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Das Matthaus-Evangelium

Schmidt-Nummer: S-2277

Online seit: 31st January, 2017

SECHSTER VORTRAG

Bern, 6. September 1910

Jedem, der das Lukas-Evangelium in die Hand nimmt und jenes Kapitel betrachtet, in dem die Abstammung des dort behandelten Jesus zurückgeführt wird auf frühere Generationen, wird es ohne weiteres einleuchten können, daß die Absicht des Schreibers des Lukas-Evangeliums übereinstimmt mit dem, was gestern hier gesagt worden ist. Es handelte sich gestern darum, daß sozusagen in demselben Sinne, wie eine göttliche Kraftwesenheit durchdringen sollte den physischen Leib und Ätherleib des salomonischen Jesus, ebenfalls eine göttliche Kraftwesenheit durchdringen sollte den astralischen Leib und das Ich bei jener Persönlichkeit, die wir als den nathanischen Jesus, den Jesus des Lukas-Evangeliums kennen. Und deutlich wird es ja im LukasEvangelium gesagt: diese göttliche Kraftwesenheit soll das, was sie ist, dadurch sein, daß durch alle Generationen herunter die Erbfolge in einer geraden Linie von jener Stufe der Menschlichkeit strömt, da der Mensch noch nicht innerhalb des Erdendaseins zum ersten Male in eine irdische, physisch-sinnliche Inkarnation eingetreten ist. Wir sehen ja, wie das Lukas-Evangelium durch, sagen wir, Generationen die Abstammung seines Jesus zurückführt bis auf Adam, bis auf Gott. Das aber will nichts anderes heißen, als daß wir, wenn wir jenes Prinzip im astralischen Leibe und im Ich des nathanischen Jesus finden wollen, hinaufzugehen haben bis zu einem solchen Zustande des Menschen, da dieser Mensch noch nicht aufgenommen war von einer physischsinnlichen Erdeninkarnation, da er noch nicht herabgestiegen war aus dem göttlich-geistigen Dasein, sondern noch im Schöße jener geistigen Sphären war, innerhalb welcher wir den Menschen als ein gott- angehöriges, als ein göttliches Wesen bezeichnen können. Wir müssen ja im Sinne der ganzen anthroposophischen Auseinandersetzungen auf diesen Zeitpunkt der alten lemurischen Zeit hinweisen und ihn festsetzen als denjenigen, wo der Mensch noch nicht inkarniert war in den Elementen des Erdendaseins, sondern wo er noch in einer göttlich-geistigen Sphäre war. Bis hinauf in jene Zeiten, da der Mensch noch göttlicher Natur war und auch noch nicht das auf den Menschen gewirkt hatte, was wir den luziferischen Einfluß nennen, verfolgt tatsächlich das Lukas-Evangelium seinen Jesus.

In der Tat wollten diejenigen Mysterien, die ihre Schüler bis zu jener Einweihung führten, die wir gestern charakterisiert haben als die Erkenntnis der großen Geheimnisse des kosmischen Raumes, den Menschen hinausführen über alles Irdische, oder besser gesagt, über das, was der Mensch durch das Irdische geworden ist. Sie wollten lehren, wie man die Welt anschauen kann, wenn man sie nicht durch die Werkzeuge anschaut, die der Mensch seit der Zeit erhalten hat, da der luziferische Einfluß wirken konnte. Wie nimmt sich das Weltall aus für das hellseherische Anschauen, wenn der Mensch sich frei macht von der Wahrnehmung durch physischen Leib und Ätherleib, sich frei macht von allem, was aus dem Irdischen an ihn herankommen kann, das war zunächst die große Frage für die Mysterienschüler. In einem solchen Zustande war der Mensch auf natürliche Weise vor dem Eintreten in eine irdische Inkarnation und bevor er zu dem «irdischen Adam» geworden ist, um im Sinne der Bibel und des Lukas-Evangeliums besonders zu sprechen. Also nur ein Zweifaches gibt es, wodurch der Mensch das sein kann, was ihn zu einem göttlich-geistigen Menschen macht: Das eine ist die hohe Initiation der großen Mysterien; das andere ist nicht zu verwirklichen in einer beliebigen Erdenzeit, sondern war vorhanden auf einer elementaren Stufe des Menschenseins, vor dem Herabsteigen des göttlichen Menschen in der lemurischen Zeit zu dem, was die Bibel den «irdischen Menschen» nennt; denn «Adam» heißt «Erdenmensch», der nicht mehr göttlich-geistiger Art ist, sondern sich bekleidet hat mit den irdischen Elementen.

