WIE ERLANGT MAN ERKENNTNIS
DER GEISTIGEN WELT?
Berlin, 15. Dezember 1910
Bevor mit dem heutigen Thema von mir begonnen werden soll,
möchte ich darauf aufmerksam machen, daß diese
heutigen Auseinandersetzungen der Anfang sein werden
einer ganzen Reihe von solchen Auseinandersetzungen, und
daß im Grunde genommen alle nächstfolgenden Themen
für diesen Winter genau denselben Titel tragen
könnten wie das heutige Thema. Es wird in Anlehnung an die
verschiedensten Erscheinungen des menschlichen Lebens und
des wissenschaftlichen Lebens, an die verschiedensten
Kulturpersönlichkeiten der Menschheit überhaupt im
Laufe der nächsten Vorträge zur Erörterung
kommen der Weg, den der Mensch zu gehen hat, wenn er zur
Erkenntnis der geistigen Welt kommen will.
Gestatten Sie mir — obwohl dieses Thema, diese
Betrachtung, sozusagen in die Region des
Allerunpersönlichsten, des
Objektiv-Geisteswissenschaftlichen führen soll —,
daß ich trotzdem in der Einleitung von etwas
Persönlichem ausgehe, denn der Weg in die geistige
Welt ist ja ein solcher, der durch das Persönlichste ins
Unpersönliche führen muß. Daher wird trotz des
Unpersönlichen das Persönliche oftmals
sinnbildliches Kennzeichen für diesen Weg sein, und man
erlangt so auch die Möglichkeit, auf mancherlei
Bedeutsames gerade dadurch hinzuweisen, daß man
gewissermaßen von dem intimeren unmittelbaren
Erleben ausgeht. Dem Betrachter der geistigen Welten wird
mancherlei im Leben sinnbildlich wichtiger sein, als es
zunächst erscheinen kann. Manches, was vielleicht sonst
vor dem Menschenblicke vorübergehen kann, ohne von
der Aufmerksamkeit besonders gestreift zu werden, kann dem tief
bedeutsam erscheinen, der sich intensiv mit einer solchen
Betrachtung befassen will, wie sie auch den heutigen
Auseinandersetzungen zugrunde liegen soll. Und ich kann
sagen: es gehört das Folgende — was Ihnen
zunächst wie eine Kleinigkeit des Lebens erscheinen wird
— für mich zu den mancherlei unvergeßlichen
Dingen, die mir auf meinem Lebensweg auf der einen Seite
kennzeichneten die Sehnsucht der Menschen unserer Gegenwart
wirklich hinauf nach der geistigen Welt, auf der anderen Seite
aber doch die mehr oder weniger eingestandene
Unmöglichkeit, mit den Mitteln, die nicht nur die
Gegenwart, die sogar die letzten Jahrhunderte geben, soweit sie
äußerlich dem Menschen erreichbar sind,
irgendwie einen Zugang in die geistige Welt zu
erlangen.
Ich
saß einmal in der traulichen Wohnung von Herman
Grimm. Diejenigen von Ihnen, welche mit dem deutschen
Geistesleben ein wenig bekannt sind, werden mit dem Namen
Herman Grimm einiges verbinden. Sie werden vielleicht den
geistvollen, bedeutenden Biographen Michelangelos und Raffaels
kennen und vielleicht auch wissen, wie gewissermaßen
die Summe der Bildung unserer Zeit wenigstens Mitteleuropas
oder — sagen wir noch enger — Deutschlands in der
Seele Herman Grimms vereinigt war. Bei einem Gespräch mit
Herman Grimm über den ihm ja so nahestehenden
Goethe und über Goethes Weltanschauung fiel
dasjenige, was eine Kleinigkeit ist, vor, was eben zu den
unvergeßlichsten Dingen meines Lebensweges gehört.
Bei einer Bemerkung, die ich machte — wir werden nachher
sehen, wie gerade in bezug auf den Aufstieg des Menschen in die
geistige Welt diese Bemerkung eine Bedeutung haben kann
antwortete Herman Grimm mit einer ablehnenden Bewegung der
linken Hand. Was in dieser Handbewegung lag, das ist es, was
ich gewissermaßen zu den unvergeßlichen Erlebnissen
meines Lebensweges rechne. Es sollte sich darum handeln, in
Anlehnung an Goethe davon zu sprechen, wie Goethe in seiner Art
— wir werden noch im Laufe dieser Vorträge den Weg
Goethes in die geistige Welt zu besprechen haben — diesen
Weg in die geistige Welt finden wollte. Herman Grimm folgte
gern den Wegen Goethes in die geistige Welt — aber auf
seine Art. Es lag ihm völlig fern, in einer solchen Art
auf Goethe einzugehen, daß man etwa Goethe als den
Repräsentanten eines Menschen betrachtet, der wirklich
— auch als Künstler — aus der geistigen Welt
herunterholt geistige Realitäten, um sie in seinen
Kunstwerken zu verkörpern. Es lag Herman Grimm viel
näher, sich zu sagen: Ach, in diese geistige Welt
können wir mit den Mitteln, die wir heute als Menschen
haben, doch nur hinaufgelangen durch die Phantasie. Die
Phantasie bietet zwar Dinge, die schön, groß,
gewaltig sind und das menschliche Herz mit Wärme
erfüllen können; aber Erkenntnis,
festbegründete Erkenntnis, das war etwas, was Herman
Grimm, der so intime Betrachter Goethes, auch bei Goethe nicht
finden wollte. Und als ich davon sprach, daß Goethes ganze
Grundwesenheit darauf fußte, daß er das Wahre im
Schönen, in der Kunst verkörpern wollte, und dann zu
zeigen versuchte, daß es doch Wege gebe außerhalb der
Phantasie, Wege in die geistige Welt, die auf festeren Grund
und Boden führen als die Phantasie, da war es nicht etwa
die Ablehnung desjenigen, der nicht gern einen soldien Weg
gehen möchte. Nicht die Ablehnung eines solchen Weges war
es, was Herman Grimm in diese Handbewegung legte, sondern
in der Art, die nur der kennt, der ihn genauer verstand, legte
er in die Handbewegung ungefähr das Folgende: Es mag wohl
einen solchen Weg geben, aber wir Menschen können uns doch
nicht berufen fühlen, irgend etwas darüber
auszumachen!
Wie
gesagt, ich möchte das nicht etwa in aufdringlicher Weise
als eine persönliche Angelegenheit hier vorbringen,
sondern mir scheint, daß in einer solchen Geste sich die
Stellung gerade der besten Menschen unseres Zeitalters
gegenüber der geistigen Welt verkörpert. Denn ich
hatte später einmal ein langes Gespräch mit demselben
Herman Grimm bei einem Wege, der uns beide von Weimar nach
Tiefurt führte, in dem er auseinandersetzte, wie er sich
ganz befreit habe von aller bloß materialistischen
Auffassung des Weltgeschehens, von der Auffassung, daß der
Geist des Menschen in den aufeinanderfolgenden Epochen aus sich
selbst hervorbringe, was des Menschen eigentlichen
seelischen Reichtum ausmacht. In einem großen Plan,
der ja — wie die wissen, die sich mit Herman Grimm
beschäftigt haben — nicht mehr in einem Werke, das
er vorhatte, zur Ausführung gekommen ist, sprach Herman
Grimm damals davon, daß er beabsichtige, eine
«Geschichte der deutschen Phantasie» zu schreiben. Er
hatte im Auge das Walten der Phantasie wie einer Göttin in
den geistigen Welten, die das, was die Menschen zum Heile des
Weltenfortschrittes schaffen, aus sich hervorbringt. Ich
möchte sagen: in jener lieblichen Gegend zwischen Weimar
und Tiefurt hatte ich bei diesen Worten eines Menschen, den ich
immerhin als einen der größten Geister unserer Zeit
anerkenne, ein Gefühl, das ich etwa in folgende
Worte kleiden möchte.
Es
sagen sich heute viele Menschen: Tief unbefriedigt muß man
sein bei alledem, was die äußere Wissenschaft
über die Quellen des Lebens zu sagen vermag, über das
Geheimnis des Daseins, über die Welträtsel; aber es
fehlt die Möglichkeit, kraftvoll in eine andere Welt
hineinzutreten. Es fehlt die Intensität des
Erkenntnis-Willens, als etwas anderes diese Welt des geistigen
Lebens zu erkennen, denn als etwas, was der Mensch sich in
seiner Phantasie ausbildet. Gar mancher geht eben gern in
dieses Reich der Phantasie, weil es für ihn das einzige
geistige Reich ist. Ich wußte mich gerade gegenüber
dieser Persönlichkeit zu erinnern — dieser Weg
nach Tiefurt liegt vielleicht jetzt siebzehn Jahre zurück
—, daß vor jetzt mehr als dreißig Jahren
einmal — neben vielem, vielem, was Herman Grimm schon
durch seine Schriften an Eindruck auf mich gemacht hatte
— mein Blick auf jene Stelle fiel innerhalb seiner
«Goethe-Vorlesungen», die er im Winter 1874/75 in
Berlin gehalten hat, wo er in Anlehnung an Goethe von jenem
Eindrucke spricht, den die rein äußerliche,
geistentblößte Naturbetrachtung auf einen solchen
Geist machen muß, wie der seinige es ist. Ebenso war es
schon damals vor dreißig Jahren, als mir Herman Grimm als
der Typus eines Menschen erschien, den alle Gefühle und
Empfindungen hinaufdrängen in die geistige Welt, der
aber die geistige Welt nicht in einer Realität finden
kann, sondern nur in der Phantasie, in ihrem Walten und Wirken,
und der auf der andern Seite — gerade weil er so war
— nicht zugeben wollte, daß Goethe selber in einem
anderen als bloß im Reiche der Phantasie, nämlich im
Reiche der geistigen Realität, die Quellen und Rätsel
des Daseins suchte.
