Die Kernpunkte der sozialen Frage
Die Kernpunkte der sozialen Frage: Kapitel II. Die vom Leben geforderten wirklichkeitsgemässen Lösungsversuche für die sozialen Fragen und Notwendigkeiten
II. Die vom Leben geforderten wirklichkeitsgemässen Lösungsversuche
für die sozialen Fragen und Notwendigkeiten
Man kann das Charakteristische, das gerade zu der besondern Gestalt
der sozialen Frage in der neueren Zeit geführt hat, wohl so
aussprechen, daß man sagt: Das Wirtschaftsleben, von der Technik
getragen, der moderne Kapitalismus, sie haben mit einer gewissen
naturhaften Selbstverständlichkeit gewirkt und die moderne
Gesellschaft in eine gewisse innere Ordnung gebracht. Neben der
Inanspruchnahme der menschlichen Aufmerksamkeit für dasjenige, was
Technik und Kapitalismus gebracht haben, ist die Aufmerksamkeit
abgelenkt worden für andere Zweige, andere Gebiete des sozialen
Organismus. Diesen muß ebenso notwendig vom menschlichen
Bewußtsein aus die rechte Wirksamkeit angewiesen werden, wenn
der soziale Organismus gesund sein soll. Ich darf, um dasjenige, was
hier gerade als treibende Impulse einer umfassenden,
allseitigen Beobachtung über die soziale Frage charakterisiert
werden soll, deutlich zu sagen, vielleicht von einem Vergleich
ausgehen. Aber es wird zu beachten sein, daß mit diesem
Vergleich nichts anderes gemeint sein soll als eben ein Vergleich. Ein
solcher kann unterstützen das menschliche Verständnis, um es gerade in
diejenige Richtung zu bringen, welche notwendig ist, um sich
Vorstellungen zu machen über die Gesundung des sozialen Organismus.
Wer von dem hier eingenommenen Gesichtspunkt betrachten muß den
kompliziertesten natürlichen Organismus, den menschlichen Organismus,
der muß seine Aufmerksamkeit darauf richten, daß die ganze
Wesenheit dieses menschlichen Organismus drei nebeneinander wirksame
Systeme aufzuweisen hat, von denen jedes mit einer gewissen
Selbständigkeit wirkt. Diese drei nebeneinander wirksamen Systeme kann
man etwa in folgender Weise kennzeichnen. Im menschlichen natürlichen
Organismus wirkt als ein Gebiet dasjenige System, welches in sich
schließt Nervenleben und Sinnesleben. Man könnte es auch
nach dem wichtigsten Gliede des Organismus, wo Nerven- und Sinnesleben
gewissermaßen zentralisiert sind, den Kopf-Organismus
nennen.
Als zweites Glied der menschlichen Organisation hat man anzuerkennen,
wenn man ein wirkliches Verständnis für sie erwerben will, das, was
ich nennen möchte das rhythmische System. Es besteht aus Atmung,
Blutzirkulation, aus all dem, was sich ausdrückt in
rhythmischen Vorgängen des menschlichen Organismus.
Als drittes System hat man dann anzuerkennen alles, was als Organe und
Tätigkeiten zusammenhängt mit dem eigentlichen Stoffwechsel.
In diesen drei Systemen ist enthalten alles dasjenige, was in gesunder
Art unterhält, wenn es aufeinander organisiert ist, den Gesamtvorgang
des menschlichen Organismus.
Ich habe versucht, in vollem Einklange mit all dem, was
naturwissenschaftliche Forschung schon heute sagen kann, diese
Dreigliederung des menschlichen natürlichen Organismus wenigstens
zunächst skizzenweise in meinem Buche «Von Seelenrätseln» zu
charakterisieren. Ich bin mir klar darüber, daß Biologie,
Physiologie, die gesamte Naturwissenschaft mit Bezug auf den Menschen
in der allernächsten Zeit zu einer solchen Betrachtung des
menschlichen Organismus hindrängen werden, welche durchschaut, wie
diese drei Glieder - Kopfsystem, Zirkulationssystem oder Brustsystem
und Stoffwechselsystem - dadurch den Gesamtvorgang im menschlichen
Organismus aufrechterhalten, daß sie in einer gewissen
Selbständigkeit wirken, daß nicht eine absolute
Zentralisation des menschlichen Organismus vorliegt, daß auch
jedes dieser Systeme ein besonderes, für sich bestehendes Verhältnis
zur Außenwelt hat. Das Kopfsystem durch die Sinne, das
Zirkulationssystem oder rhythmische System durch die Atmung, und das
Stoffwechselsystem durch die Ernährungs- und Bewegungsorgane.