Nun könnte aber eines auffallen, wenn wir so etwas zum Ausdruck bringen. Das ist, daß ja immerhin nur siebenundsiebzig, sagen wir, Generationen oder Stufen des Daseins, Vererbungsstufen genannt werden. Schon beim Matthäus-Evangelium könnte es jemand auffällig finden, daß nur zweiundvierzig Generationen von Abraham bis auf Christus genannt werden, und er könnte nachrechnen, daß die Zahl der Jahre, die man gewöhnlich für eine Generation annimmt, nicht ausreichen würde bis zu Abraham hinauf Wer das sagen würde, müßte aber berücksichtigen, daß früher mit Recht für die alten Zeiten, für die Patriarchenzeiten von Salomo und David aufwärts, längere Zeiten angenommen wurden für die Dauer einer Generation als später. Wenn wir nur einigermaßen selbst mit den historischen Daten fertig werden wollen, dürfen wir nicht bei drei Generationen - zum Beispiel Abraham, Isaak und Jakob - das rechnen, was jetzt der Durchschnitt für drei Generationen ergeben würde, sondern wir müssen für diese drei Generationen etwa zweihundertfünfzehn Jahre festsetzen. Das ergibt auch die okkulte Forschung. Die Tatsache, daß für jene alten Zeiten die Dauer einer Generation länger anzusetzen ist als heute, ergibt sich noch deutlicher für die Generationen von Adam bis auf Abraham herunter. Bei der Generationenfolge von Abraham abwärts kann schon jeder sich klarmachen, daß die einzelne Generation länger angesetzt worden ist; denn es wird immer schon ein hohes Alter den Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob zugeschrieben, wenn sie einen Sohn bekommen, der ein Erbsohn ist. Und rechnet man gewöhnlich heute dreiunddreißig Jahre für eine Generation, so rechneten mit Recht diejenigen, die das Matthäus-Evangelium schrieben, in den alten Zeiten fünfundsiebzig bis achtzig und eine noch längere Anzahl von Jahren auf eine Generation. Aber wir haben zu betonen, daß im Matthäus-Evangelium bis zu Abraham gemeint sind einzelne Menschen. Nicht mehr aber sind einzelne Menschen gemeint, wenn wir von Abraham heraufgehen und diejenigen Namen in Betracht ziehen, die das Lukas-Evangelium anführt. Da müssen wir durchaus an etwas erinnern, was richtig ist, wenn es vielleicht auch für die heutigen materialistischen Vorstellungen der Menschen unglaublich erscheint.

Was wir heute unser Gedächtnis, unser zusammenhaltendes Bewußtsein nennen können, die Erinnerung an das Gleichbleibende unserer inneren Wesenheit, das reicht ja heute für den normalen Menschen nur bis in die ersten Kindheitsjahre. Der moderne Mensch wird, wenn er sein Leben zurückverfolgt, finden, daß irgendwo die Erinnerung abreißt. Der eine wird sich mehr, der andere weniger an die Kindheit erinnern. Aber unser heutiges Gedächtnis ist durchaus im einzelnen persönlichen Leben beschlossen, ja, umfaßt nicht einmal das ganze persönliche Leben bis zum Tage der Geburt. Wenn wir uns zum Bewußtsein bringen, wie die Seelenfähigkeiten, die Bewußtseinseigentümlichkeiten der Menschen überhaupt in alten Zeiten waren, wenn wir uns erinnern, wie wir in der Menschheitsevolution beim Zurückgehen auf Zeiten stoßen, wo ein gewisser hellseherischer Zustand normales menschliches Bewußtsein war, dann werden wir es auch nicht mehr verwunderlich finden, daß wir uns für diese verhältnismäßig naheliegenden Zeiten sagen können - was uns die Geistesforschung bestätigt -, daß die Bewußtseinsverhältnisse in bezug auf das Gedächtnis in alten Zeiten durchaus andere waren, als sie später geworden sind.

Wenn wir also hinter die Zeiten zurückgehen, die in der Bibel als die Zeiten des Abraham bezeichnet werden, wird die ganze Seelenverfassung doch etwas anders, als sie später war, und namendich wird das Gedächtnis anders. Und wenn wir von Abraham an noch weiter zurückgehen bis in die atlantische Zeit, durch die atlantische Zeit hindurch, so müssen wir sagen: Es war damals das Gedächtnis etwas ganz anderes. Es war vor allen Dingen so, daß man sich nicht nur, wie heute, zurückerinnerte an persönliche Erlebnisse des einzelnen Lebens, sondern man erinnerte sich durch die Geburt hindurch an das, was der Vater, was der Großvater und so weiter erlebt hatten. Gedächtnis war etwas, was durch das Blut durch eine Reihe von Generationen hindurchrann, und erst später wurde es für einzelne Zeiten und auf das einzelne Leben zusammengezogen.

Und wenn für die früheren Zeiten Namen gebraucht werden - die. Namengebung der alten Zeiten würde heute ein besonderes Studium erfordern -, so ist unter einem solchen Namen etwas ganz anderes zu begreifen, als was wir heute mit einem Namen verbinden. Und was die äußere Philologie heute darüber zu sagen weiß, ist wirklich ein ganz dilettantenhaftes Zeug. Der Gebrauch der Namen war früher ein ganz anderer. Man hätte sich überhaupt nicht eine solche Vorstellung machen können, daß Namen mit Dingen oder Wesenheiten so in äußerlicher Weise verknüpft werden könnten, wie es heute geschieht. Der Name war in alten Zeiten etwas, was wesenhaft war, was wesenhaft mit dem Wesen oder Ding zusammenhing und ausdrücken sollte den inneren Charakter des Wesens im Ton. Ein Nachklang des Wesens im Ton sollte der Name damals sein. Davon hat unsere heutige Zeit gar keinen Begriff mehr, denn sonst könnten solche Bücher heute nicht entstehen wie die «Kritik der Sprache» von Fritt^ Mauthner, die alles neuere Forschen, alle gelehrte Kritik der letzten Jahre über die Sprache in großartiger Weise berücksichtigt, aber nur nicht das, was für alte Zeiten das Wesenhafte der Sprache war. Der Name war durchaus in alten Zeiten nicht angewendet auf den einzelnen Menschen in seinem persönlichen Leben, sondern auf das, was durch das Gedächtnis zusammengehalten wurde, so daß sein Name so lange gebraucht wurde, als die Erinnerung dauerte. So ist Noah zum Beispiel nicht ein einzelner Mensch, sondern der Name Noah bedeutet, daß sich zunächst irgendein einzelner Mensch erinnert an sein eigenes Leben und dann durch die Geburt hindurch an das Leben seines Vaters, seines Großvaters und so weiter, so lange, als das Gedächtnis anhielt. So weit als der Gedächtnisfaden reichte, wurde für eine solche Folge von Menschen derselbe Name gebraucht. Ebenso sind Namen wie Adam, Seth oder Enoch derartige Namen, mit denen man an Personen so viel zusammenfaßte, als es möglich war, mit dem Gedächtnis in der Rückerinnerung zusammenzuhalten. Wenn also für die alten Zeiten gesagt wird, irgend jemand heißt Enoch, so will das sagen: Es entstand in einer Persönlichkeit, die der Sohn einer anders vorausbenannten Persönlichkeit war, ein neuer Gedächtnisfaden; da erinnerte er sich nicht mehr an die früheren Persönlichkeiten. Aber dieser neue Gedächtnisfaden hörte nun nicht auf mit dem Tode dieser zuerst Enoch benannten Persönlichkeit, sondern er pflanzte sich fort vom Vater auf den Sohn, auf den Enkel und so weiter, bis wieder ein neuer Gedächtnisfaden entstand. Und so lange dieser Gedächtnisfaden sich erhielt, gebrauchte man denselben Namen. Also es sind in der Generationenfolge verschiedene Persönlichkeiten zusammen damit bezeichnet, wenn zum Beispiel von Adam die Rede ist.

