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Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken

Schmidt-Nummer: S-5930

Online seit: 31st December, 2016

ZEHNTER VORTRAG

Dornach, 14. September 1924

Meine lieben Freunde! Wir haben gewissermaßen die Endperspektive des Apokalyptikers vor unsere Seele gestellt, und wir sehen, wie diese Endperspektive tatsächlich so geschildert ist, daß sie in völliger Übereinstimmung steht, wenn wir sie richtig verstehen, mit alle dem, was die exakteste geistige Wissenschaft in bezug auf die Evolution sagen kann. Wir haben gesehen, daß in der Apokalypse jener Umschwung zum Ausdruck kommt, der eintritt im Bauen des Menschenwesens und der Kulturerscheinungen von unten nach oben, in eine Form des Bauens von oben nach unten. Und ich habe am Ende der vorigen Betrachtung darauf aufmerksam gemacht, daß, wer ehrlich nach dem Verständnis der Apokalypse sucht, gedrängt wird, diejenigen Dinge kennenzulernen, welche aus der Geistesforschung heraus über die Weltevolution gesagt werden können.

Wir sehen, daß es gewisse Stellen der Apokalypse gibt, in denen man nur einen Sinn finden wird und sie nur dann richtig erfassen kann, wenn man auf den Weg der anthroposophischen Menschenerkenntnis eingeht. Das ist durchaus dann der Fall, wenn man es mit einer solchen Offenbarung zu tun hat, die sich stützt auf Erlebnisse der geistigen Welt selber. Natürlich muß man zunächst den Sinn dafür haben, um einsehen zu können, daß so etwas wie die in der Apokalypse vorgeführten Bilder Offenbarungen der geistigen Welt sind. Dann wird man auch über die Frage hinwegkommen: Ist denn der Apokalyptiker wirklich in der Lage gewesen, alle diese Einzelheiten, die wir wiederfinden in seinem Werk, von sich aus intellektuell einzusehen? - Nun, darum kann es sich ja eigentlich nicht handeln. Sondern es kann sich nur darum handeln, ob er ein wirklicher Seher war. Er sieht in die geistige Welt, und die Dinge der geistigen Welt sind ja nicht durch ihn wahr; sie sind durch ihren eigenen Inhalt wahr. Sie tragen auch durch das Sich-Offenbaren diesen eigenen Inhalt in sich und nicht durch ihn. So können meinetwillen äußere rationalistische Forscher kommen und den Nachweis führen: Ja, derjenige, der die Apokalypse gegeben hat, war so und so weit gebildet, und man kann von ihm nicht erwarten, daß er in seiner eigenen Seele eine so weite Perspektive gehabt hat. - Ich will diese Frage, ob der Schreiber der Apokalypse diese Perspektive gehabt hat oder nicht, hier gar nicht erörtern. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß es darauf im Grunde nicht ankommt, daß wir die Bilder, die Offenbarungen der geistigen Welt sind, durch den Apokalyptiker erhalten, sondern es kommt darauf an, daß wir die Bilder als solche vor unsere Seele hinstellen und ihren Inhalt auf uns wirken lassen müssen.

