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Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung

Schmidt-Nummer: S-5382

Online seit: 15th July, 2013

SECHSTER VORTRAG

Ilkley, 10. August 1923

Aus der bisher gegebenen Darstellung sollte sich nicht etwa bloß eine Theorie über die Notwendigkeit einer neuen Erziehungsgestaltung ergeben, sondern es sollte aus dem Gesprochenen so etwas wie eine Art Erziehungsgesinnung hervorgehen. Ich wollte in den vorangehenden Vorträgen weniger zu dem Verstände sprechen, als vielmehr zu den menschlichen Herzen. Und dies ist gerade für den Erzieher, für den Unterrichtenden das Allerwichtigste, das Wesentlichste. Denn wie wir ja gesehen haben, Erziehungskunst muß aufgebaut sein auf durchdringender Menschenerkenntnis.

Man kann seit langer Zeit, wenn von Erziehungskunst die Rede ist, hören, das oder jenes habe man mit dem Kinde zu tun. Es besteht sehr häufig die pädagogische Anweisung in solchen Geboten, gewissermaßen theoretischen Befehlen, was man mit dem Kinde zu tun habe.

Auf diese Art würde aber niemals die volle Hingabe des Unterrichtenden und Erziehenden an seinen Beruf hervorgebracht, sondern allein dadurch, daß der Unterrichtende und Erziehende die Möglichkeit hat, in die ganze menschliche Wesenheit nach Leib, Seele und Geist wirklich einzudringen.

Wer in dieser Art lebendige Ideen hat über den Menschen, bei dem werden diese lebendigen Ideen dann, wenn er vor seinen Beruf hingestellt ist, unmittelbarer Wille. Er lernt von Stunde zu Stunde praktisch eine gewichtige Frage sich beantworten.

Wer stellt diese Frage? Das Kind selber stellt diese Frage. Und so ist das Wichtigste, in dem Kinde lesen zu lernen. Und eine wirkliche, praktische, nach Körper, Seele und Geist orientierte Menschenerkenntnis leitet dazu an, in dem Kinde wirklich lesen zu lernen.

Daher ist es so schwierig, über die sogenannte Waldorfschul-Pädagogik zu sprechen. Denn Waldorfschul-Pädagogik ist nicht eigentlich etwas, das man lernen kann, über das man diskutieren kann, sondern Waldorfschul-Pädagogik ist eine reine Praxis, und man kann eigentlich nur beispielhaft erzählen, wie in diesem oder jenem Falle, für dieses oder jenes Bedürfnis die Praxis ausgeübt wird. Die Praxis selber ergibt sich durchaus aus der unmittelbaren Erfahrung. Denn das ist immer die Bedingung, daß die entsprechende Menschenerkenntnis vorhanden ist, wenn man von dieser Gesinnung ausgeht. Dann aber 1st Pädagogik und Didaktik in gewisser Beziehung schon eine ganz allgemeine soziale Frage; denn die Erziehung des Kindes muß doch eigentlich unmittelbar nach der Geburt beginnen. Das heißt aber nichts anderes, als daß Erziehung eine Angelegenheit der ganzen Menschheit, jeder Familie, jeder Menschengemeinschaft ist. Aber gerade dieses lehrt uns am allerintensivsten die Erkenntnis der kindlichen Wesenheit selber, bevor der Zahnwechsel um das siebente Jahr eingetreten ist. Ein deutscher Schriftsteller, Jean Paul, Friedrich Richter, hat ein wunderbares Wort gesprochen, indem er sagte: In den ersten drei Lebensjahren lernt der Mensch für das Leben viel mehr als in allen — damals gab es nur drei als in allen drei akademischen Jahren.

In der Tat, vor allen Dingen die drei ersten Lebensjahre, dann aber auch die Lebensjahre bis zum siebenten hin, sind für die Gesamtentwickelung des Menschen die allerwichtigsten, denn da ist das Kind als Mensch etwas ganz anderes als später. Das Kind ist in den ersten Jahren eigentlich ganz Sinnesorgan. Nur stellt man sich den Umfang dieser Idee: das Kind ist in den ersten Jahren ganz Sinnesorgan — gewöhnlich gar nicht intensiv genug vor. Man muß schon zu recht drastischen Aussagen gehen, wenn man diese ganze Wahrheit eigentlich enthüllen will.

Im späteren Leben hat der Mensch einen Geschmack von den aufgenommenen Speisen im Munde, im Gaumen, auf der Zunge. Der Geschmack ist sozusagen im Kopfe lokalisiert. Beim Kinde, insbesondere in den ersten Lebensjahren, ist das nicht der Fall, sondern der Geschmack wirkt durch den ganzen Organismus hindurch. Das Kind schmeckt bis in seine Gliedmaßen hinein die Muttermilch und die erste Nahrung. Was im späteren Lebensalter auf der Zunge vor sich geht, das geht bei dem Kinde im ganzen Organismus vor sich. Das Kind lebt sozusagen, indem es alles, was es aufnimmt, schmeckt. In dieser Beziehung lebt da etwas stark Animalisches. Aber wir dürfen niemals das Animalische, das in dem Kinde ist, vorstellen gleich dem Animalischen, das in dem Tiere ist. Es ist immer das Animalische bei dem Kinde sozusagen auf ein höheres Niveau heraufgehoben. Der Mensch ist nie Tier, niemals, auch nicht als Embryo, da am allerwenigsten. Aber man kann sozusagen die Ideen deutlich machen, wenn man sie so gestaltet, sie mit etwas vergleicht.

