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Highlight Words

Aus der Akasha-Forschung. Das Fuenfte Evangelium

Schmidt-Nummer: S-2840

Online seit: 6th November, 2007

Berlin, 18. November 1913
Dritter Vortrag

Als ich das letzte Mal hier sprach, versuchte ich einiges zu erzählen aus dem Fünften Evangelium über das Leben des Jesus von Nazareth von dessen zwölftem Jahre bis in die Zeit der Johannestaufe im Jordan hinein. Als ich damals jene bedeutungsvolle Erfahrung erzählte, welche der Jesus von Nazareth an einer heidnischen Kultstätte gehabt hat, da zeigte ich, wie uns das Lesen in der Akasha-Chronik heute diesen Jesus von Nazareth an dieser heidnischen Kultstätte schauen läßt, wie er den Eindruck hat von den Altar umgebenden Dämonen. Ich will an dieses nur kurz erinnern, wie er dann wie tot hinfällt, wie er entrückt ist in eine andere Welt, in der er wahrnehmen kann, welches die göttlich-geistigen Geheimnisse der uralt heiligen Mysterienlehre der Heiden waren. Denn so konnte er ja in sich eine lebendige Idee von dem aufnehmen, was einstmals das Heidentum war, und von dem, was es zu seiner Zeit geworden ist.

Ich erwähnte schon, daß er während dieser Zeit — also in diesem anderen Bewußtseinszustande an einem heidnischen Altare, von dem wir das letzte Mal gesprochen haben — etwas hörte wie aus der geistigen Welt heraus die Verkündigung von Worten, die zum Ausdruck brachten, so wie es in der uralt heiligen Lehre der Heidenvölker zum Ausdruck gebracht worden ist, was zu betrachten ist als das Geheimnis von des Menschen Verquickung mit der materiellen, mit der sinnlich-physischen Welt. Er hörte also sozusagen aus den geistigen Welten jene Stimme, die den alten heidnischen Propheten zugänglich war. Und was er da hörte, ist zu bezeichnen als eine Art kosmisches Vaterunser. Es drückt aus, wie des Menschen Seelenschicksal sich gestalten muß dadurch, daß der Mensch mit der Erdenmaterie von der Geburt bis zum Tode verquickt ist. Dieses kosmische Vaterunser, dessen spätere Umkehrung das irdische Vaterunser wurde, war mir möglich zuerst zu Gehör zu bringen bei unserer Grundsteinlegung in Dornach. Ich werde es hier wieder zur Verlesung bringen, denn es liegt tatsächlich die Urlehre der heidnischen Menschheit in diesen Worten. So gut es geht, versuche ich sie eben in deutscher Sprache wiederzugeben:

Amen

Es walten die Übel

Zeugen sich lösender Ichheit

Von ändern erschuldete Selbstheitschuld

Erlebet im täglichen Brote

In dem nicht waltet der Himmel Wille

Indem der Mensch sich schied von Eurem Reich

Und vergaß Euren Namen

Ihr Väter in den Himmeln.

Das war es ungefähr, was der Jesus von Nazareth als das Geheimnis des Erdenmenschen im Sinne der uralt heiligen Lehre damals bei seiner Wanderung in heidnischen Gegenden gehört hat. Es bringen diese Worte wirklich tiefe Geheimnisse der Menschheitsevolution zum Ausdruck. Dieses bedeutsame Hören drang also damals in des Jesus Seele herein, als es gegen sein vierundzwanzigstes Jahr zu ging, und er wußte von da ab etwas, was einstmals in uralten Zeiten der Menschheitsentwickelung aus der geistigen Welt heruntergetönt hat, was ihm so groß und gewaltig erschien, daß er sich sagte, insbesondere nachdem er an der verfallenen alten heidnischen Kultstätte den das letzte Mal geschilderten Eindruck hatte: Jetzt sind für alles das auf der Erde nicht mehr die Menschen da, um es zu verstehen.

So hatte er das Heidentum kennengelernt. Wir haben gesehen, wie er in den drei aufeinanderfolgenden Epochen seines Jugendlebens kennengelernt hat die tiefsten Tiefen des Judentums, die tiefsten Tiefen des Heidentums und auch die tiefsten Tiefen des Essäertums. Wir haben gesehen, wie diese Erkenntnisse für ihn Stück für Stück Quellen tiefsten Leides waren. Denn von allen drei Erkenntnissen mußte er sich sagen: Sie könnten da sein, wenn in der Menschheit jetzt die Bedingungen dazu vorhanden wären, um sie aufzunehmen; aber diese Bedingungen sind eben jetzt nicht zu schaffen.

Das war das Ergebnis dieses Jesus-Lebens. So zeigt es uns das Fünfte Evangelium, daß der Jesus sich sagen konnte, bevor er den Christus in sich aufgenommen hatte: Es hat eine Menschheitsevolution stattgefunden, aber so, daß die Menschen Fähigkeiten sich angeeignet haben, welche die anderen Fähigkeiten der Urzeit verdunkelt haben, so daß die Menschen jetzt nicht mehr imstande sind, die Verkündigungen der geistigen Welt entgegenzunehmen, wie sie in der Urzeit für Juden und Heiden stattgefunden hatten. — Aber auch das hatte er sich durch seine Verbindung mit den Essäern sagen müssen, daß so, wie die Essäer zu einer Wiedervereinigung mit der geistigen Welt kommen, nur ein kleines Häuflein, nicht die ganze Menschheit, zu einer solchen Wiedervereinigung kommen könnte. So war ihm auch dieser Weg als ein unmöglicher erschienen. Arme, arme Menschheit — so ging es durch seine Seele — , wenn dir ertönen würden die Stimmen der alten heidnischen Propheten, du würdest sie nicht mehr verstehen. Wenn dir ertönen würden die Stimmen der alten jüdischen Propheten, du würdest sie nicht mehr verstehen. Das aber kannst du nicht als gesamte Menschheit jemals erstreben wollen, was die Essäer erstreben; das ist nur zu erstreben von einem kleinen Häuflein, das auf Kosten der übrigen Menschheit seine Vollkommenheit sucht.

