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Das Initiaten-Bewußtsein

Schmidt-Nummer: S-5867

Online seit: 31st May, 2010

VIERTER VORTRAG
Torquay, 14. August 1924

Das Geheimnis des Erforschens anderer Welten durch die Metamorphose des Bewußtseins

Der Zusammenhang der Metallität mit anderen Bewußtseinszuständen des Menschen

Tafel 5, 14. August 1924

Von der Form und der Substantialität, der eigentlichen Metallität des Mineralischen habe ich gesprochen, insofern diese Dinge, wenn sie an den Menschen herantreten, Bezug haben auf seine Bewußtseinszustände. Bevor ich die Betrachtung, die sich auf einige Metallsubstanzen ausdehnen muß, werde fortsetzen können, muß ich eine bestimmte Bemerkung einflechten.

Man könnte nun leicht glauben, daß in dem, was ich gesagt habe, eine Empfehlung läge, Bewußtseinszustände, die abweichen von dem gewöhnlichen menschlichen Bewußtseinszustand des heutigen alltäglichen Lebens, dadurch hervorzurufen, daß man sozusagen wie eine Art Nahrungsmittel sich diese Substanzen körperlich beibringt. Und wenn von den Methoden gesprochen wird, durch die man den Weg in die geistige Welt findet, und da gesprochen wird davon, welche innerliche Schulung, Trainierung intimer Art man durchzumachen hat, dann kommen häufig die Menschen darauf, zu sagen: Ja, ich möchte sehr gerne etwas wissen von anderen Welten, von anderen Bewußtseinszuständen, aber das ist so schwierig, diese Übungen zu machen, die einem angeraten werden; das dauert so lange.

Dann beginnen wohl die Leute mit solchen Übungen. Aber dann kommt das Leben, das so voller Gewohnheiten ist, aus denen man nicht heraus möchte. Dann werden die Übungen nach und nach etwas, was an innerlichem Enthusiasmus und innerlicher Intensität verliert. Die Sache verschwimmt so allmählich im seelischen Leben. Und dann kommen die Leute zu nichts, finden es ungeheuer unbequem, soseelisch üben zu sollen. Hören sie dann, daß bestimmte, sagen wir, Metallitäten mit anderen Bewußtseinszuständen zusammenhängen, dann sagen die Menschen leicht: Ja, das ist bequemer. Wenn ich zum Beispiel, um einen Menschen nach dem Tode zu begleiten, bloß notwendig hätte, ein wenig Kupfer einzunehmen, warum soll ich dann nicht Kupfer einnehmen, um mir denjenigen Bewußtseinzustand zu verschaffen, der es mir möglich macht, den Toten durch sein ganzes Seelenleben zu begleiten.

Die Sache wird noch verfänglicher, wenn nun die Menschen vernehmen, daß in alten Mysterien die Sache wirklich in einer gar nicht unähnlichen Weise getrieben worden ist; daß in alten Mysterien, allerdings unter der strengen, unaufhörlichen Aufsicht derjenigen, die Initiaten waren, solche Dinge schon geübt worden sind. Wenn die Leute auch noch das hören, dann sagen sie: Warum sollten denn nicht diese alten Methoden wiederum erneuert werden? Aber man berücksichtigt dabei nicht, daß die Körper der Menschen bis ins Innerste hinein eben etwas ganz anderes in alten Zeiten waren, als sie heute sind. Was war denn in alten Zeiten, auch noch in jenen chaldäischen Zeiten, von denen ich gesprochen habe in diesen Tagen, bei den Menschen vor allen Dingen vorhanden, besser gesagt, nicht vorhanden?

Sehen Sie, es war unsere heutige Intellektualität nicht vorhanden. Die Menschen dachten nicht so von sich aus, wie wir heute denken, sondern die Menschen empfingen ihre Gedanken als Inspiration. Wie wir uns heute bewußt sind, daß wir das Rot der Rose nicht machen, sondern daß die Rose auf uns einen Eindruck macht, so waren sich die alten Menschen darüber klar, daß auch die Gedanken von den Dingen hereinkommen, hereininspiriert sind. Und das war deshalb, weil die Körperlichkeit eine ganz andere war in jenen alten Zeiten. Bis in die Blutzusammensetzung hinein war die Körperlichkeit eine andere.

Und so konnte es kommen, daß in jenen alten Zeiten solche Metalle, wie diejenigen sind, von denen ich gesprochen habe, in einer außerordentlich feinen, wir würden heute sagen, homöopathischen Hochpotenz den Leuten verabreicht worden sind, um die Übungen der Seele zu unterstützen. Aber sehen Sie, der ganze Körper war dazumal ein anderer. Und nehmen wir nun an, solch ein Mensch in alten Zeiten, also in jenen chaldäischen Zeiten, von denen ich gesprochen habe, solch ein Mensch habe ganz hochpotenziertes Kupfer bekommen und dann die Anweisung empfangen, er solle, bevor er dieses Kupfer bekommt — das war immer so —, bestimmte Seelenübungen machen, solch ein Mensch mußte ja nicht tagelang, sondern er mußte sich jahrelang trainieren, bevor ihm das hochpotenzierte Kupfer verabreicht worden ist. Und dann, wenn ihm das verabreicht worden war, dann hatte er, weil seine Körperlichkeit eben eine ganz andere war, durch die Trainierung fühlen gelernt, wie dieses fein verteilte, dieses in ganz feiner, hochpotenzierter Substanz in ihm, in seinem Blute pulsierende Kupfer in den oberen Partien wirkte. Er hatte gefunden, daß, wenn er nach dieser sorgfältigen Trainierung das Kupfer bekam, er innerlich erlebte, daß seine Worte, die er aussprach, gewissermaßen wärmer wurden, wärmer wurden dadurch, daß er in seinem Kehlkopf und in den Nerven, die vom Kehlkopf nach dem Gehirn gehen, selber warm wurde.

Nun, das beruhte darauf, daß der Mensch in jenen alten Zeiten wegen seiner anderen Körperlichkeit eine feine Empfindlichkeit entwickeln konnte für das, was so in ihm vorging. Geben Sie in derselben Lage einem Menschen der Gegenwart hochpotenziertes Kupfer, dann wirkt das auch. Natürlich wirkt es. Aber es bewirkt, daß er kehlkopfkrank wird, und weiter zunächst nichts. Diesen Unterschied zwischen der alten Organisation und der neueren Organisation des Menschen muß man eben kennen, dann wird man nicht mehr die Begierde und Sehnsucht entwickeln, wie es m alten Zeiten noch üblich war, ja, im Mittelalter noch vielfach geübt worden ist, durch äußeres Einnehmen sich in andere Bewußtseinszustände zu versetzen.

