Meister Eckhart
Ganz durchglüht
von der Empfindung, daß im Geiste des Menschen die
Dinge als höhere Wesenheiten wiedergeboren werden,
ist die Vorstellungswelt des Meisters Eckhart.
Er gehörte dem Orden der Dominikaner an wie der
größte christliche Theologe des Mittelalters,
Thomas von Aquino, der von 1225 bis 1274 lebte. Eckhart
war unbedingter Verehrer des Thomas. Das muß
durchaus begreiflich erscheinen, wenn man die ganze
Vorstellungsart des Meisters Eckhart ins Auge faßt.
Er glaubte sich selbst mit den Lehren der christlichen
Kirche ebenso in Einklang, wie er für Thomas eine
solche Übereinstimmung annahm. Eckhart wollte von
dem Inhalte des Christentums nichts wegnehmen, und auch
zu ihm nichts hinzufügen. Aber er wollte diesen
Inhalt auf seine Art neu hervorbringen. Es liegt nicht in
den geistigen Bedürfnissen einer
Persönlichkeit, wie er eine war, neue Wahrheiten
dieser oder jener Art an die Stelle von alten zu setzen.
Er war mit dem Inhalte, den er überliefert erhalten
hatte, ganz verwachsen. Aber er wollte diesem Inhalte
eine neue Gestalt, ein neues Leben geben. Er wollte, ohne
Zweifel, rechtgläubiger Christ bleiben. Die
christlichen Wahrheiten waren die seinigen. Nur in
anderer Weise ansehen wollte er sie, als dies z.B. Thomas
von Aquino getan hatte. Dieser nahm zwei
Erkenntnisquellen an: die Offenbarung in dem
Glauben und die Vernunft in der Forschung. Die
Vernunft erkennt die Gesetze der Dinge, also das Geistige
in der Natur. Sie kann sich auch über die Natur
erheben, und im Geiste die aller Natur zugrunde liegende
göttliche Wesenheit von einer Seite erfassen. Aber
sie gelangt auf diese Art nicht zu einer Versenkung in
die volle Wesenheit Gottes. Ein höherer
Wahrheitsgehalt muß ihr entgegenkommen. Er ist in
der Heiligen Schrift gegeben. Sie offenbart, was
der Mensch durch sich selbst nicht erreichen kann. Der
Wahrheitsgehalt der Schrift muß von dem Menschen
hingenommen werden; die Vernunft kann ihn verteidigen,
sie kann ihn durch ihre Erkenntniskräfte
möglichst gut verstehen wollen; aber sie kann ihn
aus dem menschlichen Geiste heraus nimmermehr selbst
erzeugen. Nicht was der Geist erschaut, ist
höchste Wahrheit, sondern ein gewisser
Erkenntnisinhalt, der dem Geiste von außen
zugekommen ist. Unfähig erklärt sich der
heilige Augustin, in sich den Quell zu finden für
das, was er glauben soll. Er sagt: «Ich
würde dem Evangelium nicht glauben, wenn mich die
Autorität der katholischen Kirche nicht dazu
bewegte.» Das ist im Sinne des Evangelisten, der auf
das äußere Zeugnis verweist: «Was wir
gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir
selbst geschaut, was unsere Hände berührt haben
von dem Worte des Lebens... was wir sahen und
hörten, melden wir euch, damit ihr Gemeinschaft mit
uns habet.» Der Meister Eckhart aber möchte
Christi Worte dem Menschen einschärfen: «Es ist
euch nütze, daß ich von euch fahre; denn gehe
ich nicht von euch, so kann euch der Heilige Geist nicht
werden.» Und er erläutert diese Worte, indem er
sagt: «Recht, als ob er spräche: ihr habt zu
viel Freude auf mein gegenwärtiges Bild
gelegt, daher kann euch die vollkommene Freude des
Heiligen Geistes nicht werden.» Eckhart meint von
keinem anderen Gotte zu sprechen, als der ist, von dem
Augustin, und der Evangelist, und Thomas sprechen; und
dennochf ist ihr Zeugnis von Gott nicht sein Zeugnis.
