SECHSTER VORTRAG
Dornach, 17, August 1919
Wenn ich Ihnen gestern ausgeführt habe, welches der Weg
des menschlichen Intellektes, der menschlichen Intelligenz
gegen die Zukunft hin sein wird, so beruht diese
Auseinandersetzung auf ganz bestimmten Tatsachen, welche durch
geisteswissenschaftliche Erkenntnis an den Tag gefördert
werden können, und von denen wir heute einige
anführen wollen. Sie müssen sich, ich möchte
sagen, praktisch bewußt sein: Wenn der Mensch vor Ihnen
steht, so ist dieser Mensch eben durchaus dasjenige Wesen, von
dem wir in der anthroposophischen Geisteswissenschaft sprechen.
Das heißt, wir haben zunächst
Sie kennen ja diese Dinge aus meiner «Theosophie»
— dessen müssen Sie sich immer bewußt sein, ein
viergliedriges Wesen vor uns. Wir haben vor uns das Ich, den
sogenannten astralischen Leib, den Ätherleib und den
physischen Leib. Der Umstand, daß wir diese vier Glieder
der menschlichen Wesenheit jedes Mal vor uns haben, wenn
sozusagen der Mensch vor uns steht, das bewirkt, daß
für das gewöhnliche heutige menschliche Anschauen man
eigentlich nicht weiß, was man mit dem Menschen vor sich
hat. Man weiß es eigentlich wirklich nicht. Man denkt:
das, was man vor sich stehen sieht, den Raum erfüllend,
das sei der physische Leib. Allein, was da dran physisch ist,
das würde man nicht so sehen, wie man es sieht mit
gewöhnlichen Augen, wenn es eben nur als physischer Leib
vor uns stünde. Wir sehen dasjenige mit gewöhnlichen
Augen, was als physischer Leib vor uns steht, so wie es ist,
nur deshalb, weil es durchdrungen ist von Ätherleib,
astralischem Leib und Ich. Dasjenige, was physischer Leib ist,
das ist, so sonderbar das klingen mag, auch so lange wir leben
zwischen der Geburt und dem Tode, Leichnam. Und eigentlich,
wenn wir einen menschlichen Leichnam vor uns haben, so haben
wir in Wahrheit den physischen Leib des Menschen vor uns. Wenn
Sie den Leichnam sehen, dann haben Sie den physischen Menschen,
ohne daß er durchdrungen ist von Ätherleib,
astralischem Leib und Ich. Er ist von diesen verlassen und
zeigt gewissermaßen seine wahre Wesenheit. Sie stellen
sich selber daher nicht richtig vor, wenn Sie das, was Sie
vermeinen als den physischen Leib des Menschen aufzufassen,
glauben mit sich durch den Raum herumzutragen; Sie würden
viel richtiger sich selber vorstellen, wenn Sie sich als
Leichnam dächten und sich so begreifen würden,
daß Ihr Ich, Ihr astralischer Leib, Ihr Ätherleib
diesen Leichnam durch den Raum trägt.
Dieses Bewußtsein von der wahren Natur der menschlichen
Wesenheit wird für unsere Zeit immer wichtiger und
wichtiger. Denn sehen Sie, so wie das heute ist im
gegenwärtigen Entwickelungszyklus der Menschheit und schon
lange her, so war es nicht immer. Natürlich kann man diese
Dinge, die ich jetzt erzähle, nicht durch die
äußere physische Wissenschaft konstatieren, aber
geisteswissenschaftliche Erkenntnis liefert eben diese
Tatsache. Wenn man zurückgeht hinter das achte
vorchristliche Jahrhundert, mit dem, wie Sie wissen, der vierte
nachatlantische Zeitraum beginnt, dann würde man kommen,
wie Sie wiederum wissen, in die ägyptisch-chaldäische
Erdenperiode. Ja, da waren die menschlichen Leiber anders
beschaffen, als sie heute beschaffen sind. Das, was menschliche
Leiber waren, die Ihnen jetzt in den Museen als Mumien gezeigt
werden, die waren in ihrer feineren Beschaffenheit wirklich
nicht so beschaffen, wie der heutige menschliche Leib ist. Sie
waren viel mehr durchsetzt von Pflanzlichkeit, sie waren nicht
so vollständig Leichnam wie der heutige menschliche Leib
Leichnam ist. Sie waren gewissermaßen als physischer Leib
ähnlicher der Pflanzennatur, während der heutige
physische Leib des Menschen
und schon seit der griechisch-lateinischen Zeit —
ähnlicher ist der mineralischen Welt. Würden wir
heute durch irgendein kosmisches Wunder dieselben Leiber
bekommen, welche die ägyptisch-chaldäische
Bevölkerung hatte, so würden wir alle krank sein. Das
würde für uns eine Krankheit bedeuten. Wir
würden wuchernde Gewebe im Leibe mit herumtragen. Und
manche Krankheit besteht einfach darinnen, daß der
menschliche Leib atavistisch teilweise zurückgeht in
Zustände, welche die normalen waren während der
ägyptisch-chaldäischen Zeit. Es gibt heute
geschwürige Bildungen des menschlichen Leibes, welche
einfach davon herrühren, daß ein Stück eines
Leibes bei dem oder jenem Menschen die Neigung bekommt, so zu
werden, wie der ganze Leib bei der
ägyptisch-chaldäischen Bevölkerung war.
Nun
hängt das, was ich eben gesagt habe, mit der Entwickelung
der Menschheit ganz wesentlich zusammen. Wir tragen also als
gegenwärtige Menschen einen Leichnam herum. Der
Ägypter noch nicht; der Ägypter trug etwas
Pflanzenartiges mit sich herum. Davon war eben die Folge,
daß seine Erkenntnis eine andere war als unsere
Erkenntnis, seine Intelligenz anders wirkte als unsere
Intelligenz wirkt, Bedenken Sie jetzt ganz genau: Was
eigentlich erkennt denn der Mensch mit dem, was er heute seine
Wissenschaft nennt, und worauf er so ungeheuer stolz ist? Nur
das Tote! Es wird ja immer in der Wissenschaft betont: Das
Leben wird mit der gewöhnlichen Intelligenz nicht
begriffen. Zwar glauben diese und jene Forscher, wenn sie
chemisch immer weiter und weiter experimentieren, dann werde
einmal der Zustand eintreten, daß man durch komplizierte
Kombinationen der Atome, Moleküle und deren
Wechselkräfte das Wechselspiel des Lebens kennenlernen
werde. Dieser Zustand wird niemals eintreten. Man wird auf
chemisch-physischem Wege nur das mineralisch Tote begreifen,
das heißt, man wird so viel begreifen an dem Lebendigen,
als an dem Lebendigen heute Leichnam ist.