Was ich Ihnen so in einigen trockenen Worten erzähle, das war in ihm Leben, schmerzvolle seelische Wirklichkeit. Das war in ihm eine Empfindung unendlichen Mitleides mit der gesamten Menschheit, jenes Mitleides, das er empfinden mußte, um reif zu werden, damit er die Christus-Wesenheit in sich aufnehmen konnte.

Bevor aber dieses geschah, hatte der Jesus von Nazareth noch ein wichtiges Gespräch mit derjenigen Persönlichkeit, die wir als seine Zieh- oder Stiefmutter kennen. Wir wissen ja, daß die Mutter jenes nathanischen Jesus, der in seinem zwölften Jahre die Individualität des Zarathustra in sich aufgenommen hatte, das heißt also die wirkliche leibliche Mutter dieses nathanischen Jesus, gestorben war bald, nachdem dieser Jesusknabe den Zarathustra, der in dem anderen Jesusknaben verkörpert war, in sich aufgenommen hatte, so daß also deren Seele längst in der geistigen Welt war. Wir wissen auch aus früheren Vorträgen verflossener Jahre, daß der Vater des anderen, des salomonischen Jesusknaben, gestorben war, und daß aus den beiden Familien der beiden Jesusknaben eine einzige Familie in Nazareth geworden war, innerhalb welcher der Jesus mit seinen Geschwistern und mit der Zarathustra-Mutter zusammen war. Wir wissen, daß der Vater des Jesus von Nazareth, als dieser etwa im vierundzwanzigsten Jahre von einer größeren Wanderung zurückkam, gestorben war, und daß nun der Jesus von Nazareth allein mit seiner Mutter, der Zieh- oder Stiefmutter, lebte. Im allgemeinen muß gesagt werden, daß diese Zieh- oder Stiefmutter sich nur langsam ein Gemütsverständnis, aber eben nach und nach ein tiefes Gemütsverständnis für alle die tiefen Erlebnisse aneignete, welche der Jesus von Nazareth durchmachte. Es wuchsen gewissermaßen im Laufe der Jahre diese Seelen, die des Jesus von Nazareth und die der Zieh- oder Stiefmutter, ineinander.

In der ersten Zeit nach seinem zwölften Jahre war er auch im Elternhause mit seinem Erleben einsam. Die anderen Geschwister sahen in seiner Seele, die mit ihren tiefen, schmerzlichen Erlebnissen fertig werden mußte, eigentlich nur eine Seele, die einer Art von Wahnsinnszustand entgegenging. Die Mutter dagegen fand eben die Möglichkeit, immer mehr und mehr Verständnis für diese Seele zu gewinnen. Und so kam es, daß der Jesus von Nazareth in seinem neunundzwanzigsten oder dreißigsten Jahre mit dieser Mutter ein wichtiges Gespräch führen konnte, ein Gespräch, das tatsächlich von tiefster Wirkung war, wie wir gleich sehen werden.

Dieses Gespräch enthielt im Grunde genommen in einer Art Rückschau alles, was der Jesus von Nazareth seit seinem zwölften Lebensjahre erlebt hatte. Die Akasha-Chronik zeigt uns, wie dieses Gespräch verlief. Zunächst sprach der Jesus von Nazareth von jenen Erlebnissen, die sich zwischen seinem zwölften bis sechzehnten oder achtzehnten Jahre zugetragen hatten, wie er in dieser Zeit das, was einstmals die uralte hebräische Lehre war, die uralte Lehre der hebräischen Propheten, nach und nach in sich selbst erlebte. Er hatte es ja in der Umgebung durch niemanden erleben können, wie er auch nicht jene Worte durch jemanden in seiner Umgebung hatte erleben können, die er zu solchem Erstaunen der Schriftgelehrten in ihrer Mitte bei der bekannten Gelegenheit vorgebracht hatte. Aber immer stiegen in seiner Seele Inspirationen auf, von denen er jedoch wußte: sie kommen aus der geistigen Welt. Die hebräische Lehre stieg so in ihm auf, daß er sich wußte als Besitzer dieser alten hebräischen Lehre, für die aber zu seiner Zeit keine Ohren da waren. Er war mit dieser Lehre allein. Das war sein großer Schmerz, daß er mit dieser Lehre allein war.

Die Mutter hatte zwar manches zu erwidern, wenn er sagte: Auch wenn heute noch die Stimmen der alten hebräischen Propheten ertönten, so würde es doch keine Menschen geben, um diese Stimmen zu verstehen. Die Mutter sagte darauf, daß zum Beispiel Hillel dagewesen sei, ein großer Gesetzeslehrer, und der Jesus von Nazareth wußte auch zu würdigen, wer Hillel war und was er für das Judentum bedeutete. Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, welche Bedeutung dieser Hillel hatte. Sie finden es im jüdischen Schrifttum genügend gewürdigt. Hillel war ein Erneuerer der schönsten Tugenden und Lehren des alten Judentums, wie auch eine Persönlichkeit, die durch ihre eigene Art und Weise dieses alte Judentum wieder zu einer Art Erneuerung brachte. Aber das war nicht dadurch gekommen, daß Hillel ein Gelehrter war, sondern dadurch, daß er durch sein Tun und Treiben, vor allem aber in seinem Fühlen, Wollen und Wünschen und in seiner Art, die Menschen zu behandeln, zum Ausdruck brachte, wie wirkliche Weisheit jeglicher Art in der Menschenseele die Seele umgestaltend wirkt. Was man insbesondere im Judentum pries, aber in der damaligen Zeit nicht mehr recht verstand: die Geduld in der Behandlung anderer Menschen — dem Hillel wurde sie mit Recht zugeschrieben. Er hatte ja auch auf sonderbare Art die Möglichkeit erlangt, unter den Hebräern zu wirken. Er stammte aus Babylon, aber aus einem Geschlechte, das von den Juden zur Zeit der Gefangenschaft hinüberverpflanzt war nach Babylon, und das seinen Ursprung auf die Familie David selbst zurückführte. Auf diese Weise hatte er in sich vereinigt, was er aus dem Babyloniertum hatte aufnehmen können, mit dem in seinem Blute pulsierenden Hebräertum. Und wie sich das in seiner Seele gestaltet hat, das wird in einer bedeutungsvollen Legende erzählt.

