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Antworten der Geisteswissenschaft auf die Grossen Fragen des Daseins

Schmidt-Nummer: S-2324

Online seit: 8th July, 2013

DER GEIST IM PFLANZENREICH

Berlin, 8. Dezember 1910

Wie die Geisteswissenschaft den in allen uns umgebenden Wesen lebenden und webenden Geist anerkennen muß, wenn sie nur von dem Grundsatze ausgeht, daß der erkennende Mensch sich selbst in seinem Erkennen verstehen soll, das ist in den Vorträgen über «Menschenseele und Tierseele» und «Menschengeist und Tiergeist» erwähnt worden. Es ist gesagt worden, daß im Grunde genommen der sich selbst erkennende Mensch nimmermehr daran denken könne, in seinem eigenen Geist als geistigen Inhalt Ideen, Begriffe und Vorstellungen von Dingen und Wesenheiten aufzunehmen, wenn diese Begriffe und Ideen — dieser geistige Inhalt, durch den sich der Mensch begreiflich machen will, was in den Dingen liegt — nicht zuerst in den Dingen vorhanden, nicht in sie gelegt wären. Alles Herausziehen von Geistigem aus den Dingen und Wesenheiten wäre die reine Phantasterei, wäre eine selbstgemachte Phantastik, wenn man nicht voraussetzen würde, daß allüberall, wohin wir blicken und woraus wir den Geist ziehen können, dieser Geist auch vorhanden ist. Nun darf man wohl sagen, daß — wenn auch nur in kleinen Kreisen — dennoch diese allgemeine Voraussetzung von dem geistigen Inhalt der Welt doch schon vielfach gemacht wird. Aber auch bei denjenigen, die vom Geist in den Dingen sprechen, bleibt es in der Regel dabei, sozusagen von diesem Geist im allgemeinen zu sprechen, das heißt davon zu sprechen, daß allem Mineralischen, Pflanzlichen, Tierischen und so weiter geistiges Weben, geistiges Leben zugrunde liegt. Aber auf die Art und Weise einzugehen, wie der Geist sich uns spezialisiert, wie er sich im besonderen in diesen oder jenen Daseinsformen auslebt, daran denkt man in den weitesten Kreisen unserer gegenwärtigen Bildung noch nicht. Man nimmt es im Grunde genommen denjenigen recht übel, die nicht nur von dem Geist im allgemeinen sprechen, sondern die von den besonderen Formen, den besonderen Arten des Geistes sprechen, wie er sich hinter dieser oder jener Erscheinung geltend macht. Dennoch aber muß auf dem Boden unserer Geisteswissenschaft nicht nur in so vager, allgemeiner Art von dem Geist gesprochen werden, wie es jetzt angedeutet ist, sondern so, daß wir erkennen: wie webt der Geist hinter dem mineralischen oder pflanzlichen Dasein, wie im tierischen und menschlichen Dasein?

Ãœber das Wesen des Geistes im Pflanzenreiche einiges zu sagen, soll die Aufgabe der heutigen Betrachtung sein. Man muß gestehen, wenn man nicht von abstrakter Philosophie, nicht von abstrakter Theosophie, sondern wenn man vom unbefangenen Betrachten der Wirklichkeit ausgeht und zu gleicher Zeit — wie es ja auf einem gesunden Boden der Geisteswissenschaft sein muß — auf dem Boden der Naturwissenschaft feststeht und über den «Geist im Pflanzenreich» sprechen will, dann greift man nicht nur — ich möchte sagen — in unberechtigte Vorurteile unserer Wissenschaftlichen und sonstigen Zeitbildung hinein, sondern !man greift da auch in mehr oder weniger berechtigte Vorstellungen hinein, die stark suggestiv wirken und suggestiv wirken müssen. Gerade bei dieser Betrachtung, welche von dem Geist handeln soll, der seinen Ausdruck, gleichsam seine Physiognomie in dem Reiche findet, das uns entgegenschaut sowohl von den gigantischen Riesenbäumen des Urwaldes oder solchen, wie sie sich auf Teneriffa jahrtausendelang erhalten haben, bis zu dem kleinen, sich bescheiden im stillen Walde oder sonst wo bergenden Veilchen, — gerade bei einer solchen Betrachtung fühlt man sich, wenn man die naturwissenschaftlichen Begriffe des neunzehnten Jahrhunderts in sich aufgenommen hat, in einer recht schwierigen Lage. Ja man fühlt sich in einer recht schwierigen Lage, wenn man sich zu dem durchgearbeitet hat, was auf diesem Gebiete über den Geist gesagt werden soll. Denn wie könnte es in Abrede gestellt werden, daß große und wunderbare Entdeckungen auf dem Gebiete der materiellen Forschung — auch auf dem Gebiete des Pflanzenwesens — im neunzehnten Jahrhundert gemacht worden sind, die tief hineingeleuchtet haben von einem gewissen Standpunkte aus in das Wesen der Pflanzennatur. Da muß immer wieder daran erinnert werden, wie im zweiten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts der große Botaniker Schleiden die Entdeckung der Pflanzenzelle gemacht hat, das heißt zunächst vor die Menschen die Wahrheit hingestellt hat, daß ein jeglicher Pflanzenleib aufgebaut ist aus kleinen — man nennt sie wohl Elementarorganismen — selbständigen Wesenheiten, Zellen, die sich wie die Bausteine dieses Pflanzenleibes ausnehmen. Hatte man vorher nur die Pflanzen in bezug auf ihre groben Teile und Organe betrachten können, so wurde jetzt der Blick darauf gelenkt, wie jedes Blatt der höheren Pflanzen aus unzähligen solcher kleinen winzigen mikroskopischen Gebilden — den Pflanzenzellen — besteht. Und wie sollte man darüber verwundert sein, daß eine solche Entdeckung großen, gewaltigen Einfluß hatte auf das ganze Denken und Empfinden gegenüber der Pflanzenweit. Schließlich ist es ganz natürlich, daß derjenige, der zunächst gesehen hat, wie sich der Pflanzenleib so aus diesen Bausteinen aufbaut, auf die Idee verfallen mußte, daß mit der Untersuchung dieser kleinen Gebilde, dieser Bausteine im Grunde genommen überhaupt das Geheimnis der Pflanzennatur enthüllt werden kann. Das mußte schon der geistvolle Gustav Theodor Fechner erfahren, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in der Tat so etwas in seine Gedankenreihen aufzunehmen versucht hat wie die «Pflanzenseele», obwohl man sagen könnte, daß seine zu phantastischen Auseinandersetzungen über die Pflanzennatur vielleicht etwas zu früh gekommen sind. Von einer Seele des Pflanzenwesens sprach Fechner im umfassenden Sinne, zum Beispiel in seinem Buche «Nanna», und er sprach nicht als ein bloßer Phantast, sondern als ein gründlicher und tiefer Kenner der naturwissenschaftlichen Fortschritte des neunzehnten Jahrhunderts. Aber er konnte nicht umhin, sich die Pflanzen nicht bloß aufgebaut zu denken aus den Zellen, sondern wenn er sich die Formen, die Ausgestaltungen der einzelnen Pflanzen ansah, wurde er zu der Annahme gedrängt, daß das Sinnlich-Wirkliche der Ausdruck für ein dahinterliegendes Seelisches sei.