«Etliche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen,
als sie eine Kuh ansehen, und wollen Gott lieb haben, als
sie eine Kuh lieb haben. Also haben sie Gott lieb, um
auswendigen Reichtum und um inwendigen Trost; aber diese
Leute haben nicht Gott recht lieb... Einfältige
Leute wähnen, sie sollen Gott ansehen, als
stünde er dort und sie hier. So ist es nicht. Gott
und ich sind eins im Erkennen.» Es liegt solchen
Bekenntnissen bei Eckhart nichts anderes zugrunde, als
die Erfahrung des inneren Sinnes. Und diese Erfahrung
zeigt ihm die Dinge in einem höheren Lichte. Er
glaubt daher eines äußeren Lichtes nicht zu
bedürfen, um zu den höchsten Einsichten zu
kommen: «Ein Meister spricht: Gott ist Mensch
geworden, davon ist erhöhet und gewürdigt das
ganze menschliche Geschlecht. Dessen mögen wir uns
freuen, daß Christus unser Bruder ist gefahren von
eigener Kraft über alle Chöre der Engel und
sitzet zur Rechten des Vaters. Dieser Meister hat wohl
gesprochen; aber wahrlich, ich gebe nicht viel darum. Was
hülfe es mir, hätt' ich einen Bruder, der da
wäre ein reicher Mann, und ich wäre dabei ein
armer Mann? Was hülfe es mir, hätte ich einen
Bruder, der ein weiser Mann wäre, und ich wäre
ein Tor?... Der himmlische Vater gebiert seinen
eingebornen Sohn in sich und in mir. Warum in
sich und in mir? Ich bin eins mit ihm; und er vermag mich
nicht auszuschließen. In demselben Werk
empfängt der Heilige Geist sein Wesen und wird von
mir, wie von Gott. Warum? Ich bin in Gott, und nimmt der
Heilige Geist sein Wesen nicht von mir, nimmt er es auch
nicht von Gott. Ich bin auf keine Weise
ausgeschlossen.» Wenn Eckhart an das Wort des Paulus
erinnert: «Ziehet euch Jesum Christum an», so
will er diesem Worte den Sinn unterlegen: versenket euch
in euch, tauchet hinunter in die Selbstbeschauung: und
aus den Tiefen eures Wesens wird euch der Gott
entgegenleuchten; er überstrahlet euch alle Dinge;
ihr habt ihn in euch gefunden; ihr seid einig geworden
mit Gottes Wesenheit. «Gott ist Mensch geworden,
daß ich Gott werde.» In seinem Traktat
«Über die Abgeschiedenheit» spricht sich
Eckhart über die Beziehung der äußeren
Wahrnehmung zu der inneren aus: «Hier sollst du
wissen, daß die Meister sprechen, daß an einem
jeden Menschen zweierlei Menschen sind: der eine
heißt der äußere Mensch, das ist die
Sinnlichkeit; dem Menschen dienen fünf Sinne, und er
wirkt doch durch die Kraft der Seele. Der andere Mensch
heißt der innere Mensch, das ist des Menschen
Inneres. Nun sollst du wissen, daß ein jeder Mensch,
der Gott liebt, die Kräfte der Seele in dem
äußeren Menschen nicht mehr gebraucht, als die
fünf Sinne zur Not bedürfen; und das Innere
kehrt sich nicht zu den fünf Sinnen, als nur
insofern es der Weiser und Leiter der fünf Sinne ist
und sie hütet, damit sie nicht ihrem Streben nach
der Tierheit frönen.» Wer in dieser Art
über den inneren Menschen spricht, der kann nicht
mehr auf ein sinnlich außer ihm gelegenes
Wesen der Dinge sein Auge richten. Denn er ist
sich klar darüber, daß aus keiner Art der
sinnlichen Außenwelt dieses Wesen ihm
entgegentreten kann. Man könnte ihm einwenden: was
geht die Dinge in der Außenwelt dasjenige an, was du
ihnen aus deinem Geiste hinzufügst. Baue doch auf
deine Sinne. Sie allein geben dir Kunde von der
Außenwelt. Verfälsche nicht durch eine geistige
Zutat, was dir die Sinne in Reinheit, ohne Zutat, als
Bild der Außenwelt geben. Dein Auge sagt dir, wie
die Farbe ist; was dein Geist über die Farbe