Man ist mit Bezug auf naturwissenschaftliche Methoden noch nicht ganz
so weit, um dasjenige, was ich hier angedeutet habe, was aus
geisteswissenschaftlichen Untergründen heraus für die
Naturwissenschaft von mir zu verwerten gesucht worden ist, auch schon
innerhalb der naturwissenschaftlichen Kreise selbst zur allgemeinen
Anerkennung in einem solchen Grade zu bringen, wie das wünschenswert
für den Erkenntnisfortschritt erscheinen kann. Das bedeutet aber:
Unsere Denkgewohnheiten, unsere ganze Art, die Welt vorzustellen, ist
noch nicht vollständig angemessen dem, was zum Beispiel im
menschlichen Organismus sich als die innere Wesenheit des Naturwirkens
darstellt. Man könnte nun wohl sagen: Nun ja, die Naturwissenschaft
kann warten, sie wird nach und nach ihren Idealen zueilen, sie wird
schon dahin kommen, solch eine Betrachtungsweise als die ihrige
anzuerkennen. Aber mit Bezug auf die Betrachtung und namentlich das
Wirken des sozialen Organismus kann man nicht warten. Da muß
nicht nur bei irgendwelchen Fachmännern, sondern da muß in jeder
Menschenseele - denn jede Menschenseele nimmt teil an der Wirksamkeit
für den sozialen Organismus - wenigstens eine instinktive Erkenntnis
von dem vorhanden sein, was diesem sozialen Organismus notwendig ist.
Ein gesundes Denken und Empfinden, ein gesundes T Wollen und Begehren
mit Bezug auf die Gestaltung des sozialen Organismus kann sich nur
entwickeln, wenn man, L sei es auch mehr oder weniger
bloß instinktiv, sich klar darüber ist, daß dieser soziale
Organismus, soll er gesund sein, ebenso dreigliedrig sein muß
wie der natürliche Organismus.
Es ist nun, seit Schäffle sein Buch geschrieben hat über den
Bau des sozialen Organismus, versucht worden, Analogien aufzusuchen
zwischen der Organisation eines Naturwesens - sagen wir, der
Organisation des Menschen - und der menschlichen Gesellschaft als
solcher. Man hat feststellen wollen, was im sozialen Organismus die
Zelle ist, was Zellengefüge sind, was Gewebe sind und so weiter! Noch
vor kurzem ist ja ein Buch erschienen von Meray,
«Weltmutation», in dem gewisse naturwissenschaftliche Tatsachen und
naturwissenschaftliche Gesetze einfach übertragen werden auf - wie man
meint - den menschlichen Gesellschaftsorganismus. Mit all diesen
Dingen, mit all diesen Analogie-Spielereien hat dasjenige, was hier
gemeint ist, absolut nichts zu tun. Und wer meint, auch in diesen
Betrachtungen werde ein solches Analogienspiel zwischen dem
natürlichen Organismus und dem gesellschaftlichen getrieben, der wird
dadurch nur beweisen, daß er nicht in den Geist des hier
Gemeinten eingedrungen ist. Denn nicht wird hier angestrebt,
irgendeine für naturwissenschaftliche Tatsachen passende Wahrheit
herüber zu verpflanzen auf den sozialen Organismus; sondern das völlig
andere, daß das menschliche Denken, das menschliche Empfinden
lerne, das Lebensmögliche an der Betrachtung des naturgemäßen
Organismus zu empfinden und dann diese Empfindungsweise anwenden könne
auf den sozialen Organismus. Wenn man einfach das, was man glaubt
gelernt zu haben am natürlichen Organismus, überträgt auf den sozialen
Organismus, wie es oft geschieht, so zeigt man damit nur, daß
man sich nicht die Fähigkeiten aneignen will, den sozialen Organismus
ebenso selbständig, ebenso für sich zu betrachten, nach dessen eigenen
Gesetzen zu forschen, wie man dies nötig hat für das Verständnis des
natürlichen Organismus. Indem Augenblicke, wo man wirklich sich
objektiv, wie sich der Naturforscher gegenüberstellt dem natürlichen
Organismus, dem sozialen Organismus in seiner Selbständigkeit
gegenüberstellt, um dessen eigene Gesetze zu empfinden, in diesem
Augenblicke hört gegenüber dem Ernst der Betrachtung jedes
Analogiespiel auf.
Man könnte auch denken, der hier gegebenen Darstellung liege der
Glaube zugrunde, der soziale Organismus solle von einer grauen, der
Naturwissenschaft nachgebildeten Theorie aus «aufgebaut» werden. Das
aber liegt dem, wovon hier gesprochen wird, so ferne wie nur möglich.
Auf ganz anderes soll hingedeutet werden. Die gegenwärtige
geschichtliche Menschheitskrisis fordert, daß gewisse
Empfindungen entstehen in jedem einzelnen Menschen,
daß die Anregung zu diesen Empfindungen von dem Erziehungs- und
Schulsystem so gegeben werde, wie diejenige zur Erlernung der vier
Rechnungsarten. Was bisher ohne die bewußte Aufnahme in das
menschliche Seelenleben die alten Formen des sozialen Organismus
ergeben hat, das wird in der Zukunft nicht mehr wirksam sein. Es
gehört zu den Entwickelungsimpulsen, die von der Gegenwart an neu in
das Menschenleben eintreten wollen, daß die angedeuteten
Empfindungen von dem einzelnen Menschen so gefordert werden, wie seit
langem eine gewisse Schulbildung gefordert wird. Daß man gesund
empfinden lernen müsse, wie die Kräfte des sozialen Organismus wirken
sollen, damit dieser lebensfähig sich erweist, das wird, von der
Gegenwart an, von dem Menschen gefordert. Man wird sich ein Gefühl
davon aneignen müssen, daß es ungesund, antisozial ist,
nicht sich mit solchen Empfindungen in diesen Organismus
hineinstellen zu wollen.