Nun muß gesagt werden: Gegenüber dem, was die Geisteswissenschaft heute über das Leben des Geistes im Pflanzenreich zu sagen hat, nimmt sich allerdings das, was man in Fechners Auseinandersetzungen findet, recht phantastisch aus, aber seine Gedanken waren ein Vorstoß. Trotzdem hat es Fechner erfahren müssen, welcher Widerstand gerade durch jenes Denken kommen kann, in welches der Menschengeist hineingedrungen ist durch die Entdeckungen des neunzehnten Jahrhunderts. Man muß billig denken und verstehen, daß selbst die größten Geister, wenn sich ihnen unter dem Mikroskop zeigte, wie der Pflanzenleib ein Gefüge ist der kleinen Zellen, von diesem Anschauen fasziniert waren und sich gar nicht vorstellen konnten, wie jemand da noch auf die Idee kommen konnte, von einer «Pflanzenseele» zu sprechen, nachdem sich das Materielle in einer so grandiosen Weise dem forschenden Menschengeiste gezeigt hatte. Daher müssen wir es billig verstehen, daß gerade der Erforscher der Pflanzenzelle auch der größte und heftigste Gegner wurde gegenüber dem, was Fechner über das Seelenwesen der Pflanzen sagen wollte. Und es ist einer gewissen Weise reizvoll, den feinen und subtilen Fechner im Kampf zu sehen mit dem durch seine epochemachende Entdeckung für die Botanik berühmt gewordenen Schleiden, der aber in einer materialistisch groben Weise alles das abtut, was Fechner aus seinen intimen Betrachtungen heraus über die Pflanzen sagen wollte. In einem solchen Kampf zwischen Fechner und Schleiden im neunzehnten Jahrhundert spielt sich im Grunde genommen etwas ab, was eine jede Seele, die durch die Wissenschaft unserer Zeit hindurchgeht, empfinden muß, wenn sie sich durch die Zweifel und Rätsel hindurcharbeitet, die dann doch kommen, gerade wenn man auf die naturwissenschaftlichen Errungenschaften eingeht. Sie wird sehr zweifeln, ob sie sich sozusagen auf einem solchen Gebiete aus den manchmal recht zwingenden Vorstellungen herausarbeiten kann. Wer dieses Zwingende der materialistischen naturwissenschaftlichen Vorstellungen des neunzehnten Jahrhunderts nicht kennt, dem mag es manchmal trivial, vielleicht auch kleinlich erscheinen, was von Seiten der Weltanschauung gesagt wird, die sich auf den festen Boden der Naturwissenschaft stellen will. Wer aber mit gesundem Wahrheitssinn und mit einem ernsten Bedürfnis, die Lebensrätsel zu losen, und zugleich ausgerüstet mit den Begriffen der Botanik des neunzehnten Jahrhunderts an die Sache herangeht, für den kann sich manche innere Seelentragik da ergeben. Nur angedeutet soll etwas davon werden.

So lernt man zum Beispiel erkennen, was die Botanik des neunzehnten Jahrhunderts gebracht hat. Es ist darin wirklich manches Großartige und wahrhaft Frappierende. Dann kommt der, welcher so mit gesundem Wahrheitssinn gerade an die naturwissenschaftlichen Begriffe geht, auf der einen Seite dahin, daß diese Begriffe suggestiv, mit einer ungeheuren Gewalt auf ihn wirken, daß sie ihn nicht loslassen, sondern ihm immer wieder und wieder in die Ohren raunen: Du begehst einen Unsinn, wenn du den sicheren Pfad verläßt, wo man verfolgt, wie Zelle zu Zelle sich verhält, wie Zelle durch Zelle ernährt wird und so weiter. Zuletzt kommt dann die Notwendigkeit, sich von den materialistischen Begriffen loszureißen auf diesem Gebiete. Es geht nicht mehr anders, gerade bei den naturwissenschaftlichen Voraussetzungen, wenn man noch so sehr sich festhalten lassen wollte durch die suggestive Gewalt der den äußeren materialistischen Vorstellungen bloß folgenden Weltanschauungen. Es geht nicht mehr von einem bestimmten Punkte ab. Das letztere machen nun heute noch nicht viele mit. Das erstere macht der weitaus größte Teil derjenigen mit, die sich von den naturwissenschaftlichen Ergebnissen fasziniert fühlen und sich nicht getrauen, auch nur einen Schritt über das hinauszugehen, was das Mikroskop zeigt. Den andern Schritt machen die allerwenigsten. Aber klar ergibt sich für den, der sich einen gesunden Wahrheitssinn gerade auf naturwissenschaftlichem Boden erhält — und der ist notwendig, wenn man an den Geist im Pflanzenreich herantreten will —, daß man sich zunächst mit einer gewissen Vorstellung zu befassen hat, denn sonst wird man immer in die Irre gehen, wird immer in ein Labyrinth hineinkommen, in das auch Fechner hineingekommen ist, trotzdem er sich so sehr bemüht hat, feinsinnig das Symbolische, das Physiognomische der einzelnen

Pflanzenformen und Pflanzengestaltungen zu untersuchen. Worauf es hier ankommt, das möchte ich zuerst wieder durch einen Vergleich vor Ihre Seele führen.

Nehmen Sie an, es fände jemand auf diesem oder jenem Wege irgendeinen Teil einer Materie, irgendeinen Stoffteil. Wenn er diesen Stoffteil, wie er sich ihm darbietet, in gewissen Fällen untersucht, so kann es sein, daß er niemals zurechtkommen wird. Warum nicht? Wenn dieser Stoffteil ein Stück Knochen aus einem menschlichen Arm ist, wird der Betreffende, wenn er bloß dieses Stück Knochen anschaut und es aus sich selbst heraus erklären will, nicht zurechtkommen können. Denn nirgends in aller Welt wäre es möglich, daß ohne die Voraussetzung eines menschlichen Armes dieser Stoffteil entstehen würde. Man kann gar nicht über ihn sprechen, wenn man ihn nicht in Zusammenhang stehend mit einem ganzen menschlichen Organismus auffaßt. So ist es unmöglich, daß wir von einem solchen uns entgegentretenden Gebilde anders sprechen als im Zusammenhange mit einem ganzen Wesen. Ein anderer Vergleich könnte der folgende sein. Wir finden irgendwo ein Gebilde, das ein menschliches Haar ist. Wollten wir es erklären, wie es entstanden sein müßte dort, wo es liegt, so würden wir ganz in die Irre gehen, denn wir können es nur so erklären, daß wir es im Zusammenhange mit einem ganzen menschlichen Organismus betrachten. Für sich ist es nichts, für sich ist es unerklärbar.

Das ist etwas, was der Geistesforscher für den ganzen Umfang unserer Beobachtungen, unserer Erklärungen festhalten muß. Er muß ein jegliches Ding, wo es ihm entgegentritt, daraufhin anschauen, ob es für sich selbst betrachtet werden kann, oder ob es für sich selbst unerklärbar bleibt, ob es nicht zu einem anderen dazugehört — oder besser als eine Individualität für sich betrachtet werden kann.

