ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT
Wien, 21. Januar 1913
(Hörernotizen)
Als
ich das letzte Mal hier vor Ihnen sprechen durfte,
berührte ich in einer kurzen Weise jenen bedeutungsvollen
Abschnitt im menschlichen Leben, der verfließt zwischen
Tod und neuer Geburt. Es geht nicht an, diesen Abschnitt im
menschlichen Leben so zu behandeln, als ob er für das
physische Leben gleichgültig sei. Wir müssen uns klar
sein darüber, daß die Kräfte unseres Lebens
nicht allein aus der Welt kommen, in welcher wir uns mit
unserer physischen Leiblichkeit befinden, sondern daß die
Kräfte unseres Lebens ganz wesentlich aus den
überphysischen Welten kommen, denen wir allein
angehören zwischen Tod und Geburt. Und wir können im
Grunde genommen nur wissen, wie es sich hier verhält, wenn
wir uns Vorstellungen bilden können von dem Leben zwischen
Tod und Geburt.
Eigentlich ist der Mensch im allgemeinen in einem gewissen
Traumoder Schlafleben befangen. Jene Menschen, die durch das
physische Dasein, wo sie ihr alltägliches Leben
führen und über nichts nachdenken, hindurchgehen,
gleichen in der Tat Schläfern des Lebens; und die, welche
sich bekümmern um das, was über das physische Leben
hinausliegt, was hereinwirkt in das physische Leben, das sind
Menschen, die auch für das physische Dasein aufwachen. Wir
können anknüpfen an die Betrachtungen von dazumal,
die uns zeigen können, wie Geisteswissenschaft, wenn sie
im richtigen Sinne verstanden wird, geeignet ist, in das
gesamte menschliche Dasein einzugreifen. Wir werden sehen,
daß die ganze Menschheit, wenn Geisteswissenschaft
allmählich immer mehr eindringen kann, auch so etwas
erleben wird wie ein Aufwachen aus einer Art von Lebensschlaf.
Viele Dinge dringen an den Menschen heran, die zunächst
unbekannt und rätselhaft erscheinen, rätselhaft viel
mehr für das Gefühl als für den trockenen
Verstand. Rätselhaft in gewissem Sinne ist der Augenblick,
da eine Mutter an dem Sarge ihres Kindes steht oder umgekehrt.
Wenn man sich ein wenig gründlicher zu beschäftigen
hat mit dem menschlichen Leben, wird man schon gewahr, wie
Rätselvolles im Leben dem Menschen aufgeht. Es kommen oft
Menschen zu mir, deren Schwester, deren Mann oder Frau
gestorben ist. Sie sagen: Ich habe früher nicht
nachgedacht über den Tod, mich nicht bekümmert um
das, was danach folgen wird, aber seit mir dieser nahestehende
Verwandte weggenommen ist, ist es mir, als ob er noch da ist,
und da bin ich getrieben worden zur Betrachtung der
Geisteswissenschaft. — Durch das Leben werden die
Menschen zur Geisteswissenschaft gebracht, und sie vergilt
reichlich, was da durch sie geschieht, denn Geisteswissenschaft
kann das Leben durchdringen mit Kräften, die nur von ihr
kommen.
Wenn der Mensch nicht mehr für physische Sinne da ist,
entsteht zunächst die Rätselfrage: Wie ist es dann
mit dem Menschen nach dem Tode? Äußere Wissenschaft
kann keine Antwort geben, weil sie nur konstatiert, was Augen
sehen, die ja zerfallen. Auch das physische Gehirn
zerfällt; und es ist klar, daß es nichts nützen
kann für das, was der Mensch erlebt ohne physische
Hülle. Und dennoch liegen die Fragen gewaltig da, welche
sich auf das Jenseits beziehen. Im Grunde genommen nützen
zur Klärung dieser Fragen allgemeine Betrachtungen gar
nicht so viel wie einzelne konkrete Fälle, welche
schildern, wie dies oder jenes sich ausnehmen mag. Das kann
unmittelbar eingreifen in das Leben.