Aber was im Menschen intelligent ist und erkennt, das ist
trotzdem dieser physische Leib, das heißt der Leichnam.
Was tut denn eigentlich dieser Leichnam, den wir mit uns
herumtragen? Er bringt es am weitesten in der mathematischen,
geometrischen Erkenntnis. Da ist alles durchsichtig; dann wird
es immer undurchsichtiger, je weiter man sich vom
Mathematisch-Geometrischen entfernt. Das rührt davon her,
daß der menschliche Leichnam der wirkliche Erkenner
für uns heute ist, und daß das Tote nur das Tote
erkennen kann, Was Ätherleib ist, was astralischer Leib
ist, was Ich ist, das erkennt heute im Menschen nicht, das
bleibt sozusagen im Dunkel stehen. Würde der
Ätherleib ebenso erkennen können, wie der physische
Leib das Tote erkennt, so würde der Ätherleib das
Lebende der Pflanzenwelt zunächst erkennen. Das war aber
das eigentümliche, daß im pflanzlich-lebendigen Leib
der Ägypter diese Ägypter die Pflanzenwelt in einer
ganz anderen Weise erkannten als der gegenwärtige Mensch.
Und manche instinktive Erkenntnis aus der Pflanzenwelt, sie ist
noch zurückzuführen auf die ägyptische Einsicht
in dasjenige, was aus einem instinktiven
Erkenntnisbewußtsein heraus der ägyptischen Kultur
einverleibt worden ist. Selbst dasjenige, was heute in der
Botanik für die Medizin gewußt wird, beruht vielfach
noch auf Traditionen der alten ägyptischen Weisheit.
Deshalb kommt es so oft dem Laienurteile dilettantisch vor,
daß man sich gar zu gerne beruft auf irgendwelches
Ägyptische, wenn man eine ja nicht sehr wertvolle
Erkenntnis heute den Menschen vermitteln will, Sie wissen ja,
wie sich manche gar nicht auf richtigem Fundamente ruhende
sogenannte Logen «ägyptische Logen» nennen. Das
rührt aber nur davon her, weil in diesen Kreisen noch
Traditionen leben von der Weisheit, die durch den
ägyptischen Leib zu erlangen war. Sehen Sie, man kann
sagen: Mit dem allmählichen Eintritt der Menschen in die
griechischlateinische Zeit ist der lebendige menschliche
Pflanzenleib abgestorben, denn schon im Griechentum war der
lebendige Pflanzenleib abgestorben, oder starb wenigstens
allmählich ab. Wir tragen schon einen sehr stark toten
Leib in uns, und insbesondere ist dieses Totsein für das
menschliche Haupt richtig — wie ich Ihnen ja von einem
anderen Gesichtspunkte auseinandergesetzt habe, daß das
menschliche Haupt überhaupt für die Wissenschaft der
Eingeweihten als Leichnam, als Totes, als fortwährend
Sterbendes wahrgenommen wird. Dessen wird sich immer mehr und
mehr bewußt werden die Menschheit: daß sie eigentlich
nur mit dem Leichnam erkennt und deshalb das Tote erkennt.
Ebenso intensiv wird entstehen, je weiter wir der Zukunft
entgegengehen, die Sehnsucht, wiederum das Lebendige zu
erkennen. Aber man wird dieses Lebendige nicht durch die
gewöhnliche Intelligenz, die an den Leichnam gebunden ist,
erkennen. Es wird mancherlei notwendig sein, damit der Mensch,
der verloren hat die Möglichkeit, auf lebendige Art in die
Welt einzudringen, wiederum in solcher Weise in die Welt kommt.
Man muß heute schon wissen, was der Mensch eigentlich
alles verloren hat. Als der Mensch herüberkam aus der
atlantischen Zeit in die nachatlantische Zeit, da konnte man
manches nicht, was man heute kann. Sehen Sie, Sie können,
jeder einzelne, wenn Sie sich meinen, seit einer gewissen Zeit
in Ihrer Kindheit zu sich Ich sagen. Sie sagen dieses Ich recht
respektlos. Dieses Ich wurde in der Menschheitsentwickelung
nicht immer so respektlos gesagt. Es gab ältere Zeiten der
Menschheitsentwickelung, wenn die auch schon zum Teil
verglommen waren selbst in der ägyptischen Zeit — es
gab ältere Zeiten, da wurde für das, was das Ich
ausdrückte, ein Name gebraucht, der, ausgesprochen, den
Menschen betäubte. Daher vermied man, diesen Namen
auszusprechen. Hätte die erste Bevölkerung gleich
nach der atlantischen Katastrophe es erlebt, daß der bei
ihnen geltende und nur den Eingeweihten bekannte Name für
das Ich ausgesprochen worden wäre, die ganze Versammlung
würde betäubt worden sein, würde umgefallen
sein, so stark hätte der Name für das Ich gewirkt.
Ein Nachklang dieser Tatsache ist noch vorhanden in der alten
Hebräerzeit, wo man spricht von dem unaussprechlichen
Namen des Gottes in der Seele, der ja nur ausgesprochen werden
durfte von Eingeweihten oder aber vor der Gemeinde
eurythmisiert wurde. Der unaussprechliche Name des Gottes, er
hat seinen Ursprung in dem, was ich Ihnen eben erzählt
habe. Allmählich ist dies immer mehr verlorengegangen.