Sehen Sie, heute ist der einzig richtige Weg der, daß der Mensch sich zunächst seelisch bekanntmacht, wie ich es gestern beschrieben habe, mit der Natur, mit der Wesenheit des Kupfers, daß er sich eine feine Empfindung verschafft von der Farbe des Kupfers, wie sie ist, wenn man das Kupfer irgendwie findet, von der Farbe des Kupfers, wie sie ist, wenn man es abschleift, daß er sich eine Empfindung verschafft, wie Kupfer in Kupfervitriol und der Säure drinnen wirkt und soweiter. Wenn sich der Mensch in dieser Weise ein Gefühl verschafft, dann wirkt dieses Gefühl, über das er nun mediert, auf das er sich konzentriert, auf den neueren Menschen in der richtigen Weise.

Nun können Sie sagen: Ja, du hast aber dein Buch geschrieben «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», und da steht gar nichts drinnen, daß man sich in dieser Weise ins Kupfer versetzen soll. — Schön, es steht nicht drinnen. Aber es stehen andere Dinge drinnen. Vor allen Dingen, prinzipiell steht das schon in meinem Buche, nur nicht gerade für das Kupfer, sondern für andere Dinge. Es wird da beschrieben, wie man sich in die Natur von Kristallen, von Pflanzen und so weiter versetzen soll. Diese elementaren Übungen werden angegeben. Dann wird allerdings nicht gesagt, man solle die Natur des Kupfers kennenlernen; denn da müßte man nicht ein Buch, sondern eine Bibliothek schreiben. Es ist das aber auch nicht notwendig; denn es werden da Übungen gegeben, zum Beispiel Übungen im Selbstvertrauen, Konzentrationsübungen in bezug auf ganz bestimmte Inhalte. Ja, die decken sich mit dem, was ich eben darstellte von der Natur des Kupfers. Man sagt nicht, man soll vor sich die Natur des Kupfers haben, sondern man sagt: Versuche einmal, irgendeinen einfachen Inhalt zu nehmen und konzentriere dich auf diesen jeden Morgen und jeden Abend. Das heißt nämlich, nur mit anderen Worten ausgesprochen, sich auf die Natur des Kupfers konzentrieren. Es wird nur als Seeleninhalt das gegeben, was man auch in Anlehnung an die Metallität geben könnte.

Sage ich jemandem: Du sollst dich auf einen bestimmten Seeleninhalt, zum Beispiel «Im Lichte strahlt Weisheit» jeden Morgen und jeden Abend konzentrieren, dann wirkt es, wenn er das wirklich tut, m seiner Seele. Und es wirkt gerade so, als wenn ich ihm gesagt hätte: Lerne die Natur des Kupfers nach allen Seiten kennen und konzentriere dich auf das Kupfer. — Nur ist das eine Mal vom Moralischen, das andere Mal vom rein Physikalischen, Chemischen ausgegangen. Und es ist für denjenigen, der nicht gerade Chemiker ist, viel besser, wenn er auf dem moralischen Wege in die geistige Welt hineinkommt.

So also sehen Sie, wie diese Dinge sich verhalten müssen, weil der Weg, den man gehen würde in die geistigen Welten in Anlehnung andie Wege, die in den alten Mysterien gemacht worden sind, für den heutigen modernen Menschen ganz falsch wäre. Der richtige Weg ist heute derjenige, der das äußere naturhaft Physikalische ersetzt auf eine mehr moralische, seelische Art. Denn alle Zusammenhänge des Menschen mit der Natur sind eben anders geworden unter dem Einflüsse der Entwickelung der menschlichen Körperlichkeit. Blutzusammensetzung, Gewebeflüssigkeit, Konstitution, sie sind ja alle heute anders als bei dem Menschen des alten Chaldäa. Unser Körper ist ein anderer.

Der Anatom kann das nicht nachweisen. Erstens arbeitet der Anatom heute zumeist mit Leichen. Und wenn auch jüngst bei einer Naturforscherversammlung gesagt worden ist, um eine Art Notschrei in bezug auf die Naturwissenschaft zu erlassen: Gebt uns Leichen! — die Anatomen finden nämlich, daß sie zu wenig Leichen haben, um alle Geheimnisse zu untersuchen — , chaldäische Leichen wird es doch sehr schwer sein, sich zu verschaffen, um diese Dinge zu untersuchen! [Und zweitens würde der Anatom auch nichts mit seinen groben Mitteln finden.] Die Dinge müssen schon auf geistigem Wege erforscht werden.

Also wir haben eine andere Körperlichkeit als die Alten. Und aus dem Grunde muß man etwas ganz bestimmtes sagen. Wir können auch heute hochpotenzierte Substanzen, Metallität zum Beispiel herstellen. Aber warum tun wir das? Ja, sehen Sie, gerade die tiefere Einsicht in das Wesen der Natur, die gibt einem die nötige Orientierung, Richtung. Wenn man den menschlichen Körper wirklich kennt, so weiß man, daß er durch alle die Metalle, die ich angeführt habe, Zinn, Kupfer, Blei und so weiter, daß er durch alle diese Metalle verändert wird. Und ich habe Ihnen ja die Veränderung zunächst durch die Veränderung der Bewußtseinszustände angegeben.

Nun treten aber im menschlichen Körper auch im normalen Leben, wenn ich den philiströsen Ausdruck eben gebrauchen darf, Veränderungen auf. Sagen wir zum Beispiel, wir haben eine Veränderung in der Gegend, von der ich gestern gesagt habe, daß von ihr die Kupferwirkung ausstrahlt (siehe Zeichnung S. 76). Nun, solch eine Veränderung drückt sich aus in allerlei Störungen der Verdauungsorgane, in allerlei Störungen des Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen, Störungen desjenigen Teiles des Menschen, der vorzugsweise mit dem Stoffwechsel, mit der Verdauung, mit der Verteilung der Nahrungsmittel im Körper zusammenhängt. Jede solche Störung im menschlichen Organismus, die man eine Krankheit nennt, ist aber auch verbunden mit dem Hervorrufen eines anderen Bewußtseinszustandes. Sie müssen das nur in seiner vollen Tragweite ins Auge fassen.

Wenn Sie irgendwo ein krankes Organ haben, was bedeutet das? Nun, ich habe ja gestern gesagt: In der Gegenwart hat der Mensch seinen wachen Bewußtseinszustand im gewöhnlichen Leben durch sein Herz; die anderen Glieder der menschlichen Organisation haben andere Zustände, die kommen nur nicht herauf ins Bewußtsein. — Die Gegend Ihres Kehlkopfes mit alledem, was vom Kehlkopf aus mit dem Gehirn zusammenhängt, hat den nächsten Bewußtseinszustand, den ich neben dem gewöhnlichen gestern beschrieben habe, fortwährend. — Die Gegend hier, die Gegend der Verdauungsorgane, hat fortwährend den Bewußtseinszustand, der einen führt längs der Zeit, die die Toten nach dem Tode durchlaufen (siehe Zeichnung S. 76). Da geht der Mensch immer mit. Jeder Mensch erlebt das Leben derjenigen Menschen, die er kennengelernt hat, nachdem sie durch die Pforte des Todes gegangen sind. Aber er erlebt sie unter seinem Herzen, nicht im Herzen. Daher weiß er nichts davon. Daher bleibt es im Unterbewußtsein, Unbewußten.

