DER GEIST IM PFLANZENREICH
Berlin, 8. Dezember 1910
Wie
die Geisteswissenschaft den in allen uns umgebenden Wesen
lebenden und webenden Geist anerkennen muß, wenn sie nur
von dem Grundsatze ausgeht, daß der erkennende
Mensch sich selbst in seinem Erkennen verstehen soll, das ist
in den Vorträgen über
«Menschenseele und Tierseele» und
«Menschengeist und Tiergeist»
erwähnt worden. Es ist gesagt worden, daß im
Grunde genommen der sich selbst erkennende Mensch nimmermehr
daran denken könne, in seinem eigenen Geist als
geistigen Inhalt Ideen, Begriffe und Vorstellungen von Dingen
und Wesenheiten aufzunehmen, wenn diese Begriffe und
Ideen — dieser geistige Inhalt, durch den sich der Mensch
begreiflich machen will, was in den Dingen liegt — nicht
zuerst in den Dingen vorhanden, nicht in sie gelegt
wären. Alles Herausziehen von Geistigem aus den
Dingen und Wesenheiten wäre die reine Phantasterei,
wäre eine selbstgemachte Phantastik, wenn man nicht
voraussetzen würde, daß allüberall,
wohin wir blicken und woraus wir den Geist ziehen
können, dieser Geist auch vorhanden ist. Nun darf
man wohl sagen, daß — wenn auch nur in kleinen
Kreisen — dennoch diese allgemeine Voraussetzung
von dem geistigen Inhalt der Welt doch schon vielfach gemacht
wird. Aber auch bei denjenigen, die vom Geist in den
Dingen sprechen, bleibt es in der Regel dabei, sozusagen von
diesem Geist im allgemeinen zu sprechen, das heißt
davon zu sprechen, daß allem Mineralischen, Pflanzlichen,
Tierischen und so weiter geistiges Weben, geistiges Leben
zugrunde liegt. Aber auf die Art und Weise einzugehen, wie der
Geist sich uns spezialisiert, wie er sich im besonderen
in diesen oder jenen Daseinsformen auslebt, daran denkt man in
den weitesten Kreisen unserer gegenwärtigen Bildung
noch nicht. Man nimmt es im Grunde genommen denjenigen recht
übel, die nicht nur von dem Geist im allgemeinen
sprechen, sondern die von den besonderen Formen, den besonderen
Arten des Geistes sprechen, wie er sich hinter dieser oder
jener Erscheinung geltend macht. Dennoch aber muß
auf dem Boden unserer Geisteswissenschaft nicht nur in so
vager, allgemeiner Art von dem Geist gesprochen werden,
wie es jetzt angedeutet ist, sondern so, daß wir
erkennen: wie webt der Geist hinter dem mineralischen oder
pflanzlichen Dasein, wie im tierischen und menschlichen
Dasein?
Ãœber das Wesen des Geistes im Pflanzenreiche einiges
zu sagen, soll die Aufgabe der heutigen Betrachtung sein. Man
muß gestehen, wenn man nicht von abstrakter
Philosophie, nicht von abstrakter Theosophie, sondern
wenn man vom unbefangenen Betrachten der Wirklichkeit ausgeht
und zu gleicher Zeit — wie es ja auf einem gesunden Boden
der Geisteswissenschaft sein muß — auf dem Boden der
Naturwissenschaft feststeht und über den
«Geist im Pflanzenreich» sprechen will,
dann greift man nicht nur — ich möchte sagen
— in unberechtigte Vorurteile unserer Wissenschaftlichen
und sonstigen Zeitbildung hinein, sondern !man greift da auch
in mehr oder weniger berechtigte Vorstellungen hinein,
die stark suggestiv wirken und suggestiv wirken
müssen. Gerade bei dieser Betrachtung, welche von
dem Geist handeln soll, der seinen Ausdruck, gleichsam seine
Physiognomie in dem Reiche findet, das uns entgegenschaut
sowohl von den gigantischen Riesenbäumen des
Urwaldes oder solchen, wie sie sich auf Teneriffa
jahrtausendelang erhalten haben, bis zu dem kleinen, sich
bescheiden im stillen Walde oder sonst wo bergenden Veilchen,
— gerade bei einer solchen Betrachtung fühlt
man sich, wenn man die naturwissenschaftlichen Begriffe
des neunzehnten Jahrhunderts in sich aufgenommen hat, in einer
recht schwierigen Lage. Ja man fühlt sich in einer
recht schwierigen Lage, wenn man sich zu dem durchgearbeitet
hat, was auf diesem Gebiete über den Geist gesagt
werden soll. Denn wie könnte es in Abrede gestellt
werden, daß große und wunderbare Entdeckungen
auf dem Gebiete der materiellen Forschung — auch auf dem
Gebiete des Pflanzenwesens — im neunzehnten Jahrhundert
gemacht worden sind, die tief hineingeleuchtet haben von einem
gewissen Standpunkte aus in das Wesen der Pflanzennatur. Da
muß immer wieder daran erinnert werden, wie im zweiten
Drittel des neunzehnten Jahrhunderts der große
Botaniker Schleiden die Entdeckung der Pflanzenzelle
gemacht hat, das heißt zunächst vor die
Menschen die Wahrheit hingestellt hat, daß ein jeglicher
Pflanzenleib aufgebaut ist aus kleinen — man nennt sie
wohl Elementarorganismen — selbständigen
Wesenheiten, Zellen, die sich wie die Bausteine dieses
Pflanzenleibes ausnehmen. Hatte man vorher nur die
Pflanzen in bezug auf ihre groben Teile und Organe betrachten
können, so wurde jetzt der Blick darauf gelenkt, wie
jedes Blatt der höheren Pflanzen aus
unzähligen solcher kleinen winzigen mikroskopischen
Gebilden — den Pflanzenzellen — besteht. Und wie
sollte man darüber verwundert sein, daß eine
solche Entdeckung großen, gewaltigen Einfluß hatte
auf das ganze Denken und Empfinden gegenüber der
Pflanzenweit. Schließlich ist es ganz
natürlich, daß derjenige, der
zunächst gesehen hat, wie sich der Pflanzenleib so
aus diesen Bausteinen aufbaut, auf die Idee verfallen
mußte, daß mit der Untersuchung dieser kleinen
Gebilde, dieser Bausteine im Grunde genommen
überhaupt das Geheimnis der Pflanzennatur
enthüllt werden kann. Das mußte schon der
geistvolle Gustav Theodor Fechner erfahren, der um die
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in der Tat so etwas in seine
Gedankenreihen aufzunehmen versucht hat wie die
«Pflanzenseele», obwohl man sagen
könnte, daß seine zu phantastischen
Auseinandersetzungen über die Pflanzennatur
vielleicht etwas zu früh gekommen sind. Von einer
Seele des Pflanzenwesens sprach Fechner im umfassenden
Sinne, zum Beispiel in seinem Buche
«Nanna», und er sprach nicht als ein
bloßer Phantast, sondern als ein gründlicher
und tiefer Kenner der naturwissenschaftlichen Fortschritte des
neunzehnten Jahrhunderts. Aber er konnte nicht umhin, sich die
Pflanzen nicht bloß aufgebaut zu denken aus den Zellen,
sondern wenn er sich die Formen, die Ausgestaltungen der
einzelnen Pflanzen ansah, wurde er zu der Annahme
gedrängt, daß das Sinnlich-Wirkliche der
Ausdruck für ein dahinterliegendes Seelisches
sei.