Dafür lähmten sich ab die tiefen Wirkungen, die von
solchen Dingen ausgingen. In der ersten nachatlantischen Zeit:
tiefe Wirkung von dem Ich; in der zweiten nachatlantischen
Zeit: tiefe Wirkung von dem astralischen Leib; in der dritten
nachatlantischen Zeit: tiefe Wirkung von dem Ätherleibe,
aber nun schon eine erträgliche Wirkung, eine Wirkung, die
— wie ich Ihnen gestern auseinandergesetzt habe —
den Menschen in Zusammenhang bringt, in Verwandtschaft bringt
mit dem Kosmos. Jetzt können wir das Ich, wir können
alles Mögliche aussprechen, aber die Dinge wirken nicht
mehr auf uns, weil wir dasjenige, was wir von der Welt
erfassen, mit unserem Leichnam erfassen. Das heißt, wir
erfassen von der Welt das Tote, Mineralische. Aber wir
müssen uns
wiederum aufschwingen, zurückzukehren in jene Regionen, in
denen wir das Lebendige erfassen. Und während der
griechisch-lateinische Zeitraum vom 8. vorchristlichen
Jahrhundert bis in die Mitte des 15. nachchristlichen
Jahrhunderts vorzugsweise darauf angelegt war, immer mehr tote
Erkenntnis für den Leichnam zu schaffen, geht bei uns
jetzt die Intelligenz den Weg, von dem ich gestern gesprochen
habe. Daher müssen wir uns aber stemmen gegen die
bloße Intelligenz. Wir müssen zu der Intelligenz
anderes hinzufügen.
Und
da ist es charakteristisch, daß wir richtig den Weg
zurückmachen müssen, daß wir jetzt im
fünften nachatlantischen Zeitraum in gewisser Beziehung
das Pflanzliche erkennen, im sechsten das Tierische, im
siebenten dann erst das wahrhaft Menschliche. Also es wird eine
Aufgabe der Menschheit, gerade über das bloße
Erkennen des Mineralischen hinauszugehen und das Pflanzliche zu
erkennen.
Und
jetzt, nachdem Sie dieses einsehen aus einem tieferen
Zusammenhang heraus, bedenken Sie, welches der
charakteristische Mensch ist für dieses Suchen der
Pflanzenerkenntnis. Das ist Goethe. Denn indem er entgegen
aller äußeren Wissenschaft vom Toten herangegangen
ist an das Lebendige, an die Metamorphose, an das Werden der
Pflanzen, war er der Mann des fünften nachatlantischen
Zeitraums in seinen elementarischen Anfängen. Wenn Sie
daher die kleine Abhandlung von Goethe aus dem Jahre 1790
lesen: «Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu
erklären», so finden Sie gerade in dieser Abhandlung,
wie Goethe allmählich versucht, die Pflanze werdend zu
erfassen, nicht als Totes, Abgeschlossenes, sondern als
Werdendes von Blatt zu Blatt. Da sehen Sie den Aufgang jener
Erkenntnis, die gerade in diesem fünften nachatlantischen
Zeitraum gesucht werden sollte.
Es
ist also im Goetheanismus der Grundton angegeben für
dasjenige, was gesucht werden soll durch diesen fünften
nachatlantischen Zeitraum. Es wird gewissermaßen die
Wissenschaft im Goetheschen Sinne aufwachen müssen, vom
Toten zum Lebendigen herüberzugehen. Das ist ja gemeint,
wenn ich immer wieder und wiederum sage, wir sollen uns
aneignen, aus den toten abstrakten Begriffen herauszukommen, in
die lebendigen konkreten Begriffe hinein. Und das, was ich
vorgestern und gestern gesagt habe, ist im Grunde genommen der
Weg in diese lebendigen konkreten Begriffe hinein.
Nun
wird das Hineinkommen in diese Begriffe, in diese Vorstellungen
nicht möglich sein, wenn wir uns nicht dazu bequemen,
dasjenige, was wir unsere Weltanschauung und Lebensauffassung
nennen, als eine Einheit auszubilden. Wir sind heute durch die
besondere Konfiguration unserer Kultur genötigt,
gewissermaßen unorganisch nebeneinander herlaufen zu
lassen die verschiedenen Strömungen unserer
Weltanschauung. Denken Sie nur einmal, wie unorganisch
nebeneinander herlaufen oftmals die religiösen
Weltanschauungen eines Menschen und die naturwissenschaftliche
Weltanschauung, Mancher Mensch hat die eine und die andere;
aber er schlägt keine Brücke. Ja, er hat eine gewisse
Scheu davor, eine gewisse Angst davor, eine Brücke zu
schlagen. Und das müssen wir uns schon klar machen: so
kann es nicht bleiben.
Nun
habe ich Sie auf eines aufmerksam gemacht während dieses
meines Aufenthaltes, darauf, wie egoistisch eigentlich der
Mensch heutzutage seine Weltanschauung gestaltet. Ich habe Sie
auf die Tatsache hingeführt, daß den Menschen
eigentlich heute vorzugsweise interessiert das Leben der Seele
nach dem Tode. Aus reinem Egoismus heraus interessiert ihn
dieses Leben der Seele nach dem Tode. Ich habe Ihnen gesagt,
daß wir übergehen müssen zu dem Interesse des
Lebens der Seele von der Geburt an, insofern dieses eine
Fortsetzung ist des Lebens vor der Geburt oder vor der
Empfängnis, Würden wir mit derselben Sehnsucht, mit
demselben Hang und derselben Neigung die Entwickelung des
Kindes betrachten, wie es hereinwächst in die Welt als
Fortsetzung des vorgeburtlichen geistig-seelischen Daseins, so
würde unsere Welterkenntnis einen viel unegoistischeren
Charakter annehmen, als sie heute hat. Aber dieser egoistische
Charakter unserer Weltanschauung hängt zusammen mit
manchem anderen. Und hier komme ich auf einen Punkt, wo die
Menschen der Gegenwart sich über den wirklichen
Tatbestand, der zugrunde liegt, immer klarer und klarer werden
müssen. In dem Zeitraume bis zu unserer Zeit hat sich
einmal im Menschen vorzugsweise das Egoistische entwickelt; das
Ego hat durchdrungen die Weltanschauung, das Ego hat auch
durchdrungen den Willen. Darüber sollten wir uns keiner
Täuschung hingeben. Und vor allem sind egoistisch geworden
die Religionsbekenntnisse. Daß die Religionsbekenntnisse
egoistisch geworden sind, können Sie ja schon an den
Äußerlichkeiten erkennen. Denken Sie sich nur, wie
die heutigen Prediger angewiesen sind, mit dem Egoismus der
Menschen zu rechnen. Je mehr sie schließlich mit dem
Egoismus der Menschen rechnen, den Menschen Versprechungen
machen können für das Leben der Seele nach dem Tode,
desto mehr erreichen sie ihren Zweck, Viel Interesse für
andere Dinge ist ja im Grunde genommen in der heutigen
Menschheit kaum vorhanden, Und wenig interessieren sich die
Menschen für jenes geistige Weben und Leben, das sich so
wunderbar nach der Geburt, beziehungsweise nach der
Empfängnis, mit der Seele, die vorher in der geistigen
Welt war, ankündigt.
