ELFTER
VORTRAG Torquay, 22. August 1924
Wie
steht es mit dem Verständnis für geistige Forschung?
Zwei
Forschungsmöglichkeiten
Tafel 12, 22. August 1924
Es
wäre natürlich außerordentlich viel in direkter
Fortsetzung desjenigen zu sagen, was in diesen Vorträgen
angeschlagen worden ist; allein wir wollen heute versuchen,
eine Art summarischer Abrundung dieser Vorträge vor unsere
Seele hinzustellen.
Da
muß uns vor allen Dingen aus der ganzen Haltung dieser
Vorträge eine Frage vor das Seelenauge treten, das ist die
Frage: Wie steht es eigentlich mit dem Verständnis der
Anthroposophie, der geistigen Forschung, wie sie durch
Anthroposophie in die Welt gesetzt werden soll? Wie steht es
mit der Einsicht in dasjenige, was durch solche Anthroposophie
gegeben wird, gegenüber der Tatsache, daß doch nicht
jeder Mensch in der Gegenwart unmittelbar so an jene
Exerzitien, an jene Übungen herantreten kann, die ihn
schnell dazu bringen, alles das, was man durch Anthroposophie
hört, auch selber in den entsprechenden Welten
wahrzunehmen, um es so in restloser Weise zu prüfen? Das
ist ja eine Frage, die den meisten derjenigen, die zur
Anthroposophie einen gewissen Drang, eine gewisse Sehnsucht
haben, am Herzen liegt. Aber diese Frage wird gerade immer in
einem falschen Lichte gesehen, und sie kann gerade durch das,
was man als Richtiges ausspricht, wie ich es in diesen
Vorträgen getan habe, erst recht in einem falschen Lichte
gesehen werden. Man kann sagen: Ja, was sollen mir alle diese
Darstellungen aus der geistigen Welt helfen, wenn ich nicht
selber in die geistige Welt hineinschauen kann? — Deshalb
möchte ich die betreffende Frage in die heutigen
summarischen Auseinandersetzungen hineinverweben.
Es
ist eben gar nicht so, daß man sagen kann, man kann nicht
eine Einsicht, nicht ein Verständnis für die Dinge
erwerben, welche durchAnthroposophie gegeben werden, ehe man in
der geistigen Welt selber forschen kann. Man muß
unterscheiden, insbesondere in der heutigen Zeit unterscheiden
zwischen dem Forschen, das heißt dem Auffinden solcher
Tatsachen, die den verschiedenen Welten angehören, und dem
Verständnis dessen, was durch diese Forschungen gegeben
wird. Und das Begreifen dieses Unterschiedes wird Ihnen
vollständig aufgehen, wenn Sie bedenken, daß der
Mensch, so wie er heute vor uns steht, ja verschiedenen Welten
angehört, und daß er die Erlebnisse, die er hat,
durchaus aus verschiedenen Welten heraus hat. Der Mensch, wie
er heute ist, erwirbt sich im gewöhnlichen Leben das
Bewußtsein des Alltagslebens und der gewöhnlichen
Wissenschaft, von dem wir ausgegangen sind. Dieses
Bewußtsein gibt ihm während des Tagwachens einen
gewissen Überblick über ein Stück Welt,
über all dasjenige in der Welt, was durch Sinne sich
offenbart und was durch den Intellekt, der vom Menschen im
Laufe der Zeit in der Evolution angeeignet worden ist,
interpretiert werden kann, begriffen werden kann.
In
eine an diese unmittelbar angrenzende Welt, die sich aber schon
hinter der Sinneswelt verbirgt, reicht der Mensch mit seinem
Verständnis in ganz undeutlicher Weise, wie ich es
auseinandergesetzt habe, im Träumen hinein. Und in jene
Welt, die der Mensch durchlebt zwischen dem Tode und einer
neuen Geburt, erstreckt er sich mit seinem Seelenleben auf
Erden nur hinein während des traumlosen Schlafes, in
welchem es um ihn herum seelisch finster und schwarz ist, und
in welchem er ein Leben vollbringt, an das er gewöhnlich
keine Erinnerungen hat.
Dieses Bewußtsein mit seinem dreifachen Zustand, dem
Wachzustand, dem Traumzustand, dem tiefen Schlafzustand, dieses
Bewußtsein kennt der Mensch. Aber er lebt nicht allein in
den Welten, die ihm dadurch zugänglich sind. Der Mensch
ist nun einmal ein Wesen, das in einer ganzen Reihe von Welten
lebt. Sein physischer Leib lebt in einer anderen Welt, als sein
ätherischer Leib, dieser wieder in einer anderen Welt als
der astralische Leib, und all das zusammen wieder in einer
anderen Welt als das Ich. Und dieses Bewußtsein: helles
Wachbewußtsein, Traumbewußtsein, schlafendes, man
möchte sagen Nichtbe-wußtsein, aber man muß nur
sagen dumpfes Bewußtsein, diese drei
Bewußtseinszustände hat eigentlich das Ich, so wie es
heute ist. Und dieses Ich, so wie es heute ist, hat dann, wenn
es nach innen schaut, auch drei Zustände. Drei
Zustände hat es, wenn es nach außen schaut: waches
Tagesleben, Traumbewußtsein, Schlafbewußtsein. Schaut
es nach innen, dann hat es das helle Denkbewußtsein; es
hat das schon viel trübere, dem Traumleben viel
ähnlichere, als man gewöhnlich glaubt,
Gefühlsbewußtsein, das Leben in Gefühlen; und es
hat das dumpfe, dämmerhafte, dem Schlafleben sehr
ähnliche Willensbewußtsein. Wie unser Wollen zustande
kommt, ist dem gewöhnlichen Bewußtsein ganz, ganz
unbekannt, eigentlich so unbekannt wie der Schlaf. Der Mensch,
wenn er etwas will, hat den Gedanken; der ist klar und hell. Er
entwickelt dann etwas dunkler über diesen Gedanken das
Gefühl. Und dann geht der gefühlsdurchdrungene
Gedanke hinunter in die Glieder. Was da vorgeht, das erlebt der
Mensch mit dem gewöhnlichen Bewußtsein nicht. Vor
jener Forschung, von der ich gestern und vorgestern gesprochen
habe, nimmt sich das Wollen so aus: Während der Gedanke im
Haupte etwas will und er dann durch das Gefühl
hinuntergeht in den ganzen Leib, und der Mensch durch seinen
ganzen Leib will, während dieser Zeit entwickelt sich im
Menschen etwas wie ein feiner, subtiler, intimer
Verbrennungsprozeß. Der Mensch kann, wenn er zum
Initiatenbewußtsein kommt, dieses durch die Wärme
influenzierte Wollen erleben. Aber das bleibt für das
gewöhnliche Bewußtsein ganz im Untergrunde. Das ist
nur ein Beispiel dafür, wie dasjenige, was schon
heraufgehoben werden kann in das Initiatenbewußtsein, doch
für das gewöhnliche Bewußtsein in den
Untergründen bleibt. Man wird zum Beispiel einmal
folgendes einsehen, wenn die Dinge, die durch das gestern
erwähnte Buch nach und nach in die Welt kommen werden,
wirklich eingesehen werden. Man wird einsehen, daß, wenn
ein Mensch etwas will und man das mit dem
Initiatenbewußtsein anschaut, es so ist, wie wenn man
einen äußeren Vorgang des Verbrennens einer Kerze
oder überhaupt ein wärmeentwickelndes Licht
äußerlich anschaut. Geradeso wie man da von der
äußeren Anschauung ein klares Bild hat, so kann man
das Hineinschlagen des Gedankens in den Willen so sehen,
daß man sagt: DerGedanke entwickelt das Gefühl, und
aus dem Gefühl geht hinunter — es bewegt sich beim
Menschen von oben nach unten-Wärmeentwickelung, Flamme;
und diese Flamme will. — Es enthüllt sich also nach
und nach.
