ZWEITER
VORTRAG Torquay, 12. August 1924
Die
drei Welten und ihre Spiegelbilder
Bewußtseinsunterschiede der alten und der neuen Zeit
Tafel 2, 12. August 1924
Wenn
man über geistige Forschung sich eine Anschauung bilden
will, muß man vor allen Dingen zunächst einen Begriff
bekommen von verschiedenen Bewußtseinszuständen, in
denen die menschliche Seele sich befinden kann. Im
gewöhnlichen Leben, das der Mensch heute in diesem
Zeitalter auf der Erde führt, befindet er sich in einem
ganz bestimmten Bewußtseinszustande. Dieser
Bewußtseinszustand ist dadurch charakterisiert, daß
der Mensch einen gewissen Unterschied zwischen dem Wachen und
dem Schlafen erlebt, die ungefähr, wenn auch nicht der
Zeit nach zusammenfallend, übereinstimmen mit dem Gang der
Sonne um die Erde beziehungsweise der Erde um sich selbst. In
unserer gegenwärtigen Zeit ist zwar die Ordnung, auf die
ich hiermit deute, in einer gewissen Weise durchbrochen. Wenn
wir aber in nicht sehr alte Zeiten mit dem
regelmäßigen Leben zurückschauen, so finden wir
ja, daß die Menschen damals von Sonnenaufgang
ungefähr bis Sonnenuntergang gearbeitet haben und von
Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang geschlafen haben.
In
unserer Zeit ist das etwas durchbrochen. Ich habe sogar schon
Menschen kennengelernt, die die Sache umgekehrt haben, indem
sie bei Tag geschlafen haben und in der Nacht wach gewesen
sind. Ich habe oftmals nachgeforscht, warum das so sei. Da
haben die betreffenden Menschen, die gerade in meiner
Bekannschaft dann meistens Dichter oder Schriftsteller waren,
gesagt, daß das eben so zum Dichten gehört. Aber ich
habe die betreffenden Menschen dann niemals, wenn ich sie bei
Nacht getroffen habe, beim Dichten angetroffen!
Nun, ich möchte eben darauf hindeuten, meine sehr
verehrten Anwesenden, daß für das heutige
Bewußtsein das die allerwichtigste Tatsache ist, sozusagen
während der Sonnenzeit sich wach zu befinden, oder eine
Zeit, die so lang ist wie die Sonnenzeit, sich wach zu
befinden, und eine Zeit, die so lang ist wie die Nachtzeit,
sich schlafend zu befinden. Mit einem Bewußtsein, das
solches erlebt, ist aber vieles, vieles andere verbunden. Es
ist damit verbunden, daß man einen gewissen ganz
bestimmten Wert auf die Sinneswahrnehmungen legt. Man sieht in
den Sinneswahrnehmungen die hauptsächlichste Wirklichkeit.
Und wenn man von den Sinneswahrnehmungen zu den Gedanken
übergeht, sieht man in den Gedanken eben etwas bloß
Gedachtes, etwas, was nicht so wirklich ist, wie die
Sinneswahrnehmungen wirklich sind.
Der
Mensch sieht heute den Stuhl als etwas Wirkliches an. Er kann
ihn auf den Boden aufstoßen. Er hört das auch. Er
sieht das als etwas ganz Wirkliches an. Er weiß auch,
daß er sich auf den Stuhl setzen kann. Allein den Gedanken
des Stuhles sieht der Mensch nicht als etwas Wirkliches an.
Wenn er den Gedanken, von dem er glaubt, daß er in seinem
Kopfe ist, aufschlägt, dann hört er das nicht. Und
der Mensch glaubt auch nicht — für die heutige
Konstitution des Menschen natürlich mit Recht-, daß
er sich auf den Gedanken des Stuhles niedersetzen kann. Und Sie
wären wohl alle nicht zufrieden, wenn wir Ihnen bloß
Gedanken von Stühlen in den Saal hereingestellt
hätten!
Nun, vieles andere noch ist verbunden mit diesem Erleben des
Bewußtseins, das sich nach der Sonne richtet. Das war
nicht so der Fall bei denjenigen Menschen, die ihre
Unterweisungen, die die Anregungen zu allen ihren
Lebensverhältnissen von den Mysterien, zum Beispiel der
Chaldäer, die ich gestern erwähnt habe, erhalten
haben. Diese Menschen lebten auch in ihrem Bewußtsein ganz
anders als heutige Menschen.
Zunächst, sehen Sie, kann ich eine Äußerlichkeit
anführen, welche Ihnen zeigen kann, wie der
Bewußtseinsunterschied der damaligen Zeit und der heutigen
Zeit bei den Menschen ist. Wir kommen mit unserer
Jahresberechnung, das Jahr zu dreihundertfünfundsechzig
Tagen angenommen, nicht ordentlich zurecht. Wenn wir so
fortzählen würden durch die Jahrhunderte, daß
wir immer das Jahr zu dreihundertfünfundsechzig Tagen
zählten, so würde zuletzt etwas herauskommen, das mit
dem Sonnenstande nicht mehr stimmte. Wir würden
zurückbleiben hinter der Sonne und ihren Zuständen.
Wir machen daher dieses, daß wir alle vier Jahre einen Tag
einschalten. Dann kommen wir ungefähr im Laufe
längerer Zeiträume mit dem Stand der Sonne
zurecht.
Wie
haben das die Chaldäer gemacht in ihren ältesten
Zeiten? Nicht so wie wir. Sie haben für lange
Zeiträume eine ähnliche Zählung gehabt wie wir,
aber sie haben sie anders erreicht. Sie haben nötig
gehabt, weil sie das Jahr zu dreihundertsechzig Tagen gerechnet
haben, alle sechs Jahre einen ganzen Schaltmonat
einzufügen, nicht wie wir ein Schaltjahr nach vier Jahren
mit einem Schalttag, sondern nach sechs Jahren einen
Schaltmonat einzufügen. So daß sie sechs Jahre mit
zwölf Monaten gehabt haben, dann ein Jahr, das siebente,
mit dreizehn Monaten, sechs Jahre mit zwölf Monaten,
wiederum das siebente mit dreizehn Monaten und so fort.
Sehen Sie, solche Dinge registrieren die heutigen Gelehrten.
Sie sagen, das war so. Aber daß das mit intensiven
Änderungen des Bewußtseinszustandes der Menschen
verbunden ist, das weiß man nicht. Diese Menschen, die
nicht einen Schalttag nach vier Jahren, sondern einen
Schaltmonat nach sechs Jahren eingeschaltet haben, schauten die
Welt ganz anders an als wir. Warum? Weil sie diesen Unterschied
zwischen Tag und Nacht gar nicht so empfanden wie wir heute.
