Die Wirklichkeit hat sich uns in zwei Gebiete auseinandergelegt: in
die Erfahrung und in das Denken. Die Erfahrung kommt in zweifacher
Hinsicht in Betracht. Erstens insofern, als die gesamte Wirklichkeit
außer dem Denken eine Erscheinungsform hat, die in der
Erfahrungsform auftreten muß. Zweitens insofern, als es in der
Natur unseres Geistes liegt, dessen Wesen ja in der Betrachtung
besteht (also in einer nach außen gerichteten Tätigkeit),
daß die zu beobachtenden Gegenstände in sein Gesichtsfeld
einrücken, das heißt wieder ihm erfahrungsgemäß gegeben
werden. Es kann nun sein, daß diese Form des Gegebenen das Wesen
der Sache nicht in sich schließt, dann fordert die Sache
selbst, daß sie zuerst in der Wahrnehmung (Erfahrung>
erscheine, um später einer über die Wahrnehmung hinausgehenden
Tätigkeit unseres Geistes das Wesen zu zeigen. Eine andere
Möglichkeit ist die, daß in dem unmittelbar Gegebenen schon das
Wesen liege und daß es nur dem zweiten Umstande, daß
unserm Geiste alles als Erfahrung vor Augen treten muß,
zuzuschreiben ist, wenn wir dieses Wesen nicht sogleich gewahr
werden. Das letztere ist beim Denken, das erstere bei der übrigen
Wirklichkeit der Fall. Beim Denken ist nur erforderlich, daß
wir unsere subjektive Befangenheit überwinden, um es in seinem Kerne
zu begreifen. Was bei der übrigen Wirklichkeit in der objektiven
Wahrnehmung sachlich begründet liegt, daß die
unmittelbare Form des Auftretens überwunden werden muß, um sie
zu erklären, das liegt beim Denken nur in einer Eigentümlichkeit
unseres Geistes. Dort ist es die Sache selbst, welche sich die
Erfahrungsform gibt, hier ist es die Organisation unseres Geistes.
Dort haben wir noch nicht die ganze Sache, wenn wir die Erfahrung
auffassen, hier haben wir sie.
Darinnen liegt der Dualismus begründet, den die Wissenschaft, das
denkende Erkennen, zu überwinden hat. Der Mensch findet sich zwei
Welten gegenüber, deren Zusammenhang er herzustellen hat. Die eine ist
die Erfahrung, von der er weiß, daß sie nur die Hälfte der
Wirklichkeit enthält; die andere ist das Denken, das in sich vollendet
ist, in das jene äußere Erfahrungswirklichkeit einfließen
muß, wenn eine befriedigende Weltansicht resultieren soll. Wenn
die Welt bloß von Sinnenwesen bewohnt wäre, so bliebe ihr Wesen
(ihr ideeller Inhalt) stets im Verborgenen; die Gesetze würden zwar
die Weltprozesse beherrschen, aber sie kämen nicht zur Erscheinung.
Soll das letztere sein, so muß zwischen Erscheinungsform und
Gesetz ein Wesen treten, dem sowohl Organe gegeben sind, durch die es
jene sinnenfällige, von den Gesetzen abhängige Wirklichkeitsform
wahrnimmt, als auch das Vermögen, die Gesetzlichkeit selbst
wahrzunehmen. Von der einen Seite muß an ein solches Wesen die
Sinnenwelt, von der anderen das ideelle Wesen derselben herantreten,
und es muß in eigener Tätigkeit diese beiden
Wirklichkeitsfaktoren verbinden.
Hier sieht man wohl ganz klar, daß unser Geist nicht wie ein
Behälter der Ideenwelt anzusehen ist, der die Gedanken in sich
enthält, sondern wie ein Organ, das dieselben wahrnimmt.
Er ist gerade so Organ des Auffassens wie Auge und Ohr. Der Gedanke
verhält sich zu unserem Geiste nicht anders wie das Licht zum Auge,
der Ton zum Ohr. Es fällt gewiß niemandem ein, die Farbe wie
etwas anzusehen, das sich dem Auge als Bleibendes einprägt, das
gleichsam haften bleibt an demselben. Beim Geiste ist diese Ansicht
sogar die vorherrschende. Im Bewußtsein soll sich von jedem
Dinge ein Gedanke bilden, der dann in demselben verbleibt, um aus
demselben je nach Bedarf hervorgeholt zu werden. Man hat darauf eine
eigene Theorie gegründet, als wenn die Gedanken, deren wir uns im
Momente nicht bewußt sind, zwar in unserem Geiste aufbewahrt
seien; nur liegen sie unter der Schwelle des Bewußtseins.