erkennt, davon ist in der Farbe nichts. Vom Standpunkte
des Meisters Eckhart müßte man antworten: Die
Sinne sind physische Apparate. Ihre Mitteilungen
über die Dinge können somit nur das Physische
an den Dingen betreffen. Und dieses Physische in den
Dingen teilt sich mir so mit, daß in mir selbst ein
physischer Vorgang erregt wird. Die Farbe als physischer
Vorgang der Außenwelt erregt einen physischen
Vorgang in meinem Auge und in meinem Gehirn. Dadurch
nehme ich die Farbe wahr. Ich kann auf diesem Wege aber
nur das von der Farbe wahrnehmen, was an ihr physisch,
sinnlich ist. Die sinnliche Wahrnehmung schaltet alles
Nichtsinnliche von den Dingen aus. Die Dinge werden durch
sie alles dessen entkleidet, was an ihnen nicht-sinnlich
ist. Schreite ich dann zu dem geistigen, dem ideellen
Inhalt fort, so stelle ich nur dasjenige wieder her, was
die sinnliche Wahrnehmung an den Dingen ausgelöscht
hat. Somit zeigt mir die sinnliche Wahrnehmung nicht das
tiefste Wesen der Dinge; sie trennt mich vielmehr von
diesem Wesen. Die geistige, ideelle Erfassung verbindet
mich aber wieder mit diesem Wesen. Sie zeigt mir,
daß die Dinge in ihrem Innern genau von demselben
geistigen Wesen sind, wie ich selbst. Die Grenze zwischen
mir und der Außenwelt fällt durch die geistige
Erfassung der Welt dahin. Ich bin von der Außenwelt
getrennt, insofern ich ein sinnliches Ding unter
sinnlichen Dingen bin. Mein Auge und die Farbe sind zwei
verschiedene Wesenheiten. Mein Gehirn und die Pflanze
sind zweierlei. Aber der ideelle Inhalt der Pflanze und
der Farbe gehören mit dem ideellen Inhalt meines
Gehirns und des Auges einer einheitlichen ideellen
Wesenheit an. - Es darf diese Anschauung nicht
verwechselt werden mit der weit verbreiteten
anthropomorphosierenden (vermenschlichenden)
Weltanschauung, welche die Dinge der Außenwelt
dadurch zu erfassen glaubt, daß sie ihnen
Eigenschaften psychischer Art beilegt, die den
Eigenschaften der menschlichen Seele ähnlich sein
sollen. Diese Ansicht sagt: wir nehmen an einem andern
Menschen, wenn wir ihm äußerlich
gegenübertreten, nur sinnliche Merkmale wahr. Ich
kann meinem Mitmenschen nicht ins Innere schauen. Ich
schließe aus dem, was ich von ihm sehe und
höre, auf sein Inneres, auf seine Seele. Die Seele
ist also niemals etwas, was ich unmittelbar wahrnehme.
Eine Seele nehme ich nur in meinem eigenen Innern wahr.
Meine Gedanken, meine Phantasiegebilde, meine
Gefühle sieht kein Mensch. Ebenso wie ich
nun ein solches Innenleben habe neben dem, was
äußerlich wahrzunehmen ist, so müssen ein
solches alle anderen Wesen haben. So schließt, wer
auf dem Standpunkt der anthropomorphosierenden
(vermenschlichenden) Weltanschauung steht. Was ich an der
Pflanze äußerlich wahrnehme, muß ebenso
nur die Außenseite eines Inneren, einer Seele sein,
die ich mir hinzulenken muß zu dem, was ich
wahrnehme. Und da es für mich nur eine einzige
Innenwelt gibt, nämlich meine eigene, so kann ich
mir auch die Innenwelt der anderen Wesen nur ähnlich
meiner Innenwelt vorstellen. Dadurch kommt man zu einer
Art Allbeseelung aller Natur (Panpsychismus). Diese
Anschauung beruht auf einer Verkennung dessen, was der
entwickelte innere Sinn wirklich darbietet. Der geistige
Inhalt eines äußeren Dinges, der mir in meinem
Innern aufgeht, ist nichts zu der äußeren
Wahrnehmung Hinzugedachtes. Er ist dies ebensowenig, wie
der Geist eines anderen Menschen. Ich nehme durch den
inneren Sinn diesen geistigen Inhalt ebenso wahr, wie
durch die äußeren Sinne den physischen Inhalt.