Merkwürdigerweise zeigt sich dem Geistesforscher, daß es überhaupt unmöglich ist, die Pflanzenwelt, diese wunderbare Erdendecke, jemals als etwas für sich selbst Bestehendes zu betrachten. Es fühlt sich der geistige Betrachter gegenüber der Pflanzendecke so, wie er sich einem Finger gegenüber fühlt, den er nur als einem ganzen menschlichen Organismus zugehörig betrachten kann. Die Pflanzenwelt kann aus dem Grunde nicht für sich allein betrachtet werden, weil sie sich für den geistesforscherischen Blick gleich hinzugesellt zu dem ganzen Erdplaneten und mit ihm ein Ganzes bildet wie der Finger mit unserm Organismus oder ein Stück Knochen oder das Gehirn mit unserm Organismus. Und wer die Pflanzen für sich betrachtet, einzelnstehend, der tut dasselbe wie der, welcher eine Hand oder ein Stück Menschenknochen für sich allein erklären wollte. Die gesamten Pflanzenwesen sind gar nicht anders zu betrachten denn als ein Glied unseres gesamten Erdplaneten.

Da kommen wir allerdings schon zu einer Sache, die für viele heute ärgerlich sein mag, die aber dennoch für den geistesforscherischen Blick gilt. Wir kommen dazu, unsern ganzen Erdplaneten anders anzusehen, als er gewöhnlich von der heutigen Wissenschaft betrachtet wird. Denn unsere heutige Wissenschaft — sei es Astronomie, Geologie oder Mineralogie — spricht im Grunde genommen von der Erde nur in dem Sinne, daß diese Erdkugel zusammengesetzt ist aus den Gesteinen, dem Mineralischen, dem Leblosen. Die Geisteswissenschaft darf nicht so sprechen. Sie kann nur so sprechen, daß alles, was auf unserer Erde gefunden wird, was sozusagen ein Wesen, das aus dem Weltenraum auf unsere Erde herniederstiege, an Menschen, Tieren, Pflanzen und Steinen finden würde, so zu dem Ganzen unserer Erde gehörte, wie die Steine selber zu unserer Erde gehören. Das heißt, wir dürfen den Erdplaneten nicht bloß als totes Gesteinsgefüge betrachten, sondern als etwas, was ein in sich lebendes Ganzes ist, das auch die Pflanzenwesen aus sich selbst so hervorbringt wie der Mensch die Gebilde seiner Haut, seiner Sinnesorgane und dergleichen. Mit andern Worten: wir dürfen nicht die Erde ohne die dazu gehörige Pflanzendecke betrachten.

Schon ein äußerlicher Umstand könnte die Menschen darauf hinweisen, daß, wie ein jeglicher Stein zu der Erde in gewisser Beziehung gehört, ebenso auch alles Pflanzliche zu ihr gehört. Denn wie jeder Stein, jeder leblose Körper seine Zugehörigkeit zu der Erde zeigt, indem er auf die Erde fallen kann, wo er eine Widerlage findet, so zeigt jede Pflanze ihre Zugehörigkeit zur Erde dadurch, daß die Stengelrichtung der Pflanzen immer eine solche ist, die durch den Mittelpunkt der Erde geht. Alle Pflanzenstengel würden sich im Mittelpunkt der Erde schneiden, wenn wir sie bis zum Mittelpunkt der Erde verlängerten, das heißt die Erde ist imstande, aus ihrem Mittelpunkt alle die Kraftstrahlen zu ziehen, welche die Pflanzen aus sich hervorgehen lassen. Wir betrachten sonst nur ein Abstraktes, ein Ausgedachtes, wenn wir das Gesteinsreich betrachten, ohne die Pflanzendecke dazuzunehmen. Es kommt dazu nun, daß die rein auf das äußere Materielle gehende Naturwissenschaft sehr gern davon spricht, wie alles Leben — also auch das Pflanzenleben — einmal aus dem Leblosen, dem Mineralischen entstanden sein müsse. Diese Frage gibt es für den Geistesforscher gar nicht, weil nie das Untergeordnete, das Niedere die Voraussetzungen des Höheren sind, sondern immer ist das Höhere, das Belebte die Voraussetzung des Niederen, des Unbelebten. Wir werden später bei dem Vortrage «Was hat die Geologie über Weltentstehung zu sagen?» noch sehen, daß die Geistesforschung zeigt, wie alles Steinige, Mineralische — vom Granit bis zur Ackerkrume — in einer ähnlichen Weise entstanden ist, wie es heute die Naturwissenschaft noch glaubt in bezug auf die Steinkohle. Denn die Steinkohle ist heute ein Mineral, wir graben sie aus der Erde heraus. Was war sie auch nach naturwissenschaftlichen Begriffen vor Jahrmillionen? Große, mächtige Wälder — so sagt die Naturwissenschaft-bedeckten damals einen großen Teil der Erdoberfläche; später sanken sie bei Erdumwälzungen in die Erde hinein, verwandelten sich chemisch in bezug auf ihre stoffliche Zusammensetzung, und was wir heute aus den Tiefen der Erde herausgraben, das sind die zu Stein gewordenen Pflanzen. Wenn man das heute der Steinkohle gegenüber zugibt, wird man es auch nicht mehr gar zu lächerlich finden, wenn die Geisteswissenschaft durch ihre Methoden, die sie anwendet, darauf kommt, daß nun alles Gestein, das unsere Erde birgt, zuletzt aus der Pflanze entstanden ist, daß sozusagen die Pflanze erst hat zu Stein werden müssen, so daß also nicht das Steinige die Voraussetzung des Pflanzlichen ist, sondern daß umgekehrt das Pflanzliche die Voraussetzung des Mineralischen ist. Alles Mineralische ist zunächst eine Verhärtung, dann eine Versteinerung des Pflanzlichen.

So haben wir auch in dem Erdplaneten etwas vor uns, von dem wir voraussetzen müssen: das war einstmals in bezug auf seine dichteste Qualität pflanzlicher Natur, war ein Gefüge aus pflanzlichen Wesen, und aus diesem Lebendigen hat sich erst das Leblose herausentwickelt, indem es sich nacheinander verhärtet, verholzt, versteint hat. Wie unser Knochengerüst, das sich im Grunde genommen auch erst aus dem Organismus heraus absondert, so haben wir das Gesteinsgerüst als das große Knochengerüst des Erdenwesens, des Erdenorganismus anzusehen.

Nun können wir, wenn wir diesen Erdenorganismus geisteswissenschaftlich betrachten, noch weiter gehen. Ich kann heute nur die allerersten Linien dafür angeben, denn wir haben es mit einem Zyklus von Vorträgen zu tun, wo eines in das andere hineingreifen muß. Wir können uns fragen: Wie steht es mit dem Erdenorganismus als solchem?

Wir wissen, wenn wir einen Organismus betrachten, zeigt er uns abwechselnd verschiedene Zustände. Der menschliche und der tierische Organismus zeigen in der Zeit abwechselnd einen Wach- und einen Schlafzustand. Können wir nun geisteswissenschaftlich etwas Ähnliches für den Erdenleib, für den Erdenorganismus finden? Es nimmt sich das Folgende für eine äußere Betrachtung zunächst wie ein Vergleich aus, aber für die geistige Forschung ist es nicht ein Vergleich, sondern ein Tatbestand. Wenn wir auf der Erde die eigentümliche Gesetzmäßigkeit von Sommer und Winter betrachten, wie sie sich geltend macht, indem auf der einen Hälfte Sommer, auf der andern Winter ist, wie dieses Verhältnis abwechselt, und wenn wir einen Blick darauf werfen, wie es sich — als Winterzeit und Sommerzeit — unterscheidet in bezug auf das ganze Erdenleben, so wird es nicht mehr absurd erscheinen, wenn die Geisteswissenschaft erzählt, daß Winter und Sommer für den Erdenorganismus entsprechen dem Wachen und Schlafen derjenigen Organismen, die wir selbst um uns herum haben. Die Erde schläft nur nicht so in der Zeit wie die andern Organismen, sondern sie wacht immer irgendwo und schläft immer irgendwo an irgendeiner Stelle ihres Wesens. Wachen und Schlafen ziehen herum, indem die Erde in einem Teil schläft, wo sie Sommer hat; sie wacht mit einem Teil ihres Wesens, wo sie Winter hat. So steht der ganze Erdenorganismus geistig mit Zuständen wie Wachen und Schlafen wie ein anderer Organismus vor uns.

