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Anthroposophie, soziale Dreigliederung und Redekunst

Schmidt-Nummer: S-4636

Online seit: 30th April, 2010

SECHSTER VORTRAG

Dornach, 16. Oktober 1921


Da wir heute unsere letzte Stunde haben müssen, wird es sich darum handeln, daß wir einige Ergänzungen und Erweiterungen zu dem Gesagten vorbringen, und Sie müssen das schon so hinnehmen, wie wenn eben einiges zuletzt gewissermaßen im Ramschausverkauf noch vorgebracht würde.

Zunächst möchte ich vor allen Dingen bemerken, daß man immer berücksichtigen muß, daß der Redner in einer wesentlich anderen Lage ist als derjenige, der irgend etwas Schriftliches von sich gibt gegenüber dem Leser. Der Redner hat Rücksicht darauf zu nehmen, daß er eben nicht einen Leser vor sich hat, sondern einen Zuhörer. Der Zuhörer ist nicht in der Lage, wenn er irgend etwas nicht verstanden hat, zurückzukehren und den Satz noch einmal zu lesen. Dazu ist ja der Leser in der Lage, und darauf hat man Rücksicht zu nehmen. Man wird das dadurch erreichen, daß man in der Rede sich bemüht, in Wiederholung manches vorzubringen, was man für ganz besonders wichtig, ja für unerläßlich halt, um mit dem Ganzen mitzukommen. Man wird natürlich darauf sehen müssen, daß solche Wiederholungen in Variierungen gegeben werden, daß man also besonders wichtige Dinge in verschiedenen Wendungen vorbringt, und daß durch die Verschiedenheit der Wendungen der Zuhörer zu gleicher Zeit, wenn er leichte Auffassungsgabe hat, doch nicht ermüdet werde. Man wird also darauf zu sehen haben, daß gewissermaßen verschiedene Wendungen für ein und dieselbe Sache eine Art künstlerischen Charakter tragen.

Das Künstlerische der Rede ist überhaupt etwas, das durchaus berücksichtigt werden muß, und zwar vielleicht gerade um so mehr, je mehr man es zu tun hat mit etwas, das auf Logik, auf Lebenserfahrung, auf andere Verständniskräfte Rücksicht nehmen muß. Vielleicht muß man um so mehr künstlerisch in der Rede verfahren durch solche Wiederholung, durch die Komposition und noch durch manches andere, was heute zu erwähnen sein wird, je mehr man durch ein straffes Anspannen dies Denkens an das Verständnis appellieren muß. Man muß nur bedenken, daß das Künstlerische eben ein Mittel des Verständnisses abgibt. Wiederholungen an sich zum Beispiel, sie wirken ja so, daß sie gewissermaßen eine Art Erleichterung für den Zuhörer bilden. Man gibt dem Zuhörer Gelegenheit, wenn er Wiederholungen in verschiedenen Wendungen hört, gewissermaßen nicht straff sich zu halten an die eine Wendung oder an die andere Wendung, sondern an dasjenige, was dazwischen liegt. Dadurch wird er im Auffassen befreit und er hat dann dieses Gefühl der Befreiung, und das ist etwas, was außerordentlich zum Verständnis beiträgt.

Aber auch andere Mittel des künstlerischen Aufbaues nicht nur, sondern der künstlerischen Durchführung sollen angewendet werden. Nehmen wir zum Beispiel dies, daß der Redner von Zeit zu Zeit, indem er die nötige Einkleidung dafür sucht, Fragen anbringt, so daß er also eigentlich zwischen den gewöhnlichen Erörterungen in einer Frage zu seinen Zuhörern spricht. Was heißt es eigentlich, zu seinen Zuhörern in einer Frage zu sprechen? Ja, Fragen, die der Zuhörer sich anhört, die wirken eigentlich hauptsächlich auf die Einatmung des Zuhörers. Der Zuhörer lebt ja während des Zuhörens in Einatmung-Ausatmung, Einatmung-Ausatmung. Das ist nicht bloß für das Sprechen von Bedeutung, das ist durchaus auch von Bedeutung für das Zuhören. Bringt einer nun als Redner eine Frage vor, dann kann das Ausatmen gewissermaßen unbeschäftigt bleiben. Das Einatmen ist dasjenige, was sich auf das Zuhören verlegt beim Anhören einer Frage. Das widerspricht nicht dem, daß der Redner etwa gerade, wenn der Hörer ausatmet, seine Frage vorbringt. Es wird nämlich nicht nur gerade zugehört, sondern auch schief, so daß das eigentliche Hören eines Wortes oder eines Satzes, der hineinfällt in eine Ausatmung, wenn er eine Frage ist, eigentlich erst recht perzipiert, aufgenommen wird bei der nachfolgenden Einatmung. Kurz, das Einatmen überhaupt hat etwas Wesentliches zu tun mit dem Anhören des in Frageform Vorgebrachten. Dadurch aber, daß das Einatmen engagiert wird durch das Aufwerfen einer Frage, wird der ganze Prozeß des Zuhörens verinnerlicht. Er geht gewissermaßen tiefer in der Seele vor sich, als wenn man nur einfach einer Erörterung zuhört.

Wenn man einer Erörterung zuhört, dann hat man eigentlich immer die Tendenz, weder mit der Einatmung noch mit der Ausatmung sich zu engagieren. Die Erörterung möchte eigentlich möglichst wenig tief gehen, aber eigentlich auch nicht die Sinnesorgane viel beschäftigen.