Wer jemals mit einem wirklichen Blick für die Naturvorgänge eine Herde gesehen hat, die eben auf einer Wiese, auf dem Felde ihre Nahrung abgegrast hat und dann daliegt, sagen wir eine Herde von Kühen im Grase, jede einzelne Kuh hingegeben in einer wunderbaren Weise der ganzen Welt, das Verdauungsgeschäft besorgend, der bekommt einen Eindruck von dem, was da eigentlich in dem Tiere vor sich geht. Eine ganze Welt, ein ganzer Extrakt des kosmischen Geschehens geht da in dem Tier vor sich, und das Tier erlebt, während es verdaut, die wunderbarsten Visionen. Das Verdauungsgeschäft ist das allerwichtigste Erkenntnisgeschäft beim Tiere. Und während das Tier verdaut, ist es in einer träumerisch-imaginativen Art an die ganze Welt hingegeben.

Das sieht übertrieben aus, allein das Merkwürdige dabei ist, daß es gar nicht übertrieben ist, daß es durchaus der Wahrheit entspricht. Und wenn wir das um eine Stufe heraufheben, dann bekommen wir das Erlebnis des Kindes bei seinen physischen Funktionen. Alle physischen Funktionen begleitet der Geschmack. Ebenso wie der Geschmack alle physischen Funktionen begleitet, so ist etwas, was sonst nur in Auge und Ohr lokalisiert ist, in dem ganzen Organismus des Kindes.

Stellen Sie sich das Wunderbare eines Auges vor, wie das Auge das Farbige geformt von außen aufnimmt, innerlich ein Bild macht, wodurch wir sehen. Das ist lokalisiert, das ist abgesondert von unserem Gesamterleben. Und wir ergreifen dann dasjenige, was das Auge in wunderbarer Weise formt, mit dem Verstände, in einem Schattenbilde des Verstandes, das davon gemacht wird.

Ebenso wunderbar sind die Vorgänge, die im Ohre lokalisiert sind beim erwachsenen Menschen. Aber das, was beim erwachsenen Menschen in den Sinnen lokalisiert ist, ist ausgebreitet über den ganzen Organismus beim Kinde. Daher gibt es beim Kinde keine Trennung zwischen Geist, Seele, Körper, sondern alles dasjenige, was von außen wirkt, wird innerlich nachgebildet. Das Kind bildet nachahmend die ganze Umgebung nach.

Und nun müssen wir, indem wir diesen Gesichtspunkt gewonnen haben, hinschauen darauf, wie drei für das ganze Leben maßgebende Tätigkeiten von dem Kinde in den ersten Lebensjahren erworben werden: Gehen, Sprechen, Denken. Diese drei Fähigkeiten, die werden maßgeblich für das ganze Leben in den ersten Lebensjahren von dem Kinde erworben.

Gehen, ja, das ist, ich möchte sagen, eine Abbreviatur, ein verkürzter Ausdruck für etwas viel Umfassenderes. Weil es am meisten auffällt, daß wir gehen lernen, sagen wir: das Kind lernt gehen. Aber dieses Gehenlernen, das ist ja verbunden mit einem Sich-Hineinversetzen in eine Gleichgewichtslage gegenüber der ganzen Raumeswelt. Wir suchen als Kind die aufrechte Lage, wir suchen als Kind die Beine in ein solches Verhältnis zur Schwerkraft zu bringen, daß wir das Gleichgewicht haben. Wir versuchen dasselbe aber auch mit den Armen und Händen. Der ganze Organismus wird orientiert. Gehenlernen bedeutet, die Raumrichtungen der Welt finden, den eigenen Organismus in die Raumrichtungen der Welt hineinzustellen.

Hier handelt es sich darum, daß wir in richtiger Weise hinschauen darauf, wie das Kind ein nachahmendes Sinneswesen ist. Denn alles muß in den ersten Lebensjahren durch Nachahmung gelernt werden, aufgenommen werden durch Nachahmung aus der Umgebung.

Nun wird doch jedem auffallen, wie der Organismus aus sich selber die orientierenden Kräfte heraustreibt, wie der Organismus des Menschen daraufhin veranlagt ist, sich in die vertikale Lage zu bringen, nicht wie beim Kriechen bei der horizontalen Lage zu bleiben, die Arme in entsprechender Weise im Gleichgewicht gegenüber der Raumeswelt zu gebrauchen. Das alles ist eine Veranlagung des Kindes, geht sozusagen aus den eigenen Impulsen der Organisation hervor.

Wenn wir nun anfangen, als Erziehende in das, was da die eigene Menschennatur will, den geringsten Zwang hineinzubringen, wenn wir nicht verstehen, frei die Menschennatur sich selbst zu überlassen und nur die Hilfeleister zu bilden, dann verderben wir die menschliche Organisation für das ganze Erdenleben.

Wenn wir daher das Kind durch äußere Handhabungen in unrichtiger Weise veranlassen zu gehen, wenn wir ihm nicht bloß helfen, sondern wenn wir durch Zwang das Gehen, das Stehen herbeiführen wollen, dann verderben wir dem Kinde das Leben bis zum Tode hin. Insbesondere verderben wir ihm das höchste Alter. Denn es handelt sich bei einer wirklichen Erziehung immer darum, nicht bloß auf die Gegenwart des Kindes zu schauen, sondern auf das ganze menschliche Leben zu schauen bis zum Tode hin. Wir müssen wissen, daß in dem kindlichen Alter im Keime das ganze menschliche Erdenleben steckt.