Nun haben wir gewissermaßen das grandiose Endbild des neuen Jerusalem vor unsere Seelen gestellt, das diejenigen Erlebnishintergründe hat, von denen ich gesprochen habe. Wir werden gut daran tun, von diesem Bild aus ein wenig zurückzugehen. Da haben wir die bedeutsame Stelle, wo wiederum ein grandioses Bild vor unsere Seele tritt, jenes grandiose Bild, wo der Apokalyptiker sieht, wie der Himmel auf getan ist (Apk. 19, 11) und auf einem weißen Pferd diejenige Macht ihm entgegentritt, von der er eigentlich so spricht, daß wir gewahr werden: Er hat nicht nur in seinem Verstand, in seiner Intellektualität die Trichotomie der Gottheit, sondern er hat sie in seinem ganzen Menschen. Er redet so, daß er wirklich mit voller Seele sich bewußt ist, in den sogenannten drei Personen hat man die drei Formen des Einigen Gottes vor sich, und man kann, wenn man sich gewissermaßen jenseits der physischen Welt stellt, nicht abwechselnd von dem einen oder von dem anderen sprechen, weil sie ineinander übergehen. In die physische Welt gestellt allerdings ergibt das Bild drei Personen, und man muß unterscheiden zwischen dem Vatergott, der allen Naturtatsachen zugrundeliegt, auch denen, die in die menschliche Natur hineinwirken, dem Sohnesgott, der mit allem zu tun hat, was in die Freiheit des seelischen Erlebens hineinführt, und dem Geistgott, der da lebt in einer naturfernen, naturfremden, eben in einer geistig-kosmischen Ordnung. So scharf konturiert erscheinen gewissermaßen die drei Personen der Gottheit hier auf dem physischen Plan.

Während der Mensch, wenn er die Schwelle zur geistigen Welt überschreitet, hineinkommt in einen Zustand, den ich beschrieben habe in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», wo er sich gewissermaßen in drei Wesenhaftigkeiten gliedert, so daß dann Denken, Fühlen, Wollen mit einer gewissen Selbständigkeit da sind, sehen wir, indem wir vom physischen Plan ausgehend nach den höheren Welten kommen, die Dreieinige Gottheit immer mehr als Einheit uns entgegentreten. So muß natürlich gerade auf das hin die Apokalypse gelesen werden. Man darf nicht mit Anlehnung an die physische Welt unmittelbar voneinander unterscheiden den Vatergott, den Sohnesgott, den Geistgott.

Derjenige, der in diesem grandiosen Bild auf einem weißen Pferd uns entgegentritt, der ist der Einige Gott. Und das Bild des Sohnesgottes haben wir mehr zu sehen in der Form der freien seelischen Entwickelung der Menschen auf Erden. Aber nun tritt etwas höchst Eigentümliches ein, etwas, was dieses Bild so grandios erscheinen läßt. Es ist ganz natürlich, ganz selbstverständlich: Johannes, der Schreiber der Apokalypse, schaut den Himmel aufgetan, und das, was nun als Neues herabkommt, ist von der geistigen Welt nach abwärtssteigend. Das heißt, die ganze Kultur muß nun in der Weise angeordnet werden, daß sie von der geistigen Welt nach der physischen abwärts steigt. Wenn wir uns dies recht vor die Seele stellen, dann ist natürlich der Zustand, der da dem Endbild des Neuen Jerusalem vorausgehen muß, der, daß Johannes hineinschaut in die geistige Welt. Das heißt aber: Der Himmel ist ihm aufgetan. Er will damit einen Zukunftszustand andeuten, der für die Menschen da sein wird. Er sagt eigentlich nichts Geringeres als dieses:

Bevor auf der Erde der Zustand eintreten wird, wo die geistigen Ingredienzien zum Aufbau des neuen Jerusalem von der geistigen Welt sich herabsenken, um von den Menschen aufgenommen zu werden, bevor dieser Zustand kommen wird, daß die Menschen sich bewußt werden, daß sie nun von oben herunter zu bauen haben, und nicht mehr wie früher die materiellen Ingredienzien von der Erde aus nach oben gehoben werden, bevor dieser Zustand kommen wird - den ja Johannes als einen realen betrachtet, wie ich neulich gesagt habe -, wo der Mensch vorzugsweise mit seinem Willen beteiligt sein wird, bevor dieser Zustand eintreten wird, wird ein anderer Zustand da sein, an dem der Mensch bloß mit seiner Erkenntnis beteiligt ist, wo er hineinschauen muß in die geistige Welt: Der Himmel ist auf getan, und derjenige zeigt sich, der den Wesenheiten der Welt sendend und schöpferisch und heiligend zugrundeliegt.