Wenn nun in derselben Gegend, in der der Mensch fortwährend das Leben der Toten in den Jahren nach dem Tode erlebt, eine Störung eintritt, wenn also eine Verdauungsstörung als Krankheit auftritt, so wird der Bewußtseinszustand da unten geändert. Unter dem Herzen tritt ein zu starkes Bewußtsein auf. Was heißt zum Beispiel, eine bestimmte Art von Magenkrankheit zu haben? Im physischen Leben heißt es natürlich dasjenige, was der Arzt physisch beschreibt. Und das, was ich hier vertrete, wird durchaus nicht das geringste gegen die physische Medizin einwenden. Sie wird voll anerkannt und gewürdigt. Wir stehen in der Anthroposophie nicht auf dem Standpunkte des Dilettantismus und der Laienhaftigkeit, der Scharlatanhaftigkeit, welche die physische Medizin ablehnt, sie kritisiert oder abkanzelt und dergleichen. Wir erkennen sie voll an. Aber daneben, daß derMensch das an sich hat, was man in der physischen Medizin beschreibt, wenn einer eine bestimmte Art von Magenkrankheit hat, wird der Mensch durch eine solche Magenkrankheit geeigneter, das Leben der Menschen nach dem Tode, unmittelbar nach dem Tode zu verfolgen. Was kann man also vom spirituellen Standpunkte aus sagen?

Man beschreibt zunächst selbstverständlich, damit man die Therapie angeben kann und so weiter, die Krankheit im physischen Sinne. Aber vom spirituellen Sinne aus könnte man sagen: Der Mensch hat den Drang, mit den Toten, die er gekannt hat, mitzugehen nach dem Tode. Aber er hat nicht die Fähigkeit, in das Bewußtsein, das unter seinem Herzen liegt, hinunterzukommen. Er weiß nicht, daß er in die Region der Toten geht. Das ist die spirituelle Seite der Krankheit. Man ist magenkrank, weil man zuviel mit Toten zusammen ist. Aber in dem Augenblicke, wo man zuviel mit Toten zusammen ist, wirken die Toten auch zu stark. Es kommt aus der Welt, von der ich gestern gesagt habe, daß sie realer ist als die physische Welt, sehr viel herein in uns. Und wenn Sie eine Waage haben, die hier unterstützt ist (es wird gezeichnet), hier die Waagschalen sind, und da die Waage zu stark heruntersinkt, und Sie wieder Gleichgewicht hervorrufen wollen, da müssen Sie auf die andere Seite ein größeres Gewicht legen. Wenn die Waage aus dem Gleichgewicht gekommen ist, müssen Sie auf die andere Waagschale ein größeres Gewicht legen.

Nehmen wir nun an, ein Mensch hat unter seinem Herzen ein so empfindliches Bewußtsein ausgebildet — aber es bleibt ihm unbewußt —, daß er zuviel mit Toten mitgeht, dann ist das wie ein Herabsenken der einen Waagschale bei der Waage. Das wird zu stark. Da muß man ein Gewicht auf die andere Waagschale legen. Wie tut man das?

Wenn hier (es wird auf die Zeichnung S. 76 hingewiesen) ein zu starkes Bewußtsein ist, muß man das Bewußtsein hier (rot) schwächer machen, denn im Herzen ist die Mitte des Waagebalkens (orange). Sie müssen also hier das Bewußtsein schwächer machen in dieser Region. Wie tun Sie das? Sie geben dem Menschen Kupfer. Ich habe Ihnen ja gesagt, der moderne Mensch ist so organisiert in seinem Leib, daß das Kupfer auf die Kehlkopforgane wirkt. Aber Verdauungsorgane und

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Kehlkopforgane stehen in so naher Verbindung miteinander, wie der eine Waagebalken mit dem anderen. Man kann das eine durch das andere regulieren. Gibt man dem Menschen entsprechend dosiertes Kupfer, so geht er zu seinem Heile wieder mehr an der Region der Toten vorbei, während er sonst immer mehr in der Region der Toten bleibt. Das ist die spirituelle Seite der Heilung.

Daher muß man heute sagen: Alle Substanzen, alle Substantialitäten haben eine physische Seite und eine moralische Seite, wie ich es vorhin beschrieben habe. Die physische Seite konnte von den alten Initialen für ihre Schüler nach langer Trainierung so benützt werden, wie ich es gesagt habe; sie darf heute nicht mehr so benützt werden. Heute gehört die moralische Substanz in das Gebiet der seelischen Entwickelung; die physische Substanz gehört dem Arzt. Und mit Bezug auf die moralische Seite handelt es sich nur darum, daß derjenige, der diephysische Seite kennt, auch die Möglichkeiten hat, in die physische Seite der Substanzen tief einzudringen, daß der auch unterstützt wird von der Erkenntnis der moralischen Seite der Substanzen.

Aber das muß für das heutige Erkennen, für das praktische Erkennen auf dem Gebiet spiritueller Wege streng eingehalten werden. Die physische Seite der Substantialität gehört dem Arzt; die moralische Seite gehört dahin, wo seelische Entwickelung ist. Denn die menschlichen Organismen haben sich eben ganz prinzipiell geändert seit alten Zeiten. Und so intim einmal der Zusammenhang war zwischen der Erkenntnis der moralischen Seite der Substanzen und der physischen, so intim muß er wieder werden, nachdem er verloren worden ist. Ich werde gleich nachher über diesen Verlust sprechen. Aber das Verhältnis, das besteht zum Beispiel zwischen physischer medizinischer Wissenschaft und moralischer Wissenschaft, das muß trotzdem ein anderes sein heute, als es im grauen Altertum war. In beiden Fällen muß dieses Verhältnis bestehen. Aber es ist ein anderes heute, als es im Altertum war. Und auf der Erkenntnis solcher Dinge beruht die Einsicht, welches wahre und welches falsche Wege sind in die spirituelle Welt hinein.

