IV. Die Ausgangspunkte der Erkenntnistheorie
Am Beginne
der erkenntnistheoretischen Untersuchungen ist nach allem, was wir gesehen
haben, das abzuweisen, was selbst schon in das Gebiet des Erkennens
gehört. Die Erkenntnis ist etwas vom Menschen zustande Gebrachtes,
etwas durch seine Tätigkeit Entstandenes. Soll sich die Erkenntnistheorie
wirklich aufklärend über das ganze Gebiet des Erkennens erstrecken,
dann muß sie etwas zum Ausgangspunkte nehmen, was von dieser Tätigkeit
ganz unberührt geblieben ist, wovon die letztere vielmehr selbst
erst den Anstoß erhält. Womit anzufangen ist, das liegt außerhalb
des Erkennens, das kann selbst noch keine Erkenntnis sein. Aber wir
haben es unmittelbar vor dem Erkennen zu suchen, so daß schon
der nächste Schritt, den der Mensch von demselben aus unternimmt,
erkennende Tätigkeit ist. Die Art nun, wie dieses absolut Erste
zu bestimmen ist, muß eine solche sein, daß in dieselbe
nichts mit einfließt, was schon von einem Erkennen herrührt.
Ein solcher Anfang kann aber nur mit dem unmittelbar gegebenen Weltbilde
gemacht werden, d. i. jenem Weltbilde, das dem Menschen vorliegt, bevor
er es in irgendeiner Weise dem Erkenntnisprozesse unterworfen hat, also
bevor er auch nur die allergeringste Aussage über dasselbe gemacht,
die allergeringste gedankliche Bestimmung mit demselben vorgenommen
hat. Was da an uns vorüberzieht, und woran wir vorüberziehen,
dieses zusammenhanglose und doch auch nicht in individuelle Einzelheiten
gesonderte
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Weltbild, in dem nichts voneinander
unterschieden, nichts aufeinander bezogen ist, nichts durch ein anderes
bestimmt erscheint: das ist das unmittelbar Gegebene. Auf dieser Stufe
des Daseins - wenn wir diesen Ausdruck gebrauchen dürfen - ist
kein Gegenstand, kein Geschehnis wichtiger, bedeutungsvoller als ein
anderer bzw. ein anderes. Das rudimentäre Organ des Tieres, das
vielleicht für eine spätere, schon durch das Erkennen erhellte
Stufe des Daseins ohne alle Bedeutung für die Entwicklung und das
Leben desselben ist, steht gerade mit demselben Anspruch auf Beachtung
da, wie der edelste, notwendigste Teil des Organismus. Vor aller erkennenden
Tätigkeit stellt sich im Weltbilde nichts als Substanz, nichts
als Akzidenz, nichts als Ursache oder Wirkung dar; die Gegensätze
von Materie und Geist, von Leib und Seele sind noch nicht geschaffen.
Aber auch jedes andere Prädikat müssen wir von dem auf dieser
Stufe festgehaltenen Weltbilde fernhalten. Es kann weder als Wirklichkeit
noch als Schein, weder als subjektiv noch als objektiv, weder als zufällig
noch als notwendig aufgefaßt werden; ob es «Ding an sich»
oder bloße Vorstellung ist, darüber ist auf dieser Stufe
nicht zu entscheiden. Denn daß die Erkenntnisse der Physik und
Physiologie, die zur Subsummierung des Gegebenen unter eine der obigen
Kategorien verleiten, nicht an die Spitze der Erkenntnistheorie gestellt
werden dürfen, haben wir bereits gesehen.
