Die
Apokalypse des Johannes
Als ein
merkwürdiges Dokument steht am Ende des Neuen Testamentes die Apokalypse,
die geheime Offenbarung Sankt Johannis. Man braucht nur die ersten Worte
zu lesen, um das Geheimnisvolle der Schrift zu ahnen: «Die Offenbarung
Jesu Christi, die Gott ihm dargeboten hat, seinen Dienern zu veranschaulichen,
wie in Kürze sich das notwendige Geschehen abspielt; dieses ist in
Zeichen gesandt durch Gottes Engel seinem Diener Johannes»
(1,1). Was hier geoffenbart wird, ist «in Zeichen gesandt».
Es darf also der wörtliche Sinn nicht als solcher hingenommen werden,
sondern es muß ein tieferer gesucht werden, für den der Wortsinn nur
Zeichen ist. Aber vieles deutet noch auf einen solchen «geheimen
Sinn». Johannes wendet sich an sieben Gemeinden in Asien.
Es können damit nicht sinnlich wirkliche Gemeinden gemeint sein. Denn
die Zahl Sieben ist die heilige symbolische Zahl, die eben
um dieser ihrer symbolischen Bedeutung willen gewählt sein muß. Die
wirkliche Anzahl der asiatischen Gemeinden wäre eine andere gewesen.
Und auf das Geheimnisvolle deutet ferner, wie Johannes zu der Offenbarung
kommt: «Ich war im Geiste an dem Tage des Herrn, und
hörete hinter mir eine Stimme wie eine Posaune, die sprach: Was du siehest,
das schreibe in ein Buch und sende es den sieben Gemeinden» (1,
10–11). Also mit einer Offenbarung hat man es zu tun, die Johannes im
Geiste erhalten hat. Und es ist die Offenbarung Jesu Christi.
In einen geheimen Sinn gehüllt erscheint, was durch den Christus Jesus
der Welt offenbar geworden ist. Ein solcher geheimer Sinn muß also in
der Lehre Christi gesucht werden. Es verhält sich diese Offenbarung
zu dem gewöhnlichen Christentum, wie sich in vorchristlichen Zeiten
die Mysterienoffenbarung zur Volksreligion verhalten hat. Der Versuch
erscheint dadurch gerechtfertigt, diese Apokalypse als Mysterium zu
behandeln.
An sieben Gemeinschaften wendet sich die Apokalypse.
Was ist damit gemeint? Man braucht nur eine der Botschaften herauszugreifen,
um den Sinn zu erkennen. In der ersten wird gesagt: «Schreibe
dem Engel der Gemeinschaft in Ephesus: Dieses schreibt derjenige, welcher
die sieben Sterne in seiner Rechten hält, der, welcher inmitten der
sieben goldenen Lichter wandelt. Ich kenne deine Taten und was du ertragen
hast, und auch deine Ausdauer» und daß du die Bösen nicht stützen
willst, und daß du zur Verantwortung gezogen hast diejenigen, welche
sich Apostel nennen, und es nicht sind, und daß du sie als unecht erkannt
hast. Und du hast Ausdauer, und du hast deine Arbeit auf meinen Namen
gebaut, und du bist darinnen nicht erlahmt. Aber ich verlange von dir,
daß du zu deiner vorzüglichsten Liebe gelangest. Bedenke, wovon du abgefallen
bist, ändere deinen Sinn und verrichte die vorzüglichsten Taten. Wenn
aber nicht, so komme ich und bewege dein Licht von seiner Stelle, es
sei denn, daß du deinen Sinn änderst. Aber das hast du, daß du die Taten
der Nicolaiten verachtest, welche auch ich verachte. Wer Ohren hat,
der höre, was der Geist den Gemeinschaften sagt: Dem Sieger gebe ich
Speise von dem Baum des Lebens, welcher im Paradiese Gottes ist»
(2, 1–7). – Dies ist die Botschaft, welche an den Engel der ersten Gemeinschaft
gerichtet ist. Der Engel, welchen man sich als den Gemeinschaftsgeist
zu denken hat, ist auf dem Wege, der im Christentum vorgezeichnet ist.
Er vermag die falschen Bekenner des Christentums von den wahren zu unterscheiden.