Und was ich mein Innenleben in obigem Sinne nenne, ist
gar nicht, im höheren Sinne, mein Geist. Dieses
Innenleben ist nur das Ergebnis rein sinnlicher
Vorgänge, gehört mir nur als ganz individuelle
Persönlichkeit an, die nichts ist als das Ergebnis
ihrer physischen Organisation. Wenn ich dieses Innere auf
die äußeren Dinge übertrage, so denke ich
tatsächlich ins Blaue hinein. Mein persönliches
Seelenleben, meine Gedanken, Erinnerungen und
Gefühle sind in mir, weil ich ein so und so
organisiertes Naturwesen bin, mit einem ganz bestimmten
Sinnesapparat, mit einem ganz bestimmten Nervensystem.
Diese meine menschliche Seele darf ich nicht auf
die Dinge übertragen. Ich dürfte das nur, wenn
ich irgendwo ein ähnlich organisiertes Nervensystem
fände. Aber meine individuelle Seele ist nicht das
höchste Geistige an mir. Dieses höchste
Geistige muß in mir erst durch den inneren Sinn
erweckt werden. Und dieses erweckte Geistige in mir ist
zugleich ein und dasselbe mit dem Geistigen in allen
Dingen. Vor diesem Geistigen erscheint die Pflanze
unmittelbar in ihrer eigenen Geistigkeit. Ich brauche ihr
nicht eine Geistigkeit zu verleihen, die ähnlich
meiner eigenen ist. Für diese
Weltanschauung verliert alles Reden über das
unbekannte «Ding an sich» jeglichen Sinn. Denn
es ist eben das «Ding an sich», das sich dem
inneren Sinn enthüllt. Alles Reden über das
unbekannte «Ding an sich» rührt nur davon
her, daß diejenigen, die so reden, nicht imstande
sind, in den geistigen Inhalten ihres Innern die
«Dinge an sich» wieder zu erkennen. Sie glauben
in ihrem Innern wesenlose Schatten und Schemen,
«bloße Begriffe und Ideen» der Dinge zu
erkennen. Da sie aber doch eine Ahnung von dem
«Ding an sich» haben, so glauben sie, daß
sich dieses «Ding an sich» verberge, und
daß dem menschlichen Erkenntnisvermögen Grenzen
gesteckt seien. Man kann solchen, die in diesem Glauben
befangen sind, nicht beweisen, daß sie das
«Ding an sich» in ihrem Innern ergreifen
müssen, denn sie würden dieses «Ding an
sich», wenn man es ihnen vorwiese, doch niemals
anerkennen. Um dieses Anerkennen aber handelt es
sich. - Alles, was der Meister Eckhart sagt, ist von
dieser Anerkennung durchdrungen. «Dessen nimm ein
Gleichnis. Eine Tür geht in einem Angel auf und zu.
Wenn ich nun das äußere Brett an der Türe
dem äußeren Menschen vergleiche, so vergleiche
ich den Angel dem inneren Menschen. Wenn nun die
Türe auf und zu geht, so bewegt sich das
äußere Brett hin und her, während doch der
Angel beständig unbeweglich bleibt, und dadurch
keineswegs verändert wird. In gleicher Weise ist es
auch hier.» Ich kann als individuelles Sinneswesen
die Dinge nach allen Seiten erforschen - die Tür
geht auf und zu -; wenn ich die Wahrnehmungen der Sinne
nicht geistig in mir erstehen lasse, dann kenne ich
nichts von ihrem Wesen - der Angel bewegt sich nicht-.
Die durch den inneren Sinn vermittelte Erleuchtung ist,
nach Eckharts Anschauung, der Einzug Gottes in die Seele.