Veränderungen in der Stellung des Menschen zur Erkenntnis im Laufe der Geschichte

Nun, es wird uns etwas nützen, wenn wir, um das, was ich ausgeführt habe, etwas mehr zu beleuchten, einen Blick werfen auf Veränderungen, die seit langen Zeiten in der ganzen Stellung des Menschen zur Erkenntnis vor sich gegangen sind. Gehen wir von der Gegenwart aus und gehen wir ein wenig zurück in der Entwickelung der Menschheit, um zu sehen, wie verschieden man auf dem Gebiete der Erkenntnis, der Forschung, über die Dinge gesprochen hat. Wir reden heute, wenn wir unseren Blick auf jene großen, wunderbaren Fortschritte werfen, die in der Erkenntnis von Wärmekräften, von Elektrizitätskräften, aber auch von Kräften in lebendigen Organismen in der neueren Zeit heraufgekommen sind, wir reden von der Natur und reden von derNaturerkenntnis, von der Naturwissenschaft, in England von der Naturphilosophie.

Wenn wir dasjenige überschauen, was man in den Schulen, schon in den untersten Schulen heute, in den gewöhnlichen Primarschulen, als Natur bezeichnet, so ist das etwas außerordentlich Abstraktes. Es ist die Summe von Naturgesetzen, wie man sagt, die man lernen muß, etwas außerordentlich Abstraktes. Und die Abstraktheit der Sache drückt sich ja auch im Leben aus. Denken Sie nur, wie abstrakt fühlt und empfindet heute selbst der enthusiastischste Student der Naturwissenschaft. Er muß, sagen wir in der Botanik, viele Namen auswendig lernen von Pflanzen und Pflanzengattungen, in der Zoologie von Tieren und Tiergattungen. Er vergißt sie wieder, muß sie immer und immer wieder lernen, wenn er Examen machen will. Und nach dem Examen vergißt er sie erst recht. Dann schaut er sie nach, wenn er sie braucht, in den Handbüchern. Und man kann nicht gerade sagen, daß das Verhältnis eines Menschen, der heute Botanik oder Zoologie studiert, zu Botanik oder Zoologie etwa wie das Verhältnis eines Menschen zu einer geliebten Persönlichkeit ist. Das kann man nicht sagen. Das ist heute nicht so.

Natur ist etwas, was im Nebel verschwimmt. Es sind viele Gesetze: Gesetze über Schwerkraft, Gesetze über Wärme, Gesetze über Licht, Gesetze über Elektrizität, Gesetze über Magnetismus, Gesetze über Dampf und Wasser und Gleichgewicht und Verschiedenheit des Gleichgewichtes; Naturwissenschaft, Naturerkenntnis ist, was man weiß über Steine und Pflanzen. Naturwissenschaft ist auch dasjenige, von dem man sagt, daß man es nicht weiß, über das Leben der inneren Konstitution der Organe der Pflanzen, der Tiere, der Menschen, kurz, vieles, von dem man heute sagt, daß man es weiß, vieles, von dem man sagt, daß man es nicht weiß. Das ist heute Naturwissenschaft, ist Naturphilosophie.

Aber es ist etwas, dem man nicht so recht einen warmen Händedruck geben kann, denn es ist alles verschwommen, es ist alles dünn und abstrakt gedacht. Wir strengen uns heute an, dieses Abstraktum «Natur» zu bezwingen. Manche sind, das können wir schon sagen, diesem Abstraktum der Natur gegenüber etwas gleichgültig geworden. Wir bewahren eine wohlwollende Neutralität, wenn wir nicht zur völligen Jugend gehören, die ja in Opposition heute stark aufmuckt gegen dasjenige, was als Naturwissenschaft in den Schulen getrieben wird; wir bekennen uns zu einer wohlwollenden Neutralität. So war es nicht immer. Und ich möchte jetzt zunächst die Erkenntnisstimmungen ein wenig nach älteren Jahrhunderten hin charakterisieren.

Wenn wir zum Beispiel zurückkommen so in das 9., 10., 11. Jahrhundert, auch ins 12., 13. Jahrhundert, aber da schon sehr wenig, da kommen wir zu Menschen, die wir, wenn wir heute das Wort anwenden würden, gelehrte Menschen, Wissenschafter nennen würden. Wir kommen da zurück zu jenen großartigen Gelehrten im Sinne der damaligen Zeit, die in der bedeutsamen Schule von Chartres im 11., 12. Jahrhundert gelehrt haben, kommen zurück zu Bernardus Silvestris, zu Bernardus von Chartres, zu Alanus ab Insulis. Wir kommen zurück dann zu solchen Persönlichkeiten, die in der damaligen Zeit noch, ich möchte sagen, mit dem Typus des Eingeweihten unter anderen Menschen herumgingen, mit dem Typus eines Menschen, der viel weiß um die Geheimnisse des Daseins, wie jener großartige, im Sinne des Mittelalters noch initiierte Joachim de Fiore, oder zu jener großartigen Persönlichkeit, die auch in jener Zeit gewirkt hat, die der Welt bekanntgeworden ist unter dem Namen Jobannes von Auville. Ich erwähne diese Persönlichkeiten, zu denen ich auch viele andere hinzufügen könnte, deshalb, um in die Zeit hineinzukommen, um die Stimmung der Zeit in bezug auf die Erkenntnis zu charakterisieren.

Wenn man diesen Menschen mit der Seele gegenübersteht und sie reden von Natur, dann ist das eine ganz andere Sache, als wenn wir heute von Natur reden. Wenn man heute so einen Botaniker oder einen Pathologie-Anatomen oder einen Histologen trifft, ja, man hat so selten das Gefühl, daß seine Physiognomie, die er einem entgegenbringt, von den Geheimnissen der pathologischen Anatomie oder der Zoologie kommt. Man hat viel eher das Gefühl, wenn man heute solch einem Pathologie-Anatomen oder Histologen oder auch einem Therapeuten entgegentritt, daß die Physiognomie eher von dem Tänzchenkommt, das er am vorhergehenden Tag da oder dort getanzt hat. Man sieht durch diese Physiognomien eher in diese artigen Verhältnisse hinein, als auf dasjenige, was er erlebt aus den Geheimnissen der Natur heraus. So war es ganz gewiß nicht, wenn man einem Joachim de Fiore in die Augen geschaut hat oder einem Alanus ab Insulis oder einem Bernardus Silvestris, die in jenem Zeitalter gelebt haben, von dem ich eben gesprochen habe. Es ruhte auf dem Antlitz dieser Leute etwas von einem tragischen Zug, etwas von dem, was einem sagte: Wir leben in einem Zeitalter, das viel verloren hat. — Etwas Tragisch-Trauriges, möchte ich sagen, lebte aus der Vertiefung in die Erkenntnis auf dem Antlitze jener Leute.