Einmal, so heißt es, als Hillel gerade in Jerusalem ankam, waren die bedeutendsten anderen jüdischen Gelehrten zu allerlei Diskussionen versammelt, in denen man hören konnte, wie pro und kontra über die Geheimnisse der jüdischen Lehre gesprochen wurde. Man hatte eine Kleinigkeit zu zahlen, um solchen Diskussionen beiwohnen zu können. Hillel hatte kein Geld, denn er war sehr arm. Trotzdem es sehr kalt war, versuchte er einen kleinen Hügel vor dem Hause zu besteigen, in welchem die Diskussionen stattfanden, um durch das Fenster zu hören, was gesprochen wurde. Denn er konnte seinen Eintritt nicht bezahlen. Es war so kalt in der Nacht, daß er steif wurde vor Frost, so daß man ihn später am Morgen steif fand und ihn erst wieder erwärmen mußte, damit er auftaue. Aber er hatte dadurch, daß er dieses durchgemacht hatte, in seinem Ätherleibe teilgenommen an der ganzen Diskussion. Und während die anderen selber nichts anderes hörten als die abstrakten Worte, die hin- und widerflogen, hatte Hillel eine Welt von wunderbaren Visionen gesehen, die seine Seele umgestalteten.

Solcher Ereignisse wären noch manche zu erzählen. Insbesondere wurde seine Geduld gerühmt. Von dieser Geduld sagte man, sie sei unerschöpflich. Und einmal, so wird sogar erzählt, ging jemand eine Wette ein, Hillels Geduld aufs äußerste zu erschöpfen, so daß Hillel zornig werden sollte. Die Wette war eingegangen, und der, welcher den Hillel zornig machen wollte, das heißt, seine Geduld ausschöpfen wollte, hatte die Aufgabe, dieses zu tun. Und er tat das Folgende. Er ging hin, als Hillel seine Vorbereitungen traf zu dem, was er am Sabbat zu lehren hatte und gerade im Neglige war, pochte an die Tür und rief: Hillel, Hillel, komm heraus! — Hillel fragte: Was ist denn? — Ach, Hillel, komm heraus, ich habe eine wichtige Frage an dich! — Hillel zog sich seinen Rock an, ging hinaus und sagte: Mein Sohn, um was hast du mich zu fragen? — Da sagte der Betreffende, der die Wette eingegangen war, zu ihm: Hillel, ich habe eine wichtige Frage an dich. Warum haben manche Leute unter den Babyloniern so spitze Köpfe? — Und Hillel antwortete: Mein lieber Sohn, weißt du, die Babylonier haben so schlechte Hebammen, und da werden sie unter so ungünstigen Umständen geboren. Daher haben dort manche Leute so spitze Köpfe. Geh nun, deine Frage ist beantwortet. — Und Hillel ging wieder in das Haus hinein und bereitete sich weiter für den Sabbat vor.

Aber nach kurzer Zeit kam derselbe Mensch wieder und rief wie vorher: Hillel, Hillel, komm heraus! — Hillel antwortete: Was ist es denn? — Ach, Hillel, ich habe eine wichtige Frage, die sogleich beantwortet werden muß. — Und Hillel kam wieder heraus und sagte zu dem Fragenden: Was ist es für eine Frage? — Und der Betreffende antwortete: Ach, Hillel, sage mir doch, warum gibt es in Arabien so viele Menschen, die so sehr verkniffene Augen haben? — Hillel antwortete: In Arabien ist die Wüste so weit, und man kann sie nur ertragen, wenn man mit seinen Augen an die Wüste angepaßt ist. Daher haben in Arabien viele Menschen so sehr verkniffene Augen. Gehe nun, mein Sohn, denn deine wichtige Frage ist beantwortet. — Und Hillel ging wieder in das Haus hinein.

Aber es dauerte nicht lange, da kam der Betreffende zum dritten Male und rief wiederum: Hillel, Hillel, komm heraus! — Was ist es denn? — Hillel, komm heraus, ich habe eine wichtige Frage, die sogleich beantwortet werden muß! — Hillel ging heraus, und da sagte der Betreffende: Ach, Hillel, beantworte mir doch die Frage: Warum haben denn so manche Leute in der Nähe Ägyptens so platte Füße? — Und Hillel antwortete: Mein lieber Sohn, sie haben so platte Füße, weil sie in sumpfigen Gegenden leben. Da brauchen sie so platte Füße wie manche Vögel, die in sumpfigen Gegenden leben, und da müssen die Füße angepaßt sein an die Umgebung. Daher haben sie so platte Füße. Gehe nun, mein Sohn, deine Frage ist beantwortet. — Und er ging wieder hinein.

Doch nach wenigen Minuten kam derselbe Mensch wieder, klopfte wieder an das Haus, aber er war bei jeder Frage trauriger geworden, und er rief, noch trauriger als vorher: Hillel, komm heraus! — Und als Hillel kam, da sagte er: Ach, Hillel, ich habe gewettet, daß ich dich in Zorn bringen kann. Jetzt habe ich es dreimal mit meinen Fragen versucht. Sage mir doch, o Hillel, was ich tun muß, damit ich meine Wette nicht verliere! — Aber Hillel antwortete: Mein Sohn, besser ist es, daß du deine Wette verlierst, als daß Hillel zornig werden könnte. Gehe nun, und bezahle deine Wette!