Er nennt das Licht der Erkenntnis, das durch diesen
Einzug aufflackert, das «Fünklein der
Seele». Die Stelle des menschlichen Innern, an der
dieses «Fünklein» aufleuchtet, ist
«so lauter, und so hoch, und so edel in sich selber,
daß darin keine Kreatur sein mag, sondern nur Gott
allein wohnt darin mit seiner bloßen göttlichen
Natur». Wer dieses «Fünklein» in sich
hat aufgehen lassen, der sieht nicht mehr
bloß so, wie der Mensch mit den
äußeren Sinnen sieht, und mit dem logischen
Verstande, der die Eindrücke der Sinne ordnet und
klassifiziert, sondern er sieht, wie die Dinge an sich
sind. Die äußeren Sinne und der ordnende
Verstand sondern den einzelnen Menschen von den anderen
Dingen ab; sie machen ihn zu einem Individuum im Raum und
in der Zeit, das auch die anderen Dinge im Raum und in
der Zeit wahrnimmt. Der von dem «Fünklein»
erleuchtete Mensch hört auf, ein Einzelwesen zu
sein. Er vernichtet seine Absonderung. Alles, was den
Unterschied zwischen ihm und den Dingen bewirkt,
hört auf. Daß er, als Einzelwesen, es
ist, der wahrnimmt, kommt gar nicht mehr in Betracht. Die
Dinge und er sind nicht mehr geschieden. Die Dinge und
somit auch Gott sehen sich in ihm. «Dies
Fünklein, das ist Gott, also, daß es ist ein
einig Ein, und das Bild in sich trägt aller
Kreaturen, Bild ohne Bild, und Bild über Bild.»
Mit den herrlichsten Worten spricht Eckhart die
Auslöschung des Einzelwesens aus: «Es ist daher
zu wissen, daß das Eines ist nach den Dingen, Gott
erkennen und von Gott erkannt zu sein. In dem erkennen
wir Gott und sehen, daß er uns macht sehend und
erkennend. Und wie die Luft, die erleuchtet, nichts
anderes ist, als was sie erleuchtet; denn davon leuchtet
sie, daß sie erleuchtet ist: also erkennen wir,
daß wir erkannt sind und daß er uns sich machet
erkennend.»
Auf solcher Grundlage erbaut sich der Meister
Eckhart sein Verhältnis zu Gott. Es ist ein rein
geistiges, und kann nicht nach einem Bilde geformt sein,
das dem menschlichen, individuellen Leben entlehnt ist.
Nicht wie ein einzelner Mensch den anderen liebt, kann
Gott seine Schöpfung lieben; nicht wie ein
Baumeister das Haus verfertigt, kann Gott die Welt
erschaffen haben. Alle dergleichen Gedanken schwinden vor
dem inneren Schauen. Es gehört zum Wesen
Gottes, daß er die Welt liebt. Ein Gott, der lieben
könnte und auch nicht lieben, ist nach dem Bilde des
individuellen Menschen gebildet. «Ich sprech bei
guter Wahrheit und bei ewiger Wahrheit und bei
immerwährender Wahrheit, daß sich Gott in
jeglichen Menschen, der sich zugrunde gelassen hat,
allzumal ausgießen muß nach aller
Vermögenheit, so ganz und gar, daß er in seinem
Leben und in seinem Wesen, in seiner Natur und in seiner
Gottheit nichts behaltet; er muß es alles zumal in
fruchtbarer Art ergießen.» Und die innere
Erleuchtung ist etwas, was die Seele notwendig
finden muß, wenn sie sich auf den Grund vertieft.
Schon daraus geht hervor, daß Gottes Mitteilung an
die Menschheit nicht nach dem Bilde der
Offenbarung eines Menschen an den anderen
vorgestellt werden darf. Diese Mitteilung kann
auch unterbleiben. Ein Mensch kann sich dem anderen
verschließen. Gott muß sich, seinem
Wesen nach, mitteilen. «Es ist eine sichere
Wahrheit, daß es Gott also Not ist, daß er uns
suche, recht als ob all seine Gottheit daran hinge. Gott
mag unser so wenig entbehren als wir seiner. Mögen
wir uns von Gott kehren, so mag Gott sich doch nimmer von
uns kehren.» Folgerichtig kann auch dann des
Menschen Verhältnis zu Gott nicht so aufgefaßt
werden, daß darin etwas Bildliches, dem
individuellen Menschlichen Entnommenes enthalten
ist. Eckhart ist sich bewußt, daß es zur
Vollendung des Urwesens der Welt gehört, sich in der
menschlichen Seele zu finden. Dieses Urwesen wäre
unvollkommen, ja unfertig, wenn es des Bestandteiles
seiner Ausgestaltung entbehrte, der in der Seele des
Menschen zum Vorschein kommt. Was im Menschen geschieht,
gehört zu dem Urwesen; und geschähe es nicht,
so wäre das Urwesen nur ein Teil seiner selbst. In
diesem Sinne darf der Mensch sich als
notwendiges Glied des Weltwesens fühlen.