Der Sommerzustand des Erdenorganismus besteht ja nun in einem ganz besonderen Verhältnis der Erde zur Sonne, nämlich darin, daß die Erde in eine solche Beziehung zur Wirkung der Sonne tritt — und das dürfen wir sagen, weil wir es mit einem lebendigen, geisterfüllten Organismus zu tun haben daß sie sich einer Wirkung hingibt, die geistig von der Sonne ausgeht. Für den Winterzustand verschließt sich der Erdenorganismus dieser Sonnenwirkung, zieht sich gleichsam in sich selber zusammen. Vergleichen wir nun einmal diesen Zustand mit dem menschlichen Schlafzustand. Ich will jetzt scheinbar äußerlich von einer bloßen Analogie sprechen; die Geisteswissenschaft liefert aber die Belege für den Tatbestand.

Betrachten wir den Menschen des Abends, wenn er ermüdet ist, wie sein Bewußtsein heruntersinkt, wie alle Gedanken und Empfindungen, die während des Tages durch die äußeren Dinge in unsere Seele hereinziehen, alle Lust und Leid, Freuden und Schmerzen in ein unbestimmtes Dunkel hinuntersinken. In dieser Zeit geht das menschliche Geistwesen — wie wir es in dem Vortrage über das «Wesen des Schlafes» gezeigt haben — aus dem physischen Menschenleib heraus und tritt ein in die geistige Welt, ist hingegeben der geistigen Welt. In diesem Schlafzustand ist nur das Eigentümliche für den Menschen, daß er bewußtlos wird. Für den Geistesforscher — wir werden sehen, wodurch er das weiß — zeigt sich, daß das menschliche Innere, Astralleib und Ich, in der Tat aus dem physischen Leib und Ätherleib sich herauszieht, aber nicht nur sich herauszieht und wie ein Wolkengebilde über ihm schwebt; sondern dieses menschliche Innere breitet sich aus, ergießt sich über die ganze planetarische Welt, die um uns ist. So unwahrscheinlich es ist: es zeigt sich doch, daß sich die Menschenseele einheitlich ausgießt über das Astralische. Die Forscher, die auf diesem Gebiete beschlagen waren, haben wohl gewußt, warum sie das, was herausgeht, den Astralleib nannten, weil nämlich dieses Innere aus dem Himmelsraum, mit dem es eine Einheit bildet, sich die Kräfte holt, die es braucht, um das zu ersetzen, was des Tages Mühe und Arbeit am physischen Leib abgenutzt hat. So geht der Mensch im Schlafe auf in die große Welt, so zieht er sich des Morgens wieder zurück in die Grenzen seiner Haut, in die kleine Menschenwelt, in den Mikrokosmos. Da fühlt er wieder, weil der Leib ihm Widerstand bietet, sein Ich, sein Selbstbewußtsein.

Dieses Ausatmen und Wiedereinatmen der Seele ist das wunderbare Wechselspiel im menschlichen Leben. Von alle denen, die nicht direkt vom okkulten, geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus gesprochen haben, habe ich eigentlich nur bei einem einzigen Geist eine so treffende Bemerkung gefunden über das Wechselspiel von Wachen und Schlafen, daß man sie direkt in die Geisteswissenschaft hineinnehmen kann, weil sie sich mit dem geisteswissenschaftlichen Tatbestand deckt. Allerdings war es ein gründlicher mathematischer Denker, aber ein sinniger Mensch, der mit seinem Geist großartig die Natur zu umfassen verstand: Novalis. Er sagt: «Schlaf ist ein vermischter Zustand des Körpers und der Seele. Im Schlafe ist Körper und Seele chymisch verbunden. Im Schlafe ist die Seele durch den Körper gleichmäßig verteilt — der Mensch ist neutralisiert. Wachen ist ein geteilter — polarischer Zustand. Im Wachen ist die Seele punktiert — lokalisiert. Schlaf ist Seelenverdauung; der Körper verdaut die Seele. (Entziehung des Seelenreizes.) — Wachen ist Einwirkungszustand des Seelenreizes — der Körper genießt die Seele. Im Schlafe sind die Bande des Systems locker — im Wachen angezogen.»

Schlaf bedeutet also für Novalis das Verdauen der Seele durch den Leib. Novalis ist sich immer bewußt, daß in der Tat im Schlafe die Seele eins wird mit dem Universum und verdaut wird, damit sich der Mensch weiterhelfen kann für die physische Welt.

So wechselt der Mensch in bezug auf sein inneres Wesen in der Weise, daß er sich beim Tagwachen in die kleine Welt, in die Grenzen seiner Haut zusammenzieht und sich in der Nacht im großen ausdehnt, sich durch die Hingabe Kräfte holt aus der Welt, in die er da hineingebettet ist. Denn wir verstehen den Menschen nicht, wenn wir ihn nicht herausgebildet verstehen aus dem ganzen Makrokosmos.

Für den Teil der Erde nun, der Sommer hat, liegt etwas Ähnliches vor wie bei einem Menschen, der im Schlafzustände ist. Die Erde gibt sich hin alledem, was von der Sonne herunterkommt, und gestaltet sich so, wie sie sich gestalten soll unter dem Einfluß der Sonnenwirksamkeit. Für den Teil, wo die Erde Winter hat, verschließt sie sich der Einwirkung der Sonne, lebt in sich selber. Da ist es so, wie wenn der Mensch in die kleine, innere Welt zusammengezogen ist und in sich selbst lebt, während es für den Teil der Erde, wo Sommer ist, so ist, wie wenn der Mensch hingegeben ist der ganzen äußeren Welt.

Nun gibt es ein Gesetz der geistigen Welt, daß wir uns, wenn wir weiter voneinander liegende geistige Wesenheiten ins Auge fassen — wie zum Beispiel hier den Menschen auf der einen Seite und den Erdorganismus auf der andern Seite —, die Bewußtseinszustände in gewisser Beziehung umgekehrt vorzustellen haben. Beim Menschen 1st das Hinaustreten in die große Welt der Schlaf zustand. Für die Erde ist der Sommerzustand — den man vielleicht einen Wachzustand nennen möchte — etwas, was sich doch nur vergleichen läßt mit dem, was beim Menschen das Einschlafen ist. Der Mensch tritt mit dem Einschlafen in die große Welt hinaus; die Erde tritt mit dem Sommer mit allen ihren

Kräften in den Bereich der Sonnenwirksamkeit, nur müssen wir uns die Erde und die Sonne als geisterfüllte Organismen denken.

Zur Winterzeit, wo die Erde in sich selber ruht, müssen wir uns ihren Zustand entsprechend dem Wachzustande des Menschen denken, während man gewohnt sein könnte, das, was die Erde im Winter ist, als den Erdenschlaf zu betrachten. Aber wenn wir weit auseinanderliegende Wesenheiten ×™ wie Mensch und Erde — betrachten, zeigen sich die Bewußtseinszustände in einer Art entgegengesetzt.