In diesem Sinne gebraucht das Lukas-Evangelium selbstverständlich die Namen; denn es will sagen: Diejenige Kraftwesenheit des göttlich-geistigen Daseins, die in das Ich und in den astralischen Leib des nathanischen Jesus hineingetaucht worden ist, müssen wir verfolgen bis da hinauf, wo der Mensch zum ersten Male in eine irdische Inkarnation gestiegen ist. Wir haben also im Lukas-Evangelium zunächst Namen für die einzelnen Persönlichkeiten. Gehen wir aber hinauf über Abraham hinaus, dann kommen wir in die Zeit, wo das Gedächtnis länger dauert, und nehmen das, was durch mehrere Persönlichkeiten gleichsam als ein Ich durch das Gedächtnis zusammengehalten wird, auch wirklich unter einem Namen zusammen.

So wird es Ihnen leichter werden, die siebenundsiebzig Namen, die das Lukas-Evangelium aufzählt, wirklich als ausgedehnt über sehr lange Zeiträume anzusehen, wirklich bis da hinauf, wo die Wesenheit, die wir als die göttlich-geistige Wesenheit des Menschen bezeichnen können, sich zum ersten Male inkarnierte in einem physisch-sinnlichen Menschenleib. Das andere, was darin gesucht werden muß, ist dies: Wer in den großen Mysterien durch die siebenundsiebzig Stufen das erreichte, daß er seine Seele reinigte von allem, was die Menschheit in dem Erdendasein aufgenommen hatte, der erreichte damit jenen Zustand, der heute nur möglich ist, wenn der Mensch leibfrei wird und in dem astralischen Leib und Ich leben kann. Da kann er sich ausgießen über das, aus dem die Erde selbst heraus entstanden ist, über den umliegenden Kosmos, über unser ganzes kosmisches System. Und das sollte sein. Dann hat er erreicht jene götdich-geistige Kraftwesenheit, welche in den astralischen Leib und das Ich des nathanischen Jesus einzog.

In dem nathanischen Jesus sollte dargestellt werden, was der Mensch nicht aus irdischen, sondern aus himmlischen Verhältnissen hat. So schildert uns das Lukas-Evangelium die göttlich-geistige Wesenheit, die durchdrungen, imprägniert hat astralischen Leib und Ich des Lukas-Jesus. Und das Matthäus-Evangelium schildert diejenige göttlichgeistige Kraftwesenheit, die auf der einen Seite in Abraham gewirkt hat, damit das innerliche Organ zum Jahve-Bewußtsein entstand. Und auf der anderen Seite ist es dieselbe Kraftwesenheit, die durch zweiundvierzig Generationen hindurch wirkte im physischen Leib und Ätherleib und die dort eine Vererbungslinie durch die zweiundvierzig Generationen zusammenfaßt.

Schon gestern habe ich erwähnt, daß diese Lehren, namentlich die Lehren des Matthäus-Evangeliums in bezug auf diese Herkunft des Blutes des Jesus von Nazareth, gepflegt wurden, zum Verständnis gebracht wurden in jenen Gemeinden, die wir die Therapeuten- und Essäergemeinden nennen können, und daß als großer Lehrer innerhalb der Therapeuten und Essäer Jeshu ben Pandira wirkte, der vorzubereiten hatte das Zeitalter des Christus Jesus. Er hatte wenigstens einige wenige darauf vorzubereiten, daß mit dem Ablauf eines bestimmten Zeitpunktes, nämlich zweiundvierzig Generationen nach Abraham, das hebräische Volk sozusagen so weit sein würde, daß die Zarathustra- Individualität sich werde inkarnieren können in einem Sproß der Abraham-Linie, in einem Sproß der salomonischen Linie des Hauses David. Das ist vorausgelehrt worden. Dazu gehörte natürlich in der damaligen Zeit Mysterienerfahrung. In der damaligen Zeit wurde dies nicht nur in den Essäerschulen gelehrt, sondern es gab in den Essäerschulen auch solche Zöglinge, welche die zweiundvierzig Stufen auch wirklich durchmachten, so daß sie hellseherisch schauen konnten, wie jene Wesenheit war, die durch die zweiundvierzig Stufen heruntergestiegen ist. Es sollte die Welt darüber aufgeklärt werden durch entsprechende Lehren. Dafür hatten die Essäer zu sorgen, daß wenigstens bei einigen Menschen Verständnis vorhanden wäre für das, was der Christus sein werde.

