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Rudolf Steiner e.Lib
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Vom Wesen des wirkenden Wortes
Vom Wesen des wirkenden Wortes: Zu den Veröffentlichungen aus dem Vortragswerk Rudolf Steiners
Schmidt-Nummer: S-5348
Online seit: 28th February, 2016
Zu den Veröffentlichungen aus dem Vortragswerk
Rudolf Steiners
Die
Gesamtausgabe der Werke Rudolf Steiners (1861-1925) gliedert
sich in die drei großen Abteilungen: Schriften
Vorträge Künstlerisches Werk (siehe die
Übersicht am Schluß des Bandes).
Von
den in den Jahren 1900 bis 1924 sowohl öffentlich wie
für die Mitglieder der Theosophischen, später
Anthroposophischen Gesellschaft zahlreichen frei gehaltenen
Vorträgen und Kursen hatte Rudolf Steiner
ursprünglich nicht gewollt, daß sie schriftlich
festgehalten würden, da sie von ihm als
«mündliche, nicht zum Druck bestimmte
Mitteilungen» gedacht waren. Nachdem aber zunehmend
unvollständige und fehlerhafte Hörernachschriften
angefertigt und verbreitet wurden, sah er sich veranlaßt,
das Nachschreiben zu regeln. Mit dieser Aufgabe betraute er
Marie Steiner-von Sivers. Ihr oblag die Bestimmung der
Stenographierenden, die Verwaltung der Nachschriften und die
für die Herausgabe notwendige Durchsicht der Texte. Da
Rudolf Steiner aus Zeitmangel nur in ganz wenigen Fällen
die Nachschriften selbst korrigieren konnte, muß
gegenüber allen Vortragsveröffentlichungen sein
Vorbehalt berücksichtigt werden: «Es wird eben nur
hingenommen werden müssen, daß in den von mir nicht
nachgesehenen Vorlagen sich Fehlerhaftes findet.»
Über das Verhältnis der Mitgliedervorträge,
welche zunächst nur als interne Manuskriptdrucke
zugänglich waren, zu seinen öffentlichen Schriften
äußert sich Rudolf Steiner in seiner Selbstbiographie
«Mein Lebensgang» (35. Kapitel). Der entsprechende
Wortlaut ist am Schluß dieses Bandes wiedergegeben. Das
dort gesagt gilt gleichermaßen auch für die Kurs zu
einzelen Fachgebieten, welche sich an einen begrenzten, mit den
Grundlagen der Geisteswissenschaft vertrauten Teilnehmerkreis
richteten
Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde
gemäß ihren Richtlinien mit der Herausgabe einer
Rudolf Steiner Gesamtausgabe begonnen. Der vorliegende Band
bildet einen Bestandteil dieser Gesamtausgabe. Soweit
erforderlich, finden sich nähere Angaben zu den
Textunterlagen am Beginn der Hinweise.
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Vom Wesen des wirkenden Wortes: Inhalt
INHALT
Zu
dieser Ausgabe 9
erster vortrag,
Stuttgart, 11. Juli 1923 11
Über den Fortgang der Arbeit der Christengemeinschaft seit
ihrer Begründung. Symptome für unterschwellige
Wirkungen der Geistesströmungen der Gegenwart. Über
ahrimanische Kräfte, die der Mensch heute durch die
äußere Kultur aufnimmt und ihre
Unschädlichmachung. Beantwortung von Teilnehmerfragen. Das
richtige Darinnenstehen im Kultus. Der Kultus als Sprache der
übergeordneten Welten. Tägliches
Sich-Beschäftigen mit der Menschenweihehandlung. Das
Sich-Durchringen zum Priesterbewußtsein.
zweiter vortrag,
12. Juli 1923 25
Schwierigkeiten in der Auffassung des Verhältnisses der
Bewegung für religiöse Erneuerung zur
anthroposophischen Bewegung. Innere Wahrheit ist notwendig
gegenüber der inneren unbewußten Unwahrhaftigkeit in
der heutigen Zeit. Von der Notwendigkeit einer
Erkenntnisrichtung, die das Geistige wieder innerhalb des
Naturwissens geltend macht. Verhältnis der Menschen zum
Kultischen. Beantwortung von Teilnehmerfragen.
dritter vortrag,
13. Juli 1923 45
Impulse für ein Sichfühlen in der spirituellen Welt.
Das Walten des Sprachgenius. Unser Verhältnis zur Sprache.
Das Wort «Mensch». Dreistufige Meditation über
«das Wesen, das ich mit dem Wort 'Mensch' bezeichnen
will». Erleben der Wahrheit des Wortes. Priester und
Sprachgenius.
vierter vortrag,
14. Juli 1923 60
Das
Neue Testament als übersinnliche Offenbarung. Über
Übersetzungen der Evangelien. Beispiel für eine neue
Art der Übersetzung: Johannes 17, 1-9. Geistige
Entwickelungstatsachen der Menschheit: Nach dem Mysterium von
Golgatha ist die Art, wie das Gottesbewußtsein zu den
Menschen kommen sollte, eine andere als früher.
ORIGINALHANDSCHRIFTEN RUDOLF STEINERS
Verzeichnis der Originalhandschriften Rudolf Steiners . .
73
Faksimiles von Originalhandschriften Rudolf Steiners . . 74
*
Hinweise
Textunterlagen 159
Hinweise zum Text 159
Namenregister 161
Rudolf Steiner über die Vortragsnachschriften 163
Übersicht über die Rudolf Steiner Gesamtausgabe ...
165
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XXXX
Vom Wesen des wirkenden Wortes: Zu Dieser Ausgabe
ZU
DIESER AUSGABE
Der vorliegende Band in der Reihe «Vorträge und Kurse
über christlich-religiöses Wirken» ist in zwei
Teile gegliedert. Der erste Teil umfaßt vier
Vorträge, die Rudolf Steiner im Juli 1923 für die
Priester der zehn Monate vorher begründeten
«Christengemeinschaft» in Stuttgart gehalten hat.
Im
zweiten Teil sind Originalhandschriften Rudolf Steiners (leicht
verkleinert) wiedergegeben. Es handelt sich hierbei um
Ergänzungen dessen, was an Wortlauten für kultische
Handlungen schon während des zweiten und dritten
Vortragskurses übermittelt worden war. Die Originale der
Handschriften befinden sich im Archiv der Rudolf
Steiner-Nachlaßverwaltung.
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Vom Wesen des wirkenden Wortes: Erster Vortrag
ERSTER VORTRAG
Stuttgart, 11. Juli 1923
Die
herzlichen Worte, die soeben [von Herrn Dr. Rittelmeyer]
gesprochen worden sind, gehen hervor aus derjenigen
schönen Kraft, die ja zur Begründung dieser
religiösen Gemeinschaftsbildung geführt hat, und das
Wesentliche, was durch diese religiös wirkende
Gemeinschaft fließen soll, hängt ja von dem ganzen
Ernste und von der, ich möchte sagen Vertiefung dieses
Ernstes ab, wie er ursprünglich in den Absichten
derjenigen lag, die den Anstoß gegeben haben zu der
Begründung dieser religiösen Gemeinschaftsbewegung.
Es muß gesagt werden, daß auch im wesentlichen alles
das, was im Verlaufe dieses Jahres innerhalb dieser
religiösen Gemeinschaft selber geschehen ist, durchaus im
Sinne einer Fortsetzung dieses Ernstes geschehen ist, und
daß man wohl jetzt schon, bis zu einem gewissen Grade
wenigstens, sagen kann: die ursprünglichen Absichten haben
sich bewährt, durchaus bewährt.
Es
trat ja zum Beispiel auch dann diese Bewegung stark hervor,
wenn der äußere Eindruck des Rituals ich meine das im
edelsten Sinne des Wortes innerhalb unserer gesamten
Geistesbewegung wirkte. Es ging ein starker Strom von innerer,
wahrhaftig gemeinter und auch wahrhaftig wirkender Andacht aus
von der Art, wie wir vor kurzem eines der ältesten
Mitglieder unserer anthroposophischen Bewegung, Hermann Linde,
zur Einäscherung führen konnten. Die Eindrücke,
welche gerade bei dieser Gelegenheit von der Kultushandlung
ausgegangen sind, zeigten durchaus, daß das, was
beabsichtigt werden soll, wirklich auch auf einem guten Wege
der Verwirklichung ist; und das kann ja auf den verschiedensten
Gebieten bis jetzt gesagt werden.
Ich
habe sogar die Empfindung, daß es mit dem objektiven
Werdegang dieser religiösen Gemeinschaftsbestrebung
schneller gegangen ist als mit dem, was die innere
Befriedigung, die innere Harmonisierung in den Seelen der
einzelnen Träger dieses religiösen Gedankens ist. Die
Sache geht nun ihren guten Gang. Sie selbst werden sich auf der
einen Seite von diesem guten Gang von der Sache hingerissen
fühlen können, auf der anderen Seite werden Sie mit
manchen inneren seelischen Schwierigkeiten zu kämpfen
haben, und da wäre es von ganz besonderer Bedeutung, wenn
gerade bei dieser Zusammenkunft solche seelischen inneren
Schwierigkeiten zum Besprechen kommen könnten, wenn also
gerade heute diese erste Zusammenkunft dazu benutzt werden
könnte, daß Sie die Schwierigkeiten geltend machen,
die Sie selbst haben, so daß wir dann in den nächsten
Tagen versuchen können, in bezug auf diese inneren
Schwierigkeiten eine gewisse Harmonisierung
herbeizuführen.
Es
ist durchaus begreiflich, daß diese inneren
Schwierigkeiten da sind, denn Sie müssen ja, gerade weil
Sie Vertreter der wichtigsten spirituellen Bestrebung sind,
stets vor Augen haben, daß die Realitäten im
geistigen Leben stark wirken. Auch wenn man das nicht gewahr
wird, Realitäten sind da. Das, was an der Oberfläche
des Geschehens geschieht, wurzelt, gerade wenn es für das
Geistige geschieht, in tiefen Untergründen, die gut oder
böse sein können. Es darf nie aus den Augen verloren
werden, wenn man in der Gegenwart auf religiösem Gebiete
wirken will, daß die religiös orientierten Geistes-
oderUngeistesströmungen gerade in der Gegenwart eine
außerordentlch rege Tätigkeit entwickeln.
Gerade während wir uns hier besprechen, ist zum Beispiel
eine Versammlung im Gange von Vertretern der römischen
Kirche an einem bestimmten Ort in Europa, die wahrscheinlich
eine außerordentlich große Wirkung haben wird;
wenigstens ist eine außerordentlich große Wirkung von
ihr beabsichtigt. Es ist ja heute so, daß, viel mehr als
man da oder dort ahnt, die Herzen der Menschen sich
religiös verödet fühlen. Die Herzen der Menschen
fühlen sich namentlich deshalb religiös verödet,
weil allzuwenig zu ihnen in der Sprache gesprochen wird, die
unmittelbar wirklich aus dem Geiste heraus kommt. Und für
ganz breite Schichten der Menschheit ist es einfach
unmöglich, daß man sie über diese Verödung
der Herzen hinausbringt, wenn man sie nicht tatsächlich
mit einer Sprache erfaßt, die nicht irdisch ist, das
heißt mit der Sprache, die in der Kultushandlung gegeben
ist, die eine übersinnliche Sprache ist. Sie müssen
nicht aus den Augen verlieren, wie ungeheuer wirksam gerade
heute das ist, was von der römischkatholischen Kirche in
der Messe gegeben wird, was sie in einem heute ja veralteten,
doch gerade auf die Seele stark wirkenden Kultus hat, und noch
mehr durch die Art, wie da gesprochen werden kann.