Ausgehen können wir vom Leben hier. Sie werden vielleicht
da oder dort den Fall erfahren haben, daß jemand durch
seine innere Sehnsucht, durch seine Seelenverfassung zur
Geisteswissenschaft getrieben wird, aber ein anderer, der wird
ihr immer feindlicher. Der eine wird immer tiefer da
hineingehen, sein Freund immer feindlicher der
Geisteswissenschaft werden. Das Leben bietet aber nicht nur in
der Natur eine Maja, sondern auch da, wo es unmittelbar unsere
Seele berührt im Verhältnis zu den Menschen. Gerade
was jetzt erwähnt worden ist, kann eine völlige
Täuschung sein: Der Mensch, der sich eingeredet hat, alles
das sei Unsinn — in jenen Seelentiefen, bis zu denen er
mit dem Bewußtsein nicht hinunterdringt, entwickelt er
eine geheime Liebe dazu. In den Untergründen kann Liebe
dasjenige sein, was auflebt als Haß. Solche Dinge kann man
im physischen Menschenleben finden. Wenn der Mensch durch die
Pforte des Todes getreten ist, wirken auch alle geheimen
Seelenkräfte und Sehnsuchten nach, das, was er im
physischen Leben unterdrückt hat, tritt auf als der Inhalt
der Läuterungszeit. Wir sehen Menschen durch die Pforte
des Todes gehen, die hier Feinde der Geisteswissenschaft waren;
nach dem Tode entwickeln sie die intensivste Sehnsucht darnach.
Solche Hasser streben dann nach der Geisteswissenschaft. Dann
stellt sich folgendes ein: Wären wir ihnen im Leben mit
einem geisteswissenschaftlichen Buch gekommen, da hätten
sie uns angefahren; nach dem Tode können wir ihnen keinen
besseren Dienst tun, als wenn wir ihnen vorlesen. Man liest in
Gedanken den Toten vor; das kann die förderndste Wirkung
für den Toten haben. Wir haben viele Beispiele innerhalb
unserer spirituellen Bewegung, wo die Angehörigen
hingestorben sind und die Zurückbleibenden ihnen
vorgelesen und sie gefördert haben. Und die Toten nehmen
das, was ihnen geboten wird, mit der innigsten Dankbarkeit an,
und es kann sich ein wunderschönes Zusammenleben
entwickeln. Da merkt man, was Geisteswissenschaft in der Praxis
bedeuten kann. Geisteswissenschaft ist nicht bloße
Theorie; sie soll eingreifen in das Leben, sie soll
hinwegnehmen, was sich wie eine Wand auftürmt zwischen
Lebenden und Toten; überbrückt wird die Kluft. Wenn
man mit der rechten Gesinnung Geisteswissenschaft ins Leben
bringt, kann man viel nützen. Keinen besseren Rat gibt es,
als den Toten vorzulesen. Denn es ist eine
Eigentümlichkeit, daß wir unmittelbar nach dem Tode
nicht neue Beziehungen anknüpfen können, wir
müssen die alten fortsetzen.
Die
Frage drängt sich auf: Könnte der sogenannte Tote
nicht drüben geistige Wesenheiten finden, die ihn belehren
könnten? Das geht nicht! Zunächst kann man nur
Beziehungen haben zu Wesen, mit denen man verbunden war, bevor
man durch die Pforte des Todes schritt. Begegnet man einem
Geist, den man auf der Erde nicht kannte, so geht man an ihm
vorbei. Wenn man hier einem großen Genie begegnet, das die
Kleidung trägt eines Fuhrmanns, so erkennt man es auch
nicht. Zu den Wesen, die man hier als Menschen kannte, hat man
Beziehungen. Wenn man noch so vielen Wesenheiten begegnete, die
einem helfen könnten, aber zu denen man keine Beziehung
hat, sie nützten einem nichts.
Da
Geisteswissenschaft am Ausgangspunkte ihrer Entwickelung steht,
die Menschen erst damit beginnen, sie auf sich wirken zu
lassen, können die Lebenden den Toten einen großen
Dienst erweisen, indem sie diese Hilfe ihnen angedeihen lassen.