Eine Stelle ist es, die heute am Ausgangspunkte unserer
Betrachtungen auf unsere Seele wirken soll, wo Herman Grimm von
etwas spricht, was auch schon von mir angedeutet worden
ist als zwar in seiner Bedeutung von der Geisteswissenschaft
nicht zu leugnen, was aber doch so, wie es von der
äußeren Naturwissenschaft genommen wird oder von
jener Weltanschauung, die auf dem festen Boden der
Naturwissenschaft stehen will, nicht nur für die
Empfindung und für das Gefühl, sondern für eine
wirklich sich selbst verstehende Erkenntnis eine
Unmöglichkeit bedeutet. Ich meine die Kant-Laplacesche
Theorie, die unser Sonnensystem so erklärt, als wenn
es nur aus leblosen, unorganischen Stoffen und
Kräften bestünde und sich aus solchen herausgeballt
hätte aus einer riesigen Gaskugel. Ich darf aus Herman
Grimms Goethe-Vorlesungen die Stelle vorlesen, welche
Ihnen zeigt, was diese heute so faszinierende, so tiefen
Eindruck machende Weltanschauung für einen Geist wie
Herman Grimm zu bedeuten hatte.
«Allein, sosehr Goethe dem Verstände hier verbietet,
mehr für Wahrheit zu nehmen, als sich in der Tat mit den
fünf Fingern der Hand greifen lasse, um so voller gibt er
der Phantasie des Dichters das Recht, aus unbewußter,
träumender Kraft Bilder dessen zu schaffen, was der Geist
zu erblicken wünscht. Nur daß er mit Schärfe die
Grenze beider Tätigkeiten aufrecht hält. Längst
hatte, in seinen Jugendzeiten schon, die große
Laplace-Kantsche Phantasie von der Entstehung und dem einstigen
Untergang der Erdkugel Platz gegriffen. Aus dem in sich
rotierenden Weltnebel — die Kinder bringen es
bereits aus der Schule mit — formt sich der zentrale
Gastropfen, aus dem hernach die Erde wird, und macht, als
erstarrende Kugel, in unfaßbaren Zeiträumen alle
Phasen, die Episode der Bewohnung durch das Menschengeschlecht
mit einbegriffen, durch, um endlich als ausgebrannte Schlacke
in die Sonne zurückzustürzen: ein langer, aber dem
Publikum völlig begreiflicher Prozeß, für dessen
Zustandekommen es nun weiter keines äußeren
Eingreifens mehr bedarf als der Bemühung irgendeiner
außenstehenden Kraft, die Sonne in gleicher
Heiztemperatur zu erhalten.
Es
kann keine fruchtlosere Perspektive für die Zukunft
gedacht werden als die, welche uns in dieser Erwartung als
wissenschaftlich notwendig heute aufgedrängt werden soll.
Ein Aasknochen, um den ein hungriger Hund einen Umweg
machte, wäre ein erfrischendes appetitliches Stück im
Vergleiche zu diesem letzten Schöpfungsexkrement, als
welches unsere Erde schließlich der Sonne wieder
anheimfiele, und es ist die Wißbegier, mit der
unsere Generation dergleichen aufnimmt und zu glauben vermeint,
ein Zeichen kranker Phantasie, die als ein historisches
Zeitphänomen zu erklären, die Gelehrten
zukünftiger Epochen einmal viel Scharfsinn aufwenden
werden.»
Es
war mir notwendig, auf eine solche Stelle hinzuweisen,
weil es im Grunde genommen heute wenig geschieht. Heute, wo so
faszinierend die Vorstellungen jener Weltanschauungen
wirken, die scheinbar so fest auf dem Boden der
Naturwissenschaft stehen, wird wenig darauf hingewiesen,
daß es immerhin Geister gibt, die tief mit dem Kulturleben
unserer Zeit zusammenhängen und dennoch in einer solchen
Art aus ihrem ganzen Seelengepräge heraus sich zu dem
verhalten, wovon jetzt unzählige Menschen sagen: Es ist
selbstverständlich, daß die Dinge so sind, und es ist
jeder eigentlich ein Tropf, der nicht zugeben wird, daß
die Dinge so sind! Ja, wir sehen heute sehr viele Menschen
schon, welche die tiefste Sehnsucht haben eine
Verbindungsbrücke zu schlagen zwischen der Seele des
Menschen und der geistigen Welt. Aber wir sehen auf der anderen
Seite außerhalb derjenigen Kreise, die sich tiefer mit dem
befassen, was wir Geisteswissenschaft nennen, nur wenige sich
mit den Mitteln beschäftigen, die diese
Menschenseele zu dem hinführen könnten, was man
immerhin nennen könnte das Land ihrer Sehnsucht.
Wenn wir deshalb heute von den Wegen sprechen, welche den
Menschen in die geistige Welt führen sollen, und
gewissermaßen so sprechen, daß das Gesprochene
nicht für einen engen Kreis gelten soll, sondern sich an
alle die riehtet, welche mit der heutigen Zeitbildung
ausgerüstet sind, dann stoßen wir in einer gewissen
Beziehung noch sehr auf Widerstand. Da kann es nicht nur sein,
daß dasjenige, was vorgebracht wird, als Träumerei
und Phantasterei angesehen wird, sondern es kann auch
sehr leicht sein, daß das Vorgebrachte sehr viele Menschen
der Gegenwart eigentlich ärgert, ihnen etwas
Ärgerliches ist, weil es so sehr von dem abweicht, was
— wie die suggestiven und faszinierenden Vorstellungen
derer, die sich für die Gebildetsten halten —
für die weitesten Kreise heute gilt.
Es
ist schon in dem ersten Vortrage angedeutet worden, daß
das Hinaufschreiten in die geistige Welt im Grunde genommen
eine intime Angelegenheit der Seele ist, und daß es recht
sehr dem widerspricht, was sowohl in populären wie
auch in wissenschaftlichen Kreisen heute gang und gäbe ist
für das Vorstellungs- und Empfindungsleben. Namentlich der
Wissenschaftler ist heute gleich bei der Hand mit der
Forderung: Was wissenschaftlich gelten soll, das muß sich
zu jeder Zeit und für jeden Menschen beweisen
lassen, und er weist dann wohl hin auf sein äußeres
Experiment, das man zu jeder Zeit, vor jedem Menschen beweisen
kann. Es ist selbstverständlich, daß dieser
Forderung die Geisteswissenschaft nicht genügen
kann. — Wir werden gleich sehen, warum nicht. —
Daher wird die Geisteswissenschaft — das heißt
jene Wissenschaft, die vom Geist nicht als einer Summe von
abstrakten Begriffen und Ideen spricht, sondern als von etwas
Realem und von wirklichen Wesenheiten — schon gegen die
methodische Forderung verstoßen müssen, welche
die Wissenschaft und die Weltanschauungen heute so leicht
aufstellen: Für jeden überall und zu jeder Zeit
beweisbar zu sein. In populären Kreisen stößt
die Geisteswissenschaft schon aus dem Grunde sehr häufig
auf Widerstand, weil nun einmal in unserer Zeit — selbst
da, wo man die Sehnsucht in sich trägt in die geistige
Welt hinaufzusteigen — die Empfindungen und Gefühle
von materialistischer Anschauungsart durchsetzt und
durchdrungen sind. Man kann beim besten Willen nicht
anders, selbst wenn man sich nach der geistigen Welt sehnt, als
doch den Geist in irgendeiner Beziehung wieder materiell zu
denken, oder wenigstens das Hinaufschreiten in die geistige
Welt sich an Materielles geknüpft zu denken. Daher wird es
den meisten Menschen lieber sein, wenn man ihnen von rein
äußeren Mitteln redet, zum Beispiel was sie essen und
trinken oder nicht essen und trinken sollen, oder was sie sonst
rein äußerlich in der materiellen Welt unternehmen
sollen. Das wird ihnen viel lieber sein, als wenn man von ihnen
verlangt, daß sie intime Entwickelungsmomente in ihre
Seele einführen. Aber um solches gerade handelt es sich
beim Hinaufsteigen in die geistige Welt.