Man kann heute von «Sozialisierung» als von dem reden hören, was der
Zeit nötig ist. Diese Sozialisierung wird kein Heilungsprozeß,
sondern ein Kurpfuscherprozeß am sozialen Organismus sein,
vielleicht sogar ein Zerstörungsprozeß, wenn nicht in die
menschlichen Herzen, in die menschlichen Seelen einzieht wenigstens
die instinktive Erkenntnis von der Notwendigkeit der
Dreigliederung des sozialen Organismus. Dieser soziale
Organismus muß, wenn er gesund wirken soll, drei solche Glieder
gesetzmäßig ausbilden.
Eines dieser Glieder ist das Wirtschaftsleben. Hier soll mit seiner
Betrachtung begonnen werden, weil es sich ja ganz augenscheinlich,
alles übrige Leben beherrschend, durch die moderne Technik und den
modernen Kapitalismus in die menschliche Gesellschaft hereingebildet
hat. Dieses ökonomische Leben muß ein selbständiges Glied für
sich innerhalb des sozialen Organismus sein, so relativ selbständig,
wie das Nerven-Sinnes-System im menschlichen Organismus relativ
selbständig ist. Zu tun hat es dieses Wirtschaftsleben mit all dem,
was Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsum ist.
Als zweites Glied des sozialen Organismus ist zu betrachten das
Leben des öffentlichen Rechtes, das eigentliche politische Leben. Zu
ihm gehört dasjenige, das man im Sinne des alten Rechtsstaates als das
eigentliche Staatsleben bezeichnen könnte. Während es das
Wirtschaftsleben mit all dem zu tun hat, was der Mensch braucht aus
der Natur und aus seiner eigenen Produktion heraus, mit Waren,
Warenzirkulation und Warenkonsum, kann es dieses zweite Glied des
sozialen Organismus nur zu tun haben mit all dem, was sich aus rein
menschlichen Untergründen heraus auf das Verhältnis des Menschen zum
Menschen bezieht. Es ist wesentlich für die Erkenntnis der Glieder des
sozialen Organismus, daß man weiß, welcher Unterschied
besteht zwischen dem System des öffentlichen Rechtes, das es nur zu
tun haben kann aus menschlichen Untergründen heraus mit dem Verhältnis
von Mensch zu Mensch, und dem Wirtschafts-System, das es nur zu
tun hat mit Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsum. Man
muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als
Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet,
wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur
Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen
im Nerven-Sinnesleben.
Als drittes Glied, das ebenso selbständig sich neben die beiden andern
Glieder hinstellen muß, hat man im sozialen Organismus das
aufzufassen, was sich auf das geistige Leben bezieht. Noch genauer
könnte man sagen, weil vielleicht die Bezeichnung «geistige Kultur»
oder alles das was sich auf das geistige Leben bezieht durchaus nicht
ganz genau ist alles dasjenige was beruht auf der natürlichen Begabung
des einzelnen menschlichen Individuums was hineinkommen muß in
den sozialen Organismus auf Grundlage dieser natürlichen, sowohl der
geistigen wie der physischen Begabung des einzelnen menschlichen
Individuums. Das erste System, das Wirtschaftssystem hat es zu tun mit
all dem, was da sein muß damit der Mensch sein materielles
Verhältnis zur Außenwelt regeln kann Das zweite System hat es zu
tun mit dem was da sein muß im sozialen Organismus wegen des
Verhältnisses von Mensch zu Mensch Das dritte System hat zu tun mit
all dem was hervor sprießen muß und eingegliedert werden
muß in den sozialen Qrganismus aus der einzelnen menschlichen
Individualität heraus.
Ebenso wahr, wie es ist, daß moderne Technik und moderner
Kapitalismus unserm gesellschaftlichen Leben eigentlich in der neueren
Zeit das Gepräge gegeben haben, ebenso notwendig ist es, daß
diejenigen Wunden, die von dieser Seite her notwendig der menschlichen
Gesellschaft geschlagen worden sind, dadurch geheilt werden, daß
man den Menschen und das menschliche Gemeinschaftsleben in ein
richtiges Verhältnis bringt zu den drei Gliedern dieses sozialen
Organismus. Das Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der
neueren Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat durch eine
einseitige Wirksamkeit in das menschliche Leben sich besonders
machtvoll hereingestellt. Die andern beiden Glieder des sozialen
Lebens sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit derselben
Selbstverständlichkeit sich in der richtigen Weise nach ihren eigenen
Gesetzen in den sozialen Organismus einzugliedern. Für sie ist es
notwendig, daß der Mensch aus den oben angedeuteten Empfindungen
heraus die soziale Gliederung vornimmt, jeder an seinem Orte; an dem
Orte, an dem er gerade steht. Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche
der sozialen Fragen, die hier gemeint sind, hat jeder einzelne Mensch
seine soziale Aufgabe in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft.