Das Erörtern logischer Dinge durch die mündliche Rede ist überhaupt eine mißliche Sache. Wer daher so reden will, daß er etwa bloß in Schlußfolgerungen spricht, der wird dadurch ein gutes Mittel in der Hand haben, um seine Zuhörer einzuschläfern. Denn dieses logische Entwickeln, das hat den Nachteil, daß es das Verständnis vom Gehörorgan wegschafft, man hört nicht ordentlich dem Logischen zu, und auf der anderen Seite, daß es wiederum das Atmen nicht eigentlich gestaltet, nicht in variierte Wellen versetzt. Der Atem bleibt eigentlich am neutralsten, wenn man logische Erörterungen anhört; daher schläft man dabei ein. Es ist das ein ganz organischer Prozeß. Logische Erörterungen wollen unpersönlich sein; aber das rächt sich.

Daher wird man, wenn man sich zum Redner entwickeln will, darauf Rücksicht nehmen müssen, daß man womöglich, trotzdem man logisch bleibt, nicht bloß in logischen Formeln spricht, sondern eben in Redefiguren. Und zu den Redefiguren gehört eben die Frage. Zu den Redefiguren gehört es auch, daß man zuweilen das Gegenteil von dem sagt, was man – es ist ein extremer Fall – eigentlich sagen will, trotzdem der Zuhörer natürlich sehr gut weiß, daß er das Gegenteil zu verstehen habe, indem man den Satz eben so einkleidet, daß man das Gegenteil sagen darf. Wenn also, sagen wir, jemand einfach erörtert und auch im Erörterungston sagen würde: Der Kully ist dumm –, so wäre das unter Umständen keine sehr gute Redewendung. Dagegen könnte es eine gute Redewendung sein, wenn jemand sagt: Ich glaube nicht, daß jemand hier sitzt, der die Meinung hat: der Kully ist gescheit! – Da haben Sie den Satz ausgesprochen, von dem das Gegenteil die Wahrheit ist. Aber Sie haben natürlich auch etwas dazu getan, um nicht den Satz der geraden Erörterung, sondern das Gegenteil aussprechen zu dürfen. Also in dieser Weise vorzugehen, aber auch das mit innerer Empfindung zu tun, wird der Rede ganz besonders gut auf die Beine helfen können.

Ich habe eben gesagt: Es wird der Rede ganz besonders gut auf die Beine helfen können. – So etwas ist ein Bild. Der Philister kann sagen, eine Rede habe doch keine Beine. Aber eine Rede hat eben doch Beine! Man braucht nur zum Beispiel sich zu erinnern, daß Goethe im hohen Alter, als er manchmal schon in der Müdigkeit sprechen mußte, gern sprach herumgehend im Zimmer. Die Rede ist im Grunde genommen der Ausdruck für den ganzen Menschen, sie hat also doch Beine! Und den Zuhörer zu frappieren durch so etwas, was er vielleicht bisher nicht gewahr geworden ist, aber was aufzufassen er gegen seine Gewohnheit genötigt ist, das ist wiederum für die Rede außerordentlich wichtig.

Zur Gefühlslogik für die Rede gehört auch, daß man nicht immer in demselben Tone spricht. Immer in demselben Ton fortsprechen, das wissen Sie ja, schläfert auch ein. Denn jede Erhöhung des Tons ist eigentlich ein ganz leiser Alpdruck, so daß der Zuhörer durch jede Erhöhung des Tons innerlich etwas aufgerüttelt wird. Jede Senkung des Tons im Verhältnis zur Höhe ist eigentlich eine leise Ohnmacht, so daß der Zuhörer genötigt ist, dagegen anzukämpfen. Man veranlaßt also durch Modulieren der Rede den Zuhörer, mitzuarbeiten, und das ist für den Redner schon außerordentlich wichtig.

Besonders bedeutsam aber ist es auch, zuweilen gewissermaßen an das Ohr des Zuhörers zu appellieren. Wenn er gar zu sehr in sich versunken zuhört, dann geht er manchmal mit gewissen Passagen der Rede nicht mit. Er fängt an, für sich nachzudenken. Das ist für den Redner ein großes Unglück, wenn die Zuhörer anfangen, für sich nachzudenken. Dann hören sie etwas nicht, fangen nach einiger Zeit wieder an zu hören und kommen eben nicht mit. Daher muß man die Zuhörer zuweilen beim Ohr nehmen, und das geschieht dadurch, daß man in seinen Redewendungen ungewohnte Satzfolgen und Wortfolgen anwendet. Die Frage gibt ja an sich schon eine andere Stellung von Subjekt und Prädikat, als man gewohnt ist, aber man sollte auch die Änderung der Wortfolge in der verschiedensten Weise handhaben. Man sollte darauf achten, daß manche Sätze so gesprochen werden, daß das Verbum am Beginne des Satzes steht, oder aber, daß man einen Satz mit irgendeinem anderen Redeteil beginnt, von dem man sonst nicht gewohnt ist, daß er im Beginne steht. Da kommt etwas Ungewohntes, da paßt er wieder auf, und das Merkwürdige ist, er paßt dann nicht bloß auf diesen Satz auf, sondern auch noch auf den nächstfolgenden. Und wenn man es mit ganz besonders zahmen Zuhörern zu tun hat, passen sie dann sogar noch auf den zweitnächsten auf, wenn man seine Redeteilgliederung etwas verschränkt. Man muß als Redner diese innere Gesetzmäßigkeit durchaus beachten. Man lernt eigentlich diese Dinge am besten, wenn man einmal im Zuhören die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat, wie wirklich gute Redner solche Dinge gebrauchen. Solche Dinge sind es auch, die im wesentlichen zum Bildlichen der Rede führen.