Da haben wir ein Beispiel, wie von unserer Welt eingewirkt
werden kann in die andere Welt. Aber auch das Umgekehrte ist
möglich: Die Toten können auch hereinwirken in die
physische Welt. Wenn Geisteswissenschaft immer mehr die Welt
ergreift, wird von beiden Welten aus in Gegenseitigkeit gewirkt
werden. Die Toten können auch auf die Lebendigen wirken.
Der Mensch weiß ja ungemein wenig von der Welt, er
weiß nur, was im Verlauf der Zeit hier geschieht. Viele
meinen, daß das andere keine Bedeutung habe. Dasjenige,
was geschieht, ist eigentlich nur der allergeringste Teil
desjenigen, was wissenswert ist, und man bleibt eigentlich ein
Nichtswisser im Leben, wenn man nur das kennt, was geschieht.
Wir gehen morgens an unser Geschäft; wir werden vielleicht
das alles für das Wissenswerteste halten, was uns da
aufstößt. Einmal gehen wir drei Minuten später
weg als gewöhnlich; da tragen sich vielleicht unerwartete
Ereignisse zu: es könnte sein, daß, wenn wir zur
rechten Zeit fortgegangen wären, wir überfahren
worden wären; nun sind wir davor geschützt worden.
Wir mußten vielleicht eine Reise machen und verpaßten
den Zug: gerade diesen Zug traf ein großes Unglück.
Was entnehmen wir einer solchen Betrachtung?
Es
gibt viel im Leben, was nicht geschieht, was wir aber
zählen müssen zu den Möglichkeiten des Lebens.
Weiß denn der Mensch, wie vielen solchen
Möglichkeiten er den Tag über entgeht? Was
könnte alles geschehen, wenn wir dem nicht entgingen! Wir
übersehen es, weil es für die trockene
Lebensbetrachtung keine Bedeutung hat. Versuchen wir auf die
Seele hinzuschauen, die durch scheinbaren Zufall solchen
Gefahren entronnen ist, wie sie emp findet! — Ein
Berliner zum Beispiel wollte nach Amerika fahren; er hatte
schon das Billett. Ein Freund sagte ihm: Fahre nicht mit der
Titanic! — Malen Sie sich die Gefühle desjenigen
aus, der zurückgeblieben ist, als er vom Untergang der
Titanic erfuhr! Das hat erschütternd auf sein Gefühl
gewirkt. Welche Gemütsimpressionen könnten wir haben,
wenn wir in der Lage wären, den ganzen Tag zu beobachten,
wovor wir bewahrt werden, was alles hätte geschehen
können! Wenn die Menschen einmal beginnen, sich mit
geistigen Angelegenheiten zu befassen, bekommen sie viel mehr
Empfänglichkeit für die Kompliziertheit des Lebens,
für das, was sich zwischen den Tageszeiten abspielt. Der
Fall kann eintreten, daß, wenn wir drei Minuten
früher fortgegangen wären, wir überfahren worden
wären: haben wir seelische Empfänglichkeit, sind wir
geistig vorbereitet, so können wir in einem solchen
Augenblick eine Impression aus der geistigen Welt aus Gnade
erhalten, eine Mitteilung von einem Toten. Da werden die Tore
dann von den Toten durchbrochen; da läßt sich
erkennen, daß zu Menschen, welche sich
Empfänglichkeit anerzogen haben, die Toten hereinsprechen
können. Es können wichtige Dinge zu uns dringen: zum
Beispiel, daß der Tote einen Befehl gibt, etwas
auszuführen, was er nicht getan hat. So wird die Kluft
überbrückt. So werden wir, wenn Geisteswissenschaft
praktisch wird, mit den Toten hinüber und herüber
verkehren. So kann Geisteswissenschaft lebenspraktisch werden;
sie wird hereinholen die übersinnliche Welt in die
unmittelbare Gegenwart.
Folgende Frage kann sich nun ergeben: Wenn wir ein
geisteswissenschaftliches Buch in die Hand nehmen, so lesen wir
in einer bestimmten Sprache. Verstehen die Toten diese Sprache?