Diese abenteuerlichen Ansichten zerfließen sofort in nichts,
wenn man bedenkt, daß die Ideenwelt doch eine aus sich heraus
bestimmte ist. Was hat dieser durch sich selbst bestimmte Inhalt mit
der Vielheit der Bewußtseine zu tun? Man wird doch nicht
annehmen, daß er sich in unbestimmter Vielheit so bestimmt,
daß immer der eine Teilinhalt von dem andern unabhängig ist! Die
Sache liegt ja ganz klar. Der Gedankeninhalt ist ein solcher,
daß nur überhaupt ein geistiges Organ notwendig ist zu seiner
Erscheinung, daß aber die Zahl der mit diesem Organe begabten
Wesen gleichgültig ist. Es können also unbestimmt viele geistbegabte
Individuen dem einen Gedankeninhalte gegenüberstehen. Der
Geist nimmt also den Gedankengehalt der Welt wahr, wie ein
Auffassungsorgan. Es gibt nur einen Gedankeninhalt der Welt.
Unser Bewußtsein ist nicht die Fähigkeit, Gedanken zu erzeugen
und aufzubewahren, wie man so vielfach glaubt, sondern die Gedanken
(Ideen) wahrzunehmen. Goethe hat dies so vortrefflich mit den Worten
ausgedrückt: «Die Idee ist ewig und einzig; daß wir auch den
Plural brauchen, ist nicht wohlgetan. Alles, was wir gewahr werden und
wovon wir reden können, sind nur Manifestationen der Idee; Begriffe
sprechen wir aus, und insofern ist die Idee selbst ein Begriff.»
Bürger zweier Welten, der Sinnen- und der Gedanken-welt, die eine von
unten an ihn herandringend, die andere von oben leuchtend, bemächtigt
sich der Mensch der Wissenschaft, durch die er beide in eine
ungetrennte Einheit verbindet. Von der einen Seite winkt uns die
äußere Form, von der andern das innere Wesen; wir müssen beide
vereinigen. Damit hat sich unsere Erkenntnistheorie über jenen
Standpunkt erhoben, den ähnliche Untersuchungen zumeist einnehmen
und der nicht über Formalitäten hinauskommt. Da sagt man: «Das
Erkennen sei Bearbeitung der Erfahrung», ohne zu bestimmen, was in die
letztere hineingearbeitet wird; man bestimmt: «Im Erkennen
fließe die Wahrnehmung in das Denken ein, oder das Denken
dringe vermöge eines inneren Zwanges von der Erfahrung zu dem hinter
derselben stehenden Wesen vor.» Das sind aber lauter bloße
Formalitäten. Eine Erkenntniswissenschaft, welche das Erkennen in
seiner weltbedeutsamen Rolle erfassen will, muß: erstens den
idealen Zweck desselben angeben. Er besteht darinnen, der
unabgeschlossenen Erfahrung durch das Enthüllen ihres Kernes ihren
Abschluß zu geben. Sie muß, zweitens, bestimmen, was
dieser Kern, inhaltlich genommen, ist. Er ist Gedanke, Idee. Endlich,
drittens, muß sie zeigen, wie dieses Enthüllen geschieht.
Unser Kapitel: «Denken und Wahrnehmung» gibt darüber Aufschluß.
Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß
das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle
menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist.
Eine bloße formale Erkenntniswissenschaft kann das nicht, sie
bleibt ewig unfruchtbar. Sie hat keine Ansicht darüber, welche
Beziehung das, was die Wissenschaft gewinnt, zum Weltwesen und
Weltgetriebe hat.
Und doch muß sich ja gerade in der Erkenntnistheorie diese
Beziehung ergeben. Diese Wissenschaft muß uns doch zeigen,
wohin wir durch unser Erkennen kommen, wohin uns jede andre
Wissenschaft führt.
Auf keinem anderen als auf dem Wege der Erkenntnistheorie kommt man
zu der Ansicht, daß das Denken der Kern der Welt ist. Denn sie
zeigt uns den Zusammenhang des Denkens mit der übrigen Wirklichkeit.