Fürs Reden konnte man in dieser Beziehung, in formaler Beziehung, sehr viel von den Jesuiten lernen. Die werden sehr gut geschult. Sie gebrauchen erstens gut das Komponieren der Rede, indem sie auf Steigerungen und auf Gefälle hin wirken, aber sie gebrauchen vor allen Dingen das Bild. Und ich muß immer wieder auf eine ausgezeichnete Jesuitenrede hinweisen, die ich einmal in Wien anhören konnte, wo mich jemand in die Jesuitenkirche führte, und gerade einer der berühmtesten Jesuitenpatres predigte. Er predigte über die österliche Beichte, und ich will Ihnen den wesentlichen Teil seiner Predigt hier mitteilen. Er sagte: Liebe Christen! Da gibt es von Gott Abtrünnige, die behaupten, die österliche Beichte sei vom Papst, vom römischen Papst eingesetzt. Sie stamme also nicht von Gott, sondern sie stamme vom römischen Papst. Liebe Christen, wer das glaubt, der könnte etwas lernen, wenn ich ihm das Folgende sage: Stellt euch vor, meine lieben Christen, hier stehe eine Kanone. An der Kanone stehe ein Kanonier. Der Kanonier hat die Zündschnur in der Hand. Die Kanone ist geladen. Hinten steht der Offizier und kommandiert. Wenn der Offizier kommandiert: Feuer! – zieht der Kanonier die Zündschnur. Die Kanone geht los. Wird jetzt ein einziger von euch sagen: Dieser Kanonier, der auf den Befehl seines Vorgesetzten gehört hat, er habe das Pulver erfunden? Niemand von euch, liebe Christen, wird das sagen! Seht ihr, ein solcher Kanonier war der römische Papst, der auf Befehl von oben wartete, bis er die österliche Beichte befahl. Daher wird niemand sagen – geradesowenig wie: Der Kanonier habe das Pulver erfunden –, der römische Papst habe die österliche Beichte erfunden, die er nur ausführen läßt auf das Kommando von oben» – Alle von den Zuhörern waren niedergeschmettert, überzeugt!

Selbstverständlich kannte der Mann die Situation und die Verfassung der Gemüter, aber das ist ja auch etwas, was als eine unerläßliche Vorbedingung für ein gutes Reden in dieser Betrachtung hier schon charakterisiert worden ist. Er sagte etwas, was als Bild ganz eigentlich aus dem Gedankengang hinwegfällt und dennoch den Zuhörer den Gedankengang vollziehen läßt, ohne daß der Zuhörer das Gefühl hat, der Mann rede subjektiv. Ich habe Ihnen auch das Diktum von Bismarck vorgebracht über das Steuern nach dem Winde bei den Politikern, ein Bild, das sogar entnommen ist dem anderen, mit dem er debattierte, das aber wiederum frei macht von der Strenge des erörterten Gedankenganges.

Solche Dinge, wenn sie richtig empfunden werden, sind diejenigen künstlerischen Mittel, die durchaus das ersetzen werden, was eben in einer Rede nicht sein darf: bloße Logik. Logik ist für die Gedanken, ist nicht für das Reden, ich meine jetzt für die Form der Rede, die Ausdrucksweise. Natürlich darf nicht Unlogik drinnen sein. Aber es darf nicht eine Rede so kombiniert werden, wie man eben einen Gedankengang kombiniert. Sie werden auch finden, daß irgend etwas ganz spitzig und gut angebracht sein kann in der Debatte und dennoch eigentlich nicht dauernd zu wirken braucht. Dauernd wirkt, was in die Rede als Bild eingreift, namentlich dann, wenn es als Bild ziemlich fern steht dem, was es bedeutet, und wenn derjenige, der das Bild handhabt, selbst frei geworden ist von dem sklavischen Anlehnen an den reinen Gedankensinn.

So etwas führt dann dazu, zu erkennen, inwiefern eine Rede durch Humor gehoben werden kann. Die tiefernste Rede kann durch einen Humor, der, sagen wir, zum Beispiel Pfeile hat, gehoben werden. Es ist eben so: Wenn wir zwangsmäßig, wie ich gesagt habe, Willen hineingießen wollen in die Zuhörer, dann ärgern sie sich. Daher sollen wir das Wilienshafte darauf verwenden, daß die Rede selber Bilder kriegt, die innerlich gewissermaßen Realitäten sind. Die Rede selbst soll Realität sein. Es wird Ihnen vielleicht faßbar sein, was ich sagen will, wenn ich Ihnen von zwei Debatten sage. Die zweite wird nicht eine reine Debatte sein, aber etwas, was gerade in der charakterisierenden Rede für die Bildverwendung instruktiv sein kann.