Und nun folgt die bedeutsame Stelle, die das Bild so grandios macht: Und er trug einen Namen geschrieben an sich, den nur er selber kennt (Apk. 19, 12). - Das ist sehr bedeutsam. Kommt man an diese Stelle der Apokalypse, wo das steht, so sieht man da wiederum ein bedeutsames Zeichen dafür, daß man es mit einer der größten spirituellen Offenbarungen zu tun hat.

Die Menschen bezeichnen in den verschiedenen Sprachen dasjenige, was ihr Ich ist, in der verschiedensten Weise. Ich habe öfter auf die, ich möchte sagen spirituell triviale Tatsache hingewiesen, daß der Name «ich» ja niemals von einem einzelnen Menschen so ausgesprochen werden kann, daß er auch einem anderen gegeben werden kann. Ich kann nicht zu einem anderen «ich» sagen. Dadurch unterscheidet sich der Name des Selbstes von allen anderen Namen, denn die werden äußeren Objekten gegeben. Wenn ich aber «ich» sage in irgendeiner Sprache, so kann ich es nur zu mir selbst sagen. Ich kann es zu einem anderen eigentlich nur dann sagen, wenn ich, ja, durch einen realen geistigen Vorgang in ihn hinübergeglitten bin. Aber davon brauchen wir jetzt nicht zu sprechen.

In den älteren Sprachen wurde das Selbst ja nicht bezeichnet, es lag im Verbum darin, es wurde nicht das Ich unmittelbar bezeichnet. Man bezeichnete mit dem Verbum das, was man tat, und damit gewissermaßen demonstrativ sich selber. Aber ein Name für das Selbst war nicht da. Das ist erst in der späteren Zeit eingetreten, daß der Mensch dieses Selbst seines Menschenwesens mit einem Namen bezeichnete, in unserer deutschen Sprache mit dem Namen, der die Initialen Jesu Christi enthält, was schon eine bedeutsame symbolische Tatsache ist. Denken wir uns nun eine Steigerung dieser Tatsache, daß wir in der Sprache einen Namen haben, den jeder nur in Beziehung auf sich selbst aussprechen kann. Die Steigerung besteht eben in dem, was jetzt in der Apokalypse gesagt wird: daß der, der da aus der übersinnlichen Welt herunterkommt, den Namen an sich geschrieben trägt, den er nun nicht bloß für sich selbst ausspricht, sondern den einzig und allein er selbst versteht, den kein anderer versteht.

Nun denken Sie sich, es kommt also dieser Offenbarer auf Johannes zu, zeigend in prophetischem Bilde dasjenige, was einmal für die Menschheit eintreten wird. Da kommt er herunter in Zukunftszeiten, derjenige, der den Namen hat, den nur er allein versteht. Was kann das alles überhaupt heißen? Es erscheint ja zunächst, wenn man das ehrlich begreifen will, ganz sinnlos. Warum heißt es denn: «... der der Welt das Heil bringen soll, der Welt die Gerechtigkeit bringen soll» -, das steht ja alles da in der Apokalypse (Apk. 19, 11) - «der Glaube und Erkenntnis wahr machen soll» - so steht es in der Apokalypse -, nicht wie Luther übersetzt: «der Treue und Wahrhaftigkeit bringt», sondern «der Glaube und Erkenntnis wahr machen soll»? -Ja, das ist doch ein Versteckspiel eigentlich; und wenn er einen Namen geschrieben hat, den nur er selbst versteht - was bedeutet das? Wir werden angeregt, hier tiefergehende Fragen zu stellen.

Nun denken Sie sich recht anschaulich: Er trägt einen Namen, den nur er selbst versteht. Wie können wir denn dieses Namens teilhaftig werden? Er muß doch eine Bedeutung gewinnen für uns, er muß doch in uns wohnen können, dieser Name. Wie kann das geschehen? Wenn das Wesen, das diesen Namen versteht, eins wird mit uns selbst, in unser eigenes Selbst einzieht, dann wird in uns dieses Wesen den Namen verstehen und wir mit ihm, dann werden wir immerzu mit ihm in uns das Bewußtsein tragen:

Christus in uns.

