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Das Initiaten-Bewußtsein

Schmidt-Nummer: S-5862

Online seit: 31st May, 2010

ZWEITER VORTRAG
Torquay, 12. August 1924

Die drei Welten und ihre Spiegelbilder

Bewußtseinsunterschiede der alten und der neuen Zeit

Tafel 2, 12. August 1924

Wenn man über geistige Forschung sich eine Anschauung bilden will, muß man vor allen Dingen zunächst einen Begriff bekommen von verschiedenen Bewußtseinszuständen, in denen die menschliche Seele sich befinden kann. Im gewöhnlichen Leben, das der Mensch heute in diesem Zeitalter auf der Erde führt, befindet er sich in einem ganz bestimmten Bewußtseinszustande. Dieser Bewußtseinszustand ist dadurch charakterisiert, daß der Mensch einen gewissen Unterschied zwischen dem Wachen und dem Schlafen erlebt, die ungefähr, wenn auch nicht der Zeit nach zusammenfallend, übereinstimmen mit dem Gang der Sonne um die Erde beziehungsweise der Erde um sich selbst. In unserer gegenwärtigen Zeit ist zwar die Ordnung, auf die ich hiermit deute, in einer gewissen Weise durchbrochen. Wenn wir aber in nicht sehr alte Zeiten mit dem regelmäßigen Leben zurückschauen, so finden wir ja, daß die Menschen damals von Sonnenaufgang ungefähr bis Sonnenuntergang gearbeitet haben und von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang geschlafen haben.

In unserer Zeit ist das etwas durchbrochen. Ich habe sogar schon Menschen kennengelernt, die die Sache umgekehrt haben, indem sie bei Tag geschlafen haben und in der Nacht wach gewesen sind. Ich habe oftmals nachgeforscht, warum das so sei. Da haben die betreffenden Menschen, die gerade in meiner Bekannschaft dann meistens Dichter oder Schriftsteller waren, gesagt, daß das eben so zum Dichten gehört. Aber ich habe die betreffenden Menschen dann niemals, wenn ich sie bei Nacht getroffen habe, beim Dichten angetroffen!

Nun, ich möchte eben darauf hindeuten, meine sehr verehrten Anwesenden, daß für das heutige Bewußtsein das die allerwichtigste Tatsache ist, sozusagen während der Sonnenzeit sich wach zu befinden, oder eine Zeit, die so lang ist wie die Sonnenzeit, sich wach zu befinden, und eine Zeit, die so lang ist wie die Nachtzeit, sich schlafend zu befinden. Mit einem Bewußtsein, das solches erlebt, ist aber vieles, vieles andere verbunden. Es ist damit verbunden, daß man einen gewissen ganz bestimmten Wert auf die Sinneswahrnehmungen legt. Man sieht in den Sinneswahrnehmungen die hauptsächlichste Wirklichkeit. Und wenn man von den Sinneswahrnehmungen zu den Gedanken übergeht, sieht man in den Gedanken eben etwas bloß Gedachtes, etwas, was nicht so wirklich ist, wie die Sinneswahrnehmungen wirklich sind.

Der Mensch sieht heute den Stuhl als etwas Wirkliches an. Er kann ihn auf den Boden aufstoßen. Er hört das auch. Er sieht das als etwas ganz Wirkliches an. Er weiß auch, daß er sich auf den Stuhl setzen kann. Allein den Gedanken des Stuhles sieht der Mensch nicht als etwas Wirkliches an. Wenn er den Gedanken, von dem er glaubt, daß er in seinem Kopfe ist, aufschlägt, dann hört er das nicht. Und der Mensch glaubt auch nicht — für die heutige Konstitution des Menschen natürlich mit Recht-, daß er sich auf den Gedanken des Stuhles niedersetzen kann. Und Sie wären wohl alle nicht zufrieden, wenn wir Ihnen bloß Gedanken von Stühlen in den Saal hereingestellt hätten!

Nun, vieles andere noch ist verbunden mit diesem Erleben des Bewußtseins, das sich nach der Sonne richtet. Das war nicht so der Fall bei denjenigen Menschen, die ihre Unterweisungen, die die Anregungen zu allen ihren Lebensverhältnissen von den Mysterien, zum Beispiel der Chaldäer, die ich gestern erwähnt habe, erhalten haben. Diese Menschen lebten auch in ihrem Bewußtsein ganz anders als heutige Menschen.

Zunächst, sehen Sie, kann ich eine Äußerlichkeit anführen, welche Ihnen zeigen kann, wie der Bewußtseinsunterschied der damaligen Zeit und der heutigen Zeit bei den Menschen ist. Wir kommen mit unserer Jahresberechnung, das Jahr zu dreihundertfünfundsechzig Tagen angenommen, nicht ordentlich zurecht. Wenn wir so fortzählen würden durch die Jahrhunderte, daß wir immer das Jahr zu dreihundertfünfundsechzig Tagen zählten, so würde zuletzt etwas herauskommen, das mit dem Sonnenstande nicht mehr stimmte. Wir würden zurückbleiben hinter der Sonne und ihren Zuständen. Wir machen daher dieses, daß wir alle vier Jahre einen Tag einschalten. Dann kommen wir ungefähr im Laufe längerer Zeiträume mit dem Stand der Sonne zurecht.

Wie haben das die Chaldäer gemacht in ihren ältesten Zeiten? Nicht so wie wir. Sie haben für lange Zeiträume eine ähnliche Zählung gehabt wie wir, aber sie haben sie anders erreicht. Sie haben nötig gehabt, weil sie das Jahr zu dreihundertsechzig Tagen gerechnet haben, alle sechs Jahre einen ganzen Schaltmonat einzufügen, nicht wie wir ein Schaltjahr nach vier Jahren mit einem Schalttag, sondern nach sechs Jahren einen Schaltmonat einzufügen. So daß sie sechs Jahre mit zwölf Monaten gehabt haben, dann ein Jahr, das siebente, mit dreizehn Monaten, sechs Jahre mit zwölf Monaten, wiederum das siebente mit dreizehn Monaten und so fort.