Nun
wollen wir — ganz in dem Sinne, wie die
Geisteswissenschaft das selbst ansieht — einmal
versuchen kurz zu skizzieren, wie dieser Aufstieg der
Menschenseele in die geistige Welt stattfinden kann. Der
Ausgangspunkt muß ja immer von dem genommen werden, worin
der Mensch zunächst lebt. Nun lebt der Mensch, wie er in
unserer Gegenwart in die Welt hineingestellt ist, ganz und gar
fest in der äußeren, sinnlichen Welt. Man versuche es
nur einmal sich klarzumachen, wieviel noch in dieser
Menschenseele übrigbleibt, wenn man den Blick von
dem abwendet, was die äußeren Sinneseindrücke
der physischen Welt an Vorstellungen in uns entzündet
haben, was durch die äußeren, physischen Erlebnisse,
durch Augen, Ohren und die anderen Sinne in uns hereingekommen
ist, was auch durch Augen und Ohren in uns an Leiden und
Freuden, Lust und Schmerz angeregt wird, und was dann unser
Verstand sich kombiniert hat aus diesen Eindrücken der
Sinneswelt. Man versuche das alles aus der Seele
auszutilgen, sich wegzudenken, und überlege einmal,
was dann zurückbleiben würde. Die Menschen, die es
ehrlich mit dieser einfachen Selbstbeobachtung nehmen
können, werden sehen, daß äußerst wenig
gerade beim Gegenwartsmenschen in der Seele zurückbleibt.
Das aber ist es, daß zunächst der Aufstieg in die
geistige Welt nicht ausgehen kann von dem, was uns von der
äußeren Sinneswelt gegeben ist, sondern er muß
so unternommen werden, daß der Mensch in seiner Seele
Kräfte entwickelt, die für gewöhnlich in dieser
Seele schlummern. Es ist sozusagen ein Grundelement für
alle Möglichkeiten des Aufstieges in die geistige Welt,
daß der Mensch gewahr werde, daß er innerlich
entwickelungs fähig ist, daß in ihm noch etwas
anderes liegt als das, was er zunächst mit seinem
Bewußtsein überschaut.
Es
ist das wirklich schon für viele Menschen heute eine
ärgerliche Vorstellung, denn — nehmen wir gleich
einen ganz besonderen Menschen der heutigen Bildung — was
tut denn zum Beispiel der heutige Philosoph, wenn es sich ihm
darum handelt, die ganze Bedeutung und das Wesen der
Erkenntnis festzustellen? Ein solcher wird sagen: Ich
will einmal versuchen, wie weit wir mit unserem Denken, mit
unseren Seelenkräften als Menschen überhaupt kommen
können, was wir erfassen können von der Welt. Da
sucht er auf seine Art — je nachdem es ihm augenblicklich
möglich ist — ein Weltbild zu erfassen und vor sich
hinzustellen, und er wird dann in der Regel sagen: Das andere
können wir eben nicht wissen, das liegt jenseits der
Grenzen menschlicher Erkenntnis! — Es ist überhaupt
die verbreitetste Redensart, die man in der heutigen Literatur
finden kann: Das können wir nicht wissen!
Nun
gibt es aber einen anderen Standpunkt, der ganz anders zu Werke
geht als der eben gekennzeichnete, indem er sagt: Gewiß,
mit den Kräften, die ich jetzt in meiner Seele habe, die
vielleicht jetzt die normalen menschlichen Seelenkräfte
sein mögen, kann ich dieses oder jenes erkennen,
aber hier in der Seele ist ein entwickelungsfähiges Wesen.
Diese Seele hat vielleicht Kräfte in sich, die ich erst
aus ihr herausholen muß. Ich muß sie erst gewisse
Wege führen, muß sie über den jetzigen
Standpunkt hinausführen, dann will ich einmal sehen,
ob nicht ich schuld gewesen bin, wenn ich gesagt habe,
dies oder jenes liege jenseits der Grenze unserer Erkenntnis.
Vielleicht brauche ich nur etwas weiterzugehen in der
Entwickelung meiner Seele, dann erweitern sich die Grenzen, und
ich kann tiefer in die Dinge hineindringen.
Mit
Logik nimmt man es ja, wenn man darüber urteilen will,
nicht immer ganz genau, sonst würde man sagen: Was wir
erkennen, hängt ab von unseren Organen. Deshalb kann zum
Beispiel der Blindgeborene nicht über Farben urteilen, er
kann nur darüber urteilen, wenn er durch eine
glückliche Operation sein Sehvermögen bekommen hat.
Ebenso könnte es sein — ich will hier nicht von
einem «sechsten Sinn» sprechen, sondern von
etwas, was rein geistig aus der Seele herausgeholt werden kann
—, daß es möglich wäre, daß
Geistesaugen oder Geistesohren aus unserer Seele herausgeholt
werden. Dann könnte für uns das große
Ereignis eintreten, das auf niederer Stufe eintritt, wenn
der Blindgeborene so glücklich ist, operiert zu werden, so
daß dann für uns die Vermutung zunächst Wahrheit
werden könnte: Es gibt um uns eine geistige Welt, aber um
hineinzuschauen, müssen wir erst die Organe in uns
erweckt haben. Das wäre das einzig Logische. Aber mit
Logik nimmt man es — wie gesagt — nicht immer
genau, denn in unserer Zeit haben die Menschen ganz andere
Bedürfnisse, wenn sie von einer geistigen Welt hören,
als sich hineinzufinden in diese geistige Welt. Ich habe schon
einmal erzählt, daß in einer süddeutschen Stadt,
als ich dort einmal einen Vortrag zu halten hatte, ein braver
Mensch, der Feuilletons schreibt, sein Feuilleton anfing mit
den Worten: «An der Theosophie ist das, was einem am
meisten in die Augen fällt, ihre
Unverständlichkeit.» Das wollen wir dem Manne
gern glauben, daß die Theosophie für ihn als
hervorstechendste Eigenschaft die Unverständlichkeit
hat. Aber ist das irgendwie ein Kriterium? Man übertrage
dieses Beispiel einmal auf die Mathematik, daß jemand von
ihr sagen würde: Was mir an der Mathematik am meisten in
die Augen fällt, ist ihre Unverständlichkeit. Dann
wird jeder sagen: Gewiß, das kann sein; dann möge er
aber eben so gut sein, wenn er Feuilletons schreiben will, erst
etwas zu lernen! — Oft wäre es besser, das, was
für ein besonderes Gebiet gilt, auf ein anderes
sachgemäß zu übertragen. So bleibt also nichts
anderes übrig, als daß die Menschen leugnen
— das können sie dann nur durch einen Machtspruch
—, es gäbe eine Entwickelung der Seele —
nämlich wenn sie es ablehnen, eine durchzumachen oder
aber, daß sie sich hineinbegeben in die Entwickelung der
Seele. Dann wird die geistige Welt für sie zur
Beobachtung, zur Realität, zur Wahrheit. Aber um
hinaufzugelangen in die geistige Welt, muß die Seele
fähig werden — nicht für das physische Leben,
sondern für die Erkenntnis der geistigen Welt sich in
einer gewissen Beziehung der Gestalt gegenüber, welche sie
zunächst hat, vollständig umzuwandeln, in einer
gewissen Beziehung ein anderes Wesen zu werden.
Das
kann uns schon aufmerksam machen, was hier oft und oft betont
worden ist, daß der, welcher den Drang hat hinaufzusteigen
in die geistige Welt, vor allen Dingen sich immer wieder und
wieder darüber klar sein muß, ob er hier in dieser
Welt physischer Wirklichkeit zunächst festen Boden
gefaßt hat, ob er imstande ist, hier festzustehen. Denn
für alle Verhältnisse, die sich in der physischen
Welt abspielen, müssen wir Sicherheit, Willenskraft und
Empfindungsvermögen haben, dürfen nicht den
Boden unter den Füßen verlieren, wenn wir
hinaufsteigen wollen von dieser Welt in die geistige. Das ist
eine Vorstufe: alles zu tun, was unseren Charakter dahin
führen kann, festzustehen in der physischen Welt.
Alsdann kommt es darauf an, für die geistige Welt die
Seele zu einem andern Fühlen und andern Wollen zu bringen,
als Fühlen und Wollen in der Seele gewöhnlich sind.
Es muß gewissermaßen unsere Seele innerlich ein
anderer Fühlens- und Wollensorganismus werden, als sie im
normalen Leben ist. Da kommen wir darauf, was die
Geisteswissenschaft auf der einen Seite zunächst wirklich
in eine Art von Gegensatz bringen kann zu dem, was heute als
«Wissenschaft» anerkannt wird, was die
Geisteswissenschaft aber auf der andern Seite doch wieder
unmittelbar neben diese Wissenschaft mit derselben
Gültigkeit hinstellt, welche die äußere
Wissenschaft hat. Wenn man sagt, daß alles, was
Wissenschaft sein soll, zu jeder Zeit und für jeden
Menschen beweisbar sein muß, so meint man, daß das,
was man als Wissenschaften betrachtet, nicht abhängen darf
von unserer Subjektivität, von unsern subjektiven
Gefühlen, von dem, was wir als irgendwelche
Willensentschlüsse, Willensimpulse, Gefühle und
Empfindungen nur individuell in uns tragen. Nun muß aber
zunächst der, der hinaufsteigen will in die geistige
Welt, den Umweg durch das Innere seiner Seele nehmen, muß
seine Seele umorganisieren, muß zunächst den Blick
völlig abwenden von dem, was außen in der
physischen Welt ist. Der Mensch wendet ja im normalen Leben den
Blick von dem, was innerhalb der physischen Welt ist, nur dann
ab, wenn er schläft; dann läßt er durch seine
Augen, Ohren und durch die ganze Organisation seiner Sinne
nichts in seine Seele herein, aber dafür wird er dann auch
bewußtlos und ist nicht imstande, in einer geistigen Welt
bewußt zu leben.