Die Dinge, die mit seinem Wesen zusammenhängen, die versteht er allein, aber er versteht sie in uns, und das Licht, das durch sein Verständnis in uns ausgestrahlt wird, weil er in uns, in unserem eigenen Wesen dieses Licht wird, gibt die Einsicht der Christus-Wesenheit in uns selbst. Sie wird eine einwohnende, eine in dem Menschen einwohnende Einsicht sein.

Sehen Sie, damit ist aber etwas eingetreten. Damit ist erstens das eingetreten, was eine notwendig beabsichtigte Folge des Mysteriums von Golgatha ist. Dieses Wesen, das durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist, dieses Wesen, das in uns einziehen muß, damit wir mit seinem Verständnis, nicht mit unserem Verständnis, die Welt begreifen, dieses Wesen trägt ein Kleid, das mit Blut, mit dem Blut von Golgatha besprengt ist. Und wir nehmen dieses zweite Bild hin. Der Apokalyptiker Johannes sagt uns, daß dieses mit dem Blut von Golgatha besprengte Kleid wiederum einen Namen hat. Das ist nicht derselbe Name, von dem früher die Rede war. Der Name für dieses mit Blut besprengte Kleid ist der Logos Gottes, der Logos, der Gott, das Wort Gottes (Apk. 19, 13). Derjenige also, der in uns wohnen soll und durch sein eigenes Verständnis in uns das Licht geben soll, das die Welt begreift, der erfüllt uns mit dem Wort Gottes.

Die Heiden haben das Wort Gottes in den Naturerscheinungen gelesen. Sie mußten es durch äußere Offenbarungen empfangen. Die Christen müssen das Wort Gottes, das schaffende Wort Gottes dadurch empfangen, daß sie den Christus in sich aufnehmen. Die Zeit wird kommen, wo durch den Fortgang der Ereignisse alle Menschen, die das Christentum ehrlich in ihre Seelen aufnehmen, wissen werden, daß das Wort Gottes bei Christus ist, und daß dieses Wort Gottes seinen Keim hat in dem Verständnis des Mysteriums von Golgatha und des mit Blut besprengten Kleides. Wir haben also in der Sprache des Apokalyptikers den Christus eingeschlossen in das Mysterium von Golgatha.

Aber noch ein drittes tritt auf: Christus in drei Gestalten: einmal durch sich selbst, das zweite Mal durch sein Kleid, das dritte Mal durch die Taten, die er entwickelt für die Menschen auf Erden. Damit wird wiederum der Zustand bezeichnet, der eintreten muß, der natürlich nicht so eintreten wird, daß man auf ein ganz bestimmtes Jahr zu weisen hat, dem aber entgegengehen muß die christliche Entwickelung. Das dritte ist, daß aufmerksam gemacht wird auf ein Schwert, mit dem er wirkt, das das Schwert seines Wollens ist, das Schwert seiner Taten, die er unter den Menschen auf der Erde verrichtet hat dadurch, daß er ihnen innewohnt. Aber das, was er jetzt tut, das trägt den dritten Namen: König aller Könige, Herr aller Herren. Das ist die dritte Form. Was ist denn das Wesen eines Königs, das Wesen eines Herrn?

Lernen wir nur das lateinische Wort Dominus kennen in seiner wirklichen inneren Wesensbedeutung, so kommen wir darauf, was der Sprachgebrauch in diesem Falle bedeutet, ganz abgesehen von der Geistesforschung: Derjenige, der irgendwie auf Erden oder überhaupt in der Welt ausersehen ist, einem anderen Wesen die Richtung zu geben, ist der Herr. Aber wie lange bedarf es denn äußerer Herren auf der Erde? Wie lange bedarf es denn der Gebote äußerer Herren, selbst der Gebote äußerer Geistesherren über die Erde? - Nur bis zu dem Zeitpunkt, wo der Christus mit dem Namen, den er nur selber versteht, den Menschen innewohnt. Dann wird jeder Mensch auch dem Christus in seinem eigenen Wesen, in seiner eigenen Seele folgen können. Dann wird jeder in sich dasjenige zu verwirklichen streben, was aus der inneren Liebe heraus den Willen des Menschen realisieren will; dann wird der Herr der Herren, der König der Könige in jedem einzelnen wohnen.