Wir können geradezu
dieses gewöhnliche Bewußtsein schematisch so vor uns
hinstellen:
Innen: Klares Denken
Außen: Waches Tagesbewußtsein
Gefühlsleben
Traumbewußtsein
Willensbewußtsein Schlafbewußtsein
Nach
außen waches Tagesbewußtsein, nach innen klares
Denken; nach außen Traumbewußtsein, nach innen
unklares, aber warmes Gefühlsleben; nach außen
Schlafbewußtsein, nach innen ganz dunkles
Willensbewußtsein.
Nun
aber, wenn auch der Mensch, um in der geistigen Welt zu
forschen, das heißt, um die Tatsachen aufzusuchen, die aus
der geistigen Welt heraus geoffenbart werden können, in
die Notwendigkeit versetzt ist, sein Bewußtsein dorthin zu
tragen, wo die Welt ist, in die er erkennend eindringen will,
so geht doch dann, wenn die Forschungen ehrlich mitgeteilt
werden, dasjenige, was an Ideen durch Worte mitgeteilt wird, in
die anderen Bewußtseine hinein. Und nun können Sie
vielleicht begreifen, daß es zweierlei gibt. Erstens gibt
es das, daß man zum Beispiel in der Welt der menschlichen
Organe forscht, wie ich es gestern auseinandergesetzt habe,
daß man da mit den beim Menschen im Heranleben an die
geistige Welt herankommenden Kräften die Tatsachen, um die
es sich handelt, untersucht. Da findet man die entsprechenden
Tatsachen. Da legen sie sich für das Erkennen vor die
Seele, diese Tatsachen. Da hat man sie. Da stehen also Menschen
in der äußeren Welt diesen Tatsachen gegenüber.
Nun werden diese Tatsachen durch diese betreffenden Menschen
mitgeteilt, sie werden der Welt dargelegt. Wenn sie durch
Menschen der Welt dargelegt werden, dann sind sie mit dem
gewöhnlichen Bewußtsein zu begreifen, wenn man nur
die nötige Unbefangenheit dazu mitbringt. Daher war ja
immer in der menschlichen Evolution die Einrichtung, daß
wenige Menschen sich damit befaßt haben, dieTatsachen zu
erforschen, die für die geistige Welt in Betracht kamen,
und sie dann, wenn sie sie erforscht hatten, den anderen
mitgeteilt haben.
Nun
spricht heute gegen das in Empfangnehmen solcher Erkenntnisse
nur das eine, daß die Menschen in der Regel in einem
sozialen Milieu und in einer Erziehungsentwickelung aufwachsen,
die ihnen in ihren Empfindungsgewohnheiten beibringt, daß
man nur an die äußere Tatsachenwelt glauben
könne, an die Welt der Sinne und an das, was der Verstand
erkundet aus der Welt der Sinne. Das ist eine Gewohnheit, die
so stark wirkt, daß man aus dieser Gewohnheit heraus
jederzeit geneigt ist, zu sagen: Da ist eine Universität;
an der Universität sind Leute graduiert; die lehren jetzt
an der Universität, die erforschen auch gewisse Tatsachen,
oder wenn andere gewisse Tatsachen der sinnlichen Welt
erforschen, so bestätigen sie es. — Man glaubt
daran! Man erforscht ja diese Tatsachen der sinnlichen Welt
auch nicht selber, man glaubt daran. Und gerade mit Bezug auf
die heutige Naturwissenschaft sind ja die Menschen unendlich
gläubig. Sie glauben Dinge, die für den, der Einsicht
hat, durchaus nicht nur problematisch, sondern sicher ganz
unwahr sind. Das rührt nur von einer jahrhundertealten
Erziehung her.
Diese Erziehung hatten die Menschen früherer Jahrhunderte,
darf ich sagen, nicht. Da waren die Menschen dadurch, daß
bei allen noch etwas heraufkam von einem Hineinschauen in die
geistige Welt, von einem gefühlsmäßigen,
willensmäßigen Sich-Hineinleben in die geistige Welt,
schon noch geneigter, auch denjenigen zu glauben, die geistige
Tatsachen erforschten. Heute sind die Menschen das einfach
nicht gewöhnt, und man hat sich an eine Anschauungsweise
gewöhnt, die auf dem Kontinente mehr theoretisch, in
England und Amerika mehr praktisch, sich ganz eingebürgert
hat.