Sie empfanden, wie ich schon gestern angedeutet habe, bei Tag
nicht eine solche Klarheit und Helligkeit wie wir heute. Wenn
irgend jemand mit dem heutigen Bewußtsein sich hierher
stellt und in den Saal hineinsieht, sieht er die Menschen so
— nun, wie Sie das wissen — mit scharfen Konturen.
Bei dem einen sind sie weiter auseinandergetrieben, bei dem
anderen schmäler und so weiter, aber man sieht die
Menschen mit scharfen Konturen.
Das
war nicht so bei denjenigen, die aus den alten
chaldäischen Mysterien ihre Anregungen bekommen haben. Es
war ganz anders bei ihnen. Man sah dazumal die Menschen sitzen
— wenn ich jetzt dieses Bild gebrauche — nicht so,
wie wir jetzt sitzen, das war nicht üblich dazumal, aber
man sah die Menschen sitzen mit einem aurischen Nebel umgeben,
den man mit zum Menschen dazurechnete. Undwährend man
jetzt so philiströs jeden Menschen mit scharfen Konturen
auf seinem Stuhle sitzen sieht, und das Ganze sich so ausnimmt,
daß man ganz bequem zählen kann, hätte man
dazumal so gesehen, daß man die linke und die rechte
Stuhlanordnung hier so in einer Art von aurischer Wolke, die
sich hinzog wie ein Gas, gesehen hätte, hier eine Wolke,
da eine Wolke, und dann dunklere Stellen, und diese dunklen
Stellen hätten die Menschen angedeutet.
So hätte man,
nicht im späteren, aber im ältesten Chaldäa noch
dieses Bild gesehen. Bei Tag würde man nur die Stellen in
diesem
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aurischen
Nebelgebilde dunkel gesehen haben. Bei Nacht hätte man etwas
ganz Ähnliches gesehen und auch im Schlafzustand, denn der
war dazumal nicht so tief wie der heutige. Er war mehr
träumerisch. Man hätte das nicht so gesehen, wie man
heute das sehen würde. Wenn heute einer schliefe und Sie
alle hier sitzen würden, so würde er gar nichts von
Ihnen sehen, wenn Sie auch alle hier sitzen würden. Dieser
Schlaf war dazumal gar nicht erreicht, sondern man sah auch im
Schlafe die Traumgestalt der aurischen Wolke links und rechts,
und darinnen die einzelnen Menschen als Lichtgestalt, bei Tag
in der aurischen Wolke dunkel, bei Nacht in der aurischen Wolke
als Lichtgestalt.
Also einen so großen Unterschied im Anschauen der
täglichen und der nächtlichen Verhältnisse, wie
das heute der Fall ist, gab es dazumal nicht. Und so hat man
auch nicht den Unterschied zwischen der am Himmel stehenden
Sonne und der in der Nacht abwesenden Sonne empfunden, sondern
man hat die Sache so empfunden, daß man die Sonne bei Tag
als eine Lichtkugel, als einen Lichtkreis gesehen hat,
ringsherum aber eine wunderbare Sonnenaura, so etwa, daß
ich das in der folgenden Weise zeichnen könnte. Man hat
sich vorgestellt: da unten ist die Erde (dunkelblau), oben
überall Wasser, ganz oben Schnee liegend. Von da oben,
stellte man sich vor, kommt der Euphrat. Dann dachte man sicher
über dem Ganzen die Luft (grün). Man sah da oben
gehen die Sonne, umhüllt von einer wunderschönen
Aura. So ging die Sonne von Osten nach Westen.
Dann stellte man sich vor, daß es etwas gibt, wovon man
etwa sagte, so, wie wenn man heute von einem Rohre sprechen
würde: abends geht die Sonne in dieses Rohr hinein,
morgens kommt sie aus diesem Rohre heraus (lila). Aber man sah
die Sonne in diesem Rohre darinnen. Und man sah die Nachtsonne
etwa so: in der Mitte einen grünblauen und ringsherum
einen gelbroten Schein. So stellt man sich die Sonne vor,
morgens aus dem Rohre heraus, in der Mitte hell, ringsherum von
einer Aura umgeben. Sie geht über das Himmelsgewölbe,
schlüpft im Westen in den Himmel, in das Rohr hinein, wird
dunkel, hat eine Aura, die aber über das Rohr herausragt,
und so geht sie unten weiter. Man sprach von einem Rohre, von
einem Hohlraum, weil man ebendie Sonne dunkel, schwarz sah. Man
sprach das aus, was man sah. Also auch, wenn man hinaufsah zum
sonnenbesetzten Himmel, sah man den Unterschied nicht so stark
zwischen Tag und Nacht wie heute.
Dagegen sah man etwas anderes in der damaligen Zeit sehr stark.
Man sah hin auf seine Kindheit. Da hatte man die ersten sechs,
sieben Jahre des Lebens zugebracht. Da sah man sich
förmlich drinnenstekken noch in dem Göttlichen, in
dem man darinnen war, bevor man auf die Erde herabgestiegen
war. Dann sah man sich zwischen dem siebenten und vierzehnten
Lebensjahre etwas herausschlüpfen aus dem aurischen
geistigen Ei, weiter herausschlüpfen bis zu seinen
Zwanzigerjahren; und erst wenn man in diesen Zwanzigerjahren
war, fühlte man sich so recht auf der Erde. Da sah man
dann etwas stärker den Unterschied zwischen Tag und
Nacht.
Man
sah am eigenen Menschenwesen eine Entwickelung heraufkommen,
die in Zeiträumen von sechs, sieben Jahren verlief. Das
stimmte einen zusammen mit dem Gang des Mondes, nicht der
Sonne. Der Mond, der in achtundzwanzig Tagen voll und weniger
beleuchtet erscheint, der stimmte einen zusammen mit dem, was
man selbst erlebte durch die Zahl sechs, sieben, am eigenen
Lebensgange. Und man empfand: Dasjenige, was da der Mond in
einem Monat macht, das macht man in achtundzwanzig Jahren
durch, in vier mal sieben Jahren. Und man drückte das in
der äußeren Zeitrechnung aus; man schaltete alle
sechs Jahre einen dreizehnten Monat ein. Man rechnete mit dem
Monde, nicht mit der Sonne. Und man sah nicht hin auf die
äußere Natur in der Weise wie heute. Heute sieht man,
wenn man wacht, die äußere Natur in ihren scharfen
Konturen ungeistig. Damals sah man bei Tag und Nacht die
äußere Natur, nur nicht mit scharfen Konturen, aber
man sah sie geistig aurisch. Heute sieht man bei Tag alles, bei
Nacht nichts. Das alles drückt man dadurch aus, daß
man der Sonne die Wichtigkeit beilegt, die Tag und Nacht
bewirkt.