Man
muß sich immer klar darüber sein, wieviele
Kräfte in der Menschheit so liegen, daß sie gerade
nach dieser Seite hin in die Irre geführt werden
können. Bedenken Sie, wenn Sie heute fragen, welches das
so ziemlich verbreitetste Gedichtwerk in Mitteleuropa ist, so
müssen Sie ein Werk nennen, das in den Kreisen, die man
heute gewöhnlich meint, wenn man vom Fortgang in der
Geschichte spricht, oft gar nicht bekannt ist, nicht einmal dem
Namen nach, «Dreizehnlinden» von Weber, das rasch
viele Auflagen erlebt hat. Warum ist das so? Aus dem Grunde,
weil das Werk von römisch-katholischem Geiste durchweht
ist. ... [Lücke im Text des Stenographen.]
Diese Tatsachen sind die äußeren Symptome für
eine starke geistige Strömung, die speziell
römisch-katholische, die eben nach außen wirkt. Das
ist sehr stark im Anzug. Nun vergessen Sie nicht, diese
Kräfte gehen durch die menschliche Seele hindurch, gehen
auch durch Ihre Seelen hindurch, und manches von dem, was Sie
vielleicht nur einem subjektiven Bedürfnisse zuschreiben,
rührt objektiv von den Geistesströmungen in der
Gegenwart her. Und da wäre es von großer Bedeutung,
wenn heute von Ihnen diese subjektiven Bedürfnisse
formuliert würden, so daß wir sie in den
nächsten Tagen in unsere Besprechung einfließen
lassen können. Sie dürfen nicht vergessen, in einer
solchen Bewegung, wie es die Ihrige ist, muß es sich darum
handeln, daß Sie mit dem real-konkreten Geiste der
Gegenwart wirken. Was wissen die Leute heute von dem realen
Geiste der Gegenwart? Eine der wichtigsten Tatsachen für
das innere Wirken des Geistigen in der Gegenwart kommt dadurch
zustande, daß man in Amerika anfängt etwas
einzusehen, was in der Anthroposophie schon angedeutet worden
ist, was aber natürlich nicht gehört wird. Nun
fängt man an, mit äußerlichen Mitteln einige
Einsicht zu gewinnen.
Vergleichen Sie die Welt von heute mit der von vor hundert
Jahren. Sie werden sagen, wenn man die Welt von heute mit der
von vor hundert Jahren vergleicht, so ist im Ganzen ein
Unterschied zwischen heute und der Zeit vor hundert Jahren da;
aber einer der gewaltigsten Unterschiede, der nicht
aufgezählt wird, das ist der, daß wir heute unsere
Atmosphäre durchzogen haben von lauter
Telegraphendrähten, Telephondrähten und so weiter.
Nun, in Europa scheint das Durchwachsensein mit Drähten
noch ein Kinderspiel zu sein gegenüber Amerika. Deshalb
ist dort eine Spur von Einsicht vorhanden, was das für den
Menschen bedeutet. Man ahnt dort endlich, daß der Mensch
nicht unbeeinflußt bleibt von dem, was in den
Telegraphendrähten lebendig durch die Luft schwirrt,
daß der Mensch ein richtiger Induktionsapparat wird.
Bedenken Sie, daß ein entgegengesetzter Strom in Ihren
Nerven und wiederum ein gleichgerichteter Strom in Ihrem
Blutsystem wirkt. Das alles trägt die Menschheit heute in
sich, aber davon spricht man kaum. Das sind im eminentesten
Sinne ahrimanische Kräfte, die der Mensch heute durch die
äußere Kultur aufnimmt, die er auch gar nicht
ablehnen kann. Man macht sich ja Gedanken über das
Mögliche und Unmöglichste, aber gerade über die
stärksten Realitäten macht sich die heutige
Menschheit am wenigsten Gedanken. Man sollte zum Beispiel auch
einmal darüber sprechen, inwiefern der Unterschied
zwischen Goethe und den heutigen Menschen darin besteht,
daß Goethe noch nicht von Telegraphendrähten
umwickelt war. Sehen Sie, was heute die Verödung der
Menschenseele ist, das ist wesentlich mit alldem
zusammenhängend.
Wenn Sie sich nun umsehen, wie die höchsten geistigen
religiösen Bedürfnisse der Menschen befriedigt
werden, so müssen Sie sich die Frage stellen: Sind in
diese Befriedigungen schon die Impulse aufgenommen, die damit
rechnen, daß der Mensch durch sein Seelisch-Geistiges
diese Dinge in sich unschädlich machen kann? Das sind sie
nicht! Die Befriedigungen der religiösen Bedürfnisse
gehen in Zeiten zurück, in denen es dies alles noch nicht
gab, was ich Ihnen eben geschildert habe. Heute gibt es eine
Befriedigung der religiösen Bedürfnisse, die nur
für diejenigen Menschen gelten konnte, die nicht in einer
solchen Kultur lebten, wie wir sie heute haben. Die
Anthroposophie will hier so eingreifen, daß ein neuer
Impuls entstehen kann, der in der Lage ist, die Menschen
unabhängig zu machen von dem, wovon sie
äußerlich nicht unabhängig werden können.
Das muß hingenommen werden, was äußerlich da
ist. Aber es muß auf der anderen Seite der Gegenpol dazu
[geschaffen werden]. Das bedeutet, daß Sie ein starkes
Bewußtsein aufnehmen müssen von der Bedeutung Ihrer
Bewegung und mehr und mehr von rein geistigen Impulsen aus
diese Bewegung machen müssen. An die wichtigsten Dinge
muß gerade dabei gedacht werden, wenn es sich darum
handelt, die Frage zu beantworten: Was sollen wir tun? Die
richtige Anwendung des Kultus und der Predigt ergeben schon den
nötigen starken Impuls, wenn diese religiöse Bewegung
auf Anthroposophie aufgebaut ist. Aber ein Bewußtsein
davon muß in jedem einzelnen von Ihnen vorhanden sein,
daß man heute in der Art in der Welt steht, daß man
drinnensteht in diesen Einflüssen. Jeder von Ihnen sollte
möglichst viel dazu beitragen, den Starkmut des
Bewußtseins nach dieser Richtung hin zu erhöhen, zu
kräftigen.
Wir
dürfen nicht vergessen, daß nach und nach in der
Menschheit alles abstrakt und intellektuell geworden ist, und
daß der Intellektualismus heute vollkommen in der
Abendröte steht. Wir dürfen heute die Dinge nicht
mehr nur verstehen wollen, sondern wir müssen unsere
Herzen öffnen für die Realitäten aus der
geistigen Welt. Das bloße Verstehen, wie dies oder jenes
aufzufassen ist, ist sehr schön, es ist aber nicht
dasjenige, was heute eine Bewegung tragen kann. Sehen Sie,
eines muß besonders eingesehen werden: daß diejenigen
Bewegungen, die heute regsam sind und mit starkem Willen
ausgestattet sich dahin rüsten, mit Altem die Menschheit
zu übersäen, ungeheuer stark sind und tief wurzeln
namentlich im mitteleuropäischen und westlichen Volkstum;
die römisch-katholische Kirche ist nur eine Phase davon.
Gerade die Intellektuellen, weil sie heute bei der
Verödung der Herzen angekommen sind, laufen heute in
Scharen wieder zu den bestehenden Kirchen hin, namentlich zur
katholischen.
Sie
sind nur erst eine kleine Bewegung und gering an der Zahl. Aber
wenn Sie das Bewußtsein davon in sich tragen, daß Sie
in der Wahrheit wirken, dann werden Sie sich eben sagen: Bei
geistigen Bewegungen kommt es nicht auf die äußere
Größe noch auf die Zahl an, sondern auf die innere
Kraft. Diese wird wirken, wenn sie von starkem Bewußtsein
dessen, was sie ist, getragen wird. Das ist es aber, was Sie
haben müssen: Starkes Bewußtsein der Wahrheit, sich
nicht entmutigen lassen, weil die Wahrheit heute am meisten
gehaßt wird. Wenn Sie irgendeinen sektiererischen Irrtum
verbreiten wollten, so würden Sie es leicht haben, man
würde dann keine Ängstlichkeit Ihnen gegenüber
haben. Aber gerade wenn Sie die Wahrheit verbreiten wollen,
dann spüren die Menschen das, und da werden Sie die
stärksten Widerstände finden.
Es
handelt sich darum, daß man heute die zwei großen
Gegensätze durchschaut. Ich möchte nicht bei jeder
Gelegenheit den Jesuitismus erwähnen, auch nicht in dem
gewöhnlichen Sinne, ich erwähne ihn hier nur als
Repräsentant dessen, was die alte Geistigkeit über
die Gegenwart verbreiten will, gegenüber dem, was moderne
Kultur in die Gegenwart hereingebracht hat. Diese Strömung
verspricht sich die Ausrottung der modernen Kultur. Sie
dürfen nicht glauben, daß der Wille bei dieser
Bewegung klein ist. Sie zweifelt nicht, daß es ihr
gelingen wird, eine Menschheit ohne die modernen Kulturmittel
zu haben, und das trägt diese Bewegung. Sie sieht in den
modernen Kulturmitteln den Teufel und will ihn mit den Mitteln
der alten Kultur überwinden. Doch Ahriman kann nicht
ausgerottet werden, aber er kann geläutert, gereinigt,
geedelt werden. Es muß mit der modernen Kultur gerechnet
werden. Das wissen auch die Gegner; deshalb haben sie eine ganz
ausgesprochene Angst gerade vor Ihrer Bewegung, weil sie die
Wahrheit ist. Von dem Irrtum würde man sagen: der wird
schon wieder aufhören -, aber gegenüber der Wahrheit
greift der Gegner zu großen und kleinen Mitteln.
Nun
sagten Sie, von Dornach ist manches ausgegangen, was mit Ihrer
Bewegung zusammenhängt. Aber, in durchaus nicht irgendwie
auch nur im geringsten schlimm gemeinten Sinne möchte ich
es sagen: Auch das Schicksal des Goetheanums ist nicht ohne
Zusammenhang damit, daß Ihre Bewegung von ihm ausging. An
der Stelle, wo Ihre Handlung angeregt wurde, ist der
zündende Funke gelegt worden. Man muß nicht glauben,
daß [von den Gegnern] mit geringen Mitteln gearbeitet
wird. Trotzdem müssen wir uns klar darüber sein,
daß ein [Ihre Bewegung] fördernder Impuls eigentlich
nicht im Äußeren liegen kann, und auch ein ihn
tötendes Element kann nicht im Äußeren liegen.