Auf
dem Kontinente gibt es ausführliche Theorien darüber,
in England und Amerika gibt es ein Gefühl dafür, das
man innerlich gar nicht leicht besiegen kann. Es ist dieses:
Die Menschen haben sich eingewöhnt in das, was durch
Jahrhunderte heraufgekommen ist, Naturwissenschaft, die sich
auf die äußeren Sinne bezieht, zum Beispiel
Astronomie, Pflanzenkunde, Tierkunde, Medizin so hinzu-nehmen,
wie man es für sie präpariert in den anerkannten
Schulen und an den anerkannten Stätten. Daran haben sich
die Menschen durch Jahrhunderte gewöhnt, und heute halten
sie an dem furchtbar fest. Und wenn ein Chemiker in seinem
Laboratorium etwas erforscht, und man hat keine blasse Ahnung
von dem, wie er das macht, aber es wird bekannt, so sagen sie:
Das ist wahr, das ist Erkenntnis. — Sie sagen: Das ist
kein Glaube, das ist Erkenntnis. — Es ist natürlich
purer Glaube! Aber die Menschen sagen: Das ist Erkenntnis.
Und
nun auf all den Wegen, die man anwendet, um so die Sinneswelt
zu erforschen, um so mit dem Verstande die Gesetze der
Sinneswelt zu finden, auf all den Wegen findet man nichts
über die geistige Welt. Aber der Menschen, die die
geistige Welt ganz entbehren können, sind ja nur wenige,
und die reden es sich ein, sind darin nicht ehrlich. Die
Menschen haben vor allen Dingen ein Bedürfnis, auch
über die geistige Welt etwas zu wissen. Sie hören
heute noch nicht auf diejenigen, die ihnen von der geistigen
Welt nach heutiger Art etwas sagen können, aber sie
hören auf dasjenige, was geschichtlich überkommen
ist, was in den Büchern steht, was in den heiligen
Schriften des Ostens, was in der Bibel steht. Sie hören
auf das, weil sie nicht anders können, als irgendwie einen
Bezug zur geistigen Welt zu haben. Und trotzdem alles, was in
der Bibel oder in den heiligen Schriften des Ostens steht, auch
nur von einzelnen Initiaten erforscht worden ist, so sagen sie:
Ja, das ist eine andere Art von Anschauung. Das ist nicht so,
wie das Erkennen der äußeren Sinneswelt, wie das
Erkennen der Wissenschaft, sondern das beruht auf einem
Glauben. Da muß man glauben. — Und da machen die
Menschen dann den strammen Unterschied, etwas ist Wissenschaft,
etwas anderes ist Glaube. Und sie beziehen dann die
Wissenschaft auf die Sinnenwelt und den Glauben auf die
geistige Welt.
Darüber gibt es
auf dem Kontinent, namentlich unter den Theologen der
evangelischen Kirche — nicht unter den Theologen der
katholischen Kirche, die haben nur die Traditionen der
früheren Zeit bewahrt und die unterscheiden nicht in
derselben Weise wie die evangelischen Theologen oder wie die
äußeren Wissenschafter —, da gibt es auf dem
Kontinent ganze Theorien, wie das Erkennen bis zu einem
gewissenPunkte kommt, dann beginnt der Glaube. Das müsse
so sein. Hier in England gibt es weniger Theorien, weil man
Theorien nicht so liebt. Aber hier gibt es diese Lebenspraxis,
richtig auf der einen Seite nach der Wissenschaft
hinzuhören und das für etwas zu halten, was man von
der Wissenschaft annimmt; richtig auf der anderen Seite zu
leben, pietätvoll, ich will nicht sagen pietistisch, im
Glauben, und die beiden Dinge streng voneinander zu
trennen.
Das
bringen nicht nur die Laien fertig, das bringen ja auch die
Gelehrten fertig, schon seit langer Zeit. Newton
begründete auf der einen Seite die Gravitationslehre, das
heißt eine Raumesweltanschauung, welche durch dasjenige,
was sie ist, jede Anschauung vom Geistigen ausschließt.
Wenn die Welt so wäre, wie sie Newton angeschaut hat, so
könnte sie keinen Geist enthalten. Man hat nur nicht den
Mut, sich das zu gestehen. Geradesowenig wie aus einem Spinnrad
jemals ein Mensch werden könnte, wie vorgestellt werden
könnte in einem Spinnrade ein Mensch, ebensowenig kann in
der Newtonschen Welt ein göttlich-geistiges Walten und
Weben vorgestellt werden. Man hat nur nicht den inneren Mut,
die innere Courage, sich das zu gestehen. Aber nicht nur
diejenigen, die so etwas aufnehmen, bringen es fertig, auf der
einen Seite einer Raumesweltanschauung und einer
Zeitenweltanschauung sich hinzugeben, die das Geistige
ausschließt, sondern auch diejenigen, die selber forschen,
wofür Newton ein schönes Beispiel ist, der auf der
einen Seite eine Weltanschauung begründet, die alles
Geistige ausschließt, auf der anderen Seite mit
vollständiger Trennung der Seele davon die Apokalypse
interpretiert.
Es sind die Brücken
abgebrochen zwischen demjenigen, was Wissen, Erkenntnis von der
äußeren Sinneswelt ist, und dem, was Wissen,
Erkenntnis von der geistigen Welt ist. Und man versucht heute
sogar da, wo man Theorien liebt, das streng zu beweisen, da, wo
man Theorien nicht liebt, es recht in die Empfindungs- und
Denkgewohnheiten einzufressen, so daß man gar nicht daraus
herauskommt. Dagegen ist der Verstand der Menschen, das
Verstehen, die Ideenkraft, die Ideenfähigkeit heute schon
so weit, wenn man sich nur darauf besinnt, wenn man sie nur
recht in der Hand hat, daß dasjenige,was aus
Initiationswissenschaft hervorgeht, durch den Verstand voll
begriffen werden, aber nicht erforscht werden kann.