Es
ist nun gesagt worden, daß es zu den Grundelementen der
geistigen Erkenntnis für den Menschen gehört, in sich
selber die Möglichkeit zu finden, über sich
hinauszugehen. Das heißt aber nichts anderes, als in sich
selber zunächst den Geist wirksam zu machen. Wir kennen
alle im heutigen normalen Menschenleben nur ein Sichabwenden
von der physischen Welt, wenn wir in die Bewußtlosigkeit
des Schlafes eingehen. Nun hat uns die Betrachtung über
das «Wesen des Schlafes» gezeigt, wie der Mensch da
in einer realen geistigen Welt ist, wenn er auch nichts davon
weiß. Denn es wäre absurd, zu glauben, daß das,
was des Menschen Seelen- und Geisteszentrum ist, des Abends
verschwindet und des Morgens wieder neu entstünde;
nein, es überdauert real die Zustände vom Einschlafen
bis zum Aufwachen. Aber was für den heutigen normalen
Menschen die innerliche Kraft ist, sich bewußt zu sein
— auch dann, wenn keine Anregung für das
Bewußtsein durch die Eindrücke der Sinne oder durch
die Arbeit des Verstandes hereinfließt —, das fehlt
im Schlafe. Das Seelenleben ist so herabgestimmt im Schlafe,
daß der Mensch nicht fähig ist, dasjenige anzufeuern
und aufzuwecken, was die Seele sich selber innerlich erleben
läßt. Wenn der Mensch wieder aufwacht, dringen
von außen die Erlebnisse herein, und weil dem Menschen auf
diese Weise ein Seeleninhalt geschenkt wird, wird er sich
seiner an diesem Seeleninhalt bewußt. Er kann seiner nicht
bewußt werden, wenn er nicht angeregt wird von außen.
Dazu ist die Kraft des Menschen sonst zu schwach, wenn er im
Schlafe sich selbst überlassen ist.
Der
Hinaufstieg in die geistige Welt bedeutet also die
Anfachung solcher Kräfte in unserer Seele, welche die
Seele fähig machen, gleichsam in sich selber real
bewußt zu leben, wenn sie gegenüber der
äußeren Welt so wird, wie sonst der Mensch im Schlafe
ist. Also im Grunde genommen fordert zunächst das
Hinaufsteigen in die geistigen Welten eine Anfeuerung
innerlicher Energien, ein Herausholen von Kräften, die
sonst schlafen, gleichsam gelähmt sind in der Seele, so
daß der Mensch sie überhaupt nicht handhaben kann.
Alle diejenigen intimen Erlebnisse, die der
Geistesforscher in seiner Seele durchzumachen hat, gehen
zuletzt nach dem Ziele hin, das eben jetzt gekennzeichnet
worden ist. Und ich möchte Ihnen heute einiges
zusammenfassend erzählen über den Weg in die geistige
Welt hinauf. Ausführlich sind diese Dinge
dargestellt in ihren Elementen — sozusagen in ihren
Anfangsgründen — in dem Buche, das von mir unter dem
Titel erschienen ist: «Wie erlangt man Erkenntnisse der
höheren Welten?». Aber ich will mich heute nicht
gerade dadurch wiederholen, daß ich Ihnen einen Auszug aus
diesem Buche gebe, sondern ich will von einer andern Seite her
darstellen, was die Seele mit sich machen muß, um in die
geistige Welt hinaufzukommen. Wer sich tiefer dafür
interessiert, kann die Einzelheiten in dem genannten Buche
nachlesen. Nur darf niemand glauben, daß das, was
dort ausführlich gesagt worden ist, hier so dargestellt
werden kann, wenn man es kurz zusammenfaßt, daß
man dieselben Worte und Sätze gebrauchen kann. Die das
Buch kennen, werden es also nicht so finden, daß es eine
Zusammenfassung des dort Gesagten ist, sondern daß es doch
von einer andern Seite her die Sache charakterisiert.
Außerordentlich wichtig ist es, daß für den
Geistesforscher, der die Schritte ín die geistige
Welt lenken will, vieles von dem, was für die anderen
Menschen direkt zu einem Erkennen und Ziel führt, einfach
Erziehungsmittel wird, intimes Erziehungsmittel der Seele.
Lassen Sie midi das an einem Beispiel aussprechen. Ich habe vor
vielen Jahren ein Buch geschrieben: «Die Philosophie der
Freiheit». — Es ist augenblicklich nicht zu
haben, weil es seit Jahren vergriffen ist, wird aber
hoffentlich in zweiter Aufläge in nächster Zeit
erscheinen. — Diese «Philosophie der Freiheit»
ist so gefaßt, daß sie sich doch ganz
unterscheidet von anderen philosophischen Büchern
der Gegenwart, welche mehr oder weniger durch das, was in ihnen
steht, das Ziel haben, sozusagen etwas zu geben, wie es in der
Welt ausschaut oder ausschauen soll nach den Vorstellungen der
Verfasser. Das ist nicht das nächste Ziel dieses Buches,
sondern es soll dem, der sich auf die Gedanken
einläßt, die dort stehen, eine Art
Gedankentrainierung geben, so daß die Art des Denkens, die
besondere Art, sich diesen Gedanken hinzugeben, eine solche
ist, welche die Empfindungen und Gefühle der Seele in
Bewegung bringt — etwa wie man beim Turnen, wenn ich es
damit vergleichen darf, die Glieder in Bewegung bringt. Was
sonst bloß Erkenntnismittel ist, das ist in diesem Buche
zugleich geistig-seelisches Selbsterziehungsmittel. Das
ist außerordentlich wichtig. Daher kommt es bei diesem
Buche — was selbstverständlich für viele
Philosophen der Gegenwart ärgerlich ist, die mit
Philosophie etwas ganz anderes verbinden als das, was den
Menschen ein Stück weiterbringen kann, denn er soll
womöglich so bleiben, wie das normale
Erkenntnisvermögen dem Menschen eingeboren ist es kommt
bei diesem Buche daher nicht so sehr darauf an, ob man
über das oder jenes streiten kann, ob etwas so oder so
aufgefaßt werden kann, sondern darauf, daß wirklich
die Gedanken, die da zu einem Organismus verbunden sind,
unsere Seele schulen können, sie ein Stück
weiterbringen können.
So
ist es auch in meinem Buche «Wahrheit und
Wissenschaft». Und so ist es mit vielem, was
zunächst Grundelemente sein sollen, um die Seele zu
trainieren, in die geistige "Welt hinaufzukommen.
Mathematik, Geometrie, sie lehren den Menschen die Kenntnis von
den Dreiecken, Vierecken und anderen Figuren. Aber warum lehren
sie das alles? Weil er dadurch Kenntnis bekommen soll, wie die
Dinge im Räume sind, welchen Gesetzen sie unterliegen und
so weiter. Mit ähnlichen Figuren als Sinnbildern
arbeitet im Grunde auch das geistige Hinaufsteigen in die
höheren Welten. Es legt dem Schüler zum
Beispiel das Symbol des Dreieckes, des Viereckes oder andere
symbolische Figuren vor, aber nicht, daß er durch
sie unmittelbare Kenntnisse erlangt, die kann er ja auch
so erlangen, sondern daß er in ihnen die Möglichkeit
erhält, seine geistigen Fähigkeiten so zu
schulen, daß der Geist an dem, was sich ihm als Eindruck
ergibt aus diesen Sinnbildern, hinaufsteigt in eine höhere
Welt. Also um Gedankenschulung oder —
mißverstehen Sie es nicht — um Gedankenturnen
handelt es sich dabei. Deshalb wird vieles von dem, was
trockene äußere Wissenschaft, trockene
äußere Philosophie ist, was Mathematik oder
Geometrie ist, für die geistige Schulung lebendiges
Sinnbild, das uns in die geistige Welt hinaufführt. Wenn
wir dies auf unsere Seele haben wirken lassen, dann lernen wir
verstehen, was im Grunde genommen keine äußere
Wissenschaft versteht, daß die alten Pythagoräer
unter dem Einflüsse ihres großen Lehrers Pythagoras
von dem Weltall als bestehend aus Zahlen gesprochen haben, weil
sie die inneren Gesetzmäßigkeiten der Zahlen ins Auge
faßten. Nun betrachten wir, wie uns die Zahlen in der Welt
überall entgegentreten. Es ist ja nichts leichter, als
Geisteswissenschaft oder Anthroposophie zu widerlegen, denn man
wird leicht von einem sehr erhaben sich dünkenden
Standpunkte sagen können: Da kommen diese
Geisteswissenschaftler aus ihrem mystischen Dunkel mit der
Zahlensymbolik wieder hervor, sagen in den Zahlen liege
eine innere Gesetzmäßigkeit, und daß man zum
Beispiel die wahre Grundlage der menschlichen Wesenheit nach
der Siebenzahl betrachten müsse. — So etwas
aber meinten auch Pythagoras und seine Schüler, wenn sie
von der inneren Gesetzmäßigkeit der Zahlen sprachen.
