nur nach langen schweren
Prüfungen durch die zweiundvierzig Stufen hindurch
erreichen konnte. Von dem, der da herunterstieg, mußte man
sagen: Er hat von vornherein die Fähigkeiten, um solche
Anlagen zur Entwickelung zu bringen. - Sie waren mit ihm
geboren, sagte man in den Essäer- gemeinden. Im Grunde
aber war das, was in den Essäergemeinden gepflegt worden
ist an Übungen und Reinigungen der Seele, die
Fortsetzung einer Art Geheimschulung, die auch sonst seit
uralten Zeiten innerhalb des Judentums bestanden hat.
Es
gab im Judentum immer das, was man bezeichnete als Nasireat
oder Nasiräertum. Dieses bestand darin, daß einzelne
Menschen - auch schon vor der Entstehung der Therapeuten- und
Essäersekten - auf sich ganz bestimmte Methoden der
Seelen- und Körperentwickelung anwandten. Namentlich
wandten die Nasiräer eine Methode an, die in einer
gewissen Diät bestand und die auch heute noch in gewisser
Beziehung nützlich ist, wenn der Mensch in seiner
Seelenentwickelung rascher vorschreiten will, als es sonst
möglich ist. Besonders enthielten sie sich
vollständig der Fleischkost und des Weingenusses. Damit
verschafften sie sich die Möglichkeit einer gewissen
Erleichterung, weil in der Tat die Fleischkost den geistig
strebenden Menschen in der Entwickelung aufzuhalten vermag. Es
ist tatsächlich so - was keine Propaganda für den
Vegetarismus sein soll daß durch die Enthaltung von
der Fleischkost alles erleichtert wird. Der Mensch kann in der
Seele widerstandskräftiger werden und sich stärker
erweisen im Überwinden jener Widerstände und
Hemmnisse, die aus dem physischen Leibe und
Ätherleibe kommen, wenn die Fleischkost fortfällt.
Ertragsamer, ertragfähiger wird dann der Mensch. Aber
natürlich wird er es nicht dadurch, daß er sich
bloß der Fleischkost enthält, sondern vor allem
dadurch, daß er sich in seiner Seele stärker macht.
Wenn er sich bloß vom Fleisch enthält, macht er damit
nur seinen physischen Körper anders; und wenn dann
das nicht vorhanden ist, was von der Seelenseite da sein soll
und den Körper durchdringen soll, dann hat das Enthalten
von Fleisch gar keinen besonderen Zweck.
Es
bestand also dieses Nasiräertum. Unter einer viel
strengeren Gestalt der Vorschriften aber setzten es die
Essäer fort; sie nahmen noch ganz andere Dinge dazu.
Alles, was ich Ihnen gestern und vorgestern erzählt habe,
nahmen sie hinzu. Besonders aber pflegten sie strengste
Enthaltung von der Fleischkost. Dadurch wurde
verhältnismäßig rasch erreicht, daß solche
Menschen lernten, ihre Erinnerung zu erweitern und
hinaufzusehen über zweiundvierzig Generationen hinauf,
daß sie lernten hineinschauen in die Geheimnisse der
Akasha-Chronik. Sie wurden das, was man nennen kann eine
Stammknospe an einem Zweig, eine Knospe an einem Baum, an einer
Pflanze, die sich durch viele Generationen hindurchschlingt.
Sie waren nicht bloß etwas Losgelöstes vom Baum
der Menschheit; sie fühlten die Fäden, die sie
banden an den Baum der übrigen Menschheit. Sie waren
etwas anderes als die, welche sich vom Stamme loslösten
und deren Gedächtnis sich einschränkte auf die
einzelne Persönlichkeit. Solche Menschen benannte man nun
auch innerhalb der Essäergemeinden mit einem Wort, das
ausdrücken sollte «ein lebendiger Zweig», nicht
ein abgeschnittener Zweig. Das waren solche Menschen, die sich
darinnen fühlten in der Generationenfolge, sich nicht
abgeschnitten fühlten vom Baum der Menschheit. Die
Schüler, die im Essäertum namentlich diese Richtung
pflegten, die die zweiundvierzig Stufen durchgemacht hatten,
bezeichnete man als Nezer.