Was
ist denn daher das Notwendige? Daß sich die Anschauung
entwickele: Es muß zunächst dasjenige erforscht
werden, was aus der geistigen Welt erforscht werden soll, durch
diejenigen Menschen, die in ihrem gegenwärtigen Leben
Kräfte zu Hilfe nehmen können aus früheren
Inkarnationen, die sie befähigen, dasjenige
heraufzubringen, was notwendig ist, um zu forschen; daß
ferner das, was so erforscht wird, von einer Anzahl von
Menschen, von immer mehr und mehr Menschen aufgenommen werde,
verstanden werde in Ideen, wie es verstanden werden kann; und
daß dadurch, wenn in gesundem Verstehen das spirituell
Erforschte aufgenommen wird, gerade für diese anderen
Menschen aus dem Verstehen heraus die Grundlage geschaffen
wird, auch wirklich in die geistige Welt hineinzuschauen.
— Denn ich habe es ja oftmals ausgesprochen: Es ist der
gesündeste Weg, um wirklich in die geistige Welt
hineinzukommen, sich zunächst mit der Lektüre zu
befassen oder mit dem Aufnehmen dessen, was aus der geistigen
Welt verkündet wird.
Nimmt man diese Gedanken auf, so beleben sie sich innerlich,
und der Mensch kommt hinein in das Verstehen nicht nur, sondern
auch in das Erschauen, so wie es sein Karma zuläßt.
Und gerade auf diesem Punkte muß man sich in die
Anschauung vom Karma streng hineinfinden. Der heutige Mensch
denkt nicht an Karma. Er redet davon, daß man, wie man im
Laboratorium den Schwefel untersucht, so auch
laboratoriumsgemäß untersuchen müsse, wie ein
Mensch sogenannte abnorme Erscheinungen zustande bringt. Man
müsse mit dem Menschen, der abnormes Erkennen aus sich
herausbringt, so experimentieren, wie man mit dem Schwefel
experimentiert. Aber sehen Sie, der Schwefel hat kein Karma.
Nur derjenige «Schwefel», der vom Menschen geredet
wird, hat ein Karma! Der gewöhnliche mineralische Schwefel
hat kein Karma. Nur die Menschen haben ein Karma. Und es kann
niemals vorausgesetzt werden, daß der Mensch es in seinem
Karma hat, in einem Laboratorium mit sich experimentieren zu
lassen, und das müßte vorliegen, wenn die Forschungen
fruchtbar werden sollten.
Daher müßte zunächst Geisteswissenschaft
vorliegen. Man müßte zunächst die Bedingungen
untersuchen, wie es aus dem Karma hervorgeht, daß man
durch einen Menschen etwas erfahren kann über die geistige
Welt. Das habe ich in den späteren Auflagen meiner
«Theosophie» am Schlüsse deutlich ausgesprochen.
Aber dazu ist die gegenwärtige Welt nicht geeignetnicht
aus Unfähigkeit, sondern aus Gewohnheit —, die Dinge
aufzunehmen. Aber das ist unendlich wichtig. Wichtig ist es vor
allen Dingen, sich darüber klar zu sein: Du mußt
nicht gleich auf Forschungswegen in die geistige Welt
eingedrungen sein; sondern, wenn du nur auf dem physischen
Plane hier nicht ein Ungesundes anwendest, wie ein
Experimentieren mit Karma unbedingt nicht karmisch bedingt
wäre, oder mit Medien, deren Handlungsweise du nicht
verstehst; wenn du dich hier verlassest auf dasjenige, was
für diese Welt vorerst gerade das richtige Bewußtsein
ist, und was ich geschildert habe als das
Alltagsbewußtsein; wenn du dich auf dieses
Alltagsbewußtsein richtig verlassest, dann kommst du auf
ein völliges Verständnis dessen, was aus der
Initiationswissenschaft heraus gesagt wird. — Und wenn
man glaubt, man könne nicht ein solches Verständnis
haben, ehe man selber eindringen kann, so gibt man sich einem
ganz großen Irrtum hin. Und das ist wieder einer der
falschen Wege, auf die man sich heute begibt, zu sagen: Was
geht mich die Geistwelt an, solange ich nicht selber
hineinschauen kann. — Hier liegt einer der
allergrößten, der allergefährlichsten, der
allerdeutlichsten Irrtümer vor. Dieser Irrtum muß vor
allen Dingen von einer Bewegung, wie sie die Anthroposophische
Gesellschaft verkörpert, scharf ins Auge gefaßt
werden.
Geburt
und Tod und das Böse
Daß
der Mensch mit seinem Dasein hier in der physischen
Welt verschiedenen Welten angehört, das kann dem
unbefangenen Bewußtsein einfach daraus hervorgehen,
daß die Tatsachen, die der Mensch erlebt, so wie sie nun
einmal sich darstellen vor dem gesamten menschlichen Erfahren,
sich so ausnehmen, daß sie überall, wo es
aufWichtigstes im Leben ankommt, an die Unverständlichkeit
des All-tagsbewußtseins stoßen, anstoßen
dadurch, daß sie auseinandergerückt erscheinen,
während sie für gewisse Fälle eng
zusammengehören.
So
möchte ich in dieser summarischen Betrachtung
zunächst auf das Hereinkommen des Menschen in diese
physische Welt und das Hinausgehen des Menschen hinweisen,
möchte hinweisen auf Geburt und Tod. Geburt und Tod, diese
zwei ja einschneidendsten Ereignisse im menschlichen
Erdenleben, sie erscheinen dem gewöhnlichen
Bewußtsein auseinandergerückt. Alles, was der Geburt
vorangeht, was damit zusammenhängt, daß der Mensch
ins Erdendasein hereintritt, ist an den Anfang des Erdenlebens
gestellt. Der Tod ist an das Ende des Erdenlebens gestellt. Sie
scheinen auseinandergerückt zu sein. Für denjenigen,
der auf dem Gebiete des geistigen Lebens forscht, rücken
sie immer mehr und mehr zusammen. Denn wenn man den Weg
beschreitet, den ich dadurch charakterisiert habe, daß der
Mensch in die Mondenmysterien eindringt, die Nacht so
hereinzaubert in den Tag, wie ich das gestern beschrieben habe,
so schaut er, wie in all den Vorgängen des Geborenwerdens
der physische und der Ätherleib immer sprießender und
sprossender werden; wie sie aus dem kleinen Eikeim hervorgehen,
wie sie sich allmählich zur menschlichen Gestalt
heranbilden, wie sie auch noch während des Erdenlebens
ein, man möchte sagen, aufwärtsgehendes Leben zeigen
und erst in der Mitte des Erdenlebens, etwa mit dem
fünfunddreißigsten Jahre, beginnen, allmählich
zu verfallen, ein abwärtsgehendes Leben zu zeigen. Das
schaut der Mensch ja auch äußerlich. Derjenige aber,
der sich auf jenen Mondenweg begibt, von dem ich gestern
gesprochen habe, der sieht nun auch, wie zu gleicher Zeit,
indem ein sprießendes, sprossendes Keimesleben für
das Physische und Ätherische beginnt und sich
weitergestaltet, ein anderes Leben, das wir zusammenfassen auf
dem Gebiete der Anthroposophie als astralischen Leib und Ich,
eigentlich erstirbt, dem Tode unterliegt.