Daneben wiederum — wenn man gesehen haben würde die Finger dieser Leute, diese Finger, die der heutige dekadente Mensch nervöse Finger nennen würde, die aber in sich hatten das lebende Zeugnis davon, daß diese Leute wiederum schürfen und arbeiten wollten in den alten Geheimnissen, von denen ihr Antlitz ausdrückte, daß sie verloren worden sind, dann würde man bemerkt haben: in diesen Menschen arbeitet etwas, das wieder heraufbringen möchte dasjenige, was in alten Zeiten da war. Manchmal ist ihnen das gelungen. Manchmal ist es ihnen gelungen, wieder die alten Zeiten, wenn auch im Schattenbilde, heraufzuzaubern vor ihren Schülern.

Man kann sich schon vorstellen — es ist nicht ein poetisches Bild, das ich vor Sie hinstelle, es ist eine Wirklichkeit, meine sehr verehrten Anwesenden —, man kann sich schon vorstellen die Schule von Chartres, wo heute noch die wunderschöne Kathedrale ist, lehrend Alanus ab Insulis, sprechend zu seinen Schülern von der Natur, etwa sagend: Die Natur — ein Wesen, das wir nicht mehr fassen können, das sich uns entzieht, wenn wir ihm nahen wollen. Die Menschheit hat Kräfte entwickelt, die sie zu anderen Dingen hinführen, die aber nicht mehr fähig sind, so die Natur zu erfassen, wie die Natur in alten Zeiten von den Erkennenden erfaßt worden ist. Denn die Natur war ein mächtig großes Geistwesen, das überall gewirkt hat, da, wo die Steine im Gebirge sich gebildet haben, da, wo die Pflanzen aus dem Erdboden herausgewachsen sind, da, wo die Sterne am Himmel funkelten. Überall webte ein unermeßlich großes Wesen, das sich in der Gestalt eines wunderbaren Weibes darstellt. Das sahen die Alten mit ihrem Schauen. Wir können uns nach den Angaben, welche die Alten gemacht haben, noch Vorstellungen davon bilden, was die Natur war, dieses überall Weben, Wirken, das in allem Umgebenden, in aller Wärme, in allen Lichterscheinungen, in allen Farbenerscheinungen, in allen Lebenserscheinungen lebt und webt. Aber es entschlüpft uns, wenn wir ihm nahen wollen. Denn lebend-webend ist die Göttin Natura in allem. Eine Göttin, ein göttlich-geistiges Wesen, von dem man wußte, man kann es in seiner Wesenheit nur erkennen, wenn man es anschauen kann.

Solche Vorstellungen machte im 12. Jahrhundert noch solch eine Persönlichkeit wie Alanus ab Insulis seinen Schülern in der Schule von Chartres klar. Aber weil man im Nebel sich auflösend diese Göttin Natura sah, mit der Lebendigkeit all dessen, was wir heute als abstrakte, tote Naturgesetze finden, weil sie einem gleich wieder entschlüpfte, deshalb war dieser tragische, traurige Zug auf den Antlitzen dieser Menschen.

Und dann gab es etwa solche Menschen, wie der große Lehrer des Dante war, Brunetto Latini, der durch einen besonderen karmischen Fall, daß er eine Art von Sonnenstich bei einer Wanderung bekommen hat — was viel wichtiger war als der Schmerz, den er über die Vertreibung der Weifen aus seiner Vaterstadt bekommen hatte —, der dadurch, daß sein Bewußtseinszustand infolgedessen ein anderer geworden war, noch wahrnehmen konnte diese Göttin Natura, wie er es in seinem Buche «Tesoretto» beschreibt. Und er schildert ganz anschaulich, in lebendiger Imagination, wie er auf dem Heimweg nach seiner Vaterstadt Florenz durch einen öden Wald kommt, wie er in diesem öden Wald an einen Berg herantritt, auf diesem Berge wirkend sieht die Göttin Natura, wie die Göttin Natura nun ihn aufklärt, was die menschliche Seele im Denken, Fühlen und Wollen ist, wie sie ihn aber auch aufklärt, was die vier Temperamente des Menschen ihrem Wesen nach sind, wie sie ihn auch aufklärt, was die fünf Sinne des Menschen sind.

Das war alles eine wirkliche geistig-seelische Unterweisung, eine Realität, die er durchmachte unter dem Einfluß eines pathologischenZustandes, als er von Spanien wiederum zurückkehrte nach seiner Vaterstadt Florenz. Und als er das alles durchgemacht hatte, sah er das Weben und Wesen der vier Elemente, Feuer, Erde, Wasser, Luft, sah das Weben und Wesen der Planeten, das Hinausgehen der menschlichen Seele in den Sternenhimmel. Das alles sah er unter dem Einfluß einer Geistlehre, die ihm zukam von der Göttin Natura.

Das alles schildert ein Mensch der damaligen Zeit so anschaulich, wie es der heutigen Sprache nur irgend noch möglich ist. Zugleich aber hat man das Gefühl, er empfindet: Die anderen, die Alten haben das noch ganz anders gewußt; es entschlüpft einem heute immer. Man muß sogar in einen herabgestimmten, pathologischen Zustand kommen, wenn man in diese Geheimnisse noch hineinschauen will.

Aber ein ungeheurer Drang war in diesen Menschen, wiederum heraufzuzaubern so etwas, wie es die wirkliche Gestalt der Natura ist. Und sehen Sie, wenn wir so diesen Gang zurückmachen im menschlichen Empfinden, im menschlichen Denken gegenüber der Erkenntnis, dann haben wir das Gefühl: Nun ja, wir stehen auch heute vor der Natur, aber wir bezeichnen sie mit einem Namen, der etwas ganz Abstraktes, eine Summe von Gesetzen ist. Wir sind stolz darauf, wenn wir diese Gesetze nur einigermaßen in einer Harmonie zusammenfassen. Wir gehen einige Jahrhunderte zurück. Wir schauen ein lebendiges Verhältnis, das der Mensch zu einem göttlichen Wesen hatte, das webte und lebte und all dasjenige wirkte, was an Erscheinungen auftrat: den Aufgang der Sonne, den Untergang der Sonne, die Erwärmung der Steine, die Erwärmung der Pflanzen, die all das im lebendigen Weben und Treiben wirkt. Denken Sie, was das für eine ganz andere Wissenschaft ist! Die Wissenschaft enthielt die Taten der Göttin Natura. Es war schon auch ein Unterschied zwischen der Stimmung, wenn die Studenten von Chartres herauskamen — Zisterziensermönche waren sie zumeist — , und derjenigen Stimmung, die heute Studenten haben, welche aus der Schule herauskommen; es war schon etwas anderes und etwas Lebendigeres, etwas Wesenhafteres. Und ganz lebendig Wesenhaftes wird es eben in solchen Schilderungen wie der des Brunetto Latini, des großen Lehrers des Dante.