Das ist ein Beispiel, welches zeigen soll, bis zu welchem Grade von Geduld es Hillel damals in den Augen oder in der Meinung seiner jüdischen Mitbewohner gebracht hatte. Die Wirkung dieses Mannes hatte also der Jesus von Nazareth auch erlebt. Aber er kannte nicht nur, was Hillel gewirkt hatte, sondern er hatte selbst in seiner Seele die große Bath-Kol vernommen, das heißt die Stimme vom Himmel, wo aus der göttlich-geistigen Welt heraus die Geheimnisse, wie sie einst den Propheten ertönten, ihm im Inneren seiner Seele aufgestiegen waren. Und er wußte, daß auch selbst in Hillel nur ein ganz schwacher Nachklang dessen war, wofür einstmals die Vorfahren der Hebräer reif waren. Aber jetzt waren die Nachfahren der alten Hebräer nicht einmal für den schwachen Nachklang, der in Hillels Stimme ertönte, und noch weniger für die große Bath-Kol reif.

Das alles lastete auf seiner Seele, und das teilte er der Mutter mit. Er teilte ihr mit, was er erlitten hatte, wie ihm von Woche zu Woche immer mehr aufging, welches die uralt heiligen Lehren des alten Judentums waren, und wie die Nachfahren der alten Hebräer keine Ohren mehr hatten, um zu hören, was einst die Worte der großen Propheten waren. Und jetzt verstand ihn die Mutter, so daß ein tiefes Gefühls- und Gemütsverständnis seinen Worten entgegenkam.

Und dann erzählte er von jenem Ereignis, das er erlebte, nachdem er sein achtzehntes Jahr vollendet hatte und hinausgezogen war in jüdische und heidnische Gegenden. Er erzählte es erst jetzt der Mutter, wie er auf seiner Wanderung an eine heidnische Kultstätte gekommen war, wie aber dort die Priester geflohen waren. Denn es war unter der Bevölkerung eine bösartige Krankheit ausgebrochen, die jeden anstecken konnte. Und als er hinkam, wurde er gesehen, und wie ein Lauffeuer verbreitete es sich, daß ein ganz besonderer Mensch herankäme. Denn das war ihm eigentümlich, daß er allein schon durch sein äußeres Auftreten, als Jesus von Nazareth, überall, wo er hinkam, einen besonderen Eindruck machte. So glaubten die Menschen jener Gegend, deren größte Trauer darin bestand, daß die heidnischen Priester sie verlassen hatten und ihr Altar nicht mehr bedient wurde, sie glaubten, daß ein Opferpriester herankäme in Jesus von Nazareth, der wieder ihre Opfer verrichten werde. In großer Zahl versammelten sie sich um den verfallenen Altar. Jesus von Nazareth hatte nicht den Willen, ihren Opferkult zu verrichten. Aber er sah die tieferen Gründe dessen, warum jene Menschen litten. Er sah das, was man folgendermaßen ausdrücken könnte:

An solchen Opferaltären wurden einstmals rechtmäßige Opfer verrichtet, die der äußere Kultausdruck waren für die alten Mysterienoffenbarungen jener heidnischen Gegenden. In den Kulthandlungen waren ja die Mysterienoffenbarungen ausgedrückt. Und wenn solche Kulthandlungen in uralt heiligen Zeiten — das wußte er jetzt durch unmittelbare Anschauung — verrichtet wurden, verrichtet wurden mit der richtigen Gesinnung der Priester, dann nahmen die göttlichgeistigen Wesen, mit denen die heidnischen Menschen verbunden waren, daran teil. Aber nach und nach waren diese Opferhandlungen in Dekadenz gekommen, waren herabgekommen, korrumpiert. Die Priester waren nicht mehr mit den rechtmäßigen Gesinnungen begabt, und so war es gekommen, daß an einer solchen Kultstätte statt der guten alten Götterwesen Dämonen walteten. Und in diesen Dämonen liegt der Grund, warum die Bevölkerung leiden mußte. Diese Dämonen sah jetzt der Jesus von Nazareth versammelt. Sie forderten gleichsam seinen hellseherischen Blick heraus, und er fiel hin, war wie tot. Und als er hinfiel, erkannten die Menschen, daß er nicht gekommen war, um an ihrem Altar wieder die Opfer zu verrichten. Sie ergriffen die Flucht, und in diesem Augenblicke sah er den ganzen Übergang der alten heidnischen Götterwelt in die Dämonenwelt und erkannte, daß dies die Gründe der Leiden dieses Volkes waren.

Aber er wurde nun auch entrückt in jene Heidenzeiten, als die wirklichen Offenbarungen der uralt heiligen Lehren zu den Menschen herunterkamen. Das hörte er bei dieser Gelegenheit, was ich als das kosmische Vaterunser vorgelesen habe. Jetzt wußte er, wie weit entfernt die gegenwärtige, auch seine gegenwärtige Menschheit im Heidentume wie im Judentume, von den alten Lehren und Offenbarungen war. Nur hatte er, was er über das Judentum zu lernen hatte, durch die Stimme der großen Bath-Kol erlangt. Das Heidentum dagegen war ihm aufgegangen in einer furchtbaren Vision. Die wirkte ganz anders als eine abstrakte Mitteilung; sie wandelte seine Seele um. So wußte er, daß jetzt keine Ohren mehr da waren, um das zu verstehen, was einstmals für das Judentum in den Stimmen der Propheten erklungen, wie aber auch für das andere, das einst für das alte Heidentum herunterklingen konnte, jetzt keine Ohren mehr da waren, um es zu verstehen.