Nun
muß gesagt werden: Gegenüber dem, was die
Geisteswissenschaft heute über das Leben des Geistes
im Pflanzenreich zu sagen hat, nimmt sich allerdings das, was
man in Fechners Auseinandersetzungen findet, recht
phantastisch aus, aber seine Gedanken waren ein
Vorstoß. Trotzdem hat es Fechner erfahren
müssen, welcher Widerstand gerade durch jenes
Denken kommen kann, in welches der Menschengeist
hineingedrungen ist durch die Entdeckungen des
neunzehnten Jahrhunderts. Man muß billig denken und
verstehen, daß selbst die größten Geister,
wenn sich ihnen unter dem Mikroskop zeigte, wie der
Pflanzenleib ein Gefüge ist der kleinen
Zellen, von diesem Anschauen fasziniert waren und sich
gar nicht vorstellen konnten, wie jemand da noch auf die Idee
kommen konnte, von einer «Pflanzenseele»
zu sprechen, nachdem sich das Materielle in einer so grandiosen
Weise dem forschenden Menschengeiste gezeigt hatte. Daher
müssen wir es billig verstehen, daß gerade der
Erforscher der Pflanzenzelle auch der größte
und heftigste Gegner wurde gegenüber dem, was
Fechner über das Seelenwesen der Pflanzen sagen
wollte. Und es ist einer gewissen Weise reizvoll, den feinen
und subtilen Fechner im Kampf zu sehen mit dem durch seine
epochemachende Entdeckung für die Botanik
berühmt gewordenen Schleiden, der aber in einer
materialistisch groben Weise alles das abtut, was Fechner aus
seinen intimen Betrachtungen heraus über die
Pflanzen sagen wollte. In einem solchen Kampf zwischen Fechner
und Schleiden im neunzehnten Jahrhundert spielt sich im Grunde
genommen etwas ab, was eine jede Seele, die durch die
Wissenschaft unserer Zeit hindurchgeht, empfinden
muß, wenn sie sich durch die Zweifel und Rätsel
hindurcharbeitet, die dann doch kommen, gerade wenn man auf die
naturwissenschaftlichen Errungenschaften eingeht. Sie
wird sehr zweifeln, ob sie sich sozusagen auf einem solchen
Gebiete aus den manchmal recht zwingenden Vorstellungen
herausarbeiten kann. Wer dieses Zwingende der
materialistischen naturwissenschaftlichen Vorstellungen des
neunzehnten Jahrhunderts nicht kennt, dem mag es manchmal
trivial, vielleicht auch kleinlich erscheinen, was von Seiten
der Weltanschauung gesagt wird, die sich auf den festen Boden
der Naturwissenschaft stellen will. Wer aber mit gesundem
Wahrheitssinn und mit einem ernsten Bedürfnis, die
Lebensrätsel zu losen, und zugleich
ausgerüstet mit den Begriffen der Botanik des
neunzehnten Jahrhunderts an die Sache herangeht, für
den kann sich manche innere Seelentragik da ergeben. Nur
angedeutet soll etwas davon werden.
So
lernt man zum Beispiel erkennen, was die Botanik des
neunzehnten Jahrhunderts gebracht hat. Es ist darin wirklich
manches Großartige und wahrhaft Frappierende. Dann kommt
der, welcher so mit gesundem Wahrheitssinn gerade an die
naturwissenschaftlichen Begriffe geht, auf der einen Seite
dahin, daß diese Begriffe suggestiv, mit einer ungeheuren
Gewalt auf ihn wirken, daß sie ihn nicht loslassen,
sondern ihm immer wieder und wieder in die Ohren raunen: Du
begehst einen Unsinn, wenn du den sicheren Pfad
verläßt, wo man verfolgt, wie Zelle zu Zelle
sich verhält, wie Zelle durch Zelle
ernährt wird und so weiter. Zuletzt kommt dann die
Notwendigkeit, sich von den materialistischen Begriffen
loszureißen auf diesem Gebiete. Es geht nicht mehr anders,
gerade bei den naturwissenschaftlichen Voraussetzungen, wenn
man noch so sehr sich festhalten lassen wollte durch die
suggestive Gewalt der den äußeren
materialistischen Vorstellungen bloß folgenden
Weltanschauungen. Es geht nicht mehr von einem bestimmten
Punkte ab. Das letztere machen nun heute noch nicht viele mit.
Das erstere macht der weitaus größte Teil
derjenigen mit, die sich von den naturwissenschaftlichen
Ergebnissen fasziniert fühlen und sich nicht
getrauen, auch nur einen Schritt über das
hinauszugehen, was das Mikroskop zeigt. Den andern
Schritt machen die allerwenigsten. Aber klar ergibt sich
für den, der sich einen gesunden Wahrheitssinn
gerade auf naturwissenschaftlichem Boden erhält
— und der ist notwendig, wenn man an den Geist im
Pflanzenreich herantreten will —, daß man sich
zunächst mit einer gewissen Vorstellung zu befassen
hat, denn sonst wird man immer in die Irre gehen, wird immer in
ein Labyrinth hineinkommen, in das auch Fechner
hineingekommen ist, trotzdem er sich so sehr
bemüht hat, feinsinnig das Symbolische, das
Physiognomische der einzelnen
Pflanzenformen und Pflanzengestaltungen zu untersuchen. Worauf
es hier ankommt, das möchte ich zuerst wieder durch
einen Vergleich vor Ihre Seele führen.
Nehmen Sie an, es fände jemand auf diesem oder jenem
Wege irgendeinen Teil einer Materie, irgendeinen Stoffteil.
Wenn er diesen Stoffteil, wie er sich ihm darbietet, in
gewissen Fällen untersucht, so kann es sein,
daß er niemals zurechtkommen wird. Warum nicht? Wenn
dieser Stoffteil ein Stück Knochen aus einem
menschlichen Arm ist, wird der Betreffende, wenn er bloß
dieses Stück Knochen anschaut und es aus sich
selbst heraus erklären will, nicht
zurechtkommen können. Denn nirgends in aller
Welt wäre es möglich, daß ohne die
Voraussetzung eines menschlichen Armes dieser Stoffteil
entstehen würde. Man kann gar nicht über
ihn sprechen, wenn man ihn nicht in Zusammenhang stehend
mit einem ganzen menschlichen Organismus auffaßt. So ist
es unmöglich, daß wir von einem solchen uns
entgegentretenden Gebilde anders sprechen als im
Zusammenhange mit einem ganzen Wesen. Ein anderer
Vergleich könnte der folgende sein. Wir finden
irgendwo ein Gebilde, das ein menschliches Haar ist. Wollten
wir es erklären, wie es entstanden sein
müßte dort, wo es liegt, so würden
wir ganz in die Irre gehen, denn wir können es nur
so erklären, daß wir es im Zusammenhange mit
einem ganzen menschlichen Organismus betrachten.
Für sich ist es nichts, für sich ist es
unerklärbar.
Das
ist etwas, was der Geistesforscher für den ganzen
Umfang unserer Beobachtungen, unserer Erklärungen
festhalten muß. Er muß ein jegliches Ding, wo
es ihm entgegentritt, daraufhin anschauen, ob es
für sich selbst betrachtet werden kann, oder
ob es für sich selbst unerklärbar bleibt,
ob es nicht zu einem anderen dazugehört — oder
besser als eine Individualität für sich
betrachtet werden kann.
Merkwürdigerweise zeigt sich dem Geistesforscher,
daß es überhaupt unmöglich ist, die
Pflanzenwelt, diese wunderbare Erdendecke, jemals als
etwas für sich selbst Bestehendes zu
betrachten. Es fühlt sich der geistige Betrachter
gegenüber der Pflanzendecke so, wie er sich einem
Finger gegenüber fühlt, den er nur als
einem ganzen menschlichen Organismus zugehörig
betrachten kann. Die Pflanzenwelt kann aus dem Grunde nicht
für sich allein betrachtet werden, weil sie
sich für den geistesforscherischen Blick gleich
hinzugesellt zu dem ganzen Erdplaneten und mit ihm ein Ganzes
bildet wie der Finger mit unserm Organismus oder ein
Stück Knochen oder das Gehirn mit unserm
Organismus. Und wer die Pflanzen für sich
betrachtet, einzelnstehend, der tut dasselbe wie der,
welcher eine Hand oder ein Stück Menschenknochen
für sich allein erklären wollte. Die
gesamten Pflanzenwesen sind gar nicht anders zu
betrachten denn als ein Glied unseres gesamten
Erdplaneten.