Wenn ein
Wesen mit vollentwickelter, menschlicher Intelligenz plötzlich
aus dem Nichts geschaffen würde und der Welt gegenüberträte,
so wäre der erste Eindruck, den letztere auf seine Sinne und sein
Denken machte, etwa das, was wir mit dem unmittelbar gegebenen Weltbilde
bezeichnen. Dem Menschen liegt dasselbe allerdings in keinem Augenblicke
seines Lebens in dieser Gestalt wirklich vor; es ist in seiner Entwicklung
nirgends eine Grenze zwischen reinem, passiven Hinauswenden zum unmittelbar
Gegebenen und dem denkenden Erkennen desselben vorhanden. Dieser Umstand
könnte Bedenken gegen unsere Aufstellung eines Anfangs der Erkenntnistheorie
erregen. So sagt z. B. Ed. v. Hartmann: «Wir fragen nicht, welches
der Bewußtseinsinhalt des zum Bewußtsein erwachenden Kindes
oder des auf der untersten Stufe der Lebewesen stehenden Tieres sei,
denn davon hat der philosophierende Mensch keine Erfahrung, und die
Schlüsse, durch welche er diesen Bewußtseinsinhalt primitiver
biogenetischer oder ontogenetischer Stufen zu rekonstruieren versucht,
müssen doch immer wieder auf seiner persönlichen Erfahrung
fußen. Wir haben also zunächst festzustellen, was der vom
philosophierenden Menschen beim Beginn der philosophischen Reflexion
vorgefundene Bewußtseinsinhalt sei.»
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Dagegen ist aber einzuwenden, daß das Weltbild, das wir
am Beginne der philosophischen Reflexion haben, schon Prädikate
trägt, die nur durch das Erkennen vermittelt sind. Diese dürfen
nicht kritiklos hingenommen, sondern müssen sorgfältig aus
dem Weltbilde herausgeschält werden, damit es ganz rein von allem
durch den Erkenntnisprozeß Hinzugefügten erscheint. Die Grenze
zwischen Gegebenem und Erkanntem wird überhaupt mit keinem Augenblicke
der menschlichen Entwicklung zusammenfallen, sondern sie muß künstlich
gezogen werden. Dies aber kann auf jeder Entwicklungsstufe geschehen,
wenn wir nur den Schnitt zwischen dem, was ohne gedankliche Bestimmung
vor dem Erkennen an uns herantritt, und dem, was durch letzteres erst
daraus gemacht wird, richtig führen.
Nun kann man uns vorwerfen, daß wir eine ganze Reihe von gedanklichen
Bestimmungen bereits angehäuft haben, um jenes angeblich unmittelbare
Weltbild aus dem durch erkennende Bearbeitung von den Menschen vervollständigten
herauszuschälen. Aber dagegen ist folgendes zu sagen: was wir an
Gedanken aufgebracht haben, sollte ja nicht jenes Weltbild etwa charakterisieren,
sollte gar keine Eigenschaft desselben angeben, überhaupt nichts
über dasselbe aussagen, sondern nur unsere Betrachtung so lenken,
daß sie bis zu jener Grenze geführt wird, wo sich das Erkennen
an seinen Anfang gestellt sieht. Von Wahrheit oder Irrtum, Richtigkeit
oder Unrichtigkeit jener Ausführungen, die nach unserer Auffassung
dem Augenblicke vorangehen, in dem wir am Beginne der Erkenntnistheorie
stehen, kann daher nirgends die Rede sein. Dieselben haben nur die Aufgabe,
zweckmäßig zu diesem Anfange hinzuleiten. Niemand, der im
Begriffe steht, sich mit erkenntnistheoretischen Problemen zu befassen,
steht zugleich dem mit Recht so genannten Anfange des Erkennens gegenüber,
sondern er hat bereits, bis zu einem gewissen Grade, entwickelte Erkenntnisse.
Aus diesen alles zu entfernen, was durch die Arbeit des Erkennens gewonnen
ist, und den vor derselben liegenden Anfang festzustellen, kann nur
durch begriffliche Erwägungen geschehen. Aber den Begriffen kommt
auf dieser Stufe kein Erkenntniswert zu, sie haben die rein negative
Aufgabe, alles aus dem Gesichtsfelde zu entfernen, was der Erkenntnis
angehört, und dahin zu leiten, wo die letztere erst einsetzt. Diese
Erwägungen sind die Wegweiser zu jenem Anfang, an den der Akt des
Erkennens herantritt, gehören aber demselben noch nicht an. Bei
allem, was der Erkenntnistheoretiker vor der Feststellung des Anfangs
vorzubringen hat, gibt es also nur Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit,
nicht Wahrheit oder Irrtum. Aber auch in diesem Anfangspunkte selbst
ist aller Irrtum ausgeschlossen, denn der letztere kann erst mit dem
Erkennen beginnen, also nicht vor demselben liegen.