Man
sieht, wenn man so in das mystische Leben hineinkommt, das ich
gestern in seiner Konkretheit geschildert habe, nicht nur ein
Geborenwerden des Physischen und Ätherischen, man sieht
ein Sterben des Astralischen und Ich-Wesens. Man sieht den Tod
sich hinein-verweben in das Leben, das Absterbende dem
Aufsprossenden sich vermählen. Und wiederum, wenn man den
Menschen mit diesem Initiatenbewußtsein beobachtet, so
sieht man dann, wenn sein Leib zerfällt, vom
fünfunddreißigsten Lebensjahre an ein Beginnen des
Auflebens im Astralischen und im Ich-Wesen. Nur sind diese
gestört durch das, was ringsherum abstirbt im physischen
und ätherischen Wesen. Aber ein wirkliches Aufleben
geschieht. Und so lernt man durch diesen geistesforscherischen
Weg den Tod schon im Leben, das Leben im Tode kennen. Dadurch
bereitet man sich eben vor, dasjenige, was man absterben sieht
während des Geborenwerdens, weiter zurückzuverfolgen
ins vorirdische Leben, wo es sich in seiner vollen Bedeutung,
in seiner Größe zeigt. Und dadurch, daß man im
absterbenden Erdenleben das Astralische und das Ich-Wesen
allmählich frischer werden sieht, nur eben
gefangengenommen durch das Ätherische und durch das
Physische, bereitet man sich wiederum vor, dem zu folgen, was
durch die Pforte des Todes hinausgeht aus dem menschlichen
Physischen und Ätherischen, dem zu folgen in die geistige
Welt hinein. Tod und Geburt rücken aneinander,
während sie im gewöhnlichen Bewußtsein als
auseinandergerückte Tatsachen vorliegen.
Das
alles aber, was so herausgeholt wird durch die Forschung aus
der geistigen Welt, kann eben in der Weise, wie ich es im
ersten Teil des heutigen Vortrags angedeutet habe, durchaus mit
dem gewöhnlichen Bewußtsein erfaßt werden. Man
muß sich nur dasjenige abgewöhnen, was dieses
gewöhnliche Bewußtsein für den heutigen Tag
verlangt. Sehen Sie, ich habe einen Menschen gekannt, der
sagte: Der Stein fällt hinunter; wenn ich einen Stuhl
aufhebe und ihn loslasse, fällt er hinunter; alles
fällt hinunter zur Erde. Da behaupten die Menschen, die
Erde stünde nicht auf etwas drauf; da müßte sie
doch hinunterfallen — sagte er. Und dieser Mensch
beachtete nicht, daß alles, was auf der Erde ist,
hinunterfallen muß, weil die Erde da ist, daß aber
die Erde selber frei im Weltenraum schwebt, wie die Sterne in
ihrer Totalität sich gegenseitig stützen und
halten.
Die Menschen, die
heute behaupten, alles müsse durch die äußeren
Sinne nach dem Muster der heutigen Wissenschaft bewiesen
werden, die gleichen dem Menschen, der sagt: Wenn die Erde
nicht auf einem großen Pflock aufruht, dann muß sie
herunterfallen. — Die anthroposophischen Wahrheiten sind
eben so, daß sie sich gegenseitig stützen wie die
Sterne. Darauf muß man kommen. Und ist man mit seinem
gewöhnlichen Verständnisse einmal dazu gekommen, dann
beginnt man tatsächlich ideenmäßig
Anthroposophie zu begreifen, auch solche Dinge wie das
Zusammenrücken von Geburt und Tod. Aber gehen wir weiter.
Fassen wir ins Auge, wie derjenige, der zunächst gut
vorbereitet ist durch das, was die gegenwärtige
Wissenschaft bedeuten kann, aber mit lebendiger
Empfänglichkeit sich hineinstellend, nun nicht den ganzen
Menschen erkennen lernt, sondern in der gestern
ausgeführten Weise seine Organe.
Ja,
sehen Sie, durch diese Organerkenntnis, durch diese auf dem
Initiatenweg ergriffene Organerkenntnis stellen sich nicht
Geburt und Tod vor die Seele, sondern etwas ganz anderes. Vor
der Organerkenntnis haben Geburt und Tod sogar ihren
gewöhnlichen Sinn verloren, denn sterben kann eigentlich
nur der ganze Mensch, sterben kann nicht ein einzelnes Organ.
Die Lunge zum Beispiel stirbt nicht. Das hat schon die
gewöhnliche Wissenschaft heute ein bißchen an einem
Zipfel erfaßt, daß, wenn der ganze Mensch gestorben
ist, die einzelnen Organe in einer gewissen Weise für sich
belebt werden können. Die einzelnen Organe sterben nicht,
gleichgültig, ob der Mensch beerdigt oder verbrannt wird,
die einzelnen Organe suchen sich für ihr Wesen ein jedes
den Weg hinaus in den Kosmos, wenn auch der Mensch in der Erde
liegt und die Erde über ihm, wenn er beerdigt worden ist,
ihn zudeckt; es suchen sich die Organe den Weg durch Wasser,
Luft und Wärme in den Kosmos hinaus. Die Organe lösen
sich in Wirklichkeit auf, sterben nicht; nur der ganze Mensch
stirbt.