Auch aus dieser Klasse der Nezer hatte einen treuen, einen
besonderen Schüler derjenige, den ich gestern als
Lehrer innerhalb der Essäergemeinden genannt habe: Jesus,
Sohn des Pandira. Denn dieser Jeshu ben Pandira, der den
Okkultisten ziemlich genau bekannt ist, hatte fünf
Schüler, von denen jeder einen besonderen Zweig der
gemeinsamen großen Lehre des Jeshu ben Pandira
übernahm und für sich dann fortsetzte. Diese
fünf Schüler des Jeshu ben Pandira trugen folgende
Namen: Mathai, Nakai, der dritte Schüler hatte, weil er
besonders aus der Klasse der Nezer war, geradezu den
Namen Nezer, dann Boni und Thona. Diese fünf Schüler
oder Jünger des Jeshu ben Pandira, der ein Jahrhundert vor
unserer Zeitrechnung in der schon erzählten Weise den
Märtyrertod wegen Gotteslästerung und Häresie
erlitten hat, pflanzten sozusagen in fünf verschiedenen
Zweigen fort die große, umfassende Lehre des Jeshu ben
Pandira. Insbesondere wurde - so lehrt die
geisteswissenschaftliche Forschung - nach dem Tode des Jeshu
ben Pandira die Lehre von der Zubereitung des Blutes für
den zu erscheinenden Jesus des Matthäus-Evangeliums
fortgepflanzt durch den Schüler Mathai. Und jene
Lehre von der inneren Seelenverfassung, welche mit dem
alten Nasireat, aber auch mit dem neueren Nezertum
zusammenhing, wurde fortgesetzt von dem anderen großen
Schüler des Jeshu ben Pandira, von Nezer. Und Nezer war
insbesondere dazu ausersehen, eine kleine Kolonie zu
gründen. Solcher Kolonien der Essäer gab es in
Palästina eine ganze Anzahl, und in einer jeden
wurde ein besonderer Zweig des Essäertums gepflegt. Das
Nezertum, das besonders der Schüler Nezer weiter zu
pflegen hatte, sollte vor allem in jener Kolonie gepflegt
werden, die ein geheimnisvolles Dasein führte und im
Grunde einen kleinen Ort nur bildete in der damaligen Zeit, in
der Kolonie, die dann in der Bibel den Namen Nazareth empfing.
Dort in Nazareth - Nezereth - war eine Essäerkolonie
angelegt von Nezer, dem Schüler des Jeshu ben Pandira. Da
waren Leute - in ziemlich strengem Geheimnis lebten sie die das
alte Nasireat pflegten. Daher gab es, nachdem jene anderen
Vorgänge sich vollzogen hatten, über die ich noch zu
sprechen habe, nach der Übersiedelung nach Ägypten
und der Rückkehr von dort für den Jesus des
Matthäus-Evangeliums nichts Näherliegendes, als
daß er in die Atmosphäre dieses Nezertums gebracht
wurde. Das wird auch angedeutet mit dem entsprechenden Wort des
Matthäus-Evangeliums nach der Rückkehr aus
Ägypten: Er wurde in das Fleckchen Nazareth gebracht,
«auf daß erfüllet würde, das da gesagt ist
durch die Propheten: Er soll ein Nazaräer
werden» (Matth. 2, 23). - Das ist in der
verschiedensten Weise dann übersetzt worden, weil
die Übersetzer den Sinn nicht recht kannten und keiner so
recht wußte, was damit gemeint war. Darum handelte es
sich: daß hier eine Essäerkolonie war, wo der Jesus
zunächst heranwachsen sollte.