Eine Folge davon ist die Art, wie der Mensch heute
überhaupt über das Göttliche in verschiedenen
Religionsbekenntnissen denkt. Daß wir einen Gott als den
Höchsten vorstellen, das will ja noch nichts Besonderes
sagen. In dieser Beziehung kommt es darauf an, daß wir
durchaus alle Täuschungen hinwegräumen. Die meisten
Menschen, die heute «Gott» sagen, was meinen sie denn
eigentlich? Ich habe das auch schon einmal hier erwähnt.
Welche Art Wesenheit ist das, was sie meinen, wenn sie von Gott
sprechen? Ein Angelos ist es, ein Engel, ihr eigener Engel, den
nennen sie Gott! Es ist nichts anderes! Die Menschen ahnen
gerade noch, daß ein schützender Geist ihr eigenes
Leben verfolgt, zu dem sehen sie auf, das nennen sie ihren
Gott. Wenn sie es auch nicht Engel nennen, wenn sie es auch
Gott nennen, sie meinen nur den Engel. Und das ist im Grunde
genommen der Egoismus des religiösen Bekenntnisses,
daß man mit der Gottes-Idee nicht über den Engel
hinauf kommt. Der Grund davon ist die Einengung der Interessen,
die durch den Egoismus bewirkt ist. Diese Einengung der
Interessen, wir sehen sie ja ganz deutlich hervortreten heute
in unserem öffentlichen Leben.
Wonach fragen die Menschen heute viel? Fragen sie viel nach den
allgemeinen Schicksalen der Menschheit? Oh, es ist in einem
gewissen Sinne recht traurig, heute zu reden zu einer
Menschheit über allgemeine Menschenschicksale. Man hat
auch gar keinen Begriff davon, wie es sich in dieser Beziehung
schon in verhältnismäßig kurzen Zeiten
geändert hat. Sehen Sie, man kann heute zu den Menschen
sagen: Der Waffenkrieg, welcher in den letzten vier bis
fünf Jahren die Erde überzogen hat, wird gefolgt sein
von dem mächtigsten Geisteskampfe, der über die Erde
hingeht, in dieser Gestalt früher nicht hingegangen ist,
der davon herkommt, daß das Abendland Maja oder Ideologie
nennt, was das Morgenland die Wirklichkeit nennt, und daß
das Morgenland Wirklichkeit nennt, was das Abendland Ideologie
nennt. Man kann heute die Menschheit aufmerksam machen auf
dieses Schwerwiegende, und sie hat nicht einmal ein
Bewußtsein davon, daß, wenn ein Gleiches vor nur
hundert Jahren gesagt worden wäre, so würde dieses
Gleiche vor hundert Jahren die Seelen so ergriffen haben,
daß sie nicht wieder losgekommen wären davon!
Diese Änderung der Menschheit, dieses
Gleichgültigwerden der Menschheit gegenüber den
großen Schicksalen des Daseins, das ist die
auffälligste Erscheinung. Es prallt ja alles ab von der
Menschheit heute. Die umfassendsten, einschneidendsten,
intensivsten Tatsachen nimmt man auf wie eine Sensation. Sie
wirken nicht erschütternd genug. Und das rührt nur
davon her, weil der immer stärker und stärker
werdende intelligente Egoismus die Interessen der Menschen
einengt. Daher können die Menschen heute noch so gut
Demokratien haben, Parlamente haben — wenn sie schon
zusammenkommen in den Parlamenten, die Schicksale der
Menschheit wehen nicht durch diese Parlamente, denn die Leute,
die zumeist in die Parlamente gewählt werden, werden nicht
durchweht von dem Schicksal der Menschheit. Es wehen die
egoistischen Interessen. Jeder hat sein eigenes egoistisches
Interesse. Äußerliche schematische Ähnlichkeiten
in den Interessen, wie sie oftmals durch den Beruf
hervorgerufen werden, lassen die Menschen sich gruppieren. Und
wenn die Gruppen genügend groß sind, lassen sie sie
zu Majoritäten werden. Und dann gehen nicht
Menschenschicksale durch die Parlamente oder durch die
Menschenvertretungen durch, sondern nur der Egoismus,
multipliziert mit so und so vielen Personen. Weil das nur in
den Menschen lebt, was den Egoismus betrifft, daher ist selbst
das religiöse Bekenntnis in die Sphäre des Egoismus
gerückt. Das religiöse Bekenntnis wird die notwendige
Auffrischung erfahren, wenn die Interessen der Menschen weiter
werden, wenn sie so werden, daß der Mensch wiederum
über sein persönliches Schicksal zu dem
Menschheitsschicksal aufblicken kann, wenn der Mensch wiederum
ergriffen wird, ganz stark ergriffen wird, wenn man ihm sagt:
im Westen erblüht eine andere Kultur als im Osten, und in
der Mitte wiederum eine andere Kultur als an den beiden Polen
im Westen und im Osten; wenn man ihm sagt: im Westen werden die
großen Ziele der Menschheit gesucht — wenn sie schon
gesucht werden — dadurch, daß man an mediale
Menschen sich wendet und diese Menschen in eine Art von Trance
bringt, sie dadurch gewissermaßen bewußt unterirdisch
in Verbindung bringt mit den geistigen Welten, und dann sich
von ihnen auf medialem Wege große historische Ziele sagen
läßt. Das könnte man in Europa den Menschen so
oft sagen — sie werden es nicht glauben, daß es
wirklich Gesellschaften in amerikanisch-englischen Ländern
gibt, in denen man versucht, medial veranlagte Menschen in eine
Art von Trance zu bringen, um dann durch geschickt an sie
gestellte Fragen herauszubekommen, welches die großen
Schicksalsziele der Menschheit sind. Man glaubt es einem nicht,
daß der Morgenländer ebenfalls über diese
großen Schicksalsziele der Menschheit — jetzt nicht
auf medialem Wege, sondern auf mystischem Wege — Kunde
erhält. Das ist heute fast mit Händen zu greifen,
denn überall sind die schönen Reden des Rabindranath
Tagore zu haben, in denen man lesen kann, wie ein
Morgenländer über Ziele der Menschheit im Großen
denkt. Diese Reden werden zwar gelesen wie das Feuilleton von
einem beliebigen Zeilenschinder, denn man unterscheidet heute
wenig Zeilenschinder von Menschen mit großer
Spiritualität, wie des Rabindranath Tagore. Man wird sich
nicht bewußt, daß nebeneinander leben, ich
möchte sagen, verschiedene Rassensubstantialitäten.