Einzig und allein darauf muß es ankommen, daß die
Bewegung ihre Impulse im Innern der Seelen haben muß. Dann
können die äußeren Dinge vielleicht einmal
tragisch verlaufen, aber sie werden dann kein Hindernis
dafür sein, daß die Impulse, die vertieft erst
gefaßt worden sind, sich wirklich ausleben werden, wie sie
es tun müssen. Es war ein guter Impuls, der den
Anstoß gegeben hat zu dieser religiösen Bewegung; er
wird sich ausleben und Frucht tragen, wenn er in dem gleichen
guten Sinne weitergetragen wird. Und so werde ich an die
einzelnen Impulse anknüpfen, wenn von Ihrer Mitte
ausgehend vorgebracht wird, was Sie gern besprochen haben
möchten.
Von den Teilnehmern werden folgende Fragen
vorgebracht:
-
Wie verhält sich unser Kultus
zu dem Kultischen, was in der Zukunft kommen wird? Wie
wirken wir in der rechten Weise mit der anthroposophischen
Bewegung zusammen? Wie können wir das Rechte tun zur
moralischen Unterstützung der Gesamtbewegung?
-
Ich bitte um Aufklärung
über die Weltvorgänge, in denen besonders das
Ruhrgebiet steht.
-
Es gelingt mir nicht, ein objektives
Gleichmaß in die Kulthandlung zu bringen. Es ist
verschieden, wie ich sie ausübe. Ich habe manchmal
starke Zweifel, ob ich eine Kulthandlung vollzogen habe.
Man kann die Menschenweihehandlung lesen so, daß man
eigentlich körperlich mit dem Nervensystem beteiligt
ist, aber es ist dann nichts Aufbauendes.
Rudolf Steiner: Es wäre schon notwendig, daß
gerade zu dieser letzten wichtigen Frage Sie oder jemand
anderes sich genauer aussprechen würde. Sie haben zum
Beispiel den Satz ausgesprochen, es sei Ihnen nicht immer klar,
ob Sie eine Kulthandlung wirklich vollzogen haben. Das ist eine
berechtigte Frage. Aber man muß auf diese Dinge schon
genauer eingehen. Es wird nicht gut sein, wenn Sie das
Nervensystem in diese Sache hineinbringen. Denn natürlich
muß die Kulthandlung auf einem solchen Niveau liegen,
daß alles, was von ihr ausgeht, nicht auf dem Niveau des
Nervensystems ist, von dem sich ja schon viel zu viel geltend
macht. Das Nervensystem muß natürlich stärker
beeinflußt werden, aber nicht in solcher Weise. ... [Vom
Stenographen gekennzeichnete Lücke.] Sie müssen in
Ihrem subjektiven Erleben dem objektiven Erleben nachkommen,
das durch den Kultus fließt.
Es
darf keine Unklarheit darüber herrschen, daß von
einem Verhältnis des Kultus zu etwas anderem nicht
gesprochen werden sollte. Der Kultus, der sich ergibt, wenn man
die geistige Welt fragt, ist der Kultus, der bei Ihnen lebt. Es
ist nicht so, daß das irgendeine äußerliche
besondere Form ist, sondern es ist der Kultus, der schon
seine Zukunft finden wird, aber durch das Leben. Das richtige
Darinnenstehen im Kultus hängt innig mit dem
Priesterbewußtsein zusammen. Das Priesterbewußtsein
kann nur dadurch entstehen, daß innerlich
äußerste Ehrlichkeit vorhanden ist. Deshalb wäre
es gut, wenn das, was subjektiv in den Seelen lebt, was die
einzelnen Persönlichkeiten erleben, indem sie den Kultus
ausüben, bei dieser Gelegenheit herauskäme. Dann
erst, wenn Sie Ihre subjektiven Bedürfnisse zum Ausdruck
bringen, werden wir fruchtreich sprechen können. ... [Vom
Stenographen gekennzeichnete Lücke.]
Worauf es ankommt, ist, daß der Kultus die Sprache der
übergeordneten Welten sein soll. Die Menschensprache ist
von vorneherein eine irdische Sprache, weil sie zu ihrem
Ausdrucksmittel die geformte Luft hat. Es ist natürlich
töricht, vorauszusetzen, daß abgeschiedene Geister in
irgendeiner Menschensprache reden könnten. Die Medien in
Deutschland lassen die Geister deutsch reden, in England
englisch, in Frankreich französisch, als ob die Menschen
nach dem Tode Deutsche, Engländer oder Franzosen
wären. Der Geist redet nicht mehr in Menschensprache und
kann auch nicht die Luft erfüllen. Was die Sprache
durchströmen kann als Geist, liegt ganz in der Art,
wie gesprochen wird. In dem Augenblick, wo man das
Gefühl hat, man spricht mit Ehrerbietung, kann man durch
die Sprache etwas Geistiges mitteilen. Was aber heißt das:
Ehrerbietung? Ehrerbietung ist etwas, was unsere Philosophen
ganz verlernt haben. Sie reden, als ob sie die Dinge, die sie
besprechen, greifen und berühren würden. Wer
über geistige Dinge sprechen will, muß sich
bewußt sein, daß das Denken wie ein ätherisches
Tasten ist und daß man die Gedanken ehrerbietig formen
muß, so wie man ja auch in der physischen Welt das, was
mit Ehrfurcht berührt werden soll, nur an der
Oberfläche berühren würde. Dieses innere
Gefühl der Ehrerbietung beim Reden ist natürlich der
Anfang. Dadurch bekommt das Reden nicht nur Inhalt, sondern
Physiognomie, es wird bewußt; dann erfüllt man sich
nach und nach mit dem Sprachgenius. Dadurch fängt man an,
das Reden selber als ein lebendiges Geistiges zu haben. Das
muß beim Kult im höchsten Maße vorhanden sein.
Dann steht man richtig drinnen in der Handlung, so daß man
weiß: Du sprichst nicht dein Subjektives aus, sondern du
bist ein Werkzeug der geistigen Welt.
Darauf beruht das starke Verständnis, das dem Kultus
entgegengebracht werden kann. Dazu trägt das Wie
des Sprechens sehr wesentlich bei. Das Wie aber kommt mit dem
Bewußtsein, daß man Werkzeug ist für die
geistige Welt. Jede einzelne Kulthandlung ist die Fortsetzung
desjenigen, was aus dem Worte fließt. In der
Kulthandlung setzt sich das fort, indem das Wort Gebärde
wird. Dann ringt sich das Bewußtsein durch: Du selbst
magst denken wie du willst über die Sache, [darauf kommt
es nicht an,] aber es kommt darauf an, daß du sagst, was
die Götter wollen. Dann kommt man durch das
Bewußtsein dazu, den Impuls der Weihehandlung in alles
einzelne hineinwirken zu lassen, was man den ganzen Tag
hindurch tut.
Welches ist dieser Impuls? Der Impuls, der von der
Menschenweihehandlung ausgeht, liegt im wesentlichen darin,
daß auf der einen Seite da ist die Opferung. In der
Opferung bringen wir das Irdische dar der geistigen Welt; wir
legen es nieder an den Stufen der geistigen Welt. Bei der
Kommunion empfangen wir es wieder, aber jetzt aus der geistigen
Welt heraus. Aus dem Irdischen haben wir es hingegeben. Was ist
dazwischen vorgegangen? Die Transsubstantiation; es ist
vorgegangen eine Wechselwirkung mit der geistigen Welt. Das
gibt ein Bewußtsein, das eigentlich jedesmal in der
Menschenweihehandlung empfinden läßt das
Darinnenstehen in der geistigen Welt. Erhöht wird das
dadurch, daß das Evangelium vorausgeht. Wenn das
Evangeliumlesen die entsprechende Vorbereitung ist, und wenn
dann empfunden wird dieses Durchstoßen zur geistigen Welt
zwischen Opferung und Kommunion, dann trägt man die
richtige Empfindung weg von der Menschenweihehandlung.
Da
liegt natürlich der Anlaß dazu, sich wenigstens
implicite jeden Tag mit der Weihehandlung zu befassen. Dem
katholischen Priester ist vorgeschrieben, jeden Tag die Messe
zu lesen; dadurch empfängt er eine starke Kraft. Dies
muß nicht unbedingt immer ausgeführt werden, aber
sich jeden Tag mit der Messe implicite beschäftigen, das
ist notwendig. Durch dieses Gefühl kommt man in
Zusammenhang mit der geistigen Welt. Das ist von ungeheurer
Wichtigkeit.
Es
fällt ja noch etwas anderes jeweils zwischen zwei Tage
hinein für den Priester: er schläft zwischen zwei
Tagen. Nun, was bedeutet das Schlafen? Die heutige Wissenschaft
hat ja die Eigentümlichkeit, die wichtigsten Dinge des
Lebens [so zu sehen, daß sie] äußerlich stimmen,
aber innerlich nicht. Was sie über den Schlaf sagt, ist
Illusion. Im Schlafe ist das Geistig-Seelische des Menschen,
sind das Ich und der Astralleib vom physischen und
Ätherleib getrennt. Zwischen Einschlafen und Aufwachen
arbeiten physischer und Ätherleib auf der Stufe des
Pflanzlichen. Was von dem Menschen über dem Pflanzlichen
ist, ist im Schlafe ja heraus; also der Mensch sinkt als
physische Wesenheit auf die Pflanzenstufe herab. Das bedeutet,
daß sich da Prozesse abspielen, die von niedererer Art
sind als die normalen Prozesse im vollbewußten
menschlichen Leben. Da «kocht» es, da wirken
Wärme und Kälte, da wirken untergeordnete
Naturkräfte, die beim Wachen nicht in der gleichen Weise
wirken. Wir haben nur dann das richtige Gefühl beim
Aufwachen das muß natürlich ins Geistige
hinaufgenommen werden, sonst kann es gefährlich werden
—, wenn wir uns sagen: Unser Ich und unser Astralleib
waren in der göttlichen Welt, unseren Körper haben
wir den niederen Welten überlassen gehabt; wir nehmen den
Körper von den Welten zurück, die unterhalb der
eigentlichen Menschenwelt liegen. Das dürfen wir nie
vergessen; von einem ahrimanischen Niveau nehmen wir unseren
Körper zurück, er ist voll von ahrimanischen
Bildungen, die wir im Wachen wieder ausrotten müssen. Die
ersten Stunden des Wachens müssen so verlaufen, daß
wir imstande sind, das auszurotten, was sich namentlich an
Salzen über Nacht in unserem Körper abgelagert hat.
Wenn wir das nicht tun können, so werden wir im Physischen
voller Rheumatismus, Gicht und so weiter, auf seelischem
Gebiete voller Lüsternheitsgedanken. Das kommt von dem,
was der Mensch auf diesem Niveau während des Schlafes
durchgemacht hat.