Er will christlich sein; und er hat seine Arbeit auf den Namen Christi
gestützt. Aber es wird von ihm verlangt, daß er durch keinerlei Irrtümer
sich den Weg zu der vorzüglichsten Liebe versperre. Es wird ihm die
Möglichkeit vorgehalten, wie durch solche Irrtümer eine falsche Richtung
verfolgt werden kann. Durch den Christus Jesus ist der Weg vorgezeichnet,
um zu dem Göttlichen zu gelangen. Man braucht Ausdauer, um in dem Sinne
weiter zu schreiten, in dem der erste Impuls gegeben ist. Man kann auch
zu früh vermeinen, den rechten Sinn erfaßt zu haben. Das geschieht,
wenn man sich durch Christus ein Stück des Weges führen läßt und dann
doch diese Führerschaft verläßt, indem man sich falschen Vorstellungen
über dieselbe hingibt. Man fällt dadurch wieder in das Niedrig-Menschliche
zurück. Man kommt von der «vorzüglichsten Liebe» ab. Das
am Sinnlich-Verständlichen haftende Wissen wird in eine höhere Sphäre
gehoben dadurch, daß es zur Weisheit vergeistigt, vergöttlicht wird.
Kommt es zu dieser Erhöhung nicht, so bleibt es im Vergänglichen. Der
Christus Jesus hat den Weg gewiesen zum Ewigen. Das Wissen muß in ungeschwächter
Ausdauer den Weg verfolgen, der es zu einer Vergöttlichung führt. Es
muß in Liebe den Spuren folgen, die es zur Weisheit umwandeln. Die Nicolaiten
waren eine Sekte, welche das Christentum zu leicht nahm. Sie sahen nur
Eines: Christus ist das göttliche Wort, die ewige Weisheit, die im Menschen
geboren wird. Also, so schlossen sie, ist die menschliche Weisheit das
göttliche Wort. Danach brauchte man nur menschlichem Wissen nachzujagen,
um das Göttliche in der Welt zu verwirklichen. Aber so kann der Sinn
der christlichen Weisheit nicht ausgelegt werden. Das Wissen, das zunächst
Menschenweisheit ist, ist ebenso vergänglich wie alles andere, wenn
es nicht erst in göttliche Weisheit umgewandelt wird. So bist du nicht,
sagt der «Geist» zu dem Engel von Ephesus; du hast nicht
bloß auf menschliche Weisheit gepocht. Du hast in Ausdauer den Weg des
Christentums betreten. Aber du darfst nicht glauben, daß nicht die allervorzüglichste
Liebe nötig sei, wenn das Ziel erreicht werden soll. Es ist eine Liebe
dazu notwendig, welche alle Liebe zu anderem weit überragt. Nur eine
solche ist die «vorzüglichste Liebe». Der Weg zum Göttlichen
ist ein unendlicher; und man muß begreifen, daß, wenn man die erste
Stufe erreicht, dies nur die Vorbereitung sein kann, um zu immer höheren
Stufen aufzusteigen. Damit ist an der ersten der Botschaften gezeigt,
wie diese zu deuten sind. In ähnlicher Art kann der Sinn der anderen
gefunden werden.
Johannes
schaute, da er sich umwendet, «sieben goldene Lichter» und
«inmitten der Lichter des Menschensohnes Bild, mit langem Gewande
und mit einem goldenen Gürtel um die Lenden; und sein Haupt und Haar
waren weißglänzend wie weiße Wolle oder Schnee, und seine Augen funkelnd
im Feuer». Wir werden belehrt (1, 20) «die sieben Lichter
sind sieben Gemeinschaften». Damit ist ausgedrückt, daß die Lichter
sieben verschiedene Wege sind, um zum Göttlichen zu gelangen. Sie sind
alle mehr oder weniger unvollkommen. Und der Menschensohn «hatte
sieben Sterne in seiner rechten Hand» (1, 16). «Die sieben
Sterne sind die Engel der sieben Gemeinschaften» (1,20). Die aus
der Mysterienweisheit bekannten «führenden Geister» (Dämonen)
sind hier zu den führenden Engeln der «Gemeinschaften» geworden.