Das alles erzählte er jetzt in bewegten Worten der Mutter. Dann erzählte er auch seine Gemeinschaft mit den Essäern, insbesondere das, was, wenn ihm die Mutter nicht schon ein solches Gemütsverständnis entgegengebracht hätte, schwer zu verstehen gewesen wäre: daß er, als er einst hinausging von einer Essäerversammlung, von den Toren Luzifer und Ahriman fliehen sah. Er wußte, daß die Methoden der Essäer für die große Menge der Menschen unmöglich waren. Zwar konnte man eine Vereinigung mit der göttlich-geistigen Welt durch diese Methoden haben, aber nur dadurch, daß man Luzifer und Ahriman von sich wies. Doch indem man dies tat, hatten Luzifer und Ahriman um so mehr die Möglichkeit, zu den anderen Menschen hinzufliehen und sie weiter in die Verstrickungen des irdischen Daseins hineinzustoßen, so daß sie nicht teilnehmen konnten an der Vereinigung mit der geistigen Welt. Durch dieses Erlebnis wußte also der Jesus von Nazareth: Auch der Essäerweg kann kein allgemein menschlicher werden, denn er ist nur für ein kleines Häuflein von Menschen möglich. — Das war eine dritte schmerzliche Erkenntnis zu den beiden anderen.

Es war in einer eigentümlichen Art, wie er das erzählte. Denn nicht nur gingen seine Worte hinüber zur Mutter, sondern die Worte flössen zum Herzen der Mutter hinüber wie lebendige Wesen. Die Mutter fühlte sich, wenn der tiefe Sinn dieser Worte — der von Leiden, aber auch von tiefster Menschenliebe durchtränkte Sinn — in ihre Seele hinüberfloß, wie wenn ihre Seele innerlich erkraftete, von einer von ihm herüberkommenden Kraft belebt würde und eine innere Wandlung erführe. So fühlte die Mutter. Es ist wirklich so, wie wenn alles, was in der Seele des Jesus von Nazareth lebte, während dieses Gespräches in die Seele der Mutter hinübergegangen wäre. Und es war auch für ihn so. Denn Merkwürdiges enthüllt uns geheimnisvoll hier der Blick in die Akasha-Chronik.

Der Jesus von Nazareth erzählte so, daß seine Worte, indem sie sich ihm entrangen und indem sie hinüberzogen in Herz und Seele der Mutter, immer ein Stück seines eigenen Ichs mit hinübernahmen. Man könnte sagen: Auf den Flügeln seiner Worte ging sein eigenes Ich wie hinüber zur Mutter, aber ohne daß es als solches eigentliches Ich in die Mutter hinüberging, die sich nur durch diese Worte wie belebt fühlte. Denn das Merkwürdige geschah jetzt, daß durch die Wirkung dieses Gespräches die Seele jener Mutter, welche die leibliche Mutter des nathanischen Jesus war, aus der geistigen Welt herunterkam und sich mit der Seele der Stief- oder Ziehmutter verband, so daß von jenem Gespräche an in der Seele der Stief- oder Ziehmutter zugleich die Seele der wirklichen Mutter des nathanischen Jesus lebte. Empfangen hatte die Seele der Stief- oder Ziehmutter die Seele jener anderen Mutter. Es war wie eine Art Wiedergeburt zur Jungfräulichkeit, was hier stattgefunden hat. Diese Wandlung, diese Durchsetzung der Seele der Mutter mit einer anderen Seele aus den geistigen Welten, sie macht in der Beobachtung allerdings einen tief, tief ergreifenden Eindruck, wenn man sieht, wie jetzt weiterhin die Stief- oder Ziehmutter eigentlich nur als Hülle derjenigen Mutter herumwandelt, welche die Zeit von Jesu zwölftem bis dreißigstem Jahre in der geistigen Welt zugebracht hat.

In dem Jesus selber war jetzt etwas, wie wenn er sein Ich an die Mutter hingegeben hätte, wie wenn in ihm nur, wie von kosmischen Gesetzen beherrscht, der physische Leib, der Ätherleib und der Astralleib lebten. Und ein innerer Drang entstand in dieser dreifachen Leiblichkeit des Jesus von Nazareth, zu demjenigen hinzugehen, den er in der Essäergemeinschaft kennengelernt hatte, der ja ebensowenig wie er ein wirklicher Essäer war, aber in die Essäergemeinschaft aufgenommen war, hinzugehen zu Johannes dem Täufer. Und dann fand bei dem, was aus den vier anderen Evangelien bekannt ist, bei der Taufe, die Hineinsenkung der Christus-Wesenheit in die Leiblichkeit des Jesus von Nazareth statt, die ihr mit ihren Leiden und mit ihrem ganzen Wesen verbundenes Ich in das Gespräch gelegt hatte, das in die Seele der Mutter hinübergegangen war. Auf nahm diese dreifache Leiblichkeit die Ihnen oftmals geschilderte Christus-Wesenheit, die jetzt anstelle jenes anderen Ichs in diesen drei Leibern lebte.

Und nun spricht uns auch dieses Fünfte Evangelium, das aus der Akasha-Chronik zu gewinnen ist, von der auf die Empfängnis der Christus-Wesenheit folgenden Versuchung. Nur ergibt sich durch den Blick in die Akasha-Chronik die Versuchung in etwas anderem Geiste, und ich werde wiederum versuchen, so gut es geht, zu erzählen, was sich da ergibt, wie die Versuchungsszene sich ereignet hat.

Es stand, also jetzt können wir sagen der Christus Jesus, zuerst dem Luzifer gegenüber. Und Luzifer stellt tatsächlich durch jenen Vorgang, den der Geistesforscher durchaus begreifen kann, und auch in jener Form, die der Geistesforscher begreifen kann, die Frage, die man natürlich in äußere Worte umsetzen muß, wenn man sie erzählen will, die Frage, die in den anderen Evangelien mitgeteilt ist, die Frage, die eine Versucherfrage ist, die besonders zu dem Hochmut sprechen sollte: Alle Reiche, die du um dich herum siehst — und Luzifer meinte die Reiche der astralen Welt in ihren Weiten — , sollen dir gehören, wenn du mich als deinen Herrn anerkennst!