Wenn wir jene wunderbaren Zusammenhänge, die in den
Beziehungen der Zahlen liegen, auf den Geist wirken lassen,
können wir ihn dadurch so trainieren, daß er
aufwacht, wo er sonst schläft, und stärkere
Kräfte in sich entwickelt, um hineinzudringen in die
geistige Welt.
Also es ist eine Schulung durch solche andere Wissenschaft. Das
ist es auch, was man eigentlich nennt das Studium
desjenigen, der in die geistige Welt eindringen will. Und nach
und nach wird für einen solchen alles, was für die
anderen Menschen derbe Wirklichkeit ist, mehr oder weniger zum
äußeren Sinnbild, zum Symbol. Wenn der Mensch
imstande ist, diese Sinnbilder auf sich wirken zu lassen, so
macht er dadurch nicht nur seinen Geist frei von der
äußeren, physischen Welt, sondern durchdringt ihn
auch mit starken Kräften, so daß sich die Seele ihrer
bewußt sein kann, wenn keine äußere Anregung da
ist. Ich habe schon erwähnt, daß der Mensch, wenn er
ein solches Symbol, wie es das Rosenkreuz ist, auf sich wirken
läßt, einen Impuls haben kann, um hinaufzusteigen in
die geistige Welt. Unter dem Rosenkreuz stellen wir uns
ein einfaches schwarzes Kreuz vor, an das sich kreisförmig
am Schnittpunkt der Balken sieben rote Rosen angliedern.
Was
soll es uns sagen? Derjenige läßt es richtig auf
seine Seele wirken, der sich dabei vorstellt: Ich betrachte zum
Beispiel eine Pflanze; ich sage von dieser Pflanze, sie ist ein
unvollkommenes Wesen, — und stelle daneben einen
Menschen, der in seiner Art ein vollkommeneres Wesen ist, aber
eben nur in seiner Art. Denn betrachte ich die Pflanze, so
muß ich sagen: In ihr habe ich eine materielle Wesenheit
vor mir, die nicht durchdrungen ist von Leidenschaften,
Trieben, Instinkten, die sie herunterführten von der
Höhe, wo sie sonst stehen könnte. Die Pflanze hat die
ihr eingeborenen Gesetze, denen folgt sie vom Blatt durch
die Blüte bis zur Frucht herauf; so steht sie da trieblos,
keusch. Daneben lebt der Mensch, gewiß in seiner Art ein
höheres Wesen, aber durchtränkt von Trieben,
Instinkten, Leidenschaften, durch die er von seiner strengen
Gesetzmäßigkeit abirren kann. Er muß erst etwas
in sich überwinden, wenn er ebenso seinen inneren Gesetzen
folgen will, wie die Pflanze den ihr eingeborenen Gesetzen
folgt. Nun kann sich der Mensch sagen: Der Ausdruck für
die Triebe, Instinkte in mir ist das rote Blut. Das kann
ich in gewisser Beziehung vergleichen mit dem, was der keusche
Pflanzensaft, das Chlorophyll, in der roten Rose ist, und
kann sagen: Wenn der Mensch in sich selber so stark geworden
ist, daß das rote Blut nicht mehr ein Ausdruck ist
für das, was ihn unter sich herunterdrückt, sondern
was ihn über sich erhebt, — wenn es der
Ausdruck eines so keuschen Wesens ist wie der zum Rot der Rose
gewordene Pflanzensaft, oder mit andern Worten: Wenn das Rot
der Rose die reine Innerlichkeit ausdrückt, die
geläuterte Wesenheit des Menschen in seinem Blut, so habe
ich das Ideal dessen vor mir, was der Mensch durch
Überwindung der äußeren Natur erreichen kann,
die sich mir darstellt unter dem Symbol des schwarzen Kreuzes,
des verkohlten Holzes. Und das Rot der Rose symbolisiert das
höhere Leben, das erwacht, wenn also das rote Blut zu
einem keuschen Ausdruck der über sich selbst
hinausgegangenen, geläuterten Trieb-Natur des Menschen
geworden ist.
Wenn man das Dargestellte nicht eine abstrakte
Vorstellung sein läßt, wird es zur lebendig
empfundenen Entwickelungsidee. Dann lebt eine ganze Welt von
Gefühlen und Empfindungen in uns auf; wir spüren in
uns eine Entwickelung von einem unvollkommenen zu einem
vollkommeneren Zustand. Wir spüren unter
Entwickelung noch etwas ganz anderes als jenes abstrakte Ding,
das uns die äußere Wissenschaft im Sinne eines rein
äußeren Darwinismus gibt. Da wird Entwickelung
etwas, was tief in unser Herz schneidet, was mit Wärme,
mit Seelenwärme uns durchzieht, sie wird in uns eine
Kraft, die uns trägt und hält. Nur durch solche
inneren Erlebnisse kann die Seele starke Kräfte in sich
entwickeln, daß sie in ihrem innersten Wesen — in
jenem Wesen, das sonst bewußtlos wird, wenn es sich
zurückzieht von der äußeren Welt — sich
durchleuchten kann mit Bewußtsein.
Es
ist natürlich kinderleicht zu sagen: Dann empfehlt ihr ja
die Vorstellung von etwas ganz Imaginärem, von etwas ganz
Erdachtem. Wert hat aber doch nur das an Vorstellungen, was
Abbild ist einer äußeren Vorstellung, und eine
Vorstellung von dem Rosenkreuz hat doch kein äußeres
Gegenbild! — Darum aber handelt es sich nicht, daß
die Vorstellung, durch die wir unsere Seele schulen, ein Abbild
einer äußeren Wirklichkeit ist, sondern darum,
daß die Vorstellung kräfteweckend für unsere
Seele ist und aus der Seele herauslockt, was verborgen in ihr
schlummert. Wenn die Menschenseele einem solchen bildlichen
Vorstellen hingegeben ist, wenn ihr gewissermaßen alles,
was ihr sonst als Realität wert ist, Anlaß wird zu
Bildern, die nicht willkürlich aus der Phantasie
herausgeholt werden, sondern so an die Realität angelehnt
sind, wie jetzt das Symbol des Rosenkreuzes, dann sagen wir:
Der Mensch bemüht sich, zur ersten Stufe der Erkenntnis
der geistigen Welt hinaufzunicken. — Das ist die
Stufe der imaginativen Erkenntnis, die uns
hinaufführt über das, was sich unmittelbar nur mit
der physischen Welt beschäftigt.
So
arbeitet der Mensch, der in die geistige Welt
hinaufsteigen will, in seiner Seele mit ganz bestimmten
Vorstellungen, mit einer ganz bestimmten Art, die sonst
äußere Wirklichkeit auf sich wirken zu lassen. Er
arbeitet in dieser Seele selber. Wenn der Mensch in dieser
Weise eine Zeitlang gearbeitet hat, steht es so, daß
der äußere Wissenschaftler ihm sagen kann: Das
hat für dich nur einen subjektiven, nur einen
individuellen Wert. Aber der äußere Wissenschaftler
weiß nicht, daß es unter einer solchen
strengen, gesetzmäßigen Trainierung der Seele
eine Stufe innerer Entwickelung gibt, wo für die
Seele die Möglichkeit ganz aufhört, subjektive
Gefühle und Empfindungen sprechen zu lassen, wo die
Seele dort ankommt, wo sie sich sagen muß: Jetzt gehen in
mir innerlich Vorstellungen auf, die mir so entgegentreten wie
sonst Bäume und Felsen, Flüsse und Berge, Pflanzen
und Tiere der äußeren Welt, die so real sind wie
sonst nur äußere physische Dinge, und zu denen meine
Subjektivität nichts hinzubringen und nichts hinwegnehmen
kann.