Geistig gesehen ist das die Zeit, in der wir selber jetzt leben. Und die Tatsache, daß wir in ihr leben, ist nur dadurch verhüllt, daß die Menschen fortfahren, in alten Bahnen zu leben und wirklich zunächst soviel als möglich diese Christus-Innewohnung verleugnen, auf allen Gebieten so viel als möglich verleugnen. Man muß schon sagen: Es ist heute in zahlreichen Menschen vieles, was sie in der rechten Weise vorbereitet auf das ätherische Erscheinen des Christus, der ja ein aus der göttlichen Welt herabkommendes Wesen ist. Aber die Menschen müssen sich dazu vorbereiten dadurch, daß sie den Quell ihres Handelns, ihres Tuns in sich selber rinden.

Und damit berühren wir eigentlich aus dem Geist der Apokalypse heraus die Schwierigkeit des heutigen Priesterwirkens. Der Priester soll ja in gewissem Sinne der Dominus sein, er soll in gewissem Sinne leiten und führen. Der Priester hat die Bekennerschaft vor sich, und seine priesterliche Würde setzt voraus, daß er der Führer, daß er in gewissem Sinne der König für diejenigen ist, die er zu führen hat. Er ist der Sakramente-Spender, er ist der Seelsorger. Aber auf der anderen Seite leben wir in der Zeit, wo die Menschen in sich die Essenz tragen, den Christus so weit in sich aufzunehmen, daß sie immer mehr ihre eigenen Führer werden können.

Sehen Sie, in diese Situation begibt sich derjenige, der heute nach der Priesterwürde greift. Und diese Priesterwürde ist dennoch gerade heute ganz voll berechtigt, sie ist aus dem Grunde voll berechtigt, weil das, was die Menschen als Essenz in sich tragen, zwar in den Menschen da ist, aber aus ihnen erst herausgeholt werden muß, wirklich aus ihnen herausgeholt werden muß. Man braucht heute ja tatsächlich alles dasjenige, was hinter der priesterlichen Würde liegt, um aus den Menschen herauszuholen, was in ihnen ist. Denn wir leben in einer Zeit, die eigentlich etwas ganz Bestimmtes voraussetzt. Die äußere Welt kann dem, was da vorausgesetzt wird, sich eigentlich noch nicht restlos gegenüberstellen. Denn die äußere Welt hat es zu tun mit den Menschen, wie sie nun einmal als Träger ihres physischen Leibes sind. Aber es wäre ein furchtbarer Ausblick, wenn die Menschen nur so in dieser Form, wie sie aus unserer heutigen Zivilisation heraus sind, in die nächsten Erdenleben hinüberleben würden.

Wir wissen, auf anthroposophischem Gebiet wird das zu vermeiden gesucht. Den Seelen der Menschen wird etwas geboten, wodurch sie dasjenige aufnehmen können, was der Mensch heute aufnehmen und in die nächste Inkarnation hinüberleben soll. Aber das muß ja allgemein-menschlich werden. Die Menschen müssen heute ein Ich ausbilden, eine Individualität ausbilden, mit der sie hinüberleben können in die nächste Inkarnation. Das ist nur möglich, wenn zu den Menschenerlebnissen dasjenige hinzugefügt wird, was durch die Gnade des Opfers, durch die Gnade des Sakramentes gegeben wird. Dadurch wird sich von den Menschen nicht ihr Karma lösen, wohl aber dasjenige, was gerade in der heutigen Zeit im allerintensivsten Maße den Menschen anhaftet. Die Menschen gehen ja heute maskiert herum. Maskiert gehen sie herum. Und wenn einmal das Bedürfnis auftritt, die Menschen wirklich in ihrer Individualität zu sehen, so kann das in tragische Konflikte hineinführen.