Den letzten Satz darf keine andere als die Erkenntnistheorie für
sich in Anspruch nehmen, die von unseren Erwägungen ausgeht. Wo
der Ausgangspunkt von einem Objekte (oder Subjekte) mit einer gedanklichen
Bestimmung gemacht wird, da ist der Irrtum allerdings auch im Anfange,
nämlich gleich bei dieser Bestimmung, möglich. Es hängt
ja die Berechtigung derselben von den Gesetzen ab, welche der Erkenntnisakt
zugrunde legt. Dieselbe kann sich aber erst im Verlaufe der erkenntnistheoretischen
Untersuchungen ergeben. Nur wenn man sagt: ich sondere alle gedanklichen,
durch Erkennen erlangten Bestimmungen aus meinem Weltbilde aus und halte
nur alles dasjenige fest, was ohne mein Zutun in den Horizont meiner
Beobachtung tritt, dann ist aller Irrtum ausgeschlossen. Wo ich mich
grundsätzlich aller Aussage enthalte, da kann ich auch keinen Irrtum
begehen.
Insofern
der Irrtum erkenntnistheoretisch in Betracht kommt, kann er nur innerhalb
des Erkenntnisaktes liegen. Die Sinnestäuschung ist kein Irrtum.
Wenn uns der Mond im Aufgangspunkte größer erscheint als
im Zenit, so haben wir es nicht mit einem Irrtume, sondern mit einer
in den Naturgesetzen wohl begründeten Tatsache zu tun. Ein Fehler
in der Erkenntnis entstünde erst, wenn wir bei der Kombination
der gegebenen Wahrnehmungen im Denken jenes «größer»
und «kleiner» in unrichtiger Weise deuteten. Diese Deutung
liegt aber innerhalb des Erkenntnisaktes.
Will man wirklich das Erkennen in seiner ganzen Wesenheit begreifen,
dann muß man es unzweifelhaft zunächst da erfassen, wo es
an seinen Anfang gestellt ist, wo es einsetzt. Auch ist klar, daß
dasjenige, was vor diesem Anfang liegt, nicht in die Erklärung
des Erkennens mit einbezogen werden darf, sondern eben vorausgesetzt
werden muß. In das Wesen dessen einzudringen, was hier von uns
vorausgesetzt wird, ist Aufgabe der wissenschaftlichen Erkenntnis in
ihren einzelnen Zweigen. Hier wollen wir aber nicht besondere Erkenntnisse
über dieses oder jenes gewinnen, sondern das Erkennen selbst untersuchen.
Erst wenn wir den Erkenntnisakt begriffen haben, können wir ein
Urteil darüber gewinnen, was die Aussagen über den Weltinhalt
für eine Bedeutung haben, die im Erkennen über denselben gemacht
werden.
Deshalb
enthalten wir uns solange jeglicher Bestimmung über das unmittelbar
Gegebene, solange wir nicht wissen, welchen Bezug eine solche Bestimmung
zu dem Bestimmten hat. Selbst mit dem Begriff des «Unmittelbar-Gegebenen»
sprechen wir nichts über das vor dem Erkennen Liegende aus. Er
hat nur den Zweck, auf dasselbe hinzuweisen, den Blick darauf zu richten.
Die begriffliche Form ist hier im Anfange der Erkenntnistheorie nur
die erste Beziehung, in welche sich das Erkennen zum Weltinhalte setzt.
Es ist mit dieser Bezeichnung selbst für den Fall vorgesorgt, daß
der gesamte Weltinhalt nur ein Gespinst unseres eigenen «Ich»
ist, daß also der exklusive Subjektivismus zu Recht bestünde;
denn von einem Gegebensein dieser Tatsache kann ja nicht die Rede sein.
Sie könnte nur das Ergebnis erkennender Erwägung sein, d.h.
sich durch die Erkenntnistheorie erst als richtig herausstellen, nicht
aber ihr als Voraussetzung dienen.
In diesem
unmittelbar gegebenen Weltinhalt ist nun alles eingeschlossen, was überhaupt
innerhalb des Horizontes unserer Erlebnisse im weitesten Sinne auftauchen
kann:
Empfindungen,
Wahrnehmungen, Anschauungen, Gefühle, Willensakte, Traum- und Phantasiegebilde,
Vorstellungen, Begriffe und Ideen.
