III.
Kapitel
Entsprechend den vorangehenden Ausführungen kann man die
geistige Leitung im Werdegang der Menschheitsentwickelung bei
den Wesenheiten suchen, welche ihre Menschheit während der
vorigen Verkörperung des Erdenplaneten - während der
alten Mondenzeit - durchgemacht haben. Dieser Leitung stellt
sich eine andere entgegen, die erstere hemmend und doch im
Hemmen in gewisser Beziehung wieder fördernd, welche von
den Wesenheiten ausgeübt wird, die während der
Mondenzeit ihre eigene Entwickelung nicht vollendet haben.
Damit ist hingedeutet auf die führenden Wesenheiten,
welche unmittelbar über dem Menschen stehen. Auf
diejenigen sowohl, welche vorwärts führen wie auch
auf diejenigen, welche dadurch fördern, daß sie
Widerstände hervorrufen und dadurch die Kräfte,
welche durch die vorwärtsbewegenden Wesenheiten entstehen,
in sich erstarken, festigen, ihnen Gewicht und Eigennatur
verleihen. Im Sinne der christlichen Esoterik kann man diese
zwei Klassen von übermenschlichen Wesen Engel (Angeloi)
nennen. Über diesen Wesenheiten stehen in der Rangordnung
nach aufwärts diejenigen der höheren Hierarchien, der
Archangelol, Archai und so weiter, die sich ebenfalls an der
Menschheitsführung beteiligen. Innerhalb der Klassen
dieser verschiedenen Wesenheiten gibt es alle möglichen
Abstufungen in bezug auf die Vollkommenheitsgrade. Es gibt zum
Beispiel in der Kategorie der Angeloi beim Beginn der
gegenwärtigen Erdentwickelung höchststehende und
weniger hochstehende. Die ersteren sind über das
Mindestmaß ihrer Mondentwickelung weit hinausgeschritten.
Zwischen diesen und jenen, welche dieses Mindestmaß eben
erreicht hatten, als die Mondentwickelung zu Ende war und die
Erdentwickelung begann, stehen alle möglichen Abstufungen.
Gemäß diesen Abstufungen geschieht das Eingreifen der
betreffenden Wesenheiten in die Führung der
Erdentwickelung der Menschheit. So haben in der
ägyptischen Kulturentwickelung die Führung Wesen
ausgeübt, welche auf dem Monde vollkommener geworden waren
als diejenigen, welche in der griechisch-lateinischen Zeit
Führer waren. Und diese waren wieder vollkommener als
diejenigen, welche in der gegenwärtigen Zeit führen.
In der ägyptischen beziehungsweise griechischen Zeit haben
die später in die Führung eingreifenden sich
mittlerweile selbst ausgebildet und sich so zur Führung
der weiter gekommenen Kultur reif gemacht.
Man
unterscheidet von der Zeit der großen atlantischen
Katastrophe ab sieben aufeinanderfolgende Kulturepochen: die
erste ist die uralt-indische Kulturperiode, darauf folgt die
urpersische
[Mit «urpersisch» wird hier
nicht das bezeichnet, was in der gewöhnlichen Geschichte
«persisch» heißt, sondern eine alte asiatische
vorgeschichtliche (iranische) Kultur, welche auf dem Boden sich
entwickelte, auf dem sich später das persische Reich
ausdehnte.],
die dritte ist die
ägyptisch-chaldäische, die vierte die
griechisch-lateinische und die fünfte ist unsere eigene,
die etwa seit der Zeit des zwölften Jahrhunderts sich
allmählich herausgebildet hat, und in der wir noch mitten
drinnen stehen. Allerdings bereiten sich in unserer Zeit schon
die ersten Tatsachen vor, welche zur sechsten nachatlantischen
Kulturperiode hinüberführen werden. Denn die
einzelnen Entwickelungszeiten greifen übereinander. Auf
die sechste Epoche wird dann noch eine siebente folgen. Genauer
angesehen, erweist sich nun für die
Menschheitsführung das Folgende. Nur für die dritte
Kulturperiode, die ägyptisch-chaldäische, waren die
Engel (oder niedern dhyanischen Wesenheiten im Sinne der
orientalischen Mystik) die in einem gewissen Grade
selbständigen Führer der Menschen. Für die
urpersische Zeit war es schon nicht so. Da unterstanden die
Engel in einem viel höheren Maße als während der
ägyptischen Zeit einer höheren Führung und
richteten alles so ein, wie es den Impulsen der
nächsthöheren Hierarchie entsprach, so daß alles
zwar unter der Leitung der Engel stand, aber diese selbst
fügten sich wieder der Anordnung der Erzengel oder der
Archangeloi. Und in der indischen Kulturperiode, in welcher das
nachatlantische Leben eine solche Höhe in geistiger
Beziehung hatte, wie nachher vorläufig nicht wieder - eine
natürliche Höhe unter der Leitung der großen
menschlichen Lehrer -, da unterstanden die Erzengel selber
wieder in ähnlichem Sinne der Führung der Archai oder
Urbeginne.
Verfolgt man also von der indischen Zeit durch die urpersische
und ägyptisch-chaldäische Kultur hindurch die
Entwickelung der Menschheit, so kann man sagen, daß sich
gewisse Wesenheiten der höheren Hierarchien sozusagen
immer mehr und mehr zurückzogen von der unmittelbaren
Leitung der Menschheit. Und wie war es in der vierten
nachatlantischen Kulturperiode, der griechisch-lateinischen
Zeit? Da war der Mensch in gewisser Richtung ganz
selbständig geworden. Die führenden
übermenschlichen Wesenheiten griffen zwar in den Werdegang
der Menschheitsentwickelung ein; allein ihre Führung war
so, daß die Zügel möglichst wenig angezogen
waren, daß die Geistes-Führer für sich
ebensoviel durch die Taten der Menschen hatten, wie diese durch
jene. Daher jene eigentümliche, ganz
«menschliche» Kultur in der griechisch-römischen
Zeit, in welcher der Mensch völlig auf sich selbst
gestellt ist.
Alle Eigentümlichkeiten in der Kunst, im staatlichen Leben
während der griechischen und römischen Zeit sind
darauf zurückzuführen, daß der Mensch sich
sozusagen selbst in seiner Eigenart ausleben sollte. Wenn wir
also in die ältesten Zeiten der Kulturentwickelung
zurückblicken, finden wir führende Wesenheiten,
welche ihre Entwickelung bis zum Menschen in früheren
planetarischen Zuständen abgeschlossen hatten. Die vierte
nachatlantische Kulturepoche war dazu da, den Menschen am
allermeisten zu prüfen. Daher war das auch die Zeit, in
welcher sich die ganze geistige Führung der Menschheit in
einer neuen Art einrichten mußte. Die Menschen der
Gegenwart leben in der fünften nachatlantischen
Kulturepoche. Die führenden Wesenheiten dieser Epoche
gehören derselben Hierarchie an, die bei den alten
Ägyptern und Chaldäern herrschend war. In der Tat
beginnen dieselben Wesenheiten, welche damals geführt
haben, wieder in unserer Zeit ihre Tätigkeiten. Es ist
angeführt worden, daß gewisse Wesenheiten
während der ägyptisch-chaldäischen Kultur
zurückgeblieben sind, und daß man diese in den
materialistischen Gefühlen und Empfindungen unserer Zeit
findet.