Sehen Sie, solche Dinge registrieren die heutigen Gelehrten. Sie sagen, das war so. Aber daß das mit intensiven Änderungen des Bewußtseinszustandes der Menschen verbunden ist, das weiß man nicht. Diese Menschen, die nicht einen Schalttag nach vier Jahren, sondern einen Schaltmonat nach sechs Jahren eingeschaltet haben, schauten die Welt ganz anders an als wir. Warum? Weil sie diesen Unterschied zwischen Tag und Nacht gar nicht so empfanden wie wir heute. Sie empfanden, wie ich schon gestern angedeutet habe, bei Tag nicht eine solche Klarheit und Helligkeit wie wir heute. Wenn irgend jemand mit dem heutigen Bewußtsein sich hierher stellt und in den Saal hineinsieht, sieht er die Menschen so — nun, wie Sie das wissen — mit scharfen Konturen. Bei dem einen sind sie weiter auseinandergetrieben, bei dem anderen schmäler und so weiter, aber man sieht die Menschen mit scharfen Konturen.

Das war nicht so bei denjenigen, die aus den alten chaldäischen Mysterien ihre Anregungen bekommen haben. Es war ganz anders bei ihnen. Man sah dazumal die Menschen sitzen — wenn ich jetzt dieses Bild gebrauche — nicht so, wie wir jetzt sitzen, das war nicht üblich dazumal, aber man sah die Menschen sitzen mit einem aurischen Nebel umgeben, den man mit zum Menschen dazurechnete. Undwährend man jetzt so philiströs jeden Menschen mit scharfen Konturen auf seinem Stuhle sitzen sieht, und das Ganze sich so ausnimmt, daß man ganz bequem zählen kann, hätte man dazumal so gesehen, daß man die linke und die rechte Stuhlanordnung hier so in einer Art von aurischer Wolke, die sich hinzog wie ein Gas, gesehen hätte, hier eine Wolke, da eine Wolke, und dann dunklere Stellen, und diese dunklen Stellen hätten die Menschen angedeutet.

So hätte man, nicht im späteren, aber im ältesten Chaldäa noch dieses Bild gesehen. Bei Tag würde man nur die Stellen in diesem

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aurischen Nebelgebilde dunkel gesehen haben. Bei Nacht hätte man etwas ganz Ähnliches gesehen und auch im Schlafzustand, denn der war dazumal nicht so tief wie der heutige. Er war mehr träumerisch. Man hätte das nicht so gesehen, wie man heute das sehen würde. Wenn heute einer schliefe und Sie alle hier sitzen würden, so würde er gar nichts von Ihnen sehen, wenn Sie auch alle hier sitzen würden. Dieser Schlaf war dazumal gar nicht erreicht, sondern man sah auch im Schlafe die Traumgestalt der aurischen Wolke links und rechts, und darinnen die einzelnen Menschen als Lichtgestalt, bei Tag in der aurischen Wolke dunkel, bei Nacht in der aurischen Wolke als Lichtgestalt.

Also einen so großen Unterschied im Anschauen der täglichen und der nächtlichen Verhältnisse, wie das heute der Fall ist, gab es dazumal nicht. Und so hat man auch nicht den Unterschied zwischen der am Himmel stehenden Sonne und der in der Nacht abwesenden Sonne empfunden, sondern man hat die Sache so empfunden, daß man die Sonne bei Tag als eine Lichtkugel, als einen Lichtkreis gesehen hat, ringsherum aber eine wunderbare Sonnenaura, so etwa, daß ich das in der folgenden Weise zeichnen könnte. Man hat sich vorgestellt: da unten ist die Erde (dunkelblau), oben überall Wasser, ganz oben Schnee liegend. Von da oben, stellte man sich vor, kommt der Euphrat. Dann dachte man sicher über dem Ganzen die Luft (grün). Man sah da oben gehen die Sonne, umhüllt von einer wunderschönen Aura. So ging die Sonne von Osten nach Westen.

Dann stellte man sich vor, daß es etwas gibt, wovon man etwa sagte, so, wie wenn man heute von einem Rohre sprechen würde: abends geht die Sonne in dieses Rohr hinein, morgens kommt sie aus diesem Rohre heraus (lila). Aber man sah die Sonne in diesem Rohre darinnen. Und man sah die Nachtsonne etwa so: in der Mitte einen grünblauen und ringsherum einen gelbroten Schein. So stellt man sich die Sonne vor, morgens aus dem Rohre heraus, in der Mitte hell, ringsherum von einer Aura umgeben. Sie geht über das Himmelsgewölbe, schlüpft im Westen in den Himmel, in das Rohr hinein, wird dunkel, hat eine Aura, die aber über das Rohr herausragt, und so geht sie unten weiter. Man sprach von einem Rohre, von einem Hohlraum, weil man ebendie Sonne dunkel, schwarz sah. Man sprach das aus, was man sah. Also auch, wenn man hinaufsah zum sonnenbesetzten Himmel, sah man den Unterschied nicht so stark zwischen Tag und Nacht wie heute.

Dagegen sah man etwas anderes in der damaligen Zeit sehr stark. Man sah hin auf seine Kindheit. Da hatte man die ersten sechs, sieben Jahre des Lebens zugebracht. Da sah man sich förmlich drinnenstekken noch in dem Göttlichen, in dem man darinnen war, bevor man auf die Erde herabgestiegen war. Dann sah man sich zwischen dem siebenten und vierzehnten Lebensjahre etwas herausschlüpfen aus dem aurischen geistigen Ei, weiter herausschlüpfen bis zu seinen Zwanzigerjahren; und erst wenn man in diesen Zwanzigerjahren war, fühlte man sich so recht auf der Erde. Da sah man dann etwas stärker den Unterschied zwischen Tag und Nacht.

Man sah am eigenen Menschenwesen eine Entwickelung heraufkommen, die in Zeiträumen von sechs, sieben Jahren verlief. Das stimmte einen zusammen mit dem Gang des Mondes, nicht der Sonne. Der Mond, der in achtundzwanzig Tagen voll und weniger beleuchtet erscheint, der stimmte einen zusammen mit dem, was man selbst erlebte durch die Zahl sechs, sieben, am eigenen Lebensgange. Und man empfand: Dasjenige, was da der Mond in einem Monat macht, das macht man in achtundzwanzig Jahren durch, in vier mal sieben Jahren. Und man drückte das in der äußeren Zeitrechnung aus; man schaltete alle sechs Jahre einen dreizehnten Monat ein. Man rechnete mit dem Monde, nicht mit der Sonne. Und man sah nicht hin auf die äußere Natur in der Weise wie heute. Heute sieht man, wenn man wacht, die äußere Natur in ihren scharfen Konturen ungeistig. Damals sah man bei Tag und Nacht die äußere Natur, nur nicht mit scharfen Konturen, aber man sah sie geistig aurisch. Heute sieht man bei Tag alles, bei Nacht nichts. Das alles drückt man dadurch aus, daß man der Sonne die Wichtigkeit beilegt, die Tag und Nacht bewirkt.