Weil der Mensch jeden Tag [während des Schlafes]
herunterrückt unter das menschliche Niveau, muß der
Priester über dieses Niveau zu einem höheren Niveau
hinaufrücken. Das geschieht, wenn der Priester die
Kulthandlung ausübt. Man braucht nicht, wie in der
katholischen Kirche, täglich die Messe auszuüben,
aber man muß leben in der Menschenweihehandlung. Das wirkt
ebenso stark wie die täglich gelesene Messe. Dann wird es
objektiv stark. Das sind die Dinge, die wir in der
Realität betrachten müssen. Es ist eine wesentliche
Sache, daß die Menschen jede Nacht schlafen. Die
Menschenweihehandlung ist so wichtig wie das Schlafen. Wenn Sie
sich jeden Tag mit der Weihehandlung beschäftigen, so
heben Sie sich dadurch heraus aus dem unteren Niveau des
Schlaflebens. Der evangelische Sinn weiß von diesen Dingen
nichts; er will nicht den Priester herausheben, läßt
ihn drinnenstehen im nächtlichen Schlafleben. Aber dieses
Heraufheben des Menschen aus dem nächtlichen Schlafleben,
dieses bewußte Entgegenarbeiten dem Heruntergehen des
Menschen in das untermenschliche Bewußtsein, das macht
gerade den Priesterberuf aus.
Wo
ist das Niveau, in dem wir sind als Menschen? Das menschliche
Niveau liegt zwischen dem Pflanzlichen und Tierischen, wie auch
zwischen Luft und Wasser. Im Schlafe sinken wir ins Pflanzliche
hinunter, am Tage steigen wir ins Tierische herauf. Der Mensch
ist zunächst mineralisch, pflanzlich, tierisch, aber noch
nicht eigentlich Mensch. Das Menschliche wird erst in der
Zukunft ausgebildet. Wenn wir die Messe durchmeditieren, gehen
wir nicht ins Tierische, sondern wir gehen ins Göttliche
hinauf, das sonst nur unbewußt in uns wirken kann.
Würden wir nur das in uns herumtragen, was heutiges
Tagesbewußtsein ist ja, sehen Sie, dann würden wir
nicht so ausschauen, wie wir jetzt ausschauen: wir würden
unsere Leiber nur bis zum Diaphragma, bis zum Zwerchfell
ausgebildet haben, die Männer würden Stierköpfe
haben, und Sie die Frauen würden einen Löwenkopf
haben. Durch das, was wir in unserem heutigen
Tagesbewußtsein haben, sind wir noch nicht imstande, einen
physischen Menschenkopf zu haben den bildet uns die Gottheit.
Daher wird ja auch beim Embryo der Kopf in hohem Grade
ausgebildet. Während des gewöhnlichen Wachens
können wir nicht ganz unsere Menschenform umfassen, aber
Sie lernen die Menschenform, wie sie eine göttliche ist,
wirklich erfühlen auf der Erde. Sie bekommen erst das
Recht, sich mit menschlicher Physiognomie hineingestellt zu
fühlen in die Welten, wenn Sie in der Messe sich
herauserheben aus der Tierheit. Dann entstieren, dann
entlöwen Sie sich. Das gibt eine menschlich-göttliche
Physiognomie.
Das
macht die katholische Kirche so stark, daß sie sich an das
heranmacht, wo das Göttliche im Menschen spricht. Wenn man
anfängt, der praktisch Ausübende des Kultus zu
werden, dann muß man die Sache unendlich viel ernster
fassen können als im gewöhnlichen Sinne; bis zum
äußersten Ernst muß man sie fassen und sich
sagen: Wir tragen gar nicht den Menschenkopf, wenn wir als
gewöhnliche Menschen herumgehen, denn da [in den
Menschenkopf] wirken die Götter hinein.
Daher ist «Menschenweihehandlung» kein schlechter
Ausdruck, sondern ein guter, ein sehr guter. So wie Ihr Haupt
hineingestellt ist in die Welt, ist es nicht durch Sie
geworden, sondern von Gott geschaffen. Weihen heißt, das,
was fest ist, flüssig machen, das, was der Mensch hat,
eintauchen in das Geistige. So daß wir sagen können:
Ich erwerbe mir das Recht, im Göttlichen zu leben, durch
die Menschenweihehandlung und die Meditation und lasse die
Mitglieder der Gemeinde zunächst nur teilnehmen an
Menschenweihehandlung und Meditation. Das widerspricht nicht
dem Sozialen und auch nicht dem evangelischen Bewußtsein,
sondern es ist erst ein rechtes Hineinstellen in die
Wirklichkeit. Erst dadurch widerspricht man diesen, daß
man sich abwendet von den Dingen der gewöhnlichen Welt;
aber dadurch, daß man sich ihnen bewußt
gegenüberstellt, überwindet man sie. Das ist immer
mehr anzustreben, daß man sich hindurchringt, die Dinge zu
verstehen, denn der Ansatz zum Priesterbewußtsein kann
nicht von heute auf morgen gegeben werden, dazu muß man
sich erst durchringen.
Es
wird nach einer Sprachübung gefragt.
Rudolf Steiner: Die katholische Kirche sieht auf die
Sprache sehr, sie läßt Übungen machen. Der
Jesuit muß sogar rezitieren und skandieren lernen, er
muß lernen, wie man einen Vordersatz und einen Nachsatz
gestalten muß, wie man im ersten Satz vorbereiten
muß, wenn man im zweiten überzeugen will, und das
endet dabei, daß man das, was man im gewöhnlichen
Sinne Eloquenz nennt, nicht vernachlässigen darf. Das geht
darauf hinaus, daß die Sprache etwas Objektives wird. Die
Sprache bei den meisten Menschen ist nur ein Ausleben der rein
physischen Organe, des Kehlkopfes und der Schleimhäute.
Die Sprache, die den Kultus ausüben soll, muß frei
sein von diesem Individuellen, sie muß hinaufkommen bis zu
der Macht, die Luft vibrieren zu lassen, ohne daß der
Schleim sich da hineinmischt. Das ist etwas, was man in der
heutigen Zeit nicht so ohne weiteres kann, sondern das man
üben muß. Die Berliner Universität hatte einmal
einen Professor für Eloquenz, Curtius war es; aber so
wenig lag das im Zeitbewußtsein, daß er nie diesen
Lehrauftrag erfüllte, sondern griechische Kunstgeschichte
vorgetragen hat.
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XXXX
Vom Wesen des wirkenden Wortes: Zweiter Vortrag
ZWEITER VORTRAG
Stuttgart, 12. Juli 1923
Meine lieben Freunde! Vielleicht wird sich gerade manche Frage
vertiefen, wenn wir zuerst jetzt anknüpfen an einiges von
dem, was gestern vorgebracht worden ist. Es war ja
zunächst von Dr. Rittelmeyer schon darauf aufmerksam
gemacht worden, daß doch noch gewisse Schwierigkeiten
bestehen in der Auffassung des Verhältnisses dieser
christlich-religiösen Bewegung zur Anthroposophie. Diese
Schwierigkeiten sind ja solche, die man eigentlich nicht
gerade, ich möchte sagen, durch eine Definition versuchen
soll zu bewältigen, sondern die sich eigentlich nur
bewältigen lassen durch die Praxis, und dann auch durch
ein gewisses Studium der Seelenverhältnisse der
gegenwärtigen Menschheit. Die Seelenverhältnisse der
gegenwärtigen Menschheit haben sich ja wirklich erst
herausgebildet im Verlaufe der letzten drei bis vier
Jahrhunderte, und es wird noch viel zu wenig Rücksicht
darauf genommen, wie schwierig diese Seelenverhältnisse
eigentlich sind. Und so müssen Sie sich schon klar
darüber sein, daß heute mit aller Energie und aus dem
besten Willen heraus eine religiöse Bewegung begonnen
werden könnte, auch kraftvoll wirken könnte, und
dennoch gegenüber anderen Zeitströmungen nach und
nach die Herzen der Menschen verlieren würde, wenn nicht
zu gleicher Zeit die Bedürfnisse der Menschheit befriedigt
würden, die für ältere, aber
verhältnismäßig gar nicht so alte religiöse
Strömungen gar nicht vorhanden waren.
Man
darf sich ja nicht der Illusion hingeben, daß es in der
Wirklichkeit jemals möglich sein werde, eine
religiöse Bewegung abgesondert von dem ganzen übrigen
Kulturleben zu führen, namentlich nicht abgesondert von
dem, was sich wissenschaftliches Kulturleben nennt. Sie
müssen sich klar darüber sein, daß heute eine
mit höchster Autorität ausgerüstete atheistische
Wissenschaft da ist. Nun werden Sie vielleicht sagen
können: Ja, diese atheistische Wissenschaft ist als
Wissenschaft da, aber neben dem, daß der eine oder andere
Mensch die zeitgenössische Wissenschaft treibt, kann er ja
doch noch erfüllt sein von einer zwar nicht
zeitgemäßen, aber doch noch vorhandenen inneren
Frömmigkeit; so daß es heute Leute geben könnte,
die sich ganz hineinfügen in den gegenwärtigen
atheistischen Wissenschaftsbetrieb und die sagen: das ist eben
ein anderes Feld, aber wenn ich nicht auf diesem Felde
tätig bin, finde ich mich hinein in ein religiöses
Leben.
Sehen Sie, diese seit Jahrhunderten angestrebte, auch innere
Trennung des Wissenschaftlichen und des Religiösen, diese
Trennung kann eben eine noch so starke rein religiöse
Bewegung gar nicht irgendwie bewältigen. Denn eine
religiöse Bewegung muß, ebenso wie eine
wissenschaftliche Bewegung, vor allen Dingen innerlich wahr
sein. Nun könnte es vielleicht sogar trivial erscheinen,
wenn wir jetzt, nachdem wir so vieles miteinander besprochen
haben, was der religiösen Bewegung Inhalt gibt, wieder
zurückkommen auf das Elementare: die Bewegung muß
wahr sein. Aber wir dürfen nicht unterschätzen, wie
stark heutzutage die Unwahrheit, die innere, die unbewußte
Unwahrheit zivilisatorischer Impulse geworden ist. Und
dasjenige, was die ersten Initiatoren dieser religiösen
Bewegung damals gefühlt haben, als sie die Anregung
gegeben haben zu dieser religiösen Bewegung, das war im
wesentlichen diese innere unbewußte Unwahrhaftigkeit der
heutigen Zeit. Und gerade in diesem Augenblick erscheint es mir
dringend notwendig, daß wir uns mit dieser inneren
Unwahrhaftigkeit beschäftigen.