Der
Fortschritt, sowohl der vorwärtsführenden wie der
hemmenden Wesenheiten, die zur Klasse der Engel (oder niedern
dhyanischen Wesenheiten) gehören, besteht darin, daß
sie bei den Ägyptern und Chaldäern durch diejenigen
Eigenschaften Führer sein konnten, welche sie selber in
uralten Zeiten errungen hatten, daß sie sich aber durch
ihre Führerarbeit auch weiter entwickelten. So treten die
fortschreitenden Angeloi in die Leitung der fünften
nachatlantischen Kulturentwickelung mit Fähigkeiten ein,
welche sie sich während der dritten, der
ägyptisch-chaldäischen, erworben haben. Sie eignen
sich nun durch diesen ihren Fortschritt ganz besondere
Fähigkeiten an. Sie machen sich nämlich geeignet, in
sich die Kräfte einfließen zu lassen, welche von dem
wichtigsten Wesen der ganzen Erdenentwickelung ausgehen. Auf
sie wirkt die Kraft Christi. Diese Kraft wirkt nämlich
nicht nur durch Jesus von Nazareth auf die physische Welt,
sondern sie wirkt auch in den geistigen Welten auf die
übermenschlichen Wesen. Der Christus existiert nicht nur
für die Erde, sondern auch für diese Wesenheiten.
Dieselben Wesenheiten, welche die alte
ägyptisch-chaldäische Kultur geführt haben,
standen damals nicht unter der Leitung des Christus, sondern
sie haben sich erst seit der ägyptisch-chaldäischen
Zeit der Führung des Christus unterstellt. Und darin
besteht ihr Fortschritt, so daß sie jetzt unsere
fünfte nachatlantische Kulturperiode unter dem Einflusse
des Christus leiten; sie folgen ihm in den höheren Welten.
Und das Zurückbleiben derjenigen Wesenheiten, von denen
gesagt worden ist, daß sie als hemmende Kräfte
wirken, rührt davon her, daß diese sich nicht
unterstellt haben der Führung des Christus, so daß
sie unabhängig von dem Christus weiter wirken. Daher wird
immer deutlicher und deutlicher folgendes in der Kultur der
Menschheit hervortreten. Es wird eine materialistische
Strömung geben, die unter der Führung der
zurückgebliebenen ägyptisch-chaldäischen Geister
steht; sie wird einen materialistischen Charakter haben. Das
meiste, was man die heutige materialistische Wissenschaft in
allen Ländern nennen kann, steht unter diesem
Einfluß. Aber daneben macht sich eine andere Strömung
geltend, die darauf hinzielt, daß der Mensch bei allem,
was er tut, endlich das finden wird, was man das
Christus-Prinzip nennen kann. Es gibt heute zum Beispiel
Menschen, welche sagen: Unsere Welt besteht im letzten Grunde
aus Atomen. Wer flößt denn dem Menschen die Gedanken
ein, daß die Welt aus Atomen bestehe? Das sind die
während der ägyptisch-chaldäischen Zeit
zurückgebliebenen übermenschlichen
Engelwesenheiten.
Was
werden nun die Wesenheiten lehren, welche ihr Ziel im alten
ägyptisch-chaldäischen Kulturgebiet erreicht haben,
und die damals den Christus kennengelernt haben? Sie werden dem
Menschen andere Gedanken einflößen können als
die, daß es nur stoffliche Atome gebe; denn sie werden den
Menschen lehren können, daß bis in die kleinsten
Teile der Welt hinein die Substanz von dem Geiste des Christus
durchzogen ist. Und so sonderbar es erscheinen mag:
Künftig werden Chemiker und Physiker kommen, welche Chemie
und Physik nicht so lehren, wie man sie heute lehrt unter dem
Einfluß der zurückgebliebenen
ägyptisch-chaldäischen Geister, sondern welche lehren
werden: Die Materie ist aufgebaut in dem Sinne, wie der
Christus sie nach und nach angeordnet hat! - Man wird den
Christus bis in die Gesetze der Chemie und Physik hinein
finden. Eine spirituelle Chemie, eine spirituelle Physik ist
das, was in der Zukunft kommen wird. Heute erscheint das ganz
gewiß vielen Leuten als eine Träumerei oder
Schlimmeres. Aber was oft die Vernunft der kommenden Zeiten
ist, das ist für die vorhergehenden Torheit.
Die
Faktoren, welche in diesem Sinne in die menschliche
Kulturentwickelung eingreifen, sind schon jetzt für den
genauer Zusehenden zu bemerken. Ein solcher kennt aber auch
ganz gut, was vom gegenwärtigen wissenschaftlichen oder
philosophischen Standpunkt aus mit einem scheinbaren Recht
gegen diese vermeintliche Torheit einzuwenden ist.
Von
solchen Voraussetzungen aus versteht man auch, was die
führenden übermenschlichen Wesenheiten voraus haben
vor den Menschen. Die Menschen in der nachatlantischen Zeit
haben den Christus in der vierten nachatlantischen
Kulturperiode, in der griechisch-lateinischen Zeit
kennengelernt. Denn während des Ablaufes dieser
Kulturepoche fällt das Christus-Ereignis in die
Entwickelung hinein. Da lernten die Menschen den Christus
kennen. Die übermenschlichen leitenden Wesenheiten haben
ihn während der ägyptisch-chaldäischen Zeit
kennengelernt und sich zu ihm emporgearbeitet. Sie mußten
dann während der griechisch-lateinischen Zeit die Menschen
ihrem eigenen Schicksal überlassen, um dann später
wieder in die Menschheitsentwickelung einzugreifen. Und wenn
man heute Theosophie treibt, so bedeutet das nichts anderes,
als die Anerkennung der Tatsache, daß die
übermenschlichen Wesenheiten, welche die Menschheit
geleitet haben, jetzt ihre Führerschaft so fortsetzen,
daß sie sich selber unter der Führung des Christus
befinden. - So ist es auch mit andern Wesenheiten.