Nun haben wir schon erwähnt, welchen eigentümlichen Gang jene Menschenindividualität zunächst genommen hat, die sich in jenem Blute inkarniert hat, von dessen Zusammensetzung das MatthäusEvangelium spricht. Wir wissen, daß dieser ursprüngliche große Lehrer, der unter dem Namen Zarathustra oder Zoroaster bekannt ist, im Morgenlande das lehrte, was wir hinlänglich betrachtet haben, was ihn geradezu geeignet gemacht hat für diese Inkarnation. Wir wissen, daß er eingeleitet hat die ägyptische Hermes-Kultur, indem er zu diesem Zwecke hingeopfert hat seinen astralischen Leib, der dann dem Hermes eingeprägt wurde. Wir wissen ferner, daß er hingeopfert hat seinen damaligen Ätherleib, der aufbewahrt wurde für Moses, und daß Moses für seine Kulturschöpfung in sich hatte den Ätherleib des Zarathustra. Zarathustra selber hat sich später weiter inkarnieren können in anderen astralischen und Ätherleibern. Besonders interessiert uns dann die Inkarnation des Zarathustra im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung als Zarathas oder Nazarathos im alten Chaldäa, wo er als Schüler hatte die chaldäischen Weisen und Magier, und wo insbesondere die weisesten der hebräischen Geheimschüler zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft mit ihm in Berührung kamen. Und die ganzen folgenden sechs Jahrhunderte waren für die chaldäischen Geheimschulen erfüllt von den Traditionen, Zeremonien und Kulten, die herrührten von Zarathustra in der Persönlichkeit des Zarathas oder Nazarathos. Und alle die Generationen von chaldäischen, babylonischen, assyrischen und so weiter Geheimschülern, die in jenen Gegenden Asiens lebten, verehrten aufs höchste den Namen dieses ihres großen Meisters, des Zarathustra, unter der Veränderung als Zarathas oder Nazarathos. Und sie warteten sehnsüchtig auf die nächste Inkarnation ihres großen Lehrers und Führers, denn sie wußten, daß er wiedererscheinen werde nach sechshundert Jahren. Das Geheimnis von diesem Wiedererscheinen war ihnen bekannt; das lebte sozusagen wie etwas, was ihnen von der Zukunft hereinschien.

Und als die Zeit heranrückte, da das Blut für die neue Inkarnation des Zarathustra bereitet war, da machten sich die drei Abgesandten, die drei weisen Magier aus dem Morgenlande, auf. Sie wußten, daß der verehrte Name des Zarathustra selber wie ihr Stern sie führen würde nach jenem Orte, wo die Wiederinkarnation des Zarathustra stattfinden sollte. Es war die Wesenheit des großen Lehrers selber, die als der «Stern» die drei Magier hinführte zur Geburtsstätte des Jesus des Matthäus-Evangeliums. - Auch das ist ja selbst äußerlich philologisch zu belegen, daß in der Tat das Wort« Stern» als Name für menschliche Individualitäten in alten Zeiten gebraucht worden ist. Nicht nur durch die Geistesforschung, die es uns aus ihren Quellen klarer als etwas anderes sagt, daß damals die drei Magier folgten dem Stern Zoroaster, dem «Goldstern» Zoroaster, daß er sie dahin führte, wo er sich wieder in- karnieren wollte, sondern auch aus dem Gebrauch des Wortes « Stern» für hohe menschliche Individualitäten - wie gesagt, eine Tatsache, die auch philologisch belegt werden kann - könnte sich schon manchem ergeben, daß unter dem Stern, der die Weisen führte, Zarathustra selbst zu verstehen ist.

Sechs Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung sind also die Magier des Morgenlandes zusammengewesen mit jener Individualität, die sich inkarnierte als der Jesus des Matthäus-Evangeliums. Und Zarathustra selber führte die Magier dahin; sie folgten seiner Spur. Denn es war sozusagen der Zug des Zarathustra, des die Magier führenden, nach Palästina ziehenden Sternes, der die Magier leitete auf ihren Wegen von den morgenländischen, chaldäischen Mysterien nach Palästina, wo sich Zarathustra zu seiner nächsten Inkarnation anschickte.

Dieses Geheimnis von der künftigen Inkarnation des Zarathustra, des Zarathas oder Nazarathos, kannte man auch in den chaldäischen Mysterien. Das Geheimnis aber von dem Blut des hebräischen Volkes, welches geeignet sein sollte, wenn der entsprechende Zeitpunkt herangekommen wäre, für die neue Leiblichkeit des Zarathustra, das lehrten jene, die in den Essäermysterien sozusagen hinaufgehoben wurden durch die zweiundvierzig Stufen.

Es waren also im Grunde zweierlei Menschen, die zunächst um das Geheimnis des Jesus des Matthäus-Evangeliums etwas wußten. Von der Zarathustra-Seite her, wo auf die Individualität, die sich im jüdischen Blute inkarnieren sollte, hingewiesen wurde, kannten es die chaldäischen Eingeweihten; von der Blutseite, von der äußeren Seite, von der Seite des Leibes her kannten es die Essäer. Es war also schon eine Lehre, die ungefähr durch hundert und mehr Jahre in den Essäer- schulen gelehrt worden war, die Lehre von dieser Ankunft des Jesus des Matthäus-Evangeliums, jenes Jesus, der in seiner Gesamtheit erfüllen sollte einmal alle Bedingungen, von denen ich gesprochen habe, dann aber auch noch andere, die wir etwa in der folgenden Weise charakterisieren können.

Ein solcher Essäerschüler wurde nach langer Zeit nach vielen Reinigungen und Übungen seiner Seele durch die zweiundvierzig Stufen hinaufgeführt, um sozusagen zu sehen die Geheimnisse des physischen Leibes und Ätherleibes. Derjenige, der da geboren werden sollte, der sich in dieses Blut hineininkamieren sollte, stieg von oben herunter; er hatte die Fähigkeiten, welche der Essäerschüler nur nach langen schweren Prüfungen durch die zweiundvierzig Stufen hindurch erreichen konnte. Von dem, der da herunterstieg, mußte man sagen: Er hat von vornherein die Fähigkeiten, um solche Anlagen zur Entwickelung zu bringen. - Sie waren mit ihm geboren, sagte man in den Essäer- gemeinden. Im Grunde aber war das, was in den Essäergemeinden gepflegt worden ist an Übungen und Reinigungen der Seele, die Fortsetzung einer Art Geheimschulung, die auch sonst seit uralten Zeiten innerhalb des Judentums bestanden hat.