Sehen Sie, eine ganz subjektive Färbung bekommen oftmals gerade diejenigen Debattereden, die leicht witzig sein wollen. Das deutsche Parlament hatte ja eine Zeitlang in dem Abgeordneten Meyer einen solchen witzigen Debattenredner. Zum Beispiel war es einmal, daß die berühmte oder berüchtigte «Lex Heinze» in diesem deutschen Parlament vertreten wurde. Ich glaube, der Mann, der die Verteidigungsrede hielt, war gerade Minister und sprach immer als Verteidiger, als Angehöriger der Konservativen Partei von «das Lex Heinze». Er sagte immer: Das Lex Heinze. Nun, nicht wahr, so etwas kann passieren. Aber es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der Liberalen Partei, welcher der Spaßmacher, der Abgeordnete Meyer angehörte, sich gerade auf solche Dinge zu verlegen, und so ließ er sich denn hinterher in der Debatte zum Worte melden und sagte etwa folgendes: Der Herr Minister hat die Lex Heinze verteidigt und immer gesagt «Das Lex Heinze». Ich wußte gar nicht, wovon er eigentlich redet, ich ging überall herum und fragte, was das Lex ist. Niemand konnte mir Auskunft geben. Ich nahm Wörterbücher, suchte nach, fand nichts. Ich wollte schon hierher kommen, um den Herrn Minister zu fragen, da fiel mir zuletzt noch ein, die letzte Minute dazu zu benützen, auch eine lateinische Grammatik nachzuschlagen, und siehe da, da fand ich, da steht der Satz drinnen: Was man nicht deklinieren kann, das sieht man als ein Neutrum an!

Gewiß, für das augenblickliche Lachen ist es ein guter, derber Witz, aber er hat doch keine Pfeile, er braucht nicht tief zu zünden, weil bei so etwas sich doch in leiser Weise im Unterbewußtsein wiederum das Mitleid für den Betroffenen bei den Zuhörern geltend macht. Das ist also eine zu subjektive Art; sie kommt mehr aus der Spottlust als aus der Sache selbst.

Dagegen habe ich immer als ein vortreffliches Bild dieses gefunden: Der spätere preußische König Friedrich Wilhelm IV, war als Kronprinz ein sehr geistreicher Mann. Sein Vater, der König Friedrich Wilhelm III., hatte einen ihm besonders lieben Minister, von Klewiz hieß er. Der Kronprinz konnte den von Klewiz nicht leiden. Einmal, beim Hofball, redete der Kronprinz den Klewiz an und sagte: Exzellenz, Ich möchte Ihnen heute einmal ein Rätsel aufgeben:

Das erste ist eine Frucht auf dem Felde;
das zweite ist so etwas: wenn man es vernimmt,
bekommt man etwas wie einen leichten Schock;
und das Ganze ist eine Landplage!

Von Klewiz wurde rot bis weit über die Ohren, verbeugte sich und reichte nach diesem Hofball den Abschied ein. Der König ließ ihn kommen und sagte: “Was fällt Ihnen denn ein! Ich kann Sie nicht entbehren* mein lieber Klewiz! – Ja, aber Königliche Hoheit, der Kronprinz haben mir gestern am Hofball etwas gesagt, demgegenüber ich nicht weiter im Amte bleiben kann. – Aber das ist ja nicht möglich! Seine Liebden, der Kronprinz wird doch so etwas nicht sagen, das kann ich nicht glauben. – Ja, es ist doch so, Majestät. – Was hat denn Seine Liebden, der Kronprinz gesagt? – Er hat zu mir gesagt:

Das erste ist eine Frucht auf dem Felde;
das zweite ist etwas: wenn man es vernimmt,
bekommt man so etwas wie einen leichten Schock;
das Ganze ist eine Landplage!

Es ist ja kein Zweifel, daß Königliche Hoheit der Kronprinz mich gemeint haben. – Ja, eine merkwürdige Sache, mein lieber Klewiz. Aber wir wollen doch den Kronprinzen kommen lassen und hören, wie sich die Sache verhält.

Der Kronprinz wird gerufen. – Euer Liebden sollen gestern Abend einen schwer beleidigenden Ausspruch gesagt haben gegenüber meinem unentbehrlichen Minister, Exzellenz von Klewiz. – Der Kronprinz sagte: Majestät, ich wüßte mich nicht zu erinnern. Wenn es etwas Erhebliches gewesen wäre, würde ich mich zu erinnern wissen. – Es schien doch etwas Erhebliches gewesen zu sein. – Ja, ja, ja, ich erinnere mich: Ich habe zu Seiner Exzellenz gesagt, ich wolle ihm ein Rätsel aufgeben:

Die erste Silbe, das sei eine Frucht auf dem Felde;
die zweite Silbe bedeutet etwas, wenn man es vernimmt,
bekommt man so etwas wie einen leisen Schock;
das Ganze ist eine Landplage.

Ich denke, daß ich doch nicht dadurch Seine Exzellenz so sehr beleidigt habe, daß Seine Exzellenz das Rätsel nicht lösen konnte. Ich erinnere mich, Exzellenz konnte einfach das Rätsel nicht lösen! – Der König sagte: Ja, was ist des Rätsels Lösung? – Nun ja:

Die erste Silbe, eine Frucht auf dem Felde ist: Heu
die zweite Silbe, wo man so einen leichten
Schock bekommt, ist: Schreck;
das Ganze ist: Heuschreck; –

das ist ja eine Landplage, Majestät.

Nun, warum sage ich das? Ich sage das aus dem Grunde, weil niemand, der so etwas erzählt, der auch seine Redewendungen in solch eine Form gießt, nötig hat, die Sache ganz zu Ende zu führen, denn kein Mensch erwartet, wenn man es erzählt, daß man das Tableau weiter erörtert, sondern jeder kann sich die entsprechende bildliche Vorstellung machen. Und es ist gut, zuweilen in der Rede zu bewerkstelligen, daß etwas übrig bleibt für den Zuhörer. Das bleibt nicht übrig, wenn jemand spottet, da geht der Bruch Null für Null auf.

Es handelt sich also darum, daß man die Anschaulichkeit auch dadurch hebt, daß der Zuhörer wirklich die Empfindung bekommt, er darf auch etwas tun, er darf weiterdenken. Dann aber hat man natürlich nötig, die nötigen Redepausen eintreten zu lassen. Diese Redepausen müssen durchaus auch da sein.