Diese Wichtigkeit hatte die Sonne für die alten Chaldäer in ihrer Mysterienweisheit nicht, sondern der Mond hatte diese Wichtigkeit, weil er in seinen Gestalten ein Abbild zeigte von dem, wie man selbst als Mensch heranwuchs. Man sah noch mehr auf den Menschen und seine Entwickelung hin. Man empfand sich ganz anders als Kind undals Jüngling und als erwachsener Mensch, während man heute das gar nicht empfindet. Es ist kein so großer Unterschied mehr zwischen den ersten sieben Jahren und den zweiten sieben Jahren, wenn man auf sie zurückblickt. Heute sind die Kinder schon gescheit, oh, so gescheit, daß man gar nicht mit ihnen auskommt. Man muß extra Erziehungsmethoden ersinnen, um mit den Kindern nur fertig zu werden. Sie sind so gescheit wie die Großen. Und alle Menschen sind gleich gescheit, wie alt sie auch sein mögen.

Das war im alten Chaldäa durchaus nicht der Fall. Da waren die Kleinen so, daß sie noch in dem Göttlich-Geistigen drinnensteckten, und man wußte später: als man klein war, da steckte man noch in dem Göttlich-Geistigen drinnen, und später wurde man erst irdisch, kroch aus dem aurischen Ei aus. Und man rechnete nicht mit dem, was die Sonne bewirkt, aber man zählte an dem Monde, an den Bildern, die der Mond nach der Siebenzahl angeordnet am Himmel darbietet; danach zählte man. Daher schaltete man im siebenten Jahre einen Monat ein — dasjenige, was sich auf den Mond bezog.

Aber diese äußere Kennzeichen der Zivilisationsentwickelung, daß wir heute mit Schalttagen, die Chaldäer mit Schaltmonaten gerechnet haben, das weist darauf hin in Wirklichkeit, daß der Bewußtseinsunterschied zwischen Tag und Nacht nicht vorhanden war bei den alten Chaldäern, dagegen mächtige Bewußtseinsunterschiede zwischen den einzelnen menschlichen Lebensaltern.

Wir sagen heute, wenn wir uns morgens den Schlaf aus den Augen wischen: Ich habe geschlafen. — Die alten Chaldäer wachten auf mit dem einundzwanzigsten, zweiundzwanzigsten Lebensjahre, wurden hell in ihrem Anschauen der Welt und sagten: Ich habe geschlafen bis zum einundzwanzigsten, zweiundzwanzigsten Lebensjahre. — Sie glaubten dann, daß sie bis in die Fünfzigerjähre wach lebten, daß sie dann aber allerdings nicht einschliefen als Greise, sondern in ein viel heller bewußtes Leben kämen. Daher wurden die Greise angesehen als diejenigen, welche weise waren, welche mit dem, was sie sich als Bewußtsein seit dem zwanzigsten Jahre erworben hatten, nun hineingingen in die Schlafeswelt, aber da ungemein hellsichtig wurden.

So erlebte der alte Chaldäer drei Bewußtseinszustände. Wir erleben zwei, den dritten nur angedeutet als Traumzustand: Wachen, Schlafen, Träumen. Diese drei Zustände erlebte nicht so im Tageswechsel der alte Chaldäer, sondern er erlebte einen dumpfen, schlafenden Bewußtseinszustand bis in die Zwanzigerjahre hinein; dann einen Zustand, in dem er mit der Welt lebte, einen Wachzustand, wo er sagte, daß er aufgewacht sei, bis in die Fünfzigerjähre hinein. Und dann einen Zustand, wo die anderen von ihm sagten: Der nimmt sein irdisches Bewußtsein in die geistige Welt hinein. Der ist jetzt so, daß er viel mehr weiß als die anderen. — Man sah zu den Alten als zu den Wissenden hinauf. Heute tut man das nicht. Heute betrachtet man sie als alte Schöpse, die schwachsinnig geworden sind. Das ist eben der große Unterschied, der bis in die innerste Konstitution des Menschenlebens hineingeht.

Diesen Unterschied muß man sich klarmachen, denn er bedeutet ungeheuer viel für das Menschenwesen. Wir schauen eben einfach die Welt nicht nur durch einen Bewußtseinszustand an. Man lernt die Welt nur kennen, wenn man weiß, wie der Bewußtseinszustand ist, der beim Kinde zum Beispiel im alten Chaldäa vorhanden war. Er gleicht, das heißt, er ist nicht gleich, sondern er ist nur ähnlich unserem Traumzustand. Aber er ist ein viel lebendigerer Traumzustand. Er ist ein Traumzustand, aus dem heraus gehandelt wird. Heute tritt das als Krankheitszustand auf. Was heute krank ist, war bei den Chaldäern ein Bewußtseinszustand des Kindes. Und der Tageszustand, den wir heute so philiströs empfinden, war noch nicht vorhanden. Ich sage philiströs, denn daß wir alle Menschen in ihren physischen Konturen haben, meine sehr verehrten Anwesenden, das ist ja philiströs; die Menschen in ihren scharfen Konturen wahrzunehmen und sie gar zu malen in diesen scharfen Konturen, ist philiströs. Gewiß, man wird das nicht zugeben, aber es ist so. Dieser Zustand, der war also im alten Chaldäa noch nicht vorhanden, sondern da sah man eben, wie ich es beschrieben habe, die Menschen physisch und aurisch. Und im Alter sah man durch den Menschen durch bis in die Seele hinein. Es war ein dritter Bewußtseinszustand, der heute ausgelöscht ist, denn es ist der Zustand, wo wir traumlos schlafen. Mit dem läßt er sich vergleichen.

Und so sehen wir, wenn wir die Sache historisch betrachten, daß wir beim Menschen, je weiter wir zurückgehen, auf verschiedene Bewußtseinszustände kommen, die sich immer mehr und mehr unterscheiden, während wir heute mit den Bewußtseinszuständen, die wir im gewöhnlichen Leben haben, gar nicht besonders Staat machen können. Darauf wird gar kein Wert gelegt, was der Mensch erlebt, wenn er ohne Träume schläft, denn davon weiß er in der Regel gar nicht viel zu erzählen. Es gibt ganz wenige Menschen, die wissen einem schon noch zu erzählen, was sie im traumlosen Schlafe auch heute noch erleben; aber es gibt eben ihrer wenig, sehr wenig. Träumen, sagt man, das ist eben Phantasie, und den Wachzustand betrachtet man als den respektablen, als denjenigen Zustand, worauf man etwas halten kann.