Dasjenige, was das erste Glied des sozialen Organismus ist, das
Wirtschaftsleben, das ruht zunächst auf der Naturgrundlage geradeso,
wie der einzelne Mensch mit Bezug auf dasjenige, was er für sich durch
Lernen, durch Erziehung, durch das Leben werden kann, ruht auf der
Begabung seines geistigen und körperlichen Organismus. Diese
Naturgrundlage drückt einfach dem Wirtschaftsleben und dadurch dem
gesamten sozialen Organismus sein Gepräge auf. Aber diese
Naturgrundlage ist da, ohne daß sie durch irgendeine soziale
Organisation, durch irgendeine Sozialisierung in ursprünglicher Art
getroffen werden kann. Sie muß dem Leben des sozialen Organismus
so zugrunde gelegt werden, wie bei der Erziehung des Menschen zugrunde
gelegt werden muß die Begabung, die er auf den verschiedenen
Gebieten hat, seine natürliche körperliche und geistige Tüchtigkeit.
Von jeder Sozialisierung, von jedem Versuche, dem menschlichen
Zusammenleben eine wirtschaftliche Gestaltung zu geben, muß
berücksichtigt werden die Naturgrundlage. Denn aller Warenzirkulation
und auch aller menschlichen Arbeit und auch jeglichem geistigen Leben
liegt zugrunde als ein erstes elementarisches Ursprüngliches
dasjenige, was den Menschen kettet an ein bestimmtes Stück Natur. Man
muß über den Zusammenhang des sozialen Organismus mit der
Naturgrundlage denken, wie man mit Bezug auf Lernen beim einzelnen
Menschen denken muß über sein Verhältnis zu seiner Begabung. Man
kann gerade sich dieses klarmachen an extremen Fällen. Man braucht zum
Beispiel nur zu bedenken, daß in gewissen Gebieten der Erde, wo
die Banane ein naheliegendes Nahrungsmittel für die Menschen abgibt,
in Betracht kommt für das menschliche Zusammenleben dasjenige an
Arbeit, was aufgebracht werden muß, um die Banane von ihrer
Ursprungsstätte aus an einen Bestimmungsort zu bringen und sie zu
einem Konsummittel zu machen. Vergleicht man die menschliche Arbeit,
die aufgebracht werden muß, um die Banane für die
menschliche Gesellschaft konsumfähig zu machen, mit der Arbeit, die
aufgebracht werden muß, etwa in unsern Gegenden Mitteleuropas,
um den Weizen konsumfähig zu machen, so ist die Arbeit, die für die
Banane notwendig ist, gering gerechnet, eine dreihundertmal kleinere
als beim Weizen.
Gewiß, das ist ein extremer Fall. Aber solche Unterschiede mit
Bezug auf das notwendige Maß von Arbeit im Verhältnis zu der
Naturgrundlage sind auch da unter den Produktionszweigen, die in
irgendeinem sozialen Organismus Europas vertreten sind, - nicht in
dieser radikalen Verschiedenheit wie bei Banane und Weizen, aber sie
sind als Unterschiede da. So ist es im Wirtschaftsorganismus
begründet, daß durch das Verhältnis des Menschen zur
Naturgrundlage seines Wirtschaftens das Maß von Arbeitskraft
bedingt ist, das er in den Wirtschaftsprozeß hineintragen
muß. Und man braucht ja nur zum Beispiel zu vergleichen: in
Deutschland, in Gegenden mit mittlerer Ertragsfähigkeit, ist
ungefähr das Erträgnis der Weizenkultur so, daß das Sieben-
bis Achtfache der Aussaat einkommt durch die Ernte; in
Chile kommt das Zwölffache herein, in Nordmexiko
kommt das Siebzehnfache ein, in Peru das
Zwanzigfache. (Vergleiche Jentsch, Volkswirtschaftslehre,
S.64.)
Dieses ganze zusammengehörige Wesen, welches verläuft in Vorgängen,
die beginnen mit dem Verhältnis des Menschen zur Natur, die sich
fortsetzen in all dem, was der Mensch zu tun hat, um die Naturprodukte
umzuwandeln und sie bis zur Konsumfähigkeit zu bringen, alle diese
Vorgänge und nur diese umschließen für einen gesunden sozialen
Organismus sein Wirtschaftsglied. Dieses steht im sozialen Organismus
wie das Kopfsystem, von dem die individuellen Begabungen bedingt sind,
im menschlichen Gesamtorganismus drinnen steht. Aber wie dieses
Kopfsystem von dem Lungen-Herzsystem abhängig ist, so ist das
Wirtschaftssystem von der menschlichen Arbeitsleistung abhängig. Wie
nun aber der Kopf nicht selbständig die Atemregelung hervorbringen
kann, so sollte das menschliche Arbeitssystem nicht durch die im
Wirtschaftsleben wirksamen Kräfte selbst geregelt werden.