Eckhart drückt das aus, indem er seine
Empfindung Gott gegenüber also schildert: «Ich
danke nicht Gott, daß er mich lieb hat, denn er mag
es nicht lassen; er wolle es oder nicht, seine Natur
zwinget ihn doch... Darum will ich Gott nicht bitten,
daß er mir etwas gebe, ich will ihn auch nicht loben
um das, was er mir gegeben hat...»
Es ist aber dieses Verhältnis der
menschlichen Seele zu dem Urwesen nicht so aufzufassen,
als wenn die Seele in ihrer individuellen Wesenheit mit
diesem Urwesen für einerlei erklärt würde.
Die Seele, die verstrickt ist in die Sinnenwelt und damit
in die Endlichkeit, hat als solche den Inhalt des
Urwesens nicht schon in sich. Sie muß ihn
in sich erst entwickeln. Sie muß sich als
Einzelwesen vernichten. In treffender Weise
charakterisiert der Meister Eckhart diese Vernichtung als
«Entwerdung». «Wenn ich komme in
den Grund der Gottheit, so fragt mich niemand, wannen ich
komme und wo ich gewesen, und niemand vermisset mich,
denn hier ist eine Entwerdung.» Deutlich
spricht über dieses Verhältnis auch der Satz:
«Ich nimm ein Becken mit Wasser und lege darin einen
Spiegel und setze es unter das Rad der Sonne. Die Sonne
wirft aus ihren lichten Schein in den Spiegel und
vergehet doch nicht. Das Widerspiegeln des Spiegels in
der Sonne ist Sonne in der Sonne, und der Spiegel ist
doch, das er ist. Also ist es um Gott. Gott ist in der
Seele mit seiner Natur und in seinem Wesen und seiner
Gottheit, und er ist doch nicht die Seele. Das
Widerspiegeln der Seele in Gott ist Gott in Gott, und die
Seele ist doch, das sie ist.»
Die Seele, die sich der inneren Erleuchtung
hingibt, erkennt nicht bloß in sich das, was sie vor
der Erleuchtung war; sondern sie erkennt das, was sie
erst durch diese Erleuchtung wird. «Wir
sollen mit Gott vereinigt werden wesentlich; wir sollen
mit Gott vereinigt werden einlich; wir sollen mit Gott
vereinigt werden gänzlich. Wie sollen wir wesentlich
mit Gott vereinigt werden? Das soll geschehen an der
Schauung und nicht an der Wesung. Sein Wesen mag nicht
unser Wesen werden, sondern soll unser Leben sein.»
Nicht ein schon vorhandenes Leben - eine Wesung - soll im
logischen Sinne erkannt werden; sondern das höhere
Erkennen - die Schauung - soll selbst Leben werden; das
Geistige, das Ideelle soll von dem schauenden Menschen so
empfunden werden, wie von der individuellen Menschennatur
das gewöhnliche, alltägliche Leben empfunden
wird.
Von solchen Ausgangspunkten gelangt der Meister
Eckhart auch zu einem reinen Freiheitsbegriffe.
Die Seele ist im gewöhnlichen Leben nicht frei. Denn
sie ist eingesponnen in das Reich der niederen Ursachen.