So
ist in der Tat ein Mittelzustand vorhanden für jeden, der
in die geistige Welt hinauf will, wo der Mensch der Gefahr
unterliegt, daß er sein Subjektives, was nur für ihn
gilt, etwa hineintragen kann in die geistige Welt. Aber durch
diesen Mittelzustand muß der Mensch durch, und er kommt
dann an eine Stufe, wo das, was durch die Seele erlebt wird,
ebenso objektiv — für jeden, der dazu die
Fähigkeit hat — beweisbar wird wie alle Dinge der
äußeren, physischen Wirklichkeit. Denn
schließlich gilt ja für die äußere
Wissenschaft der Grundsatz: Was wissenschaftlich gelten soll,
muß zu jeder Zeit für jedermann beweisbar sein,
— auch nur für den, der genügend dazu
vorbereitet ist. Oder glauben Sie, daß Sie das Gesetz der
«korrespondierenden Siedetemperatur» einem
achtjährigen Kinde beibringen können? Ich bezweifle
es. Nicht einmal den pythagoräischen Lehrsatz werden Sie
ihm beibringen können. Also es ist doch schon an diesen
Grundsatz gebunden, daß die menschliche Seele in
entsprechender Weise vorbereitet ist, wenn man ihr irgend etwas
beweisen will. Und wie man dazu vorbereitet sein muß
— obwohl es für jeden Menschen möglich ist
—, den pythagoräischen Lehrsatz zu verstehen,
so muß man durch eine bestimmte Übung seiner Seele
dazu vorbereitet sein, wenn man dieses oder jenes in der
geistigen Welt erfahren oder erkennen will. Dann aber ist das,
was erkannt werden kann, für jeden Menschen in der
gleichen Weise er fahrbar und beobachtbar, der dazu in der
nötigen Weise vorbereitet ist. Oder wenn Mitteilungen
gemacht werden aus den Beobachtungen der Geisteswissenschaft
von denen, die ihre Seele dazu vorbereitet haben, daß ein
solcher Mensch auf wiederholte Erdenleben
zurückbücken kann, so daß diese für
ihn eine Tatsache werden, dann kommen wohl die Menschen und
sagen: Da bringt er uns ja wieder Dogmen und fordert, daß
wir das glauben sollen! So tritt aber der Geistesforscher nicht
vor die Mitwelt mit seinen Erkenntnissen, daß die Menschen
es glauben sollen.
Wenn die Menschen meinen, es wären Dogmen, was gesagt
wird, so frage man sich einmal: Ist die Tatsache, daß es
einen Walfisch gibt, ein Dogma für den, der nie einen
gesehen hat? Gewiß, man kann es damit erklären: es
ist für den ein Dogma, der nie einen Walfisch gesehen hat.
Aber nur mit Mitteilungen tritt die Geistesforschung nicht an
die Welt heran. Das tut sie auch nicht, wenn sie sich selbst
versteht; sondern sie kleidet das, was sie aus den höheren
Welten herunterholt, in logische Formen, die genau dieselben
logischen Formen sind, von denen auch die andern Wissenschaften
durchdrungen sind. Dann kann jeder nachprüfen durch
gesunden Wahrheitssinn und unbefangene Logik, ob das stimmt,
was der Geistesforscher gesagt hat. Immer ist es gesagt worden:
zum Selbstaufsuchen der geistigen Tatsachen gehört
eine Schulung der Seele, gehört, daß die Seele das
durchgemacht hat, was jetzt beschrieben wird, nicht aber zum
Verstehen des Mitgeteilten; dazu genügt gesunder
Wahrheitssinn und vorurteilslose Logik.
Wenn nun der Geistesforscher eine Zeitlang solche
symbolischen Begriffe und Bilder auf seine Seele hat
wirken lassen, so merkt er, daß sein Empfindungs- und
Gefühlsleben ganz anders wird, als es vorher
war.
Wie
ist denn das Empfindungs- und Gefühlsleben des Menschen in
der gewöhnlichen Welt? Es ist eigentlich heute schon etwas
trivial geworden, überall den Ausdruck egoistisch zu
gebrauchen und zu sagen, im normalen Leben seien die Menschen
egoistisch. Ich möchte es nicht so ausdrücken,
sondern lieber sagen: Im normalen Leben sind die Menschen
zunächst eng an die menschliche Persönlichkeit
gebunden, so zum Beispiel, wenn uns irgend etwas freut, ja
gerade gegenüber den Dingen, welche uns freuen, von den
vornehmsten geistigen Schöpfungen, von Dingen der Kunst
und der Schönheit. Das drückt ja schon das
Sprichwort «Über den Geschmack läßt
sich nicht streiten» aus, daß vieles an unsere
Persönlichkeit gebunden ist und daß davon
abhängt, wie wir uns subjektiv zu den Dingen
stellen. Prüfen Sie, wie alles, was Ihnen Freude
machen kann, damit zusammenhängt, wie Ihre Erziehung
gewesen ist, an welchen Ort der Welt, in welchen Beruf Ihre
Persönlichkeit gestellt ist und so weiter, um zu
sehen, wie die Empfindungen und Gefühle eng mit unserer
Persönlichkeit zusammenhängen. Wenn man aber solche
Übungen der Seele wie die charakterisierten macht, dann
merkt man, daß die Empfindungen und Gefühle ganz
unpersönlich werden. Das ist ein großes und
gewaltiges Erlebnis, wenn der Moment eintritt, wo unser
Empfindungs- und Gefühlsleben gewissermaßen
unpersönlich wird. Dieser Moment kommt, er kommt sicher,
wenn der Mensch im Verlaufe seines geistigen Weges
angeregt wird durch die, welche seine geistige Führung
übernehmen, namentlich folgende Dinge so recht auf seine
Seele wirken zu lassen. Ich will jetzt einiges
aufzählen, was, wenn es der Mensch wochen-,
monatelang auf seine Seele wirken läßt, erziehend auf
unser ganzes Empfindungs- und Gefühlsleben wirkt.
Da
kann folgendes in Betracht kommen. Wenn wir unser
Augenmerk auf das richten, was Sie in der Philosophie in den
Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt finden, auf das geistige
Zentrum des Menschen, das Ich — wenn wir gelernt haben,
uns zur Ich-Vorstellung aufzuschwingen das alle unsere
Vorstellungen begleitet, das geheimnisvolle Zentrum alles
Erlebens; und wenn wir immer weiter treiben jenen Respekt, jene
Achtung und Hingabe, die sich verknüpfen kann mit der
Tatsache — für viele allerdings keine Tatsache,
sondern eine Chimäre —: Da innen lebt ein Ich!
— wenn das zum größten, zum einschlagendsten
Ereignis werden kann, sich immer wieder zu sagen, daß
dieses «Ich bin» das Wesentlichste der Seele
des Menschen ist, dann entwickeln sich an dem «Ich
bin» gewaltige, starke Gefühle, die unpersönlich
sind und gerade darauf hingehen, zu erkennen, wie gleichsam in
einen Punkt — in den Ich-Punkt —
zusammengedrängt ist alles, was uns an
Weltgeheimnissen und Mysterien umschwebt, um vom
Ich-Punkt aus den Menschen zu erfassen. Über dieses
Bewußtwerden des Ich erzählt zum Beispiel der Dichter
Jean Paul in seiner Lebensbeschreibung: «Nie
vergeß ich die noch keinem Menschen erzählte
Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines
Selbstbewußtseins stand, von der ich Ort und Zeit
anzugeben weiß. An einem Vormittag stand ich als ein sehr
junges Kind unter der Haustür und sah links nach der
Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht, ich bin ein Ich,
wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor midi fuhr und seitdem
leuchtend stehenblieb: da hatte mein Ich zum erstenmal
sich selber gesehen und auf ewig. Täuschungen des
Erinnerns sind hier schwerlich gedenkbar, da kein fremdes
Erzählen sich in eine bloß im verhangnen
Allerheiligsten des Menschen vorgefallen Begebenheit, deren
Neuheit allein so alltäglichen Nebenumständen
das Bleiben gegeben, mit Zusätzen mengen
konnte.»
Das
ist schon viel, schon mit allen Schauern der Ehrfurcht und mit
aller Empfindung für die Größe dieser Tatsache
die Hingabe zu spüren an das Zusammengedrängtsein des
Weltwesens an einem Punkt. Aber das kann, wenn der Mensch es
immer wieder und wieder empfindet und auf sich wirken
läßt, so sein, daß es ihn zwar nicht über
alle Weltenrätsel aufklärt, aber ihm noch eine
ganz auf das Unpersönliche und ganz auf das innerste
Menschenwesen gehende Richtung gibt.
So
erziehen wir an der Ichheit unser Gefühls- und
Empfindungsleben. Und wenn wir es eine Zeitlang getan
haben, können wir unsere Gefühle und Empfindungen in
eine andere Richtung bringen, können uns sagen:
Dieses Ich in uns ist verbunden mit allem, was wir denken,
fühlen und empfinden, mit allem unserem seelischen
Leben, durchglüht und durchglänzt unser Seelenleben.
Da können wir, ohne daß wir auf uns selber
Rücksicht nehmen oder persönlich werden, die
menschliche Natur mit dem Ich als dem Mittelpunkte des
Denkens, Fühlens und Wollens studieren. Der Mensch
wird uns zum Mysterium, nicht wir uns selbst. Da erweitern sich
unsere Gefühle vom Ich aus über die Seele. Dann
können wir zu anderem Fühlen übergehen,
können uns namentlich jenes schöne Gefühl
aneignen, ohne das wir unsere Seele nicht weiterführen
können in die geistige Erkenntnis, das ist das, was
man nennen möchte: das Gefühl dafür, daß in
jedem Ding, welches uns entgegentritt, gleichsam der
Zutritt zu einem Unendlichen sich uns eröffnet. Das ist
das wunderbarste Gefühl, wenn man es immer wieder und
wieder vor die Seele treten läßt. Das kann da sein,
wo wir hinausgehen und ein wunderbares Naturschauspiel
sehen: die von Wolken eingehüllten Berge in Donner und
Blitz. Da wirkt das groß und gewaltig auf unsere Seele.