Da
kommen wir allerdings schon zu einer Sache, die für
viele heute ärgerlich sein mag, die aber dennoch
für den geistesforscherischen Blick gilt. Wir kommen
dazu, unsern ganzen Erdplaneten anders anzusehen, als er
gewöhnlich von der heutigen Wissenschaft betrachtet
wird. Denn unsere heutige Wissenschaft — sei es
Astronomie, Geologie oder Mineralogie — spricht im Grunde
genommen von der Erde nur in dem Sinne, daß diese Erdkugel
zusammengesetzt ist aus den Gesteinen, dem Mineralischen, dem
Leblosen. Die Geisteswissenschaft darf nicht so sprechen. Sie
kann nur so sprechen, daß alles, was auf unserer Erde
gefunden wird, was sozusagen ein Wesen, das aus dem Weltenraum
auf unsere Erde herniederstiege, an Menschen, Tieren, Pflanzen
und Steinen finden würde, so zu dem Ganzen unserer
Erde gehörte, wie die Steine selber zu unserer Erde
gehören. Das heißt, wir dürfen den
Erdplaneten nicht bloß als totes Gesteinsgefüge
betrachten, sondern als etwas, was ein in sich lebendes Ganzes
ist, das auch die Pflanzenwesen aus sich selbst so hervorbringt
wie der Mensch die Gebilde seiner Haut, seiner Sinnesorgane und
dergleichen. Mit andern Worten: wir dürfen nicht die
Erde ohne die dazu gehörige Pflanzendecke
betrachten.
Schon ein äußerlicher Umstand könnte
die Menschen darauf hinweisen, daß, wie ein jeglicher
Stein zu der Erde in gewisser Beziehung gehört,
ebenso auch alles Pflanzliche zu ihr gehört. Denn
wie jeder Stein, jeder leblose Körper seine
Zugehörigkeit zu der Erde zeigt, indem er auf die
Erde fallen kann, wo er eine Widerlage findet, so zeigt jede
Pflanze ihre Zugehörigkeit zur Erde dadurch,
daß die Stengelrichtung der Pflanzen immer eine solche
ist, die durch den Mittelpunkt der Erde geht. Alle
Pflanzenstengel würden sich im Mittelpunkt der
Erde schneiden, wenn wir sie bis zum Mittelpunkt der Erde
verlängerten, das heißt die Erde ist imstande,
aus ihrem Mittelpunkt alle die Kraftstrahlen zu ziehen,
welche die Pflanzen aus sich hervorgehen lassen. Wir betrachten
sonst nur ein Abstraktes, ein Ausgedachtes, wenn wir das
Gesteinsreich betrachten, ohne die Pflanzendecke dazuzunehmen.
Es kommt dazu nun, daß die rein auf das
äußere Materielle gehende Naturwissenschaft
sehr gern davon spricht, wie alles Leben — also auch das
Pflanzenleben — einmal aus dem Leblosen, dem
Mineralischen entstanden sein müsse. Diese Frage
gibt es für den Geistesforscher gar nicht,
weil nie das Untergeordnete, das Niedere die Voraussetzungen
des Höheren sind, sondern immer ist das
Höhere, das Belebte die Voraussetzung des Niederen,
des Unbelebten. Wir werden später bei dem Vortrage
«Was hat die Geologie über Weltentstehung
zu sagen?» noch sehen, daß die Geistesforschung
zeigt, wie alles Steinige, Mineralische — vom Granit bis
zur Ackerkrume — in einer ähnlichen Weise
entstanden ist, wie es heute die Naturwissenschaft noch glaubt
in bezug auf die Steinkohle. Denn die Steinkohle ist heute ein
Mineral, wir graben sie aus der Erde heraus. Was war sie auch
nach naturwissenschaftlichen Begriffen vor Jahrmillionen?
Große, mächtige Wälder — so
sagt die Naturwissenschaft-bedeckten damals einen großen
Teil der Erdoberfläche; später sanken sie
bei Erdumwälzungen in die Erde hinein,
verwandelten sich chemisch in bezug auf ihre stoffliche
Zusammensetzung, und was wir heute aus den Tiefen der Erde
herausgraben, das sind die zu Stein gewordenen Pflanzen. Wenn
man das heute der Steinkohle gegenüber zugibt, wird
man es auch nicht mehr gar zu lächerlich finden,
wenn die Geisteswissenschaft durch ihre Methoden, die sie
anwendet, darauf kommt, daß nun alles Gestein, das unsere
Erde birgt, zuletzt aus der Pflanze entstanden ist, daß
sozusagen die Pflanze erst hat zu Stein werden
müssen, so daß also nicht das Steinige
die Voraussetzung des Pflanzlichen ist, sondern daß
umgekehrt das Pflanzliche die Voraussetzung des
Mineralischen ist. Alles Mineralische ist
zunächst eine Verhärtung, dann eine
Versteinerung des Pflanzlichen.
So
haben wir auch in dem Erdplaneten etwas vor uns, von dem wir
voraussetzen müssen: das war einstmals in bezug auf
seine dichteste Qualität pflanzlicher Natur, war ein
Gefüge aus pflanzlichen Wesen, und aus diesem
Lebendigen hat sich erst das Leblose herausentwickelt,
indem es sich nacheinander verhärtet, verholzt,
versteint hat. Wie unser Knochengerüst, das sich im
Grunde genommen auch erst aus dem Organismus heraus absondert,
so haben wir das Gesteinsgerüst als das große
Knochengerüst des Erdenwesens, des
Erdenorganismus anzusehen.
Nun
können wir, wenn wir diesen Erdenorganismus
geisteswissenschaftlich betrachten, noch weiter gehen. Ich kann
heute nur die allerersten Linien dafür angeben, denn
wir haben es mit einem Zyklus von Vorträgen zu tun,
wo eines in das andere hineingreifen muß. Wir
können uns fragen: Wie steht es mit dem
Erdenorganismus als solchem?
Wir
wissen, wenn wir einen Organismus betrachten, zeigt er uns
abwechselnd verschiedene Zustände. Der menschliche
und der tierische Organismus zeigen in der Zeit abwechselnd
einen Wach- und einen Schlafzustand. Können
wir nun geisteswissenschaftlich etwas Ähnliches
für den Erdenleib, für den
Erdenorganismus finden? Es nimmt sich das Folgende
für eine äußere Betrachtung
zunächst wie ein Vergleich aus, aber für
die geistige Forschung ist es nicht ein Vergleich, sondern ein
Tatbestand. Wenn wir auf der Erde die eigentümliche
Gesetzmäßigkeit von Sommer und Winter
betrachten, wie sie sich geltend macht, indem auf der einen
Hälfte Sommer, auf der andern Winter ist, wie dieses
Verhältnis abwechselt, und wenn wir einen Blick
darauf werfen, wie es sich — als Winterzeit und
Sommerzeit — unterscheidet in bezug auf das ganze
Erdenleben, so wird es nicht mehr absurd erscheinen, wenn die
Geisteswissenschaft erzählt, daß Winter und
Sommer für den Erdenorganismus entsprechen dem
Wachen und Schlafen derjenigen Organismen, die wir selbst um
uns herum haben. Die Erde schläft nur nicht so in
der Zeit wie die andern Organismen, sondern sie wacht immer
irgendwo und schläft immer irgendwo an irgendeiner
Stelle ihres Wesens. Wachen und Schlafen ziehen herum, indem
die Erde in einem Teil schläft, wo sie Sommer
hat; sie wacht mit einem Teil ihres Wesens, wo sie
Winter hat. So steht der ganze Erdenorganismus
geistig mit Zuständen wie Wachen und Schlafen wie
ein anderer Organismus vor uns.