So war es bei den alten Chaldäern nicht. Der kindliche Bewußtseinszustand mit dem lebendigen, auch zur Aktivität führenden Träumen galt als derjenige, wo die Kinder noch halb drinnensteckten im vorirdischen Leben, wo sie, wenn sie etwas sagten, einem etwas sagen konnten, das der göttlichen Welt angehörte. Man hörte den Kindern zu, weil man wußte: die haben sich verschiedenes heruntergebracht aus der göttlichen Welt. Man sah ganz anders hin auf die Kinder damals.

Dann war der Bewußtseinszustand da, wo die Menschen schon irdisch waren, aber mit ihren Auren noch seelisch. Dann war der Bewußtseinszustand der Greise da. Wenn man ihnen zuhörte, war einem klar: da erfährt man etwas über die geistige Welt, da wird einem kundgegeben, was in der geistigen Welt vorgeht. Und von denen, die in den Mysterien immer höher und höher stiegen, von denen wurde gesagt: In den Fünfzigerjahren besiegen sie das bloß Sonnenhafte, treten ein in das eigentlich Geisteshafte, werden von Sonnenhelden zu Vätern — zu Vätern, die mit der geistigen Heimat der Menschen in Verbindung stehen.

So wollte ich Ihnen aus dem Historischen heraus andeuten, wie verschiedene Bewußtseinszustände da sind im Menschen.

Die naturhaft schaffende Phantasie des heutigen Traumes

Lassen wir zunächst, um die menschlichen Bewußtseinszustände zu betrachten, den traumlosen Schlaf des heutigen Menschen weg und betrachten wir dasjenige, was Sie ja alle kennen, den gewöhnlichen Wachzustand, den Sie eben dann haben, wenn Sie sagen: Ich bin wach, ich sehe die Gegenstände um mich her, ich sehe die anderen Menschen, ich höre sie zu mir sprechen, ich unterhalte mich mit ihnen und so weiter.

Und nehmen wir dann den zweiten Zustand, den Sie auch alle kennen, wo sie vermeinen, im Schlafe zu sein, wo aber aus dem Schlafe herauftauchen die oft so beängstigenden, oft so wunderbar befreienden Träume, denen gegenüber Sie, wenn Sie in gesunder Lebensverfassung sind, sagen müssen: Das sind Dinge, die nicht zum gewöhnlichen heutigen Leben gehören, die aus irgendeiner naturhaften Phantasie herauf sich leben und weben, die in der verschiedensten Weise an den Menschen herandringen. Der ganz philisterhafte Mensch wird nicht viel auf Träume hinschauen. Der abergläubische Mensch wird sie sich deuten lassen in einer äußerlichen Weise. Der poetische Mensch, der nicht philisterhafte, nicht abergläubische Mensch sieht aber noch auf dieses wunderbare Traumesweben und Traumesleben hin. Denn es dringt da aus naturhaften Tiefen des Menschen etwas herauf, was zwar nicht so seine Bedeutung hat, wie der Abergläubische es meint, was aber doch darauf hinweist, daß auch der im Schlaf befindliche Mensch aus dem Naturhaften herauf Erlebnisse hat, die aufsteigen wie Wolken, wie Nebel, wie schließlich auch Berge sich erheben, im Laufe von langen Zeiten wieder versinken. Nur daß das im Traumesleben schnell geht, während im Weltenall langsam die Gebilde auf- und nieder-steigen.

Und noch eine zweite Eigentümlichkeit haben die Träume. Wir träumen von Schlangen, die um uns sind, auch wohl von Schlangen, die uns berühren an unserem Körper. Menschen, welche in unfugartiger Weise zum Beispiel Kokain genießen, können dieses Schlangenerlebnis traumhaft in besonders hohem Maße haben. Wer sich dem Laster des Kokaingenusses hingibt, bei dem kriechen die Traumschlangen aus allen Winkeln des Leibes heraus in seiner Traumwahrnehmung, auch wenn er nicht schläft.

Und so können wir sagen: Wir sehen auf Träume hin, die so geartet sind, wie die eben beschriebenen. — Wir werden immer, wenn wir achtgeben auf das Leben, sehen, daß das solche Träume sind, die uns anzeigen, daß in unserem eigenen Inneren etwas nicht in Ordnung ist. Wir merken eine Verdauungsstörung, wenn wir solche Schlangenträume haben. Die Windungen der Verdauungsorgane symbolisieren sich uns in der Traumanschauung in Windungen von Schlangen.

Oder jemand träumt, er gehe spazieren und er komme plötzlich an eine Stelle, wo sich ein ganz weißer Pflock erhebt, der aber oben schadhaft ist — ein weißer Steinpflock, eine Steinsäule, die oben schadhaft ist. Er wird unruhig im Traume über diese schadhafte obere Spitze des Pflockes. Er wacht auf: Zahnschmerzen! Er fühlt sich unbewußt gedrängt, irgendeinen seiner Zähne anzugreifen, er fühlt ja den Zahn. Ich meine den heutigen, gewöhnlichen Menschen, nicht einen älteren Menschen, der über solche Dinge erhaben war. Ein richtiger heutiger Mensch sagt: Jetzt muß ich zum Zahnarzt gehen, da gehört ja eine kleine Plombe hinein, der Zahn ist schadhaft. Was ist denn da geschehen? Dieses ganze Zahnerleben, mit Schmerz verbunden, das eine Unordnung im ganzen Organismus darstellt, stellt sich im symbolischen Bilde dar. Der Zahn ist ein weißer Pflock, etwas schadhaft, etwas angefressen. Wir nehmen im Traumbilde etwas wahr, was eigentlich in unserem Inneren ist.