Was ist nun das, was die Erde vollzieht unter dem Einfluß der Hingabe an das Sonnenwesen, an den Sonnengeist? Es ist nichts anderes als etwas, was sich vergleichen läßt geistig — wir werden jetzt, um einen leichteren Vergleich zu haben, gut tun die Begriffe umzudrehen — mit dem Zustände des Menschen, wenn er des Morgens aufwacht und aus dem dunklen Schöße des Daseins, aus der Nacht auftaucht in seine Lust und sein Leid. Wenn die Erde in den Bereich der Sonnenwirksamkeit tritt, dann können — obwohl es sich vergleichen läßt mit dem Schlafzustande des Menschen-alle die Kräfte, die aus der Erde hervorsprießen, den ruhenden Winterzustand der Erde in den tätigen, den lebendigen Sommerzustand übergehen lassen.

Was sind nun die Pflanzen in dem ganzen Gewebe des Seins? Wir könnten sagen: Wenn der Frühling herannaht, beginnt der Erdenorganismus zu denken und zu fühlen, weil die Sonne mit ihren Wesen seine Gedanken und Gefühle herauslockt. Die Pflanzen sind für den Erdenorganismus nichts anderes als eine Art Sinnesorgane, die jeden Frühling von neuem erwachen, damit der Erdenorganismus mit seinem Denken und Fühlen in dem Bereich der Sonnenwirksamkeit sein kann. Wie sich im Menschenorganismus das Licht das Auge schafft, um durch das Auge als «Licht» erscheinen zu können, so schafft sich der Sonnenorganismus am Erdenorganismus in jedem Frühling die ausgebreitete Pflanzendecke, um durch diese Pflanzendecke sich selber zu beschauen, zu fühlen, zu empfinden, zu denken. Nicht etwa sind die Pflanzen unmittelbar die Gedanken der Erde zu nennen, aber sie sind die Organe, durch welche die im Frühling aufwachende Organisation der Erde mit der Sonne zusammen ihre Gefühle und Gedanken entwickelt. Wie wir unsere Nerven vom Gehirn ausgehen sehen und Augen und Ohren mit den Nerven zusammen unser Empfindungs- und Vorstellungsleben entwickeln, so sieht der Geistesforscher in dem, was sich abspielt zwischen Erde und Sonne mit Hilfe der Pflanzen, das wunderbare Weben einer kosmischen Gedanken-, Gefühls- und Empfindungsweit. Denn für den Geistesforscher ist die Erde nicht nur mit der mineralischen Erdenluft, mit der rein physischen Erdenatmosphäre umgeben, sondern von einer Aura von Gedanken und Gefühlen. Für die Geistesforschung ist die Erde ein geistiges Wesen, und die Gedanken und Gefühle erwachen in jedem Frühling und gehen den Sommer hindurch durch die Seele unserer ganzen Erde. Die Pflanzenwelt aber, die ein Teil unseres ganzen Erdenorganismus ist, gibt die Organe ab, daß unsere Erde denken und fühlen kann. In den Geist der Erde sind die Pflanzen hineinverwoben wie unsere Augen oder Ohren in das Getriebe unseres Geistes. Da erwacht im Frühling ein lebendiger, geisterfüllter Organismus, und in den Pflanzen sehen wir etwas, was sich heraustreibt aus dem Antlitz unserer Erde, wo sie auf irgendeinem Gebiete anfangen will zu fühlen und zu denken. Und wie alles, was in uns Menschen ist, nach einem selbstbewußten Ich hin tendiert, so ist es auch in der Pflanzenwelt. Die ganze Pflanzenwelt gehört zur Erde. Ich habe schon gesagt, daß ein Mensch dem Wahnsinn nahe sein müßte, der nicht denken würde, wie in uns alles, was Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle sind, nach unserm Ich hin gerichtet ist. So ist alles, was die Pflanzen während der Sommerzeit vermitteln, nach dem Erdmittelpunkt gerichtet, der das Erden-Ich ist. Das soll nicht bloß symbolisch gesagt sein! Wie der Mensch sein Ich hat, so hat die Erde ihr selbstbewußtes Ich. Deshalb streben alle Pflanzen nach dem Mittelpunkt der Erde hin. Daher dürfen wir die Pflanzen gar nicht für sich betrachten, sondern müssen sie im Wechsel mit dem selbstbewußten Ich der Erde betrachten. Was sich als Gedanken und Empfindungen der Erde abspielt, das ist so, wie in uns die Empfindungen und Vorstellungen leben, was in uns auf- und abwogt zur Wachenszeit, was in uns astralisch lebt, wenn wir geisteswissenschaftlich sprechen.

So können wir uns die Erde nicht nur als ein physisches Gebilde vorstellen. Denn das physische Gebilde ist uns so etwas wie unser eigener physischer Leib, den man mit den äußeren Augen sehen und mit den Händen greifen kann, und den die äußere Wissenschaft beobachtet; so ist der Erdenleib, den die heutige Astronomie oder Geologie betrachtet. Dann haben wir das zu nennen, was wir beim Menschen kennengelernt haben als Ätherleib oder Lebensleib. Einen solchen Ätherleib hat auch die Erde. Und endlich hat sie auch einen Astralleib. Das ist das, was jeden Frühling erwacht als die Gedanken und Gefühle der Erde, die zurücktreten, wenn der Winter herannaht, so daß dann die Erde in sich selbst verschlossen in ihrem eigenen Ich ruht und sich nur bewahrt, was sie braucht, um durch das Gedächtnis hinüberzutragen das Vorhergehende zu dem Nachfolgenden, sich bewahrt in den Pflanzen-Samenkräften, was sie sich erobert hat. Wie der Mensch, wenn er einschläft, auch nicht seine Gedanken und Empfindungen verliert, sondern sie am nächsten Morgen wiederfindet, so findet die aus dem Schlafzustand im Frühling wieder erwachende Erde die Samenkräfte der Pflanzen, um aus ihrem lebendigen Gedächtnis das wiedererstehen zu lassen, was die Eroberung der früheren Zeit ist.

So aufgefaßt, lassen sich die Pflanzen mit dem vergleichen, was unsere Augen und Ohren, unsere Sinne an uns selber sind. Das sind sie für den Erdenorganismus. Aber was wahrnimmt, was zu einem Bewußtsein kommt, das ist die von der Sonne zur Erde herniederströmende geistige Welt. Diese geistige Welt würde nicht zu einem Bewußtsein kommen können, wenn sie nicht in den Pflanzen ihre Organe hätte, die ebenso ein Selbstbewußtsein vermitteln, wie unsere Augen und Ohren und Nerven unser Selbstbewußtsein vermitteln. Das macht uns darauf aufmerksam, daß wir eigentlich nur richtig sprechen, wenn wir sagen: Jene Wesen, die von der Sonne herunterströmen zur Erde und ihre geistige Wirksamkeit entfalten, begegnen sich vom Frühling durch die Sommerzeit hindurch mit dem Wesen, das zur Erde selbst gehört. Im Austausch werden die Organe gebildet, durch welche die Erde sie wahrnimmt, denn nicht die Pflanze nimmt wahr. — Es ist ein Aberglaube, auch von seiten der Naturwissenschaft, wenn man sagt, die Pflanze nehme wahr. — Die geistigen Wesenheiten, die zur Erdenwirksamkeit und Sonnenwirksamkeit gehören, nehmen durch die Pflanzenorgane wahr, und alle Organe, die sie brauchen, um sie zusammenzuschließen nach dem Mittelpunkt der Erde, richten sie daher hin nach dem Mittelpunkt der Erde. Was wir also hinter der Pflanzendecke zu sehen haben, sind die geistigen Wesenheiten, welche die Erde umspielen und die in den Pflanzen ihre Organe haben.