Es gab im Judentum immer das, was man bezeichnete als Nasireat oder Nasiräertum. Dieses bestand darin, daß einzelne Menschen - auch schon vor der Entstehung der Therapeuten- und Essäersekten - auf sich ganz bestimmte Methoden der Seelen- und Körperentwickelung anwandten. Namentlich wandten die Nasiräer eine Methode an, die in einer gewissen Diät bestand und die auch heute noch in gewisser Beziehung nützlich ist, wenn der Mensch in seiner Seelenentwickelung rascher vorschreiten will, als es sonst möglich ist. Besonders enthielten sie sich vollständig der Fleischkost und des Weingenusses. Damit verschafften sie sich die Möglichkeit einer gewissen Erleichterung, weil in der Tat die Fleischkost den geistig strebenden Menschen in der Entwickelung aufzuhalten vermag. Es ist tatsächlich so - was keine Propaganda für den Vegetarismus sein soll daß durch die Enthaltung von der Fleischkost alles erleichtert wird. Der Mensch kann in der Seele widerstandskräftiger werden und sich stärker erweisen im Überwinden jener Widerstände und Hemmnisse, die aus dem physischen Leibe und Ätherleibe kommen, wenn die Fleischkost fortfällt. Ertragsamer, ertragfähiger wird dann der Mensch. Aber natürlich wird er es nicht dadurch, daß er sich bloß der Fleischkost enthält, sondern vor allem dadurch, daß er sich in seiner Seele stärker macht. Wenn er sich bloß vom Fleisch enthält, macht er damit nur seinen physischen Körper anders; und wenn dann das nicht vorhanden ist, was von der Seelenseite da sein soll und den Körper durchdringen soll, dann hat das Enthalten von Fleisch gar keinen besonderen Zweck.

Es bestand also dieses Nasiräertum. Unter einer viel strengeren Gestalt der Vorschriften aber setzten es die Essäer fort; sie nahmen noch ganz andere Dinge dazu. Alles, was ich Ihnen gestern und vorgestern erzählt habe, nahmen sie hinzu. Besonders aber pflegten sie strengste Enthaltung von der Fleischkost. Dadurch wurde verhältnismäßig rasch erreicht, daß solche Menschen lernten, ihre Erinnerung zu erweitern und hinaufzusehen über zweiundvierzig Generationen hinauf, daß sie lernten hineinschauen in die Geheimnisse der Akasha-Chronik. Sie wurden das, was man nennen kann eine Stammknospe an einem Zweig, eine Knospe an einem Baum, an einer Pflanze, die sich durch viele Generationen hindurchschlingt. Sie waren nicht bloß etwas Losgelöstes vom Baum der Menschheit; sie fühlten die Fäden, die sie banden an den Baum der übrigen Menschheit. Sie waren etwas anderes als die, welche sich vom Stamme loslösten und deren Gedächtnis sich einschränkte auf die einzelne Persönlichkeit. Solche Menschen benannte man nun auch innerhalb der Essäergemeinden mit einem Wort, das ausdrücken sollte «ein lebendiger Zweig», nicht ein abgeschnittener Zweig. Das waren solche Menschen, die sich darinnen fühlten in der Generationenfolge, sich nicht abgeschnitten fühlten vom Baum der Menschheit. Die Schüler, die im Essäertum namentlich diese Richtung pflegten, die die zweiundvierzig Stufen durchgemacht hatten, bezeichnete man als Nezer.

Auch aus dieser Klasse der Nezer hatte einen treuen, einen besonderen Schüler derjenige, den ich gestern als Lehrer innerhalb der Essäergemeinden genannt habe: Jesus, Sohn des Pandira. Denn dieser Jeshu ben Pandira, der den Okkultisten ziemlich genau bekannt ist, hatte fünf Schüler, von denen jeder einen besonderen Zweig der gemeinsamen großen Lehre des Jeshu ben Pandira übernahm und für sich dann fortsetzte. Diese fünf Schüler des Jeshu ben Pandira trugen folgende Namen: Mathai, Nakai, der dritte Schüler hatte, weil er besonders aus der Klasse der Nezer war, geradezu den Namen Nezer, dann Boni und Thona. Diese fünf Schüler oder Jünger des Jeshu ben Pandira, der ein Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in der schon erzählten Weise den Märtyrertod wegen Gotteslästerung und Häresie erlitten hat, pflanzten sozusagen in fünf verschiedenen Zweigen fort die große, umfassende Lehre des Jeshu ben Pandira. Insbesondere wurde - so lehrt die geisteswissenschaftliche Forschung - nach dem Tode des Jeshu ben Pandira die Lehre von der Zubereitung des Blutes für den zu erscheinenden Jesus des Matthäus-Evangeliums fortgepflanzt durch den Schüler Mathai. Und jene Lehre von der inneren Seelenverfassung, welche mit dem alten Nasireat, aber auch mit dem neueren Nezertum zusammenhing, wurde fortgesetzt von dem anderen großen Schüler des Jeshu ben Pandira, von Nezer. Und Nezer war insbesondere dazu ausersehen, eine kleine Kolonie zu gründen. Solcher Kolonien der Essäer gab es in Palästina eine ganze Anzahl, und in einer jeden wurde ein besonderer Zweig des Essäertums gepflegt. Das Nezertum, das besonders der Schüler Nezer weiter zu pflegen hatte, sollte vor allem in jener Kolonie gepflegt werden, die ein geheimnisvolles Dasein führte und im Grunde einen kleinen Ort nur bildete in der damaligen Zeit, in der Kolonie, die dann in der Bibel den Namen Nazareth empfing. Dort in Nazareth - Nezereth - war eine Essäerkolonie angelegt von Nezer, dem Schüler des Jeshu ben Pandira. Da waren Leute - in ziemlich strengem Geheimnis lebten sie die das alte Nasireat pflegten. Daher gab es, nachdem jene anderen Vorgänge sich vollzogen hatten, über die ich noch zu sprechen habe, nach der Übersiedelung nach Ägypten und der Rückkehr von dort für den Jesus des Matthäus-Evangeliums nichts Näherliegendes, als daß er in die Atmosphäre dieses Nezertums gebracht wurde. Das wird auch angedeutet mit dem entsprechenden Wort des Matthäus-Evangeliums nach der Rückkehr aus Ägypten: Er wurde in das Fleckchen Nazareth gebracht, «auf daß erfüllet würde, das da gesagt ist durch die Propheten: Er soll ein Nazaräer werden» (Matth. 2, 23). - Das ist in der verschiedensten Weise dann übersetzt worden, weil die Übersetzer den Sinn nicht recht kannten und keiner so recht wußte, was damit gemeint war. Darum handelte es sich: daß hier eine Essäerkolonie war, wo der Jesus zunächst heranwachsen sollte.