Oder aber wir träumen lebhaft, daß wir in einem Zimmer sind, in dem wir gar nicht atmen können. Wir geraten im Traume in innere Unruhe, was aber alles Traumerleben ist. Da — wir haben es früher nicht gesehen — steht in einer Ecke ein Ofen, der ganz heiß ist. Es ist zu stark eingeheizt. Ah, jetzt wissen wir im Traume, warum wir nicht atmen können: es ist heiß im Zimmer! Das alles im Traume. — Wir wachen auf. Wir haben ein heftiges Herzklopfen und einen stark laufenden Puls. Die Zirkulation, die ins Unregelmäßige geraten ist, symbolisiert sich in dieser Weise im Äußeren als Traum. Es ist etwas da, etwas, das in uns selber ist; wir nehmen es wahr, aber wir nehmen es nicht so wahr wie bei Tag. Wir nehmen es im symbolischen Bildewahr. Oder aber wir träumen davon, daß da draußen irgendwo außerhalb des Fensters lebhaft die Sonne scheint. Aber das Sonnenlicht beunruhigt uns. Wir werden unruhig im Traum über diese scheinende Sonne, an der wir sonst Wohlgefallen haben. Wir wachen auf — das Haus des Nachbarn brennt. Ein äußeres Ereignis symbolisiert sich nicht so, wie es ist, sondern in einem ganz anderen Bilde. So sehen wir schon, es ist eine naturhaft schaffende Phantasie im Traume. Äußeres drückt sich aus im Traume.

Nun brauchte es nicht dabei zu bleiben. Der Traum kann sich sozusagen aufraffen, seine eigene innere Bedeutung und Wesenheit zu haben. Wir träumen irgend etwas, und der Traum, der sich uns allerdings im Bilde darstellt, kann nicht auf ein Äußeres bezogen werden. Wenn wir nach und nach darauf kommen, sagen wir, daß sich im Traume eine ganz andere Welt zum Ausdruck gebracht hat. Es sind andere Wesen handelnd, da begegnet uns ein dämonisches oder auch ein elfenartig schönes Wesen. Also nicht nur, daß unsere gewöhnliche physisch-sinnliche Welt, wie sie an uns und außer uns ist, im Traume sich bildhaft darstellt, es kann sich in den Traum auch eine ganz andere Welt hereindrängen, als unsere ist. Menschen können von der höheren übersinnlichen Welt in sinnlichen Traumesbildern träumen.

So hat das heutige menschliche Bewußtsein den Traum neben dem gewöhnlichen Wachbewußtsein. Und man muß ja in der Tat sagen: Veranlagt sein zum Träumen macht uns eigentlich zu Poeten. — Die Menschen, die nicht träumen können, werden immer schlechte Poeten bleiben. Denn man muß sozusagen dasjenige, was naturhaft im Traume auftritt, übersetzen in die tagwachende Phantasie, um Poet, um überhaupt Künstler sein zu können, Künstler auf allen Gebieten.

Derjenige zum Beispiel, der mehr von der Art träumt, daß sich ihm äußere Gegenstände symbolisieren, wie das brennende Haus des Nachbarn durch die in das Zimmer hereinscheinende Sonne, der wird am nächsten Tag, nachdem er einen solchen Traum gehabt hat, sich angeregt fühlen zum Komponieren. Er ist ein Musiker. Derjenige, der, sagen wir, sein eigenes Herzklopfen als einen kochenden Ofen empfindet, der wird am nächsten Tag sich angeregt fühlen, zu modellieren, oder Architekturgebilde zu schaffen. Er ist Architekt oder Bildhauer oder auch Maler.

Diese Dinge hängen so zusammen, wie ich sie geschildert habe. Es bleibt im gewöhnlichen Bewußtsein bei dem, was ich eben beschrieben habe. Aber man kann jetzt weitergehen. Man kann dieses gewöhnliche Bewußtsein so ausbilden, wie ich es in meinen Büchern beschrieben habe, in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», das hier als «Initiation» übersetzt ist, oder in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», das hier übersetzt ist als «Occult Science». Man kann das gewöhnliche Bewußtsein dadurch ausbilden, daß man gewisse seelische Übungen macht — wir werden von ihnen noch zu sprechen haben —, man kann das ganze Gedankenleben, Gefühlsleben, Willensleben, das ganze Innenleben dadurch, daß man sich ganz bestimmten Vorstellungen und auch Sprachzusammenhängen hingibt, aktiver machen, so daß die Gedanken wie zum Greifen werden, daß die Gefühle wie lebendige Wesen werden. Ich werde das noch später zu beschreiben haben.

Dann tritt etwas ein, was der Anfang einer modernen Initiation ist. Dann tritt das ein, daß wir bei Tag fortträumen. Aber hier komme ich an einen Punkt, wo leicht Mißverständnisse möglich sind. Derjenige, der ganz naturhaft bei Tag ins Träumen hineinkommt, der ist mit seinem Träumen nicht besonders hoch zu schätzen. Allein derjenige, der trotz seines Tagträumens so wach ist wie ein anderer Mensch und dennoch fortträumen kann, deshalb, weil er Denken und Fühlen in sich viel aktiver gemacht hat als andere Menschen, der beginnt Initiat zu werden. Dann nämlich, wenn man dazu gelangt, dann tritt das Folgende ein. Dann sieht man wiederum — weil man doch ein vernünftiger Mensch ist, der während des Tages nicht unvernünftiger als die anderen ist, nicht allerlei tolle Streiche macht, weil man träumt, sondern weil man gerade so nüchtern ist am Tage wie die anderen vernünftigen Menschen -, dann sieht man auf der einen Seite den Menschen so, wie er ist für das gewöhnliche Bewußtsein: man sieht seine Nasenform, seine Augenfarbe, seine schöne oder häßliche Haaranordnung und so weiter. Man sieht alles, aber man fängt an, um den Menschen herum noch von etwas anderem zu träumen, aber jetztdie Wahrheit zu träumen, die Aura zu träumen, und den inneren geistigen Sinn der Handlungen, die zwischen Menschen vollbracht werden, geistig zu sehen. Man fängt an, im vollen Wachleben sinnvolle, wirklichkeitsgemäße Träume zu haben. Das Träumen hört morgens beim Aufwachen nicht auf, dauert bis zum Einschlafen, dann setzt es sich in Schlaf um. Aber es ist sinnvoll. Das, was man an dem Menschen sieht, ist wahrhaftig seelisch an ihm. Das, was man an Handlungen sieht, ist wahrhaftig geistig da. Man ist in einer wahrhaftigen Tätigkeit, wie sonst in bloßen Reminiszenzen oder im bloßen Traume. Aber man träumt geistige Realität.