Ein solcher tragischer Konflikt trat ja schon auf bei Hölderlin, der einmal sagte, er sehe, wenn er die Deutschen anschaue, «Handwerker, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herren und Knechte, junge und gesetzte Leute, aber keine Menschen.» Und so differenziert er weiter; die Menschen tragen gewissermaßen das Siegel eines Außermenschlichen an sich.

Heute brauchen wir ein priesterliches Wirken, das zu den Menschen als Menschen spricht und das Menschheitliche kultiviert. Das kann natürlich im Grunde genommen keine der heutigen Konfessionen. Denken Sie nur einmal, wie abhängig die Konfessionen sind. Gerade über diese Abhängigkeit der Konfessionen muß die Gemeinschaft für christliche Erneuerung hinauswachsen. Sie muß das ja durch ihr eigenes Schicksal. Niemand, kein Beruf, der aus der Anthroposophie herauswächst, ist in der gleichen Lage wie die Priesterschaft. Das ist eine ganz besondere Lage, und es ist vielleicht ganz richtig, das, was da vorliegt, einmal aus dem Geist der Apokalypse heraus zu sagen. Bedenken Sie nur einmal: Bei jeglichem anderen Wirken, das aus der Anthroposophie herauswächst, sind die Menschen durch die äußeren Gewalten, die heute bestehen, in irgendeiner Weise abhängig von der Außenwelt. Wird jemand Pädagoge aus der Anthroposophie heraus nun, wir sehen ja die gewaltigen Widerstände, die uns gemacht werden. Die Leute täuschen sich über das hinweg, aber wir werden nicht eine zweite Waldorfschule bekommen, wenn überall die Bedingung gestellt wird, daß nur Lehrer angestellt werden, die ein staatliches Siegel haben in irgendeiner Weise. Nur aus dem Grund konnte die Waldorfschule zustande kommen, weil wir sie zu einem Zeitpunkt begründeten, in dem es in Württemberg noch kein solches Schulgesetz gab.

Nehmen Sie die Mediziner: Wir können nicht ohne weiteres aus der Wurzel des Daseins heraus Mediziner aus der anthroposophischen Bewegung schaffen. Gewiß, wir könnten Mediziner schaffen, aber sie würden nicht approbiert werden, würden nicht anerkannt werden. Und in gewissem Sinne haben wir diese Schwierigkeit sogar bei dem Künstlerischen. Es wird gar nicht mehr lange dauern - wenn es auch heute noch nicht völlig so ist -, daß die Dinge hintendieren werden zu mancherlei, was heute schon in Rußland versucht wird, daß man auch für den Künstler eine staatliche Abstempelung fordern wird. Der Priester, der aus der anthroposophischen Bewegung zunächst herausgewachsen ist, ist der einzige, der das sozusagen alles abstreifen kann. Wenn er etwas gelernt hat, ist es ja gut; für sein Wirken aber kann er das alles abstreifen. Er kann wirklich schon in der Theologie, die er nun vertritt, den ersten Grundstein des neuen Jerusalem legen, denn er vertritt eine Theologie, die von niemand als von ihm selbst anerkannt zu werden braucht. Das ist das Bedeutsame.

In dieser Lage seid Ihr allein. In dieser Lage sollt Ihr Euch auch fühlen und werdet Ihr gerade das Spezifische Eurer priesterlichen Würde fühlen. Man kann, wenn es sich um ein Land wie Rußland handelt, Priester vertreiben, aber man wird niemals in einem solchen Land etwas tun, um Priester staatlich abzustempeln. Man wird entweder die Priester lassen, wie sie sind, oder man wird sie gar nicht wollen, was ja heute wenigstens der Tendenz nach in Rußland schon verwirklicht ist.