Jetzt aber wollen wir, bevor wir auf die anderen Details und namentlich auf die Beziehungen zu dem Jesus des Lukas-Evangeliums eingehen, nur noch in großen Zügen auf einiges bei dem Jesus des Matthäus-Evangeliums hinweisen. Alles, was zunächst im Matthäus-Evangelium geschildert wird, führt zurück auf die Geheimnisse, die Jeshu ben Pandira im Essäertum gelehrt hat, und die dann als Lehrgut fortgepflanzt hat sein Schüler Mathai, und schon die ersten Geheimnisse des Matthäus-Evangeliums weisen uns hin auf diesen Schüler Mathai. Durch alles, was sozusagen von dieser Seite herkam, welche das Matthäus-Evangelium charakterisiert, konnten zubereitet werden der physische Leib und der Ätherleib des Jesus des Matthäus-Evangeliums, wenn es sich selbstverständlich innerhalb der zweiundvierzig Generationen auch um Einflüsse auf den astralischen Leib handelte. Aber wenn wir auch gesagt haben, daß während der ersten vierzehn Generationen der physische Leib, während der zweiten vierzehn Generationen der Ätherleib, und daß für die dritten vierzehn Generationen - seit der babylonischen Gefangenschaft - der astralische Leib in Betracht kommt, so müssen wir doch festhalten, daß das, was auf diese Weise richtig zubereitet worden ist für den Zarathustra, nur brauchbar war für diese mächtige Individualität, insofern es physischer Leib und Ätherleib war.

Nun erinnern Sie sich, wie ich Ihnen immer gesagt habe, daß der Mensch in seiner einzelnen persönlichen Entwickelung von der Geburt bis zum siebenten Jahre vorzugsweise den physischen Leib entwickelt, daß er während der nächsten sieben Jahre, vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, besonders den Ätherleib entwickelt; dann erst kommt die freie Entwickelung des astralischen Leibes. Was Entwickelung des physischen Leibes und Ätherleibes ist, sollte in dem besonderen physischen und Ätherleibe, die durch die mit Abraham beginnenden Generationen zubereitet worden sind, zum Abschluß kommen und von Zarathustra in der neuen Inkarnation durchlebt werden. Dann aber, wenn er bis zum Ende der Entwickelung des Ätherleibes gekommen war, war das, was ihm zubereitet worden war, nicht mehr genügend, und er mußte nun heranschreiten an die Entwickelung des astralischen Leibes.

Dazu geschieht nun das Gewaltige und Wunderbare, ohne dessen Verständnis wir das ganze große Mysterium von dem Christus Jesus nicht begreifen können. Die Zarathustra-Individualität entwickelte sich während der Knabenzeit im physischen Leibe und Ätherleibe des Jesus des Matthäus-Evangeliums bis zum zwölften Jahre; denn bei dieser Individualität und vermöge des Klimas trat der Zeitpunkt, den wir für unsere Gegenden als den des vierzehnten, fünfzehnten Jahres bezeichnen, etwas früher ein. Da war bis zum zwölften Jahre alles erreicht, was in dem entsprechend zubereiteten physischen und Ätherleibe der salomonischen Linie erreicht werden konnte. Und da verließ in der Tat die Zarathustra-Individualität diesen physischen Leib und Ätherleib, von denen im Matthäus-Evangelium zunächst die Rede ist, und ging über in den Jesus des Lukas-Evangeliums. Denn aus den Vorträgen über das Lukas-Evangelium wissen wir schon, daß in der Tat mit der Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel, wie sie Lukas erzählt (Luk. 2, 42-50), folgendes gemeint ist: Da, wo plötzlich der Jesusknabe des Lukas-Evangeliums seinen Eltern so entgegentritt, daß sie ihn gar nicht verstehen können, wo er ein ganz anderer ist, da hat sich vollzogen, daß in sein Inneres eingezogen ist die Zara- thustra-Individualität, die bis dahin ihre Entwickelung in dem physischen Leib und Ätherleib des salomonischen Jesus durchgemacht hat. - Solche Dinge gibt es im Leben, so schwer sie auch heute bei der Natur der laienhaften materialistischen Weltanschauung geglaubt werden. Der Übergang einer Individualität aus einem Leib in einen anderen Leib kommt vor. Und damals fand so etwas statt, als die Zarathustra- Individualität den ursprünglichen Leib verließ und hinüberdrang in den Jesus des Lukas-Evangeliums, in dem nun besonders zubereitet war der astralische Leib und der Ich-Träger.