Diese Frage spricht im richtigen Momente, wenigstens zu einer Menschenwesenheit gestellt, den tiefsten Versuchungsimpuls aus, denn es werden alle Kräfte und Triebe des Hochmutes und der Selbstüberschätzung ausgelöst in der Seele. Man kann sich natürlich nicht gut davon eine Vorstellung machen, wenn man nur mit Abstraktionen an die astrale Welt denkt. Aber wenn man in ihr drinnensteht, dann ist die Wirksamkeit der Kräfte dieser astralen Welt, in der dann Luzifer spricht, auf die ganze Konstitution des Menschen so wirksam, daß alle Dämonen des Hochmuts in ihm losgelassen werden mit derselben Notwendigkeit, wie man hungrig wird, wenn man vier bis fünf Tage nichts gegessen hat. Man kann da nicht sprechen in der harmlosen Weise des physischen Planes: Man solle sich nicht vom Hochmut verblenden lassen. — Das ist schön und gut für den physischen Plan, aber es ist nicht mehr von derselben Wertigkeit, wenn die ganze astrale Welt auf die Konstitution des Menschen einstürmt. Aber der Christus Jesus widerstand der Versuchung des Luzifer. Dem Hochmute konnte diese Wesenheit nicht verfallen. Er wies Luzifer zurück.

Ich möchte hier eine Einschaltung machen. Es ist im allgemeinen leicht möglich, beim Lesen in der Akasha-Chronik die Reihenfolge zu verwechseln. Ich glaube, die Reihenfolge bei der sogenannten Versuchung ist so, wie sie mir richtig zu sein scheint. Es könnte aber sein, daß sie umgekehrt wäre. Ich glaube das nicht, könnte aber nicht sagen, daß sich bei einem späteren Verifizieren nicht die umgekehrte Reihenfolge ergeben könnte. Daher möchte ich durchaus darauf aufmerksam machen, daß ich Ihnen bei diesen Mitteilungen aus der Akasha-Chronik nichts anderes erzähle, als was sich wirklich ergibt. Daher mache ich an den Stellen, wo sich Unsicherheit ergibt, darauf aufmerksam, daß hier später eine Korrektur möglich sein könnte.

Nachdem also die erste luziferische Attacke abgeschlagen war, traten nun Luzifer und Ahriman vereint auf. Vereint stellten sie an den Christus Jesus die Frage von dem Sich-Herabstürzen tief in den Abgrund hinein. Das war eine Frage, die an den Stolz gestellt war. Auf einem besonderen Umwege sollte zum Stolz, zum Sich-erhabenFühlen über alle Furcht, diese Frage gestellt werden. Der Christus Jesus wies die Frage zurück. Er war nicht zu versuchen, indem man an seinen Stolz herantrat, womit in diesem Falle das Sich-erhaben-Dünken über die Furcht gemeint war. Luzifer mußte jetzt weichen, von ihm ablassen.

Ahriman blieb zurück, und er stellte die dritte Frage, die wiederum auch im Fünften Evangelium mit der Frage in den anderen Evangelien übereinstimmt, die Frage, die sich darauf bezieht, daß die Steine zu Brot werden sollten. Wenn der Christus wirklich die Macht habe, so sollte er die Steine zu Brot werden lassen. Und siehe da: dieser Frage gegenüber blieb ein unbeantworteter Rest. Nicht ganz vermochte der Christus Jesus diese Frage dem Ahriman zu beantworten, und Ahriman zog nicht vollständig besiegt ab. Das zeigt uns allerdings die Akasha-Chronik-mäßige Betrachtung dieser Sache. Und der Christus Jesus wußte: bezüglich Ahrimans bleibt ein Rest, der nicht durch einen solchen inneren geistigen Vorgang zu überwinden ist, sondern zu dem andere Dinge noch notwendig sind.

Ich möchte in einer vielleicht trivialen Weise einmal versuchen, dies auseinanderzusetzen. Wir werden uns dadurch aber leichter darüber verständigen können, um was es sich handelt. Ahriman ist eigentlich der Herr der Welt der materiellen Gesetze. Wenn die Münchner Vorträge aus diesem Jahre einmal gedruckt sein werden, dann wird man die ganze Welt des Ahriman noch deutlicher durchschauen. Ahriman ist der Herr der materiellen Gesetze, jener Gesetze, welche in der Tat nur vergeistigt werden können, nachdem die gesamte Erdentwickelung abgelaufen sein wird, jener Gesetze, die tätig bleiben, die wirksam bleiben. Ahriman ist der rechtmäßige Herr der materiellen Gesetze. Würde er diese Herrschaft nicht mißbrauchen, nicht auf etwas anderes ausdehnen, so wäre er eine in seiner Art einzig notwendige Wesenheit innerhalb der Erdentwickelung. Aber das gilt doch, was in dem kosmischen Vaterunser steht: «Von ändern erschuldete Selbstheitschuld, erlebet im täglichen Brote, in dem nicht waltet der Himmel Wille.» Es gilt das, daß der Mensch in seinem Erdenleben an die materiellen Gesetze gebunden ist, und daß er die unmittelbare Vergeistigung dessen, was aus den materiellen Gesetzen kommt, nicht durch einen bloß inneren, seelischen Vorgang erreichen kann, sondern daß dazu Äußeres notwendig ist. Alles, was mit reich und arm zusammenhängt, hängt mit dieser Frage zusammen. Alles, was uns einspinnt in eine soziale Ordnung, so daß wir unter dem Joch von Gesetzen sind, die wir nur im Gesamtverlaufe der Erdentwickelung vergeistigen können, gehört da herein. Und damit hängt zusammen — wie gesagt, ich muß etwas Triviales sagen, das Triviale ist aber nicht so gemeint — , daß in die soziale Ordnung nach und nach die Herrschaft alles dessen einzieht, was man als Geld bezeichnen kann, die Herrschaft des Geldes, welches unmöglich macht, unmittelbar in geistdurchwirkten Gesetzen zu leben. Jeder versteht ja, was mit so etwas gemeint ist. Aber dadurch, daß die Unmöglichkeit besteht, «Steine zu Brot» zu machen, die Unmöglichkeit, das Geistige in der Materie unmittelbar zu haben, unabhängig vom Materiellen, dadurch daß diese Unmöglichkeit da ist, und ihr Spiegelbild, die Herrschaft des Geldes da ist, dadurch hat Ahriman die Herrschaft. Denn im Gelde lebt ja sozial auch Ahriman.