Diese Wichtigkeit hatte die Sonne für die alten
Chaldäer in ihrer Mysterienweisheit nicht, sondern der
Mond hatte diese Wichtigkeit, weil er in seinen Gestalten ein
Abbild zeigte von dem, wie man selbst als Mensch heranwuchs.
Man sah noch mehr auf den Menschen und seine Entwickelung hin.
Man empfand sich ganz anders als Kind undals Jüngling und
als erwachsener Mensch, während man heute das gar nicht
empfindet. Es ist kein so großer Unterschied mehr zwischen
den ersten sieben Jahren und den zweiten sieben Jahren, wenn
man auf sie zurückblickt. Heute sind die Kinder schon
gescheit, oh, so gescheit, daß man gar nicht mit ihnen
auskommt. Man muß extra Erziehungsmethoden ersinnen, um
mit den Kindern nur fertig zu werden. Sie sind so gescheit wie
die Großen. Und alle Menschen sind gleich gescheit, wie
alt sie auch sein mögen.
Das
war im alten Chaldäa durchaus nicht der Fall. Da waren die
Kleinen so, daß sie noch in dem Göttlich-Geistigen
drinnensteckten, und man wußte später: als man klein
war, da steckte man noch in dem Göttlich-Geistigen
drinnen, und später wurde man erst irdisch, kroch aus dem
aurischen Ei aus. Und man rechnete nicht mit dem, was die Sonne
bewirkt, aber man zählte an dem Monde, an den Bildern, die
der Mond nach der Siebenzahl angeordnet am Himmel darbietet;
danach zählte man. Daher schaltete man im siebenten Jahre
einen Monat ein — dasjenige, was sich auf den Mond
bezog.
Aber diese äußere Kennzeichen der
Zivilisationsentwickelung, daß wir heute mit Schalttagen,
die Chaldäer mit Schaltmonaten gerechnet haben, das weist
darauf hin in Wirklichkeit, daß der
Bewußtseinsunterschied zwischen Tag und Nacht nicht
vorhanden war bei den alten Chaldäern, dagegen
mächtige Bewußtseinsunterschiede zwischen den
einzelnen menschlichen Lebensaltern.
Wir
sagen heute, wenn wir uns morgens den Schlaf aus den Augen
wischen: Ich habe geschlafen. — Die alten Chaldäer
wachten auf mit dem einundzwanzigsten, zweiundzwanzigsten
Lebensjahre, wurden hell in ihrem Anschauen der Welt und
sagten: Ich habe geschlafen bis zum einundzwanzigsten,
zweiundzwanzigsten Lebensjahre. — Sie glaubten dann,
daß sie bis in die Fünfzigerjähre wach lebten,
daß sie dann aber allerdings nicht einschliefen als
Greise, sondern in ein viel heller bewußtes Leben
kämen. Daher wurden die Greise angesehen als diejenigen,
welche weise waren, welche mit dem, was sie sich als
Bewußtsein seit dem zwanzigsten Jahre erworben hatten, nun
hineingingen in die Schlafeswelt, aber da ungemein hellsichtig
wurden.
So
erlebte der alte Chaldäer drei
Bewußtseinszustände. Wir erleben zwei, den dritten
nur angedeutet als Traumzustand: Wachen, Schlafen,
Träumen. Diese drei Zustände erlebte nicht so im
Tageswechsel der alte Chaldäer, sondern er erlebte einen
dumpfen, schlafenden Bewußtseinszustand bis in die
Zwanzigerjahre hinein; dann einen Zustand, in dem er mit der
Welt lebte, einen Wachzustand, wo er sagte, daß er
aufgewacht sei, bis in die Fünfzigerjähre hinein. Und
dann einen Zustand, wo die anderen von ihm sagten: Der nimmt
sein irdisches Bewußtsein in die geistige Welt hinein. Der
ist jetzt so, daß er viel mehr weiß als die anderen.
— Man sah zu den Alten als zu den Wissenden hinauf. Heute
tut man das nicht. Heute betrachtet man sie als alte
Schöpse, die schwachsinnig geworden sind. Das ist eben der
große Unterschied, der bis in die innerste Konstitution
des Menschenlebens hineingeht.
Diesen Unterschied muß man sich klarmachen, denn er
bedeutet ungeheuer viel für das Menschenwesen. Wir schauen
eben einfach die Welt nicht nur durch einen
Bewußtseinszustand an. Man lernt die Welt nur kennen, wenn
man weiß, wie der Bewußtseinszustand ist, der beim
Kinde zum Beispiel im alten Chaldäa vorhanden war. Er
gleicht, das heißt, er ist nicht gleich, sondern er ist
nur ähnlich unserem Traumzustand. Aber er ist ein viel
lebendigerer Traumzustand. Er ist ein Traumzustand, aus dem
heraus gehandelt wird. Heute tritt das als Krankheitszustand
auf. Was heute krank ist, war bei den Chaldäern ein
Bewußtseinszustand des Kindes. Und der Tageszustand, den
wir heute so philiströs empfinden, war noch nicht
vorhanden. Ich sage philiströs, denn daß wir alle
Menschen in ihren physischen Konturen haben, meine sehr
verehrten Anwesenden, das ist ja philiströs; die Menschen
in ihren scharfen Konturen wahrzunehmen und sie gar zu malen in
diesen scharfen Konturen, ist philiströs. Gewiß, man
wird das nicht zugeben, aber es ist so. Dieser Zustand, der war
also im alten Chaldäa noch nicht vorhanden, sondern da sah
man eben, wie ich es beschrieben habe, die Menschen physisch
und aurisch. Und im Alter sah man durch den Menschen durch bis
in die Seele hinein. Es war ein dritter
Bewußtseinszustand, der heute ausgelöscht ist, denn
es ist der Zustand, wo wir traumlos schlafen. Mit dem
läßt er sich vergleichen.
Und
so sehen wir, wenn wir die Sache historisch betrachten,
daß wir beim Menschen, je weiter wir zurückgehen, auf
verschiedene Bewußtseinszustände kommen, die sich
immer mehr und mehr unterscheiden, während wir heute mit
den Bewußtseinszuständen, die wir im
gewöhnlichen Leben haben, gar nicht besonders Staat machen
können. Darauf wird gar kein Wert gelegt, was der Mensch
erlebt, wenn er ohne Träume schläft, denn davon
weiß er in der Regel gar nicht viel zu erzählen. Es
gibt ganz wenige Menschen, die wissen einem schon noch zu
erzählen, was sie im traumlosen Schlafe auch heute noch
erleben; aber es gibt eben ihrer wenig, sehr wenig.
Träumen, sagt man, das ist eben Phantasie, und den
Wachzustand betrachtet man als den respektablen, als denjenigen
Zustand, worauf man etwas halten kann.