Nun ist das Kind, weil es ein außerordentlich fein organisiertes Sinnesorgan ist, empfänglich eben nicht nur für die physischen Einflüsse seiner Umgebung, sondern empfänglich für die moralischen Einflüsse, namentlich für die gedanklichen Einflüsse. So paradox das dem heutigen, materialistisch denkenden Menschen erscheint, das Kind empfindet das, was wir in seiner Umgebung denken. Und es ist nicht nur wichtig, daß wir uns in der Umgebung des Kindes, wenn wir Eltern oder Erzieher sind, nicht bloß nicht gestatten, äußerlich sichtbar ungehörige Dinge zu tun, sondern wir müssen auch in unseren Gedanken und Empfindungen, die das Kind fühlt, aufnimmt, innerlich wahr, innerlich moraldurchdrungen sein. Denn das Kind gestaltet sein Wesen nicht bloß nach unseren Worten oder nach unseren Handlungen, sondern das Kind gestaltet sein Wesen nach unserer Gesinnung, nach unserer Gedankenhaltung, Gefühlshaltung. Und für die erste Zeit der kindlichen Erziehung bis zum siebenten Jahre hin, ist das Allerwichtigste dieses, wie die Umgebung ist.

Nun entsteht die Frage: Was können wir hineinmischen in dasjenige, was wir als Anleitung, als Hilfeleistung geben beim Gehen, beim Sich-Orientierenlernen? Hier handelt es sich darum, daß man mit einer spirituellen Wissenschaft die Lebenszusammenhänge überschaut, mit einer toten, unspirituellen Wissenschaft die Lebenszusammenhänge nicht überschaut.

Nehmen wir ein Kind, das durch allerlei äußere Zwangsmittel, weil man dieses für richtig hielt, zum Gehen, zum Orientieren im Räume angehalten worden ist, und nun betrachten wir dieses Kind dann wieder in seinem fünfzigsten Lebensjahre, zwischen dem fünfzigsten und sechzigsten Lebensjahre, und wir werden unter Umständen, wenn nichts anderes im Leben dagegen gewirkt hat, dieses Kind, wenn es das fünfzigste, das sechzigste Jahr erreicht hat, mit allen möglichen Stoffwechselkrankheiten, die es nicht beherrschen kann, behaftet sehen, mit Rheumatismus, mit Gichterscheinungen und so weiter.

Bis zu diesem Grade geht es, daß alles Seelisch-Geistige, das wir beim Kinde ausüben — denn es ist ja ein Seelisch-Geistiges, wenn wir es durch Zwang in die vertikale Lage, in das Gehen hineinbringen, selbst wenn wir mit gleichgültigem Herzen dabei sind —, bis zu diesem Grade geht es, daß das Geistige beim Kinde in das Physische hineinwirkt. Und die Kräfte bleiben. Die Kräfte, die wir da durch Maßnahmen höchst fragwürdiger Art erzeugen, diese Kräfte bleiben das ganze menschliche Leben hindurch, und später zeigen sie sich, wenn sie nicht richtig waren, in physischen Krankheiten.

Alle Erziehung ist gerade beim Kinde auch eine physische Erziehung. Sie können gar nicht das Kind abgesondert physisch erziehen, denn alle seelisch-geistige Erziehung, alle Erziehung ist beim Kinde zugleich auf die Physis wirkend, ist physische Erziehung, Wenn Sie an einem Kinde sehen: der Organismus orientiert sich dahin, aufrecht zu stehen, zu gehen, wenn Sie mit einer innigen Liebe auf dieses wunderbare Geheimnis des Menschenorganismus hinsehen, der aus der horizontalen Lage in die vertikale übergehen kann, wenn Sie das religiöse Gefühl haben, in scheuer Ehrfurcht den schaffenden Götterkräften gegenüberzustehen, die hier das Kind hinorientieren in den Raum, wenn Sie, mit anderen Worten, als der Hilfeleister beim Gehen, beim Orientierenlernen dastehen als derjenige, der die menschliche Natur in dem Kinde innig liebt, indem er jede Äußerung dieser menschlichen Natur mit Liebe als der Hilfeleister verfolgt: dann erzeugen Sie in dem Kinde gesundende Kräfte, die sich gerade in einem gesunden Stoffwechsel noch zwischen dem fünfzigsten und sechzigsten Jahre zeigen, wo man nötig hat, diesen Stoffwechsel zu beherrschen.

Denn das ist das Geheimnis der Menschenentwickelung: Was auf einer bestimmten Stufe des Lebens geistig-seelisch ist, wird später physisch, offenbart sich physisch; nach Jahren offenbart es sich physisch. So viel über das Gehenlernen. Ein in Liebe zum Gehen angeleitetes Kind wird zum gesunden Menschen erzogen. Und die Liebe beim Gehenlernen anzuwenden, ist ein gut Stück einfach körperlich-gesundheitlicher Erziehung des Kindes.

Das Sprechen entwickelt sich ja heraus aus dem Orientieren im Räume. Die heutige physiologische Wissenschaft weiß davon nicht viel; aber sie weiß schon doch ein Stück. Sie weiß, daß, während wir mit der rechten Hand unsere Verrichtungen im Leben vollziehen, eine gewisse Windung auf der linken Seite des Gehirns den Motor des Sprechens darstellt. Diese physiologische Wissenschaft stellt schon dar eine Korrespondenz zwischen der Bewegung der rechten Hand und dem sogenannten Brocaschen Organ in der linken Gehirnhälfte. Wie die Hand sich bewegt, wie die Hand Gesten macht, wie die Kraft in die Hand hineinergossen wird, das geht in das Gehirn und bildet den Motor für das Sprechen. Es ist ein kleines Stück von dem, was man über die Sache wissenschaftlich weiß. Denn die Wahrheit ist diese: Das Sprechen geht nicht nur aus der Bewegung der rechten Hand hervor, die mit der linken Stirnwindung korrespondiert, sondern das Sprechen geht aus dem ganzen motorischen Organismus des Menschen hervor. Wie das Kind gehen lernt, sich orientieren lernt im Räume, wie es die ersten zappelnden, unbestimmten Bewegungen der Arme verwandeln lernt in zweckentsprechende Bewegungen, die mit der Außenwelt in Verbindung stehen, das überträgt sich durch die geheimnisvolle innere Organisation des Menschen auf die Kopforganisation. Das kommt im Sprechen zum Vorschein.