In
der urpersischen Zeit waren die Erzengel an der Führung
der Menschheit beteiligt. Sie haben nun noch früher sich
dem Christus unterstellt als die im Rang unter ihnen
befindlichen Wesenheiten. Von Zarathustra kann gesagt werden,
daß er seine Anhänger und sein Volk auf die Sonne
hinwies und etwa sagte: In der Sonne lebt der große Geist
Ahura Mazdao, der hernieder kommen wird zur Erde! - Denn die
Wesenheiten aus der Region der Erzengel, welche den Zarathustra
führten, wiesen ihn hin auf den großen
Sonnenführer, der damals noch nicht auf die Erde
heruntergekommen war, sondern erst den Weg dahin angetreten
hatte, um später in die Erdentwickelung unmittelbar
einzugreifen. Und die führenden Wesenheiten, welche den
großen Lehrern der Inder vorstanden, haben diese gewiesen
auf den Christus der Zukunft; denn es ist ein Irrtum, wenn man
meint, diese Lehrer hätten den Christus nicht geahnt. Sie
haben gesagt, daß er «über ihrer
Sphäre» sei, daß sie ihn «nicht erreichen
könnten».
Wie
nun die Engel in unserer fünften Kulturperiode es sind,
die den Christus heruntertragen in unsere geistige
Entwickelung, so werden in der sechsten Kulturperiode
diejenigen Wesen aus der Klasse der Erzengel die Kultur
führen, welche die urpersische Kulturperiode geleitet
haben. Und die Geister des Urbeginnes, die Archai, welche die
Menschheit während der alten indischen Zeit leiteten, sie
werden unter dem Christus in der siebenten Kulturepoche die
Menschheit zu lenken haben. In der griechisch-lateinischen Zeit
war der Christus heruntergestiegen aus geistigen Höhen und
hat sich geoffenbart im fleischlichen Leibe des Jesus von
Nazareth. Er ist da heruntergestiegen bis in die physische
Welt. In der nächsthöheren Welt wird er zu finden
sein, wenn die Menschheit dazu reif geworden sein wird. Nicht
in der physischen Welt kann er in Zukunft zu finden sein,
sondern nur in den nächsthöheren Welten. Denn die
Menschen werden nicht dieselben geblieben sein; sie werden
reifer geworden sein und den Christus finden, wie ihn Paulus
durch das Ereignis vor Damaskus, in dieser Beziehung die
Zukunft prophetisch voraussehend, in der geistigen Welt
gefunden hat. Und wie es in unserer Zeit dieselben großen
Lehrer sind, welche schon in der
ägyptisch-chaldäischen Kultur die Menschen geleitet
haben, so werden sie auch diejenigen sein, welche im
zwanzigsten Jahrhundert die Menschen hinaufführen werden
zu einem Schauen des Christus, wie ihn Paulus gesehen hat. Sie
werden dem Menschen zeigen, wie der Christus nicht nur auf die
Erde wirkt, sondern das ganze Sonnensystem durchgeistigt. Und
als einen Geist, der geahnt wurde durch das einheitliche
Brahman, in das aber erst der richtige Inhalt durch den
Christus einziehen kann, werden auch die, welche die
wiederverkörperten heiligen Lehrer Indiens in der
siebenten Kulturperiode sein werden, den großen gewaltigen
Geist verkünden, von dem sie damals gesagt haben, daß
er über ihrer Sphäre walte. So wird die Menschheit
von Stufe zu Stufe hinaufgeleitet werden in die geistige
Welt.
So
über den Christus zu sprechen, wie er Führer ist in
den aufeinanderfolgenden Welten auch für die höheren
Hierarchien, das lehrt die Wissenschaft, die unter der Signatur
des Rosenkreuzes seit dem zwölften, dreizehnten
Jahrhundert in unsere Kultur eingetreten ist, und von der
gezeigt worden ist, daß sie seit dieser Zeit notwendig
geworden ist. Betrachtet man im Sinne dieser Anschauung die
Wesenheit näher, welche in Palästina gelebt hat, und
welche dann das Mysterium von Golgatha vollbracht hat, so zeigt
sich das Folgende.
Es
hat bis in unsere Gegenwart herein viele Vorstellungen
über den Christus gegeben. Da gab es zum Beispiel die
Vorstellung gewisser christlicher Gnostiker der ersten
Jahrhunderte, welche sagten: Der Christus, der gelebt hat in
Palästina, war überhaupt in keinem physischen
fleischlichen Leib vorhanden; er habe nur einen Scheinleib
gehabt, einen Ätherleib, der physisch sichtbar geworden
war; so daß also auch sein Kreuzestod kein wirklicher Tod
gewesen wäre, sondern nur ein scheinbarer, weil eben nur
ein Ätherleib vorhanden war. Dann findet man die
verschiedenen Streitigkeiten unter den Anhängern des
Christentums, so zum Beispiel den bekannten Streit zwischen den
Arianern und Athanasianern und so weiter, und auch bei ihnen
die verschiedensten Auslegungen über das, was der Christus
eigentlich sei. Bis in unsere Zeit hinein machen sich die
Menschen die mannigfaltigsten Vorstellungen über den
Christus.
Die
Geisteswissenschaft muß in Christus nicht bloß eine
irdische, sondern eine kosmische Wesenheit erkennen. In
gewissem Sinne ist der Mensch überhaupt ein kosmisches
Wesen. Er lebt ein zweifaches Leben. Ein solches im physischen
Leib von der Geburt bis zum Tode, und ein Leben in den
geistigen Welten zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Ist
nun der Mensch in einem physischen Leibe verkörpert, dann
lebt er - weil der physische Leib auf die Daseinsbedingungen
und Kräfte der Erde angewiesen ist - in Abhängigkeit
von der Erde. Aber der Mensch nimmt nicht nur die Stoffe und
Kräfte der Erde in sich auf, sondern er ist eingegliedert
in den ganzen physischen Erdorganismus, gehört zu ihm.
Wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist, dann
gehört er nicht den Kräften der Erde an; aber es
wäre unrichtig, sich vorzustellen, daß er dann
keinerlei Kräften angehörte, sondern er ist dann
verbunden mit den Kräften des Sonnensystems und der
weiteren Sternensysteme. Er lebt zwischen Tod und neuer Geburt
ebenso im Kosmischen, wie er in der Zeit von der Geburt bis zum
Tode im Bereich des Irdischen lebt. Er gehört vom Tode bis
zur neuen Geburt dem Kosmos an, wie er auf der Erde
angehört den Elementen Luft, Wasser, Erde und so weiter.