Was für Mitteleuropa gilt, es ist ja von mir seit vielen
Jahren in öffentlichen Vorträgen gesagt worden. Als
das wurde es eben nicht genommen, als das es hätte
genommen werden sollen.
Ich
will damit aber nur hinweisen, daß man sich bewußt
werden kann von etwas, das hinausragt über das egoistische
Menschengeschick, das zusammenhängt mit dem Geschick von
Menschengruppen, so daß man in konkreter Weise
differenziert über die Erde hin. Erhebt man den
Seelenblick zu einem solchen Erfassen und Begreifen von
Menschenschicksalen im Erdenraume, interessiert man sich
intensiv für dies über das persönliche Geschick
Hinausgehende, dann stimmt man die Seele, etwas Höheres,
Wirklicheres zu begreifen als den bloßen Engel:
nämlich den Erzengel, Gedanken, was das Erzengelwesen
bedeutet, kommen einem gar nicht, wenn man nur in den Regionen
bleibt, die den egoistischen Menschen angehen. Wenn nur in den
Regionen des egoistischen Menschen gepredigt wird, dann
können die Prediger noch so viel vom Göttlichen
reden, sie reden nur von dem Engel. Denn daß man es anders
nennt, das ist ja nur eine Unwahrheit, das macht die Sache
nicht zu dem, was sie ist. Erst wenn man beginnt, sich zu
interessieren für des Menschen Geschick im Raume, dann
beginnt die Seele in die Stimmung zu kommen, zum Erzengelwesen
sich zu erheben.
Und
gehen Sie jetzt über zu noch etwas anderem. Spüren
Sie in uns das, was ich in diesen Vorträgen angedeutet
habe von den aufeinanderfolgenden Impulsen der
Menschheitsentwickelung! Spüren Sie, daß ein
großer Teil unserer führenden Menschen ausgebildet
werden in den Jahren, in denen die Menschenseele einer gewissen
Biegsamkeit zugänglich ist, in den Gymnasien; in den
Gymnasien, die nicht herausgeboren sind aus unserer
Gegenwartskultur, sondern die, so wie sie sind, noch immer
herausgeboren sind aus der Vergangenheitskultur der
griechisch-römischen, der griechisch-lateinischen Zeit.
Sehen Sie, wenn diese Griechen und Lateiner dasselbe getan
hätten wie wir, dann hätten sie
ägyptisch-chaldäische Gymnasien eingerichtet. Das
haben sie nicht getan. Sie haben ihren Lehrstoff vom
unmittelbaren Leben genommen. Wir nehmen ihn vom vorhergehenden
Zeitraume, bilden danach die Menschen aus. Das hat eine
große Bedeutung für die Menschen; aber wir haben
diese Bedeutung nicht erkannt. Hätten wir diese Bedeutung
erkannt, dann würde es innerhalb der Frauenbewegung einen
Ton geben, den es nicht gegeben hat, dann hätte es
innerhalb der Frauenbewegung den Ton gegeben, der so geklungen
hätte: Die Männerwelt wird, gerade wenn sie
ausgebildet werden soll zur besonderen Handhabung der
Intelligenz, in die antiquierten Schulen geschickt. Daher wird
ihr Gehirn verhärtet. Uns Frauen ist das gute Geschick
zugewachsen, daß man uns in die Gymnasien nicht hat
hineingelassen. Wir wollen unsere Intelligenz auf eine
ursprüngliche Note stellen, wir wollen zeigen, was man
für die Gegenwart entwickeln kann, wenn man nicht
abgestumpft wird in seiner Jugend durch die
griechisch-lateinische Gymnasialbildung,
Diese Note hat es nicht gegeben, Im Gegenteil, manche Note hat
dahin geklungen Die Männer sind untergekrochen unter die
griechisch-lateinische Gymnasialbildung, kriechen wir Frauen
auch hinein. Werden wir auch Gymnasiasten.
So
wenig hat Verständnis Platz gegriffen in bezug auf
dasjenige, was not tut. Wir sollen wissen, daß wir in
unserer Gegenwart nicht für diese Gegenwart erzogen
werden, sondern erzogen werden für griechisch-lateinische
Kultur. Die steckt daher in unserem Leben drinnen. Man muß
sie spüren. Man muß spüren, was in der Gegenwart
an griechisch-lateinischer Kultur gerade bei den führenden
Menschen, bei der sogenannten Intelligenz, bei den
Intellektuellen waltet; das ist die eine Schicht, die bei uns
ist. Sie tragen wir eigentlich in unserer ganzen geistigen
Bildung in uns. Wir lesen keine Zeitung, ohne daß nicht
griechisch-lateinische Bildung drinnen ist, denn wir schreiben
eigentlich in griechisch-lateinischer Form, auch wenn wir in
unseren Landessprachen schreiben.
Und
in bezug auf unsere Rechtsanschauung, da leben wir, wie ich
schon ausgeführt habe, im Römertum drinnen wiederum
etwas Antiquiertes. Da lebt im Recht das Römertum drinnen.
Es führen ja manchmal die alten Landesrechte ihren Streit
gegen das römische Recht, aber sie kommen nicht auf. Und
das muß man wieder fühlen, ivvie in dem,
was der Mensch Recht und Unrecht nennt im öffentlichen
Leben, eine verglommene Zeit drinnen lebt.