Wer diese Dinge richtig beurteilen kann, der weiß, wie jeder Laut, namentlich jeder Gaumenlaut anders tönt bei einem Kinde, das beim Gehen mit den Füßen schlenkert, als bei demjenigen Kinde, das fest auftritt. Die ganze Nuancierung der Sprache ist im Bewegungsorganismus gegeben. Das Leben ist zuerst Geste, und die Geste verwandelt sich innerlich in das Motorische des Sprechens. So daß das Sprechen ein Ergebnis des Gehens, das heißt, des Orientierens im Räume ist. Und davon, daß wir liebevoll das Kind zum Gehen veranlassen, wird viel abhängen, wie es dann die Sprache beherrschen wird.

Das sind die feineren Zusammenhänge, die eine wirkliche Menschenerkenntnis gibt. Ich habe wirklich in den vorangehenden Tagen nicht umsonst ausführlich dieses Herantragen des Geistes an die menschliche Organisation besprochen. So trägt man den Geist heran an den Körper. Denn der Körper folgt bei jedem Schritte dem Geist, wenn der Geist in der richtigen Weise herangebracht wird.

Nun ist es wieder so, daß das Kind das Sprechen zunächst lernt durch seinen ganzen Organismus. Wenn Sie so die Sache überblicken, so haben wir zuerst das äußerliche Bewegen, das Bewegen der Beine, was das starke Konturieren hervorruft; das Artikulieren mit Armen und Händen, was das Biegen der Worte, das Gestalten der Worte hervorruft. Wir sehen, wie innerlich beim Kinde die äußerliche Bewegung in die Bewegung der Sprache umgesetzt wird.

Und wenn wir als Hilfeleister beim Gehenlernen jede Anleitung, die wir geben, in Liebe tauchen sollen, dann ist weiter notwendig, daß wir im Sprechenlehren, in der Hilfeleistung, die wir beim Sprechenlernen leisten, innerlich ganz wahr sind. Die größten Unwahrhaftigkeiten des Lebens werden erzeugt während des Sprechenlernens des Kindes; denn da wird die Wahrhaftigkeit des Sprechens durch den physischen Organismus, durch die physische Organisation aufgenommen.

Ein Kind, dem gegenüber man als Erziehender, Unterrichtender immer wahrhaftig sich als Mensch äußert, ein solches Kind wird, seine Umgebung nachahmend, die Sprache so erlernen, daß sich jene feinere Tätigkeit in ihm festigt, die fortwährend im Organismus vor sich gehen muß, indem wir einatmen und ausatmen.

Diese Dinge sind natürlich alle nicht im Groben, sondern im Feineren vorzustellen. Aber im Feineren bestehen sie und zeigen sich im ganzen Leben. Wir atmen Sauerstoff ein, wir atmen Kohlensäure aus. In unserem Organismus muß durch den Atmungsprozeß Sauerstoff in Kohlensäure verwandelt werden. Die Welt gibt uns den Sauerstoff; sie nimmt die Kohlensäure von uns hin. Ob wir in der richtigen Weise im feineren, intimeren Menschenleben den Sauerstoff in uns selber in Kohlensäure verwandeln, das hängt davon ab, ob wir durch unsere Umgebung beim Sprechenlernen wahrhaftig oder unwahrhaftig behandelt werden. Das Geistige verwandelt sich da ganz in ein Physisches.

Und eine der Unwahrhaftigkeiten besteht darin, daß wir in der Umgebung des Kindes sehr häufig glauben, dem Kinde etwas Gutes zu tun, wenn wir uns im Sprechen auf die Stufe des Kindes herabsetzen. Das Kind will aber in seinem Unbewußten nicht eine kindlich zugerichtete Sprache haben, sondern es will die Sprache hören, welche die wahrhaftige Sprache des Erwachsenen ist. Wir wollen daher zum Kinde so sprechen, wie wir gewohnt sind im Leben zu sprechen, und wollen nicht eine besonders zugerichtete Kindessprache haben.

Das Kind wird zunächst wegen seines Unvermögens dasjenige lallend nachsagen, was man ihm vorsagt; aber wir sollen nicht selber lallend werden. Denn das ist die größte Unvollkommenheit. Und wenn wir das Lallen des Kindes, die unvollkommene Sprache des Kindes glauben anwenden zu müssen, so verderben wir dem Kinde die Verdauungsorgane. Denn alles Geistige wird physisch, geht hinein gestaltend in die physische Organisation. Und alles, was wir geistig tun beim Kinde, ist — weil das Kind gar nichts selber ist — auch noch eine physische Trainierung. Manche verdorbenen Verdauungsorgane des späteren Lebens rühren vom falschen Sprechenlernen her.