Jetzt aber wollen wir, bevor wir auf die anderen Details und
namentlich auf die Beziehungen zu dem Jesus des
Lukas-Evangeliums eingehen, nur noch in großen
Zügen auf einiges bei dem Jesus des
Matthäus-Evangeliums hinweisen. Alles, was
zunächst im Matthäus-Evangelium geschildert
wird, führt zurück auf die Geheimnisse, die Jeshu ben
Pandira im Essäertum gelehrt hat, und die dann als Lehrgut
fortgepflanzt hat sein Schüler Mathai, und schon die
ersten Geheimnisse des Matthäus-Evangeliums weisen uns hin
auf diesen Schüler Mathai. Durch alles, was sozusagen von
dieser Seite herkam, welche das Matthäus-Evangelium
charakterisiert, konnten zubereitet werden der physische
Leib und der Ätherleib des Jesus des
Matthäus-Evangeliums, wenn es sich selbstverständlich
innerhalb der zweiundvierzig Generationen auch um
Einflüsse auf den astralischen Leib handelte. Aber wenn
wir auch gesagt haben, daß während der ersten
vierzehn Generationen der physische Leib, während
der zweiten vierzehn Generationen der Ätherleib, und
daß für die dritten vierzehn Generationen - seit der
babylonischen Gefangenschaft - der astralische Leib in Betracht
kommt, so müssen wir doch festhalten, daß das, was
auf diese Weise richtig zubereitet worden ist für den
Zarathustra, nur brauchbar war für diese mächtige
Individualität, insofern es physischer Leib und
Ätherleib war.
Nun
erinnern Sie sich, wie ich Ihnen immer gesagt habe, daß
der Mensch in seiner einzelnen persönlichen Entwickelung
von der Geburt bis zum siebenten Jahre vorzugsweise den
physischen Leib entwickelt, daß er während der
nächsten sieben Jahre, vom Zahnwechsel bis zur
Geschlechtsreife, besonders den Ätherleib entwickelt; dann
erst kommt die freie Entwickelung des astralischen Leibes. Was
Entwickelung des physischen Leibes und Ätherleibes
ist, sollte in dem besonderen physischen und
Ätherleibe, die durch die mit Abraham beginnenden
Generationen zubereitet worden sind, zum Abschluß
kommen und von Zarathustra in der neuen Inkarnation
durchlebt werden. Dann aber, wenn er bis zum Ende der
Entwickelung des Ätherleibes gekommen war, war das, was
ihm zubereitet worden war, nicht mehr genügend, und er
mußte nun heranschreiten an die Entwickelung des
astralischen Leibes.
Dazu geschieht nun das Gewaltige und Wunderbare, ohne dessen
Verständnis wir das ganze große Mysterium von dem
Christus Jesus nicht begreifen können. Die
Zarathustra-Individualität entwickelte sich während
der Knabenzeit im physischen Leibe und Ätherleibe des
Jesus des Matthäus-Evangeliums bis zum zwölften
Jahre; denn bei dieser Individualität und vermöge des
Klimas trat der Zeitpunkt, den wir für unsere Gegenden als
den des vierzehnten, fünfzehnten Jahres bezeichnen, etwas
früher ein. Da war bis zum zwölften Jahre alles
erreicht, was in dem entsprechend zubereiteten physischen
und Ätherleibe der salomonischen Linie erreicht
werden konnte. Und da verließ in der Tat die
Zarathustra-Individualität diesen physischen Leib und
Ätherleib, von denen im Matthäus-Evangelium
zunächst die Rede ist, und ging über in den Jesus des
Lukas-Evangeliums. Denn aus den Vorträgen über das
Lukas-Evangelium wissen wir schon, daß in der Tat mit der
Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel, wie
sie Lukas erzählt (Luk. 2, 42-50), folgendes gemeint ist:
Da, wo plötzlich der Jesusknabe des
Lukas-Evangeliums seinen Eltern so entgegentritt,
daß sie ihn gar nicht verstehen können, wo er ein
ganz anderer ist, da hat sich vollzogen, daß in sein
Inneres eingezogen ist die Zara- thustra-Individualität,
die bis dahin ihre Entwickelung in dem physischen Leib
und Ätherleib des salomonischen Jesus durchgemacht hat. -
Solche Dinge gibt es im Leben, so schwer sie auch heute bei der
Natur der laienhaften materialistischen Weltanschauung geglaubt
werden. Der Übergang einer Individualität aus einem
Leib in einen anderen Leib kommt vor. Und damals fand so etwas
statt, als die Zarathustra- Individualität den
ursprünglichen Leib verließ und hinüberdrang in
den Jesus des Lukas-Evangeliums, in dem nun besonders
zubereitet war der astralische Leib und der
Ich-Träger.