Sie vollbringt, wozu sie von diesen niederen Ursachen
genötigt wird. Durch die «Schauung» wird
sie aus dem Gebiet dieser Ursachen hinausgehoben. Sie
handelt nicht mehr als Einzelseele. Es wird in ihr die
Urwesenheit freigelegt, die durch nichts mehr verursacht
werden kann, denn durch sich selbst. «Gott zwingt
den Willen nicht, sondern er setzt ihn vielmehr in
Freiheit, also daß er nichts anderes will, denn das
Gott selber will. Und der Geist mag nichts anderes
wollen, denn was Gott will: und das ist nicht seine
Unfreiheit; es ist seine eigentliche Freiheit. Denn
Freiheit ist, daß wir nicht gebunden sind, daß
wir also frei und lauter und also unvermengt seien, als
wir waren in unserem ersten Ausfluß, und da wir
gefreiet wurden in dem heiligen Geist.»Von dem
erleuchteten Menschen darf gesagt werden, er sei selbst
die Wesenheit, welche aus sich das Gute und das Böse
bestimmt. Er kann gar nicht anders, als das Gute
vollbringen. Denn er dienet nicht dem Guten, sondern das
Gute lebt sich in ihm aus. «Der gerechte Mensch
dienet weder Gott, noch den Kreaturen; denn er ist frei,
und je näher er der Gerechtigkeit ist, desto mehr
ist er die Freiheit selber.» Was kann, für den
Meister Eckhart, dann das Böse nur sein? Es kann nur
das Handeln unter dem Einfluß der untergeordneten
Anschauungsweise sein; das Handeln einer Seele, die nicht
durch den Zustand der Entwerdung durchgegangen
ist. Eine solche Seele ist selbstsüchtig in dem
Sinne, daß sie nur sich will. Sie
könnte nur äußerlich ihr Wollen mit
sittlichen Idealen in Einklang bringen. Die schauende
Seele kann in diesem Sinne nicht selbstsüchtig sein.
Wenn sie auch sich wollte, so wollte sie doch
die Herrschaft des Idealen; denn sie hat sich selbst zu
diesem Idealen gemacht. Sie kann nicht mehr die Ziele der
niederen Natur wollen, denn sie hat nichts mehr mit
dieser niederen Natur gemein. Es bedeutet für die
schauende Seele keinen Zwang, keine Entbehrung, im Sinne
der sittlichen Ideale zu handeln. «Der Mensch, der
da steht in Gottes Willen und in Gottes Minne, dem ist es
eine Lust, alle guten Dinge zu tun, die Gott
will, und alle bösen Dinge zu lassen, die wider Gott
sind. Und es ist ihm unmöglich, ein Ding zu lassen,
das Gott will gewirkt haben. Recht so, dem wäre
unmöglich zu gehen, dem seine Beine gebunden sind,
so unmöglich wäre dem Menschen eine Untugend zu
tun, der in Gottes Willen ist.» Eckhart verwahrt
sich noch ausdrücklich dagegen, daß mit dieser
seiner Anschauung ein Freibrief gegeben wäre
für alles mögliche, was der einzelne will.
Gerade daran erkennt man den Schauenden, daß er gar
nichts mehr als einzelner will. «Es sprechen etliche
Menschen: habe ich Gott und Gottes Freiheit, so mag ich
wohl tun alles, was ich will. Dies Wort verstehen sie
unrecht. Dieweil du irgendein Ding vermagst, das wider
Gott ist und sein Gebot, so hast du Gottes Minne nicht;
du magst die Welt wohl betrügen, als habest du
sie.» Eckhart ist überzeugt, daß der
Seele, die sich bis zu ihrem Grunde vertieft, auf diesem
Grunde auch die vollkommene Sittlichkeit
entgegenleuchtet, daß da alles logische Begreifen
und alles Handeln im gewöhnlichen Sinne aufhört
und eine ganz neue Ordnung des Menschenlebens eintritt.
«Denn alles, was das Verständnis begreifen mag,
und alles, was die Begegnung begehret, das ist ja Gott
nicht. Wo die Verständnis und die Begehrung endet,
da ist es finster, da leuchtet Gott. Da tut sich jene
Kraft in der Seele auf, die weiter ist denn der weite
Himmel... Der Gerechten Seligkeit und Gottes Seligkeit
ist Eine Seligkeit; denn da ist der Gerechte selig, da
Gott selig ist.»
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