14. Der Grund der Dinge und das Erkennen
Kant hat insofern einen großen Schritt in der Philosophie
vollbracht, als er den Menschen auf sich selbst gewiesen hat. Er soll
die Gründe der Gewißheit seiner Behauptungen aus dem suchen, was
ihm in seinem geistigen Vermögen gegeben ist und nicht in von
außen aufgedrängten Wahrheiten. Wissenschaftliche Überzeugung
nur durch sich selbst, das ist die Losung der Kantischen Philosophie.
Deshalb vorzüglich nannte er sie eine kritische im Gegensatze
zur dogmatischen, welche fertige Behauptungen überliefert
erhält und zu solchen nachträglich die Beweise sucht. Damit ist ein
Gegensatz zweier Wissenschaftsrichtungen gegeben; er ist aber von
Kant nicht in jener Schärfe gedacht worden, deren er fähig ist.
Fassen wir einmal streng ins Auge, wie eine Behauptung der
Wissenschaft zustande kommen kann. Sie verbindet zwei Dinge: entweder
einen Begriff mit einer Wahrnehmung oder zwei Begriffe. Von letzterer
Art ist zum Beispiel die Behauptung: Keine Wirkung ohne Ursache. Es
können nun die sachlichen Gründe, warum die beiden Begriffe
zusammenfließen, jenseits dessen liegen, was sie selbst
enthalten, was mir daher auch allein gegeben ist. Ich mag dann noch
immerhin irgendwelche formelle Gründe haben (Widerspruchslosigkeit,
bestimmte Axiome), welche mich auf eine bestimmte Gedankenverbindung
leiten. Auf die Sache selbst aber haben diese keinen Einfluß.
Die Behauptung stützt sich auf etwas, das ich sachlich nie
erreichen kann. Es ist für mich daher eine wirkliche Einsicht in die
Sache nicht möglich; ich weiß nur als Außenstehender von
derselben, Hier ist das, was die Behauptung ausdrückt, in einer mir
unbekannten Welt; die Behauptung allein in der meinigen. Dies ist der
Charakter des Dogmas. Es gibt ein zweifaches
Dogma. Das Dogma der Offenbarung und jenes der
Erfahrung. Das erstere überliefert dem Menschen auf
irgendwelche Weise Wahrheiten über Dinge, die seinem Gesichtskreise
entzogen sind. Er hat keine Einsicht in die Welt, der die
Behauptungen entspringen. Er muß an die Wahrheit derselben
glauben, er kann an die Gründe nicht herankommen. Ganz ähnlich
verhält es sich mit dem Dogma der Erfahrung. Ist jemand der
Ansicht, daß man bei der bloßen, reinen Erfahrung stehen
bleiben soll und nur deren Veränderungen beobachten kann, ohne zu den
bewirkenden Kräften vorzudringen, so stellt er ebenfalls über die
Welt Behauptungen auf, zu deren Gründen er keinen Zugang hat. Auch
hier ist die Wahrheit nicht durch Einsicht in die innere Wirksamkeit
der Sache gewonnen, sondern sie ist von einem der Sache selbst
Äußerlichen aufgedrängt. Beherrschte das Dogma der Offenbarung
die frühere Wissenschaft, so leidet durch das Dogma der Erfahrung die
heutige.
Unsere Ansicht hat gezeigt, daß jede Annahme von einem
Seinsgrunde, der außerhalb der Idee liegt, ein Unding ist. Der
gesamte Seinsgrund hat sich in die Welt ausgegossen, er ist in sie
aufgegangen. Im Denken zeigt er sich in seiner vollendetsten Form, so
wie er an und für sich selbst ist. Vollzieht daher das Denken eine
Verbindung, fällt es ein Urteil, so ist es der in dasselbe
eingeflossene Inhalt des Weltgrundes selbst, der verbunden wird. Im
Denken sind uns nicht Behauptungen gegeben über irgendeinen
jenseitigen Weltengrund, sondern derselbe ist substantiell in
dasselbe eingeflossen. Wir haben eine unmittelbare Einsicht in die
sachlichen, nicht bloß in die formellen Gründe, warum sich ein
Urteil vollzieht. Nicht über irgend etwas Fremdes, sondern über seinen
eigenen Inhalt bestimmt das Urteil. Unsere Ansicht begründet daher ein
wahrhaftes Wissen. Unsere Erkenntnistheorie ist wirklich
kritisch. Unserer Ansicht gemäß darf nicht nur der Offenbarung
gegenüber nichts zugelassen werden, wofür nicht innerhalb des Denkens
sachliche Gründe da sind; sondern auch die Erfahrung muß
innerhalb des Denkens nicht nur nach der Seite ihrer Erscheinung,
sondern als Wirkendes erkannt werden. Durch unser Denken erheben wir
uns von der Anschauung der Wirklichkeit als einem Produkte zu
der als einem Prodzierenden.
So tritt das Wesen eines Dinges nur dann zutage, wenn dasselbe in
Beziehung zum Menschen gebracht wird. Denn nur im letzteren erscheint
für jedes Ding das Wesen. Das begründet einen Relativismus als
Weltansicht, das heißt die Denkrichtung, welche annimmt,
daß wir alle Dinge in dem Lichte sehen, das ihnen von Menschen
selbst verliehen wird. Diese Ansicht führt auch den Namen
Anthropomorphismus. Sie hat viele Vertreter. Die Mehrzahl derselben
aber glaubt, daß wir uns durch diese Eigentümlichkeit unseres
Erkennens von der Objektivität, wie sie an und für sich ist,
entfernen. Wir nehmen, so glauben sie, alles durch die Brille der
Subjektivität wahr. Unsere Auffassung zeigt uns das gerade Gegenteil
davon. Wir müssen die Dinge durch diese Brille betrachten, wenn wir zu
ihrem Wesen kommen wollen. Die Welt ist uns nicht allein so bekannt,
wie sie uns erscheint, sondern sie erscheint so, allerdings nur der
denkenden Betrachtung, wie sie ist. Die Gestalt von der
Wirklichkeit, welche der Mensch in der Wissenschaft entwirft, ist die
letzte wahre Gestalt derselben.
Nunmehr obliegt es uns noch, die Art des Erkennens, die wir als die
richtige, das heißt zum Wesen der Wirklichkeit führende, erkannt
haben, auf die einzelnen Wirklichkeitsgebiete auszudehnen. Wir werden
nun zeigen, wie in den einzelnen Formen der Erfahrung deren
Wesen zu suchen ist.
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