Nun, nach dieser Richtung hin wäre wirklich außerordentlich viel zu sagen über die Form, über die Gestaltung einer Rede. Denn gewöhnlich glaubt man, daß die Menschen bloß mit den Ohren zuhören, wogegen schon das spricht, daß manche, wenn sie etwas ganz besonders auffassen wollen, den Mund aufsperren beim Zuhören. Sie würden das nicht tun, wenn man bloß mit den Ohren zuhören würde. Man hört nämlich viel mehr mit den Sprachorganen zu, als gewöhnlich gemeint wird. Man schnappt gewissermaßen in die R.ede des Redners immer ein gerade mit seinem Sprachorgan, und der ätherische Leib redet eigentlich immer mit, macht sogar immer Eurythmie mit, wenn zugehört wird, und zwar Bewegungen, die durchaus den eurythmischen Bewegungen entsprechen. Nur kennt sie der Mensch meistens nicht, wenn er nicht Eurythmie gelernt hat.

Es ist so, daß alles, was gehört wird von den unlebendigen Körpern, mehr von außen mit dem Ohr gehört wird, daß aber die Rede des Menschen eigentlich so gehört wird, daß beachtet wird, was von innen an das Ohr anschlägt. Das ist eine Tatsache, die, wie man sagen kann, die wenigsten Menschen wissen. Die wenigsten Menschen wissen, welch großer Unterschied besteht, sagen wir zwischen dem Anhören eines Glockengeläutes oder einer Symphonie, und dem Zuhören der menschlichen Rede. Bei der menschlichen Rede wird eben eigentlich das Innere am Sprechen gehört. Das andere ist viel mehr Begleiterscheinung, als es dies ist beim Anhören von irgend etwas Unorganischem. Deshalb mußte alles das gesagt werden, was ich sagte über das eigene Zuhören, damit man tatsächlich die Rede so formuliert, wie man sie kritisieren würde, wenn man sie hörte. Ich meine, daß das Formulieren aus derselben Kraft, aus demselben Impuls heraus kommt wie die Kritik, wenn man sie hört.

Es wird schon von einiger Wichtigkeit sein, daß die Persönlichkeiten, welche sich zur Aufgabe machen, etwas gerade für die Dreigliederung des sozialen Organismus oder Ähnliches zu wirken, Rücksicht darauf nehmen, daß in einer gewissen Weise auch künstlerisch an das Publikum herangebracht werde, was man sagen will. Denn im Grunde spricht man heute – ich habe das schon angedeutet – doch zu ziemlich tauben Ohren, wenn man vor einem gewöhnlichen Publikum über die Dreigliederung des sozialen Organismus spricht. Und man wird schon müssen, ich möchte sagen, von einer gewissen Seite ganz in der Sache drinnen stehen, namentlich mit Gefühl und Empfindungen in der Sache drinnen stehen, wenn man so wirken will, daß es Aussicht auf Erfolg haben soll. Nicht als ob es nötig wäre, gewissermaßen die Geheimnisse des Erfolges zu studieren – das ist gewiß nicht nötig – und sich anzupassen in einer kleinlichen Weise an das, was der Zuhörer gern hört. Das ist ganz gewiß nicht dasjenige, was angestrebt werden darf. Aber angestrebt werden muß ein wirkliches Drinnen-stehen in den Zeiterscheinungen. Und sehen Sie, ein solches Drinnen-stehen in den Zeiterscheinungen, ein Erregen des wirklich tieferen Interesses für die Zeiterscheinungen kann heute doch nur hervorgerufen werden durch Anthroposophie. Aus diesen und aus anderen Gründen muß derjenige, der wirksam über Dreigliederung sprechen will, schon absolut wenigstens innerlich durchdrungen sein davon, daß notwendig ist für das Verständnis der Dreigliederung von Seiten der Welt, auch die Anthroposophie an die Welt heranzubringen.

Gewiß, seit im Sinne der Dreigliederung gewirkt wird, ist ja die Sache so, daß auf der einen Seite diejenigen Menschen stehen, von denen man sagt, sie interessieren sich für Dreigliederung, wollen aber von Anthroposophie nichts wissen, und auf der anderen Seite diejenigen, die sich für Anthroposophie interessieren, und dann nichts von der Dreigliederung, wissen wollen. Wenn man aber mit dieser Tatsache zu stark bei sich selbst rechnet, dann erreicht man doch nichts für die Dauer; für den Augenblick mag etwas erreicht werden, für die Dauer aber erreicht man doch nichts.

Insbesondere wird man wenig mit so etwas, was man für eine Taktik halten könnte, gerade in der Schweiz erreichen können, mit aus den Gründen, die ich ja schon mit Bezug gerade auf die Schweiz angegeben habe. Es wird sich schon darum handeln, daß wenigstens im Untergrunde des Redenden stark die Überzeugung vorhanden sein muß, daß man ohne anthroposophische Grundlage der Dreigliederung nicht richtig auf die Beine helfen kann. Man kann natürlich das benutzen, daß manche Menschen die Dreigliederung entgegennehmen und die Anthroposophie abweisen; aber man sollte durchaus wissen – und wenn man es weiß, wird man schon die nötigen Wendungen in seine Rede hineinbringen –, daß ohne die Verbreitung wenigstens der elementarsten Dinge der Anthroposophie nichts dreigegliedert werden kann.