Nur
im Wirtschaftlichen leben wir eigentlich in der Gegenwart. Es
will viel sagen, daß wir nur im Wirtschaftlichen in der
Gegenwart leben. Daher wird sich wohl etwas sehr modifizieren,
Wenn ich das in Parenthese einfügen darf: Von manchen
Frauen werden natürlich die Begriffe der Gegenwart
aufbewahrt — nur zum Kochen, das heißt zum
Wirtschaften, und damit sind sie die eigentlichen Wesen der
Gegenwart; das andere ist etwas Antiquiertes, das wir in die
Gegenwart hereintragen. Ich sage nicht, daß dies als etwas
besonders Wünschenswertes hingestellt werden soll; aber
das andere ist jedenfalls nicht das Wünschenswerteste,
daß man nun von der Gegenwart eben auch durch die
Frauenseelen zurückgeht in antiquierte Kulturen, Wir haben
eben, indem wir auf dasjenige schauen, was in unserer
Kulturumwelt lebt, nicht nur das, was im Raume wirkt, sondern
es wirken auch alte Zeiten herein. Und eignet man sich
dafür eine Empfindung an, so wirkt nicht nur die
Vergangenheit herein, es wirkt auch schon die Zukunft herein.
Ja, es ist unsere Sache, daß die Zukunft hereinwirke. Denn
würde nicht in jedem Menschen doch, für das
Bewußtsein recht untergeordnet, eine Art Rebell gegen das
Griechentum der Bildung und das Römertum des Rechtes sein,
und würde da nicht Zukunft hereinleuchten, wir wären
traurige Kerle, eigentlich recht traurige Kerle.
Neben dem Raume müssen wir also für das, was in
unserer Kultur lebt, auch die Zeit in Betracht ziehen:
dasjenige, was an Zeitgeschichte von alters her und von der
Zukunft in unsere Gegenwart hereinragt. Wir müssen uns
klar sein, daß wir, indem wir als Menschen der Gegenwart
leben, hereinspielend haben in diese unsere Menschenseele
Vergangenheit und Zukunft. Wie wir hereinspielen haben, indem
wir Europäer sind — wie schon erwähnt —,
Amerika, England, Asien, China, Indien, den Osten und den
Westen, weil das die beiden Pole sind, so haben wir in uns
Griechenland, Rom und die Zukunft. Und indem wir uns bequemen,
das letztere ins Auge zu fassen, indem wir uns bewußt
werden, wie Vergangenes, Werdendes, Entstehendes in unserer
Seele lebt, geht in dieser Seele wieder eine andere Stimmung
auf über das über den Egoismus hinausgehende
Menschenschicksal, eine andere Stimmung als durch die
bloße Raumbetrachtung. Und wenn wir diese Seelenstimmung
entwickeln, dann erst entwickeln wir die Möglichkeit,
Begriffe zu bilden über die Sphäre der Zeitgeister,
der Archai. Das heißt, wir kommen zu dem dritten
Göttlichen in der Hierarchienreihe. Es ist gut, wenn sich
der Mensch zunächst darauf einläßt, diese drei
Hierarchien durch die Mittel, die ich eben jetzt angeführt
habe, in Begriffen, in Ideen sich vorzuführen. Denn die
Formgeister, die dann kommen, sind unendlich viel schwieriger
zu erfassen. Aber es genügt schon für den
gegenwärtigen Menschen, wenn er den Versuch macht,
über den Egoismus hinaus in die Sphäre des
Unegoistischen zu dringen, und immer wieder und wiederum zu
dringen, sich damit zu beschäftigen, was ich jetzt
charakterisiert habe! Insbesondere sollte — das muß
ich nun wiederum besonders sagen — in der Lehrerbildung
dieses vorkommen, was ich jetzt auseinandergesetzt habe. Der
Lehrer sollte nicht losgelassen werden zu unterrichten und zu
erziehen, ohne daß er einen Begriff bekommt von dem
Egoismus, welcher aufstrebt zu dem nächsten Gotte, das
heißt zum Engel, ohne daß er aber auch einen Begriff
bekommt von den unegoistischen, schicksalbestimmenden
Mächten, die im Raume über der Erde nebeneinander
sind, von den Erzengelwesen, und ohne daß er einen Begriff
bekommt von dem, wie in unsere Kultur hereinragen Vergangenes
und Zukünftiges, römisches Rechtswesen, griechische
Geistessubstanz und der unbestimmte Rebell der Zukunft, der uns
rettet.
Aber die Menschheit ist gegenwärtig wenig geneigt, auf
diese Dinge einzugehen. Vor einiger Zeit habe ich in
Vorträgen immer wieder und wiederum betont, daß es zu
den sozialen Aufgaben gehört, unsere Bildungsmittel
für die Zeit, die der Mensch heute in Gymnasien zubringt,
aus der Gegenwart zu nehmen, es so zu machen, wie es
schließlich die Griechen selber gemacht haben: daß
sie ihre Bildungsstoffe aus der Gegenwart genommen haben.
Es
sind — wenigstens der Zeit nach — an demselben
Orte, wo ich über diese Frage immer wieder und wiederum
als einer wichtigen sozialen Frage gesprochen habe — bald
nachher, ich will nicht einen Kausalzusammenhang konstruieren,
aber das ist ja auch gleichgültig, von symptomatischer
Bedeutung ist die Sache — in allen Zeitungen des
betreffenden Ortes in Massen Annoncen erschienen, worinnen
für das gegenwärtige Gymnasium Propaganda gemacht
wird. Ich hielt die Vorträge, in denen ich die
Gymnasialbildung so charakterisierte, wie ich es Ihnen jetzt
charakterisiert habe in den Zeitungen erschienen überall
Annoncen: was das Deutschtum der Gymnasialbildung seiner Jugend
verdankt zur «Stärkung des nationalen
Bewußtseins», «der nationalen Kraft» und so
weiter, ein paar Wochen vor dem Versailler Frieden!
Unterschrieben waren diese Annoncen von allen möglichen
dortigen lokalen Größen aus den Schulen, aus dem
Unterrichtswesen. Es ist eben so, daß immer
zurückprallt dasjenige, was man heute aus den wirklich
sachlichen Untergründen der Menschheitsentwickelung
darzulegen hat. Die Menschen lassen es zurückprallen
— es berührt die Tiefen der Seele nicht.
Darauf beruht aber die Schwierigkeit des Wirkens in der
sozialen Frage. Denn mit jenen Oberflächlichkeiten, mit
denen man gewöhnlich heute der sozialen Frage beikommen
will, wird man ihr nie und nimmer beikommen. Die soziale Frage
ist eine tief bedeutsame Frage, eine Frage, der man nicht
beikommt, wenn man nicht in die Tiefe des Menschen- und
Weltwesens hineinschauen will. Gerade an dem Umstande, daß
es so ist, könnte man ja ersehen, wie notwendig gewisse
Aufstellungen sind, die gerade die Dreigliederung des sozialen
Organismus macht.