Sehen Sie, aus einer kulturhistorischen Unbequemlichkeit heraus
hat sich allmählich die Ansicht gebildet, man müsse
Wissenschaft Wissenschaft sein lassen, darum habe der Theologe
sich nicht zu bekümmern. Der Theologe habe sich sein
eigenes Wahrheitsprinzip herauszubilden, nach dem er das
Ethische und den religiösen Inhalt getrennt von aller
Wissenschaftlichkeit behandelt und gewissermaßen von dem
Ewigen, dem Religiösen her auf die Menschheit losgehe,
während er sich nicht darum kümmert, was die
Wissenschaft treibt. Nun ist gerade dieses
Sichverselbständigen des religiösen Lebens
gegenüber dem übrigen Kulturleben durchsetzt von
tiefer innerer Unwahrhaftigkeit. Denn derjenige, der
Wissenschaft treibt, so wie sie heute getrieben wird, darf,
wenn er ehrlich und wahr ist, eben nur Atheist sein, weil die
Art und Weise des Denkens über die Welt, wie sie heute von
Physik, Chemie und so weiter getrieben wird, gar keine
Möglichkeit gibt, aufzusteigen zu irgendwelchen ethischen
Idealen. Es gibt nur eine Wahrheit für eine solche
Wissenschaft wie die heutige, nämlich diese: Die Welt ist
innerlich überall kausal bedingt. Die Weltkausalität
ist aber neutral gegenüber den ethischen und
religiösen Idealen, ganz neutral. Da müssen
wir die Wahrheit suchen, und da gibt es doch nichts anderes,
als stehen zu bleiben bei dem Ausspruch des Astronomen: Ich
habe das ganze Weltall durchforscht und nirgends einen Gott
gefunden; ich brauche daher diese Hypothese nicht. Etwas
anderes gibt es für die Wissenschaft nicht, wenn man
ehrlich ist.
Davon hängt es ab, daß aufgrund einer solchen
wissenschaftlichen Denkweise die Frage «Lassen wir dann
die Moral, das Ethische zunächst ganz fallen?» so
beantwortet wird: «Täten wir das, so würden die
Menschen in das Chaos hineintreiben; daher ist es notwendig,
die Menschen von außen zu zähmen durch Staatsgesetze
oder dergleichen». Wir hätten dann eben gezähmte
Menschen, wobei das Prinzip des Zähmens für die
Menschen nichts anderes wäre als eine Art höhere
Zähmung, wie man es bei den Tieren anwendet. Die Religion
hätte [für eine solche Denkweise] nur dann eine
Berechtigung, wenn man sie betrachtete lediglich als ein
Mittel, das bewirkt, die Menschen zu einem gezähmteren
gegenseitigen Verhalten zu bringen. Religion wäre nur ein
Mittel zum Zweck; das allein läßt die
naturwissenschaftliche Denkungsweise der Gegenwart zu. Und ein
gut Teil von dem, was die Menschheit so heruntergebracht hat,
liegt eben darin, daß man nicht einen redlichen Abscheu
vor einer solchen Denkungsweise hat, die nur die Hälfte,
nämlich die naturwissenschaftliche Denkweise hinnimmt, im
übrigen aber eine Theorie erfindet, wie man die Menschheit
zähmt. Wenn man nur auf diese Weise von religiösen
und ethischen Impulsen spricht, dann muß man sich eben
auch klar sein, daß man dann nur von Zähmungsregeln
sprechen kann. Man fährt durchaus in der tiefen
Unwahrhaftigkeit fort, wenn man sich diese Dinge nicht gesteht.
Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht aufhalten, was
die atheistische Naturwissenschaft macht. Denken Sie, wie stark
heute Bestrebungen auftauchen, menschliche Einrichtungen so zu
treffen, daß sie weitreichend auf ein bloß physisch
gedachtes Vererbungsprinzip aufbauen, zum Beispiel die Gesetze
für die Eheschließung zu schaffen, wo nicht die
inneren Herzensverhältnisse entscheiden, sondern zum
Beispiel der Mediziner. Diese Dinge lassen sich natürlich
wegreden, aber in der Realität läßt sich das
nicht aufhalten.
Für den, der heute auf dem Boden einer religiösen
Erneuerung stehen will, ist es daher notwendig, sich klar
darüber zu sein, daß er zugleich einig sein muß
mit einer Erkenntnisrichtung, welche den Geist wiederum in das
Naturwissen hineinträgt, die den Geist geltend macht
innerhalb des Naturwissens, so daß bis in die Physik
hinunter der Geist geltend gemacht wird. Das ist ja richtig
angestrebt worden, indem die religiöse Bewegung auf
Anthroposophie baut. Aber dieses Bauen auf die Anthroposophie
muß ein ganz innerliches, wahrhaftiges sein. Deshalb ist
es nötig, daß man sich das Verhältnis zwischen
der religiösen Erneuerung und der Anthroposophie auch in
der richtigen Weise vorstellt.
Nicht wahr, die Anthroposophie will und kann nicht anders, als
eine Erkenntnisbewegung sein. Sie muß, so sehr dadurch
auch das Verhältnis zu ihren Anhängern leidet, in
allen Einzelheiten vollbewußt so arbeiten, daß sie
eine Erkenntnisbewegung ist. Die religiöse Erneuerung ist
eben eine religiöse Bewegung mit dem entsprechenden
religiösen Kultus. Und wenn beide Bewegungen aus ihren
eigenen Impulsen arbeiten, so kann ja nichts anderes
Zustandekommen als eine gegenseitige Befruchtung. Es kann im
Grunde genommen niemals eine Störung auftreten. Man
muß allerdings, auch wenn man sich klar ist, daß ja
im großen und ganzen eine Störung nicht auftreten
kann, die Zeitverhältnisse gründlich
berücksichtigen. Die anthroposophische Bewegung hat
natürlich heute deshalb einen schwierigen Stand, weil sehr
viele Menschen, die lechzen nach einer Vergeistigung der
Weltanschauung, auch erkenntnismäßig eigentlich doch
auf eine leichtere und bequemere Weise zu ihren Erkenntnissen
kommen möchten, als Anthroposophie sie ihnen geben kann.
Man möchte nicht gern jene intensive innere Mitarbeit
haben, welche in der Anthroposophie notwendig ist, und dadurch
treten zuweilen wirklich recht absurde Anschauungen und
Gedanken auf. Es ist ja so Sie brauchen sich nur an den
gestrigen Vortrag zu erinnern -, daß für den, der
heute wirklich ehrlich sich hineinstellen will in die
Anthroposophie, ein so gründliches Umdenken notwendig ist,
daß dadurch die Anthroposophen sich ganz radikal
unterscheiden von den Menschen, die keine Ahnung haben,
daß ein solches Umdenken und Umempfinden möglich
ist.
Was
aber gibt Gemeinschaft? Menschliche Gemeinsamkeit des Denkens
und Empfindens! Man kann sich kaum denken, daß die Leute,
wenn der anthroposophische Impuls in ihnen ehrlich arbeitet,
sich nicht in einer solchen Gemeinsamkeit fühlen, wie sie
überhaupt noch nicht da war in der Welt. Denn so
gründlich brauchte man noch nie umzudenken, selbst nicht
in den alten Mysterien; da war noch vieles ähnlicher dem
populären Denken. Es ist ein so starkes Band da, daß
alles Rufen und Schreien nach Gemeinsamkeit, das namentlich
unter den Jüngeren vielfach auftritt, im Grunde genommen
schon einen Zug von Absurdität hat. Aber vergessen Sie
nicht, daß wir nicht in einem Atelier sind und uns aus
Plastilin Menschen formen können, sondern daß die
Menschen da sind mit all ihren Absurditäten, die man
absolut berücksichtigen muß, über die man nicht
hinaus kann, wenn man real wirken will. Es handelt sich darum,
daß man wirklich diese Dinge tief ernst und wahr nimmt.
Aber an sie denkt man heute auf den verschiedensten Gebieten
nicht. Vielleicht verstehen Sie mich besser, wenn ich ein
populäres Beispiel nehme.
Wir
haben in der Waldorfschule jetzt zwölf Klassen, sie hat
also eine Schülerschaft bis zum 18., 19. Jahr hinauf. Sie
möchten ja alle auch Pädagogen sein. Nun, die
allererste Anforderung an Erziehung und Unterricht ist ja
diese, daß der zu Erziehende, wenn er noch ein Kind, ein
Knabe oder ein junges Mädchen ist, nicht mitdiskutiert
über die Erziehungsund Unterrichtsgrundsätze,
daß diese das Mysterium der Unterrichtenden und
Erziehenden bleiben. So wie die Dinge aber heute betrieben
werden, geht alles an die Kinder der Waldorfschule heran; die
erzählen einem unter Umständen, wie sie erzogen
werden, die pädagogischen Grundsätze und so weiter
und wissen manchmal besser als die Lehrer selbst, was
Waldorfschulpädagogik ist. Ja, wenn die Dinge so sind,
dann kann man nicht vorwärtskommen.
Aber andererseits ist es heute nicht möglich, auf eine
äußerliche Weise Dinge zu sekretieren; das geht auch
wieder nicht. Wir haben zum Beispiel neulich in einer
Delegiertenversammlung bloß über den Modus
gesprochen, wie man Geld bekommen will für den Neuaufbau
[des Goetheanums]. Darauf erschien ein gehässiger Artikel
in einem Genfer Journal, wo man in wüster Weise
angegriffen wird, daß man den armen Schweizern eine
Million Franken aus der Tasche ziehen will. Ein
äußerliches Sekretieren der Dinge geht also nicht.
Aber es muß dazu kommen, daß man innerlich auf die
Menschen bauen kann, daß also auch dann, wenn nicht
Grundsätze des Geheimhaltens gegeben werden, unter den
maßgebenden Persönlichkeiten sich ein Takt
herausbildet, über eine Sache nur in einer bestimmten
Weise zu reden und nicht zum Beispiel einem
fünfzehnjährigen Menschen die pädagogischen
Grundsätze der Waldorfschule zu erzählen wie einem
Dreißigjährigen. Das muß sich nach und nach
herausbilden. Es ist wirklich so, daß alle möglichen
absurden Nebenimpulse auftreten, weil die Dinge nicht tief und
stark genug ernst genommen werden.
So
tritt der Impuls auf, gemeinschaftsbildend zu sein innerhalb
der anthroposophischen Bewegung. Erkenntnisbewegung ist die
anthroposophische Bewegung. Auf Gemeinsamkeit des Wollens,
Fühlens und Denkens ist sie gegründet. So daß
man eigentlich denken könnte, die religiöse Bewegung
würde einfach das, was auf dem Boden der
anthroposophischen Bewegung da ist, aufnehmen und nun in der
Art, die ja nun einmal für die religiöse Bewegung
gegeben ist, dies wiederum aus den ureigensten Impulsen
weiterbilden.
Als
es noch keine religiöse Bewegung gegeben hat, haben
Menschen, die in der anthroposophischen Bewegung standen, noch
einen Ersatz gesucht dafür in allerlei esoterischen
Kreisen, die aber so aufgebaut waren, daß sie im
wesentlichen Erkenntniskreise waren, und das, was da
kultusähnlich war, diente auch nur der Erkenntnis. Daher
konnte auch aus diesen Kreisen nichts herübergenommen
werden m die religiöse Erneuerungsbewegung. Und wenn man
die Dinge, die dort in den Zeiten, in denen das noch ging, als
kultähnliche Dinge da wären, nicht durchdrungen
hätte mit dem Erkenntnisimpuls, so wären sie
äußerlich aufgefaßt worden, und das durften sie
ihrer Eigenart nach nicht sein.