Was soll man denn eigentlich dreigliedern? Denken Sie sich nur einmal, in einem solchen Territorium, in dem, sagen wir, ein Staat auf der einen Seite ganz in seiner Hand hat das Schulwesen, auf der anderen Seite das Wirtschaftsleben, so daß zwischendurchgefallen ist das Rechtsleben – ja, denken Sie nur einmal, es könnte das Unwahrscheinliche eintreten, daß da nun dreigegiiedert würde! Es würde ja auf dem Gebiet des Schulwesens, das nun selbständig wäre, wahrscheinlich in kürzester Zeit zu der Wahl eines Schulmonarchen und Schuloiinlsters geschritten werden, und das freie Geistesleben würde In kürzester Zeit in einen Staat verwandelt!

Solche Dinge lassen sich nicht formal nehmen, sie müssen in dem ganzen Lebendigen der Menschen ruhen. Es muß doch erst etwas da sein als freies Geistesleben, in dem die Menschen drinnenstehen, wenn man das Geistesleben auf sich selbst in dem sozialen Organismus stellen will. Nur dann, wenn das Geistesleben auch im anthroposophischen Sinne gehandhabt wird, wie zum Beispiel in der Freien Waldorfschule in Stuttgart, kann davon geredet sein, daß man da etwas hat, was ein kleiner Keim ist für ein freies Geistesleben. Aber in der Freien Waldorfschule hat man weder einen Rektor, noch hat man Lehrpläne, noch hat man irgend etwas anderes dieser Art, sondern das Leben ist da, und es ist durchaus Rücksicht genommen auf dasjenige, was man eben bedenken muß gegenüber dem Leben.

Ich bin ganz überzeugt davon, daß über ein ideales freies Schulwesen sich jeweilig drei, sieben, zwölf, dreizehn oder fünfzehn Menschen, die sich zusammensetzen, die allerallerschönsten Gedanken machen können, und ein Programm aufstellen können: Erstens, zweitens, drittens – viele Punkte. Dieses Programm könnte so sein, daß man sich eigentlich nichts Schöneres vorstellen könnte. Die Leute, die dieses Programm ausdenken, brauchten nicht einmal besonders gescheit zu sein, könnten zum Beispiel durchaus Durchschnittsparlamentarier sein, brauchten nicht einmal solche zu sein, könnten Wirtshauspolitiker sein unter Umständen, und die könnten dreißig, vierzig Punkte herausfinden, die die höchsten Ideale erfüllen für ein tadelloses Schulwesen – aber anfangen kann man damit nichts! Es ist ganz unnötig, Paragraphen und Statuten in dieser Weise zu formen, wenn man damit nichts anfangen kann. Man kann nur etwas anfangen mit einem zusammengestellten Lehrerkollegium, wenn man gar nicht nach Statuten rechnet, sondern nach dem, was man halt eben hat, und daraus in aller Lebendigkeit das Beste macht.

Freies Geistesleben muß eben ein wirkliches Geistesleben sein. Wenn die Menschen heute von Geistesleben reden, reden sie gar nicht vom Geiste, reden sie von Ideen; sie reden ja nur immer von Ideen.

Also wenn schon Anthroposophie dazu da ist, in den Menschen wiederum die Empfindung von einem realen Geistesleben hervorzurufen, so kann sie nicht entbehrt werden, wenn man überhaupt die Forderung der Dreigliederung des sozialen Organismus aufstellt. Also muß im Grunde genommen in einem gehen: Förderung der Anthroposophie, Förderung der Dreigliederung des sozialen Organismus.

Man sieht ja auch heute, wie wenig die Leute Empfindung haben für ein freies Geistesleben, daran, daß da oder dort Forderungen auftreten für ein vom Staate emanzipiertes Wirtschaftsleben. Man denke sich einmal im Konkreten aus, was nun das für ein soziales Gebilde wäre, bei dem auf der einen Seite der Rechtsstaat ist, der aber die ganze Schulverfassung in sich hat, aus dem also eigentlich alles das hervorgehen soll, was an Weisheiten dann in den Wirtschaftszusammenhängen entwickelt wird, und auf der anderen Seite ein emanzipiertes Wirtschaftsleben! Wer im wahren Sinne für die Dreigliederung des sozialen Organismus ist, dem sollte es nur nie einfallen, etwa zu sagen: Da ist ja schon ein Stück von der Dreigliederung des sozialen Organismus, nämlich die Zweigliederung. – Viel besser ist der chaotische Einheitsstaat als eine irgendwie geartete Zweigliederung. Denn das ist das Wesen der Dreigliederung, daß sie eben eine Dreigliederung ist und nicht eine Zweigliederung.

Nun sagte ich: Man hätte zum Beispiel in Deutschland nach der Revolution, weil jeder etwas Neues erwartete, durchaus in verhältnismäßig kurzer Zeit einen Weg finden können für die Dreigliederung des sozialen Organismus; aber aus den Gründen, die Sie ja kennen, ist das eben nicht geworden. In der Schweiz war zunächst überhaupt eine solche äußere Veranlassung gar nicht da, absolut nicht da, kaum daß etwa die Diskrepanzen zwischen den drei schweizerischen Nationalitäten eine Empfindung von der Notwendigkeit der Dreigliederung hervorrufen. Aber diese sind ja im Grunde genommen so sehr wenig tiefgehend, trotzdem viel in ihrem Sinne geschrieben wird, daß auch dadurch keine gründliche Empfindung für die Dreigliederung des sozialen Organismus – ich meine jetzt natürlich nicht in drei Nationen, sondern in die drei in den «Kernpunkten» angeführten Glieder – hervorgerufen werden könnte. Deshalb wird es für die Schweiz schon notwendig sein, daß man immer bestrebt ist, den Horizont der Betrachtung zu erweiterns daß man die Schweiz eben so betrachtet, wie ich es vor ein paar Tagen getan habe: als eine Art Drehungsmittelpunkt für die ganze Welt. Und diese Empfindung sollte man bei den Schweizern hervorrufen.