Diese Gemeinschaften werden dabei als Leiber für geistige Wesenheiten
vorgestellt. Und die Engel sind die Seelen dieser «Leiber»,
wie die Menschenseelen die führenden Mächte der Menschenleiber sind.
Die Gemeinschaften sind die Wege zum Göttlichen in der Unvollkommenheit;
und die Gemeinschaft-Seelen sollten die Führer werden auf diesen Wegen.
Dazu müssen sie selbst so werden, daß der Führer für sie die Wesenheit
dessen ist, der die «sieben Sterne» in seiner Rechten hat.
«Und aus seinem Munde kam ein zweischneidiges scharfes Schwert,
und sein Antlitz in seinem Glanze glich der leuchtenden Sonne»
(1,16). Auch in der Mysterienweisheit ist dieses Schwert vorhanden.
Der Einzuweihende wurde durch ein «gezücktes Schwert» erschreckt.
Das deutet auf die Lage, in welche derjenige kommt, der zur Erfahrung
des Göttlichen gelangen will, auf daß ihm das «Angesicht»
der Weisheit «leuchte mit einem Glanze gleich der Sonne».
Durch eine solche Lage geht auch Johannes hindurch. Sie soll eine Prüfung
seiner Stärke sein. «Und da ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen
wie tot; und er legte seine Rechte auf mich und sprach: erschrecke nicht»
(1, 17). Durch die Erlebnisse muß der Einzuweihende hindurchgehen, welche
sonst der Mensch nur beim Durchgang durch den Tod macht. Derjenige,
welcher ihn führt, muß über die Gebiete hinausführen, in denen Geburt
und Tod eine Bedeutung haben. Der Eingeweihte beschreitet ein neues
Leben, «und ich war tot, und sieh, ich bin lebendig geworden durch
die Kreisläufe des Lebens hindurch; und ich habe die Schlüssel des Todes
und des Totenreiches» (1,18). – Also vorbereitet wird Johannes
zu den Geheimnissen des Daseins geführt. «Danach schaute ich;
und sieh, es ward die Türe zum Himmel aufgeschlossen; und die erste
Stimme, die hörbar ward, erklang gleich einer Posaune zu mir und sagte:
Steige hieher, und ich will dir zeigen, was nach diesem geschehen wird»
(4,1). Die Botschaften an die sieben Geister der Gemeinschaften künden
dem Johannes, was in der sinnlich-physischen Welt geschehen soll, um
dem Christentum die Wege zu bereiten; das folgende, was er «im
Geiste» erschaut, führt ihn zum geistigen Urquell der Dinge, welcher
hinter der physischen Entwicklung verborgen ist, aber als ein nächstes
vergeistigtes Zeitalter durch die physische Entwicklung herbeigeführt
werden soll. Der Eingeweihte erlebt das, was in der Zukunft geschehen
soll, als geistiges Erlebnis in der Gegenwart. «Und sogleich ward
ich in das Geistige entrückt. Und ich schaute einen Thron im Himmel,
und auf dem Throne jemand sitzend. Und der Sitzende glich dem Stein
Jaspis und Sardis; und ein Regenbogen umgab den Thron, der einem Smaragd
glich» (4,3–4). Damit wird der Urquell der sinnlichen Welt in
den Bildern beschrieben, in welche er sich für den Seher kleidet. «Und
im Umkreis des Thrones waren vierundzwanzig Throne, und auf den vierundzwanzig
Thronen saßen Älteste, bekleidet mit weißen, wallenden Kleidern, und
mit güldenen Kronen auf den Häuptern» (4, 4). – Auf dem Weisheitspfade
weit vorgeschrittene Wesenheiten umgeben also den Urquell des Daseins,
zu schauen seine unendliche Wesenheit und von ihr Zeugnis zu geben.