Aber man muß sich ein Organ erwerben für dasjenige,
was in unserer Zeit notwendig ist. Auf geistigem Gebiete wird
es schwer sein, dieses Organ zu erwerben; denn — ich habe
es Ihnen schon einmal, glaube ich, auch hier angedeutet: die
vom Staate allmählich aufgesogene geistige Bildung im
Unterrichtswesen, die hat wirklich herausdestilliert aus den
Menschen das Aktive, das tätige Streben, die hat den
Menschen zum hingebungsvollen Gliede in der Staatsstruktur
gemacht. Ich sagte es ja, wie ich glaube, auch hier: Wie lebt
denn eigentlich eine große Anzahl von Menschen? Ausnahmen
selbstverständlich immer abgerechnet. Na, bis so zum
sechsten Jahre darf der Mensch ungehindert leben, weil da die
Menschheit dem Staate noch zu schmutzig ist. Den Aufgaben
möchte er sich nicht hingeben, der Staat, denen man sich
hingeben muß in den ersten Kinderjahren; da
überläßt man von seiten des Staates noch den
Menschen den außerstaatlichen Mächten. Dann aber wird
der Mensch in Anspruch genommen, wird so dressiert, daß er
für die Staatswirtschaft geeignet wird, daß er
hineinpaßt in die Schablone, daß er aufhört,
Mensch zu sein und das nun wird, was die Abstempelung des
Staates gibt. Dann wird er etwas dem Staate. Er strebt danach,
denn es wird ihm eingebläut; er bekommt ja nun nicht
bloß seine Verpflegung vom Staate während er
arbeitet, sondern noch über die Arbeit hinaus bis zum Tode
in Form der Pension. Denn was für ein Ideal ist heute
für viele Menschen eine pensionsberechtigte Stellung! Dazu
verfügen dann die Religionsbekenntnisse die Pensionierung
über den Tod hinaus. Die Seele wird pensionsberechtigt;
ohne daß sie etwas dazu tun soll, bekommt sie die ewige
Seligkeit durch das Wirken der Kirche selber, Die sorgt
dafür! Das ist allerdings unbequem, nun zu hören,
daß das Heil im freien geistigen Streben liegt, das
unabhängig vom Staate sein muß; daß der Staat
nur ein Rechtsstaat sein soll. Ja, Pensionsberechtigung wird es
ja im Rechtsstaate nicht geben! Das ist schon ein Grund
für viele, ihn abzulehnen, Man merkt das immer wieder und
wiederum.
Und
mit Bezug auf das intimste Geistesleben, das religiöse
Leben, wird allerdings die Weltanschauung der Zukunft von dem
Menschen verlangen, daß er seine Unsterblichkeit sich
erarbeitet, daß er seine Seele tätig sein
läßt, damit sie in Tätigkeit das Göttliche,
den Christus-Impuls in sich aufnimmt.
Viele, viele Briefe habe ich in meinem Leben bekommen, immer
wieder von kirchlichen Leuten, die sagen, die Anthroposophie,
oder wie sie es dann schon nennen, ist ja im Grunde eine
schöne Sache, aber sie widerspricht dem einfachen,
schlichten christlichen Bekenntnisse, daß Christus die
Seele erlöst hat, daß man in Christus selig werden
kann, ohne daß die Seele etwas dazu tut. Der
«schlichte Glaube des Seligwerdens durch den
Christus», davon können sie nicht lassen. Die
Menschen glauben, wenn sie so etwas sagen oder schreiben,
besonders fromm zu sein. Egoistisch sind sie, grundegoistisch
sind sie, nichts tun möchten sie in der Seele und das
Göttliche dafür sorgen lassen, daß es die Seele
hübsch pensionierend hinausträgt durch die Pforte des
Todes.
Das
ist nicht so bequem in jener Weltanschauung, in der das
Religiöse geschaffen werden muß gegen die Zukunft
hin. Da muß man begreifen, daß man sich das Innehaben
des Göttlichen in der Seele erarbeiten muß. Da wird
man nicht sich bloß passiv hingeben können an die
Kirchen, welche einem versprechen, die Seelen
hinüberzutragen — es ist ja jetzt abgekommen, was
einmal Anstoß gegeben hat — für Geld, obwohl im
geheimen das noch immer eine Rolle spielt, auch beim
Seligwerden. Aber dieser Übergang zum innerlich
Tätigsein, dieses Leben im Hinblicke auf die Welt, zu der
man sich hinzurechnen muß, das ist dasjenige, was die
Menschheit notwendig hat und was sie noch nicht sehr liebt.
Um
uns ein Gefühl für das, was auf diesem Gebiete
notwendig ist, anzueignen, müssen eben solche Dinge vor
unsere Seele hintreten, wie ich sie heute wieder erwähnt
habe: diese Metamorphose der Menschheit seit dem alten
Ägyptertum, wo sogar der Körper noch mehr
pflanzlicher Natur war, so daß, wenn er
zurückverfällt in der Gegenwart, er krank wird,
Geschwürbildungen partiell jetzt entwickelt und so weiter,
und daß wir einen Leichnam herumtragen, der eigentlich
erkennt. Durch diese Dinge eignet man sich an ein Gefühl,
eine Empfindung für dasjenige, was der Menschheit
notwendig ist: wirklich in der Richtung vorwärtszukommen,
wie man gegenwärtig in der sozialen Frage
vorwärtskommen muß. Wir dürfen es uns nicht mehr
gestatten, so etwas wie die soziale Frage nur In
möglichster Einfachheit zu betrachten.