In dem Wirtschaftsleben steht der Mensch durch seine Interessen
darinnen. Diese haben ihre Grundlage in seinen seelischen und
geistigen Bedürfnissen. Wie den Interessen am zweckmäßigsten
entsprochen werden kann innerhalb eines sozialen Organismus, so
daß der einzelne Mensch durch diesen Organismus in der
bestmöglichen Art zur Befriedigung seines Interesses kommt, und er
auch in vorteilhaftester Art sich in die Wirtschaft hineinstellen
kann: diese Frage muß praktisch in den Einrichtungen des
Wirtschaftskörpers gelöst sein. Das kann nur dadurch sein, daß
die Interessen sich wirklich frei geltend machen können und daß
auch der Wille und die Möglichkeit entstehen, das Nötige zu ihrer
Befriedigung zu tun. Die Entstehung der Interessen liegt
außerhalb des Kreises, der das Wirtschaftsleben umgrenzt. Sie
bilden sich mit der Entfaltung des seelischen und natürlichen
Menschenwesens. Daß Einrichtungen bestehen, sie zu befriedigen,
ist die Aufgabe des Wirtschaftslebens. Diese Einrichtungen können es
mit nichts anderem zu tun haben als allein mit der Herstellung und dem
Tausch von Waren, das heißt von Gütern, die ihren Wert durch das
menschliche Bedürfnis erhalten. Die Ware hat ihren Wert durch
denjenigen, der sie verbraucht. Dadurch, daß die Ware ihren Wert
durch den Verbraucher erhält, steht sie in einer ganz anderen Art im
sozialen Organismus als anderes, das für den Menschen als Angehörigen
dieses Organismus Wert hat. Man sollte unbefangen das Wirtschaftsleben
betrachten, in dessen Umkreis Warenerzeugung, Warenaustausch und
Warenverbrauch gehören. Man wird den wesenhaften Unterschied
nicht bloß betrachtend bemerken, welcher besteht zwischen
dem Verhältnis von Mensch zu Mensch, indem der eine für den anderen
Waren erzeugt, und demjenigen, das auf einem Rechtsverhältnis beruhen
muß. Man wird von der Betrachtung zu der praktischen Forderung
kommen, daß im sozialen Organismus das Rechtsleben völlig von
dem Wirtschaftsleben abgesondert gehalten werden muß. Aus den
Tätigkeiten, welche die Menschen innerhalb der Einrichtungen zu
entwickeln haben, die der Warenerzeugung und dem Warenaustausch
dienen, können sich unmittelbar nicht die möglichst besten Impulse
ergeben für die rechtlichen Verhältnisse, die unter den Menschen
bestehen müssen. Innerhalb der Wirtschaftseinrichtungen wendet sich
der Mensch an den Menschen, weil der eine dem Interesse des andern
dient; grundverschieden davon ist die Beziehung, welche der eine
Mensch zu dem andern innerhalb des Rechtslebens hat.
Man könnte nun glauben, dieser vom Leben geforderten Unterscheidung
wäre schon Genüge geschehen, wenn innerhalb der Einrichtungen, die dem
Wirtschaftsleben dienen, auch für die Rechte gesorgt werde, welche in
den Verhältnissen der in dieses Wirtschaftsleben hineingestellten
Menschen zueinander bestehen müssen. - Ein solcher Glaube hat seine
Wurzeln nicht in der Wirklichkeit des Lebens. Der Mensch kann nur dann
das Rechtsverhältnis richtig erleben, das zwischen ihm und anderen
Menschen bestehen muß, wenn er dieses Verhältnis nicht
auf dem Wirtschaftsgebiet erlebt, sondern auf einem davon völlig
getrennten Boden. Es muß deshalb im gesunden sozialen Organismus
neben dem Wirtschaftsleben und in Selbständigkeit ein Leben
sich entfalten, in dem die Rechte entstehen und verwaltet werden, die
von Mensch zu Mensch bestehen. Das Rechtsleben ist aber dasjenige des
eigentlichen politischen Gebietes, des Staates. Tragen die Menschen
diejenigen Interessen, denen sie in ihrem Wirtschaftsleben dienen
müssen, in die Gesetzgebung und Verwaltung des Rechtsstaates hinein,
so werden die entstehenden Rechte nur der Ausdruck dieser
wirtschaftlichen Interessen sein. Ist der Rechtsstaat selbst
Wirtschafter, so verliert er die Fähigkeit, das Rechtsleben der
Menschen zu regeln. Denn seine Maßnahmen und Einrichtungen
werden dem menschlichen Bedürfnisse nach Waren dienen müssen; sie
werden dadurch abgedrängt von den Impulsen, die auf das Rechtsleben
gerichtet sind.
Der gesunde soziale Organismus erfordert als zweites Glied neben dem
Wirtschaftskörper das selbständige politische Staatsleben. In dem
selbständigen Wirtschaftskörper werden die Menschen durch die Kräfte
des wirtschaftlichen Lebens zu Einrichtungen kommen, welche der
Warenerzeugung und dem Warenaustausch in der möglichst besten Weise
dienen. In dem politischen Staatskörper werden solche Einrichtungen
entstehen, welche die gegenseitigen Beziehungen zwischen Menschen und
Menschengruppen in solcher Art orientieren, daß dem
Rechtsbewußtsein des Menschen entsprochen wird.
