Fragenbeantwortung
Es liegt folgende Frage vor: Wenn wir durch
immer neue Verkörperungen in den aufeinanderfolgenden Rassen uns
neue Fähigkeiten aneignen sollen, wenn ferner nichts von dem,
was die Seele durch Erfahrung sich angeeignet hat, aus ihrem
Vorratsschatz wieder verlorengehen soll, — wie erklärt es
sich, daß in der Menschheit von heute so gar nichts
übriggeblieben ist von den zu jenen Zeiten so hochentwickelten
Fähigkeiten des Willens, der Vorstellung, der Beherrschung von
Naturkräften?
In der Tat geht nichts verloren von den
Fähigkeiten, welche sich die Seele bei ihrem Durchgang durch
eine Entwickelungsstufe erworben hat. Aber wenn eine neue
Fähigkeit erworben wird, so nimmt die vorher erworbene eine
andere Form an. Sie lebt sich dann nicht mehr für sich selbst
aus, sondern als Grundlage für die neue Fähigkeit.
Bei den Atlantiern war zum Beispiel die Fähigkeit des
Gedächtnisses angeeignet worden. Der gegenwärtige Mensch
kann sich in der Tat nur sehr schwache Vorstellungen von dem machen,
was das Gedächtnis eines Atlantiers zu leisten vermochte. Alles
das nun, was in unserer fünften Wurzelrasse als gleichsam
angeborene Vorstellungen auftritt, ist in Atlantis durch das
Gedächtnis erst erworben worden. Die Raum-, Zeit-,
Zahlenvorstellungen usw. würden ganz andere Schwierigkeiten
machen, wenn sich sie der gegenwärtige Mensch erst erwerben
sollte. Denn die Fähigkeit, die sich dieser gegenwärtige
Mensch aneignen soll, ist der kombinierende Verstand. Eine Logik gab
es bei den Atlantiern nicht. Nun muß aber jede früher
erworbene Seelenkraft in ihrer eigenen Form zurücktreten,
hinuntertauchen unter die Schwelle des Bewußtseins, wenn eine
neue erworben werden soll. Der Biber müßte seine
Fähigkeit, intuitiv seine künstlichen Bauten
aufzuführen, in etwas anderes verwandeln, wenn er zum Beispiel
plötzlich ein denkendes Wesen würde. — die Atlantier
hatten zum Beispiel auch die Fähigkeit, die Lebenskraft in einer
gewissen Weise zu beherrschen. Ihre wunderbaren Maschinen
konstruierten sie durch diese Kraft. Aber sie hatten dafür gar
nichts von dem, was die Völker der fünften Wurzelrasse als
Gabe zu erzählen haben. Es gab bei ihnen noch nichts von Mythen
und Märchen. In der Maske der Mythologie trat zunächst bei
den Angehörigen unserer Rasse die Lebenbeherrschende Kraft der
Atlantier auf. Und in dieser Form konnte sie die Grundlage werden
für die Verstandestätigkeit unserer Rasse. Die großen
Erfinder unserer Rasse sind Inkarnationen von «Sehern» der
atlantischen Rasse. In ihren genialen Einfällen lebt sich etwas
aus, das ein anderes zur Grundlage hat, etwas, das während ihrer
atlantischen Inkarnation als Lebenschaffende Kraft in ihnen war.
Unsere Logik, Naturkenntnis, Technik und so weiter wachsen aus einem
Boden heraus, der in der Atlantis gelegt worden ist. Könnte zum
Beispiel ein Techniker seine kombinierende Kraft
zurückverwandeln, so käme etwas heraus, was der Atlantier
vermochte. Die gesamte römische Jurisprudenz war umgewandelte
Willenskraft einer früheren Zeit. Der Wille selbst blieb dabei
im Hintergrunde, und statt selbst Formen anzunehmen,
verwandelte er sich in die Gedankenformen, die sich in den
Rechtsbegriffen ausleben. Der Schönheitssinn der Griechen ist
auf der Grundlage unmittelbarer Kräfte erbaut, die sich bei den
Atlantiern in einer großartigen Züchtung von Pflanzen und
Tierformen ausleben. In Phidias Phantasie lebte etwas, was der
Atlantier unmittelbar zur Umgestaltung von wirklichen Lebewesen
verwandte.