In der Läuterungszeit verstehen die Toten die Sprache, die
sie hier gesprochen haben; erst beim Übergang ins Devachan
hört die Sprache auf, dann geschieht es in Gedanken. Nach
einem bestimmten Ablauf von Jahren tritt eine Veränderung
ein in dem Verkehr mit den Toten. Wenn Empfänglichkeit
vorhanden ist beim Zurückgebliebenen, empfindet er: Der
Tote ist bei dir, du denkst, wie er dich denkt. Das kann Jahre
um Jahre dauern, dann tritt der Moment ein, wo man den
Zusammenhang verliert; das ist der Augenblick, wo der Tote ins
Devachan übergeht. In der Läuterungszeit hat man noch
die Erinnerung an das Erdenleben, der Mensch hängt noch an
diesen Erinnerungen.
Was
ist eine Erdensprache? Jede Erdensprache hat nur Bedeutung
für das Erdenleben; und sie hängt innig zusammen mit
der Organisation des Menschen, mit dem Klima, damit auch,
daß der Kehlkopf anders ausgebildet ist. Was in Europa
gesprochen wird, wird nicht in Indien gesprochen. Gedanken aber
sind nicht an die physische Organisation gebunden; Gedanken
sind nicht nach irdischen Verhältnissen gebildet. Die
Toten haben nur so lange Verständnis für die Sprache,
als sie im Kamaloka sind. Wenn durch ein Medium Kundgebungen
kommen und in eine bestimmte Sprache gegossen sind, können
diese Mitteilungen unmittelbar gegeben werden nur von Menschen,
die vor kurzer Zeit gestorben sind.
Wir
sind im Grunde genommen immer schon in der höheren Welt
drinnen, wir gehen im Schlaf unbewußt hinein, wir leben,
während wir schlafen, in derselben Welt wie nach dem Tode.
Die Frage möchte ich jetzt stellen: Kann derjenige, der
noch nicht mit hellseherischem Blick sehen kann, derjenige, der
noch nicht als Seher beobachten kann, kann der dennoch wissen,
wie sich die Dinge verhalten?
Ein
schlafender Mensch lebt ja noch, er ist so etwas wie eine
Pflanze. Sie erinnern sich wohl daran, daß ein
Repräsentant der Wissenschaft, Raoul France,
schreibt, die Pflanze habe Gefühle und könne etwas
verzehren; ein Seelisches ist aber in der Pflanze nicht
vorhanden. [Siehe Hinweis.] Von demselben Wert wie die Pflanze
ist der schlafende menschliche Organismus. Dringend nötig
ist, damit sie lebt, daß Sonnenstrahlen auf die Pflanze
fallen. Wir sehen die Erde mit Pflanzen bedeckt, weil die Sonne
sie hervorruft; die Erde wäre nicht bewachsen ohne Sonne:
während der Winterzeit können die Pflanzen nichts
hervorsprossen lassen. Wenn der Mensch schläft, wo ist da
seine Sonne? Was im Bett liegt, können wir uns auch nicht
denken ohne Sonne: diese Sonne ist in dem, was als das Ich des
Menschen heraußen ist; das Ich hat da zu arbeiten am
schlafenden Organismus wie die Sonne an der Pflanze.
Nicht nur die Sonne hat eine Beteiligung an der Hervorbringung
und dem Dasein der Pflanze, auch der Mond; ohne Einwirkung des
Mondes wäre das Pflanzenwachstum auch nicht vorhanden.
Doch die Einwirkung des Mondes gehört überhaupt nicht
zu dem, was Gelehrte beachten. [Siehe Hinweis.]