Der Gesichtspunkt, von dem aus hier die gekennzeichnete Forderung nach
völliger Trennung des Rechtsstaates von dem Wirtschaftsgebiet gestellt
wird, ist ein solcher, der im wirklichen Menschenleben drinnen
liegt. Einen solchen Gesichtspunkt nimmt derjenige nicht ein, der
Rechtsleben und Wirtschaftsleben miteinander verbinden will. Die im
wirtschaftlichen Leben stehenden Menschen haben selbstverständlich das
Rechtsbewußtsein; aber sie werden nur aus diesem heraus
und nicht aus den wirtschaftlichen Interessen Gesetzgebung und
Verwaltung im Sinne des Rechtes besorgen, wenn sie darüber zu urteilen
haben in dem Rechtsstaat, der als solcher an dem Wirtschaftsleben
keinen Anteil hat. Ein solcher Rechtsstaat hat seinen eigenen
Gesetzgebungs- und Verwaltungskörper, die beide nach den Grundsätzen
aufgebaut sind, welche sich aus dem Rechtsbewußtsein der neueren
Zeit ergeben. Er wird aufgebaut sein auf den Impulsen im
Menschheitsbewußtsein, die man gegenwärtig die demokratischen
nennt. Das Wirtschaftsgebiet wird aus den Impulsen des
Wirtschaftslebens heraus seine Gesetzgebungs- und
Verwaltungskörperschaften bilden. Der notwendige Verkehr zwischen
den Leitungen des Rechts- und Wirtschaftskörpers wird erfolgen
annähernd wie gegenwärtig der zwischen den Regierungen souveräner
Staatsgebiete. Durch diese Gliederung wird, was in dem einen Körper
sich entfaltet, auf dasjenige, was im andern entsteht, die notwendige
Wirkung ausüben können. Diese Wirkung wird dadurch gehindert,
daß das eine Gebiet in sich selbst das entfalten will, was ihm
von dem anderen zufließen soll.
Wie das Wirtschaftsleben auf der einen Seite den Bedingungen der
Naturgrundlage (Klima, geographische Beschaffenheit des Gebietes,
Vorhandensein von Bodenschätzen und so weiter) unterworfen ist, so ist
es auf der andern Seite von den Rechtsverhältnissen abhängig, welche
der Staat zwischen den wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen
schafft. Damit sind die Grenzen dessen bezeichnet, was die Tätigkeit
des Wirtschaftslebens umfassen kann und soll. Wie die Natur
Vorbedingungen schafft, die außerhalb des Wirtschaftskreises
liegen und die der wirtschaftende Mensch hinnehmen muß als etwas
Gegebenes, auf das er erst seine Wirtschaft aufbauen kann, so soll
alles, was im Wirtschaftsbereich ein Rechtsverhältnis begründet von
Mensch zu Mensch, im gesunden sozialen Organismus durch den
Rechtsstaat seine Regelung erfahren, der wie die Naturgrundlage als
etwas dem Wirtschaftsleben selbständig Gegenüberstehendes sich
entfaltet.
In dem sozialen Organismus, der sich im bisherigen geschichtlichen
Werden der Menschheit herausgebildet hat und der durch das
Maschinenzeitalter und durch die moderne kapitalistische
Wirtschaftsform zu dem geworden ist, was der sozialen Bewegung ihr
Gepräge gibt, umfaßt das Wirtschaftsleben mehr, als es im
gesunden sozialen Organismus umfassen soll. Gegenwärtig bewegt sich in
dem wirtschaftlichen Kreislauf, in dem sich bloß Waren
bewegen sollen, auch die menschliche Arbeitskraft, und es bewegen sich
auch Rechte. Man kann gegenwärtig in dem Wirtschaftskörper, der auf
der Arbeitsteilung beruht, nicht allein Waren tauschen gegen Waren,
sondern durch denselben wirtschaftlichen Vorgang auch Waren gegen
Arbeit und Waren gegen Rechte. (Ich nenne Ware jede Sache, die durch
menschliche Tätigkeit zu dem geworden ist, als das sie an irgendeinem
Orte, an den sie durch den Menschen gebracht wird, ihrem Verbrauch
zugeführt wird. Mag diese Bezeichnung manchem Volkswirtschaftslehrer
auch anstößig oder nicht genügend erscheinen, sie kann zur
Verständigung über das, was dem Wirtschaftsleben angehören soll, ihre
guten Dienste tun.) Wenn jemand durch Kauf ein Grundstück erwirbt, so
muß das als ein Tausch des Grundstückes gegen Waren, für die das
Kaufgeld als Repräsentant zu gelten hat, angesehen werden. Das
Grundstück selber aber wirkt im Wirtschaftsleben nicht als Ware. Es
steht in dem sozialen Organismus durch das Recht darinnen, das
der Mensch auf seine Benützung hat. Dieses Recht ist etwas wesentlich
anderes als das Verhältnis, in dem sich der Produzent einer Ware zu
dieser befindet. In dem letzteren Verhältnis liegt es wesenhaft
begründet, daß es nicht übergreift auf die ganz anders geartete
Beziehung von Mensch zu Mensch, die dadurch hergestellt wird,
daß jemandem die alleinige Benützung eines Grundstückes zusteht.
Der Besitzer bringt andere Menschen, die zu ihrem Lebensunterhalt von
ihm zur Arbeit auf diesem Grundstück angestellt werden, oder die
darauf wohnen müssen, in Abhängigkeit von sich. Dadurch, daß man
gegenseitig wirkliche Waren tauscht, die man produziert oder
konsumiert, stellt sich eine Abhängigkeit nicht ein, welche in
derselben Art zwischen Mensch und Mensch wirkt.