Geradeso wie das Sprechen aus dem Gehen, aus dem Greifen, aus der Bewegung des Menschen entsteht, so entsteht wiederum das Denken aus dem Sprechen. Und haben wir nötig, bei der Hilfeleistung, die wir beim Gehen anzuwenden haben, alles in Liebe zu tauchen; haben wir nötig — weil das Kind innerlich das nachbildet, was in seiner Umgebung sich realisiert —, beim Sprechenlernen der gediegensten Wahrhaftigkeit uns zu befleißigen, so haben wir nötig, damit das Kind, das ganz Sinnesorgan ist und auch das Geistige innerlich physisch nachbildet, damit es aus dem Sprechen das richtige Denken herausholt, in unserem Denken in der Umgebung des Kindes Klarheit walten zu lassen.

Es ist das Schlimmste, was wir dem Kinde antun können, wenn wir in der Umgebung des Kindes irgendeine Anordnung geben, hinterher wieder zurücknehmen, etwas anderes sagen, wodurch die Dinge verwirrt werden. Verwirrung hervorzurufen durch Denken in der Umgebung des Kindes, das ist der eigentliche Urheber desjenigen, was wir in der heutigen Zivilisation die Nervosität des Menschen nennen.

Warum sind so viele Menschen in unserem Zeitalter nervös? Nur aus dem Grunde, weil die Menschen nicht klar, präzise in der Umgebung gedacht haben, während das Kind, nachdem es sprechen gelernt hat, auch denken lernt.

Die nächste Generation, wenn sie gerade ihre großen Fehler zeigt, ist in ihrem physischen Verhalten einfach ein getreues Abbild der vorhergehenden Generation. Und wenn man Kinder, die man hat, im späteren Leben beobachtet, wie sie gewisse Untugenden haben, dann sollte das Beobachten dieser Untugenden eigentlich ein bißchen Veranlassung zur Selbsterkenntnis sein. Denn es ist ein ganz intimer Vorgang, wie alles dasjenige, was in der Umgebung des Kindes geschieht, sich in der physischen Organisation ausdrückt. Für dieses Kindesalter wird Liebe in der Behandlung des Gehenlernens, Wahrhaftigkeit in der Behandlung des Sprechenlernens, Klarheit, Bestimmtheit bei der Umgebung während des Denkenlernens des Kindes zur physischen Organisation. So bauen sich die Gefäße auf, so bauen sich die Organe auf, wie sich Liebe, Wahrhaftigkeit, Klarheit in der Umgebung entwickelt.

Stoffwechselkrankheiten sind die Folge unliebsamen Gehenlernens. Verdauungsstörungen können Folge sein unwahrhaftigen Behandelns, während das Kind zum Sprechen kommt. Nervosität ist die Folge im Leben von verwirrtem Denken in der Umgebung des Kindes.

Wenn man darauf hinsieht, wie heute im dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die Nervosität herrscht, dann muß man daraus den Schluß ziehen, eine wie starke Verwirrung bei den Erziehenden so ungefähr um den Beginn des Jahrhunderts geherrscht haben muß. Denn alles das, was da Verwirrung war im Benehmen durch das Denken, das ist die heutige Nervosität. Und die Nervosität wiederum, die die Leute gehabt haben um die Wende des Jahrhunderts, die ist nichts anderes als das Bild der Verwirrung ungefähr um 1870. Diese Dinge können ja so betrachtet werden, daß nicht Physiologie und Hygiene und psychologische Pädagogik dasteht und bei jeder Gelegenheit der Lehrer nötig hat, wenn es sich um irgend etwas Gesundheitliches handelt, den Arzt zu rufen, sondern diese Dinge können ja so behandelt werden, da physiologische Pädagogik und Schulhygiene, Schulphysiologie, ein Ganzes sind, daß der Lehrer auch dasjenige in seine Mission, in seine Aufgaben aufnimmt, was das geistige Wirken im physisch-sinnlichen Organismus ist.

Aber da eigentlich alle Menschen Erzieher sind für das Lebensalter zwischen der Geburt und dem siebenten Lebensjahre, stehen wir einfach auch vor der sozialen Aufgabe, daß eine wirkliche Menschenerkenntnis überhaupt notwendig ist, wenn die Menschheit nicht einem Niedergang, sondern einem Aufgang entgegengehen soll.

Unser humanes Zeitalter hat, mit Recht selbstverständlich, ein sehr gebräuchliches Erziehungsmittel der früheren Zeiten abgeschafft: das Prügeln, das Schlagen. Aber unsere Zeit — es soll mir niemand den Vorwurf machen, daß ich etwa für die Prügelstrafe in diesem Vortrage eintrete —, unsere Zeit hat gerade deshalb das große Talent gehabt, die Prügelstrafe im Unterrichtswesen zu entfernen, weil ja dieses Zeitalter auf Äußerlichkeiten gut eingestellt ist, weil dieses Zeitalter die Schädlichkeiten der Schläge für den physischen Organismus und die moralischen Konsequenzen, die aus dieser Schädigung des physischen Organismus beim Prügeln hervorgehen, ganz gut einsehen kann.

Aber in der Kindererziehung ist gerade in diesem Zeitalter, das so sehr orientiert ist auf das Physische, Sinnliche und wenig orientiert ist auf das Geistige und Seelische, eine furchtbare Prügelei eingezogen, eine Prügelei, von der man sich allerdings keine Vorstellung macht, weil man heute eben allzuwenig auf den Geist hin orientiert ist.