Vom Tode zu sprechen
beim Menschen hat nur einen Sinn in bezug auf den ganzen
Menschen. Beim Tier muß man von den Organen in dem Sinne
sprechen, daß sie sterben. Beim Menschen ist der
Unterschied gegenüber dem Tiere, daß die Organe sich
auflösen. Sie lösen sich nur schnell auf, so, wie
wenn Sie einen unreifen Apfel kochen, er in einem gewissen
Sinne den Prozeß schneller durchmacht, als derreife Apfel.
Das Beerdigen ist der langsame Prozeß, das Verbrennen ist
der schnelle Prozeß. Die Organe können auch in ihrer
Eigenart verfolgt werden, wie sie ins Unendliche hinausgehen.
Aber da draußen im Kosmos, da ziehen sie nicht ins
Unendliche hinaus, sondern es kommt einem zurück
dasjenige, was ich gestern geschildert habe, der große
Mensch, der kosmische Mensch.
Man
schaut also, wenn man die Organe mit dem
Initiatenbewußtsein verfolgt, das, was im Tode mit den
Organen sich wirklich vollzieht, dieses Hinausgehen nach ihrer
Verwandtschaft in die Regionen des Kosmos. Das Herz geht
woandershin als die Lunge, die Leber geht woandershin als Lunge
und Herz. Sie zerstreuen sich im Kosmos. Das kann man schauen,
wenn man auf dem Initiatenwege das Organbewußtsein, das
Bewußtsein über die Organe entwickelt. Dann erscheint
dieser Mensch. Dann erscheint der Mensch, so wie er eigentlich
in den Kosmos eingegliedert ist. Und im Anschauen dieses
Menschen, wie er eigentlich in den Kosmos eingegliedert ist,
kann sich dasjenige darstellen, was zum Beispiel
aufeinanderfolgenden Inkarnationen zugrunde liegt.
Man
braucht das Anschauen, das sich nicht aus dem ganzen Menschen,
sondern nur aus dem Organanschauen ergibt, um auch wiederum
erkennen zu können das Zurückkommen früherer
Erdenleben für die Anschauung in dieses Erdenleben. Daher
war es so, daß die Leute, die auf dem Mondenwege, wie die
Mystiker, die Theosophen und so weiter, sich hinbegaben in die
geistige Welt, durchaus alles mögliche, Menschenseelen,
wie sie früher gelebt haben, Götter, Geister gesehen
haben, aber sie nicht eigentlich erkennen konnten, nicht darauf
kommen konnten, was sie waren, nicht in bestimmter Weise sagen
konnten: Das ist der Alanus ab Insulis; das ist
Dante; das ist Brunetto Latini. —
Die Wesenheiten waren da; sie wurden mitunter mit ganz
grotesken Bezeichnungen belegt. Frühere Inkarnationen
waren da. Aber man konnte nicht unterscheiden, ob es die
eigenen oder fremde oder irgendwelche andere waren. So daß
die geistige Welt in diese in den Tag hereingezauberte
Nachtwelt hineintritt, sich aber eben dann unter dem
Einfluß der Venusimpulse auflöst, und nun als
geistige Welt in der Gesamtheit da ist, nicht die Bestimmtheit
bekommt, die siebekommen soll. Sehen Sie, in dieser Welt
beginnt also die Möglichkeit, einzusehen, wie der Mensch
im ganzen in die Welt hineingestellt ist, wie er als kosmisches
Wesen existiert.
Auf
der anderen Seite ist damit verbunden eine, ich möchte
sagen außerordentlich tragische Erkenntnis. Denn wenn der
Mensch nur der ganze Mensch wäre, wie er eben in seiner
Haut hier auf der Erde erscheint, ach, das wäre ja ein so
gutes, ein so zahmes, ein so edles Wesen! Geradesowenig wie man
den Tod mit dem gewöhnlichen Bewußtsein erforschen
kann — begreif en kann man ihn in dem angedeuteten Sinne,
aber nicht ihn erforschen —, so kann man auch nicht
erforschen mit dem gewöhnlichen Bewußtsein, warum die
Menschen mit ihren treuherzigen Gesichtern — sie haben ja
alle so treuherzige Gesichter —, warum sie mit ihren
treuherzigen Gesichtern auch böse werden können.
Böse wird man nämlich nicht als ganzer Mensch. Die
Haut ist etwas außerordentlich Braves. Böse wird man
durch die einzelnen Organe. In den Organen liegt die
Möglichkeit des Bösen. Und daher lernt man im
Zusammenhange dieser Verwandtschaft der Organe mit den
einzelnen Weltregionen auch erkennen, aus welchen Weltregionen
herkommt die Besessenheit von dem Bösen; denn eine solche
liegt im Grunde genommen vor selbst beim geringsten Bösen.
So daß zuerst beim Menschen auftritt aus dem Erkennen des
ganzen Menschen Geburt und Tod; zweitens aus dem Erkennen der
Organisation des Menschen Verwandtschaft mit dem Kosmos im
gesunden und kranken Zustande: das Böse.
Und
so kann auch diejenige Gestalt, die durch das Mysterium von
Golgatha gegangen ist, vor die menschliche Seele nur hintreten,
wenn man zuerst eine Möglichkeit hat, aus der menschlichen
Organologie heraus den kosmischen Menschen anzuschauen. Denn
als kosmischer Mensch kam Christus von der Sonne. Er war bis
dahin noch nicht Erdenmensch. Er kam als kosmischer Mensch
heran. Wie soll man einen kosmischen Menschen erkennen, wenn
man sich nicht dazu erst vorbereitet hat, den kosmischen
Menschen überhaupt zu ergreifen! Gerade eine Christologie
kann hervorgehen aus diesem Begreifen des kosmischen Menschen.
Und so sehen Sie, wie die richtigen Wege hineinführen in
die geistige Welt, führen zum Erkennen von Geburtund Tod,
führen zum Erkennen der Verwandtschaft der menschlichen
Organe mit dem Kosmos, führen zum Erkennen des Bösen,
führen zum Erkennen des kosmischen Menschen: Christus.