Es ist in unserer Zeit so merkwürdig, daß die Naturwissenschaft geradezu hindrängt, diese Dinge der Geisteswissenschaft anzuerkennen. Denn es ist ja nichts Geringeres als die volle Anerkennung des Umstandes, daß unsere physische Erde nur ein Teil der gesamten Erde ist, daß auch der gasige Sonnenball nur ein Teil der ganzen Sonne ist, und daß unsere Sonne, wie sie uns physisch erscheint, nur ein Teil ist der geistig-seelischen Wesenheiten, die in Wechselwirkung treten mit den geistig-seelischen Wesenheiten der Erde. Wie die Menschenwelt mit ihrer Umwelt in Zusammenhang ist und wie die Menschen ihre Organe haben, um zu leben und sich zu entwickeln, so schaffen sich diese Wesenheiten, die real und wirklich sind, in der Pflanzendecke ein Organ, um sich selbst wahrzunehmen. Aberglaube — sagte ich — ist es, wenn man glaubt, daß die Pflanze als solche wahrnehme oder als einzelne Pflanze eine Art Seele hätte. Das ist ein ebensolcher Aberglaube, wie wenn man von der Seele eines Auges sprechen wollte. Trotzdem durch eine merkwürdige, für die Geisteswissenschaft: aber selbstverständliche Verkettung der Tatsachen die äußere Wissenschaft durch das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch mit Notwendigkeit dazu gedrängt hat, das, was jetzt gesagt worden ist, anzuerkennen, ist es in der Tat so, daß sich die äußere Wissenschaft auf diesem Gebiete doch sehr wenig ausgekannt hat, auch heute noch. Denn was die Wissenschaft über das Sinnesleben der Pflanzen bis jetzt zustande gebracht hat, ist restlos eine Bestätigung dessen, was ich jetzt über den Geist und seine Wirksamkeit im Pflanzenreich gesagt habe, aber in der äußeren Wissenschaft kann man es nicht als solches einsehen. Das können wir an folgendem Beispiel sehen.

Im Jahre 1804 machte Sydenham Edwards die Entdeckung von der merkwürdigen Beschaffenheit der Venus-Fliegenfalle, die auf ihren Blättern gewisse Borsten hat. Wenn ein Insekt in die Nähe dieser Pflanze kommt, so daß eine gewisse Berührung der Borsten stattfindet, wird das Insekt von dem Blatt umfangen, wird wie aufgefressen und verdaut. Es war merkwürdig, als die Menschen entdeckten: Pflanzen können fressen, können in ihrem Innern sogar Tiere aufnehmen, sind Fleischfresser! Aber man konnte nichts Rechtes damit anfangen. Es ist interessant, wie man nichts damit anfangen konnte, denn diese Entdeckung ist immer wieder vergessen worden und wieder neu gefunden worden, so 1818 durch Nuttall, 1834 durch Curtis, 1848 durch Lindley und 1859 durch Oudemans. Fünf Leute hintereinander haben dieselbe Sache gefunden! Es ließ sich weiter nichts für die Wissenschaft damit machen, als daß der um die Erforschung der Pflanzenwelt so verdienstvolle Schleiden sagte, man solle sich hüten, dadurch in allerlei mystische Sachen zu verfallen, daß man etwa den Pflanzen Seele zusprechen wolle! Aber auch heute ist man in der Wissenschaft wieder bereit, der einzelnen Pflanze — wie zum Beispiel der Venus-Fliegenfalle — eine Seele zuzuschreiben, was aber ein Aberglaube wäre, wie wenn man dem Auge eine Seele zuschreiben wollte. Gerade Leute wie Raoul France zum Beispiel haben solche Dinge gleich im äußerlichen Sinne genommen und gesagt: Da sieht man Seelisches, das sich analog dem Seelischen des Tieres ausnimmt!

Das zeigt also die Notwendigkeit, daß man gerade auf dem Gebiete der Geisteswissenschaft nicht in die Phantastik verfallen darf, denn hier ist die äußere Wissenschaft in die Phantastik verfallen, wenn man der Venus-Fliegenfalle ein seelisches Wesen zuschreiben will, das man mit dem menschlichen oder tierischen seelischen Wesen zusammenwerfen dürfe. Dann dürfte man auch einem andern Wesen eine Seele zuschreiben, das auch andere Wesen, auch kleine Tiere anzieht und, wenn diese in seine Nähe gekommen sind, sie mit seinen Fangarmen umschlingt, so daß sie darinnenbleiben müssen. Denn man kann, wenn man bei der Venus-Fliegenfalle von Seele spricht, auch bei der Mausefalle davon sprechen, daß sie eine Seele hat. So dürfen wir aber nicht sprechen. Sobald man in den Geist eindringen will, muß man genau und exakt die Dinge ins Auge fassen und nicht aus einem scheinbar gleichen Äußeren schließen, daß auch das Innere in derselben Weise vor sich ginge.

Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß manche Tiere etwas Gleichartiges wie ein Gedächtnis zeigen. Wenn ein Elefant zur Tränke geführt wird und dabei auf dem Wege von einem Menschen gereizt wird, dann kann es vorkommen, daß er, wenn er wieder zurückkommt, Wasser in seinem Rüssel drinnenbehalten hat und jetzt den Menschen anspritzt, der ihn vorher gereizt hat. Da wird dann gesagt: Da sieht man also, daß der Elefant ein Gedächtnis hat; er hat sich den Menschen gemerkt, der ihn gereizt hat, und sich vorgenommen: auf dem Rückwege werde ich ihn mit Wasser spritzen! Das ist aber nicht so. Beim Seelenleben ist es wichtig, daß wir den inneren Vorgang genau verfolgen und nicht gleich von Gedächtnis sprechen, wenn später ein Geschehnis eintritt als Wirkung einer früheren Ursache. Nur dann, wenn ein Wesen wirklich zurückschaut auf etwas, was in einer früheren Zeit vorgegangen ist, haben wir es mit Gedächtnis zu tun; in jedem andern Falle nur mit Ursache und Wirkung. Das heißt: wir müßten jetzt genau in die Struktur der Elefantenseele hineinschauen, wenn wir sehen wollten, wie der Reiz, der ausgeübt wird, dann so etwas auslöst, daß er noch nach einer gewissen Zeit eine Wirkung hervorruft.