Unsere Mütter, bisweilen unsere Väter auch, finden es in einer außerordentlich starken Weise notwendig, zum Beispiel dem kleinen Mädchen eine sehr schöne Puppe zu schenken, damit das kleine Mädchen im Spielalter nun mit der schönen Puppe spielen kann. Diese «schöne Puppe» ist ja trotzdem immer scheußlich, weil sie unkünstlerisch ist; aber sie ist, wie man bisweilen meint, eine schöne Puppe, die «richtige» Haare hat, die auch richtig angemalt ist, die sogar bewegliche Augen hat — wenn man sie niederlegt, schließt sie die Augen, verdreht sie, wenn man sie aufhebt, schaut sie einen an bewegliche Puppen sind sogar entstanden; kurz, es sind Spielzeuge in die Spielweisen der Kinder eingezogen, die in einer merkwürdigen, unkünstlerischen, aber vermeintlich das Leben nachahmenden Weise nun an das Kind herangebracht werden sollen. Die Puppe ist bloß ein charakteristisches Beispiel; wir formen ja alle unsere Spielzeuge nach und nach aus unserer Zivilisation heraus in einer solchen Weise. Diese Spielzeuge sind die furchtbarste innere Prügelei der Kinder. Und wie sich Kinder innerhalb der Familie, der Gemeinschaft ja auch wacker artig zeigen, wenn man sie verprügelt, wie das also durch Konventionelles hervorgerufen werden kann, so drücken auch die Kinder dasjenige aus Artigkeit nicht aus, was eigentlich tief im Grunde ihrer Seele wurzelt: die Antipathie gegen diese schöne Puppe. Wir bringen mit aller Gewalt dem Kinde bei, daß ihm das sympathisch sein soll, aber die unbewußten, unterbewußten Kräfte im Kinde spielen stark, und denen ist eigentlich all das, was in dem Stil der «schönen Puppe» ist, tief unsympathisch; denn es ist, wie ich gleich zeigen werde, eine innerliche Prügelei des Kindes.

Geht man aber so vor, daß dasjenige in Betracht gezogen wird, was das Kind in seinem einfachen Denken bis zum vierten, fünften Jahre, ja noch bis zum sechsten, siebenten Jahre hin, schon innerlich erfahren hat beim Aufrichten, beim Vertikalrichten, beim Spüren des Gehens, dann bekommt man eine Puppe, die man aus einem Taschentuch formt, oben den Kopf, ein Paar Tintenkleckse für die Augen allenfalls^ und dann hat man in dieser Puppe all dasjenige, was das Kind verstehen kann, was das Kind auch lieben kann. Da sind in einer primitiven Weise die Eigenschaften der menschlichen Gestalt vorhanden, soweit sie das Kind einzig und allein in seinem Kindesalter überschauen kann.

Das Kind weiß nicht mehr vom Menschen, als daß der Mensch aufrecht ist, daß er ein Unten und ein Oben hat, daß da oben ein Kopf ist, und daß ein Paar Augen da sind; den Mund — das werden Sie bei kindlichen Zeichnungen finden den zeichnen sie manchmal auf die Stirne hinauf. Die Lage des Mundes ist noch nicht einmal klar. Dasjenige, was das Kind wirklich erlebt, ist aus der Puppe, die aus dem Taschentuch geformt und mit ein paar Tintenklecksen versehen ist, zu ersehen. Im Kinde arbeitet eine innerliche plastische Kraft. All dasjenige, was aus der Umgebung des Kindes an das Kind herankommt, geht über in ein inneres Bilden, auch in das Organbilden.

Wenn das Kind, sagen wir, einen Vater neben sich hat, der sich alle Augenblicke in Jähzorn äußert, wo also alle Augenblicke im unmittelbar äußerlichen Erlebnisse etwas vorkommt, was Schock bewirkt, ein Unmotiviertes ist, dann erlebt das Kind dies mit; das Kind erlebt dies so mit, daß es sich ausdrückt in seinem Atem und seiner Blutzirkulation. Indem es sich aber ausdrückt in der Atmung und Blutzirkulation, gestaltet es Lunge, gestaltet es Herz, gestaltet es das ganze Gefäßsystem; und das Kind tragt dasjenige plastisch gestaltet innerlich sein ganzes Leben hindurch mit, was es durch den Anblick der Taten eines jähzornigen Vaters in sich plastisch ausgebildet hat.

Damit will ich nur andeuten, wie das Kind eine innerlich wunderbar wirkende plastische Kraft hat, wie das Kind fortwährend innerlich als Bildhauer an sich arbeitet. Und wenn Sie dem Kinde die Puppe aus dem Taschentuch geben, dann gehen die Kräfte, die aus dem menschlichen Organismus plastisch bildend in das Gehirn heraufgehen, die namentlich aus dem rhythmischen System, aus Atmung und Blutzirkulation das Gehirn ausbilden, sanft in das Gehirn. Sie bilden das kindliche Gehirn so, wie ein Bildhauer arbeitet, der mit biegsamer, leicht beweglicher, durchgeistigter, beseelter Hand den bildhauerischen Stoff bearbeitet: da geht alles in Bildsamkeit und in organischer Entwickelung vor sich. Das Kind schaut sich dieses zur Puppe geformte Taschentuch an, und das wird im Menschen Bildekraft, richtige Bildekraft, die aus dem rhythmischen System heraus sich gestaltet in das Gehirnsystem.

Wenn Sie dem Kinde eine sogenannte schöne Puppe geben — die Puppe, die sich sogar bewegen kann, die Augen bewegen kann, die angestrichen ist, schöne Haare hat —, wenn Sie dem Kind dieses künstlerisch angeschaut, furchtbar scheußliche Gespenst übergeben, dann wirken die Kräfte aus dem rhythmischen System herauf, diese plastischen Kräfte, die vom Atmungs- und Blutsystem das Gehirnsystem gestalten, fortwährend wie Peitschenhiebe: das alles, was das Kind noch nicht verstehen kann, das peitscht herauf in das Gehirn. Das Gehirn wird gründlich durchgepeitscht, durchgeprügelt in einer furchtbaren Art. Das ist das Geheimnis der schönen Puppe. Das ist aber auch das Geheimnis des kindlichen Spiellebens in vieler Beziehung.