Das
alles, wenn es dargestellt wird, so daß es sich
gegenseitig stützt, kann verstanden werden. Und das
Verstehen ist dann der beste Weg, selber hineinzukommen in die
geistige Welt, das Verstehen und Meditieren über
dasjenige, worinnen man im Verstehen ist. Die anderen
Meditationsregeln sind dann weitere Unterstützungen. Aber
so ist für jeden heutigen Menschen der rechte Weg hinein
in die geistige Welt. Dagegen alles Probieren auf anderen
Wegen, die heute nicht durch das gewöhnliche
Bewußtsein gehen und das gewöhnliche Bewußtsein
bewahren, alles Probieren mit ausgeschaltetem Bewußtsein,
wie beim Mediumismus, beim Somnambulismus, bei der Hypnose und
so weiter, alles Untersuchen an solchen Weltenvorgängen,
an die man nicht herankommen kann mit dem Bewußtsein im
Sinne einer karikaturhaften heutigen Naturwissenschaft, alles
das sind falsche Wege, denn sie führen nicht in die
wirkliche geistige Welt hinein.
Die
Offenbarung des Himmlischen im Irdischen durch die Kunst
Wenn
der Mensch gefühlsmäßig aufmerksam wird —
und das kann er — auf dasjenige, was durch die Forschung
sich ergibt, wie ich es nun angedeutet habe, daß durch die
Organerkenntnis der kosmische Mensch zurückkehrt, der
Christus gewissermaßen in diesem Zurückkehren
verstanden werden kann; wenn der Mensch dieses, was der
okkulten Forschung und Anschauung aufgehen kann, was in das
Initiatenbewußtsein hereingenommen werden kann an
Forschung, wenn das im Menschen gefühlsmäßig
ersteht, dann ist gewissermaßen innerhalb des Irdischen
das Himmlische durch das Gefühl in dem Ihnen angedeuteten
Bewußtsein geoffenbart. Und das geschieht durch die Kunst.
In der Kunst hält ein halb Unterbewußtes seelisch
fest dasjenige, was aus der geistigen Welt eben auf den
Rückwegen herankommt an die Menschen, auf jenen
Rückwegen, die ich charakterisiert habe. Daher war es,
daß zu allen Zeiten diejenigen Menschen, diedurch ihr
Karma dazu prädestiniert waren, in der Kunst durch das
Irdisch-Stoffliche das Geistige festgehalten haben.
Unsere naturalistische Kunst ist davon abgegangen. Aber jede
Höhe der Kunstentwickelung in der Menschheit stellt ein
Geistiges im Sinnlichen dar, oder, könnte man auch sagen,
erhebt das Sinnliche in die Sphäre des Geistigen hinauf.
Man schätzt Raffael, den Maler, deshalb so hoch,
weil er, wie kein anderer in diesem Maße, imstande war, im
Sinnlichen etwas darzustellen, was sich zu dem Geistigen
hinauferhebt.
Nun
gab es im allgemeinen in der Menschheitsentwickelung eine
Strömung, welche vorzugsweise eine plastische, den
bildenden Künsten zugeneigte war. Wir müssen heute
wiederum neues Leben in den bildenden Künsten finden; aber
der unmittelbare elementarische Impuls in der bildenden Kunst
ist erflossen in vergangenen Zeiten. Seit längerer Zeit,
seit Jahrhunderten, bildet sich der andere Impuls aus, der
Impuls nach dem Musikalischen hin. Daher nehmen auch die
bildenden Künste mehr oder weniger eine musikalische Form
an. Das Musikalische ist in künstlerischer Beziehung die
Zukunft der Menschheit, und alles Musikalische, das auch sonst
in den redenden Künsten zutage treten kann. Der Dornacher
Goetheanumbau war im Musikalischen gehalten. Daher ist er als
Architektur und Plastik und Malerei vorläufig so wenig
verstanden worden. Auch derjenige, der erstehen soll, wird eben
aus diesem Grunde schwer verstanden, weil das Musikalische ganz
im Sinne der Menschheitsentwickelung in das
Plastisch-Malerische, Bildhauerische hineingeführt werden
muß.
Aber gerade das, was
ich angedeutet habe, was für die Menschheitsentwickelung
ein Höchstes ist, das Herankommen der Gestalt des
Christus, ja, der lebensvollen, geist-lebensvollen Gestalt des
Christus, das ist etwas, was in gewissem Sinne ja wunderbar der
Malerei durch die Renaissancemalerei und das, was ihr
vorangegangen ist, gelungen ist, was aber künftig durch
das Musikalische wird gefunden werden müssen. Sehen Sie,
der Drang war da. Es war der Drang da in Richard
Wagner. Und dieser Drang hat Richard Wagner zuletzt zu
seinem «Parsifal» gebracht. Aber der
«Parsifal» ist in bezug auf das Hereinzaubern des
Christus-Impulses in die physisch-sinnliche Welt, wo er am
christlichsten sein will, doch sozusagen nur in eine
symbolistische Andeutung verschwebt: die Taube erscheint und
dergleichen. Die Kommunion ist symbolisch da. Es ist nicht im
Elemente des Musikalischen dasjenige erreicht, was im Kosmos
und im Irdischen den Christus-Impuls eigentlich ausmacht. Das
Musikalische ist aber befähigt, diesen Christus-Impuls in
Tönen, in gestalteten Tönen, in durchseelten, in
durchgeistigten Tönen einmal vor die Welt hinzustellen.
Läßt sich die Musik inspirieren von
anthroposophischer Geisteswissenschaft, wird sie die Wege dazu
finden, denn sie wird rein künstlerisch, artistisch,
gefühlsmäßig enträtseln, wie in Tönen
symphonisch belebt werden kann dasjenige, was im
Kosmisch-Tellurischen als der Christus-Impuls lebt.