Auch
die Illusionen und Halluzinationen stehen auf dieser Stufe ganz gleichberechtigt
da mit anderen Teilen des Weltinhalts. Denn welches Verhältnis
dieselben zu anderen Wahrnehmungen haben, das kann erst die erkennende
Betrachtung lehren.
Wenn die
Erkenntnistheorie von der Annahme ausgeht, daß alles eben Angeführte
unser Bewußtseinsinhalt sei, dann entsteht natürlich sofort
die Frage: wie kommen wir aus dem Bewußtsein heraus zur Erkenntnis
des Seins, wo ist das Sprungbrett, das uns aus dem Subjektiven ins Transsubjektive
führt? Für uns liegt die Sache ganz anders. Für uns sind
das Bewußtsein sowohl wie die «Ich»-Vorstellung zunächst
nur Teile des Unmittelbar-Gegebenen, und welches Verhältnis die
ersteren zu den letzteren haben, ist erst ein Ergebnis der Erkenntnis.
Nicht vom Bewußtsein aus wollen wir das Erkennen bestimmen, sondern
umgekehrt: vom Erkennen aus das Bewußtsein und das Verhältnis
von Subjektivität und Objektivität. Da wir das Gegebene zunächst
ohne alle Prädikate lassen, so müssen wir fragen: wie kommen
wir überhaupt zu einer Bestimmung desselben, wie ist es möglich,
mit dem Erkennen irgendwo anzufangen? Wie können wir den einen
Teil des Weltbildes z. B. als Wahrnehmung, den andern als Begriff, den
einen als Sein, den andern als Schein, jenen als Ursache, diesen als
Wirkung bezeichnen, wie können wir uns selbst von dem Objektiven
abscheiden und als «Ich» gegenüber dem «Nicht-Ich»
ansehen?
Wir müssen
die Brücke von dem gegebenen Weltbilde zu jenem finden, welches
wir durch unser Erkennen entwickeln. Dabei begegnen wir aber der folgenden
Schwierigkeit. Solange wir das Gegebene bloß passiv anstarren,
können wir nirgends einen Ansatzpunkt finden, an den wir anknüpfen
könnten, um von da aus das Erkennen weiterzuspinnen. Wir müßten
im Gegebenen irgendwo den Ort finden, wo wir eingreifen können,
wo etwas dem Erkennen Homogenes liegt. Wäre alles wirklich nur
gegeben, dann müßte es beim bloßen Hinausstarren in
die Außenwelt und einem völlig gleichwertigen Hineinstarren
in die Welt unserer Individualität sein Bewenden haben. Wir könnten
dann die Dinge höchstens als Außenstehende beschreiben, aber
niemals sie begreifen. Unsere Begriffe hätten nur einen rein äußerlichen
Bezug zu dem, worauf sie sich beziehen, keinen innerlichen. Es hängt
für das wahrhafte Erkennen alles davon ab, daß wir irgendwo
im Gegebenen ein Gebiet finden, wo unsere erkennende Tätigkeit
sich nicht bloß ein Gegebenes voraussetzt, sondern in dem Gegebenen
tätig mitten darinnen steht. Mit anderen Worten: Es muß sich
gerade bei dem strengen Festhalten an dem Bloß-Gegebenen herausstellen,
daß nicht alles ein solches ist. Unsere Forderung muß eine
solche gewesen sein, daß sie durch ihre strenge Einhaltung sich
teilweise selbst aufhebt. Wir haben sie gestellt, damit wir nicht willkürlich
irgend einen Anfang der Erkenntnistheorie festsetzen, sondern denselben
wirklich aufsuchen. Gegeben in unserem Sinne kann alles werden, auch
das seiner innersten Natur nach Nicht-Gegebene. Es tritt uns eben dann
bloß formell als Gegebenes entgegen, entpuppt sich aber bei genauerer
Betrachtung von selbst als das, was es wirklich ist.
Alle Schwierigkeit
in dem Begreifen des Erkennens liegt darinnen, daß wir den Weltinhalt
nicht aus uns selbst hervorbringen. Würden wir das, so gäbe
es überhaupt kein Erkennen. Eine Frage für mich kann durch
ein Ding nur entstehen, wenn es mir «gegeben»wird. Was ich
hervorbringe, dem erteile ich seine Bestimmungen; ich brauche also nach
ihrer Berechtigung nicht erst zu fragen.