Indem er das Leben durchlebt zwischen Tod und neuer Geburt,
kommt er in den Bereich der kosmischen Einwirkungen. Von den
Planeten kommen nicht etwa bloß die physischen
Kräfte, welche die physische Astronomie lehrt, die
Schwerkraft und die anderen physischen Kräfte, sondern
auch geistige Kräfte. Und mit diesen geistigen
Kräften des Kosmos steht der Mensch in Verbindung; und
zwar jeder Mensch in einer besonderen Weise, je nach seiner
Individualität. Er lebt, wenn er in Europa geboren ist,
mit den Wärmeverhältnissen und so weiter in einem
anderen Zusammenhange, als wenn er zum Beispiel in Australien
geboren wäre. Ebenso steht er im Leben zwischen Tod und
neuer Geburt in Beziehung: der eine mehr zu den geistigen
Kräften des Mars, der andere mehr zu denen des Jupiter,
mancher mehr zu jenen des ganzen Planetensystems überhaupt
und so weiter. Und diese Kräfte sind es auch, die den
Menschen wieder auf die Erde zurückführen. So lebt er
die Zeit vor einer Geburt mit dem gesamten Sternenraum in
Verbindung.
Nach diesen besonderen Verhältnissen eines Menschen zum
kosmischen System bestimmen sich auch die Kräfte, die
einen Menschen zu diesem oder jenem Elternpaar, in diese oder
jene Gegend hinleiten. Der Trieb, der Impuls, sich da oder
dort, in diese oder jene Familie, in dieses oder jenes Volk, zu
diesem oder jenem Zeitpunkt zu inkarnieren, hängt davon
ab, wie der Mensch vor der Geburt in den Kosmos eingegliedert
ist.
Man
hatte in der älteren Zeit im deutschen Sprachgebiet einen
Ausdruck, der außerordentlich bezeichnend war für den
Eintritt der Geburt eines Menschen. Wenn ein Mensch geboren
wurde, sagte man, er sei da oder dort jung geworden. Darinnen
liegt ein unbewußter Hinweis darauf, daß der Mensch
in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt zuerst den
Kräften weiter untersteht, welche ihn in der
vorhergehenden Verkörperung alt gemacht haben, und
daß an deren Stelle dann noch vor der Geburt solche
treten, welche ihn wieder «jung» machen. So gebraucht
noch Goethe im «Faust» den Ausdruck «im
Nebellande jung geworden», wobei «Nebelland» der
alte Name für das mittelalterliche Deutschland ist.
Dem
Stellen des Horoskops liegt die Wahrheit zum Grunde, daß
der Kenner dieser Dinge die Kräfte lesen kann, nach denen
sich der Mensch in das physische Dasein hereinfindet. Einem
Menschen ist ein bestimmtes Horoskop zugeordnet, weil in
demselben sich die Kräfte ausdrücken, die ihn ins
Dasein geführt haben. Wenn so zum Beispiel im Horoskop der
Mars über dem Widder steht, so heißt das, daß
gewisse Widderkräfte nicht durch den Mars durchgelassen
werden, daß sie abgeschwächt werden. Es wird also der
Mensch in das physische Dasein hineingestellt, und das Horoskop
ist das, wonach er sich richtet, bevor er sich hineinbegibt in
das irdische Dasein. Es soll diese Sache, die ja in unserer
Gegenwart so gewagt erscheint, nicht berührt werden, ohne
darauf aufmerksam zu machen, daß fast alles, was in dieser
Richtung jetzt getrieben wird, der reinste Dilettantismus ist -
ein wahrer Aberglaube -, und daß für die
äußere Welt die wahre Wissenschaft von diesen Dingen
zum großen Teile ganz verloren gegangen ist. Man soll
daher die prinzipiellen Dinge, welche hier gesagt werden, nicht
beurteilen nach dem, was gegenwärtig vielfach als
Astrologie ein fragwürdiges Dasein führt.
Was
den Menschen hereintreibt in die physische Verkörperung,
das sind die wirksamen Kräfte der Sternenwelt. Wenn das
hellseherische Bewußtsein einen Menschen betrachtet, so
kann es an seiner Organisation wahrnehmen, wie diese
tatsächlich ein Ergebnis des Zusammenwirkens von
kosmischen Kräften ist. Dies soll nun in hypothetischer,
aber völlig den hellseherischen Wahrnehmungen
entsprechender Form veranschaulicht werden.
Wenn man das physische Gehirn eines Menschen herausnehmen und
es hellseherisch untersuchen würde, wie es konstruiert
ist, so daß man sehen würde, wie gewisse Teile an
bestimmten Stellen sitzen und Fortsätze aussenden, so
würde man finden, daß das Gehirn bei jedem Menschen
anders ist. Nicht zwei Menschen haben ein gleiches Gehirn. Aber
man denke sich nun, man könnte dieses Gehirn mit seiner
ganzen Struktur photographieren, so daß man eine Art
Halbkugel hätte und alle Einzelheiten daran sichtbar
wären, so gäbe dies für jeden Menschen ein
anderes Bild. Und wenn man das Gehirn eines Menschen
photographierte in dem Moment, in dem er geboren wird, und dann
auch den Himmelsraum photographierte, der genau über dem
Geburtsort dieses Menschen liegt, so zeigte dieses Bild ganz
dasselbe wie das menschliche Gehirn. Wie in diesem gewisse
Teile angeordnet sind, so in dem Himmelsbilde die Sterne. Der
Mensch hat in sich ein Bild des Himmelsraumes, und zwar jeder
ein anderes Bild, je nachdem er da oder dort, in dieser oder
jener Zeit geboren ist. Das ist ein Hinweis darauf, daß
der Mensch herausgeboren ist aus der ganzen Welt.
Wenn man dies ins Auge faßt, kann man sich auch zu der
Vorstellung erheben, wie das Makrokosmische in dem einzelnen
Menschen sich zeigt, und davon ausgehend die Idee gewinnen, wie
es sich in dem Christus zeigt. Wenn man sich den Christus nach
der Johannes-Taufe so vorstellte, als ob bei ihm das
Makrokosmische gelebt hätte wie bei einem anderen
Menschen, so bekäme man eine falsche Vorstellung.
Man
betrachte zunächst Jesus von Nazareth. Dieser hatte ganz
besondere Daseinsbedingungen. Im Beginne unserer Zeitrechnung
sind zwei Jesus-Knaben geboren worden. Der eine stammte aus der
nathanischen Linie des Hauses David, der andere aus der
salomonischen Linie desselben Hauses. Diese beiden Knaben waren
nicht ganz zu gleicher Zeit geboren, aber doch annähernd.