«Und inmitten des Thrones und um den Thron waren vier Lebewesen,
besetzt mit Augen vorne und hinten. Und das erste Lebewesen glich einem
Löwen, und das zweite glich einem Stier, und das dritte bot einen Anblick
wie ein Mensch, und das vierte glich einem fliegenden Adler. Und von
den Lebewesen hatte ein jedes sechs Flügel, im Umkreis und inwendig
hatten sie Augen, und sie ließen ohne Unterbrechung bei Tag und bei
Nacht den Ruf ertönen: Heilig, heilig, heilig ist der Herrscher, der
Gott, der Allmächtige, der war, und ist, und der sein wird» (4,
6–8). Unschwer ist zu erkennen, daß die vier Lebewesen das übersinnliche
Leben bedeuten, welches den sinnlichen Lebensformen zugrunde liegt.
Sie erheben ihre Stimme später, da die Posaunen erklingen, das heißt,
wenn das in sinnliche Formen eingeprägte Leben sich in das geistige
umgewandelt hat.
In der
rechten Hand dessen, der auf dem Throne saß, findet sich das Buch, in
dem der Weg zur höchsten Weisheit vorgezeichnet ist (5, 1). Nur einer
ist würdig, das Buch zu öffnen. «Siehe, es hat überwunden der
Löwe, der da ist vom Geschlecht Juda, die Wurzel David, aufzutun das
Buch und dessen sieben Siegel» (5, 5). Sieben Siegel hat das Buch.
Siebenfältig ist Menschenweisheit. Daß sie als siebenfältig bezeichnet
wird, hängt wieder mit der Heiligkeit der Siebenzahl zusammen. Als Siegel
bezeichnet die mystische Weisheit des Philo die ewigen Weltgedanken,
die sich in den Dingen zum Ausdruck bringen. Menschenweisheit sucht
diese Schöpfungsgedanken. Aber erst in dem Buche, das mit ihnen gesiegelt
ist, steht die göttliche Wahrheit. Erst müssen die Grundgedanken der
Schöpfung enthüllt, die Siegel geöffnet werden, dann wird offenbar,
was in dem Buche steht. Jesus, der Löwe, vermag die Siegel zu öffnen.
Er hat den Schöpfungsgedanken eine Richtung gegeben, die, durch sie
hindurch, zur Weisheit führt. – Das Lamm, das erwürget ward, und das
Gott erkauft hat mit seinem Blute, der Jesus, der den Christus in sich
gebracht hat, der also im höchsten Sinne durch das Lebens-Todes- Mysterium
gegangen ist, öffnet das Buch (5,9–10). Und die Lebewesen erklären,
was sie wissen, bei jedem der Siegel (Kap. 6). Beim Öffnen des ersten
Siegels wird für Johannes ein weißes Pferd sichtbar, auf dem ein Reiter
sitzt mit einem Bogen. Die erste Weltmacht, eine Verkörperung des Schöpfungsgedankens,
wird sichtbar. Sie wird von dem neuen Reiter, von dem Christentum in
die angemessene Richtung gebracht. Der Streit wird beschwichtigt durch
den neuen Glauben. Beim Öffnen des zweiten Siegels wird ein rotes Pferd
sichtbar, auf dem wieder ein Reiter sitzt. Er nimmt den Frieden, die
zweite Weltmacht von der Erde, auf daß die Menschheit nicht durch lässiges
Verhalten die Pflege des Göttlichen versäume. Beim dritten Siegelöffnen
zeigt sich die Weltmacht der Gerechtigkeit, geleitet von dem Christentum;
beim vierten die religiöse Macht, der durch das Christentum ein neues
Ansehen gegeben wird. – Die Bedeutung der vier Lebewesen erscheint dadurch
klar. Sie sind die vier Hauptweltmächte, die durch das Christentum eine
neue Führung erhalten sollen, der Krieg: Löwe, die friedliche Arbeit:
der Stier, die Gerechtigkeit: das Wesen mit dem Menschenantlitz, und
der religiöse Aufschwung: der Adler. Die Bedeutung des dritten Wesens
erhellt daraus, daß beim Öffnen des dritten Siegels gesagt wird: «Ein
Maß Weizen um einen Groschen, und drei Maß Gersten um einen Groschen»
(6, 6), und daß der Reiter dabei eine Waage hält. Und beim Öffnen des
vierten Siegels wird ein Reiter sichtbar, des Name hieß «Tod,
und die Hölle folgte ihm nach». Die religiöse Gerechtigkeit ist
der Reiter(6,8).