Eine weitere Frage ist
die folgende: Wie verhält sich die Geisteswissenschaft
(Theosophie) zu den so genannten Geheimwissenschaften?
Geheimwissenschaften hat es
immer gegeben. Sie wurden in den sogenannten Geheimschulen gepflegt.
Nur derjenige konnte von ihnen etwas erfahren, der sich gewissen
Prüfungen unterzog. Es wurde ihm immer nur so viel mitgeteilt,
als seinen intellektuellen, geistigen und moralischen
Fähigkeiten entsprach. Das mußte so sein, weil die
höheren Erkenntnisse, richtig angewendet, der Schlüssel zu
einer Macht sind, die in den Händen der Unvorbereiteten zum
Mißbrauch führen muß. Durch die Geisteswissenschaft
sind nun einige, die elementaren Lehren der Geheimwissenschaft
popularisiert worden. Der Grund dazu liegt in den gegenwärtigen
Zeitverhältnissen. Die Menschheit ist heute in ihren
vorgeschritteneren Mitgliedern in bezug auf die Ausbildung des
Verstandes so weit, daß sie über kurz oder lang von selbst
zu gewissen Vorstellungen kommen würde, die vorher ein Glied des
Geheimwissens waren. Allein sie würde sich diese Vorstellungen
in einer verkümmerten, karikierten und schädlichen Form
aneignen. Deshalb haben sich Geheimkundige entschlossen, einen Teil
des Geheimwissens der Öffentlichkeit mitzuteilen. Dadurch wird
die Möglichkeit geboten sein, die in der Kulturentwickelung
auftretenden menschlichen Fortschritte mit dem Maßstabe wahrer
Weisheit zu messen. Unsere Naturerkenntnis führt zum Beispiel zu
Vorstellungen über die Gründe der Dinge. Aber ohne
geheimwissenschaftliche Vertiefung können diese Vorstellungen
nur Zerrbilder werden. Unsere Technik schreitet Entwickelungsstadien
zu, welche nur dann zum Heile der Menschheit ausschlagen können,
wenn die Seelen der Menschen im Sinne der geisteswissenschaftlichen
Lebensauffassung vertieft sein werden. So lange die Völker
nichts hatten von moderner Naturerkenntnis und moderner Technik, war
die Form heilsam, in der die höchsten Lehren in religiösen
Bildern, in einer zum bloßen Gefühle sprechenden Art
mitgeteilt worden sind. Heute braucht die Menschheit dieselben
Wahrheiten in einer verstandesmäßigen Form. Nicht der
Willkür ist die geisteswissenschaftliche Weltanschauung
entsprungen, sondern der Einsicht in die angegebene historische
Tatsache. — Gewisse Teile der Geheimkunde können
allerdings auch heute nur solchen mitgeteilt werden, die sich den
Prüfungen der Einweihung unterwerfen. Und auch mit dem
veröffentlichten Teile werden nur diejenigen etwas anzufangen
wissen, welche sich nicht auf ein äußerliches
Kenntnisnehmen beschränken, sondern die sich die Dinge wirklich
innerlich aneignen, sie zum Inhalt und zur Richtschnur ihres Lebens
machen. Es kommt nicht darauf an, die Lehren der Geisteswissenschaft
verstandesmäßig zu beherrschen, sondern Gefühl,
Empfindung, ja das ganze Leben mit ihnen zu durchdringen. Nur
durch eine solche Durchdringung erfährt man auch etwas von ihrem
Wahrheitswert. Sonst bleiben sie doch nur etwas, was «man
glauben und auch nicht glauben kann»). Richtig verstanden,
werden die geisteswissenschaftlichen Wahrheiten dem Menschen eine
wahre Lebensgrundlage geben, ihn seinen Wert, seine Würde und
Wesenheit erkennen lassen, den höchsten Daseinsmut geben. Denn
sie klären ihn über seinen Zusammenhang mit der Welt rings
um ihn her auf; sie verweisen ihn auf seine höchsten Ziele, auf
seine wahre Bestimmung. Und sie tun dies in einer Weise, wie es den
Ansprüchen der Gegenwart gemäß ist, so daß er
nicht in dem Zwiespalt zwischen Glauben und Wissen befangen zu
bleiben braucht. Man kann moderner Forscher und Geistesforscher
zugleich sein. Allerdings muß man dann auch beides im echten
Sinne sein.
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