In dem salomonischen Jesus-Knaben, den das
Matthäus-Evangelium schildert, inkarnierte sich dieselbe
Individualität, die früher als Zarathustra auf der
Erde gelebt hat, so daß man in diesem Jesus-Kinde des
Matthäus-Evangeliums vor sich hat den
wiederverkörperten Zarathustra oder Zoroaster. So
wächst heran, wie ihn Matthäus schildert, in diesem
Jesus-Knaben bis zum zwölften Jahre die
Individualität des Zarathustra. In diesem Jahre
verläßt Zarathustra den Körper dieses Knaben und
geht hinüber in den Körper des anderen Jesus-Knaben,
den das Lukas-Evangelium schildert. Daher wird dieses Kind so
plötzlich etwas ganz anderes. Die Eltern erstaunen, als
sie es in Jerusalem im Tempel wiederfinden, nachdem in dasselbe
der Geist des Zarathustra eingetreten war. Das wird dadurch
angedeutet, daß der Knabe, nachdem er verlorengegangen war
und in Jerusalem im Tempel wiedergefunden wurde, so gesprochen
hat, daß ihn die Eltern nicht wiedererkannten, weil sie
dieses Kind - den nathanischen Jesus-Knaben - eben nur so
kannten, wie er früher war. Aber als es anfing zu den
Schriftgelehrten im Tempel zu reden, da konnte es so sprechen,
weil in dasselbe der Geist des Zarathustra eingetreten war. -
Bis zum dreißigsten Jahre lebte der Geist des Zarathustra
in dem Jesus-Jüngling, der aus der nathanischen Linie des
Hauses David stammte. In diesem andern Körper reifte er
heran zu einer noch höheren Vollendung. Noch ist zu
bemerken, daß in diesem andern Körper, in dem jetzt
der Geist des Zarathustra lebte, das Eigentümliche war,
daß in dessen Astralleib der Buddha seine Impulse aus der
geistigen Welt einstrahlen ließ.
Die
morgenländische Tradition ist richtig, daß der Buddha
als ein «Bodhisattva» geboren wurde, und erst
während seiner Erdenzeit, im neunundzwanzigsten Jahre, zur
Buddha-Würde aufgestiegen ist.
Asiat, der große indische Weise, kam, als der Gotama
Buddha ein kleines Kind war, in den Königspalast des
Vaters des Buddha weinend. Dies aus dem Grunde, weil er als
Seher hat wissen können, daß dieses Königskind
der «Buddha» werden wird, und weil er sich als ein
alter Mann fühlte, der es nicht mehr erleben wird, wie der
Sohn des Suddhodana zum Buddha werden wird. Dieser Weise wurde
in der Zeit des Jesus von Nazareth wiedergeboren. Es ist
derselbe, der uns im Lukas-Evangelium als jener Tempelpriester
vorgeführt wird, welcher in dem nathanischen Jesus-Knaben
den Buddha sich offenbaren sieht. Und weil er dies sah, deshalb
sagte er: «Laß, Herr, deinen Diener in Frieden
fahren, denn ich habe meinen Meister gesehen!» Was er
damals in Indien nicht sehen konnte, das sah er durch den
Astralleib dieses Jesus-Knaben, der uns als der des
Lukas-Evangeliums entgegentritt: den zum Buddha gewordenen
Bodhisattva.
Das
alles war notwendig, damit der Leib zustande kommen konnte,
welcher dann am Jordan die «Johannes-Taufe» empfing.
Damit verließ die Individualität des Zarathustra den
dreifachen Leib - physischen Leib, Ätherleib, Astralleib -
jenes Jesus, der auf so komplizierte Weise herangewachsen war,
damit der Geist des Zarathustra in ihm sein konnte. Durch zwei
Entwickelungsmöglichkeiten, die in den beiden Jesus-Knaben
gegeben waren, mußte hindurchgehen der wiedergeborene
Zarathustra. Es stand also dem Täufer gegenüber der
Leib des Jesus von Nazareth, und in diesen wirkte nun herein
die kosmische Individualität des Christus. Bei einem
andern Menschen wirken die kosmisch-geistigen Gesetze nur so,
daß sie ihn in das Erdenleben hereinstellen. Dann treten
entgegen diesen Gesetzen diejenigen, welche aus den Bedingungen
der Erdenentwickelung stammen. Bei dem Christus Jesus blieben
nach der Johannes-Taufe die kosmisch-geistigen Kräfte
allein wirksam, ohne alle Beeinflussung durch die Gesetze der
Erdenentwickelung.
Während Jesus von Nazareth als Christus Jesus in den
letzten drei Jahren seines Lebens vom dreißigsten bis zum
dreiunddreißigsten Jahre in Palästina auf der Erde
wandelte, wirkte fortwährend die ganze kosmische
Christus-Wesenheit in ihn herein. Immer stand der Christus
unter dem Einfluß des ganzen Kosmos, er machte keinen
Schritt, ohne daß die kosmischen Kräfte in ihn
hereinwirkten. Was hier bei dem Jesus von Nazareth sich
abspielte, war ein fortwährendes Verwirklichen des
Horoskopes; denn in jedem Moment geschah das, was sonst nur bei
der Geburt des Menschen geschieht. Das konnte nur dadurch so
sein, daß der ganze Leib des nathanischen Jesus
beeinflußbar geblieben war gegenüber der Gesamtheit
der unsere Erde lenkenden Kräfte der kosmisch-geistigen
Hierarchien. Wenn so der ganze Geist des Kosmos in den Christus
Jesus hereinwinkte, wer ging dann zum Beispiel nach Kapernaum
oder sonstwo hin? Was da als ein Wesen auf der Erde wandelte,
das sah allerdings wie ein anderer Mensch aus. Die wirksamen
Kräfte darin aber waren die kosmischen Kräfte, die
von Sonne und Sternen kamen; sie dirigierten den Leib. Und je
nach der Gesamtwesenheit der Welt, mit welcher die Erde
zusammenhängt, geschah das, was der Christus Jesus tat.
Daher ist so oft die Sternkonstellation für die Taten des
Christus Jesus in den Evangelien leise angedeutet. Man lese im
Johannes-Evangelium, wie der Christus seine ersten Jünger
findet. Da wird angegeben: «Es war aber um die zehnte
Stunde» ; weil der Geist des ganzen Kosmos in
Gemäßheit der Zeitverhältnisse sich in dieser
Tatsache zum Ausdruck brachte. Solche Andeutungen sind an
andern Evangelien-Stellen weniger deutlich; wer aber die
Evangelien lesen kann, der findet sie überall.
Von
diesem Gesichtspunkte aus sind zum Beispiel die Wunder der
Krankenheilungen zu beurteilen. Man fasse nur eine Stelle ins
Auge, diejenige, wo es heißt: «Als die Sonne
untergegangen war, da brachten sie zu ihm die Kranken, und er
heilte sie.» Was heißt das? Da macht der Evangelist
darauf aufmerksam, daß diese Heilung mit der ganzen
Sternkonstellation zusammenhing, daß eine solche
Weltenkonstellation vorhanden war in der entsprechenden Zeit,
die nur hat herbeigeführt werden können, als die
Sonne untergegangen war. Gemeint ist, daß in dieser Zeit
die entsprechenden Heilkräfte sich offenbaren konnten nach
Sonnenuntergang. Der Christus Jesus wird als der Mittler
dargestellt, welcher den Kranken mit den Kräften des
Kosmos zusammenbringt, die gerade zu jener Zeit heilend wirken
konnten. Diese Kräfte waren dieselben, die als Christus in
Jesus wirkten. Durch Christi Gegenwart geschah die Heilung,
weil infolge derselben der Kranke den ihn heilenden
Kräften des Kosmos ausgesetzt wurde, die nur unter den
betreffenden Raumes- und Zeitverhältnissen so wirken
konnten, wie sie wirkten. Die Kräfte des Kosmos wirkten
durch ihren Repräsentanten, den Christus, auf den
Kranken.