Der
Sommerzustand des Erdenorganismus besteht ja nun in einem ganz
besonderen Verhältnis der Erde zur Sonne,
nämlich darin, daß die Erde in eine solche
Beziehung zur Wirkung der Sonne tritt — und das
dürfen wir sagen, weil wir es mit einem lebendigen,
geisterfüllten Organismus zu tun haben daß sie
sich einer Wirkung hingibt, die geistig von der Sonne ausgeht.
Für den Winterzustand verschließt sich der
Erdenorganismus dieser Sonnenwirkung, zieht sich gleichsam in
sich selber zusammen. Vergleichen wir nun einmal diesen Zustand
mit dem menschlichen Schlafzustand. Ich will jetzt scheinbar
äußerlich von einer bloßen Analogie
sprechen; die Geisteswissenschaft liefert aber die Belege
für den Tatbestand.
Betrachten wir den Menschen des Abends, wenn er
ermüdet ist, wie sein Bewußtsein
heruntersinkt, wie alle Gedanken und Empfindungen, die
während des Tages durch die äußeren
Dinge in unsere Seele hereinziehen, alle Lust und Leid, Freuden
und Schmerzen in ein unbestimmtes Dunkel hinuntersinken. In
dieser Zeit geht das menschliche Geistwesen — wie
wir es in dem Vortrage über das «Wesen
des Schlafes» gezeigt haben — aus dem
physischen Menschenleib heraus und tritt ein in die geistige
Welt, ist hingegeben der geistigen Welt. In diesem
Schlafzustand ist nur das Eigentümliche
für den Menschen, daß er bewußtlos wird.
Für den Geistesforscher — wir werden sehen,
wodurch er das weiß — zeigt sich, daß das
menschliche Innere, Astralleib und Ich, in der Tat aus dem
physischen Leib und Ätherleib sich herauszieht,
aber nicht nur sich herauszieht und wie ein Wolkengebilde
über ihm schwebt; sondern dieses menschliche
Innere breitet sich aus, ergießt sich über die
ganze planetarische Welt, die um uns ist. So unwahrscheinlich
es ist: es zeigt sich doch, daß sich die Menschenseele
einheitlich ausgießt über das Astralische. Die
Forscher, die auf diesem Gebiete beschlagen waren, haben wohl
gewußt, warum sie das, was herausgeht, den Astralleib
nannten, weil nämlich dieses Innere aus dem
Himmelsraum, mit dem es eine Einheit bildet, sich die
Kräfte holt, die es braucht, um das zu ersetzen, was
des Tages Mühe und Arbeit am physischen Leib
abgenutzt hat. So geht der Mensch im Schlafe auf in die
große Welt, so zieht er sich des Morgens wieder
zurück in die Grenzen seiner Haut, in die kleine
Menschenwelt, in den Mikrokosmos. Da fühlt er
wieder, weil der Leib ihm Widerstand bietet, sein Ich, sein
Selbstbewußtsein.
Dieses Ausatmen und Wiedereinatmen der Seele ist das wunderbare
Wechselspiel im menschlichen Leben. Von alle denen, die nicht
direkt vom okkulten, geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus
gesprochen haben, habe ich eigentlich nur bei einem einzigen
Geist eine so treffende Bemerkung gefunden über das
Wechselspiel von Wachen und Schlafen, daß man sie direkt
in die Geisteswissenschaft hineinnehmen kann, weil sie sich mit
dem geisteswissenschaftlichen Tatbestand deckt.
Allerdings war es ein gründlicher
mathematischer Denker, aber ein sinniger Mensch, der mit
seinem Geist großartig die Natur zu umfassen verstand:
Novalis. Er sagt: «Schlaf ist ein vermischter
Zustand des Körpers und der Seele. Im Schlafe ist
Körper und Seele chymisch verbunden. Im Schlafe ist
die Seele durch den Körper
gleichmäßig verteilt — der Mensch ist
neutralisiert. Wachen ist ein geteilter —
polarischer Zustand. Im Wachen ist die Seele punktiert —
lokalisiert. Schlaf ist Seelenverdauung; der Körper
verdaut die Seele. (Entziehung des Seelenreizes.)
— Wachen ist Einwirkungszustand des Seelenreizes —
der Körper genießt die Seele. Im Schlafe sind
die Bande des Systems locker — im Wachen
angezogen.»
Schlaf bedeutet also für Novalis das Verdauen der
Seele durch den Leib. Novalis ist sich immer bewußt,
daß in der Tat im Schlafe die Seele eins wird mit dem
Universum und verdaut wird, damit sich der Mensch weiterhelfen
kann für die physische Welt.
So
wechselt der Mensch in bezug auf sein inneres Wesen in der
Weise, daß er sich beim Tagwachen in die kleine Welt, in
die Grenzen seiner Haut zusammenzieht und sich in der Nacht im
großen ausdehnt, sich durch die Hingabe Kräfte
holt aus der Welt, in die er da hineingebettet ist. Denn wir
verstehen den Menschen nicht, wenn wir ihn nicht herausgebildet
verstehen aus dem ganzen Makrokosmos.
Für den Teil der Erde nun, der Sommer hat, liegt
etwas Ähnliches vor wie bei einem Menschen, der im
Schlafzustände ist. Die Erde gibt sich hin
alledem, was von der Sonne herunterkommt, und gestaltet sich
so, wie sie sich gestalten soll unter dem Einfluß der
Sonnenwirksamkeit. Für den Teil, wo die Erde Winter
hat, verschließt sie sich der Einwirkung der Sonne, lebt
in sich selber. Da ist es so, wie wenn der Mensch in die
kleine, innere Welt zusammengezogen ist und in sich
selbst lebt, während es für den Teil der
Erde, wo Sommer ist, so ist, wie wenn der Mensch
hingegeben ist der ganzen äußeren
Welt.
Nun
gibt es ein Gesetz der geistigen Welt, daß wir uns, wenn
wir weiter voneinander liegende geistige Wesenheiten ins
Auge fassen — wie zum Beispiel hier den Menschen auf der
einen Seite und den Erdorganismus auf der andern Seite —,
die Bewußtseinszustände in gewisser Beziehung
umgekehrt vorzustellen haben. Beim Menschen 1st das
Hinaustreten in die große Welt der Schlaf zustand.
Für die Erde ist der Sommerzustand — den man
vielleicht einen Wachzustand nennen möchte
— etwas, was sich doch nur vergleichen
läßt mit dem, was beim Menschen das Einschlafen
ist. Der Mensch tritt mit dem Einschlafen in die große
Welt hinaus; die Erde tritt mit dem Sommer mit allen ihren
Kräften in den Bereich der Sonnenwirksamkeit, nur
müssen wir uns die Erde und die Sonne als
geisterfüllte Organismen denken.
Zur
Winterzeit, wo die Erde in sich selber ruht, müssen
wir uns ihren Zustand entsprechend dem Wachzustande des
Menschen denken, während man gewohnt sein
könnte, das, was die Erde im Winter ist, als den
Erdenschlaf zu betrachten. Aber wenn wir weit
auseinanderliegende Wesenheiten ×™ wie Mensch und
Erde — betrachten, zeigen sich die
Bewußtseinszustände in einer Art
entgegengesetzt.