Sehen Sie, das ist eben das außerordentlich Schwierige in
der Gegenwart, und das müssen Sie sich klarmachen, dieses
Schwierige, daß die Menschen mit ein paar abstrakten
Sätzen über die wichtigsten Angelegenheiten des
Lebens aufgeklärt sein möchten. Wenn so etwas wie
«Die Kernpunkte der sozialen Frage» mehr enthält
als einige abstrakte Sätze, wenn es enthält die
Ergebnisse einer Lebensbeobachtung, dann sagen die Leute, das
verstehen sie nicht. Das erscheint ihnen sogar verworren. Aber
das ist das Unglück der Gegenwart, daß die Menschen
nicht eingehen wollen auf dasjenige, auf was sie gerade
eingehen sollten. Denn nicht wahr, abstrakte Sätze, die
ganz durchsichtig sind, die beziehen sich ja auf das Tote; das
Soziale soll aber das Lebendige sein. Da müssen biegsame
Anschauungen, biegsame Sätze, biegsame Formen in Anwendung
sein. Deshalb ist es schon notwendig, daß wir nicht nur
nachdenken, wie ich schon öfter gesagt habe, über die
Umwandlung einzelner Einrichtungen, sondern daß wir uns
dazu bequemen, wirklich umzudenken und umzulernen mit Bezug auf
das innerste Gefüge unseres Denkens und unseres
Sinnens.
Das
ist dasjenige, was ich Ihnen, da ich ja heute wiederum für
ein paar Wochen von Ihnen Abschied nehme, vortragend
zurücklassen möchte — jetzt, wo wir im Zeichen
des Zusammenwirkens unserer anthroposophischen und sozialen
Bewegung uns fühlen müssen. Ich möchte, daß
wirklich immer mehr und mehr verstehend durchdrungen werde, wie
anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft in die Seelen
der Menschen einfließen muß, wenn im Sozialen irgend
etwas erreicht werden soll. Und da möchte ich Ihnen eines
ans Herz legen, was ich in verschiedenen Formen ja schon immer
wiederholt habe: Es handelt sich wirklich darum, dasjenige, was
wir in anthroposophischer Erkenntnis uns aneignen können,
als wahre Richtschnur für das Wirken und Streben der
Gegenwart anzuerkennen, den Mut zu haben, mit dem
Anthroposophischen durchdringen zu wollen. Es ist ja dies das
Schlimmste, daß die Menschen der Gegenwart so wenig den
Mut haben, mit etwas, was not tut, wirklich durchdringen zu
wollen, Sie lassen ihre besten Willenskräfte
gewissermaßen zerbrechen; sie wollen nicht sie
durchbringen, so notwendig dieses wäre.
Lernen Sie es mutvoll zu vertreten, daß diejenigen
Menschen, die diesen Bau, den Repräsentanten unseres
geistigen Strebens, mit Interesse betrachten, wohl von Ihnen
aufgenommen werden; freuen Sie sich über jeden einzelnen,
der nur ein bißchen Verständnis zeigt, kommen Sie ihm
entgegen, aber bauen Sie gar nichts darauf, als daß Sie es
entsprechend zurückweisen, wenn die Menschen mit
bösem Willen oder mit dem, was heute noch häufiger
ist, Unverstand der Sache entgegenkommen. Um den Mut handelt es
sich, diese Dinge durchzubringen. Wir wollen uns so betrachten,
daß wir da sind als das kleine Häuflein, das durch
sein Schicksal bestimmt ist, dasjenige zu wissen und dasjenige
der Welt mitzuteilen, was ihr heute am allernötigsten ist.
Mögen uns die Leute auslachen und mögen sie sagen,
daß es eine Anmaßung ist das zu glauben; wahr ist es
ja doch. Und dieses «wahr ist es ja doch» sich zu
sagen, aber ernsthaftig, so daß es die ganze Seele
erfüllt, dazu gehört eben ein innerer Mut, den wir
haben müssen. Der durchdringe uns als die
anthroposophische Substanz, Dann werden wir das machen, was wir
machen sollen, jeder an seinem Platze. Das möchte ich
heute noch ausgesprochen haben.
Es
ist so, daß wir schon, ich möchte sagen herbeisehnen
möchten jeden Tag, der uns näher bringt dem Wirken
— das ja jetzt außerdem sehr erschwert ist —
durch diesen Bau für die Welt. Das ist ja schließlich
das einzige, dieser Bau, was mit den großen Schicksalen
der Menschen auch in den Formen rechnet. Und es ist erfreulich,
daß diesem Bau jetzt schon Aufmerksamkeit zugewendet wird.
Aber ein Weiteres ist für ein gedeihliches Fortwirken in
der sozialen Frage noch notwendig. Das ist, daß gerade
durch so etwas wie diesen Bau, in seinen stärkeren Formen,
als heute andere architektonische Formen sind, gewirkt werde
auf die geistige Aufbesserung der Menschheitskräfte;
daß die Menschen wieder mehr zugänglich werden
für dasjenige, wovon man möchte, daß die
Menschen es wissen, damit es sie erhebt, nicht nur bis zum
Engelhaften: bis zum Erzengelhaften, zum
Zeitgeistmäßigen.
Mit
diesen Worten möchte ich mich eben wiederum für ein
paar Wochen von Ihnen verabschieden. Ich hoffe, daß wir in
ein paar Wochen diese Betrachtungen fortsetzen können und
daß wir gerade während dieser Zeiten einer regen
Wirksamkeit auch für unseren Bau selbst entgegengehen.
Denn, meine lieben Freunde, es wird mit Recht betont von allen
Seiten in der Welt draußen: Arbeitslust,
Arbeitsbereitwilligkeit ist bei den Menschen wiederum
notwendig, Die wird nicht kommen, wenn die Menschen nicht
überzeugt werden von großen Zielen. Ich glaube,
daß wenn die Menschen überzeugt werden können
davon, daß sie durch die Dreigliederung des sozialen
Organismus ein menschenwürdiges Dasein erlangen, dann
fangen sie auch wiederum an zu arbeiten. Sonst streiken sie
fort. Denn die Menschen gebrauchen einen solchen Antrieb, der
sie in tiefster Seele ergreift in unserer gegenwärtigen
Zeit. Das auf dem Gebiet der physischen Arbeit.
Aber auch nicht anders als dadurch, daß wir zeigen, wie
unsere Arbeit wenigstens an einem Objekte fruchtbar wird
und hinausstrahlt in die Welt, werden wir den Antrieb geben
können der Menschheit geistig zu überwinden
dasjenige, was bloß tot ist in unserer Zeit.
Überlegen wir uns das, meine lieben Freunde, bis zu dem
Zeitpunkte, wo wir hier wiederum zusammen sprechen werden. Auf
Wiedersehen!
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