Das
Mondenlicht wirkt auf die Pflanze. Mondeneinfluß hat Bezug
auf die Breite der Pflanze; eine Pflanze, die schlank in die
Höhe wächst, hat wenig Mondeneinfluß. Der ganze
Kosmos ist beteiligt am Pflanzenwachstum. Und das Ich ist
beteiligt am physischen und Ätherleib wie die Sonne am
Pflanzenwachstum — der astralische Leib wie der Mond: es
ist dieselbe Beziehung. Das Ich ist die Sonne für den
physischen Leib, der astralische Leib ist sein Mond, aber ein
geistiger. Wir sehen unser Ich den Ersatz bilden für die
Sonneneinwirkung, unsern astralischen Leib für die des
Mondes. Darin liegt die Rechtfertigung für das, was der
Seher meint, wenn er sagt: Der Mensch hat sich als ein Extrakt
aus den Kräften des Kosmos herausgebildet. Wie die Sonne
im Mittelpunkt des Pflanzensystems ist und ihr Licht so
hinbreitet, daß überall Licht ist, so soll das Licht
des Ich den physischen und Ätherleib durchleuchten. Das
Sonnenlicht ist nicht nur physisch, es ist auch
seelisch-geistig; als letzteres löste es sich los vom
Kosmischen und wurde Ich. Ein Extrakt des Mondenlichtes ist der
menschliche astralische Leib. Es ist alles sehr weise
eingerichtet. Wenn das Menschen-Ich noch immer an die Sonne
gebunden wäre, könnten die Menschen auch nur so wie
die Pflanzen zwischen Schlafen und Wachen wechseln. Dem
Einfluß der Sonne nach würden wir niemals schlafen
können bei Tag, würden immer schlafen müssen bei
Nacht; aber das ganze Kulturleben beruht auf dieser
Emanzipation. Wir tragen unsere eigene Sonne in uns: das Ich
ist ein Extrakt der Sonnenwirkung; das, was im Menschen als
astralischer Leib lebt, ist ein Extrakt der Mondenwirkung. So
sind wir im Schlaf in der geistigen Welt nicht angewiesen auf
die kosmische Sonnenwirkung; unser Ich verrichtet, was sonst
die Sonne tut; wir werden beschienen von unserem eigenen Ich
und Astralleib. Nur alte okkulte Anschauungen dringen bisweilen
hier durch. Geisteswissenschaft gibt uns dieses Bild von dem
schlafenden Menschen: Über ihm leuchtet die Sonne, sein
Ich — und ohne das könnte er schlafend nicht wie
eine Pflanze sein. Über ihm leuchtet der Mond: sein
eigener astralischer Leib.
Nun
stellen wir uns vor, daß mit dem Herbste die Sonne ihre
Wirksamkeit verliert, das Pflanzenwachstum dahinstirbt. Beim
wachen Menschen sind Astralleib und Ich im physischen und
Ätherleib drinnen; gewissermaßen ist beim Hineingehen
in den Leib Sonnenund Mondenuntergang: da hört auch das
rechte pflanzliche Leben wieder auf. So tätig wie im
Schlafe das pflanzliche Leben zur Wiederherstellung der
Kräfte ist, so rege ist es nicht beim Erwachen. Es welkt
das Pflanzenwachstumsmäßige, wenn der Mensch
aufwacht; als Pflanze sterben wir ab am Morgen. Dadurch
erklärt sich sehr vieles, was zwischen Seele und Leib des
Menschen sich abspielt. Manche Menschen fühlen sich bald
nach dem Erwachen sehr angeregt; das sind solche, die mehr im
Seelischen leben können. Die mehr im Leiblichen leben,
spüren leicht am Morgen eine gewisse Müdigkeit. Je
weniger man sich am Morgen ermattet fühlt, desto
leistungsfähiger ist man. Doch unser waches Leben ist wie
das Hinsterben der Pflanze zur Winterzeit. Jeden Tag bringen
wir Absterbekräfte in unseren Organismus hinein; die
summieren sich, und weil das so ist, sterben wir. Der Grund des
Todes liegt im Bewußtsein. Wir können daraus
entnehmen, wie das bewußte, vom Ich durchzogene Tagesleben
der Aufzehrer ist vom physischen und Ätherleib. Wir
sterben, weil wir bewußt leben.
Den
Schlaf zu erklären, bemühen sich die Leute viel.