Was
ist nun das, was die Erde vollzieht unter dem
Einfluß der Hingabe an das Sonnenwesen, an den
Sonnengeist? Es ist nichts anderes als etwas, was sich
vergleichen läßt geistig — wir werden
jetzt, um einen leichteren Vergleich zu haben, gut tun die
Begriffe umzudrehen — mit dem Zustände
des Menschen, wenn er des Morgens aufwacht und aus dem dunklen
Schöße des Daseins, aus der Nacht
auftaucht in seine Lust und sein Leid. Wenn die Erde in
den Bereich der Sonnenwirksamkeit tritt, dann können
— obwohl es sich vergleichen läßt
mit dem Schlafzustande des Menschen-alle die Kräfte,
die aus der Erde hervorsprießen, den ruhenden
Winterzustand der Erde in den tätigen, den
lebendigen Sommerzustand übergehen lassen.
Was
sind nun die Pflanzen in dem ganzen Gewebe des Seins? Wir
könnten sagen: Wenn der Frühling
herannaht, beginnt der Erdenorganismus zu denken und zu
fühlen, weil die Sonne mit ihren Wesen seine
Gedanken und Gefühle herauslockt. Die Pflanzen
sind für den Erdenorganismus nichts anderes
als eine Art Sinnesorgane, die jeden Frühling
von neuem erwachen, damit der Erdenorganismus mit seinem Denken
und Fühlen in dem Bereich der
Sonnenwirksamkeit sein kann. Wie sich im
Menschenorganismus das Licht das Auge schafft, um durch das
Auge als «Licht» erscheinen zu
können, so schafft sich der Sonnenorganismus am
Erdenorganismus in jedem Frühling die ausgebreitete
Pflanzendecke, um durch diese Pflanzendecke sich selber zu
beschauen, zu fühlen, zu empfinden, zu denken. Nicht
etwa sind die Pflanzen unmittelbar die Gedanken der Erde zu
nennen, aber sie sind die Organe, durch welche die im
Frühling aufwachende Organisation der Erde mit
der Sonne zusammen ihre Gefühle und Gedanken
entwickelt. Wie wir unsere Nerven vom Gehirn ausgehen sehen und
Augen und Ohren mit den Nerven zusammen unser Empfindungs- und
Vorstellungsleben entwickeln, so sieht der Geistesforscher in
dem, was sich abspielt zwischen Erde und Sonne mit Hilfe der
Pflanzen, das wunderbare Weben einer kosmischen
Gedanken-, Gefühls- und Empfindungsweit. Denn
für den Geistesforscher ist die Erde nicht nur mit
der mineralischen Erdenluft, mit der rein physischen
Erdenatmosphäre umgeben, sondern von einer
Aura von Gedanken und Gefühlen. Für die
Geistesforschung ist die Erde ein geistiges Wesen, und die
Gedanken und Gefühle erwachen in jedem
Frühling und gehen den Sommer hindurch durch die
Seele unserer ganzen Erde. Die Pflanzenwelt aber, die ein Teil
unseres ganzen Erdenorganismus ist, gibt die Organe ab,
daß unsere Erde denken und fühlen kann. In den
Geist der Erde sind die Pflanzen hineinverwoben wie unsere
Augen oder Ohren in das Getriebe unseres Geistes. Da erwacht im
Frühling ein lebendiger, geisterfüllter
Organismus, und in den Pflanzen sehen wir etwas, was sich
heraustreibt aus dem Antlitz unserer Erde, wo sie auf
irgendeinem Gebiete anfangen will zu fühlen
und zu denken. Und wie alles, was in uns Menschen ist, nach
einem selbstbewußten Ich hin tendiert, so ist es auch in
der Pflanzenwelt. Die ganze Pflanzenwelt gehört zur
Erde. Ich habe schon gesagt, daß ein Mensch dem Wahnsinn
nahe sein müßte, der nicht denken
würde, wie in uns alles, was Empfindungen,
Vorstellungen, Gefühle sind, nach unserm Ich
hin gerichtet ist. So ist alles, was die Pflanzen
während der Sommerzeit vermitteln, nach dem
Erdmittelpunkt gerichtet, der das Erden-Ich ist. Das soll nicht
bloß symbolisch gesagt sein! Wie der Mensch sein Ich hat,
so hat die Erde ihr selbstbewußtes Ich. Deshalb streben
alle Pflanzen nach dem Mittelpunkt der Erde hin. Daher
dürfen wir die Pflanzen gar nicht für
sich betrachten, sondern müssen sie im Wechsel mit
dem selbstbewußten Ich der Erde betrachten. Was sich
als Gedanken und Empfindungen der Erde abspielt, das ist so,
wie in uns die Empfindungen und Vorstellungen leben, was in uns
auf- und abwogt zur Wachenszeit, was in uns astralisch lebt,
wenn wir geisteswissenschaftlich sprechen.
So
können wir uns die Erde nicht nur als ein physisches
Gebilde vorstellen. Denn das physische Gebilde ist uns so
etwas wie unser eigener physischer Leib, den man mit den
äußeren Augen sehen und mit den
Händen greifen kann, und den die
äußere Wissenschaft beobachtet; so ist der
Erdenleib, den die heutige Astronomie oder Geologie betrachtet.
Dann haben wir das zu nennen, was wir beim Menschen
kennengelernt haben als Ätherleib oder
Lebensleib. Einen solchen Ätherleib hat auch die
Erde. Und endlich hat sie auch einen Astralleib. Das ist das,
was jeden Frühling erwacht als die Gedanken und
Gefühle der Erde, die zurücktreten, wenn
der Winter herannaht, so daß dann die Erde in sich selbst
verschlossen in ihrem eigenen Ich ruht und sich nur bewahrt,
was sie braucht, um durch das Gedächtnis
hinüberzutragen das Vorhergehende zu dem
Nachfolgenden, sich bewahrt in den
Pflanzen-Samenkräften, was sie sich erobert hat. Wie
der Mensch, wenn er einschläft, auch nicht seine
Gedanken und Empfindungen verliert, sondern sie am
nächsten Morgen wiederfindet, so findet die
aus dem Schlafzustand im Frühling wieder erwachende
Erde die Samenkräfte der Pflanzen, um aus ihrem
lebendigen Gedächtnis das wiedererstehen zu
lassen, was die Eroberung der früheren Zeit ist.
So
aufgefaßt, lassen sich die Pflanzen mit dem
vergleichen, was unsere Augen und Ohren, unsere Sinne an
uns selber sind. Das sind sie für den
Erdenorganismus. Aber was wahrnimmt, was zu einem
Bewußtsein kommt, das ist die von der Sonne zur Erde
herniederströmende geistige Welt. Diese geistige
Welt würde nicht zu einem Bewußtsein kommen
können, wenn sie nicht in den Pflanzen ihre
Organe hätte, die ebenso ein
Selbstbewußtsein vermitteln, wie unsere Augen und Ohren
und Nerven unser Selbstbewußtsein vermitteln. Das
macht uns darauf aufmerksam, daß wir eigentlich nur
richtig sprechen, wenn wir sagen: Jene Wesen, die von der Sonne
herunterströmen zur Erde und ihre geistige
Wirksamkeit entfalten, begegnen sich vom Frühling
durch die Sommerzeit hindurch mit dem Wesen, das zur Erde
selbst gehört. Im Austausch werden die Organe
gebildet, durch welche die Erde sie wahrnimmt, denn nicht die
Pflanze nimmt wahr. — Es ist ein Aberglaube, auch von
seiten der Naturwissenschaft, wenn man sagt, die Pflanze nehme
wahr. — Die geistigen Wesenheiten, die zur
Erdenwirksamkeit und Sonnenwirksamkeit gehören,
nehmen durch die Pflanzenorgane wahr, und alle Organe,
die sie brauchen, um sie zusammenzuschließen nach dem
Mittelpunkt der Erde, richten sie daher hin nach dem
Mittelpunkt der Erde. Was wir also hinter der Pflanzendecke zu
sehen haben, sind die geistigen Wesenheiten, welche die Erde
umspielen und die in den Pflanzen ihre Organe haben.