Ein zweiter Bewußtseinszustand tritt zu dem ersten hinzu. Das Tagträumen wird ein höheres Wirklichkeitswahrnehmen, als es das gewöhnliche Anschauen im philisterhaften Leben ist. Man sieht während des vollen wachen Bewußtseins etwas zu der gewöhnlichen Wirklichkeit hinzu, was eine höhere Wirklichkeit ist. Der gewöhnliche Traum nimmt uns etwas von der Wirklichkeit. Er gibt uns nur phantastische Fetzen. Das, was man in der jetzt geschilderten Weise bei Tag träumt, womit sich alles durchsetzt, die einzelne menschliche Gestalt durchsetzt, die Tiere, die Pflanzen sich durchsetzen, wo die Handlungen sinnvolle Wahrnehmungen werden, so daß geistiger Inhalt in den Handlungen darinnen liegt, das alles gibt einem zu der gewöhnlichen Wirklichkeit etwas hinzu, macht diese Wirklichkeit reicher.

Sehen Sie, da fügt sich tatsächlich zu dem, was man sonst im gewöhnlichen Bewußtsein wahrnimmt, ein Zweites hinzu, und man fängt jetzt an, die Welt ganz, ganz anders zu sehen. Am eklatantesten zeigt sich dieses Anderssehen, wenn man nun Tiere ansieht, die tierische Welt. Diese tierische Welt, sie erscheint einem jetzt so, daß man sagt: Ja, was habe ich denn vorher eigentlich gesehen? Nur einen Teil von dieser Welt habe ich ja gesehen. Das ist ja gar nicht alles, was ich früher von dem Tierischen gesehen habe. Ich habe ja nur das Äußere von den Tieren gesehen. Eine ganz neue Welt fügt sich hinzu zu den Tieren, so daß für jede Tiergattung, für alle Löwen, für alle Tiger, für alle verschiedenen Tiergattungen etwas da ist, was einem Menschen gleicht, was richtig einem Menschen gleicht. So eine Tierartwird wirklich etwas ganz Besonderes. Es läßt sich schwer am Bilde des Menschen veranschaulichen, aber ich bitte Sie, das in folgender Weise zu machen.

Denken Sie sich einmal, Sie ergänzen gewissermaßen Ihren Leib. Binden Sie sich an jeden Finger Ihrer Hände einen Faden, also zehn Fäden an, und am Ende eines jeden Fadens eine Kugel in einer gewissen Ferne, die vielleicht sogar mit allerlei Figuren bemalt ist. Dann haben Sie also zehn solche Schnüre. Nun eignen Sie sich ein furchtbar behendes Spiel Ihrer Finger an, so daß sie alle möglichen Bewegungen machen. Und jetzt machen Sie das auch mit Ihren Zehen. An jede Zehe binden Sie sich einen Faden an, am Ende eines jeden Fadens eine Kugel mit Figuren. Und jetzt gewöhnen Sie sich, so geschickt zu springen und die Zehen so geschickt zu bewegen, daß etwas ganz Wunderbares entsteht aus dieser Form. Jeder Finger ist viel länger und hat am Ende solch eine Kugel, die Figuren hat, und jede Ihrer Zehen hat das auch.

Denken Sie sich, Sie sehen das nun mit Ihrer menschlichen Gestalt verbunden. Ihre Seele beherrscht das alles. Jede Kugel ist ein Einzelnes, aber in dem Augenblick, wo man das alles anschaut, glaubt man, das gehöre alles dazu. Sie sind nicht so verbunden mit allen diesen Kugeln und Schnüren wie mit Ihren Fingern und Zehen. Aber Sie beherrschen das alles. Das ist alles eine Einheit. Wenn Sie anfangen, das so zu beherrschen, wie ich es erzählt habe, so sehen Sie da oben die Löwenseele, und die einzelnen Löwen, die hängen so daran wie die Kugeln. Das ist eine Einheit. Vorher, wenn Sie die zwanzig Kugeln da liegen haben und schauen die zwanzig Kugeln an, dann ist das eine Welt für sich. Nun kommen Sie und fügen den Menschen dazu, fügen die ganze innere Beweglichkeit dazu — da wird es etwas ganz Neues. So ist es mit Ihrer Anschauung. Sie sehen da die Löwen einzeln herumgehen. Das ist so wie die Kugeln, die da herumgehen. Jetzt sehen Sie hin auf die selbstbewußte Löwenseele, die ja so wie ein Mensch ist in der geistigen Welt, und die einzelnen Löwen sehen Sie wie aufgefangen in den Kugeln, sehen da überall aus dem Selbstbewußtsein des Löwen die einzelnen Löwen herauskommen. Sie sind aufgestiegen zu einer ganz neuen Wesenheit.

Und so steigen Sie für alles im Tierreich auf zu ganz neuen Wesenheiten. Die Tiere haben auch so etwas wie Menschen an sich, Seelenhaftes, aber das ist nicht in der Welt, in der der Mensch sein Seelenhaftes hat. Wenn Sie durch die Welt gehen, dann tragen Sie ganz aufdringlich auf der Erde Ihre Seele herum mit dem Selbstbewußtsein. Jedem Menschen können Sie Ihr Selbstbewußtsein an den Kopf werfen. Das kann der Löwe nicht. Aber da gibt es eine zweite Welt. Die grenzt an diese Welt, wo wir unser Selbstbewußtsein jedem Menschen an den Kopf werfen. Aber da droben, da tun das die Löwenseelen. Für die sind die einzelnen Löwen nur solche torkelnden Kugeln. So daß wir frappiert werden, besonders wenn wir das Tierreich in seiner wahren Wesenheit betrachten, durch ein Bewußtsein, das wir uns angeeignet haben. Da kommt eine zweite Welt dazu.

Und jetzt sagen wir uns: Ach, in dieser Welt sind wir als Menschen ja auch eigentlich drinnen. Aber wir schleppen diese Welt hier herunter in die gewöhnliche Erdenwelt. — Das Tier läßt etwas oben: seine Gattungsseele, seine Artseele, und geht nur mit demjenigen, was da auf vier Beinen herumgeht, auf der Erde herum. Wir schleppen das, was die Tiere oben lassen, auf die Erde herunter, bekommen dadurch auch einen anders gestalteten Körper als das Tier, aber wir schleppen es eben doch herunter. So daß wir sagen können: Dasjenige, was in uns ist, gehört auch dieser höheren Welt an, nur schleppen wir es hier in die Erdenwelt herein als Menschen. Und so, sehen Sie, machen wir also Bekanntschaft mit einer ganz anderen Welt, mit einer Welt, die wir zunächst an den Tieren wahrnehmen. Aber wir müssen ein anderes Bewußtsein noch haben. Wir müssen das Traumbewußtsein zum Erwachen bringen, dann können wir in dasjenige hineinschauen, was in der Tierwelt noch vorhanden ist. Derjenige, der das kann, der nennt dann diese zweite Welt die Seelenwelt gegenüber der physischen Welt, oder den Seelenplan, den Astralplan gegenüber dem physischen Plan. Das, was Astralplan, Astralwelt ist gegenüber der physischen Welt, das erreicht man durch ein anderes Bewußtsein. Man muß sich also bekanntmachen damit, daß andere Bewußtseine uns in Welten hineinschauen lassen, die nicht die Welt sind des gewöhnlichen Lebens.