Und als
das fünfte Siegel eröffnet wird, da erscheinen die Seelen derer, die
schon im Sinne des Christentums gewirkt haben. Der im Christentum verkörperte
Schöpfungsgedanke selbst kommt hier zum Vorschein. Aber mit diesem Christentum
ist zunächst nur die erste christliche Gemeinschaft gemeint, die vergänglich
ist wie andere Schöpfungsformen. Das sechste Siegel wird eröffnet (Kap.
7); es zeigt sich, daß die Geisteswelt des Christentums eine ewige ist.
Das Volk erscheint erfüllt mit dieser Geisteswelt, aus dem das Christentum
selbst hervorgegangen ist. Es ist geheiligt durch seine eigene Schöpfung.
«Und ich hörete die Zahl der Versiegelten, hundert und vier und
vierzig tausend, die versiegelt waren von allen Geschlechtern der Kinder
Israel» (7, 4). Es sind dies diejenigen, welche auf das Ewige
sich vorbereitet haben, bevor es ein Christentum gab, und welche durch
den Christusimpuls verwandelt worden sind. – Es erfolgt die Öffnung
des siebenten Siegels. Es wird ersichtlich, was das wahre Christentum
der Welt wirklich werden soll. Die sieben Engel, die «vor Gott
stehen» (8, 2) erscheinen. Diese sieben Engel sind wieder ins
Christliche übersetzte Geister der alten Mysterienanschauung. Sie sind
also die Geister, die auf wahrhaft christliche Weise zur Gottesanschauung
führen. Was sich nun vollzieht, ist also selbst ein Hinführen zu Gott;
es ist eine «Einweihung», die dem Johannes zuteil wird.
Ihre Verkündigungen begleiten die bei Einweihungen notwendigen Zeichen.
Der erste Engel posaunet. «Und es ward ein Hagel aus Feuer mit
Blut gemenget, und der fiel auf die Erde. Und der dritte Teil der Erde
verbrannte, auch der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne
Gras verbrannte» (8, 7). Und ähnlich geht es bei den Verkündungen,
den Posaunentönen der anderen Engel. – Hier sieht man auch, daß es sich
nicht bloß um eine Einweihung im alten Sinne handelte, sondern um eine
neue, welche an die Stelle der alten treten sollte. Das Christentum
sollte nicht wie die alten Mysterien für wenige Auserwählte sein. Es
sollte für die ganze Menschheit sein. Eine Volksreligion sollte das
Christentum sein; für jeden sollte die Wahrheit bereitet sein, der «Ohren
hat zu hören». Aus vielen ausgesucht wurden die alten Mysten;
die Posaunen des Christentums erklingen für jeden, der sie hören mag.
Es ist seine Sache, herbeizukommen. Deshalb erscheinen aber auch die
Schrecken, welche diese Menschheitseinweihung begleiten, ins Ungeheure
gesteigert. Was aus der Erde und ihren Bewohnern in einer fernen Zukunft
werden soll, enthüllt sich dem Johannes in seiner Einweihung. Es liegt
der Gedanke zugrunde, daß für den Eingeweihten in den höheren Welten
das vorauszusehen ist, was für die niedere Welt erst in der Zukunft
sich verwirklicht. Die sieben Botschaften stellen die Bedeutung des
Christentums für die Gegenwart dar, die sieben Siegel das, was sich
in der Gegenwart durch das Christentum für die Zukunft vorbereitet.
Die Zukunft ist für den Uneingeweihten verhüllt, versiegelt; in der
Einweihung entsiegelt sie sich. Wenn die Erdenzeit vorüber sein wird,
für welche die sieben Botschaften gelten, wird eine geistigere Zeit
beginnen. Dann wird das Leben nicht mehr so verfließen, wie es in den
sinnlichen Formen erscheint, sondern es wird auch äußerlich ein Abbild
seiner übersinnlichen Gestalten sein. Diese übersinnlichen Gestalten
werden durch die vier Tiere und die übrigen Siegelbilder repräsentiert.