Schlaf wäre ein Ermüdungszustand, Schlaf sei da, um
Ermüdung fortzuschaffen. Schlaf ist aber kein
Ermüdungszustand, denn ein kleines Kind schläft am
meisten. Schlaf ist etwas, was sich eingliedert in das
Gesamtleben, in den Rhythmus von Einschlafen und Aufwachen. Wie
wir zur Winterzeit die Natur hinsterben sehen, so stirbt etwas
ab in uns, während wir leben und wachen. — Wenn wir
durch die Pforte des Todes gegangen sind, lassen wir unseren
physischen und Ätherleib zurück: da könnten uns
Ich und astralischer Leib erscheinen wie Sonne und Mond, die
nichts zu bescheinen haben. In der Tat ist jedoch der Zustand
möglich, daß Ich und astralischer Leib fortleben,
auch wenn sie nichts bescheinen können. Wenn sie in den
Leib untertauchen, wird Bewußtsein hervorgebracht; in der
geistigen Welt muß der Mensch auch in etwas untertauchen,
daß er bewußt werde, sonst wäre er ohne
bewußtes Leben.
In
was taucht der Mensch unter nach dem Tode? Er taucht unter in
geistige Substanz, die da war ohne irdisches Zutun. Nach dem
Mysterium von Golgatha muß der Mensch immer untertauchen
in das, was durch das Mysterium von Golgatha gekommen ist als
die Christus-Substanz der Erde. Wir haben den Christus
kennengelernt als Sonnengeist. Vom Sonnenlicht hat sich das Ich
einmal emanzipiert. Dann ist der große Sonnengeist auf die
Erde heruntergekommen: dadurch taucht das Ich des Menschen
unter in die Substanz des Sonnengeistes. Der Mensch erlebt
dieses Untertauchen in die Christus-Substanz, wenn er durch die
Pforte des Todes gegangen ist, und dadurch ist der Mensch nach
dem Tode in der Lage, Bewußtsein zu entwickeln. In der
physischen Natur wird diese Stufe erreicht, wenn die Erde beim
Vulkanzustand angekommen ist. Scheint die Sonne von oben auf
die Erde herunter, so können wir sagen: die Sonne zaubert
das Pflanzenwachstum hervor. Wenn aber die Sonne scheinen
würde auf den Erdenplaneten mit ihrer Kraft, das
Pflanzenwachstum zu erzeugen, und die Erde wäre
unfähig, Pflanzen hervorzubringen, könnte aber das
Sonnenlicht zurückstrahlen, dann würde das
Sonnenlicht sich nicht verlieren, sondern in den Himmelsraum
hinausgehen und übersinnliches Pflanzenwachstum erregen.
Das findet nun statt, nicht physisch, aber geistig. Dadurch,
daß der Christus sich mit der Erde vereinigt hat, wirkt er
so, daß der Mensch, der sich mit ihm verbindet, nach dem
Tode die Rückwirkung erlebt von dem, was er hier
bewußtseinsmäßig erfaßt hat. So begreifen
wir, wie der Mensch gerade auf der Erde sich erwerben muß
die Möglichkeit, auch nach dem Tode Bewußtsein
entwickeln zu können, und wie er mitbringen muß vom
physischen Leibe her die Kräfte, die das Bewußtsein
entwickeln. In der griechisch-lateinischen Zeit ist die
physische Leiblichkeit am meisten bestrahlt worden. Da hat das
Wort Realität gehabt: Lieber hier ein Bettler sein als ein
König im Reiche der Schatten. — Damals war das Leben
in der Unterwelt ein elendes Dasein. Es war das Leben nach dem
Tode vor der Geburt Christi wenig entwickelt. Wir dagegen
gehören einer Zeit an, die dadurch merkwürdig ist,
daß solche Kraft auf die Leiblichkeit nicht mehr
ausgeübt wird. Was der schlafende Mensch ist, geht in der
Tat allmählich einem Niedergang entgegen. Seit Christus
geht die Leiblichkeit des Menschen dem Untergang zu. Am
stärksten war das Vegetabilische entwickelt in der
griechischen Zeit; am dürrsten wird die Leiblichkeit am