So
aber konnten sie nur gerade zu Christi Erdenzeit wirken. Es
bestand nur damals ein solcher Zusammenhang zwischen den
kosmischen Konstellationen und den Kräften im
Menschheitsorganismus, daß für gewisse Krankheiten
eine Heilung eintreten konnte, wenn durch den Christus Jesus
die kosmische Konstellation auf den Menschen wirkte. Eine
Wiederholung dieser Verhältnisse im kosmischen und
Erdenwerden ist ebensowenig möglich wie eine zweite
Verkörperung des Christus in einem menschlichen Leibe. So
angesehen, erscheint der Wandel des Christus Jesus als der
irdische Ausdruck eines bestimmten Verhältnisses des
Kosmos zu den Kräften des Menschen. Das Weilen eines
Kranken an der Seite Christi bedeutet, daß sich dieser
Kranke durch die Nähe Christi in einem solchen
Verhältnisse zum Makrokosmos befand, das auf ihn heilend
wirken konnte.
*
Damit sind die Gesichtspunkte angegeben, die erkennen lassen,
wie die Führung der Menschheit unter den Einfluß des
Christus sich gestellt hat. Aber die anderen Kräfte, die
zurückgeblieben waren in der
ägyptisch-chaldäischen Zeit, wirken neben den von
Christus durchdrungenen weiter. Dies zeigt sich auch darinnen,
wie sich die Gegenwart vielfach zu den Evangelien selbst
stellt. Es erscheinen Literaturwerke, die sich in sonderbarer
Weise bemühen, zu zeigen, daß man die Evangelien
verstehen kann, indem man sie astrologisch auslegt. Die
größten Gegner der Evangelien berufen sich auf dieses
astrologische Auslegen, so daß zum Beispiel der Weg des
Erzengels Gabriel von Elisabeth zu Maria nichts anderes
bedeuten solle als das Schreiten der Sonne vom Stembilde der
Jungfrau zu einem andern. Das ist etwas, was in gewisser Weise
richtig ist; nur werden diese Gedanken unserer Zeit in dieser
Art eingeflößt von den Wesenheiten, die während
der ägyptisch-chaldäischen Zeit zurückgeblieben
sind. Man will unter solchem Einflusse glauben machen, daß
die Evangelien nur Allegorien darstellten für gewisse
kosmische Verhältnisse. In Wahrheit liegt die Sache so,
daß in dem Christus sich der ganze Kosmos ausspricht,
daß man also das Christus-Leben ausdrücken kann,
indem man für seine einzelnen Vorgänge die kosmischen
Verhältnisse anführt, die fortwährend durch
Christus in das Erdendasein hereinwirken. So wird eine richtige
Auffassung dieser Sache zur vollen Anerkennung des
irdisch-lebenden Christus führen müssen, während
der charakterisierte Irrtum meint, wenn er gewahr wird, es
werde das Christus-Leben in den Evangelien durch kosmische
Konstellationen ausgedrückt, dies beweise, daß nur
diese Konstellationen allegorisch behandelt werden, und
daß es keinen irdisch-realen Christus gegeben habe.
Wenn ein Vergleich gebraucht werden dürfte, so könnte
man sagen: Man denke sich jeden Menschen unter dem Bilde einer
spiegelnden Kugel. Wenn man sich einen Kugelspiegel aufgestellt
denkt, so gibt er Bilder seiner ganzen Umgebung. Man nehme an,
wir führten mit dem Stift die Umrisse nach, welche die
ganze Umgebung abbilden. Man könnte dann den Spiegel
nehmen und das Abbild überall hintragen. Dies sei ein
Sinnbild für die Tatsache, daß, wenn ein Mensch
geboren wird, er ein Abbild des Kosmos in sich trägt, und
dann die Wirkung dieses einen Bildes durch das ganze Leben mit
sich führt. Man könnte nun aber auch den Spiegel so
lassen, daß er überall, wohin man ihn trägt, die
Umgebung abbildet. Dann gibt er stets ein Bild der gesamten
Umgebung. Das wäre das Sinnbild des Christus von der
Johannes-Taufe bis zum Mysterium von Golgatha. Was bei einem
andern Menschen mit der Geburt in das irdische Dasein
einfließt, das floß in den Christus Jesus in jedem
Augenblick ein. Und als das Mysterium von Golgatha sich
vollzog, ging das, was aus dem Kosmos eingestrahlt war, in die
geistige Substanz der Erde über und ist seit jener Zeit
mit dem Geiste der Erde verbunden.
Als
Paulus vor Damaskus hellsichtig geworden war, konnte er
erkennen, daß in den Geist der Erde übergegangen war,
was früher im Kosmos war. Davon wird sich jeder
überzeugen können, der seine Seele dazu bringen kann,
das Ereignis von Damaskus nachzuleben. Im zwanzigsten
Jahrhundert werden die ersten Menschen auftreten, welche das
Christus-Ereignis des Paulus in geistiger Weise erleben
werden.
Während bis zu dieser Zeit dieses Ereignis nur diejenigen
Menschen erleben konnten, welche sich durch esoterische
Schulung hellsichtige Kräfte aneigneten, wird künftig
durch die naturgemäße Menschheitsentwickelung den
fortschreitenden Seelenkräften das Schauen Christi in der
Geistes-Sphäre der Erde möglich sein. Dies wird - als
ein Nachleben des Ereignisses von Damaskus - von einem
bestimmten Zeitpunkte des zwanzigsten Jahrhunderts an einigen
Menschen möglich sein; dann wird sich deren Zahl
vergrößern, bis es in fernerer Zukunft eine
natürliche Fähigkeit der Menschenseele sein wird.
*
Mit
dem Eintritt des Christus in die Erdenentwickelung war ein
völlig neuer Einschlag für diese Entwickelung
gegeben. Es zeigen auch die äußeren Tatsachen der
Geschichte den Ausdruck davon. In den ersten Zeiten der
nachatlantischen Entwickelung haben die Menschen sehr wohl
gewußt: über uns ist nicht nur ein physischer Mars;
sondern was wir sehen als Mars oder als Jupiter oder Saturn,
das ist der Ausdruck für geistige Wesenheiten. Es wurde in
der Folgezeit diese Anschauung völlig vergessen. Die
Weltenkörper wurden für die menschliche Meinung
bloß Körper, die nach physischen Verhältnissen
beurteilt wurden. Und im Mittelalter sahen die Menschen von den
Sternen nur noch, was die Augen sehen können: die
Sphäre der Venus, die Sphäre der Sonne, des Mars und
so weiter bis zur Sphäre des Fixsternhimmels; und dann kam
die achte Sphäre, wie eine blaue, feste Wand dahinter.