So
war es bei den alten Chaldäern nicht. Der kindliche
Bewußtseinszustand mit dem lebendigen, auch zur
Aktivität führenden Träumen galt als derjenige,
wo die Kinder noch halb drinnensteckten im vorirdischen Leben,
wo sie, wenn sie etwas sagten, einem etwas sagen konnten, das
der göttlichen Welt angehörte. Man hörte den
Kindern zu, weil man wußte: die haben sich verschiedenes
heruntergebracht aus der göttlichen Welt. Man sah ganz
anders hin auf die Kinder damals.
Dann war der Bewußtseinszustand da, wo die Menschen schon
irdisch waren, aber mit ihren Auren noch seelisch. Dann war der
Bewußtseinszustand der Greise da. Wenn man ihnen
zuhörte, war einem klar: da erfährt man etwas
über die geistige Welt, da wird einem kundgegeben, was in
der geistigen Welt vorgeht. Und von denen, die in den Mysterien
immer höher und höher stiegen, von denen wurde
gesagt: In den Fünfzigerjahren besiegen sie das bloß
Sonnenhafte, treten ein in das eigentlich Geisteshafte, werden
von Sonnenhelden zu Vätern — zu Vätern, die mit
der geistigen Heimat der Menschen in Verbindung stehen.
So
wollte ich Ihnen aus dem Historischen heraus andeuten, wie
verschiedene Bewußtseinszustände da sind im
Menschen.
Die
naturhaft schaffende Phantasie des heutigen Traumes
Lassen
wir zunächst, um die menschlichen
Bewußtseinszustände zu betrachten, den traumlosen
Schlaf des heutigen Menschen weg und betrachten wir dasjenige,
was Sie ja alle kennen, den gewöhnlichen Wachzustand, den
Sie eben dann haben, wenn Sie sagen: Ich bin wach, ich sehe die
Gegenstände um mich her, ich sehe die anderen Menschen,
ich höre sie zu mir sprechen, ich unterhalte mich mit
ihnen und so weiter.
Und
nehmen wir dann den zweiten Zustand, den Sie auch alle kennen, wo sie
vermeinen, im Schlafe zu sein, wo aber aus dem Schlafe herauftauchen
die oft so beängstigenden, oft so wunderbar befreienden
Träume, denen gegenüber Sie, wenn Sie in gesunder
Lebensverfassung sind, sagen müssen: Das sind Dinge, die
nicht zum gewöhnlichen heutigen Leben gehören, die
aus irgendeiner naturhaften Phantasie herauf sich leben und
weben, die in der verschiedensten Weise an den Menschen
herandringen. Der ganz philisterhafte Mensch wird nicht viel
auf Träume hinschauen. Der abergläubische Mensch wird
sie sich deuten lassen in einer äußerlichen Weise.
Der poetische Mensch, der nicht philisterhafte, nicht
abergläubische Mensch sieht aber noch auf dieses
wunderbare Traumesweben und Traumesleben hin. Denn es dringt da
aus naturhaften Tiefen des Menschen etwas herauf, was zwar
nicht so seine Bedeutung hat, wie der Abergläubische es
meint, was aber doch darauf hinweist, daß auch der im
Schlaf befindliche Mensch aus dem Naturhaften herauf Erlebnisse
hat, die aufsteigen wie Wolken, wie Nebel, wie schließlich
auch Berge sich erheben, im Laufe von langen Zeiten wieder
versinken. Nur daß das im Traumesleben schnell geht,
während im Weltenall langsam die Gebilde auf- und
nieder-steigen.
Und noch eine zweite
Eigentümlichkeit haben die Träume. Wir träumen
von Schlangen, die um uns sind, auch wohl von Schlangen, die
uns berühren an unserem Körper. Menschen, welche in
unfugartiger Weise zum Beispiel Kokain genießen,
können dieses Schlangenerlebnis traumhaft in besonders
hohem Maße haben. Wer sich dem Laster des Kokaingenusses
hingibt, bei dem kriechen die Traumschlangen aus allen Winkeln
des Leibes heraus in seiner Traumwahrnehmung, auch wenn er
nicht schläft.
Und
so können wir sagen: Wir sehen auf Träume hin, die so
geartet sind, wie die eben beschriebenen. — Wir werden
immer, wenn wir achtgeben auf das Leben, sehen, daß das
solche Träume sind, die uns anzeigen, daß in unserem
eigenen Inneren etwas nicht in Ordnung ist. Wir merken eine
Verdauungsstörung, wenn wir solche Schlangenträume
haben. Die Windungen der Verdauungsorgane symbolisieren sich
uns in der Traumanschauung in Windungen von Schlangen.
Oder jemand träumt, er gehe spazieren und er komme
plötzlich an eine Stelle, wo sich ein ganz weißer
Pflock erhebt, der aber oben schadhaft ist — ein
weißer Steinpflock, eine Steinsäule, die oben
schadhaft ist. Er wird unruhig im Traume über diese
schadhafte obere Spitze des Pflockes. Er wacht auf:
Zahnschmerzen! Er fühlt sich unbewußt gedrängt,
irgendeinen seiner Zähne anzugreifen, er fühlt ja den
Zahn. Ich meine den heutigen, gewöhnlichen Menschen, nicht
einen älteren Menschen, der über solche Dinge erhaben
war. Ein richtiger heutiger Mensch sagt: Jetzt muß ich zum
Zahnarzt gehen, da gehört ja eine kleine Plombe hinein,
der Zahn ist schadhaft. Was ist denn da geschehen? Dieses ganze
Zahnerleben, mit Schmerz verbunden, das eine Unordnung im
ganzen Organismus darstellt, stellt sich im symbolischen Bilde
dar. Der Zahn ist ein weißer Pflock, etwas schadhaft,
etwas angefressen. Wir nehmen im Traumbilde etwas wahr, was
eigentlich in unserem Inneren ist.
Oder aber wir träumen lebhaft, daß wir in einem
Zimmer sind, in dem wir gar nicht atmen können. Wir
geraten im Traume in innere Unruhe, was aber alles Traumerleben
ist. Da — wir haben es früher nicht gesehen —
steht in einer Ecke ein Ofen, der ganz heiß ist. Es ist zu
stark eingeheizt. Ah, jetzt wissen wir im Traume, warum wir
nicht atmen können: es ist heiß im Zimmer! Das alles
im Traume. — Wir wachen auf. Wir haben ein heftiges
Herzklopfen und einen stark laufenden Puls. Die Zirkulation,
die ins Unregelmäßige geraten ist, symbolisiert sich
in dieser Weise im Äußeren als Traum. Es ist etwas
da, etwas, das in uns selber ist; wir nehmen es wahr, aber wir
nehmen es nicht so wahr wie bei Tag. Wir nehmen es im
symbolischen Bildewahr. Oder aber wir träumen davon,
daß da draußen irgendwo außerhalb des Fensters
lebhaft die Sonne scheint. Aber das Sonnenlicht beunruhigt uns.
