Nun aber scheint es, als ob wir hier das subjektivistische Element,
das wir doch so entschieden von unserer Erkenntnistheorie fernhalten
wollten, selbst einführten. Wenn schon nicht die übrige
Wahrnehmungswelt - könnte man aus unseren Auseinandersetzungen
herauslesen - so trage doch der Gedanke, selbst nach unserer Ansicht,
einen subjektiven Charakter.
Dieser Einwand beruht auf einer Verwechslung des Schauplatzes unserer
Gedanken mit jenem Elemente, von dem sie ihre inhaltlichen
Bestimmungen, ihre innere Gesetzlichkeit erhalten. Wir produzieren
einen Gedankeninhalt durchaus nicht so, daß wir in dieser
Produktion bestimmten, welche Verbindungen unsere Gedanken
einzugehen haben. Wir geben nur die Gelegenheitsursache her,
daß sich der Gedankeninhalt seiner eigenen Natur gemäß
entfalten kann. Wir fassen den Gedanken a und den Gedanken
b und geben denselben Gelegenheit, in eine gesetzmäßige
Verbindung einzugehen, indem wir sie miteinander in Wechselwirkung
bringen. Nicht unsere subjektive Organisation ist es, die diesen
Zusammenhang von a und b in einer gewissen Weise
bestimmt, sondern der Inhalt von a und b selbst
ist das allein Bestimmende. Daß sich a zu b
gerade in einer bestimmten Weise verhält und nicht anders, darauf
haben wir nicht den mindesten Einfluß. Unser Geist vollzieht
die Zusammensetzung der Gedankenmassen nur nach Maßgabe ihres
Inhaltes. Wir erfüllen also im Denken das Erfahrungsprinzip in
seiner schroffsten Form.
Damit ist die Ansicht Kants und Schopenhauers und im weiteren Sinne
auch Fichtes widerlegt, daß die Gesetze, die wir behufs
Erklärung der Welt annehmen, nur ein Resultat unserer eigenen
geistigen Organisation seien, daß wir sie nur vermöge unserer
geistigen Individualität in die Welt hineinlegen.
Man könnte vom subjektivistischen Standpunkte aus noch etwas
einwenden. Wenn schon der gesetzliche Zusammenhang der Gedankenmassen
von uns nicht nach Maß gabe unserer Organisation vollzogen wird,
sondern von ihrem Inhalt abhängt, so könnte doch eben dieser Inhalt
ein rein subjektives Produkt, eine bloße Qualität unseres
Geistes sein; so daß wir nur Elemente verbinden würden, die wir
erst selbst erzeugten. Dann wäre unsere Gedankenwelt nicht minder ein
subjektiver Schein. Diesem Einwande ist aber ganz leicht zu begegnen.
Wir würden nämlich, wenn er begründet wäre, den Inhalt unseres Denkens
nach Gesetzen verknüpfen, von denen wir wahrhaftig nicht wüßten,
wo sie herkommen. Wenn dieselben nicht aus unserer Subjektivität
entspringen, was wir vorhin doch in Abrede stellten und jetzt als
abgetan betrachten können, was soll uns denn Verknüpfungsgesetze für
einen Inhalt liefern, den wir selbst erzeugen?
Unsere Gedankenwelt ist also eine völlig auf sich selbst gebaute
Wesenheit, eine in sich selbst geschlossene, in sich vollkommene und
vollendete Ganzheit. Wir sehen hier, welche von den zwei Seiten der
Gedankenwelt die wesentliche ist: die objektive ihres Inhaltes
und nicht die subjektive ihres Auftretens.
Am klarsten tritt diese Einsicht in die innere Gediegenheit und
Vollkommenheit des Denkens in dem wissenschaftlichen Systeme Hegels
auf. Keiner hat in dem Grade, wie er, dem Denken eine so vollkommene
Macht zugetraut, daß es aus sich heraus eine Weltanschauung
begründen könne. Hegel hat ein absolutes Vertrauen auf das
Denken, ja es ist der einzige Wirklichkeitsfaktor, dem er im wahren
Sinne des Wortes vertraut. So richtig seine Ansicht im allgemeinen
auch ist, so ist es aber gerade er, der das Denken durch die
allzuschroffe Form, in der er es verteidigt, um alles Ansehen gebracht
hat. Die Art, wie er seine Ansicht vorgebracht hat, ist schuld an der
heillosen Verwirrung, die in unser «Denken über das Denken» gekommen
ist. Er hat die Bedeutung des Gedankens, der Idee, so recht
anschaulich machen wollen dadurch, daß er die Denknotwendigkeit
zu gleich als die Notwendigkeit der Tatsachen bezeichnete. Damit hat
er den Irrtum hervorgerufen, daß die Bestimmungen des Denkens
nicht rein ideelle seien, sondern tatsächliche. Man faßte seine
Ansicht bald so auf. als ob er in der Welt der sinnenfälligen
Wirklichkeit selbst den Gedanken wie eine Sache gesucht hätte. Er hat
das wohl auch nie so ganz klargelegt. Es muß eben
festgestellt werden, daß das Feld des Gedankens einzig das
menschliche Bewußtsein ist. Dann muß gezeigt werden,
daß durch diesen Umstand die Gedankenwelt nichts an
Objektivität einbüßt. Hegel kehrte nur die objektive Seite des
Gedankens hervor; die Mehrheit aber sieht, weil dies leichter ist, nur
die subjektive; und es dünkt ihr, daß jener etwas rein Ideelles
wie eine Sache behandelt, mystifiziert habe. Selbst viele Gelehrte der
Gegenwart sind von diesem Irrtum nicht freizusprechen. Sie verdammen
Hegel wegen eines Mangels, den er nicht an sich hat, den man aber
freilich in ihn hineinlegen kann, weil er die betreffende Sache zu
wenig klargestellt hat.