Aber dann müssen wir lernen, das Große und
Gewaltige nicht nur dort zu sehen, sondern wir nehmen
vielleicht ein einzelnes Blatt, betrachten es genau mit
allen Rippen und allen wunderbaren Dingen, die daran
sind, und können dabei ebenso das Große und
Gewaltige, das sich wie ein Unendliches aus dem kleinsten Blatt
enthüllt, vernehmen und fühlen wie bei dem
größten Naturschauspiel. Sonderbar mag es erscheinen,
aber es ist doch etwas daran, und man muß sich nachher
grotesk ausdrücken: Es mag einen großen Eindruck
machen, wenn der Mensch sieht, wie die glühende Lavamasse
aus der Erde herauskommt. Dann aber denken wir uns, es sieht
jemand warme Milch oder gewöhnlichsten Kaffee an, sieht da
etwas wie kleine kraterförmige Gebilde und sieht da ein
ähnliches Schauspiel im Kleinen sich abspielen.
Überall, im Kleinsten wie im Größten, der Zugang
zu einem Unendlichen.
Und
wenn wir immer weiter forschen, und wenn sich uns noch soviel
enthüllt hat: es ist immer noch mehr unter der Decke, die
wir vielleicht oben erforscht haben. So empfinden wir
also gerade, was sich in jedem Punkt des Weltalls als eine
Offenbarung eines intensiv Unendlichen ergeben kann. Das
füllt unsere Seele aus mit Empfindungen und Gefühlen,
die uns notwendig sind, wenn wir das erlangen wollen, was
Goethe «Geistesaugen», «Geistesohren»
nennt. Kurz, es ist eine Auslebung unseres Gefühlslebens,
das sonst das Subjektivste ist, bis zu dem Punkt, wo wir uns
nur mehr fühlen als der Schauplatz, auf dem sich etwas
abspielt, wo wir unsere Gefühle gar nicht mehr zu
uns rechnen. Unsere Persönlichkeit ist zum Schweigen
gebracht. Es ist ungefähr so, wie wenn man eine Leinwand
aufspannt und als Maler ein Bild darauf malt, so spannen wir
unsere Seele auf, wenn wir uns so trainieren, und lassen die
geistige Welt auf dieser Seele malen. Das fühlt man von
einem bestimmten Zeitpunkt ab. Man muß sich dann nur
selbst verstehen, daß es notwendig ist zur
Anerkennung dessen, was die Welt wesenhaft ist, eine gewisse
Stufe des Seelenlebens einzig und allein als ausschlaggebend zu
betrachten.
So
wird in der Tat das, was sich der Mensch im heißen
Seelenstreben erwirbt, zum Entscheiden der Wahrheit. In der
Seele selber muß entschieden werden, ob etwas wahr ist
oder nicht. Nicht ein Äußerliches kann entscheiden,
sondern indem der Mensch über sich hinausgeht, muß er
in sich die Autorität finden, um die Wahrheit zu schauen
oder zu finden. Ja, wir können im Grunde genommen
sagen: Wir können uns da doch nicht ganz von den
übrigen Menschen unterscheiden. Die andern Menschen suchen
nach objektiven Kriterien, nach etwas, was uns die
Bestätigung der Wahrheit von außen gibt. Der
Geistesforscher aber sucht die Bestätigung der Wahrheit
von innen. Also das Umgekehrte tut er. Wenn es so stünde,
könnte man vielleicht zum Scheine sagen: Es steht schlimm,
wenn die Geisteswissenschaftler in ihren Verdrehtheiten
die Welt auf den Kopf stellen wollen. Denn in Wahrheit tun die
Naturforscher und Philosophen nichts anderes als die
Geistesforscher, nur wissen sie nicht, daß sie es tun. Ich
will Ihnen einen Beweis dafür geben, der aus der
unmittelbaren Gegenwart herausgenommen ist.
Auf
der letzten Naturforscher-Versammlung hat Oswald
Külpe einen Vortrag gehalten über
die Beziehung der Naturwissenschaft zur Philosophie, in welchem
er darauf kommt, daß der Mensch, indem er in die
Sinneswelt hinausblickt und sie als Ton, Farbe,
Wärme und so weiter empfindet, nur subjektive
Qualitäten hat. Das ist nur etwas anders gefärbt, als
wenn Schopenhauer sagt: «Die Welt ist unsere
Vorstellung.» Aber Oswald Külpe macht darauf
aufmerksam, daß das, was wir durch unsere Sinne
wahrnehmen, kurz alles, was uns bildhaft auftritt,
subjektiv sei, daß dagegen das, was die Physik und die
Chemie sagen — Druck, Anziehungs- und
Abstoßungskraft, Widerstand und so weiter sich als
objektiv charakterisieren lassen müsse; so daß man es
auf diese Weise zu tun habe in unsern Weltbildern teils
mit etwas rein Subjektivem, teils mit dem, was objektiv ist wie
Druck, Anziehungs- und Abstoßungskraft.
Ich
will mich auf die Kritik, die sich darüber
geäußert hat, nicht weiter einlassen, sondern nur auf
die Denkweise eingehen. Das scheint ja für den heutigen
Erkenntnistheoretiker so furchtbar leicht zu beweisen:
weil wir ohne Augen nicht sehen könnten, wäre das
Licht nur etwas, was durch unsere Augen bewirkt würde.
Aber was in der äußeren Welt geschieht, so wird
gesagt, wenn eine Kugel die andere stößt, was
da als Kräfte, als Widerstand, Druck und so weiter wirkt,
das müsse man doch in die Außenwelt versetzen,
in den Raum. Warum meinen das die Leute? Oswald Külpe
verrät sich an einer bestimmten Stelle sehr deutlich, wo
er von den Sinnesempfindungen spricht. Weil er diese als Bilder
ansieht, darum sagt er: Die können sich nicht stoßen
oder anziehen, auch nicht drücken oder gegenseitig
erwärmen, können auch nicht im Räume eine
soundso große Entfernung haben, daß sie das Licht in
der und der Geschwindigkeit durch den Raum schicken,
können auch nicht so angeordnet sein, wie der Chemiker die
Elemente anordnet. Warum sagt er das von den
Sinnesempfindungen? Weil er die Sinnesempfindungen als Bilder
ansieht, die nur durch unsere Sinne bewirkt werden.
Nun
möchte idi Ihnen einen einfachen Gedanken vorlegen,
der zeigt, daß die Bildartigkeit gar nichts ändert.
Die Dinge stoßen sich und ziehen sich an. Wenn Herr
Külpe nun aber die Sinnesempfindungen betrachtet, diese
Welt, die sich nicht anziehen und nicht stoßen
könnte, so tritt sie Herrn Oswald Külpe eben nicht
als Wirklichkeit, sondern als Spiegelbild entgegen. Da hat er
allerdings Bilder vor sich. Aber Stoß, Druck,
Widerstand und alles, was da in die Welt hineingelegt wird als
sich unterscheidend von den andern, den Sinnesempfindungen, das
wird auf keine andere Weise objektiv erklärt als durch die
Bildartigkeit der Sinnesempfindungen. Warum ist das so?
Weil der Mensch, wenn er Druck, Stoß und so weiter
empfindet, dasjenige, was in den Dingen lebt, zu den
Empfindungen der Dinge macht. Der Mensch sollte studieren, wenn
er zum Beispiel sagt: Die eine Billardkugel stößt die
andere, daß er dabei das, was er als Stoßkraft
erlebt, hineinlegt in die Dinge! Und wer auf dem Boden der
Geisteswissenschaft steht, macht auch nichts anderes. Was in
dem Innern der Seele lebt, das macht er zum Ausdruckskriterium
der Welt. Ein anderes Erkenntnisprinzip gibt es nicht als das,
was durch die Entwicklung der Seele selber gefunden werden
kann. So machen also die andern dasselbe wie die
Geistesforschung. Die Geistesforschung weiß es nur.
Die andern tun es unbewußt, haben keine Ahnung davon,
daß sie auf elementarer Stufe dasselbe tun, sie bleiben
nur auf der allerersten Stufe stehen und leugnen das, was
sie selber tun. Deshalb dürfen wir sagen: Die
Geisteswissenschaft steht in gar keinem Gegensatz zur
übrigen Wahrheitsforschung; die andern Forscher tun
dasselbe, nur machen sie den ersten Schritt und wissen nichts
davon, wahrend die Geistesforschung die Schritte bewußt so
weit macht, als es eine bestimmte Menschenseele nach
ihrer Entwickelungstufe machen kann.