Weitere Durchkraftung des Seelenlebens

Man kann nun in der Durchkraftung und Verstärkung des Seelenlebens noch weitergehen. Man kann nicht nur, so wie ich es in den genannten Büchern beschrieben habe, meditieren, sich konzentrieren, sondern man kann anstreben, das, was man als starken Seeleninhalt in der Seele hat, wiederum fortzuschaffen. So daß man dazu kommt, nachdem man zuerst mit aller Gewalt das Seelenleben verstärkt hat, das Denken, das Fühlen stark gemacht hat, das alles wiederum abzuschwächen und sogar ins Nichts zurückzuführen. So daß dasjenige hergestellt ist, was man leeres Bewußtsein nennen kann.

Nun, wenn man im gewöhnlichen Bewußtsein dieses Bewußtsein leer macht, schläft man ein. Man kann das ja auch experimentell machen. Man hat einen Menschen. Man entzieht ihm zunächst die Augeneindrücke, so daß er im Dunklen ist. Man entzieht ihm alle Gehörseindrücke, so daß er im Stummen, Lautlosen ist. Dann versucht man auch die anderen Sinne abzustumpfen. Der Mensch schläft allmählich ein. So ist es nicht, wenn man zunächst Denken und Fühlen verstärkt. Da kann man ganz willkürlich das Bewußtsein leer machen, und man wacht. Man tut nichts als wachen durch seine Willkür. Man schläft nicht ein. Aber man hat nicht mehr die Sinneswelt vor sich. Man hat nicht mehr seine gewöhnlichen Gedanken und Erinnerungen in sich. Man hat leeres Bewußtsein. Da kommt aber nun sogleich eine wirkliche geistige Welt herein in dieses leere Bewußtsein. So wie im gewöhnlichen Tagesbewußtsein die Sinneswelt mit ihren Farben, mit ihren Tönen, mit ihrem Wärmereichtum hereinkommt, so kommt in dieses leere Bewußtsein eine geistige Welt herein. Wir sind umgeben, wenn wir erst das Bewußtsein wach und leer gemacht haben, von einer geistigen Welt.

Wiederum können wir frappierend intensiv dieses neue Bewußtsein und diesen Zusammenhang mit einer geistigen Welt wahrnehmen an etwas in der äußeren Natur. Wie wir vorher gewissermaßen die nächste Schichte des Bewußtseins wahrgenommen haben an der anderen Art, wie wir die Tiere anschauen, so können wir jetzt das anders gewordene Bewußtsein, das Auftreten der neuen Schichte des Bewußtseins wahrnehmen an dem ganz Andersartigen, was wir an den Pflanzen sehen, an der Pflanzenwelt der Erde.

Wie sehen wir die Pflanzenwelt der Erde im gewöhnlichen Bewußtsein? Wir gehen hin über die Erde, wir sehen herauswachsen aus der mineralischen Erde den Farbenreichtum und die Grünheit der Pflanzenwelt. Wir erfreuen uns an dem, was blau und gelb und rot und weiß blüht, was grün lebt. Wir nehmen diesen ganzen Teppich der Pflanzenwelt wahr, lassen ihn auf unser Gemüt wirken. Es wird innerlich lebendig. Es wird innerlich voller Freude. Es erhebt sich zu innerlichem Aufjauchzen, wenn wir diese wunderbar farbenglänzende Pflanzendecke über die Erde hingebreitet und aus der Erde herausragen sehen. Jetzt schauen wir auf. Wir erblicken oben die Sonne, die uns blendet. Wir schauen hinaus in das blaue Himmelszelt. Wir erblicken nichts Besonderes als das, was sich uns eben bei Tag darbietet, wenn wir einen wolkenfreien oder wolkenbedeckten Tag haben, was Sie ja alle kennen. Wir wissen zunächst nicht, was es für eine Beziehung hat, die Pflanzendecke, den Pflanzenteppich der Erde anzuschauen und hinaufzuschauen.

Wir können aber auch noch weitergehen. Nehmen wir an, wir haben innerlich die tiefste Freude erlebt an dem Tagesteppich, der in der Pflanzenwelt die Erde bedeckt. Wir warten an einem schönen Tage bis zur hereinbrechenden Nacht. Wir blicken jetzt hinauf auf das Himmelsgezelt. Wir sehen die mannigfaltig angeordneten, in Figuren aufleuchtenden, über den ganzen Himmel hin sich breitenden Sterne funkeln, glänzen. Ein neues Aufjauchzen der Seele beginnt, etwas, was von oben wirkt, was von oben in unsere Seele freudig-innerliches Aufjauchzen hereinsendet.

So können wir bei Tag hindeuten auf dasjenige, was in der Erde wächst in dem farbenreichen Teppich der Erde, in der Pflanzenwelt: ein innerlich uns mit Freude, mit Jauchzen durchdringendes Wahrnehmen. Wir können dann hinaufblicken, können das uns bei Tag blau erscheinende Himmelsgewölbe nachts besät sehen mit den funkelnden, glänzenden Sternen. Wir können innerlich aufjauchzen über das, was sich von oben herunter in unserer Seele offenbart. Das gilt für das gewöhnliche Bewußtsein.