Wir werden unruhig im Traum über diese scheinende Sonne,
an der wir sonst Wohlgefallen haben. Wir wachen auf — das
Haus des Nachbarn brennt. Ein äußeres Ereignis
symbolisiert sich nicht so, wie es ist, sondern in einem ganz
anderen Bilde. So sehen wir schon, es ist eine naturhaft
schaffende Phantasie im Traume. Äußeres drückt
sich aus im Traume.
Nun
brauchte es nicht dabei zu bleiben. Der Traum kann sich
sozusagen aufraffen, seine eigene innere Bedeutung und
Wesenheit zu haben. Wir träumen irgend etwas, und der
Traum, der sich uns allerdings im Bilde darstellt, kann nicht
auf ein Äußeres bezogen werden. Wenn wir nach und
nach darauf kommen, sagen wir, daß sich im Traume eine
ganz andere Welt zum Ausdruck gebracht hat. Es sind andere
Wesen handelnd, da begegnet uns ein dämonisches oder auch
ein elfenartig schönes Wesen. Also nicht nur, daß
unsere gewöhnliche physisch-sinnliche Welt, wie sie an uns
und außer uns ist, im Traume sich bildhaft darstellt, es
kann sich in den Traum auch eine ganz andere Welt
hereindrängen, als unsere ist. Menschen können von
der höheren übersinnlichen Welt in sinnlichen
Traumesbildern träumen.
So
hat das heutige menschliche Bewußtsein den Traum neben dem
gewöhnlichen Wachbewußtsein. Und man muß ja in
der Tat sagen: Veranlagt sein zum Träumen macht uns
eigentlich zu Poeten. — Die Menschen, die nicht
träumen können, werden immer schlechte Poeten
bleiben. Denn man muß sozusagen dasjenige, was naturhaft
im Traume auftritt, übersetzen in die tagwachende
Phantasie, um Poet, um überhaupt Künstler sein zu
können, Künstler auf allen Gebieten.
Derjenige zum Beispiel, der mehr von der Art träumt,
daß sich ihm äußere Gegenstände
symbolisieren, wie das brennende Haus des Nachbarn durch die in
das Zimmer hereinscheinende Sonne, der wird am nächsten
Tag, nachdem er einen solchen Traum gehabt hat, sich angeregt
fühlen zum Komponieren. Er ist ein Musiker. Derjenige,
der, sagen wir, sein eigenes Herzklopfen als einen kochenden
Ofen empfindet, der wird am nächsten Tag sich angeregt
fühlen, zu modellieren, oder Architekturgebilde zu
schaffen. Er ist Architekt oder Bildhauer oder auch Maler.
Diese Dinge hängen so zusammen, wie ich sie geschildert
habe. Es bleibt im gewöhnlichen Bewußtsein bei dem,
was ich eben beschrieben habe. Aber man kann jetzt weitergehen.
Man kann dieses gewöhnliche Bewußtsein so ausbilden,
wie ich es in meinen Büchern beschrieben habe, in
«Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren
Welten?», das hier als «Initiation»
übersetzt ist, oder in meiner «Geheimwissenschaft im
Umriß», das hier übersetzt ist als «Occult
Science». Man kann das gewöhnliche Bewußtsein
dadurch ausbilden, daß man gewisse seelische Übungen
macht — wir werden von ihnen noch zu sprechen haben
—, man kann das ganze Gedankenleben, Gefühlsleben,
Willensleben, das ganze Innenleben dadurch, daß man sich
ganz bestimmten Vorstellungen und auch
Sprachzusammenhängen hingibt, aktiver machen, so daß
die Gedanken wie zum Greifen werden, daß die Gefühle
wie lebendige Wesen werden. Ich werde das noch später zu
beschreiben haben.
Dann tritt etwas ein, was der Anfang einer modernen Initiation
ist. Dann tritt das ein, daß wir bei Tag fortträumen.
Aber hier komme ich an einen Punkt, wo leicht
Mißverständnisse möglich sind. Derjenige, der
ganz naturhaft bei Tag ins Träumen hineinkommt, der ist
mit seinem Träumen nicht besonders hoch zu schätzen.
Allein derjenige, der trotz seines Tagträumens so wach ist
wie ein anderer Mensch und dennoch fortträumen kann,
deshalb, weil er Denken und Fühlen in sich viel aktiver
gemacht hat als andere Menschen, der beginnt Initiat zu werden.
Dann nämlich, wenn man dazu gelangt, dann tritt das
Folgende ein. Dann sieht man wiederum — weil man doch ein
vernünftiger Mensch ist, der während des Tages nicht
unvernünftiger als die anderen ist, nicht allerlei tolle
Streiche macht, weil man träumt, sondern weil man gerade
so nüchtern ist am Tage wie die anderen vernünftigen
Menschen -, dann sieht man auf der einen Seite den Menschen so,
wie er ist für das gewöhnliche Bewußtsein: man
sieht seine Nasenform, seine Augenfarbe, seine schöne oder
häßliche Haaranordnung und so weiter. Man sieht
alles, aber man fängt an, um den Menschen herum noch von
etwas anderem zu träumen, aber jetztdie Wahrheit zu
träumen, die Aura zu träumen, und den inneren
geistigen Sinn der Handlungen, die zwischen Menschen vollbracht
werden, geistig zu sehen. Man fängt an, im vollen
Wachleben sinnvolle, wirklichkeitsgemäße Träume
zu haben. Das Träumen hört morgens beim Aufwachen
nicht auf, dauert bis zum Einschlafen, dann setzt es sich in
Schlaf um. Aber es ist sinnvoll. Das, was man an dem Menschen
sieht, ist wahrhaftig seelisch an ihm. Das, was man an
Handlungen sieht, ist wahrhaftig geistig da. Man ist in einer
wahrhaftigen Tätigkeit, wie sonst in bloßen
Reminiszenzen oder im bloßen Traume. Aber man träumt
geistige Realität.