Ich war immer der Meinung, daß während der furchtbaren Weltkatastrophe das Wirksamste schon 1915 zur Erreichung des Friedens, wenn es scharf und tüchtig angefaßt worden wäre, von der Schweiz aus hätte geschehen können, so sonderbar es klingt. Aber das ist vorerst notwendig, daß eben der Blick des Schweizers auf den großen Welthorizont hingelenkt werde.

Dazu wird für den, der im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus reden will, vor allen Dingen notwendig sein – ja, sollte ich im Alltäglichen sprechen, so möchte ich sagen: die Wochenschrift «Das Goetheanum» nicht nur zu lesen, sondern auch zu studieren. Und wenn ich es nun ins Allgemeine wende, so würde ich sagen: Sich bekümmern um alles, was auf dem großen Welthorizont heute vorgeht, ein Herz und einen Sinn haben dafür, daß, sagen wir, der Minister für Südafrika, Smuts, einen Teil der heutigen Weltwende damit ausgedrückt hat, daß er sagte: Die Weltinteressen wenden sich ab von der Nordsee und dem Atlantischen Ozean und bekommen ihren neuen Ausstrahlungspunkt im Stillen Ozean. – Was nun eben so ein südafrikanischer Minister vom heutigen Schnitt denken kann, weist alles darauf hin, wo Niedergangskräfte, namentlich in bezug auf den europäischen Kontinent, zu suchen sind. Ich sage: Was ein Minister von solchem Schnitt sagen kann. Er kann ja nur vom wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus sprechen, weil nur der ihm naheliegt, weil er ja nur den versteht. Und wenn sich das realisiert, was solche Leute heute denken können, dann wird in der Tat Europa eine Art halbbarbarisches Bauernland. Die Tendenz geht durchaus dahin.

Man muß das in seiner Empfindung haben, sonst wird man heute wirklich nicht mit dem Duktus der Wahrheit seine Rede formen können. Man mag noch so viel politisieren, man wird ohne innere Wahrheit sprechen, und daher auch unwirksam sprechen, wenn man im Hintergrunde die Empfindung hat: Na, es ist immer gegangen; wenn es einmal eine Weile talab gegangen ist, ging es wiederum bergauf; so wird es auch jetzt nicht so gefährlich sein! – Es ist nicht so! Nur der kann empfinden, welches die richtigen Aufgangskräfte sind, der ganz durchdrungen ist davon, wie in dem Angedeuteten für Europa eben nur Niedergangskräfte entfesselt werden. Es muß eben einfach die Empfindung heute leben bei dem richtigen Dreigliederer: In alldem, was sich heute als Weltgestaltung herausgebildet hat, lebt für Europa die Abenddämmerung. – Daher muß man frei werden von dem, was sich da herausgestaltet und muß aus ursprünglichen Quellen heraus, vor allen Dingen aus geistigen Quellen heraus, die Wüste wieder beleben, zu der Europa gemacht werden soll vom Westen und auch vom Osten. Es ist durchaus so, daß man hinzuhorchen hat auf so etwas, wie heute die «altbewährten Staatsmänner» reden, wie es zum Beispiel jetzt wiederum in Genf gehört worden ist. Wenn da ein Staatsmann etwa den Traum hinstellt von einem «Weltgerichtshof», in dem die Staatsmänner dann zum Heil der Völker ihre Weisheit loslassen, so sollte man immer das Gefühl haben und auch nicht zurückschrecken, dieses Gefühl hervorzurufen: daß diese Staatsmänner, die hier allein gemeint sind, den heutigen Zustand herbeigeführt haben und daß sie ihn verstärken werden, wenn es in ihrem Sinne weitergeht.

Aber die Menschen sind gerade heute insbesondere gedanken- und seelenmüde. Sie möchten eigentlich vermeiden, zu ursprünglichen Gedanken und Empfindungen zu kommen. Sie möchten immer nur fortpflegen, was eben altbewährt ist. Sie möchten irgendwo unterkriechen. Sie wenden sich nicht zur Anthroposophie, weil es da nötig ist, daß man die Seele in Regsamkeit bringt, sondern sie wenden sich heute, insbesondere die Intellektuellen, in großen Scharen zur römisch-katholischen Kirche, weil da keine Anstrengung nötig ist. Da tut es der Pfarrer oder der Bischof, daß er die Seele durch den Tod hindurchführt. Man denke doch nur, wie tief es eigentlich heute in den Menschen sitzt: Eltern haben einen Sohn, sie haben ihn gern; daher wollen sie seinen Lebensweg sichern. Da ist der Staat, da muß er unterkommen, denn da ist er ganz sicher untergebracht, da braucht er nicht selber den Lebenskampf zu führen. Da arbeitet er, so lange er kann; dann wird er pensioniert; also noch über seine Arbeit hinaus ist er gesichert. Wie soll man da diesen Staat nicht lieben, wenn er einem die Kinder versorgt!