Haben wir jenes Bewußtsein ausgebildet, das leer, aber wach ist, in das die geistige Welt hereingebrochen ist, dann sagen wir uns, wenn wir während des Tages unseren Blick ausbreiten über die Pflanzendecke und des Nachts hinaufschauen auf die glänzenden, funkelnden Sterne: Ja, während des Tages hat uns angelockt, mit innerlichem Jauchzen durchdrungen dasjenige, was als Farbenteppich die Erde bedeckt. — Aber was haben wir denn da eigentlich bei Tag gesehen? Jetzt blicken wir hinauf während der Nacht zum sternenglänzenden Himmel. Die Sterne funkeln nicht mehr bloß vor diesem wachend leeren Bewußtsein, das heißt für die Erde leeren Bewußtsein. Die Sterne nehmen die mannigfaltigsten Gestalten an. Das bloße Funkeln der Sterne hat aufgehört, und da oben ist wunderbares Wesenhaftes. Da breitet sich aus wachsendes, webendes Leben, groß und gewaltig und erhaben. Und wir stehen erkennend in Anbetung, anbetend im Erkennen. Ja, wir haben eine mittlere Stufe der Initiation erreicht und sagen uns: Pflanzen, die sind ja erst da oben. Die wirklichen Pflanzenwesen, das ist dasjenige, was uns vorher nur in einzelnen Punkten in den Sternen entgegengestrahlt hat. — Es ist ja jetzt so, als ob da oben die wahre Pflanzenwelt erst wäre. Es ist, als ob das Veilchen uns nicht als Veilchen erschiene, sondern als ob von dem Veilchen des Morgens, wenn es voll Tau wäre, wir nicht das Veilchen, sondern nur die einzelne Tauperle erglänzen sehen würden. Wenn wir nur den einzelnen Stern sehen, da funkelt ja die einzelne Tauperle in dem Stern. In Wahrheit ist dahinter eine mächtige, wesenhafte, webende Welt. Zu der schauen wir hinauf. Jetzt wissen wir, was Pflanzenwelt ist. Die ist gar nicht auf der Erde, die ist draußen im Kosmos, ist mächtig und erhaben und gewaltig und groß. Und was ist das, was wir da unten gesehen haben bei Tag in der farbigen Pflanzendecke, was ist das? Das ist das Spiegelbild von da oben.

Und wir wissen jetzt, der Kosmos mit seinem webenden Gestaltenleben, mit seinem wesenhaften Gestaltenleben, der spiegelt sich auf der Erde. Die ist ein Spiegel in ihrer Oberfläche. Wenn wir in einen Spiegel schauen, wissen wir, das ist nur Spiegelbild von uns. Wir stehen da. Wir spiegeln uns, so wie wir sind in der äußeren Form. Die Seele ist nicht darinnen. Der Himmel spiegelt sich nicht an der Erde in einer so ganz adäquaten Weise, sondern so, daß er in den Pflanzenfarben gelb, grün, blau, rot, weiß erglänzt. Das ist das Spiegelbild des Himmels, das schwache, schattenhafte Spiegelbild des Himmels. Und wir haben eine neue Welt kennengelernt. Da oben sind die Pflanzen Menschen, Wesen mit Selbstbewußtsein. Und zu der gewöhnlichen physischen Welt, zu der astralen Welt haben wir eine dritte, eine eigentlich geistige Welt hinzu. Die Sterne sind ja wie Tauperlen, die kosmischen Tauperlen aus dieser Welt. Die Pflanzen sind das Spiegelbild dieser Welt. Sie sind hier nicht alles, was an ihnen ist; ja sie sind in dem, als was sie uns auf der Erde hier erscheinen, nicht einmal eine Wesenheit, sie sind bloßes Spiegelbild gegenüber der unendlich mannigfaltig-reichen, intensiven Realität, die da oben in der eigentlich geistigen Welt ist, und aus der die einzelnen Sterne als die kosmischen Tauperlen herausglänzen. Wir haben eine dritte, die eigentlich geistige Welt, und wir wissen jetzt, all das herrliche Pflanzenwesen spiegelt ja nur diese Welt ab.

Und jetzt lernen wir kennen, wie wir als Menschen auch dasjenige in uns tragen, was von den Pflanzen die eigentliche Wesenheit da oben ist. Wir bringen nur ins Spiegelleben der Erde herunter das, was die Pflanzen oben lassen. Die Pflanzen bleiben oben im Geisterland. Sie senden auf die Erde ihre Spiegelbilder. Die Erde füllt sie ihnen mit Materie, mit Erdenmaterie aus, diese Spiegelbilder. Wir Menschen tragen unser Seelenhaftes, das auch dieser Welt angehört, hier in diese Spiegelwelt herein, sind nicht bloße Spiegelbilder, sondern sind jetzt auf Erden auch seelische Realitäten. Wir leben auf Erden zunächst in drei Welten: in der Welt des Physischen, in der Welt, in der die Tiere mit ihrem Selbstbewußtsein nicht leben. Aber wir leben als Menschen

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Abbildung 2
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zu gleicher Zeit in einer zweiten Welt, in der die Tiere mit ihrem Selbstbewußtsein leben, in der astralischen Welt. Nur tragen wir diese mit uns herunter in die physische Welt. Wir leben auch noch in der dritten Welt, in der Welt, in der die Wahrheit des Pflanzenwesens lebt, in der geistigen Welt. Nur senden die Pflanzen auf die Erde bloß ihre Spiegelbilder herunter, wir unsere Seelenrealitäten. Und jetzt können Sie sagen: Ein Wesen, das hier auf der Erde Leib, Seele und Geist hat, lebt mit Leib, Seele und Geist in der physischen Welt und ist Mensch.

Ein Wesen, das auf der Erde Leib und Seele hat, aber in einer angrenzenden zweiten Welt den Geist hat, dadurch weniger wirklich ist in der physischen Welt, ist das Tier.

Ein Wesen, welches in der physischen Welt nur seinen Leib hat, in der zweiten Welt seine Seele, und in einer weiteren, dritten Welt seinen Geist, so daß der Leib nur noch das Spiegelbild des Geistes ist, nur von irdischer Materie ausgefüllt, das ist die Pflanze.

Sie erkennen an der Natur drei Welten. Sie erkennen, daß der Mensch diese drei Welten in sich trägt. Sie fühlen gewissermaßen die Pflanzen bis zu den Sternen hinaufwachsen. Sie sehen sich die Pflanzen an, sagen sich: Du bist ein Wesen, von dem ich ja auf Erden nur das Spiegelbild sehe, das wesenlose Spiegelbild. Je mehr ich den Blick hinaufwende, zu den Sternen des Nachts aufschaue, desto mehr sehe ich das wahre Wesen da oben. Natur, sie wird ganz, wenn ich von der Erde aufschaue bis zu den Sternen, wenn ich den Kosmos mit der Erde als eines anschaue. Dann schaue ich zurück auf mich als Mensch und sage mir: Was in der Pflanze bis da nach oben reicht, ich habe es auf der Erde in mir zusammengeschoben. Ich trage in mir als Mensch die physische, die astralische, die geistige Welt.

Das durchschauen, mit der Natur hinaufzuwachsen bis zu den Himmeln, in den Menschen hineinzuwachsen bis dahin, wo die Himmel sich in ihm eröffnen, das heißt, zum Geistesforschen aufsteigen.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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