So
konnte Zarathustra in dem besonders zubereiteten astralischen
Leibe und Ich des nathanischen Jesus vom zwölften Jahre ab
die Weiterentwickelung fortführen. Das wird uns im
Lukas-Evangelium in einer so großartigen Weise
dargestellt, wo auf das Ungeheuerliche hingewiesen wird,
daß der zwölfjährige Jesus im Tempel unter den
Schriftgelehrten sitzt und Dinge sagt, die ganz merkwürdig
klingen. Wodurch konnte das der Jesus der nathanischen Linie?
Er konnte es, weil in diesem Moment die
Zarathustra-Individualität in ihn
«hineingefahren» war. Zarathustra hat aus
diesem Knaben, der damals nach Jerusalem gebracht worden war,
bis zum zwölften Jahre nicht gesprochen; daher war
die Charakterveränderung so stark, daß die Eltern ihn
nicht wiedererkannten, als sie ihn zwischen den
Schriftgelehrten sitzend wiederfanden.
So
haben wir es also mit zwei Elternpaaren zu tun, die beide
Joseph und Maria heißen - so haben damals viele
geheißen; aber aus den Namen Joseph und Maria etwas
abzuleiten bei der Art, wie man heute Namen versteht, das ist
etwas, was jeder wahrhaften Forschung widerspricht -, und
mit zwei Jesusknaben. Von dem einen, dem Jesus der
salomonischen Linie des Hauses David, kündet uns die
Geschlechterfolge des Matthäus-Evangeliums. Der
andere Knabe, der Jesus der nathanischen Linie, ist der Sohn
eines ganz anderen Elternpaares, und von ihm berichtet das
Lukas-Evangelium. Die beiden Knaben wachsen nebeneinander auf
und werden nebeneinander bis zu ihrem zwölften Jahre
entwickelt. Das können Sie in den Evangelien finden. Das
Evangelium spricht überall richtig. Und so lange man nicht
wollte, daß die Leute die Wahrheit erführen, oder die
Leute die Wahrheit nicht hören wollten, hat man ihnen auch
die Evangelien vorenthalten. Man muß die Evangelien nur
verstehen; sie sprechen richtig.
Der
Jesus aus der nathanischen Linie wächst heran mit einer
ungeheuren Innerlichkeit. Wenig geschickt ist er,
äußere Weisheit und äußere Kenntnisse sich
anzueignen. Er ist aber von einer schier unbegrenzten
Innigkeit des Gemüts, von einer schier unbegrenzten
Liebefähigkeit, weil in seinem Ätherleibe jene
Kraft lebte, die herunterströmte aus der Zeit, da
der Mensch noch nicht in eine irdische Inkarnation
hinuntergestiegen war, wo er noch ein göttliches Dasein
führte. Das göttliche Dasein lebte in ihm in einer
unbegrenzten Liebefähigkeit. So war dieser Knabe wenig
geeignet für das, was die Menschen durch die Inkarnationen
hindurch sich angeeignet haben durch die Werkzeuge des
physischen Körpers; dagegen groß und ungeheuer
durchdrungen von Liebeswärme war er in bezug auf
seine Seele, in bezug auf sein Inneres. So sehr war er
innerlich, daß sich etwas abspielte, was diejenigen, die
davon wußten, hinwies auf die ganze große
Innerlichkeit dieses Knaben. Was der Mensch sonst nur an
der Außenwelt entzündet, das konnte der Jesus des
Lukas-Evangeliums in gewisser Weise von Anfang an: er sprach
gewisse Worte gleich nach seiner Geburt, die seiner Umgebung
verständlich waren. So war er groß in bezug auf alles
Innerliche, ungeschickt in bezug auf alles, was durch die
Generationen der Menschheit auf der Erde selbst zu erringen
war. Und sollten nicht die Eltern aufs höchste
überrascht gewesen sein, als sich ihnen jetzt innerhalb
dieser so herangewachsenen Leiblichkeit plötzlich
ein Knabe zeigte, der von allem durchdrungen war, was
äußere Weisheit ist, was man sich mit
äußeren Werkzeugen aneignen muß? Diese so
plötzliche, so gewaltige Umänderung war deshalb
möglich, weil in jenem Moment die
Zarathustra-Individualität von dem salomonischen
Jesusknaben auf diesen Jesus der nathanischen Linie
übergegangen war. Zarathustra, Zarathas sprach aus
diesem Knaben in dem Moment, der uns geschildert wird, als ihn
die Eltern imTempel suchten.