Ziele der Menschheitsentwickelung sein. Anfangs waren die
Menschen hellsichtig, die Seele war sehr entwickelt; durch den
geistig-seelischen Untergang stieg die Leiblichkeit bis zur
Höhe der griechischen Schönheit empor. Aber alles
Schönheitsstreben hat gegen die Zukunft hin einen Haken:
äußere Schönheit hat keine Zukunft; die
Schönheit muß eine innere sein, in ihr muß das
Charakteristische sichtbar werden. In demselben Sinn, in
welchem sie dem Abdorren entgegengeht, wird die Sonnenund
Monden-Innenheit immer glorreicher werden. Mehr von der Zukunft
verstehen jene, die Geist und Seele pflegen durch
Geisteswissenschaft, als diejenigen, welche die griechischen
Kampfspiele wieder heraufführen wollen. Je mehr der Mensch
sein Geistig-Seelisches in Unbewußtheit läßt,
einem desto elenderen Schicksal geht er entgegen zwischen Tod
und neuer Geburt. Daß der Körper verdorrt, hat mit
dem Leben nach dem Tode nichts zu tun; aber wenn der Mensch
nichts Geistig-Seelisches entwickelt hat, dann hat er nichts
hineinzutragen in die geistige Welt. Je mehr er sich darauf
eingelassen hat, sich zu durchdringen mit spirituellem Inhalt,
desto besser geht es ihm nach dem Tode. Die Menschen werden
immer mehr und mehr lernen, unabhängig zu werden
von dem, was an den Leib gebunden ist.
Geisteswissenschaft wird nicht immer die Form behalten, die sie
heute hat. Die Sprache kann ja nur in äußerst
dürftiger Weise ausdrücken, was sie möchte. In
der Geisteswissenschaft wird es mehr darauf ankommen,
wie man etwas sagt, als was man sagt. Das wird
international sein, das kann in jeder Sprache leben. Man wird
sich gewöhnen, auf das, wie man etwas sagt,
hinzuhören; dadurch tritt man mit den Bewohnern des
Devachan in Beziehung.
Heute sitzen wir zusammen und reden über
Geisteswissenschaft. Wir werden durch die Pforte des Todes
gehen, uns weiter entwickeln durch mehrere Inkarnationen: dann
werden wir Gedanken haben unabhängig von der heutigen
Erdensprache; das geistige Leben wird hereinragen in unser
Leben, wir werden uns mit den Toten unterhalten können.
— Das irdische Kulturleben geht seinem Niedergang
entgegen. Einst wird die ganze Luft durchsetzt sein von
Luftfahrzeugen, das Erdenleben wird veröden. Des Menschen
Seele aber wächst hinein in die geistige Welt. Am Ende der
Erdentwickelung ist der Mensch so weit, daß ein
vollkommener Unterschied nicht mehr sein wird zwischen Lebenden
und Toten: ganz ähnlich werden leben die Lebenden und die
Toten. Die Erde wird wieder übergehen in ein Geistiges,
weil die Menschheit sich vergeistigt haben wird. Eine solche
Betrachtung kann Ihnen eine Anleitung zur richtigen Antwort
geben, wenn die Leute fragen: Es gibt Tod und Geburt und so
weiter, soll das immer dauern? — Es ist dann gar kein so
großer Unterschied zwischen Leben und Sterben; alles
vergeistigt sich für das menschliche Bewußtsein;
dieses Hinaufleben der ganzen Menschheit führt jenen
Zustand herbei, der auf dem Jupiter durchlebt wird.
Es
ist ein weitgreifendes Gebiet, das wir betreten, indem wir
über das Leben sprechen zwischen Tod und einer neuen
Geburt. Alles unterliegt auch dort einem Wechsel, einem Wandel
— auch der Verkehr der Toten mit den Lebenden. Wir werden
allmählich noch weiter eindringen in die Art und Weise,
wie der Mensch dieses sein Wechselleben führt innerhalb
der Leiblichkeit und Geistigkeit.
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