Daß das lebendig war, kann man sich ja vorstellen, denn all dieherrlichen Bilder und Gestalten, die Dante in seiner «Commedia» hingemalt hat, sind ja hervorgegangen aus den lebendigen Schilderungen seines durch einen karmischen Fall eingeweihten Lehrers Brunetto Latini; wie ja auch viel von dem, was dann in solchen Schulen wie Chartres und anderen gelehrt worden ist, hervorgegangen ist aus solchen Eingeweihten wie Joachim de Fiore und anderen.

Man hat dazumal den Ausdruck «Natura» gebraucht, aber nicht so abstrakt wie wir, sondern für etwas, was da ist, was in den äußeren Sinneserscheinungen wirkt, aber sich zurückzieht, einem entschlüpft. Und dann war noch etwas anderes. Nehmen Sie an — wiederum schildere ich nicht ein poetisches Bild, sondern etwas, was durchaus Realität war —, nehmen Sie an, man wäre schon als ein etwas bejahrter Student im Kolleg gesessen, so nennt man es ja wohl auch, des Alanus ab Insulis. Man hätte das mitgemacht, was da sich abgespielt hat. Die Studenten wären entlassen worden, und man wäre mit Alanus ab Insulis einsam auf einem Spaziergang weitergegangen, das besprechend, was vorgekommen war. Was hätte man da erfahren?

Ja, solch ein Gespräch hätte eine besondere Form annehmen können. Man hätte sprechen können von dieser Göttin Natura, die einem sich offenbart in den Erscheinungen der äußeren physisch-sinnlichen Welt, die einem aber entschlüpft. Dann würde Alanus ab Insulis, wenn er nun auch warm geworden war in der seelischen Unterhaltung, einem auf die Schulter geklopft haben und gesagt haben: Ach, hätten wir noch jenen Schlafzustand, den die Alten hatten, dann würden wir die andere Seite, die verborgene Seite der Göttin Natura kennenlernen. Aber wir schlafen ja hinein in das Unbewußte, wo sich den Alten gerade die andere Seite der Natur geoffenbart hat. Könnten wir noch so schlafen, so hellsichtig schlafen wie die Alten, dann würden wir die Göttin Natura kennen. — So sprechend, hätte einem Alanus ab Insulis auf die Schulter geklopft.

Und wäre man auch in einem solchen Falle in ein vertrauliches Gespräch mit Joachim de Fiore gekommen, dann hätte er nach einiger Zeit gesagt: Ja, es wird uns schwer, gegenüber unserem inhaltsarmen Schlafe, der das Bewußtsein ganz herabdämpft, die andere Seite der Natura, der großen Göttin kennenzulernen, die da schafft und webt inallem Schaffenden und Webenden. Die Alten haben sie gekannt nach ihren beiden Seiten. Und weißt du — würde er einem gesagt haben — , die Alten haben nicht das Wort «Natura» gebraucht. Sie haben nicht gesagt, von dem Wesen, das wir heute mehr ahnen, als daß wir viel von ihm wissen: es ist die Göttin Natura. Sie haben ein anderes Wort gebraucht. Sie haben das Wort «Proserpina» gebraucht. Das ist die Wahrheit.

Davon hat man auch in der damaligen Zeit noch gewußt. Unsere abstrakte Natur, die wir in den Ideen tragen, ist die Umwandlung dessen, was ich Ihnen eben beschrieben habe. Und was gelebt hat in den Seelen von Persönlichkeiten wie Bernardus Silvestris, Alanus ab Insulis, Johannes von Auville, und in solchen Persönlichkeiten vor allen Dingen wie Brunetto Latini, was in ihnen gelebt hat, ist die Umwandlung dessen, was die Alten in der Proserpina gesehen haben, der Tochter der Demeter. Demeter, das ganze Weltenall, Proserpina! Es ist schon ganz philiströs, wenn man nun das neuere Wort ausspricht, [für] Proserpina: die Natur. Die Natur, die nur die Hälfte ihrer Zeit auf der Oberwelt bleiben kann, das heißt, ihre physisch-sinnliche Seite zuwendet dem Menschen, die andere Hälfte des Lebens hinuntersteigt in jene Regionen, die der Mensch mit dem Schlafe erreicht, die er aber, weil der Schlaf wesensinhaltslos geworden ist, in der neueren Zeit nicht mehr erreicht.

Unsere Naturerkenntnis ist, ohne daß man ihr das heute in ihrer Abstraktheit ansehen könnte, eine Nachahmung desjenigen, was in dem Proserpina-Mythos im alten Griechenland lebte. Daß das empfunden wurde von den Persönlichkeiten mit dem tragischen Antlitz, deren Namen ich Ihnen angeführt habe, daß das in jener Zeit selbst noch empfunden werden konnte, das ruft schon eine Vorstellung davon hervor, wie die Wege der Erkenntnis sich geändert haben.

Aber die richtige Färbung von so etwas, wie ich es auch heute wiederum im ersten Teil meiner Rede gesagt habe, die richtige Färbung dafür bekommt man doch nur, wenn man so zurückblickt auf die Art und Weise, wie einmal Erkenntnis war. Nicht um alte Erkenntnisse wiederum heraufzubeschwören, sondern um ein Gefühl hervorzurufen, was einmal Erkenntnis war, gebe ich solche Schilderungen.

Bilder aus alten Zeiten

Wenn man in der Seele den Ausspruch festhalten will, den etwa Joachim de Fiore oder Johannes von Auville, einem auf die Schultern klopfend, im Mittelalter sagen konnte: Was wir heute als Natur ansehen, oder was auch entschwindet, weil wir es nicht erreichen können auf der anderen Seite des Lebens, das war einstmals Proserpina —, und wenn einem der Proserpina-Mythus — als Mythus ist er ja nur erhalten — in der Seele aufersteht, dann drängen sich heran an diese Eindrücke wiederum die Bilder noch älterer Verhältnisse. Es sind die Bilder aus jener Zeit, in der nicht die abstrakte Natur, nicht die in tragischer Stimmung empfundene Göttin Natura gelebt hat unter den Menschen, in den Seelen, sondern in der gelebt hat die hellstrahlende auf der einen Seite, die tragische Göttin auf der anderen Seite: Proserpina-Persephoneia.

Und wie lebte sie in gewissen Zeiten der Erkenntnis, in jenen alten Zeiten, in denen sie noch voll lebendig war? Es waren nicht die Zeiten, meine sehr verehrten Anwesenden, in denen Plato über Philosophie geschrieben hat, in denen Sokrates über Philosophie gesprochen hat, nein, es waren nicht diese Zeiten. Es waren noch viel ältere Zeiten, alte Zeiten, in denen Erkenntnis etwas ungeheuer viel Lebendigeres unter Menschen war, als sie später selbst in den erleuchteten Zeiten des Griechentums geworden ist.