Wer eine solche Lebenstatsache unbefangen durchschaut, dem wird
einleuchten, daß sie ihren Ausdruck finden muß in den
Einrichtungen des gesunden sozialen Organismus. Solange Waren gegen
Waren im Wirtschaftsleben ausgetauscht werden, bleibt die
Wertgestaltung dieser Waren unabhängig von dem Rechtsverhältnisse
zwischen Personen und Personengruppen. Sobald Waren gegen Rechte
eingetauscht werden, wird das Rechtsverhältnis selbst berührt. Nicht
auf den Tausch als solchen kommt es an. Dieser ist das notwendige
Lebenselement des gegenwärtigen, auf Arbeitsteilung ruhenden sozialen
Organismus; sondern es handelt sich darum, daß durch den Tausch
des Rechtes mit der Ware das Recht selbst zur Ware gemacht wird, wenn
das Recht innerhalb des Wirtschaftslebens entsteht. Das wird
nur dadurch verhindert, daß im sozialen Organismus einerseits
Einrichtungen bestehen, die nur darauf abzielen, den Kreislauf
der Waren in der zweckmäßigsten Weise zu bewirken; und
anderseits solche, welche die im Warenaustausch lebenden Rechte der
produzierenden, Handel treibenden und konsumierenden Personen regeln.
Diese Rechte unterscheiden sich ihrem Wesen nach gar nicht von
anderen Rechten, die in dem vom Warenaustausch ganz unabhängigen
Verhältnis von Person zu Person bestehen müssen. Wenn ich meinen
Mitmenschen durch den Verkauf einer Ware schädige oder fördere, so
gehört das in das gleiche Gebiet des sozialen Lebens wie eine
Schädigung oder Förderung durch eine Tätigkeit oder Unterlassung, die
unmittelbar nicht in einem Warenaustausch zum Ausdruck kommt.
In der Lebenshaltung des einzelnen Menschen fließen die
Wirkungen aus den Rechtseinrichtungen mit denen aus der rein
wirtschaftlichen Tätigkeit zusammen. Im gesunden sozialen Organismus
müssen sie aus zwei verschiedenen Richtungen kommen. In der
wirtschaftlichen Organisation hat die aus der Erziehung für einen
Wirtschaftszweig und die aus der Erfahrung in demselben gewonnene
Vertrautheit mit ihm für die leitenden Persönlichkeiten die nötigen
Gesichtspunkte abzugeben. In der Rechtsorganisation wird durch Gesetz
und Verwaltung verwirklicht, was aus dem Rechtsbewußtsein als
Beziehung einzelner Menschen oder Menschengruppen zueinander gefordert
wird. Die Wirtschaftsorganisation wird Menschen mit gleichen Berufs-
oder Konsuminteressen oder mit in anderer Beziehung gleichen
Bedürfnissen sich zu Genossenschaften zusammenschließen lassen,
die im gegenseitigen Wechselverkehr die Gesamtwirtschaft zustande
bringen. Diese Organisation wird sich auf assoziativer Grundlage und
auf dem Verhältnis der Assoziationen aufbauen. Diese Assoziationen
werden eine bloß wirtschaftliche Tätigkeit entfalten. Die
Rechtsgrundlage, auf der sie arbeiten, kommt ihnen von der
Rechtsorganisation zu. Wenn solche Wirtschaftsassoziationen ihre
wirtschaftlichen Interessen in den Vertretungs- und Verwaltungskörpern
der Wirtschaftsorganisation zur Geltung bringen können, dann werden
sie nicht den Drang entwickeln, in die gesetzgebende oder verwaltende
Leitung des Rechtsstaates einzudringen (zum Beispiel als Bund der
Landwirte, als Partei der Industriellen, als wirtschaftlich
orientierte Sozialdemokratie), um da anzustreben, was ihnen innerhalb
des Wirtschaftslebens zu erreichen nicht möglich ist. Und wenn der
Rechtsstaat in gar keinem Wirtschaftszweige mitwirtschaftet, dann wird
er nur Einrichtungen schaffen, die aus dem Rechtsbewußtsein der
zu ihm gehörenden Menschen stammen. Auch wenn in der Vertretung des
Rechtsstaates, wie es ja selbstverständlich ist, dieselben Personen
sitzen, die im Wirtschaftsleben tätig sind, so wird sich durch die
Gliederung in Wirtschafts- und in Rechtsleben nicht ein Einfluß
des Wirtschafts- auf das Rechtsleben ergeben können, der die
Gesundheit des sozialen Organismus so untergräbt, wie sie untergraben
werden kann, wenn die Staatsorganisation selbst Zweige des
Wirtschaftslebens versorgt, und wenn in derselben die Vertreter des
Wirtschaftslebens aus dessen Interessen heraus Gesetze
beschließen.
Ein typisches Beispiel von Verschmelzung des Wirtschaftslebens mit dem
Rechtsleben bot Österreich mit der Verfassung, die es sich in den
sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts gegeben hat. Die
Vertreter des Reichsrates dieses Ländergebietes wurden aus den vier
Zweigen des Wirtschaftslebens heraus gewählt, aus der Gemeinschaft der
Großgrundbesitzer, der Handelskammern, der Städte, Märkte und
Industrialorte und der Landgemeinden. Man sieht, daß für diese
Zusammensetzung der Staatsvertretung an gar nichts anderes in erster
Linie gedacht wurde, als daß aus der Geltendmachung der
wirtschaftlichen Verhältnisse sich das Rechtsleben ergeben werde.