Deshalb müssen wir sagen: Wir dürfen derartige Dinge, wie sie uns bei der Venus-Fliegenfalle entgegentreten, nicht anders auffassen, als daß die ganze Einrichtung der Pflanze nicht dazu da ist, um ein inneres Seelenwesen der Pflanze zu bedingen, sondern was dabei vorgeht, ist von außen bewirkt. Die Pflanze dient als Organ dem ganzen Erdenorganismus auch für eine solche Sache. Wie die Pflanzen auf der einen Seite dem Ich der Erde, auf der andern Seite der Aura der Erde — dem Astralleib, der Empfindungs- und Gefühlswelt der Erde — angehören, das hat insbesondere gerade diese Forschung des neunzehnten Jahrhunderts gezeigt. Man ist eigentlich wirklich denjenigen Naturforschern — wie etwa Gottlieb Haberlandt dankbar, welche trocken die Tatsachen hinstellen, die sie erforscht haben, und nicht — wie Raoul France oder andere — daraus rein äußere Schlüsse ziehen. Wenn er dabei bliebe, die Dinge nur hinzustellen, wie sie sind, so könnte man ihm wirklich dankbar sein; wenn er aber daraus Schlüsse ziehen will auf das Seelenleben einer einzelnen Pflanze, so mag er auch gleich auf das Seelenleben eines einzelnen Haares oder Zahnes schließen.

Wenn wir dann diejenigen Pflanzen betrachten, die in Wirklichkeit Ährenpflanzen sind, so zeigt sich, daß bei allen diesen Pflanzen merkwürdige kleine Organe vorhanden sind. Kleine Gebilde von Stärkezellen wurden aufgefunden. Diese Zellen sind merkwürdigerweise so gebaut, daß in ihrem Innern etwas ist wie ein lockerer Kern. Das Eigentümliche ist, daß die Zellenwand nur an einer Stelle unempfindlich bleibt für den Kern. Wenn dieser anderswohin rutscht, so wird die Zellenwand von ihm berührt, und die Folge ist, daß die Pflanze ihn wieder in die frühere Lage zurückbringt. Solche Stärkemehlzellen finden sich bei allen Pflanzen, die in ihrer Hauptrichtung nach dem Mittelpunkt der Erde hinweisen, so daß die Pflanze ein Organ in sich hat, welches es ihr immer möglich macht, sich in ihrer Hauptrichtung nach dem Mittelpunkt der Erde zu richten. Das ist allerdings eine wunderbare Sache, die im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts von verschiedenen Forschern gefunden worden ist, und die sich am besten ausnimmt, wenn die Dinge einfach hingestellt werden. Wenn zum Beispiel Haberlandt meint, daß man es da mit einer Art von Sinnesempfindung der Pflanze zu tun habe, so setzt er doch die Tatsachen so klar auseinander, daß man gerade für diese trockene und nüchterne Darstellung ganz besonders dankbar sein muß.

Nun aber etwas anderes. Wenn man ein Pflanzenblatt betrachtet, ist immer eigentlich die äußere Oberfläche eine Zusammenfügung von lauter kleinen linsenartigen Gebilden, ähnlich der Linse unseres Auges. Diese Linsen sind so eingerichtet, daß das Licht nur dann wirkt, wenn es in einer ganz bestimmten Richtung auf die Oberfläche des Blattes auffällt. Wenn das Licht in einer andern Richtung auffällt, bekommt das Blatt sogleich den Antrieb, sich so zu wenden, daß das Licht in die Linsenmitte hineinfallen kann, weil es nach der Seite hin in anderer Weise wirkt. So sind also an der Oberfläche der Blätter der Pflanzen Organe für das Licht vorhanden. Diese Lichtorgane, die sich tatsächlich mit einer Art Auge vergleichen lassen, das über die Pflanzen ausgebreitet ist, durch das aber nicht die Pflanze sieht, sondern das Sonnenwesen schaut durch dasselbe auf das Erdenwesen, — diese Lichtorgane bewirken, daß die Pflanzenblätter immer die Tendenz haben, sich senkrecht zum einfallenden Sonnenlicht zu stellen.

Darin — wie sich die Pflanze hingibt zur Frühlings- und Sommerzeit der Sonnenwirkung — haben wir eine zweite Hauptrichtung der Pflanze. Die Stengelrichtung, wodurch sich die Pflanzen als hinzugehörig zum Erden-Selbstbewußtsein erweisen, ist die eine; die andere ist die, wodurch die Pflanzen die Hingabe der Erde an die Wirksamkeit der Sonnenwesen ausdrücken.

Wollen wir nun noch weitergehen, so müßten wir finden, wenn die bisherigen Auseinandersetzungen richtig sind, daß die Pflanzen durch diese Hingabe der Erde an die Sonne irgendwie ausdrücken, wie die Erde durch das, was sie hervorbringt, wirklich im großen Makrokosmos lebt. Wir müßten sozusagen in den Pflanzen irgend etwas wahrnehmen, was uns anzeigen würde, daß auf die Pflanzenwelt eigentlich hereinwirkt, was draußen gerade durch die Sonnenwesen bewirkt wird. Schon Linné hat darauf hingewiesen, daß bei gewissen Pflanzen das Aufblühen um fünf Uhr morgens und zu keiner andern Zeit geschieht. Das heißt: die Erde ist hingegeben an die Sonne, und das drückt sich dadurch aus, daß bei gewissen Pflanzen das Aufblühen nur zu ganz bestimmten Tagesstunden möglich ist. So blühen zum Beispiel Hemerocallis fulva, die Taglilie, nur um fünf Uhr, Nymphaea alba, die Seerose, nur um sieben Uhr, Calendula, die Ringelblume, nur um neun Uhr auf. Darin sehen wir das Verhältnis der Erde zur Sonne in wunderbarer Weise ausgedrückt, was schon Linné die «Sonnen-Uhr» genannt hat. Ja, auch das Einschlafen, das Zusammenklappen der Blütenblätter ist wieder auf ganz bestimmte Tageszeiten beschränkt. Eine wunderbare Gesetzmäßigkeit und Regelmäßigkeit liegt in dem Leben der Pflanzen.

Das alles zeigt uns, wie die Erde hingegeben ist — wie der Mensch im Schlafe — an die große Welt und mit derselben lebt. Wie sie die Pflanzen blühen und welken läßt, zeigt uns das ganze geistige Wesen und Weben, das zwischen Sonne und Erde vor sich geht. Wenn wir so die Dinge betrachten, müssen wir allerdings sagen: wir bücken da hinein in tiefe, tiefe Geheimnisse unserer Umwelt. Da hört für den ernsten Wahrheitssucher die Möglichkeit auf — selbst wenn die rein materiellen Forschungsergebnisse noch so faszinierend sind —, auch nur noch daran zu denken, daß da ein Gasball durch den Raum gehe in der Sonne, hört auf die Möglichkeit, daß die Erde so betrachtet werden darf, wie die Astronomie oder Geologie sie heute betrachtet. Da gibt es zwingende Gründe, denen sich auch der gewissenhafte Naturdenker unterwerfen muß, daß er sich sagt: Du darfst nicht mehr anderes sehen in dem, was dir die Naturwissenschaft enthüllt, als einen Ausdruck des allem zugrunde liegenden geistigen Lebens! — Dann betrachten wir aber die Pflanzen wie einen physiognomischen Ausdruck der Erde, als den Ausdruck des Antlitzes unserer Erde. So vertieft sich das, was wir unser ästhetisches Gefühl gegenüber der Pflanzenwelt nennen, gerade durch die Geisteswissenschaft. Wir gehen hin vor die gigantischen Bäume des Urwaldes, vor das stille Veilchen oder Schneeglöckchen und betrachten sie als einzelne Individuen zwar, aber so, daß wir sagen: Da spricht sich uns der Geist aus, der den Raum durchlebt — Sonnengeist, Erdengeist! Was wir beim Menschen aus dem Ausdruck seines Geistes erschauen, wenn wir seine Stimme hören und auf das Fromme oder Unfromme seiner Seele schließen, so schließen wir aus dem, was uns aus den Pflanzen entgegenschaut, auf das, was lebt als Erdengeist, als Sonnengeist, wie sie miteinander im Kampfe oder in gegenseitiger Harmonie stehen. Da fühlen wir uns selber im Geist drinnen weben und leben.