Dagegen ist die Sache bei der religiösen Bewegung so,
daß im Kult selbst schon ein unmittelbarer Inhalt liegt,
und zwar in jeder Kulthandlung, so daß auch derjenige, der
zum Beispiel es ablehnt, vom Kult aus nach einer Erkenntnis zu
streben, doch in der Teilnahme am Kult ein entsprechendes Leben
hat, weil der Kult, wie er in dieser religiösen Bewegung
wirken soll, unmittelbar die Sprache der geistigen Welt ist,
heruntergetragen in irdische Form, so daß die Teilnahme am
Kultus etwas ganz Positives ist.
Betrachten wir den Mittelpunkt des Kultus von diesem Standpunkt
aus. Wenn man die Menschenweihehandlung ansieht, so haben wir
zunächst als den vorbereitenden Teil das Evangelienlesen.
Nun, da liegt ja natürlich noch eine Schwierigkeit, weil
wir wirklich nötig haben, die Evangelien doch noch besser
zu bekommen, als sie heute da sind. Es handelt sich schon
darum, daß das Evangelienwort eben anders aufgenommen wird
als irgendein anderes Wort, das im Verlaufe der menschlichen
Zivilisationsentwickelung erflossen ist und von Menschen kommt.
Das Evangelienwort, wenn es für wahr genommen wird,
enthält in sich wirklich das, was man so bezeichnen kann,
daß man sagt: Der, der das Evangelienwort vorliest,
spricht, der ist ein Sprachrohr für etwas, was aus den
geistigen Welten in die physische Welt hereinkommt, so daß
der vorbereitende Teil, das Evangelienlesen, immerhin einen
Kontakt der ganzen Gemeinde mit der geistigen Welt
hervorruft.
Dann kommt die eigentliche Opferhandlung, die drei Teile hat:
Opferung, Transsubstantiation, Kommunion. Nun kann man eben
keine richtige Auffassung von dieser Trinität haben, wenn
man sich nicht klar ist, daß in diesem Momente, wo die
Transsubstantiation sich vollzieht, tatsächlich für
diejenigen, die auch nur anwesend teilnehmen, Naturordnung und
ethische Ordnung in eines zusammenfließen, so daß
also da eine ganz andere Weltordnung jedesmal vor die Gemeinde
hingestellt wird, jedesmal der Mensch hinaufversetzt wird in
das Göttliche, und das Geistige sich hinuntersenkt in das
Menschliche. Wenn man dies real nimmt, so muß man sagen,
da geht etwas vor, was ganz unabhängig ist von dem, was
der Mensch erkennt daran. Es genügt für das,
was dabei vorgeht, das bloße Fühlen. Für die
Erkenntnis kann niemals das bloße Fühlen
genügen. Für das, was in der Wandlung vorgeht,
genügt das bloße Fühlen, so daß also
tatsächlich es ein Arbeiten, ein Tätigsein mit der
Gemeinde zusammen ist, was sich da vollzieht, wenn der Priester
vor der Gemeinde die Menschenweihehandlung ausübt. Das ist
etwas, was durchaus für sich genommen werden muß, und
daher sollte Sie niemals die Frage irgendwie in Disharmonie
versetzen: Kann irgendein Rituales, das heute gefunden wird aus
der geistigen Welt und alle unsere Ritualien sind gefunden in
der geistigen Welt, sind gewissermaßen für heute von
Gott verordnet -, kann das einmal geändert werden oder
aufhören? Sehen Sie, diese Ritualien irgendwie so zu
beurteilen, daß man sagt: Ja, es soll sich einmal ein
anderer Zustand entwickeln, wo die Menschen ein unsichtbares
Ritual haben -, diese Fragen sind nicht berechtigt.
Das
Verhältnis muß so gedacht werden: Die Menschen werden
ja immer den Weg von der Zeremonie zur Predigt suchen; in die
Predigt kann nur das befruchtend einfließen, was aus der
Anthroposophie, aus der Geist-Erkenntnis kommt. Nun wird es so
sein in der Zukunft, daß derjenige, der in höchstem
Maße ein Erkenner auf geistigem Gebiete ist, es niemals
ablehnen wird, Gemeinschaft zu halten mit denjenigen, die
zunächst zum Kultus kommen. Er hat auch gar kein anderes
Verhältnis zum Kultus als der, ich möchte sagen naive
Mensch. Also es kann gar nicht die Frage entstehen: Treiben wir
einen Kultus für die jetzige Zeit und muß das einmal
durch einen anderen ersetzt werden? Indem der Kultus
begründet ist, ist er begründet und wird sich
fortsetzen; er ist anderen Gesetzen unterworfen als solchen,
die man geltend macht, wenn man fragt: Soll einmal ein
unsichtbarer Kultus kommen? Der Kultus ist unterworfen den
großen kosmischen Weltimpulsen, die alles, was in der Welt
entsteht, mitändern. Aber die Änderungen in der
Zukunft werden ganz andere Änderungen sein als die in der
Vergangenheit.
Nehmen Sie die Messe der römisch-katholischen Kirche
heute. Sie haben da gegeben einen synthetischen
Zusammenfluß aller entsprechenden Kulte des Altertums,
vertieft im christlichen Sinne. Das ist gerade das Wunderbare,
daß in der katholischen Kirche alles alte Mysterienwesen
zusammengeflossen ist. Aber es kamen bestimmte Zeiten in der
christlichen Entwickelung diese Zeiten begannen eigentlich
schon im 3., 4. Jahrhundert -, in denen kein Verständnis
mehr da war für das, was im Meßopfer waltete, und so
wurde es zunächst ein leeres Formelwesen; es pflanzte sich
traditionell, ich möchte sagen aus Pietät fort. Dann
aber, ziemlich bald, bekamen die Leute den Mut zum
Nichtverstehen und fingen an, allerlei zu verbessern. So haben
wir heute in dem katholischen Meßopfer etwas, was nach und
nach einfach auch durch das Absterben der Sprache im Grunde
etwas ganz Unverständliches geworden ist. Es wird
zelebriert in der alten Sprache, ohne daß es zum
Verständnis gebracht werden könnte. Und daher ist
dieses katholische Meßopfer etwas wie ein Leichnam, zwar
von etwas ungeheuer Großem und Gewaltigem, aber eben ein
Leichnam, der aber doch als Leichnam noch eine ungeheuer starke
Kraft hat. Im Ganzen ist ja das Merkwürdige innerhalb der
katholischen Kirche, daß die Priesterschaft philosophisch
außerordentlich gebildet ist, theologisch aber
außerordentlich ungebildet. Die katholische Theologie hat
gar keine Lebendigkeit, so daß eigentlich bis zu den
höchsten Spitzen hin auch die katholische Theologie etwas
außerordentlich Ungebildetes ist. Seit dem Mittelalter hat
sie gar keine weitere Entwickelung mehr genommen. Das alles
macht eben, daß im Grunde die religiösen
Bedürfnisse der Menschheit gar nicht mehr mit der Lehre,
mit der Predigt befriedigt werden können, sondern
lediglich mit dem Kultus, weil dieser doch die ungeheure Kraft
der Gemeinschaftsbildung für sich hat. Da ist das gegeben,
was Ihnen gegenüber dieser neuen Kulthandlung ein
Ewigkeitsgefühl geben kann, so daß keine Disharmonie
auf Ihren Seelen zu lasten braucht.
Es
behaupten nun Anthroposophen, daß gewisse Vorgeschrittene
den Kultus entbehren könnten. Diese Frage würde
eigentlich gar nicht entstehen können, wenn man sich
richtig einstellte. Ich weiß gar nicht, aus welchen
Untergründen heraus sie eigentlich entstehen konnte. Denn,
tritt heute der Fall eines Begräbnisses ein, dann ist doch
eben die religiöse Gemeinschaft für das Kultische
aufgerufen. Und so ist sie aufgerufen durch die
Menschenweihehandlung für das Ganze des Menschen und nicht
etwa bloß in der Absicht, das sei ein Temporäres, das
müsse einmal durch etwas anderes abgelöst werden. Das
ist ein Ewiges, soweit auf der Erde von etwas Ewigem gesprochen
werden kann. Also dieser Zwiespalt, der bei vielen von Ihnen
entstanden zu sein scheint, daß die Anthroposophie den
Kultus gewissermaßen als etwas weniger Bedeutungsvolles
hinstellt oder daß etwas anderes in der Zukunft an die
Stelle der gegenwärtigen Bewegung treten müsse,
dieser Zwiespalt kann nur auf einem
Gefühlsmißverständnis beruhen. Sobald Sie sich
klar machen, daß naturgemäß der, der
Anthroposophie sucht, sich einfach mehr auf die Erkenntnisseite
verlegt und daß man es ihm überlassen muß,
inwiefern er den Kultus sucht, und andererseits, daß
Leute, die zum Kultus kommen, auch nach der Erkenntnnisseite
hinstreben werden, weil der Intellekt heute so stark ist,
daß sie also von diesem Kultus aus sich der Anthroposophie
nähern werden -, sobald Sie sich das klarmachen,
müssen Sie sich sagen, daß das in gewissem Sinne nur
eine Art Arbeitsteilung ist. Auf diesem Felde sollte eigentlich
ein innerer Zwiespalt gar nicht entstehen.
Nun
möchte ich aber doch nach diesen Bemerkungen Sie bitten,
das eine oder andere noch zu äußern, da ich
weiß, daß noch vieles auf dem Grunde Ihrer Seelen
ist.
Es
wird eine [vom Stenographen nicht mitgeschriebene -]
Frage gestellt über den im Dornacher Vortrag vom 31.
Dezember 1922 besprochenen Spruch:
Es
nahet mir im Erdenwirken
In Stoffes Abbild mir gegeben
Der Sterne Himmelswesen
Ich seh' im Wollen sie sich liebend wandeln.
Es dringen in mich im Wasserleben
In Stoffes Kraftgewalt mich bildend
Der Sterne Himmelstaten
Ich seh' im Fühlen sie sich weise wandeln.
Rudolf Steiner: Dasjenige, was ich damals gesprochen
habe, ist eine Art kosmischer Kommunion. Wenn diese meditativ
ausgeführt wird, so wird sie unter Umständen, wie die
Dinge heute liegen der Zeit nach, dem Menschen eine gewisse
Befriedigung geben können. Er wird auf diese Weise eine
Art Kommunion empfangen können. Aber das schließt
doch nicht aus, daß selbst derjenige, der auf diese Art
eine Kommunion für seine Erkenntnis empfängt, wenn er
sonst in seiner ganzen Seelenverfassung heute dazu neigt, die
Kommunion auch auf andere Weise empfangen kann. Man sollte
nicht die Unterschiede betonen, denn beide Dinge widersprechen
einander ja nicht. Empfinden Sie darin einen stärkeren
Widerspruch als gegenüber dem, was ja auch in der alten,
noch richtig aufgefaßten katholischen Kirche war? Da
hatten Sie die Priesterkommunion und hatten natürlich die
Laienkommunion wobei ich nicht sagen will, daß alle
Anthroposophen Priester sein sollen. Sie hatten die, die die
Kommunion geben und nehmen konnten, und Sie hatten die, die die
Kommunion nehmen konnten, aber nicht geben konnten. Wenn Sie
diesen Unterschied auffassen, werden Sie sich sagen
müssen: Derjenige, der die Kommunion geben kann, der kann
ja unmöglich, ohne daß er nun für sich in dem
inneren Erlebnis noch etwas dazu hat, die Kommunion ebenso
nehmen wie der Laie. Er muß noch etwas dazu haben. Daher
mußte der Priester, der auch kommunizierte, noch etwas
dazu haben, eine innere Kommunion, und die hatte er ja auch.