Und auch die ringende Seele haben die Leute nicht besonders gern. Die Seele soll von der Kirche so versorgt werden bis zum Tode hin, wie die Arbeit durch den Staat. Und wie der Staat den äußeren physischen Menschen pensioniert durch seine Macht, so soll die Kirche auch die Seele pensionieren, wenn der Mensch stirbt; sie soll für die Seele sorgen, soll ihr Pensionsgeld geben nach dem Tode. Das ist etwas, was so tief in den heutigen Menschen sitzt, was so sehr in jedem einzelnen sitzt. Aus Höflichkeit will ich nur sagen, daß es nicht etwa bloß für die Söhne gilt, sondern für die Töchter auch, denn die heiraten doch wiederum diejenigen am liebsten, nicht wahr, welche in dieser Weise versorgt sind. Also, dahinein sind schon die Menschen versessen: Nicht auf sich selbst bauen, sondern irgendwo eine mystische Macht haben, auf die gebaut werden kann. Der Staat ist ja auch, wie er heute besteht, eine mystische Macht. Oder ist nicht vieles dunkel in dem Staate? Ich denke, viel mehr ist da dunkel als selbst bei dem schlechtesten Mystiker.

Alle diese Dinge müssen eben als Empfindungen in uns sitzen, wenn wir uns solche Aufgaben stellen, wie Sie sie sich stellen wollen, und wie die sind, die eigentlich zum Abhalten dieses Kursus geführt haben. Ich kann zum Schlüsse nur sagen: Ich mußte mich bei diesem Kursus mehr auf das Formale der Redekunst beschränken. Aber das Wesentliche ist doch dasjenige, was in Ihren Herzen sitzt an Enthusiasmus, an Hingegebensein an die Notwendigkeit jener Wirksamkeit, die vom Goetheanum in Dornach ausgehen kann. Und in demselben Maße, in dem diese Überzeugungskraft in wirklicher Wahrheit innerlich in Ihnen wächst, in demselben Maße wird sie auch nicht bloß in Ihnen überzeugende Kraft, sondern sie wird auch überzeugende Kraft für andere werden können. Denn, was braucht man? Wir brauchen heute nicht etwa bloß eine Lehre. Die kann noch so gut sein, aber sie kann in den Bibliotheken verschimmeln, sie kann in Worten von Wüstenpredigern da oder dort figurieren, wenn nicht dafür gesorgt wird, daß möglichst bald der Impuls der Dreigliederung mit allem, was dazugehört, in eine möglichst große Anzahl von Köpfen hineinkommt. In eine möglichst große Anzahl von Köpfen muß das hinein, was mit der Dreigliederung des sozialen Organismus zusammenhängt, denn dadurch nur läßt sich doch etwas erzielen, daß der eigentliche Nerv dieser Dreigliederungsbewegung in möglichst vielen Köpfen sitzt. Dann wird dasjenige, was zur Verwirklichung führen soll, ja ganz von selber kommen.

Aber wir müssen eben versuchen, ins Große hineinzuwirken. Es ist durchaus, man möchte sagen, fast notwendig, daß so etwas wie die Wochenzeitung «Goetheanum» so intensiv wie möglich gerade in der Schweiz verbreitet wird. Das ist natürlich nur eines unter Mannigfaltigem. Denn solch eine Wochenschrift wird ja nicht immer nur in derselben Form wiederholen, was schon im Anfange gesagt wurde, und was ja jeder natürlich sich immer und immer wieder aneignen soll; aber es wird eine solche Wochenschrift genötigt sein, sich auch in die Zeitbewegung hineinzustellen und in den verschiedensten Gebieten anzuwenden und auszugestalten, was im Sinne der Dreigliederung wirkt. Mitzuerleben, was so durch das «Goetheanum» fließt, das wird insbesondere notwendig sein für diejenigen, welche wirken wollen, so wie Sie es wollen, im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus.

Aber vor allen Dingen: Was wir brauchen, das ist Energie, Mut und Einsicht und Interesse für die großen Weltbegebenheiten! Nicht sich abkapseln von der Welt, nicht sich in enge Interessen hineinspinnen, sondern sich für alles, was heute auf der ganzen Erde vorgeht, interessieren. Das beflügelt auch unsere Worte, das wird uns zu einem richtigen Mitarbeiter machen auf dem Felde, das wir ja gesucht haben.

In diesem Sinne, meine lieben Freunde, möchte ich zu Ihnen gesprochen haben, und in diesem Sinne habe ich namentlich dasjenige zu dem in dieser Woche Gesprochenen noch heute, gewissermaßen als Ramschergänzung, hinzugefügt, was ich glaubte, hinzufügen zu müssen, da ja doch in einer solch kurzen Zeit nur außerordentlich Weniges gegeben werden kann.

Wenn Sie nun an Ihre Arbeit gehen, dann können Sie sicher sein, daß die Gedanken dessen, der in diesen acht Tagen zu Ihnen gesprochen hat. Sie begleiten werden. Und in einem solchen Zusammenwirken mag auch etwas liegen von einer Erkraftung des Impulses, der uns beseelen soll, wenn wir im richtigen Sinne, insbesondere in der Schweiz, wirken wollen.

Damit rufe ich Ihnen zu ein schönes «Glück auf», trotzdem ich Sie nicht in die Tiefen eines finsteren Schachtes hinunterschicken möchte, sondern gerade dorthin, wo es hell ist, wo es luftig werden kann für die Entwickelung der Menschheit und dahin, wo Ihnen diese Helligkeit, diese Luftigkeit eine besondere Befriedigung gewähren kann, weil Sie es ja selbst sein müssen, die dieses Licht, diese frische Luft in einen Teil der Welt hineinbringen.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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