Dies ist
der zweite Punkt unserer Erkenntnistheorie. Er besteht in dem Postulat:
es muß im Gebiete des Gegebenen etwas liegen, wo unsere Tätigkeit
nicht im Leeren schwebt, wo der Inhalt der Welt selbst in diese Tätigkeit
eingeht.
Haben
wir den Anfang der Erkenntnistheorie in der Weise bestimmt, daß
wir ihn völlig vor die erkennende Tätigkeit legten, um durch
kein Vorurteil innerhalb des Erkennens dieses selbst zu trüben,
so bestimmen wir jetzt den ersten Schritt, den wir in unserer Entwicklung
machen, auch so, daß von Irrtum oder Unrichtigkeit nicht die Rede
sein kann. Denn wir fällen kein Urteil über irgend etwas,
sondern zeigen nur die Forderung auf, die erfüllt werden muß,
wenn überhaupt Erkenntnis zustande kommen soll. Es kommt alles
darauf an, daß wir mit vollkommener kritischer Besonnenheit uns
des folgenden bewußt sind: wir stellen das Charakteristikum selbst
als Postulat auf, welches jener Teil des Weltinhalts haben muß,
bei dem wir mit unserer Erkenntnistätigkeit einsetzen können.
Ein anderes ist aber auch durchaus unmöglich. Der Weltinhalt als
gegebener ist ja ganz bestimmungslos. Kein Teil kann durch sich selbst
den Anstoß geben, von ihm aus den Anfang zu einer Ordnung in diesem
Chaos zu machen. Da muß also die erkennende Tätigkeit einen
Machtspruch tun und sagen: so und so muß dieser Teil beschaffen
sein. Ein solcher Machtspruch tastet auch das Gegebene in keiner Weise
in seiner Qualität an. Er bringt keine willkürliche Behauptung
in die Wissenschaft. Er behauptet eben gar nichts, sondern er sagt nur:
wenn Erkenntnis als möglich erklärbar sein soll, dann muß
nach einem Gebiet gesucht werden, wie es oben bezeichnet worden ist.
Ist ein solches vorhanden, dann gibt es eine Erklärung des Erkennens,
sonst nicht. Während wir den Anfang der Erkenntnistheorie mit dem
«Gegebenen» im allgemeinen machten, schränken wir jetzt
die Forderung darauf ein, einen bestimmten Punkt desselben ins Auge
zu fassen.
Wir wollen
nun an unsere Forderung näher herantreten. Wo finden wir irgend
etwas in dem Weltbilde, das nicht bloß ein Gegebenes, sondern
das nur insofern gegeben ist, als es zugleich ein im Erkenntnisakte
Hervorgebrachtes ist?
Wir müssen
uns vollständig klar darüber sein, daß wir dieses Hervorbringen
in aller Unmittelbarkeit wieder gegeben haben müssen. Es dürfen
nicht etwa Schlußfolgerungen nötig sein, um dasselbe zu erkennen.
Daraus geht schon hervor, daß die Sinnesqualitäten nicht
unserer Forderung genügen. Denn von dem Umstande, daß diese
nicht ohne unsere Tätigkeit entstehen, wissen wir nicht unmittelbar,
sondern nur durch physikalische und physiologische Erwägungen.