Versuchen wir, es im Bilde vor unsere Seele zu stellen, um in diesem Bilde wachzurufen, was einmal im Verlaufe der Menschheitsentwickelung Erkenntnis war, um das richtige Licht auf dasjenige zu werfen, was wir schon auseinandergesetzt haben vom gegenwärtigen Gesichtspunkt und noch weiter auseinandersetzen werden in diesen Vorträgen. Versuchen wir einmal, ein kleines, natürlich nur unvollkommen geschildertes Bild hervorzurufen von jener Art von Mysterien, in die noch der griechische Philosoph Heraklit eingeweiht war, der «der Dunkle», «der Finstere» genannt wird, weil schon dunkel geworden war in der späteren Zeit, seelisch dunkel, dasjenige, was er empfangen hatte aus jenen Mysterien heraus. Versuchen wir einmal ein Bild vor unsere Seele hinzumalen aus der Zeit der Mysterienentwickelung, aus der das Griechentum vor allen Dingen geschöpft hat, geschöpft hat in bezug auf seine Phantasie, geschöpft hat auch in bezug auf die Ausgestaltung seiner Mythen. Versuchen wir uns ein Bild vor die Seele zu stellen von den Ephesischen Mysterien, von den Mysterien von Ephesus, in denen ja auch noch Heraklit, der Dunkle, eingeweiht worden ist.

Es waren allerdings in Ephesus uralte Erkenntnisse noch herrschend, aBer sie waren auch Bewahrt in Ephesus Bis in jene Zeiten hinein, in denen Homer gewirkt hat, ja, Bis in die Zeiten hinein, wenn auch dann schwächer, in denen Heraklit eingeweiht worden ist. Es waren solche alten Mysterien in der allerstärksten LeBendigkeit vorhanden. Und es waren schon starke, mächtige Initiationsströmungen, die erflossen in jenem Tempel, der geschmückt war an seiner Ostseite mit jenem Bildnis, das ja auch der Welt Bekanntgeworden ist, mit dem Bildnisse der Göttin Diana, der Göttin der Fruchtbarkeit, die in ihrer Bildhaftigkeit die in der Natur üBerall strotzende FruchtBarkeit zum Ausdrucke Bringt. Und es wurden schon große Geheimnisse des Daseins, tief spirituelle Geheimnisse in die menschlichen Worte hineingezogen, wenn die Gespräche geführt wurden, etwa unmittelBar nachdem die an den Mysterien Teilnehmenden ihre mächtigen Impulse empfangen hatten Bei den Kulten und Bei den Einzelheiten der Kulte im Tempel von Ephesus. Und es waren tiefe Gespräche, die das dann fortsetzten, wenn die am Kultus Teilnehmenden herausgetreten sind aus diesem Tempel und dann, etwa gerade dann, wenn die äußere Welt am fruchtbarsten ist für solche Dinge, in der ABenddämmerung, jenen Weg angetreten haBen, der von der Tempelpforte hineinführte in eine Waldung, die wunderBare Gänge hatte, in jene Waldung, mit schwärzlich-grünen Bäumen Bewachsen, wo sich die Wege in schöner Perspektive nach den verschiedenen Seiten von Ephesus verloren. Gespräche von solcher Art möchte ich in ein unvollkommenes Bild Bringen.

Da war es so, daß derjenige, der von der einen Seite initiiert war in die Geheimnisse von dazumal, dann wohl ins Gespräch kam mit einem Schüler oder einer Schülerin. Denn Bemerkt werden muß, daß in jenen alten Zeiten die GleichBerechtigung des männlichen und weiBlichenGeschlechtes, gerade in denjenigen Zeiten, nach denen sie sogleich abgenommen hat, viel lebendiger war, als sie etwa in unserer Zeit ist. So daß wir ebensogut von Schülerinnen in Ephesus sprechen können wie von Schülern, in gleicher Weise. Und gerade der Proserpina-, der Persephoneia-Mythus in seiner spirituellen Gestalt war in jenen Gesprächen ganz lebendig.

Aber wie wurde solch ein Gespräch über den Proserpina-Mythus geführt? Da war zunächst, sagen wir etwa der Lehrer, der eingweihte Priester, der da aus dem, was er an Impulsen empfangen hatte, reden konnte über die Geschehnisse in der Formenwelt, reden konnte über die Geschehnisse, die sich abspielen zwischen Wesenheiten, und etwa aus dieser Einweihung heraus das Folgende zu seinem Zögling sagen konnte: Sieh einmal, wir gehen durch die Dämmerung. Der Schlaf, der die göttliche Welt schaubar, sichtbar macht, er wird bald beginnen. Schaue dich an in deiner ganzen menschlichen Gestalt. Da drunten sind die Pflanzen; um uns herum ist der in der Dämmerung schattende, in seinem grünen Dämmerdunkel wunderbare Wald. Schon beginnen oben die ersten funkelnden Sterne sich zu zeigen. Schaue einmal das alles an. Schaue die Majestät, die Größe, aber auch das Sprießende, Sprossende des Lebens oben und unten. Und dann schaue dich selbst an. Bedenke, wie in dir lebt und webt ein ganzes Weltenall, wie in alledem, was in dir zirkuliert, in alledem, was in dir sein Dasein in Geschehnissen hat, eine Fülle von Tatsachen, eine Fülle von Wesensverwandlungen in jedem Augenblicke vorhanden ist. Fühle, wie du selber eine ganze Welt bist, die geheimnisvoller, großartiger, wenn auch dem Räume nach kleiner ist als das Universum, das du von der Erde bis zu den Sternen überschaust. Fühle das! Fühle dich als Mensch als eine Welt, als eine Welt, die eine größere Fülle hat als die Welt, die du mit deinen Augen schaust, mit deinen Gedanken umfängst. Fühle die Welt in dir innerhalb deiner Haut.

Und dann empfinde, wie du jetzt aus deiner Welt herausschaust in die Welt, die von der Erde bis zu den Sternen reicht. Du wirst dann vom Schlaf umfangen sein. Dann wirst du nicht in deinem Leib, nicht in deiner Welt sein, dann wirst du in der Welt sein, die du jetzt überschaust von der Erde bis zu den Sternen. Dann wirst du aus dirherausgegangen sein mit deinem seelisch-geistigen Teil. Dann wirst du in der Sternenstrahlung, in der Erdenausdünstung leben. Dann wirst du mit dem Winde gehen. Dann wirst du mit dem Sternenstrahl denken. Dann wirst du in deiner Außenwelt leben und wirst zurückschauen auf dasjenige, was du als eine Welt in dir bist.