Man muß sich klar sein darüber, wenn man nun liebevoll das Kind zum Spiel anleiten will, wieviel von innerlich bauenden Kräften beim Kind zum Vorschein kommt. In dieser Beziehung sieht ja unsere ganze Zivilisation falsch. Unsere Zivilisation hat zum Beispiel den sögenannten Animismus erfunden. Das Kind, das sich an dem Tisch stößt, schlägt die Tischecke. Da sagt unsere Zeit: das Kind belebt den Tisch, stellt den Tisch vor, wie wenn er leben würde, wie ein Lebewesen, träumt das Leben in den Tisch hinein, schlägt den Tisch.

Das ist ja gar nicht wahr. Das Kind träumt gar nichts in den Tisch hinein, sondern aus den Lebewesen, aus den Wesen, die wirklich leben, träumt es das Leben heraus. Nicht daß es in den Tisch das Leben hineinträumt, sondern aus den wirklichen Lebewesen träumt es das Leben heraus. Und wenn es sich verletzt hat, so schlägt es aus einer Art Reflexbewegung; und da alles noch unbelebt ist für das Kind — es träumt nicht das Leben in den Tisch hinein —, verhält es sich gegen das Belebte und Unbelebte gleich.

Aus solchen ganz verkehrten Ideen sieht man, wie unsere Zivilisation gar nicht in der Lage ist, an das Kind heranzukommen. Und so handelt es sich darum, daß wir uns wirklich liebevoll dem Kinde gegenüber verhalten können, daß wir dasjenige, was es selber will, nur liebevoll anleiten. Und so sollen wir es nicht innerlich verprügeln durch schöne Puppen, so sollen wir mit ihm leben können und die Puppe gestalten, die es innerlich selber erlebt.

Und so mit Bezug auf das ganze Spielwesen. Das Spielwesen fordert in der Tat ein wirkliches Durchschauen des kindlichen Wesens. — Wenn wir so lallen wie das kleine Kind, wenn wir die Sprache herunterbilden bis zum Kinde, wenn wir nicht wahrhaftig so sprechen, wie das Kind es hören muß als wahrhaft aus unserem Wesen herauskommend, so kommen wir mit Unwahrhaftigkeit dem Kinde entgegen. Während wir aber da uns nicht in Unwahrhaftigkeit hineinversetzen sollen, müssen wir uns in das, was willensartig ist, was ins Spielwesen hineingeht, gerade auf die kindliche Stufe versetzen können. Dann wird es uns klar sein, daß das Kind ganz und gar nicht in seinem organischen Wesen dasjenige hat, was heute in unserer Zivilisation ganz besonders beliebt ist: die Intellektualität. Wir dürfen daher auch in das kindliche Spiel nichts hineinbringen, was irgendwie intellektuell beherrscht ist.

Nun wird das Kind auf naturgemäße Weise ja auch im Spiel Nachahmer in bezug auf dasjenige, was in der Umgebung sich abspielt; aber man wird wenig erlebt haben, daß jemals ein Kind ein, sagen wir, Philologe hat werden wollen. Selten wird man erleben bei einem vierjährigen Kind, daß es ein Philologe werden will; aber ein Chauffeur zum Beispiel will es unter Umständen werden. Warum? Weil man alles dasjenige sieht, was am Chauffeur sich offenbart. Das sieht man, das macht einen unmittelbaren Bildeindruck. Was der Philologe tut, das macht keinen Bildeindruck. Das ist unbildlich, das geht überhaupt vor dem Leben des Kindes vorüber. Wir sollen aber ins Spiel nur dasjenige hineinbringen, was an dem Kinde nicht vorübergeht. Alles Intellektuelle geht aber noch am Leben des Kindes vorüber. Was haben wir daher nötig, damit wir in der richtigen Weise das kindliche Spiel anzuleiten vermögen als Erwachsene? Wir pflügen, wir bereiten Hüte, wir nähen Kleider und so weiter. Darinnen liegt überall die Hinorientierung auf das Zweckmäßige, und in dieser Hinorientierung auf das Zweckmäßige liegt das Intellektualistische. Wovon man den Zweck einsieht im Leben, das hat man intellektualistisch durchdrungen.

Nun hat aber alles dasjenige, was im Leben drinnensteht, ob es Pflügen ist, ob es irgend etwas anderes ist, Wagenbauen, Pferde beschlagen lassen, außer dem, daß es nach einem Zweck orientiert ist, etwas, was in seiner äußeren Gestaltung lebt, in der bloßen äußeren Gestaltung. Man kann, wenn man einen Landmann ansieht, der den Pflug über die Furchen führt — ganz abgesehen von dem, was der Zweck dieser Tätigkeit ist fühlen und empfinden, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Gestaltende desjenigen, was im Bilde lebt, was zum Bilde wird. Wenn man nur als Mensch sich durchringt — und es ist der ästhetische Sinn, der es dazu bringt —, überall das vom Zweck noch absehende Gestaltende aufzufassen, dann bekommt man dasjenige, was in den Spieldingen wirklich an das Kind herankommen kann. Man wird gerade dadurch, daß man nicht auf jenes Schöne geht — was ja auch durch und durch ein Intellektualistisches ist —, das man bei den heutigen «schönen Puppen» anstrebt, sondern auf dasjenige geht, was sich in der Haltung, in der ganzen Empfindung des Menschen ausspricht, hingeleitet zu der primitiven, zu der wirklich entzückenden Puppe, die dann mehr so ausschaut (eine von Waldorfschülern geschnitzte Puppe wird gezeigt), nicht wie die sogenannte «schöne» Puppe. Aber das ist schon für ältere Kinder!