Ein zweiter
Bewußtseinszustand tritt zu dem ersten hinzu. Das
Tagträumen wird ein höheres Wirklichkeitswahrnehmen,
als es das gewöhnliche Anschauen im philisterhaften Leben
ist. Man sieht während des vollen wachen Bewußtseins
etwas zu der gewöhnlichen Wirklichkeit hinzu, was eine
höhere Wirklichkeit ist. Der gewöhnliche Traum nimmt
uns etwas von der Wirklichkeit. Er gibt uns nur phantastische
Fetzen. Das, was man in der jetzt geschilderten Weise bei Tag
träumt, womit sich alles durchsetzt, die einzelne
menschliche Gestalt durchsetzt, die Tiere, die Pflanzen sich
durchsetzen, wo die Handlungen sinnvolle Wahrnehmungen werden,
so daß geistiger Inhalt in den Handlungen darinnen liegt,
das alles gibt einem zu der gewöhnlichen Wirklichkeit
etwas hinzu, macht diese Wirklichkeit reicher.
Sehen Sie, da fügt
sich tatsächlich zu dem, was man sonst im
gewöhnlichen Bewußtsein wahrnimmt, ein Zweites hinzu,
und man fängt jetzt an, die Welt ganz, ganz anders zu
sehen. Am eklatantesten zeigt sich dieses Anderssehen, wenn man
nun Tiere ansieht, die tierische Welt. Diese tierische Welt,
sie erscheint einem jetzt so, daß man sagt: Ja, was habe
ich denn vorher eigentlich gesehen? Nur einen Teil von dieser
Welt habe ich ja gesehen. Das ist ja gar nicht alles, was ich
früher von dem Tierischen gesehen habe. Ich habe ja nur
das Äußere von den Tieren gesehen. Eine ganz neue
Welt fügt sich hinzu zu den Tieren, so daß für
jede Tiergattung, für alle Löwen, für alle
Tiger, für alle verschiedenen Tiergattungen etwas da ist,
was einem Menschen gleicht, was richtig einem Menschen gleicht.
So eine Tierartwird wirklich etwas ganz Besonderes. Es
läßt sich schwer am Bilde des Menschen
veranschaulichen, aber ich bitte Sie, das in folgender Weise zu
machen.
Denken Sie sich einmal, Sie ergänzen gewissermaßen
Ihren Leib. Binden Sie sich an jeden Finger Ihrer Hände
einen Faden, also zehn Fäden an, und am Ende eines jeden
Fadens eine Kugel in einer gewissen Ferne, die vielleicht sogar
mit allerlei Figuren bemalt ist. Dann haben Sie also zehn
solche Schnüre. Nun eignen Sie sich ein furchtbar behendes
Spiel Ihrer Finger an, so daß sie alle möglichen
Bewegungen machen. Und jetzt machen Sie das auch mit Ihren
Zehen. An jede Zehe binden Sie sich einen Faden an, am Ende
eines jeden Fadens eine Kugel mit Figuren. Und jetzt
gewöhnen Sie sich, so geschickt zu springen und die Zehen
so geschickt zu bewegen, daß etwas ganz Wunderbares
entsteht aus dieser Form. Jeder Finger ist viel länger und
hat am Ende solch eine Kugel, die Figuren hat, und jede Ihrer
Zehen hat das auch.
Denken Sie sich, Sie sehen das nun mit Ihrer menschlichen
Gestalt verbunden. Ihre Seele beherrscht das alles. Jede Kugel
ist ein Einzelnes, aber in dem Augenblick, wo man das alles
anschaut, glaubt man, das gehöre alles dazu. Sie sind
nicht so verbunden mit allen diesen Kugeln und Schnüren
wie mit Ihren Fingern und Zehen. Aber Sie beherrschen das
alles. Das ist alles eine Einheit. Wenn Sie anfangen, das so zu
beherrschen, wie ich es erzählt habe, so sehen Sie da oben
die Löwenseele, und die einzelnen Löwen, die
hängen so daran wie die Kugeln. Das ist eine Einheit.
Vorher, wenn Sie die zwanzig Kugeln da liegen haben und schauen
die zwanzig Kugeln an, dann ist das eine Welt für sich.
Nun kommen Sie und fügen den Menschen dazu, fügen die
ganze innere Beweglichkeit dazu — da wird es etwas ganz
Neues. So ist es mit Ihrer Anschauung. Sie sehen da die
Löwen einzeln herumgehen. Das ist so wie die Kugeln, die
da herumgehen. Jetzt sehen Sie hin auf die selbstbewußte
Löwenseele, die ja so wie ein Mensch ist in der geistigen
Welt, und die einzelnen Löwen sehen Sie wie aufgefangen in
den Kugeln, sehen da überall aus dem Selbstbewußtsein
des Löwen die einzelnen Löwen herauskommen. Sie sind
aufgestiegen zu einer ganz neuen Wesenheit.
Und
so steigen Sie für alles im Tierreich auf zu ganz neuen
Wesenheiten. Die Tiere haben auch so etwas wie Menschen an
sich, Seelenhaftes, aber das ist nicht in der Welt, in der der
Mensch sein Seelenhaftes hat. Wenn Sie durch die Welt gehen,
dann tragen Sie ganz aufdringlich auf der Erde Ihre Seele herum
mit dem Selbstbewußtsein. Jedem Menschen können Sie
Ihr Selbstbewußtsein an den Kopf werfen. Das kann der
Löwe nicht. Aber da gibt es eine zweite Welt. Die grenzt
an diese Welt, wo wir unser Selbstbewußtsein jedem
Menschen an den Kopf werfen. Aber da droben, da tun das die
Löwenseelen. Für die sind die einzelnen Löwen
nur solche torkelnden Kugeln. So daß wir frappiert werden,
besonders wenn wir das Tierreich in seiner wahren Wesenheit
betrachten, durch ein Bewußtsein, das wir uns angeeignet
haben. Da kommt eine zweite Welt dazu.
Und
jetzt sagen wir uns: Ach, in dieser Welt sind wir als Menschen
ja auch eigentlich drinnen. Aber wir schleppen diese Welt hier
herunter in die gewöhnliche Erdenwelt. — Das Tier
läßt etwas oben: seine Gattungsseele, seine Artseele,
und geht nur mit demjenigen, was da auf vier Beinen herumgeht,
auf der Erde herum. Wir schleppen das, was die Tiere oben
lassen, auf die Erde herunter, bekommen dadurch auch einen
anders gestalteten Körper als das Tier, aber wir schleppen
es eben doch herunter. So daß wir sagen können:
Dasjenige, was in uns ist, gehört auch dieser höheren
Welt an, nur schleppen wir es hier in die Erdenwelt herein als
Menschen. Und so, sehen Sie, machen wir also Bekanntschaft mit
einer ganz anderen Welt, mit einer Welt, die wir zunächst
an den Tieren wahrnehmen. Aber wir müssen ein anderes
Bewußtsein noch haben. Wir müssen das
Traumbewußtsein zum Erwachen bringen, dann können wir
in dasjenige hineinschauen, was in der Tierwelt noch vorhanden
ist. Derjenige, der das kann, der nennt dann diese zweite Welt
die Seelenwelt gegenüber der physischen Welt, oder den
Seelenplan, den Astralplan gegenüber dem physischen Plan.