Und es konnte in jenen alten Zeiten noch so gesprochen werden von dem Lehrer zu dem Zögling, denn es war eben noch das äußere Anschauen während des Tagwachens nicht so konturiert, sondern so, wie ich es Ihnen beschrieben habe. Und es war das Schlafen noch nicht von völliger Finsternis durchdrungen. Es war das Schlafen noch von Erlebnissen über Erlebnissen durchdrungen, und man wies hin auf Erlebnisse, wenn man auf den schlafumfangenen Zustand hinwies: Um dich ist jetzt Proserpina oder Persephoneia, Kore. Kore lebt in den Sternen. Kore lebt in den Sonnenstrahlen und Mondenstrahlen. Kore lebt in den aufwachsenden Pflanzen. Überall ist es Persephoneias Wirksamkeit, die da lebt, denn sie hat das Kleid gewoben, aus dem alles das ist. Und hinter alledem ist Demeter, ihre Mutter, für die sie das Kleid gewoben hat, das du jetzt schaust als äußere Weh. Natura würde man nicht gesagt haben. Persephoneia oder Kore würde man gesagt haben — hat man gesagt.

Und sieh, wenn einer länger wach bleiben wird als du — so sagte der Lehrer zu seinem Zögling-, dann wird der, während du schläfst, dasjenige, was äußerlich als Gestalt der Proserpina in Pflanzen, in Bergen, in Wolken, in Sternen auftritt, ebenso sehen wie du. Denn das ist die Illusion, wie man das sieht. Nicht die Proserpina ist die Illusion, nicht dasjenige, was sie schafft in Bergen und Pflanzen und Wolken und Sternen ist Illusion, sondern so wie du schaust, das ist die Illusion. Und du wirst schlafen. Durch deine Augen, durch dieses wunderbare Daseinsrätsel Auge wird in dich einziehen Kore-Persephoneia.

Und es wurde das so lebendig hingestellt, weil es so lebendig erlebt wurde, daß der Einschlafende nicht bloß fühlte: jetzt erlischt mein Sehvermögen, jetzt erlischt mein Hörvermögen — nicht bloß fühlte: jetzt höre ich auf, wahrzunehmen —, sondern daß der Einschlafende wahrnahm, wie untertauchte Persephoneia durch das Augenpaar inden Leib, in den physischen Leib, in den ätherischen Leib, die von dem Seelisch-Geistigen im Schlafe verlassen wurden.

Die Oberwelt, man ist in ihr im Wachen; die Unterwelt, man ist in ihr im Schlafen. Persephoneia ist durch das Auge in den schlafenden physischen und Ätherleib eingezogen. Persephoneia ist bei Pluto, dem Herrscher über den Schlafzustand im physischen und ätherischen Leibe. Die Wirksamkeit des Pluto im Vereine mit Persephoneia, die untergetaucht ist in den physischen und Ätherleib während des Schlafes, die Tätigkeit des Pluto mit Persephoneia erlebte der schlafende Zögling, der durch diese Direktion, die er bekommen hatte dadurch, daß ihm der Einzug der Kore durch die Tore der Augen klargemacht worden war, der das ins Lebendige umgesetzt hat und im Schlafe nun die Taten des Pluto und der Persephoneia erlebte. Der Zögling erlebte dies, während sein Lehrer anderes Entsprechendes erlebte, das mehr zusammenhing mit den Formdingen.

Dann, wenn sie wieder zusammenkamen, dann hatten sie beide ihre Geheimnisse erlebt. Dann konnten sie sprechen über eine Pflanze, über einen Baum. Dann schilderte wohl der Lehrer, wie sich die Formen bilden, denn das hatte sich ihm gerade dargestellt während des Schlafes. Dann drang er ein in die Formen der Blätter, des Stammes, in die Figuration der Welt, in jene Figurationen, die sich sozusagen von oben nach unten senken. Und vielleicht hatte der Zögling das andere erlebt: Er konnte vielleicht dasjenige erlangen, wovon der Lehrer sprach, wenn er von den Geheimnissen des Chlorophylls, von den Geheimnissen der Pflanzensäfte, die von unten nach oben in der Pflanze sich ausbreiten, erzählte. So ergänzten sich wunderbar die Gespräche, indem im lebendigen Umfassen der Göttin Proserpina, die die andere Seite zeigte den Menschen während des Schlafens in der Unterwelt, diese Geheimnisse in die menschliche Seele herein sich offenbarten. Und so lernte in jenen alten Zeiten der Schüler von dem Lehrer, der Lehrer von dem Schüler. Denn auf der einen Seite waren die Offenbarungen geistig-seelisch, auf der anderen Seite seelischgeistig. Und ein Gespräch, das in dieser Weise unter Menschen sich abspielte, gab in Menschengemeinschaft, in gemeinschaftlichem menschlichem Erleben die höchsten Erkenntnisse.

Und man war, indem man diese höchsten Erkenntnisse erlebte, indem man des Morgens wiederum die Morgendämmerung herankommen sah, von Osten herüber erglänzend das Tagesgestirn erlebte, hineinerglänzend in den dunklen grünen Wald — mit seiner wunderbaren Perspektive verlaufend —, man war ein Stündchen über das eine oder andere in dem Reiche, das wir heute das Reich der Natur nennen, aufgelebt; alles das floß im Gespräche zusammen. Und man war sich klar darüber, daß das alles der Umgang mit Persephoneia war. Man war sich klar darüber, daß dasjenige, was dann sich eingegliedert hat in den Persephoneia-Mythus, daß das das Geheimnis der menschlichen Naturerkenntnis ist. Und es waltete ein Zauber, den ich Ihnen nur unvollkommen andeuten konnte, über den Gesprächen, die geführt wurden in Anlehnung an die Mysterien von Ephesus; es waltete dieser Zauber in den Gesprächen. Und in jenen Gesprächen lebten die Persephone-Erkenntnisse, lebten darin in aller Lebendigkeit, die dann abgeschattet wurde zu dem, was wir heute als das Abstraktum «Natur» haben, und worüber tragische Trauer auf dem Antlitz trugen Menschen wie Joachim de Fiore.

Die Wege in die menschliche Spiritualität und in die Spiritualität des Kosmos hinein, wir verstehen sie nur, wenn wir nicht nur auf die einzelnen Bewußtseine, die der Mensch erreichen kann, charakterisierend hindeuten, sondern wenn wir darauf hinschauen, wie im Laufe der Menschheitsentwickelung die Bewußtseine sich nach und nach metamorphosiert haben, wie andersartig die Erkenntnisse waren, welche lebten in den Gesprächen, die da führten diejenigen, die herausgingen aus dem Tempel von Ephesus — die wunderbaren Gespräche; und wie anders geartet die Gespräche waren, die da führten die Menschen mit Persönlichkeiten wie Joachim de Fiore, wie Alanus ab Insulis; und wie anders die Erkenntnisse heute sind, die wir wieder suchen müssen, um aus dem Äußeren in das Innere zurückzukommen, aus dem Oberen in das Untere, zurück aus dem Inneren in das Äußere, zurück aus dem Unteren in das Obere zu kommen auf geistige, spirituelle Art.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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