Es
ist in unserer Zeit so merkwürdig, daß die
Naturwissenschaft geradezu hindrängt, diese
Dinge der Geisteswissenschaft anzuerkennen. Denn es ist
ja nichts Geringeres als die volle Anerkennung des Umstandes,
daß unsere physische Erde nur ein Teil der gesamten Erde
ist, daß auch der gasige Sonnenball nur ein Teil der
ganzen Sonne ist, und daß unsere Sonne, wie sie uns
physisch erscheint, nur ein Teil ist der geistig-seelischen
Wesenheiten, die in Wechselwirkung treten mit den
geistig-seelischen Wesenheiten der Erde. Wie die Menschenwelt
mit ihrer Umwelt in Zusammenhang ist und wie die Menschen ihre
Organe haben, um zu leben und sich zu entwickeln, so schaffen
sich diese Wesenheiten, die real und wirklich sind, in der
Pflanzendecke ein Organ, um sich selbst wahrzunehmen.
Aberglaube — sagte ich — ist es, wenn man
glaubt, daß die Pflanze als solche wahrnehme oder als
einzelne Pflanze eine Art Seele hätte. Das ist ein
ebensolcher Aberglaube, wie wenn man von der Seele eines Auges
sprechen wollte. Trotzdem durch eine merkwürdige,
für die Geisteswissenschaft: aber
selbstverständliche Verkettung der Tatsachen die
äußere Wissenschaft durch das ganze neunzehnte
Jahrhundert hindurch mit Notwendigkeit dazu
gedrängt hat, das, was jetzt gesagt worden ist,
anzuerkennen, ist es in der Tat so, daß sich die
äußere Wissenschaft auf diesem Gebiete doch
sehr wenig ausgekannt hat, auch heute noch. Denn was die
Wissenschaft über das Sinnesleben der Pflanzen bis
jetzt zustande gebracht hat, ist restlos eine
Bestätigung dessen, was ich jetzt über
den Geist und seine Wirksamkeit im Pflanzenreich gesagt habe,
aber in der äußeren Wissenschaft kann man
es nicht als solches einsehen. Das können wir an
folgendem Beispiel sehen.
Im
Jahre 1804 machte Sydenham Edwards die Entdeckung
von der merkwürdigen Beschaffenheit der
Venus-Fliegenfalle, die auf ihren Blättern
gewisse Borsten hat. Wenn ein Insekt in die Nähe
dieser Pflanze kommt, so daß eine gewisse
Berührung der Borsten stattfindet, wird das Insekt
von dem Blatt umfangen, wird wie aufgefressen und verdaut. Es
war merkwürdig, als die Menschen entdeckten:
Pflanzen können fressen, können in ihrem
Innern sogar Tiere aufnehmen, sind Fleischfresser! Aber man
konnte nichts Rechtes damit anfangen. Es ist interessant, wie
man nichts damit anfangen konnte, denn diese Entdeckung ist
immer wieder vergessen worden und wieder neu gefunden worden,
so 1818 durch Nuttall, 1834 durch Curtis, 1848 durch Lindley
und 1859 durch Oudemans. Fünf Leute
hintereinander haben dieselbe Sache gefunden! Es
ließ sich weiter nichts für die Wissenschaft
damit machen, als daß der um die Erforschung der
Pflanzenwelt so verdienstvolle Schleiden sagte, man solle sich
hüten, dadurch in allerlei mystische Sachen zu
verfallen, daß man etwa den Pflanzen Seele zusprechen
wolle! Aber auch heute ist man in der Wissenschaft wieder
bereit, der einzelnen Pflanze — wie zum Beispiel der
Venus-Fliegenfalle — eine Seele zuzuschreiben, was
aber ein Aberglaube wäre, wie wenn man dem Auge eine
Seele zuschreiben wollte. Gerade Leute wie Raoul France zum
Beispiel haben solche Dinge gleich im
äußerlichen Sinne genommen und gesagt: Da sieht
man Seelisches, das sich analog dem Seelischen des Tieres
ausnimmt!
Das
zeigt also die Notwendigkeit, daß man gerade auf dem
Gebiete der Geisteswissenschaft nicht in die Phantastik
verfallen darf, denn hier ist die äußere
Wissenschaft in die Phantastik verfallen, wenn man der
Venus-Fliegenfalle ein seelisches Wesen zuschreiben will, das
man mit dem menschlichen oder tierischen seelischen Wesen
zusammenwerfen dürfe. Dann dürfte
man auch einem andern Wesen eine Seele zuschreiben, das auch
andere Wesen, auch kleine Tiere anzieht und, wenn diese in
seine Nähe gekommen sind, sie mit seinen Fangarmen
umschlingt, so daß sie darinnenbleiben müssen.
Denn man kann, wenn man bei der Venus-Fliegenfalle von Seele
spricht, auch bei der Mausefalle davon sprechen, daß sie
eine Seele hat. So dürfen wir aber nicht
sprechen. Sobald man in den Geist eindringen will,
muß man genau und exakt die Dinge ins Auge fassen und
nicht aus einem scheinbar gleichen Äußeren
schließen, daß auch das Innere in derselben Weise vor
sich ginge.
Ich
habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß manche Tiere
etwas Gleichartiges wie ein Gedächtnis zeigen. Wenn
ein Elefant zur Tränke geführt wird und
dabei auf dem Wege von einem Menschen gereizt wird, dann kann
es vorkommen, daß er, wenn er wieder
zurückkommt, Wasser in seinem Rüssel
drinnenbehalten hat und jetzt den Menschen anspritzt, der ihn
vorher gereizt hat. Da wird dann gesagt: Da sieht man also,
daß der Elefant ein Gedächtnis hat; er hat sich
den Menschen gemerkt, der ihn gereizt hat, und sich
vorgenommen: auf dem Rückwege werde ich ihn mit
Wasser spritzen! Das ist aber nicht so. Beim Seelenleben ist es
wichtig, daß wir den inneren Vorgang genau
verfolgen und nicht gleich von Gedächtnis sprechen,
wenn später ein Geschehnis eintritt als Wirkung
einer früheren Ursache. Nur dann, wenn ein Wesen
wirklich zurückschaut auf etwas, was in einer
früheren Zeit vorgegangen ist, haben wir es mit
Gedächtnis zu tun; in jedem andern Falle nur mit
Ursache und Wirkung. Das heißt: wir müßten
jetzt genau in die Struktur der Elefantenseele hineinschauen,
wenn wir sehen wollten, wie der Reiz, der ausgeübt
wird, dann so etwas auslöst, daß er noch nach
einer gewissen Zeit eine Wirkung hervorruft.
Deshalb müssen wir sagen: Wir dürfen
derartige Dinge, wie sie uns bei der Venus-Fliegenfalle
entgegentreten, nicht anders auffassen, als daß die ganze
Einrichtung der Pflanze nicht dazu da ist, um ein inneres
Seelenwesen der Pflanze zu bedingen, sondern was dabei vorgeht,
ist von außen bewirkt. Die Pflanze dient als Organ dem
ganzen Erdenorganismus auch für eine solche
Sache. Wie die Pflanzen auf der einen Seite dem Ich der Erde,
auf der andern Seite der Aura der Erde — dem Astralleib,
der Empfindungs- und Gefühlswelt der Erde —
angehören, das hat insbesondere gerade diese
Forschung des neunzehnten Jahrhunderts gezeigt. Man ist
eigentlich wirklich denjenigen Naturforschern — wie etwa
Gottlieb Haberlandt — dankbar, welche
trocken die Tatsachen hinstellen, die sie erforscht haben, und
nicht — wie Raoul France oder andere — daraus rein
äußere Schlüsse ziehen. Wenn er
dabei bliebe, die Dinge nur hinzustellen, wie sie sind,
so könnte man ihm wirklich dankbar sein; wenn er
aber daraus Schlüsse ziehen will auf das Seelenleben
einer einzelnen Pflanze, so mag er auch gleich auf das
Seelenleben eines einzelnen Haares oder Zahnes
schließen.