So kann der Priester zum ersten Mal fühlen das Herannahen des neuen Jerusalem, das Herannahen des innewohnenden Christus, des Christus, der der König der Könige, der Herr der Herren wird. Deshalb ist es recht gut, wenn der Priester gerade an dieser auf die Zukunft weisenden Stelle der Apokalypse stehenbleibt, mit inbrünstigem Herzen stehenbleibt, und den ganzen Enthusiasmus seiner Priesterseele, den er entwickeln soll, an dieser Stelle der Apokalypse entwickelt. Denn die Apokalypse soll nicht Lehre sein, die Apokalypse soll werktätiges Leben in der Seele eines jeden von uns sein. Wir sollen fühlen, wie wir eins sind mit der Apokalypse. Wir sollen hineinstellen können dasjenige, in dem wir selber wirken und leben, in den Strom der Prophetie der Apokalypse. Da sehen wir uns dann versammelt um Johannes, den Apokalyptiker, der vor sich das Gesicht hat: Der Himmel hat sich auf getan; derjenige kommt, der seinen Namen nur selber versteht, dessen Kleid den Namen des Wortes Gottes trägt, der der König der Könige, der Herr der Herren ist -, der kommt. Und die Priesterschaft, die sich mit dem Kultus vereinigt, der nun wiederum aus der geistigen Welt geschöpft ist, die Priesterschaft, die die Transsubstantiation im Sinne des Heiligen Geistes selber wiederum aufrichtet, die Priesterschaft, die die neue Menschenweihehandlung hat, das umgestaltete Alte, in der das Gültige vom Alten genommen ist, aber die Gestalt angenommen hat, die heute aus der geistigen Welt fließt -, diese Priesterschaft darf sich scharen um Johannes den Apokalyptiker, der hineinschaut in den aufgetanen Himmel. Denn wir dürfen jene Initiation, die sich vollzogen hat hier in dem Saal, den dann das Feuer ergriffen hat, in dem Lichte sehen, das da sich verbreitet, indem der Himmel aufgeht, das weiße Pferd herauskommt mit dem, der daraufsitzt, der seinen Namen nur selber kennt, der in uns einverleibt werden muß, wenn dieser Name uns etwas sein soll. Das heißt die Apokalypse verstehen; denn die Apokalypse muß lebendig verstanden werden, nicht bloß mit der Erkenntnis.

Aber verbunden mit alle dem, was da als ein so grandioses Bild auftritt, verbunden mit alle dem ist tiefe, tiefe Weisheit. Bedenken Sie nur, was in unmittelbarer Nachbarschaft dieser bedeutsamen Vision auftritt. Hingewiesen wird der Mensch darauf, wie das Tier tätig ist, das ich ja charakterisiert habe, das Tier, das den Menschen hinunterweist vom Geistigen nach dem Physischen, das Tier, das der Apokalyptiker in drei Etappen herankommen gesehen hat, das Tier, dessen eine Form nicht nur die materialistische Lebensauffassung, sondern die materialistische Lebenshaltung ist. Der Apokalyptiker weist auf zwei Zeitpunkte hin. Er weist einmal darauf hin, wie das Tier überwunden wird, und er weist zum anderen darauf hin, wie der stärkere Widersacher der Menschheit für tausend Jahre gebunden wird, um dann für kurze Zeit wiederum los zu werden. Wir haben es also eigentlich mit zwei Widersachern des guten Prinzips zu tun, mit dem Tier und mit demjenigen, den die Tradition den Satan nennt.