Dann kam Kopernikus und schlug Bresche in die Anschauung,
daß nur dasjenige maßgebend sein könnte, was die
Sinne sehen. - Die heutigen physischen Wissenschafter
können gewiß sagen: Da treten so verworrene
Köpfe auf, welche behaupten, die Welt ist Maja, ist
Illusion, und man müsse in eine geistige Welt
hineinschauen, um die Wahrheit zu erkennen, während doch
wahre Wissenschaft die ist, welche sich an die Sinne hält
und das verzeichnet, was die Sinne sagen. - Wann haben denn die
Astronomen nur auf die Sinne vertraut? Damals, als die
astronomische Wissenschaft herrschte, die heute bekämpft
wird?
Als
Kopernikus anfing, dasjenige auszudenken, was über den
Sinnesschein hinaus im Weltenraum vorhanden ist, da fing erst
die heutige moderne Astronomie als Wissenschaft an. Und so ist
es tatsächlich auf allen Wissensgebieten. Überall, wo
im modernsten Sinne Wissenschaft entstanden ist, entstand sie
gegen den Sinnesschein. Als Kopernikus erklärte: Was ihr
seht, ist Maja, ist Täuschung; verlaßt euch auf das,
was ihr nicht sehen könnt!, da wurde das Wissenschaft, was
man heute als solche anerkennt. Man könnte also den
Vertretern der heutigen Wissenschaft sagen: Eure Wissenschaft
ist selber erst dann «Wissenschaft» geworden, als sie
sich nicht mehr auf die Sinne verlassen wollte. Es kam Giordano
Bruno, als philosophischer Ausdeuter der Lehre des Kopernikus.
Er lenkte den Blick hinaus in den Weltenraum und
verkündete: Was man die Grenze des Raumes genannt hat, was
man als achte Sphäre hingestellt hat, die alles
räumlich begrenzt, das ist keine Grenze. Das ist Maja,
Schein; denn es ist in den Weltenraum ergossen eine Unzahl von
Welten. Was man vorher als Grenze des Raumes glaubte, das wurde
nunmehr die Grenze der Sinneswelt der Menschen. Man wende
hinaus den Blick über die Sinneswelt: wird man die Welt
nicht mehr sehen, wie sie nur die Sinne zeigen, dann wird man
auch die Unendlichkeit erkennen.
Es
ist aus diesem ersichtlich, wie der Verlauf der
Menschheitsentwickelung so ist, daß der Mensch von einer
ursprünglichen geistigen Anschauung des Kosmos ausgegangen
ist, und daß er diese im Laufe der Zeiten verloren hat. An
ihre Stelle war eine bloß sinnliche Auffassung der Welt
getreten. Da trat in die Entwickelung der Christus-Impuls ein.
Durch diesen wird die Menschheit dazu geführt, der
materialistischen Anschauung wieder das Geistige
einzuprägen. In dem Augenblicke, da Giordano Bruno die
Fesseln des Sonnenscheins durchbrach, war die
Christus-Entwickelung so weit, daß in ihm die Seelenkraft
tätig sein konnte, welche durch diesen Christus-Impuls
entzündet war. Damit ist auf die ganze Bedeutung des
Einlebens des Christus in alle Menschheitsentwickelung
hingewiesen. Auf eine Entwickelung, an deren Anfang
gegenwärtig im Grunde erst die Menschheit steht.
Was
strebt nun die Geisteswissenschaft an?
Sie
vollendet das Werk, das durch Giordano Bruno und andere
geschehen ist für die äußere physische
Wissenschaft, indem sie sagt: Maja, Illusion ist das, was die
äußere Wissenschaft erkennen kann. Wie man
früher bis zur «achten Sphäre» geschaut hat
und den Raum begrenzt glaubte, so glaubt das heutige Denken den
Menschen eingeschlossen zwischen Geburt und Tod. Die geistige
Wissenschaft aber erweitert den Blick über Geburt und Tod
hinaus.
Es
ist eine geschlossene Kette in der Menschheitsentwickelung, die
sich durch solche Ideen erkennen läßt. Und im wahren
Sinne des Wortes ging das, was für den Raum als
Überwindung des Sinnenscheins durch Kopernikus und
Giordano Bruno ausgeführt worden ist, schon hervor aus den
Inspirationen derjenigen geistigen Strömung, welcher auch
die neuere Geisteswissenschaft oder Theosophie folgt. Was man
die neuere Esoterik nennen kann, das wirkte in geheimnisvoller
Art auf Kopernikus, Bruno, Kepler und andere. Und die, welche
heute auf dem Boden des Giordano Bruno und des Kopernikus
stehen und nicht die Theosophie annehmen wollen, sie werden
ihren eigenen Traditionen untreu, indem sie an dem Sinnenschein
festhalten wollen. Die Geisteswissenschaft aber zeigt: Wie
Giordano Bruno das blaue Himmelsgewölbe durchbrach, so
durchbricht diese Wissenschaft die Grenzen von Geburt und Tod
für den Menschen, indem sie zeigt, wie der aus dem
Makrokosmos stammende Mensch im physischen Dasein lebt, und
durch den Tod hindurch wieder in ein Makrokosmische Dasein
eintritt. Und was wir in jedem einzelnen Menschen im
beschränkten Maße sehen, das tritt uns im großen
entgegen in dem Repräsentanten des Kosmos-Geistes, in dem
Christus Jesus. Und nur einmal konnte dieser Impuls gegeben
werden, den der Christus gab. Nur einmal konnte sich so der
ganze Kosmos spiegeln; denn diese Konstellation, wie sie damals
vorhanden war, sie kommt nicht wieder. Diese Konstellation
mußte durch einen Menschenkörper wirken, damit sie
auf der Erde den Impuls geben konnte. So wahr, wie diese selbe
Konstellation nicht ein zweites Mal eintritt, so wahr ist der
Christus nur einmal zur Verkörperung gekommen. Nur wenn
man nicht weiß, daß der Christus der
Repräsentant des ganzen Weltalls ist, und man sich nicht
durchringen kann zu dieser Christus-Idee, zu der durch die
Geisteswissenschaft die Elemente gegeben werden, nur dann kann
man behaupten, daß der Christus mehrmals auf Erden
erscheinen könne.