Wenn nun das erreicht ist, daß unsere Gefühle in
gewisser Weise objektiv geworden sind, so tritt das erst
recht ein, was ich auch schon angedeutet habe, was aber eine
notwendige Voraussetzung beim Fortschritt in die geistigen
Welten ist. Das ist, daß der Mensch begreifen lernt, so in
der Welt zu leben, daß man voraussetzt, eine allumfassende
geistige Gesetzmäßigkeit webt und lebt in der
geistigen Welt. Im gewöhnlichen Leben ist der Mensch von
einer solchen Denkweise weit entfernt. Er erbost sich, wenn ihm
irgend etwas passiert, was ihm nicht paßt. Das ist ganz
begreiflich, denn ein anderer Standpunkt muß schwer
errungen werden. Dieser andere Standpunkt besteht darin,
zu sagen: Wir kommen aus einem früheren Leben her, haben
uns in die Lagen, in denen wir jetzt sind, selber
versetzt, haben uns hingeführt zu dem, was uns aus
dem Schöße der Zukunft entgegentritt. Was uns da
entgegentritt, das entspricht einer streng objektiven
geistigen Gesetzmäßigkeit. Wir nehmen sie hin,
denn es wäre ein Unding, sie nicht hinzunehmen. Was
da aus dem Schöße der geistigen Welten an uns
herantritt, ob uns die Welt tadelt oder lobt, ob uns
Freudvolles oder Leid volles erscheint: wir nehmen es hin als
weisheitvolles Durchleben und Durchweben der Welt. Das ist
etwas, was wieder langsam und allmählich zum ganzen
Grundsatz unseres Wesens werden muß. Wenn es das wird,
fängt unser Wille an geschult zu sein. Während
vorher unsere Gefühle umorganisiert werden sollen,
wird jetzt unser Wille umorganisiert, wird unabhängig von
unserer Persönlichkeit und dadurch zu einem Organ, um
geistige Tatsachen wahrzunehmen.
Dann tritt für den Menschen nach der Stufe der
imaginativen Erkenntnis das ein, was im wahren und echten
Sinne die Inspiration, die Erfüllung durch geistige
Tatsachen genannt werden kann. Darüber müssen
wir uns aber immer wieder klar sein, daß der Mensch die
Trainierung des Willens nur auf einer bestimmten Stufe
erreichen kann, wenn seine Gefühle in einer gewissen
Beziehung schon geläutert sind, daß sich sein
Wille mit der Gesetzlichkeit der Welt verbinden kann und er als
Mensch nur noch da ist, damit diejenigen Tatsachen und
Wesenheiten, die ihm erscheinen wollen, ihm in seinem
Willen eine Wand vorhalten, auf der sie sich ihm abbilden
können, so daß sie für ihn dasein
können.
Ich
habe Ihnen nur einiges von dem schildern können, was die
Seele in stiller, geduldiger Hingabe durchmachen muß, wenn
sie hinaufsteigen will in die höheren Welten. In den
folgenden Vorträgen werde ich Ihnen vieles aus der
weltgeschichtlichen Entwickelung zu schildern haben, was die
Seele durchmachen muß, um in die geistigen Welten
hinaufzudringen. Sehen Sie also das, was heute gesagt
worden ist, nur als eine Einleitung an, daß sich
durch eine solche Schulung unser Gefühls- und Willensleben
und unser ganzes Vorstellungsleben so entwickeln, daß sie
zu Trägern neuer Welten werden, so daß wir
tatsächlich in eine Welt eintreten, die wir ebenso als
eine Realität erkennen, wie wir die physische Welt in
ihrer Art als eine Realität erkennen. Ich habe schon
bei anderer Gelegenheit erwähnt: Wenn die Menschen sagen:
Du bildest dir das, was du zu sehen glaubst, doch nur ein, so
muß erwidert werden, daß nur die Erfahrung, die
Beobachtung den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Schein,
ergeben kann, zwischen Realität und Phantastik, gerade wie
in der physischen Welt auch. Da muß man an der
Realität den Unterschied gewinnen. Wer zum Beispiel
mit gesundem Denken an die Wirklichkeit herantritt, weiß
ein glühendes Stück Eisen in der Wirklichkeit zu
unterscheiden von einem solchen, das nur in der Vorstellung
besteht, und es mögen noch soviele Schopenhauerianer
kommen: er wird die beiden voneinander schon
unterscheiden können, — was Wahrheit ist und was
Vorstellung ist. An der Realität also kann sich der Mensch
orientieren. So kann er auch nur an der Realität sich
über die geistige Welt orientieren. Es hat einmal
jemand gesagt, daß der Mensch, wenn er nur daran
denke, Limonade zu trinken, auch den Limonadengeschmack auf der
Zunge empfinde. Ich habe ihm darauf erwidert: So stark kann die
Einbildung sein, daß jemand, der gar keine Limonade vor
sich hat, vielleicht bei der lebhaften Vorstellung einer
Limonade auch den Geschmack auf der Zunge empfindet, aber ich
möchte einmal sehen, ob sich schon einmal jemand mit
einer nur vorgestellten Limonade den Durst gelöscht hat.
Da beginnt dann das Kriterium realer zu werden. Und so ist es
auch mit einer inneren Entwickelung des Menschen,
daß der Mensch nicht nur ein neues Seelenleben, neue
Vorstellungen kennenlernt, sondern in seiner Seele mit einer
andern Welt zusammenstößt und weiß: Du stehst
jetzt vor einer Welt, die du ebenso schildern kannst, wie
du die äußere Welt schildern kannst. — Das ist
nicht ein bloßes Spekulieren, was sich nur mit einer
Gedankenentwickelung vergleichen ließe, sondern das ist
ein Heranbilden neuer Sinnesorgane und ein Erschließen
neuer Welten, die wahrhaftig ebenso real vor uns stehen wie
unsere äußere, physische Welt.
Was
heute angedeutet worden ist, ist der durch unsere
Zeitverhältnisse notwendige Hinweis darauf, daß eine
geistige Forschung möglich ist. Es ist nicht deshalb
gesagt, daß jeder gleich ein Geistesforscher werden
müsse. Denn es muß ja immer betont werden: Wenn ein
Mensch mit gesundem Wahrheitssinn und vorurteilsfreier Logik
die Mitteilungen der Geisteswissenschaft an sich herankommen
läßt, auch wenn er nicht selbst in die geistigen
Welten hineinschauen kann, so kann doch alles, was aus solchen
Mitteilungen kommt, zu Energie und Kraftgefühlen für
die Seele werden, auch wenn er zunächst an einen
Haeckelismus oder Darwinismus glaubt. Was der Geistesforscher
zu sagen hat, das ist geeignet, immer mehr und mehr zu dem
gesunden Wahrheitssinn der Menschen zu sprechen, um so mehr als
es zusammenhängt mit den tiefsten Interessen eines jeden
Menschen. Mag es Menschen geben, die es nicht für ihr
Seelenheil notwendig halten, zu wissen, wie Amphibien und
Säugetiere zueinander stehen oder dergleichen. Das aber
muß alle Menschen erwärmen, was aus der auf sicherer
Grundlage ruhenden Geistesforschung gesagt werden kann:
daß die Seele — insofern sie der geistigen Welt
angehört, heruntersteigend durch die Geburt ins
sinnliche Dasein und durch die Pforte des Todes wieder in das
geistige Reich eintretend — der Sphäre der
Ewigkeit angehört. Das muß für alle Menschen von
tiefstem Interesse sein, was sich ihnen immer mehr und mehr in
die Seele hineinsenkt an Kraft, die so ist, daß die
Seele daraus Sicherheit gewinnt, um an ihrem Platze im Leben zu
stehen. Eine Seele, die nicht Bescheid weiß über das,
was sie ist und will, was sie ihrer Wesenheit nach bedeutet,
kann trostlos werden, kann endlich verzweifeln und sich
öde und leer fühlen. Eine Seele aber, die sich mit
den geistigen Errungenschaften der Geisteswissenschaft
erfüllt, kann nicht leer und öde bleiben, wenn sie
die Mitteilungen der Geistesforschung nur nicht wie Dogmen
aufnehmen wird, sondern als lebendiges Leben, das unsere
Seele wärmend durchströmt. Das gibt Trost für
alles Leid im Leben, wenn wir hinaufgeführt werden von
allen zeitlichen Leiden zu dem, was der Seele an Trost werden
kann von dem Anteil des Zeitlichen an dem Ewigen. Kurz: die
Geisteswissenschaft kann dem Menschen das geben, was er heute
braucht wegen der gesteigerten Zeitverhältnisse in
den einsamsten und in den arbeitsreichsten Stunden seines
Lebens, — oder wenn ihn die Kraft verlassen wollte, was
er braucht, um in die Zukunft hineinzusehen und kraftvoll
dieser Zukunft entgegenzugehen.
So
kann die Geisteswissenschaft, wie sie von der
Geistesforschung, von denjenigen ausgeht, welche die
Schritte in die geistige Welt tun wollen, immerdar
bekräftigen, was wir in wenige Worte zusammenfassen
wollen, welche die Charakteristik des Weges in die geistige
Welt und seine Bedeutung für die Menschen der Gegenwart
darin empfindungsgemäß ausdrücken. Was wir
so zusammenfassen wollen, soll nicht eine Betrachtung über
Theorien des Lebens sein, sondern eine Betrachtung
über Heilmittel, über Kraftmittel, über
Stärkungsmittel des Lebens:
Die Geisterwelt — sie bleibet dir verschlossen,
Erkennst du in dir selber nicht
Den Geist, der in der Seele leuchtet
Und tragend Licht dir werden kann
In Welten tiefen, auf Weltenhöhen!
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