In einer noch späteren Zukunft tritt dann jene Gestalt der Erde ein,
welche durch die Posaunen für den Eingeweihten zu erleben ist. So erfährt
der Eingeweihte prophetisch, was geschehen soll. Und der im christlichen
Sinne Eingeweihte erfährt, wie der Christusimpuls in das Erdenleben
eingreift und fortwirkt. Und nachdem gezeigt worden ist, wie alles,
was zu sehr am Vergänglichen hängt, um das wahre Christentum zu erlangen,
den Tod gefunden hat, erscheint der starke Engel mit dem geöffneten
Büchlein und gibt es Johannes: «Und er sprach zu mir: Nimm hin
und verschlinge es; und es wird bitter sein im Magen; doch in deinem
Munde wird es süß sein gleich Honig» (10, 9). Nicht allein
lesen also soll Johannes in dem Büchlein; er soll es ganz in sich
aufnehmen; er soll sich mit seinem Inhalt durchdringen. Was hilft alle
Erkenntnis, wenn der Mensch nicht ganz lebensvoll von ihr durchdrungen
wird. Leben soll die Weisheit werden; nicht Göttliches erkennen
bloß soll der Mensch, vergottet soll der Mensch werden. Solche Weisheit,
wie in dem Buche steht, schmerzt wohl die vergängliche Natur: «es
wird bitter sein im Magen»; aber sie beglückt um so mehr die ewige:
«aber in deinem Munde wird es süß sein gleich Honig.» –
Durch solche Einweihung nur kann das Christentum auf der Erde gegenwärtig
werden. Es tötet alles, was der niederen Natur angehört. «Und
ihre Leichname werden liegen auf dem Platze der großen Stadt, die da
heißt geistlich die Sodoma und Ägypten, da auch ihr Christus gekreuzigt
ist» (11,8). Die Bekenner des Christus sind damit gemeint. Sie
werden mißhandelt werden von den Mächten des Vergänglichen. Was aber
mißhandelt werden wird, sind nur die vergänglichen Glieder der Menschennatur,
über welche sie in ihren wahren Wesenheiten dann gesiegt haben werden.
Ihr Schicksal wird damit ein Abbild des vorbildlichen Schicksals des
Christus Jesus sein. «Geistlich Sodom und Ägypten», ist
das Symbolum für das Leben, das im Äußeren beharrt und sich nicht durch
den Christusimpuls wandelt. Christus ist überall in der niederen
Natur gekreuzigt. Wo diese niedere Natur siegt, da bleibt alles tot.
Die Menschen bedecken als Leichname die Plätze der Städte. Die solches
überwinden werden, die den gekreuzigten Christus zur Erweckung bringen,
die hören die Posaune des siebenten Engels: «Es sind die Reiche
der Welt unseres Herrn und seines Christus entstanden; und er wird regieren
von Weltzeit zu Weltzeit» (11,15). «Und der Tempel Gottes
ward aufgetan im Himmel, und die Lade seines Bundes ward in seinem Tempel
gesehen» (11,19). In der Anschauung dieser Ereignisse erneuert
sich für den Eingeweihten der alte Kampf der niederen und der höheren
Natur. Denn alles, was vorher der Einzuweihende durchzumachen hatte,
das muß sich in dem wiederholen, der die christlichen Wege wandelt.
Wie einst Osiris bedroht war von dem bösen Typhon, so muß auch jetzt
noch der «große Drache, die alte Schlange» (12,9) überwunden
werden. Das Weib, die Menschenseele, gebiert das niedere Wissen, das
eine widrige Macht ist, wenn es nicht zur Weisheit sich steigert. Der
Mensch muß durch dieses niedere Wissen hindurch. Hier in der Apokalypse
erscheint dies niedere Wissen als die «alte Schlange». Von
jeher war in aller mystischen Weisheit die Schlange das Symbol der Erkenntnis.
Von dieser Schlange, von der Erkenntnis, kann der Mensch verführt werden,
wenn er nicht den Gottessohn in sich hervorbringt, der der Schlange
den Kopf zertritt. «Und es ward ausgeworfen der große Drache,
die alte Schlange, die da heißet der Teufel und Satanas, der die ganze
Welt verführet, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden
mit ihm geworfen» (12,9). Man kann es aus diesen Worten lesen,
was das Christentum sein wollte. Eine neue Art der Einweihung. Es sollte
in einer neuen Form erreicht werden, was in den Mysterien erreicht wurde.