Wir geben zu, daß hier für unser Urteilsvermögen eine
Schwierigkeit vorliegt. Wir glauben aber, daß dieselbe für jedes
energische Denken zu überwinden ist. Wir müssen uns zweierlei
vorstellen: einmal, daß wir die ideelle Welt tätig zur
Erscheinung bringen, und zugleich, daß das, was wir tätig ins
Dasein rufen, auf seinen eigenen Gesetzen beruht. Wir sind nun
freilich gewohnt, uns eine Erscheinung so vorzustellen, daß wir
ihr nur passiv, beobachtend gegenüberzutreten brauchten. Allein das
ist kein unbedingtes Erfordernis. So ungewohnt uns die Vorstellung
sein mag, daß wir selbst ein Objektives tätig zur Erscheinung
bringen, daß wir mit anderen Worten eine Erscheinung nicht
bloß wahrnehmen, sondern zugleich produzieren: sie ist keine
unstatthafte.
Man braucht einfach die gewöhnliche Meinung aufzugeben, daß es
so viele Gedankenwelten gibt als menschliche Individuen. Diese Meinung
ist ohnehin nichts weiter als ein althergebrachtes Vorurteil. Sie wird
überall stillschweigend vorausgesetzt, ohne Bewußtsein,
daß eine andere zum mindesten ebensogut möglich ist, und
daß die Gründe der Gültigkeit der einen oder der andern denn
doch erst erwogen werden müssen. Man denke sich an Stelle dieser
Meinung einmal die folgende gesetzt: Es gibt überhaupt nur
einen einzigen Gedankeninhalt, und unser individuelles Denken
sei weiter nichts als ein Hineinarbeiten unseres Selbstes, unserer
individuellen Persönlichkeit in das Gedankenzentrum der Welt.
Ob diese Ansicht richtig ist oder nicht, das zu untersuchen ist hier
nicht der Ort; aber möglich ist sie, und wir haben erreicht,
was wir wollten; nämlich gezeigt, daß es immerhin ganz gut
angeht, die von uns als notwendig hingestellte Objektivität des
Denkens auch anderweitig als widerspruchslos erscheinen zu lassen.
In Anbetracht der Objektivität läßt sich die Arbeit des Denkers
ganz gut mit der des Mechanikers vergleichen. Wie dieser die Kräfte
der Natur in ein Wechselspiel bringt und dadurch eine
zweckmäßige Tätigkeit und Kraftäußerung herbeiführt, so
läßt der Denker die Gedankenmassen in lebendige Wechselwirkung
treten, und sie entwickeln sich zu den Gedankensystemen, die unsere
Wissenschaften ausmachen.
Durch nichts wird eine Anschauung besser beleuchtet als durch die
Aufdeckung der ihr entgegenstehenden Irrtümer. Wir wollen hier diese
von uns schon wiederholt mit Vorteil angewendete Methode wieder
anrufen.
Man glaubt gewöhnlich, wir verbinden gewisse Begriffe deshalb zu
größeren Komplexen, oder wir denken überhaupt in einer gewissen
Weise deshalb, weil wir einen gewissen inneren (logischen) Zwang
verspüren, dies zu tun. Auch Volkelt hat sich dieser Ansicht
angeschlossen. Wie stimmt sie aber zu der durchsichtigen Klarheit,
mit der unsere ganze Gedankenwelt in unserem Bewußtsein
gegenwärtig ist? Wir kennen überhaupt nichts in der Welt genauer als
unsere Gedanken. Soll - da nun ein gewisser Zusammenhang auf Grund
eines inneren Zwanges hergestellt werden, wo alles so klar ist?
Was brauche ich den Zwang, wenn ich die Natur des zu Verbindenden
kenne, durch und durch kenne, und mich also nach ihr richten
kann. Alle unsere Gedankenoperationen sind Vorgänge, die sich
vollziehen auf Grund der Einsicht in die Wesenheiten der
Gedanken und nicht nach Maßgabe eines Zwanges. Ein solcher Zwang
widerspricht der Natur des Denkens.
Es könnte immerhin sein, daß es zwar im Wesen des Denkens
liege, in seine Erscheinung zugleich seinen Inhalt einzuprägen,
daß wir den letzteren aber trotzdem vermöge der Organisation
unseres Geistes nicht unmittelbar wahrnehmen können. Das ist aber
nicht der Fall. Die Art, wie der Gedankeninhalt an uns herantritt, ist
uns eine Bürgschaft dafür, daß wir hier das Wesen der Sache vor
uns haben. Wir sind uns ja bewußt, daß wir jeden
Vorgang innerhalb der Gedankenwelt mit unserem Geiste begleiten. Man
kann sich doch nur denken, daß die Erscheinungsform von dem
Wesen der Sache bedingt ist. Wie sollten wir die
Erscheinungsform nachschaffen, wenn wir das Wesen der Sache
nicht kennten. Man kann sich wohl denken, daß uns die
Erscheinungsform als fertiges Ganze gegenübertritt und wir dann
den Kern derselben suchen. Man kann aber durchaus nicht der
Ansicht sein, daß man zur Hervorbringung der Erscheinung
mitwirkt, ohne dieses Hervorbringen von dem Kerne heraus zu bewirken.
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