Nun, dazumal handelte es sich darum, streng festzuhalten an dem
Unterschied zwischen Priestertum und Laientum. Es gab nur diese
zwei Klassen. Aber über diese Zeiten ist die Entwickelung
hinweggeschritten, diese Zeit ist nicht mehr da.
Heute muß gewissermaßen vieles von dem, was in
älteren Zeiten nur dem Priester zugänglich war, auch
dem Laien zugänglich gemacht werden. Unsere ganze moderne
Theologie, die ganze Literatur ist ja auch jedem
zugänglich. Dasselbe kann auch für unseren Fall
geltend gemacht werden. Sie können heute die Theologie als
Laie studieren. Wenn sich eine Erkenntnisbewegung geltend macht
wie die anthroposophische, so ist selbstverständlich,
daß die Teilnehmer an einer solchen mit Dingen bekannt
gemacht werden, die natürlich ehedem in erster Linie
für den zelebrierenden Priester gewesen waren. Aber heute
ist das eben anders: Wir können nicht Grenzen machen. Wenn
wir heute noch das alte Prinzip hätten, so würde es
so sein, daß eine religiöse Bewegung da wäre und
innerhalb der religiösen Bewegung die Priesterschaft; die
würde dann die Anthroposophie für sich haben,
müßte dann aber alles tun auf dem Felde der profanen
Technik, was die Zeitentwickelung fordert ... [vom Stenographen
gekennzeichnete Textlücke]. Wenn Sie das
berücksichtigen, so werden Sie verstehen, daß diese
Kommunion, die der Priester hat, auch entwickelt wird von
demjenigen, welcher der anthroposophischen Bewegung
angehört. Aber es liegt kein Grund vor zu sagen: Auf der
einen Seite haben wir eine priesterliche, auf der anderen Seite
haben wir eine kosmische Kommunion. Beides hat ja ein und
denselben Boden, nur eine andere Form. Beides ist etwas, was
ganz selbständig neben dem anderen steht. Also wenn Sie
die Sache ganz gründlich durchempfinden, dann werden Sie
keine Schwierigkeiten haben.
Ein Teilnehmer: In dem Bericht über die
Delegiertenversammlung vom Februar 1923 wird gesagt, daß
das Kultische hereingenommen ist von dem vorgeburtlichen Leben.
In einem Kurs, den wir in Dornach hörten, ist geschildert,
wie unser Kultus ein Aufstieg des Menschen ist in das Leben
nach dem Tode.
Rudolf Steiner: Das ist etwas, das in der Art angesehen
werden muß wie alle Dinge, die etwas mit der geistigen
Welt zu schaffen haben; da muß man die Begriffe ganz genau
fassen lernen. [Um die Begriffe genau zu fassen,] wurde schon
in der Scholastik Dialektik getrieben. Aber soweit sind wir
noch nicht, weder auf dem Gebiete der Anthroposophie, noch auf
dem der religiösen Bewegung. Sehen Sie, die Art, wie in
dem Menschen der Kultus wirkt, wie er real wirkt, also den
Menschen in der Seele so ergreift, daß er den Weg durch
die Pforte des Todes hindurchfindet durch den Christus, diese
Wirkung ist die eine Seite [des Kultus]. Und die andere Seite
ist die, wodurch das geschieht, daß der Mensch in dem
Kultus das hat, was wie eine kosmische Erinnerung an das
vorgeburtliche Leben ist. Nehmen wir zur Erläuterung ein
Beispiel aus dem gewöhnlichen Leben. Wodurch hat auf einen
Menschen heute eine Begegnung großen Eindruck gemacht?
Weil ihm entgegentritt eine von ihm in der Jugend schon
verehrte Persönlichkeit. Doch nun kommt noch etwas anderes
hinzu. Es ist etwas anderes, wenn ich das schildere, was im
Gemüt dieses Menschen erkeimt ist für die Zukunft;
hierdurch ist er vielleicht ein ganz anderer geworden, findet
sich vielleicht in die Lebensverhältnisse ganz anders
hinein als in der Jugend. Wenn man an dem Kult teilnimmt, so
wird man für sein Zukunftsleben ergriffen. Das kommt
daher, daß dieser aus dem vorgeburtlichen Leben stammt.
Das wirkt so stark auf den Menschen.
Ein Teilnehmer: Erreicht man durch das Meditieren der
Messe mehr, als wenn man die Messe zelebriert? Dann würde
es soweit kommen, daß wir das Lesen der Messe nicht mehr
brauchen.
Rudolf Steiner: Logisch ist das nicht ganz unrichtig,
aber in facto ist es nicht so. Wenn einer die Messe liest, und
wenn er sie dann meditativ erlebt und hat dabei eine Wirkung
für sich, so ist diese Wirkung, weil sie auf starker
innerer Aktivität beruht, eigentlich stärker. Aber
diese innere Aktivität kann man nicht immer aufwenden.
Wenn man die Messe acht Tage lang nicht gelesen hat, so erlahmt
die Kraft. Es ist schon richtig; wenn einer das kann, dann gut,
aber wenn er sozusagen nicht ganz besondere innere
Vorbedingungen hat, dann erlahmen diese Kräfte. Es trifft
das nicht zu, daß die innerlich meditierte Messe so stark
wirkt wie die gelesene Messe, und es darf nicht etwa ein Ideal
werden für den Priester, die Messe nicht zu lesen. Denn
dann könnte er ja sagen: Ich sehe davon ab, mit meiner
Gemeinde zu wirken, ich will allein vorwärts kommen.
— Dann könnte er sich ein solches Ideal vorstellen,
[die Messe nicht zu lesen, sondern zu meditieren,] aber die
Kraft, die der Priester haben soll, wenn er die Messe lesen
will, die soll er nicht dadurch abschwächen, daß er
sich ein solches Ideal vorstellt.
Ein Teilnehmer: Wie bringt man die Menschen an die
Menschenweihehandlung heran? Sind wir verwiesen an die
Menschen, die gefühlsmäßig aus
rückständigen religiösen Gefühlen
herankommen, für die der Weg des Erkennens verschlossen
ist? Wie sollen wir an die Arbeiter herankommen, wenn wir nicht
über den Denkweg gehen?
Rudolf Steiner: Aber Sie haben ja nicht nur den Kultus,
sondern in weitestem Sinne die Predigt, Vorträge, auch
Predigt im terminologischen Sinne. Es ist gar nicht zu sehen,
was da für eine Schwierigkeit auftreten sollte. Die
heutigen jüngeren intellektuellen Leute, die aus dem
Nichts heraus arbeiten, wollen gar nicht ein abgesondertes
Intellektuelles, sondern streben stark nach dem Kultus hin. Und
das, was da eintreten könnte, was auf äußerem
Gebiete zu einer Synthese führen müßte zwischen
religiöser Bewegung und Anthroposophie, das will ich
nachher charakterisieren. Auf der einen Seite wird heute der
Intellekt gar nicht angeregt ohne den Kultus. Der Kultus ruft
erst wieder den Intellekt in den Menschen herein. Die Menschen
hören heute auf, denken zu können, wenn man den
Kultus nicht hat. Das Aufhören des Denkens ist eine
Zeitgefahr. Auf der anderen Seite sehe ich nicht, worin die
Begrenzung liegen soll von dem, was Sie in Kult und Predigt an
die Menschen herantragen. Eine Begrenzung kann nur da sein, wo
Sie sich selbst künstlich eine solche setzen. Sie wollen
keine Anthroposophie lehren, sagen Sie. Aber das können
Sie gar nicht halten, denn das müssen sie ja tun!
Natürlich muß man die Anthroposophie den Leuten nicht
an den Kopf werfen. Die Schwierigkeit tritt gerade dann auf,
wenn Sie sagen: Anthroposophie wollen wir ganz gewiß nicht
lehren.
Ein Teilnehmer: Ich würde zum Beispiel nicht vom
Ätherleib sprechen.
Rudolf Steiner: Das hängt von der Erkenntnis der
Gemeinde ab. Ich könnte mir gut eine Gemeinde vorstellen,
die ganz ehrlich dem Kult gegenübersteht und doch das
Erkenntnisbedürfnis haben kann. Ich sehe nicht ein, warum
Sie da nicht über den Ätherleib sprechen sollten.
Ein Teilnehmer: Wir haben lauter Menschen, die ein
Erkenntnisbedürfnis haben; sie finden sich zur
Anthroposophie durch den Kultus. Wir haben die Leute nicht, die
nicht die Anthroposophie, sondern den Kult allein wollen.
Können wir eine Möglichkeit finden, die Menschen zu
befriedigen, die nicht zur Anthroposophie wollen?
Rudolf Steiner: Die Frage ist nun die: Wie würden
Sie jemanden charakterisieren, der heute von Ihnen geführt
werden sollte, der aber so geführt werden soll, daß
ganz abgesehen wird von der Anthroposophie? Wie müßte
der beschaffen sein? Die Sache ist die: Wenn man die Menschen
richtig anfaßt, wenn man an die richtige Menschlichkeit
herangeht, dann wollen die Menschen die Anthroposophie, wie zu
allen Zeiten das Entsprechende von der Menschenseele gesucht
worden ist. Die Anthroposophie nicht zu wollen, das ist nur bei
verbildeten Menschen der Fall. Vor vierzig Jahren konnten Sie
auf dem Lande noch elementarisch gesunde Menschen kennenlernen,
die sagten Ihnen die höchste Weisheit. [Die folgenden
Sätze sind vom Stenographen nur lückenhaft
festgehalten.] Unter ihren Kissen hatten sie irgend etwas
verborgen Jakob Böhme zum Beispiel -, das finden Sie heute
nicht mehr.
Die
in den Großstädten verbildeten Leute können an
so etwas nicht mehr heran. Daher kann ich mir nicht vorstellen,
daß die einen anderen Weg brauchen können als den
anthroposophischen. Nur müssen Sie nicht von dem ausgehen,
was von der Anthroposophie im Buche steht, sondern von dem, was
Sie an dem Buche erlebt haben. Es ist zum Beispiel der Begriff
des Ätherleibes ungemein leicht dem naiven Menschen
beizubringen. In gewissen Gegenden nennen die Leute das, was
morgens in den Augen ist, «Nachtschlaf»; da sind Sie
schon im Ätherleib drinnen, denn in der Tat ist da
Ätherleibswirksamkeit drinnen. Man hat überall
Anknüpfungspunkte. Wenn Sie die berücksichtigen und
berücksichtigen, daß wir unsere Bücher
geschrieben haben für Leute von heute, die durch diese
vertrackte Schulbildung hindurchgegangen sind, so haben Sie
solche Anknüpfungspunkte. Sie befriedigen die Menschen
mehr, wenn Sie vom Worte loskommen und aus dem Erleben selbst
geben.