Wohl aber wissen wir unmittelbar, daß Begriffe und Ideen immer
erst im Erkenntnisakt und durch diesen in die Sphäre des Unmittelbar-Gegebenen
eintreten. Daher täuscht sich auch kein Mensch über diesen
Charakter der Begriffe und Ideen. Man kann eine Halluzination wohl für
ein von außen Gegebenes halten, aber man wird niemals von seinen
Begriffen glauben, daß sie ohne eigene Denkarbeit uns gegeben
werden. Ein Wahnsinniger hält nur Dinge und Verhältnisse,
die mit Prädikaten der «Wirklichkeit» ausgestattet
sind, für real, obgleich sie es faktisch nicht sind; nie aber wird
er von seinen Begriffen und Ideen sagen, daß sie ohne eigene Tätigkeit
in die Welt des Gegebenen eintreten. Alles andere in unserem Weltbilde
trägt eben einen solchen Charakter, daß es gegeben werden
muß, wenn wir es erleben wollen, nur bei Begriffen und Ideen tritt
noch das Umgekehrte ein: wir müssen sie hervorbringen, wenn wir
sie erleben wollen. Nur die Begriffe und Ideen sind uns in der Form
gegeben, die man die intellektuelle Anschauung genannt hat. Kant und
die neueren an ihn anknüpfenden Philosophen sprechen dieses Vermögen
dem Menschen vollständig ab, weil alles Denken sich nur auf Gegenstände
beziehe und aus sich selbst absolut nichts hervorbringe. In der intellektuellen
Anschauung muß mit der Denkform zugleich der Inhalt mitgegeben
sein. Ist dies aber nicht bei den reinen Begriffen und Ideen wirklich
der Fall? (Unter Begriff verstehe ich eine Regel, nach welcher die zusammenhanglosen
Elemente der Wahrnehmung zu einer Einheit verbunden werden. Kausalität
z. B. ist ein Begriff. Idee ist nur ein Begriff mit größerem
Inhalt. Organismus, ganz abstrakt genommen, ist eine Idee.) Man muß
sie nur in der Form betrachten, in der sie von allem empirischen Inhalt
noch ganz frei sind. Wenn man z. B. den reinen Begriff der Kausalität
erfassen will, darf man sich nicht an irgend eine bestimmte Kausalität
oder an die Summe aller Kausalitäten halten, sondern an den bloßen
Begriff derselben. Ursachen und Wirkungen müssen wir in der Welt
aufsuchen, Ursachlichkeit als Gedankenform müssen wir selbst hervorbringen,
ehe wir die ersteren in der Welt finden können. Wenn man aber an
der Kantschen Behauptung festhalten wollte, Begriffe ohne Anschauungen
seien leer, so wäre es undenkbar, die Möglichkeit einer Bestimmung
der gegebenen Welt durch Begriffe darzutun. Denn man nehme an, es seien
zwei Elemente des Weltinhaltes gegeben: a und b. Soll ich zwischen denselben
ein Verhältnis aufsuchen, so muß ich das an der Hand einer
inhaltlich bestimmten Regel tun; diese kann ich aber nur im Erkenntnisakte
selbst produzieren, denn aus dem Objekte kann ich sie deshalb nicht
nehmen, weil die Bestimmungen dieses letzteren mit Hilfe der Regel eben
erst gewonnen werden sollen. Eine solche Regel zur Bestimmung des Wirklichen
geht also vollständig innerhalb der rein begrifflichen Entität
auf.
Bevor
wir nun weiterschreiten, wollen wir erst einen möglichen Einwand
beseitigen. Es scheint nämlich, als ob unbewußt in unserem
Gedankengange die Vorstellung des «Ich», des «persönlichen
Subjekts» eine Rolle spiele, und daß wir diese Vorstellung
in dem Fortschritte unserer Gedankenentwicklung benützen, ohne
die Berechtigung dazu dargetan zu haben. Es ist das der Fall, wenn wir
z.B. sagen: «wir bringen Begriffe hervor» oder «wir
stellen diese oder jene Forderung». Aber nichts in unseren Ausführungen
gibt Veranlassung, in solchen Sätzen mehr als stilistische Wendungen
zu sehen. Daß der Erkenntnisakt einem «Ich» angehört
und von demselben ausgeht, das kann, wie wir schon gesagt haben, nur
auf Grund erkennender Erwägungen festgestellt werden. Eigentlich
müßten wir vorläufig nur von dem Erkenntnisakt sprechen,
ohne einen Träger desselben auch nur zu erwähnen. Denn alles,
was bis jetzt feststeht, beschränkt sich darauf, daß ein
«Gegebenes» vorliegt, und daß aus einem Punkte dieses
«Gegebenen» das oben angeführte Postulat entspringt;
endlich, daß Begriffe und Ideen das Gebiet sind, das diesem Postulate
entspricht. Daß der Punkt, aus dem das Postulat entspringt, das
«Ich» ist, soll damit nicht geleugnet werden. Aber wir beschränken
uns fürs erste darauf, jene beiden Schritte der Erkenntnistheorie
in ihrer Reinheit hinzustellen.
Notes:
31. Das Absondern individueller Einzelheiten
aus dem ganz unterschiedlosen gegebenen Weltbild ist schon ein Akt
gedanklicher Tätigkeit.
32. Grundproblem S.1.
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