Wenn wir dann diejenigen Pflanzen betrachten, die in
Wirklichkeit Ährenpflanzen sind, so zeigt sich,
daß bei allen diesen Pflanzen merkwürdige
kleine Organe vorhanden sind. Kleine Gebilde von
Stärkezellen wurden aufgefunden. Diese Zellen
sind merkwürdigerweise so gebaut, daß in ihrem
Innern etwas ist wie ein lockerer Kern. Das
Eigentümliche ist, daß die Zellenwand nur
an einer Stelle unempfindlich bleibt für den
Kern. Wenn dieser anderswohin rutscht, so wird die Zellenwand
von ihm berührt, und die Folge ist, daß die
Pflanze ihn wieder in die frühere Lage
zurückbringt. Solche Stärkemehlzellen
finden sich bei allen Pflanzen, die in ihrer Hauptrichtung nach
dem Mittelpunkt der Erde hinweisen, so daß die Pflanze ein
Organ in sich hat, welches es ihr immer möglich
macht, sich in ihrer Hauptrichtung nach dem Mittelpunkt der
Erde zu richten. Das ist allerdings eine wunderbare Sache, die
im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts von verschiedenen
Forschern gefunden worden ist, und die sich am besten ausnimmt,
wenn die Dinge einfach hingestellt werden. Wenn zum
Beispiel Haberlandt meint, daß man es da mit einer
Art von Sinnesempfindung der Pflanze zu tun habe, so setzt er
doch die Tatsachen so klar auseinander, daß man gerade
für diese trockene und nüchterne
Darstellung ganz besonders dankbar sein muß.
Nun
aber etwas anderes. Wenn man ein Pflanzenblatt betrachtet, ist
immer eigentlich die äußere
Oberfläche eine Zusammenfügung von lauter
kleinen linsenartigen Gebilden, ähnlich der
Linse unseres Auges. Diese Linsen sind so eingerichtet,
daß das Licht nur dann wirkt, wenn es in einer ganz
bestimmten Richtung auf die Oberfläche des Blattes
auffällt. Wenn das Licht in einer andern Richtung
auffällt, bekommt das Blatt sogleich den Antrieb,
sich so zu wenden, daß das Licht in die Linsenmitte
hineinfallen kann, weil es nach der Seite hin in anderer Weise
wirkt. So sind also an der Oberfläche der
Blätter der Pflanzen Organe für das Licht
vorhanden. Diese Lichtorgane, die sich tatsächlich
mit einer Art Auge vergleichen lassen, das über die
Pflanzen ausgebreitet ist, durch das aber nicht die Pflanze
sieht, sondern das Sonnenwesen schaut durch dasselbe auf
das Erdenwesen, — diese Lichtorgane bewirken,
daß die Pflanzenblätter immer die Tendenz
haben, sich senkrecht zum einfallenden Sonnenlicht zu
stellen.
Darin — wie sich die Pflanze hingibt zur
Frühlings- und Sommerzeit der Sonnenwirkung —
haben wir eine zweite Hauptrichtung der Pflanze. Die
Stengelrichtung, wodurch sich die Pflanzen als
hinzugehörig zum Erden-Selbstbewußtsein
erweisen, ist die eine; die andere ist die, wodurch die
Pflanzen die Hingabe der Erde an die Wirksamkeit der
Sonnenwesen ausdrücken.
Wollen wir nun noch weitergehen, so müßten wir
finden, wenn die bisherigen Auseinandersetzungen richtig sind,
daß die Pflanzen durch diese Hingabe der Erde an die Sonne
irgendwie ausdrücken, wie die Erde durch das, was
sie hervorbringt, wirklich im großen Makrokosmos lebt. Wir
müßten sozusagen in den Pflanzen irgend etwas
wahrnehmen, was uns anzeigen würde, daß
auf die Pflanzenwelt eigentlich hereinwirkt, was draußen
gerade durch die Sonnenwesen bewirkt wird. Schon
Linné hat darauf hingewiesen,
daß bei gewissen Pflanzen das Aufblühen um
fünf Uhr morgens und zu keiner andern Zeit
geschieht. Das heißt: die Erde ist hingegeben an die
Sonne, und das drückt sich dadurch aus, daß bei
gewissen Pflanzen das Aufblühen nur zu ganz
bestimmten Tagesstunden möglich ist. So
blühen zum Beispiel Hemerocallis fulva, die
Taglilie, nur um fünf Uhr, Nymphaea alba, die
Seerose, nur um sieben Uhr, Calendula, die Ringelblume, nur um
neun Uhr auf. Darin sehen wir das Verhältnis der
Erde zur Sonne in wunderbarer Weise ausgedrückt, was
schon Linné die «Sonnen-Uhr»
genannt hat. Ja, auch das Einschlafen, das
Zusammenklappen der Blütenblätter ist
wieder auf ganz bestimmte Tageszeiten beschränkt.
Eine wunderbare Gesetzmäßigkeit und
Regelmäßigkeit liegt in dem Leben der
Pflanzen.
Das
alles zeigt uns, wie die Erde hingegeben ist — wie der
Mensch im Schlafe — an die große Welt und mit
derselben lebt. Wie sie die Pflanzen blühen und
welken läßt, zeigt uns das ganze geistige Wesen
und Weben, das zwischen Sonne und Erde vor sich geht. Wenn wir
so die Dinge betrachten, müssen wir allerdings
sagen: wir bücken da hinein in tiefe, tiefe
Geheimnisse unserer Umwelt. Da hört für
den ernsten Wahrheitssucher die Möglichkeit auf
— selbst wenn die rein materiellen Forschungsergebnisse
noch so faszinierend sind —, auch nur noch daran zu
denken, daß da ein Gasball durch den Raum gehe in der
Sonne, hört auf die Möglichkeit,
daß die Erde so betrachtet werden darf, wie die Astronomie
oder Geologie sie heute betrachtet. Da gibt es zwingende
Gründe, denen sich auch der gewissenhafte
Naturdenker unterwerfen muß, daß er sich sagt: Du
darfst nicht mehr anderes sehen in dem, was dir die
Naturwissenschaft enthüllt, als einen Ausdruck
des allem zugrunde liegenden geistigen Lebens! —
Dann betrachten wir aber die Pflanzen wie einen
physiognomischen Ausdruck der Erde, als den Ausdruck des
Antlitzes unserer Erde. So vertieft sich das, was wir unser
ästhetisches Gefühl gegenüber
der Pflanzenwelt nennen, gerade durch die Geisteswissenschaft.
Wir gehen hin vor die gigantischen Bäume des
Urwaldes, vor das stille Veilchen oder
Schneeglöckchen und betrachten sie als einzelne
Individuen zwar, aber so, daß wir sagen: Da spricht sich
uns der Geist aus, der den Raum durchlebt — Sonnengeist,
Erdengeist! Was wir beim Menschen aus dem Ausdruck seines
Geistes erschauen, wenn wir seine Stimme hören und
auf das Fromme oder Unfromme seiner Seele schließen, so
schließen wir aus dem, was uns aus den Pflanzen
entgegenschaut, auf das, was lebt als Erdengeist, als
Sonnengeist, wie sie miteinander im Kampfe oder in
gegenseitiger Harmonie stehen. Da fühlen wir uns
selber im Geist drinnen weben und leben.