Nun, in einer gewissen Weise ist ja für die äußere physische Welt das Tier überwunden, überwunden dadurch, daß dem Materialismus immerhin eine spirituelle Weltauffassung gegenübergestellt werden kann. Und in einer gewissen Weise ist ja in der Gegenwart Satan gebunden. Aber er wird wieder los werden. Satan ist gebunden, und derjenige, der die Dinge durchschaut, auf die es in der Evolution ankommt, der weiß auch, daß Satan gebunden ist. Denn wäre Satan in der Gegenwart nicht gebunden, träte alles dasjenige hervor, was tatsächlich die Zornesschalen voll ausgießen könnte. Wenn Satan nicht gebunden wäre, dann würde in einer grausigen Art sich in der Außenwelt der Zusammenhang zeigen mit dem, was heute als materialistische Gesinnung und Lebenshaltung auf der Erde vorhanden ist. Dann würde der tiefste innere Zynismus den Materialismus als Wahrheit verkünden und eine solche Begierde bei dem nichtgebundenen Satan erregen, daß man sehen würde dieses Heraufziehen der materialistischen Gesinnung und Lebenshaltung und das Sich-Aneignen durch die ahrimanischen Mächte als die schauderhaftesten, furchtbarsten Krankheiten.

Wäre Satan nicht gebunden, dann würde man nicht bloß sprechen müssen von einem Materialismus als Gesinnung und Lebenshaltung, sondern man würde von dem Materialismus als der bösesten Krankheit sprechen müssen. Statt dessen gehen heute die Menschen mit dem Zynismus und der Frivolität des Materialismus, selbst des religiösen Materialismus, durch die Welt, und es geschieht ihnen nichts. Aber es geschieht ihnen bloß aus dem Grunde nichts, weil Satan gebunden ist und die Gottheit den Menschen zunächst noch die Möglichkeit läßt, zum Spirituellen zu kommen, ohne dem Satan zu verfallen. Wäre der Satan da, dann würde gerade mancher, der als Lehrer innerhalb irgendeines Bekenntnisses steht und vom Materialismus befallen ist, einen schrecklichen, einen grausigen Anblick der Menschheit zeigen. Die Vorstellung, die da hinweist auf die mögliche Krankheit durch den Materialismus, auf den Aussatz des Materialismus, der eigentlich da wäre, wenn Satan nicht gebunden wäre, ist allerdings eine furchtbare Vorstellung.

Aber innerhalb keines anderen Zusammenhanges als im Zusammenhang mit der Apokalypse wird heute derjenige, der sich seiner Geistverantwortung gegenüber dieser Erkenntnis bewußt ist, eine solche Vorstellung erregen. Ich selber würde das Wort von dem Aussatz des Materialismus nicht in einem anderen Zusammenhang aussprechen als in dem, in dem ich es hier ausspreche, wo ich angeknüpft habe an die Apokalypse. Wer sich einlebt in die Vorstellungen der Apokalypse, hat auch diese grausigen Bilder vor sich, die aber durchaus einer geistigen Realität entsprechen.

Die Apokalypse soll nicht nur unser Leben durchdringen, sie soll auch unser Wort durchdringen. Die Apokalypse, wenn wir sie in uns aufnehmen, ist nicht nur das Belebende in dem Priesterwirken, sie ist zugleich auch dasjenige, was uns gestattet, auf Dinge hinzuweisen, auf die wir sonst im exoterischen Leben niemals hinweisen würden. Die Apokalypse soll nicht nur in unserem Ich leben, wenn wir sie verstehen wollen, die Apokalypse will auch in unserem Wort sprechen. Manches werdet Ihr Euch sagen, wenn Ihr in rechter Priesterschaft allein im Kämmerchen unter Euch seid, damit es in Euch lebe und unter Euch bleibe. Dann werdet Ihr die Kraft schöpfen, das rechte Wort wiederum auch vor Euren Gläubigen zu reden.

Priestersein heute bedeutet, die ersten zu sein, die von der Apokalypse frei sprechen dürfen unter sich. Es ist diese Apokalypse das den Evangelien angefügte Priesterbuch. Ihr werdet umso mehr Priester werden, je mehr Ihr Euch einlebt in diesen inneren Geist der Apokalypse. Davon dann morgen weiter.



Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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