Es handelt sich also darum, daß wir, um Erzieher zu werden, dieses Ästhetische der Arbeit in der Arbeit schauen können, damit wir das Ästhetische der Arbeit heranbringen an die Ausarbeitung des Spielzeuges. Wenn wir das Ästhetische der Arbeit an die Ausarbeitung des Spielzeuges heranbringen, dann nähern wir uns dem, was das Kind aus sich selber heraus will. Wir sind in unserer Zivilisation fast ausschließlich Nützlichkeitsmenschen, das heißt, intellektualistische Menschen geworden, bringen daher auch schon an das Kind alles mögliche Ausgedachte heran. Aber es handelt sich darum, daß wir an das Kind nicht dasjenige vom späteren Leben heranbringen, was gedacht ist, sondern was am späteren Leben gefühlt, empfunden werden kann. Das muß im Spielzeug drinnen sein. Wir mögen dem Knaben einen Pflug geben, aber es handelt sich darum, daß wir ihm das Gestaltende, das Ästhetische des Pflügens in das Spielzeug hineinlegen. Das ist dasjenige, was die Vollkraft des Menschen zur Entwickelung bringen kann.

Darin haben die ja sonst in vieler Beziehung außerordentlich anerkennenswerten Kindergärten große Fehler gemacht. Der Kindergarten, der von Fröbel und anderen mit einer wirklich innigen Kindesliebe eingerichtet worden ist, muß sich klar sein darüber, daß das Kind ein nachahmendes Wesen ist, aber nachahmen nur dasjenige kann, was noch nicht intellektualistisch ist. So dürfen wir nicht allerlei Kinderarbeiten in den Kindergarten hineinbringen, die ausgedacht sind. Alles Stäbchenlegen, alles Flechten und dergleichen, was im Kindergarten vielfach eine so große Rolle spielt, ist ausgedacht. Wir dürfen in dem Kindergarten nur dasjenige im Bilde haben, was die großen Leute auch machen, nicht was im besonderen ausgedacht ist. Den Menschenkenner beschleicht oftmals ein tragisches Gefühl, wenn er in diese gutgemeinten Kindergärten hineinkommt, wo so schön ausgedachte Arbeiten darin sind. Denn auf der einen Seite gehen diese Kindergärten aus einem so unendlich guten Willen hervor, aus so viel Kinderliebe, und auf der anderen Seite wird nicht beachtet, daß alles inhaltlich Intellektualistische, alles dasjenige, was ausgedacht ist an Kinderarbeiten, vom Kindergarten ausgeschlossen sein muß, daß es nur die äußere Nachahmung des äußeren Bildes der Erwachsenentätigkeit sein darf, die im Kindergarten entfaltet werden kann.

Ein Kind, das vor dem vierten, fünften Jahre innerlich intellektualistisch trainiert wird, das nimmt etwas Furchtbares ins Leben mit, das wird geradezu zum Materialisten erzogen. Je intellektualistisch-geistiger Sie ein Kind bis zum vierten, fünften Jahre erziehen, einen desto größeren Materialisten erzeugen Sie von ihm im Leben. Denn es wird das Gehirn auf der einen Seite so bearbeitet, daß der Geist schon in den Formen des Gehirns lebt und innerlich der Mensch die Intuition bekommt: alles ist nur materiell, weil sein Gehirn so früh vom Intellektualistisch-Geistigen ergriffen worden ist.

Wollen Sie den Menschen zum Verstehen des Spirituellen erziehen, dann müssen Sie das sogenannte äußere Geistige in seiner intellektualistischen Form so spät als möglich an ihn heranbringen, dann müssen Sie, obzwar es eine große Notwendigkeit ist, daß gerade in der heutigen Zivilisation der Mensch im späteren Leben zum vollen Erwachen kommt, das Kind in jenem sanften, bildträumerischen Erleben, in dem es hereinwächst in das Leben, möglichst lange lassen, möglichst lange bei der Imagination, bei der Bildhaftigkeit, bei der Unintellektualität lassen. Denn wenn Sie erstarken lassen seinen Organismus an dem Unintellektualistischen, dann wird es auf richtige Weise später in das der heutigen Zivilisation notwendige Intellektualistische hineinwachsen.

Peitschen Sie sein Gehirn in der Weise, wie angedeutet, dann verderben Sie die Seele des Menschen für das ganze Leben. So wie Sie durch Lallen die Verdauung verderben, wie Sie durch ein falsches liebloses Gehenlernen den Stoffwechsel für das spätere Leben verderben, so verderben Sie die Seele, wenn Sie in dieser Weise von innen das Kind peitschen. Und so muß es ein Ideal unserer Erziehung werden, vor allen Dingen die seelischen, aber doch dadurch, daß das Kind ganz physisch-seelisch-geistiges Wesen ist, auch physisch-inneren Prügelstrafen — das heißt die «schöne Puppe» abzuschaffen, um vor allen Dingen das Spiel auf das richtige Niveau zu bringen.

Heute möchte ich diese Betrachtungen damit abschließen, daß ich hingewiesen habe, wie man gerade das falsche Geistige vermeiden muß, damit das richtige Geistige, der ganze Mensch überhaupt, im späteren Lebensalter zum Vorschein kommt.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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