Das, was Astralplan, Astralwelt ist gegenüber der
physischen Welt, das erreicht man durch ein anderes
Bewußtsein. Man muß sich also bekanntmachen damit,
daß andere Bewußtseine uns in Welten hineinschauen
lassen, die nicht die Welt sind des gewöhnlichen
Lebens.
Weitere
Durchkraftung des Seelenlebens
Man
kann nun in der Durchkraftung und Verstärkung des
Seelenlebens noch weitergehen. Man kann nicht nur, so wie ich
es in den genannten Büchern beschrieben habe, meditieren,
sich konzentrieren, sondern man kann anstreben, das, was man
als starken Seeleninhalt in der Seele hat, wiederum
fortzuschaffen. So daß man dazu kommt, nachdem man zuerst
mit aller Gewalt das Seelenleben verstärkt hat, das
Denken, das Fühlen stark gemacht hat, das alles wiederum
abzuschwächen und sogar ins Nichts
zurückzuführen. So daß dasjenige hergestellt
ist, was man leeres Bewußtsein nennen kann.
Nun, wenn man im gewöhnlichen Bewußtsein dieses
Bewußtsein leer macht, schläft man ein. Man kann das
ja auch experimentell machen. Man hat einen Menschen. Man
entzieht ihm zunächst die Augeneindrücke, so daß
er im Dunklen ist. Man entzieht ihm alle
Gehörseindrücke, so daß er im Stummen, Lautlosen
ist. Dann versucht man auch die anderen Sinne abzustumpfen. Der
Mensch schläft allmählich ein. So ist es nicht, wenn
man zunächst Denken und Fühlen verstärkt. Da
kann man ganz willkürlich das Bewußtsein leer machen,
und man wacht. Man tut nichts als wachen durch seine
Willkür. Man schläft nicht ein. Aber man hat nicht
mehr die Sinneswelt vor sich. Man hat nicht mehr seine
gewöhnlichen Gedanken und Erinnerungen in sich. Man hat
leeres Bewußtsein. Da kommt aber nun sogleich eine
wirkliche geistige Welt herein in dieses leere Bewußtsein.
So wie im gewöhnlichen Tagesbewußtsein die Sinneswelt
mit ihren Farben, mit ihren Tönen, mit ihrem
Wärmereichtum hereinkommt, so kommt in dieses leere
Bewußtsein eine geistige Welt herein. Wir sind umgeben,
wenn wir erst das Bewußtsein wach und leer gemacht haben,
von einer geistigen Welt.
Wiederum können wir frappierend intensiv dieses neue
Bewußtsein und diesen Zusammenhang mit einer geistigen
Welt wahrnehmen an etwas in der äußeren Natur. Wie
wir vorher gewissermaßen die nächste Schichte des
Bewußtseins wahrgenommen haben an der anderen Art, wie wir
die Tiere anschauen, so können wir jetzt das anders
gewordene Bewußtsein, das Auftreten der neuen Schichte des
Bewußtseins wahrnehmen an dem ganz Andersartigen, was wir
an den Pflanzen sehen, an der Pflanzenwelt der Erde.
Wie
sehen wir die Pflanzenwelt der Erde im gewöhnlichen
Bewußtsein? Wir gehen hin über die Erde, wir sehen
herauswachsen aus der mineralischen Erde den Farbenreichtum und
die Grünheit der Pflanzenwelt. Wir erfreuen uns an dem,
was blau und gelb und rot und weiß blüht, was
grün lebt. Wir nehmen diesen ganzen Teppich der
Pflanzenwelt wahr, lassen ihn auf unser Gemüt wirken. Es
wird innerlich lebendig. Es wird innerlich voller Freude. Es
erhebt sich zu innerlichem Aufjauchzen, wenn wir diese
wunderbar farbenglänzende Pflanzendecke über die Erde
hingebreitet und aus der Erde herausragen sehen. Jetzt schauen
wir auf. Wir erblicken oben die Sonne, die uns blendet. Wir
schauen hinaus in das blaue Himmelszelt. Wir erblicken nichts
Besonderes als das, was sich uns eben bei Tag darbietet, wenn
wir einen wolkenfreien oder wolkenbedeckten Tag haben, was Sie
ja alle kennen. Wir wissen zunächst nicht, was es für
eine Beziehung hat, die Pflanzendecke, den Pflanzenteppich der
Erde anzuschauen und hinaufzuschauen.
Wir
können aber auch noch weitergehen. Nehmen wir an, wir
haben innerlich die tiefste Freude erlebt an dem Tagesteppich,
der in der Pflanzenwelt die Erde bedeckt. Wir warten an einem
schönen Tage bis zur hereinbrechenden Nacht. Wir blicken
jetzt hinauf auf das Himmelsgezelt. Wir sehen die mannigfaltig
angeordneten, in Figuren aufleuchtenden, über den ganzen
Himmel hin sich breitenden Sterne funkeln, glänzen. Ein
neues Aufjauchzen der Seele beginnt, etwas, was von oben wirkt,
was von oben in unsere Seele freudig-innerliches Aufjauchzen
hereinsendet.
So
können wir bei Tag hindeuten auf dasjenige, was in der
Erde wächst in dem farbenreichen Teppich der Erde, in der
Pflanzenwelt: ein innerlich uns mit Freude, mit Jauchzen
durchdringendes Wahrnehmen. Wir können dann hinaufblicken,
können das uns bei Tag blau erscheinende
Himmelsgewölbe nachts besät sehen mit den funkelnden,
glänzenden Sternen. Wir können innerlich aufjauchzen
über das, was sich von oben herunter in unserer Seele
offenbart. Das gilt für das gewöhnliche
Bewußtsein.