Und um nur anzuzeigen, wie sich tatsächlich durch die Naturwissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts die Geisteswissenschaft wohl bestätigen läßt, kann man noch folgendes erwähnen. Diejenigen Zuhörer, welche früher die Vorträge hier angehört haben, werden sich an den Hinweis erinnern, daß es Pflanzen gibt in der Erdenwelt, die deplaziert sind, die nicht hereingehören in unsere Erdenwelt. Eine solche Pflanze ist zum Beispiel die Mistel, die in Sage und Mythos deshalb eine so merkwürdige Rolle spielt, weil sie zu einem früheren planetarischen Zustand unserer Erde gehört und wie ein Rest zurückgeblieben ist von einer vorirdischen Entwickelung. Daher kann sie nicht in der Erde wachsen, sondern sie muß in andern Pflanzen wurzeln. Die Naturwissenschaft zeigt uns, daß die Mistel nicht jene eigentümlichen Stärkezellen hat, welche die Pflanzen dahin bringen, nach dem Mittelpunkt der Erde zu zeigen. Kurz, ich könnte jetzt beginnen und die ganze Botanik des neunzehnten Jahrhunderts Stück für Stück auseinanderlegen, und Sie würden Stück für Stück die Belege dafür finden, wie die Pflanzendecke unserer Erde das Sinnesorgan ist, durch welches sich beschauen Erdengeist und Sonnengeist.

Wenn wir das beachten, bekommen wir gerade — wie es uns ja geziemend erscheinen muß für die von uns geliebte und uns erfreuende Pflanzenwelt — eine Wissenschaft, welche zugleich unsere Seele erheben, nahebringen kann dieser Pflanzenwelt. Wir fühlen uns mit Seele und Geist selber zur Erde und zur Sonne gehörig und fühlen so, wie wenn wir gleichsam aufschauen müßten zur Pflanzenwelt, wie sie zu unserer großen Erdenmutter gehört. Das müssen wir im Grunde genommen auch. Denn alles, was als Tier oder Mensch scheinbar unabhängig ist von der unmittelbaren Wirkung der Sonne, das ist durch die Pflanzenwelt und dadurch, daß es angewiesen ist auf die Pflanzenwelt, wieder indirekt abhängig von der Sonne. Der Mensch macht zwar im Winter und Sommer keine solche Verwandlungen durch wie die Pflanzen, aber die Pflanze ist es, die ihm die Möglichkeit gibt, in sich selber jene Beständigkeit zu haben. Was die Pflanze an Stoffen entwickelt, kann sie nur unter dem Einfluß der Sonnenwirkung entwickeln, durch das Wechselverhältnis von Sonnengeist und Erdengeist. Namentlich die Kohlehydrate sind es, die nur entstehen, wenn sich Sonnengeist und Erdengeist küssen durch das Pflanzenwesen. Die Stoffe, die da entwickelt werden, liefern erst das, was die höheren Organismen zur Wärme-Entwickelung in sich hereinnehmen müssen. Denn nur durch das, was die höheren Organismen als Wärme entwickeln, indem sie die von der Sonne auf dem Umwege durch die Pflanze zubereiteten Stoffe aufnehmen, können sie erst gedeihen.

So müssen wir materiell allerdings hinblicken auf unsere Erdenmutter als auf unsere große Nährmutter. Aber wir haben gesehen, daß wir in der Pflanzendecke die Physiognomie des Erdengeistes haben, und wir fühlen uns dadurch in Geist und Seele stehend. Wir blicken gleichsam — wie wir einem andern Menschen ins Auge blicken — der Erde in die Seele, wenn wir verstehen, wie sie ihre Seele uns ankündigt in den Blüten und Blättern der Pflanzenwelt.

Das war es, was Goethe sich beschäftigen ließ mit der Pflanzenwelt, was ihn zu einer Beschäftigung führte, die im Grunde genommen in nichts anderem besteht, als daß er zeigt, wie der Geist in der Pflanzenwelt wirksam ist, und wie das Blatt, das bald so, bald so in der Pflanze erscheint, von dem Geist herausgestaltet wird in den verschiedensten Formen. Goethe war entzückt, daß der Geist in der Pflanze die Blätter formt, sie rundet und sie auch im Gewinde um den Stengel herumführt. Und ebenso denkwürdig mußte es bleiben, als ein den Geist wirklich erkennender Mensch — als Goethe Schiller nach einem Vortrage des Botanikers Batsch in der naturforschenden Gesellschaft zu Jena gegenüberstand. Als Schiller, den der Vortrag nicht befriedigt hatte, meinte: Das ist doch eine Betrachtung der Pflanzen, wie sie einseitig dasteht! — nahm Goethe ein Blatt heraus und zeichnete in seiner Weise mit einigen Strichen, wie für ihn der Geist in der Pflanze wirkt. Da sagte Schiller, der solche konkrete Erfassung des Geistes der Pflanzen nicht verstehen konnte: Was Sie da zeichnen, ist aber doch nur eine Idee! Darauf konnte Goethe nur sagen: «Das kann mir sehr lieb sein, wenn ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe!»

Gerade die Art, wie ein solcher Mensch wie Goethe in der Pflanzenwelt forscht, als er über den Brenner geht und den Huflattich mit ganz anderen Augen ansieht, wie er darin sieht, wie der Geist über der Erde wirkt und die Blätter gestaltet, das zeigt uns, wie wir von einem gemeinsamen Geist der Erde sprechen können, der sich nur zum Ausdruck bringt in den mannigfaltigen Pflanzenwesen als in seinem besonderen Organ. Was physisch ist, ist Geist. Wir haben immer nur die Aufgabe, den Geist in der richtigen Weise zu verfolgen. Wer die Pflanze so verfolgt, wie sie aus dem Gesamtgeist der Erde herauswächst, der findet den Erdengeist, den Goethe schon im Auge hatte, als er seinen Faust anrufen ließ den die Erde durchwirkenden Geist, der von sich sagt:

In Lebensfluten, in Tatensturm

Wall' ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Der Mensch aber, der so den Geist in dem Pflanzenleben der Erde erblickt, fühlt sich selber gestärkt und gekräftigt, indem er das, was er als sein inneres Wesen ansehen muß, ergossen sieht über den ganzen Schauplatz, den er bewohnen darf. Und er muß sich sagen: Betrachte ich den Umkreis meines Raumes, so finde ich bestätigt, was aller Dinge Ursprung ist, das finde ich im Schoß des Geistes! Und was als Ausdruck gelten kann des Verhältnisses von Menschengeist und Menschenseele, auch für das Verhältnis von Pflanzenseele und Pflanzengeist, das können wir zusammenfassen in die Worte:

Es sprechen zu dem Menschensinn
Die Dinge in den Raumesweiten,
Sie wandeln sich im Zeitenlauf.
Erkennend lebt die Menschenseele
Durch Raumesweiten unbegrenzt
Und unversehrt durch Zeitenlauf.
Sie findet in dem Geistgebiet
Des eignen Wesens tiefsten Grund!




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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