Zarathustra hatte sich natürlich alle jene
Fähigkeiten angeeignet, die man sich aneignen kann durch
den Gebrauch der Instrumente des physischen Leibes und des
Ätherleibes. Er hatte sich aussuchen müssen die
Blutlinie der salomonischen Richtung und die dadurch
zubereitete Leiblichkeit, weil dort die starken Kräfte
vorhanden und aufs höchste ausgebildet waren. Aus dieser
Leiblichkeit nahm er, was er sich aneignen konnte, und
das verband er nun mit dem, was aus jener Innerlichkeit
stammte, die aus der Jesusgestalt des Lukas-Evangeliums
herkam, die herabzog von einer Zeit, da der Mensch noch
nicht in einer irdischen Inkarnation war. Diese beiden Dinge
verbanden sich jetzt zu einem. Eine Wesenheit haben wir
jetzt vor uns. Und zum Überflusse, möchte ich sagen,
werden wir jetzt noch auf etwas Besonderes aufmerksam
gemacht: Nicht nur die Eltern des Lukas-Jesus nahmen eine
besondere Veränderung wahr, fanden etwas, was sie
nicht voraussetzen konnten, sondern diese Veränderung
zeigt sich auch äußerlich. Warum wird da, als
der Jesusknabe von seinen Eltern unter den
Schriftgelehrten im Tempel gefunden wird, ganz besonders
angeführt: «Und er ging mit ihnen hinab und kam gen
Nazareth ... Und Jesus nahm zu an äußerer physischer
Wohlgestalt, nahm zu an edelsten Gewohnheiten und nahm zu
an Weisheit»? (Luk. 2, 51-52.) Warum werden diese drei
Eigenschaften genannt? Weil es drei Eigenschaften waren, die
ihm besonders jetzt eignen konnten, wo die
Zarathustra-Individualität in ihm war.
Ich
bemerke ausdrücklich, daß diese drei Worte
gewöhnlich in den gebräuchlichen Bibeln
übersetzt werden: «Und Jesus nahm zu an Weisheit,
Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.» Ich
möchte wissen, ob man wirklich ein Evangelium braucht, um
zu sagen: ein zwölfjähriger Knabe nimmt zu an Alter?
Sie finden sogar in der Übersetzung von
Weizsäcker: «Und Jesus nahm zu an Weisheit und
Gestalt und Gnade bei Gott und Menschen.» Das ist
aber alles nicht gemeint; sondern gemeint ist, daß
jetzt eine Individualität in dem nathanischen
Jesusknaben war, die nicht, wie früher, bloß
innerlich war, die sich äußerlich nicht
ankündigte, sondern die jetzt, weil sie sich
herangebildet hatte in einem vollendeten physischen Leib,
auch überging in die äußere physische
Wohlgestalt. Aber auch, was in dem Ätherleibe besonders
gepflegt wird, was man sich im Ätherleibe aus dem Leben an
Gewohnheiten aneignet und ausbildet, das war früher bei
dem nathanischen Jesus nicht vorhanden. Bei diesem trat auf
eine gewaltige Anlage zur Liebefähigkeit, und darauf
konnte jetzt weiter gebaut werden. Aber diese Anlage war
mit einem Schlage da, die konnte sich nicht in die Gewohnheiten
hineinpressen. Jetzt aber war die andere Individualität
da, die in sich die Kräfte hatte aus einem Heranwachsen
des physischen Leibes und des Ätherleibes, und jetzt
konnten sich auch äußerlich Gewohnheiten zeigen und
in den Ätherleib hineingießen. Das ist das zweite, an
dem der Jesusknabe zunahm. Das dritte, «an Weisheit»,
ist schon etwas selbstverständlicher. Der Jesus des
LukasEvangeliums war nicht weise; er war ein im
höchsten Grade liebefähiges Wesen. Aber das
Zunehmen an Weisheit war dadurch gegeben, daß die
Zarathustra-Individuaütät in ihn einzog.