So konnte Zarathustra in dem besonders zubereiteten astralischen Leibe und Ich des nathanischen Jesus vom zwölften Jahre ab die Weiterentwickelung fortführen. Das wird uns im Lukas-Evangelium in einer so großartigen Weise dargestellt, wo auf das Ungeheuerliche hingewiesen wird, daß der zwölfjährige Jesus im Tempel unter den Schriftgelehrten sitzt und Dinge sagt, die ganz merkwürdig klingen. Wodurch konnte das der Jesus der nathanischen Linie? Er konnte es, weil in diesem Moment die Zarathustra-Individualität in ihn «hineingefahren» war. Zarathustra hat aus diesem Knaben, der damals nach Jerusalem gebracht worden war, bis zum zwölften Jahre nicht gesprochen; daher war die Charakterveränderung so stark, daß die Eltern ihn nicht wiedererkannten, als sie ihn zwischen den Schriftgelehrten sitzend wiederfanden.

So haben wir es also mit zwei Elternpaaren zu tun, die beide Joseph und Maria heißen - so haben damals viele geheißen; aber aus den Namen Joseph und Maria etwas abzuleiten bei der Art, wie man heute Namen versteht, das ist etwas, was jeder wahrhaften Forschung widerspricht -, und mit zwei Jesusknaben. Von dem einen, dem Jesus der salomonischen Linie des Hauses David, kündet uns die Geschlechterfolge des Matthäus-Evangeliums. Der andere Knabe, der Jesus der nathanischen Linie, ist der Sohn eines ganz anderen Elternpaares, und von ihm berichtet das Lukas-Evangelium. Die beiden Knaben wachsen nebeneinander auf und werden nebeneinander bis zu ihrem zwölften Jahre entwickelt. Das können Sie in den Evangelien finden. Das Evangelium spricht überall richtig. Und so lange man nicht wollte, daß die Leute die Wahrheit erführen, oder die Leute die Wahrheit nicht hören wollten, hat man ihnen auch die Evangelien vorenthalten. Man muß die Evangelien nur verstehen; sie sprechen richtig.

Der Jesus aus der nathanischen Linie wächst heran mit einer ungeheuren Innerlichkeit. Wenig geschickt ist er, äußere Weisheit und äußere Kenntnisse sich anzueignen. Er ist aber von einer schier unbegrenzten Innigkeit des Gemüts, von einer schier unbegrenzten Liebefähigkeit, weil in seinem Ätherleibe jene Kraft lebte, die herunterströmte aus der Zeit, da der Mensch noch nicht in eine irdische Inkarnation hinuntergestiegen war, wo er noch ein göttliches Dasein führte. Das göttliche Dasein lebte in ihm in einer unbegrenzten Liebefähigkeit. So war dieser Knabe wenig geeignet für das, was die Menschen durch die Inkarnationen hindurch sich angeeignet haben durch die Werkzeuge des physischen Körpers; dagegen groß und ungeheuer durchdrungen von Liebeswärme war er in bezug auf seine Seele, in bezug auf sein Inneres. So sehr war er innerlich, daß sich etwas abspielte, was diejenigen, die davon wußten, hinwies auf die ganze große Innerlichkeit dieses Knaben. Was der Mensch sonst nur an der Außenwelt entzündet, das konnte der Jesus des Lukas-Evangeliums in gewisser Weise von Anfang an: er sprach gewisse Worte gleich nach seiner Geburt, die seiner Umgebung verständlich waren. So war er groß in bezug auf alles Innerliche, ungeschickt in bezug auf alles, was durch die Generationen der Menschheit auf der Erde selbst zu erringen war. Und sollten nicht die Eltern aufs höchste überrascht gewesen sein, als sich ihnen jetzt innerhalb dieser so herangewachsenen Leiblichkeit plötzlich ein Knabe zeigte, der von allem durchdrungen war, was äußere Weisheit ist, was man sich mit äußeren Werkzeugen aneignen muß? Diese so plötzliche, so gewaltige Umänderung war deshalb möglich, weil in jenem Moment die Zarathustra-Individualität von dem salomonischen Jesusknaben auf diesen Jesus der nathanischen Linie übergegangen war. Zarathustra, Zarathas sprach aus diesem Knaben in dem Moment, der uns geschildert wird, als ihn die Eltern imTempel suchten.

Zarathustra hatte sich natürlich alle jene Fähigkeiten angeeignet, die man sich aneignen kann durch den Gebrauch der Instrumente des physischen Leibes und des Ätherleibes. Er hatte sich aussuchen müssen die Blutlinie der salomonischen Richtung und die dadurch zubereitete Leiblichkeit, weil dort die starken Kräfte vorhanden und aufs höchste ausgebildet waren. Aus dieser Leiblichkeit nahm er, was er sich aneignen konnte, und das verband er nun mit dem, was aus jener Innerlichkeit stammte, die aus der Jesusgestalt des Lukas-Evangeliums herkam, die herabzog von einer Zeit, da der Mensch noch nicht in einer irdischen Inkarnation war. Diese beiden Dinge verbanden sich jetzt zu einem. Eine Wesenheit haben wir jetzt vor uns. Und zum Überflusse, möchte ich sagen, werden wir jetzt noch auf etwas Besonderes aufmerksam gemacht: Nicht nur die Eltern des Lukas-Jesus nahmen eine besondere Veränderung wahr, fanden etwas, was sie nicht voraussetzen konnten, sondern diese Veränderung zeigt sich auch äußerlich. Warum wird da, als der Jesusknabe von seinen Eltern unter den Schriftgelehrten im Tempel gefunden wird, ganz besonders angeführt: «Und er ging mit ihnen hinab und kam gen Nazareth ... Und Jesus nahm zu an äußerer physischer Wohlgestalt, nahm zu an edelsten Gewohnheiten und nahm zu an Weisheit»? (Luk. 2, 51-52.) Warum werden diese drei Eigenschaften genannt? Weil es drei Eigenschaften waren, die ihm besonders jetzt eignen konnten, wo die Zarathustra-Individualität in ihm war.