Man
braucht dazu nur in einer innerlich bis ins Mystische in der
Empfindung gehenden Vertiefung des musikalischen Erlebens das
Terzengebiet in Dur vertiefen zu können. Erlebt man dies
als etwas, was musikalisch ganz im Inneren des Menschen
beschlossen ist, und empfindet man dann das Quintengebiet in
Dur, empfindet man das Quintengebiet als dasjenige, was etwas
Umhüllendes hat, was etwas davon hat, daß, wenn der
Mensch in die Quintengestaltung hineinwächst, er bis an
die Grenze des Menschlichen und Kosmischen gelangt, wo das
Kosmische in das Menschliche hereintönt, das Menschliche in
das Kosmische hinaus sich sehnt, ja hinaussehnend stürmt,
dann kann man gerade im Musikalischen durch das Mysterium, das
zwischen dem Terzen- und Quintengebiete in Dur sich abspielt
etwas erleben von dem, was als Innermenschliches in das
Kosmische hinaus will. Und gelangt man dann dazu, zuerst
auftönen zu lassen in den Septimendissonanzen das Leben im
Kosmos, wo die Septimendissonanzen sprechen als dasjenige, was
der Mensch im Kosmos empfindend erleben kann, wenn er sich auf
dem Wege befindet in die verschiedenen Geistesregionen hinaus,
und gelangt man dazu, die Septimendissonanzen verschweben zu
lassen so, daß sie gerade durch ihr Verschweben etwas
Bestimmtes annehmen, dann bekommen die Septimendissonanzen
zuletzt im Verschweben etwas, was sich wie ein musikalisches
Firmament dem musikalischen Erleben darstellt.
Und findet man
dann, indem man vorher schon angedeutet hat in intimen
Zügen ein Moll-Erleben in dem Dur-Erleben, findet man dann
in diesem Verschweben der Septimendissonanzen, in diesem
Sich-Gestalten der Septimendissonanzen zu einer Totalität,
die in ihrer Totalität fast harmonisch wird, fast
konsonierend wird, weil sie verschwebt, findet man darinnen die
Möglichkeit, in intensivem Moll herauszubekommen aus der
Septimendissonanz, aus dem fast Harmonischen des Verschwebens
der Septimendissonanzen, findet man zurück den Weg ins
Quintengebiet in Moll und von da das Durchsetzen des
Quintengebietes mit dem Moll-Terzengebiet, dann hat man auf
diesem Wege erzeugt das Erleben, das musikalische Erleben der
Inkarnation, und zwar gerade der Inkarnation Christi.
Denn man wird finden können in diesem
Sich-hinaus-Fühlen in das dem kosmischen Empfinden
gegenüber nur scheinbar dissonierende Septimengebiet, das
man zu einem Firmament gestaltet, indem man die Oktave wie
dahinterstehend, aber nur annähernd dahinterstehend hat,
hat man dieses im Erfühlen ergriffen, kehrt man dann in
der angedeuteten Weise zurück und findet, wie in der
Keimgestalt der Terzenkonsonanzen in Moll die Möglichkeit
liegt, wie etwas Musikalisches die Inkarnation darzustellen,
dann darf, wenn wiederum zurückgegangen wird zum Dur auf
diesem Gebiete, da das «Halleluja» des Christus aus
dieser musikalischen Gestaltung herausklingen, rein
musikalisch, rein aus der Gestaltung der Töne heraus. Dann
wird der Mensch innerhalb der Gestaltung der Töne
herauszaubern in dieser Formung der Töne ein unmittelbar
Übersinnliches, es für das musikalische Empfinden
hinstellen.
Der
Christus-Impuls kann im Musikalischen gefunden werden. Und jene
Auflösung des Symphonischen in das nicht ganz mehr
Musikalische, das bei Beethoven vorhanden war, kann
wiederum zurückgeführt werden in das wirklich
kosmische Walten im musikalischen Elemente. Aus einer gewissen
Engigkeit und, ich möchte sagen, aus einer gewissen
traditionellen Beschränktheit heraus hat Bruckner
das versucht. Aber wie er drinnen stecken blieb, zeigt gerade
die nachgelassene Symphonie, wenn man sie auf der einen Seite
in ihrer Wunderbarkeit hat, auf der anderen Seite in einem
Sich-Vortastendurch die eigentlich musikalischen Elemente und
Nichtkommen zu einem vollen Erleben dieser musikalischen
Elemente, die man nur erleben kann in der Weise, wie ich es
jetzt angedeutet habe, wenn man im rein Musikalischen
vorschreitet und im Musikalischen drinnen das Essentielle, das
Wesenhafte findet, das eine Welt in Tönen hineinzaubern
kann.
Es
wird einmal ganz gewiß, wenn die Menschheit nicht in die
Dekadenz kommt, durch anthroposophische Inspiration dasjenige
entstehen können, was ich angedeutet habe. Und so kann es
einmal dazu kommen — es hängt ja nur von den
Menschen ab —, daß gerade im Musikalischen der
Christus-Impuls in wahrer Gestalt auch vor die äußere
Offenbarung hintritt.
Ich
wollte dieses aus dem Grunde vor Ihre Seele hinstellen, weil
Sie daraus sehen können, daß Anthroposophie auf allen
Gebieten hineinfließen will in das Leben, und es kann das
geschehen, wenn das Leben auch wirklich auf der anderen Seite
den Weg, den rechten Weg findet hin zu dem anthroposophischen
Erfahren, zu dem anthroposophischen Erforschen. Und es wird
sogar das sein können, daß dasjenige, was auf
anthroposophischem Gebiet da ist, einmal wie in einem Echo aus
dem Musikalischen heraustönt, wie wenn das Echo eine
Lösung wäre des christologischen Rätsels.
Mit
diesen Worten möchte ich abgerundet haben dasjenige, was
ich durch diese Vorträge ja nur andeuten konnte, andeuten,
welche Absichten damit verbunden waren. Ich möchte nur
noch das Wort anfügen, daß es mir gelungen sein
möge, in den Seelen ein wenig anzuregen, was ich
bemerklich zu machen versuchte durch diese Darstellungen
anthroposophischer Wahrheiten, daß tatsächlich diese
anthroposophischen Wahrheiten Keime sein können in jeder
Seele, die zu Leben erstehen können, die zu immer weiterem
und weiterem Leben in der Zivilisation führen
können.
Möge auch dieser
Vortragszyklus ein kleiner Beitrag zu diesen weitgehenden
Absichten anthroposophischen Wollens sein.
|