Denn auch in ihnen sollte die Schlange überwunden werden. Aber nicht
so sollte das geschehen wie früher. An die Stelle der vielen Mysterien
sollte das Eine, das Urmysterium, das christliche treten. Jesus, in
dem der Logos Fleisch geworden, sollte der Initiator einer ganzen Menschheit
sein. Und diese Menschheit sollte seine eigene Mystengemeinde werden.
Nicht Absonderung Erwählter, sondern Zusammenschluß Aller sollte stattfinden.
Nach Maßgabe seiner Reife sollte jeder ein Myste werden können. Allen
erklingt die Botschaft; wer ein Ohr hat, sie zu hören, der eilt herbei
ihre Geheimnisse zu vernehmen. Die Stimme des Herzens soll bei jedem
einzelnen entscheiden. Nicht hineingeführt in die Mysterientempel soll
dieser oder jener werden, sondern zu allen sollte das Wort gesprochen
werden; der eine vermag es dann weniger stark, der andere stärker zu
hören. Dem Dämon, dem Engel in der eigenen Brust des Menschen wird anheimgegeben,
wie weit er eingeweiht werden kann. Die ganze Welt ist ein Mysterientempel.
Nicht nur jene sollen selig werden, die in den besonderen Mysterientempeln
die wunderbaren Verrichtungen schauen, die ihnen eine Gewähr
geben sollen für das Ewige, sondern «Selig sind, die nicht schauen
und doch glauben» (Joh. 20,29). Mögen sie auch zunächst
im Finstern tappen, vielleicht kommt doch noch das Licht zu ihnen. Keinem
soll etwas vorenthalten werden; jedem soll der Weg offen stehen. -Anschaulich
werden dann weiter in der Apokalypse die Gefahren geschildert, die dem
Christlichen von dem Antichristlichen drohen können, und wie dann das
Christliche dennoch siegen muß. Alle andern Götter gehen auf in der
Einen christlichen Göttlichkeit: «Und die Stadt bedarf keiner
Sonne, noch des Mondes, daß sie ihr scheinen; denn die Offenbarung Gottes
erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm» (21,23). Es ist
das Mysterium der «Offenbarung Sankt Johannis», daß die
Mysterien nicht mehr verschlossen sein sollen. «Und er spricht
zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung in diesem Buche; denn
die Gottheit ist nahe» (22,10). – Was der Verfasser der Apokalypse
für einen Glauben hatte über das Verhältnis seiner Kirche zu den alten
Kirchen: das hat er dargelegt. Er hat sich über die Mysterien selbst
in einem geistigen Mysterium aussprechen wollen. Auf der Insel Patmos
hat der Verfasser sein Mysterium geschrieben. In einer Grotte soll er
die «Offenbarung» erhalten haben. In dieser Mitteilung ist
selbst der Mysteriencharakter der Offenbarung ausgedrückt. Also aus
den Mysterien ist das Christentum hervorgegangen. Seine Weisheit wird
in der Apokalypse selbst als ein Mysterium geboren; aber als ein Mysterium,
das über den Rahmen der alten Mysterienwelt hinausgehen will. Das Einzelmysterium
soll universelles Mysterium werden. – Es könnte ein Widerspruch darin
gefunden werden, daß hier gesagt wird, die Geheimnisse der Mysterien
seien durch das Christentum offenbar geworden, und daß dann doch wieder
in dem Erleben der geistigen Schauungen des Apokalyptikers ein christliches
Mysterium gesehen wird. Der Widerspruch löst sich, sobald man bedenkt:
die Geheimnisse der alten Mysterien sind durch die Vorgänge in Palästina
offenbar geworden. Dadurch hat sich enthüllt, was vorher verhüllt in
den Mysterien war. Ein neues Geheimnis ist nun, was in die Weltentwicklung
durch die Erscheinung Christi eingefügt worden ist. Der alte Eingeweihte
erlebte in der geistigen Welt, wie die Entwicklung auf den noch «verborgenen
Christus» hinweist; der christliche Eingeweihte erfährt die verborgenen
Wirkungen des «offenbaren Christus».
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