Ich bemerke ausdrücklich, daß diese drei Worte gewöhnlich in den gebräuchlichen Bibeln übersetzt werden: «Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.» Ich möchte wissen, ob man wirklich ein Evangelium braucht, um zu sagen: ein zwölfjähriger Knabe nimmt zu an Alter? Sie finden sogar in der Übersetzung von Weizsäcker: «Und Jesus nahm zu an Weisheit und Gestalt und Gnade bei Gott und Menschen.» Das ist aber alles nicht gemeint; sondern gemeint ist, daß jetzt eine Individualität in dem nathanischen Jesusknaben war, die nicht, wie früher, bloß innerlich war, die sich äußerlich nicht ankündigte, sondern die jetzt, weil sie sich herangebildet hatte in einem vollendeten physischen Leib, auch überging in die äußere physische Wohlgestalt. Aber auch, was in dem Ätherleibe besonders gepflegt wird, was man sich im Ätherleibe aus dem Leben an Gewohnheiten aneignet und ausbildet, das war früher bei dem nathanischen Jesus nicht vorhanden. Bei diesem trat auf eine gewaltige Anlage zur Liebefähigkeit, und darauf konnte jetzt weiter gebaut werden. Aber diese Anlage war mit einem Schlage da, die konnte sich nicht in die Gewohnheiten hineinpressen. Jetzt aber war die andere Individualität da, die in sich die Kräfte hatte aus einem Heranwachsen des physischen Leibes und des Ätherleibes, und jetzt konnten sich auch äußerlich Gewohnheiten zeigen und in den Ätherleib hineingießen. Das ist das zweite, an dem der Jesusknabe zunahm. Das dritte, «an Weisheit», ist schon etwas selbstverständlicher. Der Jesus des LukasEvangeliums war nicht weise; er war ein im höchsten Grade liebefähiges Wesen. Aber das Zunehmen an Weisheit war dadurch gegeben, daß die Zarathustra-Individuaütät in ihn einzog.

Ich habe schon bei Besprechung des Lukas-Evangeliums gesagt, daß es sehr leicht sein kann, daß eine Persönlichkeit, die von der Individualität verlassen wird und nur die drei Leiber, physischen Leib, Ätherleib, astralischen Leib noch hat - denn die bleiben dabei zurück -, eine Zeitlang noch leben kann. Was aber von dem salomonischen Jesus zurückgeblieben war, das siechte hin und starb in der Tat bald darnach. Das heißt: Der eigentliche Jesusknabe der ersten Kapitel des Matthäus-Evangeliums starb verhältnismäßig bald nach seinem zwölften Jahre. So haben wir also zunächst nicht einen Jesusknaben, sondern wir haben ywei; dann aber werden diese zwei einer.

Manchmal sprechen die Urkunden aus alten Zeiten sehr merkwürdige Dinge aus, die man allerdings dann verstehen muß, und man kann sie nur verstehen, wenn man die entsprechenden Tatsachen kennt. Auf die nähere Art, wie die beiden Knaben zusammenkommen, werden wir noch eingehen; jetzt soll nur eines erwähnt werden.

In dem sogenannten «Ägypter-Evangelium» findet sich eine merkwürdige Stelle, die schon in den ersten Jahrhunderten als sehr ketzerisch angesehen wurde, weil man darüber in christlichen Kreisen nicht die Wahrheit hören wollte, oder sie nicht aufkommen lassen wollte. Aber es gibt etwas, was sich erhalten hat als ein apokryphes Evangelium und darinnen wird gesagt, «daß das Heil erscheinen wird in der Welt, wenn die Zwei Eines und das Äußere wie das Innere werden wird». Dieser Satz ist ein genauer Ausdruck des Tatbestandes, den ich Ihnen eben aus den okkulten Tatsachen heraus geschildert habe. Davon hängt das Heil ab, daß die zwei einer werden. Und sie wurden einer, als im zwölften Jahr die Zarathustra-Individualität überging in den nathanischen Jesus, und das Innere wurde äußerlich. Die Seelenkraft des Jesus des Lukas-Evangeliums war etwas gewaltiges Innerliches. Aber dieses Innerliche wurde ein Äußerliches, indem die Zarathustra-Individualität, die an dem Äußeren, an dem physischen Leib und Ätherleib des salomonischen Jesus sich herangebildet hatte, diese Innerlichkeit durchdrang und sie gleichsam mit den Kräften durchsetzte, die am physischen und Ätherleibe herangebildet waren» Da durchdrang diesen physischen Leib und Ätherleib des nathanischen Jesus ein Kräftiges von innen heraus, so daß das Äußere jetzt ein Ausdruck des Inneren werden konnte, jenes Inneren, das früher ein Inneres geblieben war, bevor der Lukas-Jesusknabe von der Zarathustra- Individualität durchdrungen worden war. - So waren die zwei eins geworden.

Wir haben jetzt verfolgt den Zarathustra von seiner Geburt als der Jesusknabe des Matthäus-Evangeliums bis zu seinem zwölften Jahre, wo er seinen ursprünglichen Leib zurückließ und einnahm die Leiblichkeit des nathanischen Jesus, die er jetzt weiter ausbildete, so weit ausbildete, daß er sie wirklich später auf einer gewissen Höhe hinopfern konnte als seine drei Leiber zur Aufnahme jener Wesenheit, die wir dann als den Christus bezeichnen.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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