Ich
habe schon bei Besprechung des Lukas-Evangeliums gesagt,
daß es sehr leicht sein kann, daß eine
Persönlichkeit, die von der Individualität
verlassen wird und nur die drei Leiber, physischen Leib,
Ätherleib, astralischen Leib noch hat - denn die bleiben
dabei zurück -, eine Zeitlang noch leben kann. Was aber
von dem salomonischen Jesus zurückgeblieben war, das
siechte hin und starb in der Tat bald darnach. Das heißt:
Der eigentliche Jesusknabe der ersten Kapitel des
Matthäus-Evangeliums starb
verhältnismäßig bald nach seinem zwölften
Jahre. So haben wir also zunächst nicht einen
Jesusknaben, sondern wir haben ywei; dann aber werden
diese zwei einer.
Manchmal sprechen die Urkunden aus alten Zeiten sehr
merkwürdige Dinge aus, die man allerdings dann
verstehen muß, und man kann sie nur verstehen, wenn man
die entsprechenden Tatsachen kennt. Auf die nähere Art,
wie die beiden Knaben zusammenkommen, werden wir noch eingehen;
jetzt soll nur eines erwähnt werden.
In
dem sogenannten «Ägypter-Evangelium» findet sich
eine merkwürdige Stelle, die schon in den ersten
Jahrhunderten als sehr ketzerisch angesehen wurde, weil
man darüber in christlichen Kreisen nicht die Wahrheit
hören wollte, oder sie nicht aufkommen lassen wollte. Aber
es gibt etwas, was sich erhalten hat als ein apokryphes
Evangelium und darinnen wird gesagt, «daß das
Heil erscheinen wird in der Welt, wenn die Zwei Eines und das
Äußere wie das Innere werden wird». Dieser Satz
ist ein genauer Ausdruck des Tatbestandes, den ich Ihnen eben
aus den okkulten Tatsachen heraus geschildert habe. Davon
hängt das Heil ab, daß die zwei einer werden. Und sie
wurden einer, als im zwölften Jahr die
Zarathustra-Individualität überging in den
nathanischen Jesus, und das Innere wurde äußerlich.
Die Seelenkraft des Jesus des Lukas-Evangeliums war etwas
gewaltiges Innerliches. Aber dieses Innerliche wurde ein
Äußerliches, indem die
Zarathustra-Individualität, die an dem
Äußeren, an dem physischen Leib und Ätherleib
des salomonischen Jesus sich herangebildet hatte, diese
Innerlichkeit durchdrang und sie gleichsam mit den Kräften
durchsetzte, die am physischen und Ätherleibe
herangebildet waren» Da durchdrang diesen physischen Leib
und Ätherleib des nathanischen Jesus ein Kräftiges
von innen heraus, so daß das Äußere jetzt ein
Ausdruck des Inneren werden konnte, jenes Inneren, das
früher ein Inneres geblieben war, bevor der
Lukas-Jesusknabe von der Zarathustra- Individualität
durchdrungen worden war. - So waren die zwei eins geworden.
Wir
haben jetzt verfolgt den Zarathustra von seiner Geburt als der
Jesusknabe des Matthäus-Evangeliums bis zu seinem
zwölften Jahre, wo er seinen ursprünglichen Leib
zurückließ und einnahm die Leiblichkeit des
nathanischen Jesus, die er jetzt weiter ausbildete, so weit
ausbildete, daß er sie wirklich später auf einer
gewissen Höhe hinopfern konnte als seine drei Leiber
zur Aufnahme jener Wesenheit, die wir dann als den Christus
bezeichnen.
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