Woraus sollten wir aber vom Denken gewahr werden, in welcher
Beziehung es zur Erfahrung steht, als aus der Wissenschaft, die sich
diese Beziehung zu untersuchen direkt zum Ziele setzt? Und weiter,
woher sollten wir von einem geistigen oder sinnlichen Wesen wissen,
daß es die Urkraft der Welt ist, wenn wir seine Beziehung zur
Wirklichkeit nicht untersuchten? Handelt es sich also irgendwo darum,
das Wesen einer Sache zu finden, so besteht dieses Auffinden immer in
dem Zurückgehen auf den Ideengehalt der Welt. Das Gebiet dieses
Gehaltes darf nicht überschritten werden, wenn man innerhalb der
klaren Bestimmungen bleiben will, wenn man nicht im Unbestimmten
herumtappen will. Das Denken ist eine Totalität in sich, das sich
selbst genug ist, das sich nicht überschreiten darf, ohne ins Leere zu
kommen. Mit anderen Worten: es darf nicht, um irgend etwas zu
erklären, zu Dingen seine Zuflucht nehmen, die es nicht in sich selbst
findet. Ein Ding, das nicht mit dem Denken zu umspannen wäre, wäre ein
Unding. Alles geht zuletzt im Denken auf, alles findet innerhalb
desselben seine Stelle.
In bezug auf unser individuelles Bewußtsein ausgedrückt,
heißt das: Wir müssen behufs wissenschaftlicher Feststellungen
streng innerhalb des uns im Bewußtsein Gegebenen stehen bleiben,
wir können dies nicht überschreiten. Wenn man nun wohl einsieht,
daß wir unser Bewußtsein nicht überspringen können, ohne
ins Wesenlose zu kommen, nicht aber zugleich, daß das Wesen der
Dinge innerhalb unseres Bewußtseins in der Ideenwahrnehmung
anzutreffen ist, so entstehen jene Irrtümer, die von einer Grenze
unserer Erkenntnis sprechen. Können wir über das Bewußtsein
nicht hinaus und ist das Wesen der Wirklichkeit nicht innerhalb
desselben, dann können wir zum Wesen überhaupt nicht vordringen. Unser
Denken ist an das Diesseits gebunden und weiß nichts vom
Jenseits.
Unserer Ansicht gegenüber ist diese Meinung nichts als ein sich selbst
mißverstehendes Denken. Eine Erkenntnisgrenze wäre nur möglich,
wenn uns die äußere Erfahrung an sich selbst die Erforschung
ihres Wesens aufdrängte, wenn sie die Fragen bestimmte, die in
Ansehung ihrer zu stellen sind. Das ist aber nicht der Fall. Dem
Denken entsteht das Bedürfnis, der Erfahrung, die es gewahr
wird, ihr Wesen entgegenzuhalten. Das Denken kann doch nur die ganz
bestimmte Tendenz haben, die ihm selbst eigene Gesetzlichkeit auch in
der übrigen Welt zu sehen, nicht aber irgend etwas, wovon es selbst
nicht die geringste Kunde hat.
Ein anderer Irrtum muß hier noch seine Berichtigung erfahren. Es
ist der, als ob das Denken nicht hinreichend wäre, die Welt zu
konstituieren, als ob zum Gedankeninhalt noch etwas (Kraft, Wille
usw.) hinzukommen müsse, um die Welt zu ermöglichen.
Bei genauer Erwägung sieht man aber sofort, daß sich alle solche
Faktoren als nichts weiter ergeben, denn als Abstraktionen aus der
Wahrnehmungswelt, die selbst erst der Erklärung durch das Denken
harren. Jeder andere Bestandteil des Weltwesens als das Denken machte
sofort auch eine andere Art von Auffassung, von Erkennen, nötig als
die gedankliche. Wir müßten jenen anderen Bestandteil anders
als durch das Denken erreichen. Denn das Denken liefert denn doch nur
Gedanken. Schon dadurch aber, daß man den Anteil, den jener
zweite Bestandteil am Weltgetriebe hat, erklären will und sich dabei
der Begriffe bedient, widerspricht man sich. Außerdem aber ist
uns außer der Sinneswahrnehmung und dem Denken kein Drittes
gegeben. Und wir können keinen Teil von jener als Kern der Welt
gelten lassen, weil alle ihre Glieder bei näherer Betrachtung zeigen,
daß sie als solche ihr Wesen nicht enthalten. Das letztere kann
daher einzig und allein im Denken gesucht werden.
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