Es mußte aus der Ahriman gegenüber unbeantwortet gebliebenen Frage bei dem Christus Jesus das Ideal entstehen, nun in die Erdentwickelung sich auszugießen und nach und nach langsam in der ganzen weiteren Erdentwickelung zu wirken. Das konnte nicht bloß seelisch abgemacht werden. Es mußte die ganze folgende Erdentwickelung durchchristet werden! Der Christus mußte übergehen in die Erdentwickelung. Ahriman hatte die Gewalt, dem Christus die Notwendigkeit aufzuerlegen, wirklich sich mit der Erde zu verbinden. Daher durchsetzte er später den Judas, und durch den Judas hatte er das Medium, um den Christus wirklich zum Tode zu führen. Und durch den Tod ging die Christus-Wesenheit über in die Erdenwesenheit. Was Judas tat, war die nicht voll beantwortete Frage des Ahriman. Die Luziferversuchung konnte innerlich seelisch abgemacht werden. Die Luziferversuchung muß jede Seele in sich selber abmachen. Ahrimans Art ist so, daß er überwunden wird in der ganzen folgenden geschichtlichen Menschheitsentwickelung, indem sich die Menschen immer mehr durchdringen und identifizieren mit der Christus-Wesenheit.

Man schaut da in der Tat auf ein tiefes Geheimnis der historischen Entwickelung nach dem Mysterium von Golgatha, wenn man diese dritte, dem Ahriman nicht vollständig beantwortete Frage Akasha-Chronik-mäßig ins Auge faßt. Darin liegt schon alles. Und der Christus wußte jetzt, daß er sich vollständig verbinden müsse mit dem Erdenleibe, daß er wirklich ganz Mensch werden müsse.

Dieses Menschwerden war nun die Quelle von weiterem, dreijährigem Leiden. Denn nicht gleich — so sagt uns die Beobachtung des Fünften Evangeliums in der Akasha-Chronik — , nicht gleich wurde die Christus-Wesenheit vollständig eins mit den drei Leibern des Jesus von Nazareth. Anfangs können wir erkennen, wenn wir den Christus Jesus auf der Erde wandeln sehen, wie die drei Leiber zwar durchsetzt sind von der Christus-Wesenheit, daß aber diese Christus-Wesenheit nicht vollständig darinnen ist, wie ein anderes Ich in einem Menschen drinnen ist, sondern sie hat diese drei Leiber wie eine mächtige Aura nur schwach angefaßt. Denn es ist möglich und hat unzählige Male stattgefunden, daß die Leiblichkeit dieses Christus Jesus irgendwo war, sich irgendwo aufhielt in der Einsamkeit oder bei anderen Leuten, aber der Christus war weit weg, ging als Geistwesenheit im Lande herum. Nicht immer, wenn der Christus da oder dort erschien, dem einen oder dem anderen Apostel erschien, nicht immer war dann diese Geistwesenheit in dem physischen Leibe des Christus Jesus dabei. Er erschien schon damals in einem Geistleibe, der so stark war, daß man ihn immer als eine physische Gegenwart empfand. Was vom Zusammensein der Jünger mit dem Christus geredet wird, das ist nach dem Fünften Evangelium nicht immer ein Zusammensein im physischen Leibe, sondern oft nur die bis zur physischen Gegenwart sich hinaufsteigernde visionäre Art des Zusammenseins.

Das ist das Eigentümliche, daß sich in der ersten Zeit in der Tat nur etwas wie ein lockeres Zusammensein ergab zwischen dem Christus und der Leiblichkeit des Jesus von Nazareth. Aber das wurde immer dichter und dichter. Immer mehr mußte sich die Christus-Wesenheit hineinsenken und verbinden mit den Leibern des Jesus von Nazareth. Doch erst gegen das Ende der drei Jahre wurde sozusagen aus der Christus-Wesenheit und den Leibern des Jesus von Nazareth eine Einheit, vollständig erst beim Kreuzestode, unmittelbar vor dem Kreuzestode. Aber dieses Sich-Vereinigen mit dem menschlichen Leibe war sukzessives, immer zunehmendes Leiden. Die umfassende, universelle Geistwesenheit des Christus konnte sich nur unter unsäglichen Leiden mit dem Leibe des Jesus von Nazareth vereinigen. Diese Leiden dauerten noch drei Jahre.

Man wird, wenn man das erschaut, wahrhaftig nicht sentimental, denn der Eindruck, den man aus der geistigen Welt wahrnimmt, hat nichts von Sentimentalität. Es gibt wohl kaum einen Eindruck, der sich an Leiden vergleichen ließe mit dem Einswerden der Christus-Wesenheit mit der Leiblichkeit des Jesus von Nazareth. Und man lernt erkennen, was ein Gott leiden mußte, damit die altgewordene Menschheit eine neue Verjüngung erleben konnte, damit der Mensch fähig werden konnte, von seinem Ich völlig Besitz zu ergreifen.

Diese Entwickelung war so, daß, als sich schon einzelne Jünger um den Christus Jesus versammelt hatten, der Christus Jesus zuweilen im physischen Leibe mit den Jüngern vereint war, aber als Geistwesenheit selbstverständlich für alle nur mit physischen Augen Sehenden unsichtbar, so daß nur die Jünger durch die Art, wie er sie mit sich verbunden hatte, von ihm wußten, ihn unter sich wußten.