Ein Teilnehmer: Kann man den Unterscheid zwischen
kosmischer Kommunion und Kultus nicht so formulieren, daß
dieser ein Sakramentaler ist?
Rudolf Steiner: Das ist etwas, was man deshalb schwer
sagen kann, weil das Erleben bei der wirklichen kosmischen
Kommunion schon ein Sakramentales ist. Das ganze
anthroposophische Denken ist eigentlich etwas Sakramentales,
wie ich das schon ausgesprochen habe in meiner
Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung. Das Denken
ist eine Kommunion des Menschen. Die Erkenntnis, wenn sie
wirkliche Erkenntnis ist, wird zum Sakrament. Es kommt mehr
darauf an, daß wir die Dinge zusammenzubringen versuchen,
als sie zu unterscheiden, denn in der Wirklichkeit bringen sie
sich ja zusammen.
Es
wird eine Frage gestellt nach dem genauen Wortlaut eines Satzes
aus Rudolf Steiners Dornacher Vortrag vom 30. Dezember 1922
[vom Stenographen nur mit Stichworten festgehalten].
Rudolf Steiner: «Anthroposophie braucht keine
religiöse Erneuerung» -, so haben Sie den Satz ganz
richtig formuliert. Was würde es für die
Anthroposophie bedeuten, die ja in sich selbst begründet
sein muß, wenn sie die religiöse Erneuerung brauchte!
Umgekehrt: die religiöse Erneuerung braucht die
Anthroposophie! Daß da in dem Vortrag gesagt wurde, die
Anthroposophen brauchten keinen Kultus, das ist ja an die
Anthroposophen gerichtet, nicht an die religiöse
Erneuerungsbewegung. Solche Dinge mußten gesagt werden,
weil zahlreiche Menschen glaubten, sie müßten sich
aus Prinzip orientieren, ob sie sich für eine Teilnahme an
der religiösen Bewegung entscheiden sollen. Da waren
Mitglieder der anthroposophischen Bewegung, die viel älter
waren als Dr. Rittelmeyer; wenn diese nun fragten, ob sie
teilnehmen sollen an dem Kult, so mußte man ihnen sagen:
Das müßt ihr nun doch endlich selbst wissen;
ihr müßtet Dr. Rittelmeyer beraten
können! Man darf aber nicht sagen, man könne zur
Anthroposophie nur kommen durch die religiöse Bewegung,
das wäre sehr falsch. Mein damaliger Vortrag war an die
Anthroposophen gerichtet. Also es ist doch
selbstverständlich, daß die Anthroposophen, wie sie
in der letzten Zeit geworden sind, Ratgeber beim Kultus sein
könnten. Das andere wiederum ist Gift für die
Anthroposophie: wenn man sagt, man könne nicht zu
anthroposophischem Verständnis [des Christus] kommen, wenn
man nicht durch den Kult dazu kommt. Es ist nötig,
daß man das dazunimmt, daß diese Rede an die
Anthroposophen gerichtet war. Das Mißverständnis
bestand darin, daß beide Seiten Auffassungsfehler
gemacht haben in der Handhabung. Es waren in der
religiösen Bewegung viele, die nicht wußten, wie sie
sich verhalten sollten.
Marie Steiner: Es war bei manchen Anthroposophen
Schlagwort, «Dr. Steiner wünscht es, daß die
religiöse Bewegung an die Stelle der Anthroposophie
trete»; das sei Dr. Steiners Meinung. Ähnlich war es
beim Anfang der Dreigliederungsbewegung, wo es auch hieß,
diese solle an die Stelle der Anthroposophie treten. Es waren
schon Anzeichen vorhanden, daß man glaubte, die
Anthroposophie müsse abbauen. Es wurden Zyklen beim Verlag
abbestellt und dergleichen.
Rudolf Steiner: Das sind Dinge, die in der
äußeren Praxis liegen, die nicht zu inneren
Schwierigkeiten führen.
Ein Teilnehmer weist darauf hin, daß Rudolf Steiner
an einer Stelle des Vortrages vom 30. Dezember 1922 gesagt
habe, daß es viele Menschen gäbe, die
erkenntnismäßig eingestellt sind und andere Menschen
mit dumpfem religiösem Trieb [Wortlaut vom Stenographen
nur stichwortartig festgehalten].
Rudolf Steiner: Ja, das ist nicht zu leugnen, es gibt
Menschen mit durchaus denkerischem Erkenntnistrieb,
andererseits gibt es solche Menschen mit einem dumpfen
religiösen Trieb. Wenn ich also gesagt habe, die
Anthroposophie könne nichts machen gegenüber den
Menschen mit dumpfem religiösem Trieb, sondern nur die
religiöse Bewegung, so ist das richtig. Aber das
heißt nicht, daß die religiöse Bewegung
besonders und allein auf diese Art Menschen angewiesen ist,
sondern das heißt, die Anthroposophie kann mit diesen
Menschen nichts machen. An diese Menschen kommt man nur mit dem
Kult heran, nicht mit der Anthroposophie. Die Menschen mit
dumpfem religiösem Trieb sind zu ergreifen durch den Kult
und werden vielleicht in einem neuen Leben sehr denkerische
Menschen.
Ein Teilnehmer: Die Leute sagen, die Anthroposophen
haben die Universität, ihr habt die Kinderschule. Mit
solchen Dingen haben wir es zu tun.
Rudolf Steiner: Ich habe in diesen Tagen ein großes
Plakat aus Österreich bekommen, darauf stand lauter dummes
Zeug, wie der Betreffende in die geistige Welt kommt, was er
den Menschen offenbaren wird und so weiter; aber dann stand auf
der zweiten Seite: Mein Geistsystem umfaßt auch alle die
Dinge, die einseitig als Anthroposophie, Theosophie und so
weiter aufgetreten sind. Nach solchen Dingen kann man die
inneren Schwierigkeiten nicht beurteilen. Solche Menschen
muß man nicht tragisch nehmen. Da kann man sich doch nicht
aufregen.
Ein Teilnehmer: Daß solche Aussprüche nicht
getan werden, dafür müßten doch die Zweigleiter
eintreten.
Rudolf Steiner: Das sind äußerliche Dinge. Die
Zweigleiter haben gar nichts mit dem zu tun, was die Mitglieder
außerhalb des Zweiges tun.
Ein Teilnehmer: Es wurde direkt gesagt, die zwei Wege
widersprechen sich. Das macht den Leuten Angst und sie bleiben
weg.
Rudolf Steiner: Das sind keine inneren Schwierigkeiten,
das ist die äußere Handhabung, die Lebenspraxis.
Daß solche Dinge vorkommen, ist nicht zu verhindern. Man
kann nicht etwas, was mit tiefem Ernst verbunden ist, trivial
charakterisieren; da muß man scharf formulieren, mit
ernsten Worten, und die werden leicht falsch ausgelegt. Was der
eine oder andere Zweigleiter sagt, ist ganz unwesentlich. Sonst
müßten wir es ja als eine Aufgabe betrachten, lauter
Zweigleiter zu haben, die unfehlbar sind. Ihre geistigen Mittel
liegen darin, die Leute aufzuklären.
Emil Bock: In gewisser Weise war bei uns im Anfang eine
Unklarheit. Wir suchten unser Arbeitsfeld woanders als auf
anthroposophischem Gebiet. Wir haben vielleicht das, was aus
oppositionellen Gründen heraus gesprochen wurde, als
Anlaß benutzt, uns etwas zu sehr herauszuhalten aus der
anthroposophischen Arbeit. Manche von uns hatten ja auch keine
Zeit mehr dazu. Dadurch ist es ja dann dazu gekommen, daß,
als diese Schwierigkeiten bei den Anthroposophen eintraten, wir
nicht als Anthroposophen mitsprechen konnten. Wir hatten uns
selbst durch den Lauf der Dinge etwas herausgestellt aus den
anthroposophischen Reihen. Nun bitten wir Sie, helfen Sie uns,
den richtigen Weg in die anthroposophische Arbeit wieder zu
finden, denn wir haben das starke Bedürfnis, nicht aus den
anthroposophischen Reihen durch unsere Arbeit herauszufallen
und sehen ein, daß wir damals deshalb uns die
Möglichkeit entzogen haben, zur Klärung richtig
beizutragen, daß man in uns nicht die Anthroposophen,
sondern die religiösen Erneuerer sah. Wir möchten
nicht schlechte Vertreter der Anthroposophie sein.
Rudolf Steiner: Diese Gefahr war ja anfangs vorhanden.
Die Sache ist abhängig davon, daß das richtige Urteil
herrscht. Es ist durch vieles möglich, daß das Urteil
sich rektifiziert. Dr. Rittelmeyer ist ja im Vorstand der
Anthroposophischen Gesellschaft sehr aktiv tätig bei
anthroposophischen Aktionen, seit Monaten schon. Er wird sehr
stark in Anspruch genommen. Aber es ist schon so, daß die
Kraft eines jeden stark in Anspruch genommen wird. Ich werde
nie wieder bei einer solchen Gelegenheit, wo die sozialen
Verhältnisse durch den Kult geheiligt werden sollen, etwas
vornehmen, ohne daß der Vertreter der religiösen
Bewegung mitwirkt. Bei Begräbnissen spreche ich nicht mehr
allein, ohne einen Priester. Der Kult muß verrichtet
werden [durch den Priester]. So muß ein richtiges Urteil
allmählich sich herausbilden. Beim Diskutieren
mißverstehen sich die Menschen, aber die Tatsachen
sprechen selbst.
Wichtig ist, daß die religiöse Bewegung nicht die
Anthroposophie verleugnet. Sie irren, wenn Sie glauben,
daß Sie dadurch weiterkommen. Besser ist, klar und sicher
auf dem Boden der Anthroposophie zu stehen. Man soll alles
offen aufklären. Sie dürfen nicht bei den Leuten die
Meinung aufkommen lassen, Sie hätten mit Anthroposophie
nichts zu tun. Die Waldorfschule hat mit der Anthroposophie
alles zu tun. Irgendein Dozent hat gesagt, die Waldorfschule
sei schon ganz schön, wenn sie nur ihre grundlegenden
Ansichten fallen ließe. Das ist es, worauf ich den Ton
lege: Wenn Anthroposophie die Grundlage der Waldorfschule ist,
dann machen wir keine anthroposophische Sektenerziehung,
sondern wir gehen durch Anthroposophie auf eine allgemeine
Menschenerziehung aus.
Wir
haben die Aufgabe, nicht die Mißverständnisse
aufzuklären, sondern einfach die Wahrheit zu sagen.
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Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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