Haben wir jenes Bewußtsein ausgebildet, das leer, aber
wach ist, in das die geistige Welt hereingebrochen ist, dann
sagen wir uns, wenn wir während des Tages unseren Blick
ausbreiten über die Pflanzendecke und des Nachts
hinaufschauen auf die glänzenden, funkelnden Sterne: Ja,
während des Tages hat uns angelockt, mit innerlichem
Jauchzen durchdrungen dasjenige, was als Farbenteppich die Erde
bedeckt. — Aber was haben wir denn da eigentlich bei Tag
gesehen? Jetzt blicken wir hinauf während der Nacht zum
sternenglänzenden Himmel. Die Sterne funkeln nicht mehr
bloß vor diesem wachend leeren Bewußtsein, das
heißt für die Erde leeren Bewußtsein. Die Sterne
nehmen die mannigfaltigsten Gestalten an. Das bloße
Funkeln der Sterne hat aufgehört, und da oben ist
wunderbares Wesenhaftes. Da breitet sich aus wachsendes,
webendes Leben, groß und gewaltig und erhaben. Und wir
stehen erkennend in Anbetung, anbetend im Erkennen. Ja, wir
haben eine mittlere Stufe der Initiation erreicht und sagen
uns: Pflanzen, die sind ja erst da oben. Die wirklichen
Pflanzenwesen, das ist dasjenige, was uns vorher nur in
einzelnen Punkten in den Sternen entgegengestrahlt hat. —
Es ist ja jetzt so, als ob da oben die wahre Pflanzenwelt erst
wäre. Es ist, als ob das Veilchen uns nicht als Veilchen
erschiene, sondern als ob von dem Veilchen des Morgens, wenn es
voll Tau wäre, wir nicht das Veilchen, sondern nur die
einzelne Tauperle erglänzen sehen würden. Wenn wir
nur den einzelnen Stern sehen, da funkelt ja die einzelne
Tauperle in dem Stern. In Wahrheit ist dahinter eine
mächtige, wesenhafte, webende Welt. Zu der schauen wir
hinauf. Jetzt wissen wir, was Pflanzenwelt ist. Die ist gar
nicht auf der Erde, die ist draußen im Kosmos, ist
mächtig und erhaben und gewaltig und groß. Und was
ist das, was wir da unten gesehen haben bei Tag in der farbigen
Pflanzendecke, was ist das? Das ist das Spiegelbild von da
oben.
Und
wir wissen jetzt, der Kosmos mit seinem webenden
Gestaltenleben, mit seinem wesenhaften Gestaltenleben, der
spiegelt sich auf der Erde. Die ist ein Spiegel in ihrer
Oberfläche. Wenn wir in einen Spiegel schauen, wissen wir,
das ist nur Spiegelbild von uns. Wir stehen da. Wir spiegeln
uns, so wie wir sind in der äußeren Form. Die Seele
ist nicht darinnen. Der Himmel spiegelt sich nicht an der Erde
in einer so ganz adäquaten Weise, sondern so, daß er
in den Pflanzenfarben gelb, grün, blau, rot, weiß
erglänzt. Das ist das Spiegelbild des Himmels, das
schwache, schattenhafte Spiegelbild des Himmels. Und wir haben
eine neue Welt kennengelernt. Da oben sind die Pflanzen
Menschen, Wesen mit Selbstbewußtsein. Und zu der
gewöhnlichen physischen Welt, zu der astralen Welt haben
wir eine dritte, eine eigentlich geistige Welt hinzu. Die
Sterne sind ja wie Tauperlen, die kosmischen Tauperlen aus
dieser Welt. Die Pflanzen sind das Spiegelbild dieser Welt. Sie
sind hier nicht alles, was an ihnen ist; ja sie sind in dem,
als was sie uns auf der Erde hier erscheinen, nicht einmal eine
Wesenheit, sie sind bloßes Spiegelbild gegenüber der
unendlich mannigfaltig-reichen, intensiven Realität, die
da oben in der eigentlich geistigen Welt ist, und aus der die
einzelnen Sterne als die kosmischen Tauperlen
herausglänzen. Wir haben eine dritte, die eigentlich
geistige Welt, und wir wissen jetzt, all das herrliche
Pflanzenwesen spiegelt ja nur diese Welt ab.
Und
jetzt lernen wir kennen, wie wir als Menschen auch dasjenige in
uns tragen, was von den Pflanzen die eigentliche Wesenheit da
oben ist. Wir bringen nur ins Spiegelleben der Erde herunter
das, was die Pflanzen oben lassen. Die Pflanzen bleiben oben im
Geisterland. Sie senden auf die Erde ihre Spiegelbilder. Die
Erde füllt sie ihnen mit Materie, mit Erdenmaterie aus,
diese Spiegelbilder. Wir Menschen tragen unser Seelenhaftes,
das auch dieser Welt angehört, hier in diese Spiegelwelt
herein, sind nicht bloße Spiegelbilder, sondern sind jetzt
auf Erden auch seelische Realitäten. Wir leben auf Erden
zunächst in drei Welten: in der Welt des Physischen, in
der Welt, in der die Tiere mit ihrem Selbstbewußtsein
nicht leben. Aber wir leben als Menschen
| Abbildung 2 Bild anklicken für große Ansicht. | |
zu
gleicher Zeit in einer zweiten Welt, in der die Tiere mit ihrem
Selbstbewußtsein leben, in der astralischen Welt. Nur
tragen wir diese mit uns herunter in die physische Welt. Wir
leben auch noch in der dritten Welt, in der Welt, in der die
Wahrheit des Pflanzenwesens lebt, in der geistigen Welt. Nur
senden die Pflanzen auf die Erde bloß ihre Spiegelbilder
herunter, wir unsere Seelenrealitäten. Und jetzt
können Sie sagen: Ein Wesen, das hier auf der Erde Leib,
Seele und Geist hat, lebt mit Leib, Seele und Geist in der
physischen Welt und ist Mensch.
Ein
Wesen, das auf der Erde Leib und Seele hat, aber in einer
angrenzenden zweiten Welt den Geist hat, dadurch weniger
wirklich ist in der physischen Welt, ist das Tier.
Ein
Wesen, welches in der physischen Welt nur seinen Leib hat, in
der zweiten Welt seine Seele, und in einer weiteren, dritten
Welt seinen Geist, so daß der Leib nur noch das
Spiegelbild des Geistes ist, nur von irdischer Materie
ausgefüllt, das ist die Pflanze.
Sie
erkennen an der Natur drei Welten. Sie erkennen, daß der
Mensch diese drei Welten in sich trägt. Sie fühlen
gewissermaßen die Pflanzen bis zu den Sternen
hinaufwachsen. Sie sehen sich die Pflanzen an, sagen sich: Du
bist ein Wesen, von dem ich ja auf Erden nur das Spiegelbild
sehe, das wesenlose Spiegelbild. Je mehr ich den Blick
hinaufwende, zu den Sternen des Nachts aufschaue, desto mehr
sehe ich das wahre Wesen da oben. Natur, sie wird ganz, wenn
ich von der Erde aufschaue bis zu den Sternen, wenn ich den
Kosmos mit der Erde als eines anschaue. Dann schaue ich
zurück auf mich als Mensch und sage mir: Was in der
Pflanze bis da nach oben reicht, ich habe es auf der Erde in
mir zusammengeschoben. Ich trage in mir als Mensch die
physische, die astralische, die geistige Welt.
Das
durchschauen, mit der Natur hinaufzuwachsen bis zu den Himmeln,
in den Menschen hineinzuwachsen bis dahin, wo die Himmel sich
in ihm eröffnen, das heißt, zum Geistesforschen
aufsteigen.
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