Aber etwas sehr Eigentümliches zeigt jetzt die Akasha-Forschung des Fünften Evangeliums. Insbesondere in der ersten Zeit während der drei Jahre sprach der Christus Jesus sehr wenig. Er wirkte. Und er wirkte durch seine bloße Gegenwart. Ich werde darüber noch zu sprechen kommen. Durch die besondere Art, wie hier die Christus-Wesenheit mit der Leiblichkeit des Jesus von Nazareth verbunden war, gingen Wirkungen von ihm zu anderen Menschen aus, die sonst nicht in der Erdentwickelung da waren, und deren Abglanz man mit einem ganz ungeeigneten oder heute schlecht verstandenen Worte «Wunder» nennt. Solche Wirkungen gingen von ihm aus durch die Zusammensetzung der Wesenheit. Davon ein nächstes Mal. Was ich aber jetzt sagen will, ist etwas ganz Eigentümliches.

Man sieht herumgehen die Schar der Jünger, hat bei manchem Eindruck ganz entschieden das Bewußtsein: Jetzt ist auch der physische Leib des Jesus von Nazareth unter den Jüngern. — Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Christus Jesus in der Einsamkeit mit seinen Jüngern herumgeht. Aber man hat oftmals auch den Eindruck: Die leibliche Persönlichkeit des Jesus von Nazareth ist weit weg, die Jünger aber haben das Bewußtsein, sie gehen herum, und unter ihnen ist die Christus-Wesenheit. Aber sie kann — und das ist das Merkwürdige — durch jeden der Jünger sprechen, abwechselnd durch den einen oder den anderen. Und während der eine oder der andere spricht, ist für die Zuhörenden aus dem Volke die ganze Physiognomie des Sprechenden verändert, wie geheiligt, alles ist anders. Wie transfiguriert ist immer einer unter ihnen, und gegen die letzten Zeiten immer ein anderer. Es hatte sich durch die mannigfaltigsten Verhältnisse das Bewußtsein verbreitet: Da ist jemand, der das Volk aufrüttelt, der etwas verbreitet, was die leitenden Juden der damaligen Zeit nicht haben wollten. Aber man wußte nicht, wer es ist. Es sprach einmal aus diesem, einmal aus jenem. Daher, so erzählt uns die Akasha-Chronik, war der Verrat des Judas notwendig.

Ich selbst muß gestehen: Die Frage, warum der Verrat des Judas notwendig war, warum ernsthaftig notwendig ist, daß jemand, der es wissen konnte aus dem Kreise der Jünger, durch den Judas-Kuß wie mit den Fingern darauf hindeutete: «Dieser ist es!», das erschien mir eigentlich immer als eine sonderbare Mitteilung, bis ich wußte, daß man es wirklich nicht wissen konnte, welcher von ihnen es war, um den es sich handelte, weil er durch jeden sprechen konnte; so daß man, auch wenn er im Leibe unter ihnen war, es an dem Leibe nicht erkennen konnte. Denn es konnte jeder für ihn gehalten werden, je nachdem er durch den einen oder den anderen sprach. Und jeder sprach! Erst als einer, der es wußte, als der Christus Jesus wirklich im Leibe unter ihnen war, den Juden sagte: Dieser ist es! — erst dann konnte man ihn ergreifen.

Es war wirklich eine Erscheinung ganz eigener Art, die sich damals im Schwerpunkt, im Mittelpunkt der Erdentwickelung vollzog. Ich habe verschiedentlich mehr theoretisch davon gesprochen, wie die Menschheit einen Abstieg und einen Aufstieg erlebt, wie einmal dieser Christus-Impuls Platz gegriffen hat innerhalb der Menschheit, wie an deren Schwerpunkt. Da bekommen wir gewissermaßen den Eindruck von der wesentlichen Bedeutung des Christus-Impulses für die Erdentwickelung. Wir bekommen den Eindruck dadurch, daß wir die Sache so charakterisieren, was im Ganzen der Erdentwickelung dieser Impuls gerade ist. Ich glaube nicht, wenn wir jetzt gleichsam Stück für Stück, rein erzählend, darstellen, wie sich die Dinge der Anschauung darbieten, daß auf unsere Gemüter die Ereignisse, die rein erzählend dargestellt werden, einen geringeren Eindruck machen würden. Ich glaube nicht, daß irgend etwas von jenen Angaben, die gemacht worden sind über die einschneidende Bedeutung des Christus-Impulses, herabgestimmt wird, wenn wir sehen, was der Jesus von Nazareth erlebt hat, als der Zarathustra in seinem Leibe war, wie er erwuchs mit seinem Leiden und dem ganzen Wohlwollen, das aus diesem Leiden floß, so daß die Zarathustra-Ichheit gebunden war an die Worte, die sie zur Mutter sprach und in diesen Worten sich selber verließ.

Wenn wir dann erfahren, wie in dieses Jesus-Wesen, das durch das Gespräch mit der Mutter so von sich selber frei geworden war, die Christus-Wesenheit sich hineingesenkt hat, wie diese Christus-Wesenheit gerungen hat mit Ahriman und Luzifer, und wie sich aus diesen Leiden alles Folgende entwickelt, wenn wir diese Einzelheiten hinstellen, so glaube ich, sind sie im vollsten Sinne eine Bestätigung dessen, was sich aus der Geistesforschung in großen Linien ergibt. Und so schwer es ist, gerade in der Gegenwart rückhaltlos von diesen Dingen zu sprechen, so muß es betrachtet werden als eine wirkliche Verpflichtung, einzelnen Seelen zu geben, was immer notwendiger und notwendiger sein wird zur Entwickelung der Seelen gegen die Zukunft hin. Deshalb bitte ich noch einmal, diese Dinge mit Pietät hinzunehmen und zu bewahren.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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