So
zeigt sich, wie eine Christus-Idee aus der neueren
Geisteswissenschaft oder Theosophie entspringt, welche dem
Menschen seine Verwandtschaft mit dem ganzen Makrokosmos in
einer erneuerten Weise zeigt. Es bedarf wahrhaftig, um den
Christus wirklich kennenzulernen, derjenigen inspirierenden
Kräfte, die jetzt auftreten durch die selber von dem
Christus geführten alten ägyptischen und
chaldäischen übermenschlichen Wesenheiten. Es bedarf
einer solchen neuen Inspiration, der Inspiration, welche
vorbereitet haben die großen Esoteriker des Mittelalters
vom dreizehnten Jahrhundert an und die immer mehr und mehr von
jetzt ab in die Öffentlichkeit dringen muß. Wenn sich
im Sinne dieser Wissenschaft der Mensch in seiner Seele in
richtiger Weise vorbereitet zur Erkenntnis der Geisteswelt,
dann kann er hören hellhörend, sehen hellsichtig, was
offenbaren die alten chaldäischen und ägyptischen
Mächte, die jetzt geistige Leiter geworden sind unter der
Anführung der Christus-Wesenheit. Was da der Menschheit
einmal erstehen wird, das konnte in den ersten christlichen
Jahrhunderten bis zu unserer Zeit nur vorbereitet werden. Daher
dürfen wir sagen: Es wird künftig eine Christus-Idee
leben in den Herzen der Menschen, an Größe mit nichts
zu vergleichen, was bisher die Menschheit zu erkennen glaubte.
Was entstanden ist als erster Impuls durch Christus und gelebt
hat als Vorstellung von ihm bis heute - selbst bei den besten
Vertretern des Christus-Prinzipes -, das ist nur eine
Vorbereitung zu der wirklichen Erkenntnis des Christus. Es
wäre recht sonderbar, könnte aber geschehen, daß
denen, welche im Abendlande die Christus-Idee in solchem Sinne
zum Ausdruck bringen, vorgeworfen würde, sie stünden
nicht auf dem Boden der christlichen Tradition des Abendlandes.
Denn diese christliche Tradition des Abendlandes reicht
durchaus nicht aus, um den Christus für eine nächste
Zukunft zu begreifen.
Von
den Voraussetzungen der abendländischen Esoterik aus kann
man die geistige Führung der Menschheit allmählich
einfließen sehen in eine solche, die man im echten wahren
Sinne die aus dem Christus-Impuls kommende Führung nennen
kann. Was als die neuere Esoterik auftritt, wird langsam in die
Herzen der Menschen einfließen; und die geistige
Führung des Menschen und der Menschheit wird bewußt
immer mehr und mehr in solchem Lichte gesehen werden. Man
vergegenwärtige sich, wie erst das Christus-Prinzip in die
Herzen der Menschen eingeflossen ist dadurch, daß der
Christus in dem physischen Leibe des Jesus von Nazareth in
Palästina wandelte. Da haben die Menschen, die sich
allmählich ganz dem Vertrauen in die sinnliche Welt
ergeben hatten, den Impuls empfangen können, der ihrer
Auffassung entsprach. Dann hat derselbe Impuls durch die
Inspiration der neueren Esoterik so gewirkt, daß
inspiriert werden konnten Geister wie Nikolaus Cusanus,
Kopernikus, Galilei, so daß zum Beispiel Kopernikus den
Satz geltend machen konnte: Der Sinnenschein kann nicht die
Wahrheit über die Sonnensysteme lehren; will man die
Wahrheit finden, so muß man hinter dem Sinnenschein
forschen. - Damals waren die Menschen noch nicht reif, selbst
Geister wie Giordano Bruno nicht, sich der neueren esoterischen
Strömung bewußt einzugliedern; sie mußten
unbewußt in sich wirksam haben den Geist dieser
Strömung. Giordano Bruno verkündete großartig
und gewaltig: Wenn ein Mensch durch die Geburt ins Dasein
tritt, so ist es ein Makrokosmisches, das sich konzentriert als
eine Monade, und wenn ein Mensch durch den Tod geht, so dehnt
sich die Monade wieder aus; was im Körper
zusammengeschlossen war, dehnt sich im Weltall aus, um sich in
anderen Daseinsstufen wieder zusammenzuziehen und wieder
auszudehnen. Damals sprachen aus Bruno gewaltige Begriffe, die
ganz und gar im Sinne der neueren Esoterik, wenn auch wie ein
Stammeln, sind.
Die
geistigen Einflüsse, welche die Menschheit führen,
brauchen nicht dadurch zu wirken, daß der Mensch sich
ihrer immer bewußt ist. Sie setzen zum Beispiel den
Menschen Galilei in den Dom von Pisa. Tausende haben dort die
alte Kirchenlampe gesehen, haben aber nicht gesehen wie
Galilei. Er sah die Kirchenlampe schwingen, und verglich die
Schwingungszeiten mit dem Ablauf seiner Pulsschläge. So
fand er, daß in regelmäßigem Rhythmus, dem
Pulsrhythmus ähnlich, die Kirchenlampe schwingt. Daraus
hat er dann die «Pendelgesetze» gefunden im Sinne der
neueren Physik. Wer die heutige Physik kennt, der weiß,
daß sie nicht möglich wäre ohne die Galileischen
Prinzipien. - So wirkte damals das, was gegenwärtig in der
Geisteswissenschaft auftritt; es setzte Galilei hin in den Dom
von Pisa vor die schwingende Kirchenlampe, und die heutige
Physik bekam ihre Prinzipien. So wirken in geheimnisvoller Art
die geistigen führenden Kräfte der Menschheit.
Man
geht jetzt der Zeit entgegen, in welcher sich die Menschen auch
dieser führenden Kräfte bewußt werden sollen.
Man wird immer mehr und mehr begreifen, was in der Zukunft
geschehen muß, wenn man dasjenige richtig versteht, was
als neuere Esoterik inspirierend wirkt, und was zeigt, daß
dieselben geistigen Wesenheiten, auf welche die alten
Ägypter hingedeutet haben, als die Griechen sie nach ihren
Lehrern fragten, daß diese selben Wesenheiten, die damals
als Götter geherrscht haben, jetzt wieder herrschend
werden, aber sich jetzt der Führung des Christus
unterstellen wollen. Immer mehr und mehr werden die Menschen
fühlen, wie sie das, was vorchristlich ist, in einem
höheren Glanze und Stil, auf einer höheren Stufe
wiedererstehen lassen können. - Das Bewußtsein, das
der Gegenwart notwendig ist, und das ein gestärktes
Bewußtsein sein muß, eine hohe
Pflicht-Verantwortlichkeit sein soll gegenüber dem
Erkennen der geistigen Welt, das kann nur in unsere Seele
einziehen, wenn in dem gekennzeichneten Sinne die Aufgabe der
Geisteswissenschaft erfaßt wird.
|