Und
um nur anzuzeigen, wie sich tatsächlich durch die
Naturwissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts die
Geisteswissenschaft wohl bestätigen
läßt, kann man noch folgendes
erwähnen. Diejenigen Zuhörer, welche
früher die Vorträge hier
angehört haben, werden sich an den Hinweis erinnern,
daß es Pflanzen gibt in der Erdenwelt, die
deplaziert sind, die nicht hereingehören in
unsere Erdenwelt. Eine solche Pflanze ist zum Beispiel die
Mistel, die in Sage und Mythos deshalb eine so
merkwürdige Rolle spielt, weil sie zu einem
früheren planetarischen Zustand unserer Erde
gehört und wie ein Rest zurückgeblieben
ist von einer vorirdischen Entwickelung. Daher kann sie
nicht in der Erde wachsen, sondern sie muß in andern
Pflanzen wurzeln. Die Naturwissenschaft zeigt uns, daß die
Mistel nicht jene eigentümlichen
Stärkezellen hat, welche die Pflanzen dahin bringen,
nach dem Mittelpunkt der Erde zu zeigen. Kurz, ich
könnte jetzt beginnen und die ganze Botanik des
neunzehnten Jahrhunderts Stück für
Stück auseinanderlegen, und Sie würden
Stück für Stück die Belege
dafür finden, wie die Pflanzendecke unserer Erde das
Sinnesorgan ist, durch welches sich beschauen Erdengeist und
Sonnengeist.
Wenn wir das beachten, bekommen wir gerade — wie es uns
ja geziemend erscheinen muß für die von uns
geliebte und uns erfreuende Pflanzenwelt — eine
Wissenschaft, welche zugleich unsere Seele erheben, nahebringen
kann dieser Pflanzenwelt. Wir fühlen uns mit Seele
und Geist selber zur Erde und zur Sonne gehörig und
fühlen so, wie wenn wir gleichsam aufschauen
müßten zur Pflanzenwelt, wie sie zu unserer
großen Erdenmutter gehört. Das
müssen wir im Grunde genommen auch. Denn alles, was
als Tier oder Mensch scheinbar unabhängig ist von
der unmittelbaren Wirkung der Sonne, das ist durch die
Pflanzenwelt und dadurch, daß es angewiesen ist auf die
Pflanzenwelt, wieder indirekt abhängig von der
Sonne. Der Mensch macht zwar im Winter und Sommer keine solche
Verwandlungen durch wie die Pflanzen, aber die Pflanze
ist es, die ihm die Möglichkeit gibt, in sich selber
jene Beständigkeit zu haben. Was die Pflanze an
Stoffen entwickelt, kann sie nur unter dem Einfluß der
Sonnenwirkung entwickeln, durch das
Wechselverhältnis von Sonnengeist und
Erdengeist. Namentlich die Kohlehydrate sind es, die nur
entstehen, wenn sich Sonnengeist und Erdengeist
küssen durch das Pflanzenwesen. Die Stoffe, die da
entwickelt werden, liefern erst das, was die höheren
Organismen zur Wärme-Entwickelung in sich
hereinnehmen müssen. Denn nur durch das, was die
höheren Organismen als Wärme entwickeln,
indem sie die von der Sonne auf dem Umwege durch die Pflanze
zubereiteten Stoffe aufnehmen, können sie erst
gedeihen.
So
müssen wir materiell allerdings hinblicken auf
unsere Erdenmutter als auf unsere große
Nährmutter. Aber wir haben gesehen, daß wir in
der Pflanzendecke die Physiognomie des Erdengeistes
haben, und wir fühlen uns dadurch in Geist und Seele
stehend. Wir blicken gleichsam — wie wir einem andern
Menschen ins Auge blicken — der Erde in die Seele, wenn
wir verstehen, wie sie ihre Seele uns ankündigt in
den Blüten und Blättern der
Pflanzenwelt.
Das
war es, was Goethe sich beschäftigen
ließ mit der Pflanzenwelt, was ihn zu einer
Beschäftigung führte, die im Grunde
genommen in nichts anderem besteht, als daß er zeigt, wie
der Geist in der Pflanzenwelt wirksam ist, und wie das Blatt,
das bald so, bald so in der Pflanze erscheint, von dem Geist
herausgestaltet wird in den verschiedensten Formen. Goethe war
entzückt, daß der Geist in der Pflanze die
Blätter formt, sie rundet und sie auch im Gewinde um
den Stengel herumführt. Und ebenso
denkwürdig mußte es bleiben, als ein den Geist
wirklich erkennender Mensch — als Goethe Schiller
nach einem Vortrage des Botanikers Batsch in der
naturforschenden Gesellschaft zu Jena
gegenüberstand. Als Schiller, den der Vortrag
nicht befriedigt hatte, meinte: Das ist doch eine Betrachtung
der Pflanzen, wie sie einseitig dasteht! — nahm Goethe
ein Blatt heraus und zeichnete in seiner Weise mit einigen
Strichen, wie für ihn der Geist in der Pflanze
wirkt. Da sagte Schiller, der solche konkrete Erfassung des
Geistes der Pflanzen nicht verstehen konnte: Was Sie da
zeichnen, ist aber doch nur eine Idee! Darauf konnte Goethe nur
sagen: «Das kann mir sehr lieb sein, wenn ich Ideen
habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen
sehe!»
Gerade die Art, wie ein solcher Mensch wie Goethe in der
Pflanzenwelt forscht, als er über den Brenner geht
und den Huflattich mit ganz anderen Augen ansieht, wie er darin
sieht, wie der Geist über der Erde wirkt und die
Blätter gestaltet, das zeigt uns, wie wir von einem
gemeinsamen Geist der Erde sprechen können, der sich
nur zum Ausdruck bringt in den mannigfaltigen
Pflanzenwesen als in seinem besonderen Organ. Was
physisch ist, ist Geist. Wir haben immer nur die Aufgabe, den
Geist in der richtigen Weise zu verfolgen. Wer die Pflanze so
verfolgt, wie sie aus dem Gesamtgeist der Erde
herauswächst, der findet den Erdengeist, den Goethe
schon im Auge hatte, als er seinen Faust anrufen ließ den
die Erde durchwirkenden Geist, der von sich sagt:
In
Lebensfluten, in Tatensturm
Wall' ich auf und ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein
ewiges Meer,
Ein
wechselnd Weben,
Ein
glühend Leben,
So
schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit
Und
wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
Der
Mensch aber, der so den Geist in dem Pflanzenleben der Erde
erblickt, fühlt sich selber gestärkt und
gekräftigt, indem er das, was er als sein inneres
Wesen ansehen muß, ergossen sieht über den
ganzen Schauplatz, den er bewohnen darf. Und er muß
sich sagen: Betrachte ich den Umkreis meines Raumes, so finde
ich bestätigt, was aller Dinge Ursprung ist, das
finde ich im Schoß des Geistes! Und was als Ausdruck
gelten kann des Verhältnisses von
Menschengeist und Menschenseele, auch für das
Verhältnis von Pflanzenseele und Pflanzengeist, das
können wir zusammenfassen in die Worte:
Es sprechen zu dem Menschensinn
Die Dinge in den Raumesweiten,
Sie wandeln sich im Zeitenlauf.
Erkennend lebt die Menschenseele
Durch Raumesweiten unbegrenzt
Und unversehrt durch Zeitenlauf.
Sie findet in dem Geistgebiet
Des eignen Wesens tiefsten Grund!
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