Gewiß ist, daß zu dem gegenwärtigen Zerfall Österreichs
die auseinandertreibenden Kräfte seiner Nationalitäten bedeutsam
mitgewirkt haben. Allein als ebenso gewiß kann es gelten,
daß eine Rechtsorganisation, die neben der wirtschaftlichen ihre
Tätigkeit hätte entfalten können, aus dem Rechtsbewußtsein
heraus eine Gestaltung des sozialen Organismus würde entwickelt haben,
in der ein Zusammenleben der Völker möglich geworden wäre.
Der gegenwärtig am öffentlichen Leben interessierte Mensch lenkt
gewöhnlich seinen Blick auf Dinge, die erst in zweiter Linie für
dieses Leben in Betracht kommen. Er tut dieses, weil ihn seine
Denkgewohnheit dazu bringt, den sozialen Organismus als ein
einheitliches Gebilde aufzufassen. Für ein solches Gebilde aber
kann sich kein ihm entsprechender Wahlmodus finden. Denn bei
jedem Wahlmodus müssen sich im Vertretungskörper die
wirtschaftlichen Interessen und die Impulse des Rechtslebens stören.
Und was aus der Störung für das soziale Leben fließt,
muß zu Erschütterungen des Gesellschaftsorganismus
führen. Obenan als notwendige Zielsetzung des öffentlichen Lebens
muß gegenwärtig das Hinarbeiten auf eine durchgreifende Trennung
des Wirtschaftslebens und der Rechtsorganisation stehen. Indem man
sich in diese Trennung hineinlebt, werden die sich trennenden
Organisationen aus ihren eigenen Grundlagen heraus die besten Arten
für die Wahlen ihrer Gesetzgeber und Verwalter finden. In dem, was
gegenwärtig zur Entscheidung drängt, kommen Fragen des Wahlmodus, wenn
sie auch als solche von fundamentaler Bedeutung sind, doch erst in
zweiter Linie in Betracht. Wo die alten Verhältnisse noch vorhanden
sind, wäre aus diesen heraus auf die angedeutete Gliederung
hinzuarbeiten. Wo das Alte sich bereits aufgelöst hat, oder in der
Auflösung begriffen ist, müßten Einzelpersonen und Bündnisse
zwischen Personen die Initiative zu einer Neugestaltung versuchen, die
sich in der gekennzeichneten Richtung bewegt. Von heute zu morgen eine
Umwandlung des öffentlichen Lebens herbeiführen zu wollen, das sehen
auch vernünftige Sozialisten als Schwarmgeisterei an. Solche erwarten
die von ihnen gemeinte Gesundung durch eine allmähliche,
sachgemäße Umwandlung. Daß aber die geschichtlichen
Entwickelungskräfte der Menschheit gegenwärtig ein vernünftiges Wollen
nach der Richtung einer sozialen Neuordnung notwendig machen, das
können jedem Unbefangenen weithinleuchtende Tatsachen lehren.
Wer für «praktisch durchführbar» nur dasjenige hält, an das er sich
aus engem Lebensgesichtskreis heraus gewöhnt hat, der wird das hier
Angedeutete für «unpraktisch» halten. Kann er sich nicht bekehren, und
behält er auf irgendeinem Lebensgebiete Einfluß, dann wird er
nicht zur Gesundung, sondern zur weiteren Erkrankung des sozialen
Organismus wirken, wie Leute seiner Gesinnung an der Herbeiführung der
gegenwärtigen Zustände gewirkt haben.
Die Bestrebung, mit der führende Kreise der Menschheit begonnen haben
und die zur Überleitung gewisser Wirtschaftszweige (Post, Eisenbahnen
und so weiter) in das Staatsleben geführt hat, muß der
entgegengesetzten weichen: der Herauslösung alles Wirtschaftens aus
dem Gebiete des politischen Staatswesens. Denker, welche mit ihrem
Wollen glauben, sich in der Richtung nach einem gesunden sozialen
Organismus zu befinden, ziehen die äußerste Folgerung der
Verstaatlichungsbestrebungen dieser bisher leitenden Kreise. Sie
wollen die Vergesellschaftung aller Mittel des Wirtschaftslebens,
insofern diese Produktionsmittel sind. Eine gesunde Entwickelung wird
dem wirtschaftlichen Leben seine Selbständigkeit geben und dem
politischen Staate die Fähigkeit, durch die Rechtsordnung auf den
Wirtschaftskörper so zu wirken, daß der einzelne Mensch seine
Eingliederung in den sozialen Organismus nicht im Widerspruche mit
seinem Rechtsbewußtsein empfindet.
Man kann durchschauen, wie die hier vorgebrachten Gedanken im
wirklichen Leben der Menschheit begründet sind, wenn man den Blick
auf die Arbeit lenkt, welche der Mensch für den sozialen Organismus
durch seine körperliche Arbeitskraft verrichtet. Innerhalb der
kapitalistischen Wirtschaftsform hat sich diese Arbeit dem sozialen
Organismus so eingegliedert, daß sie durch den Arbeitgeber wie
eine Ware dem Arbeitnehmer abgekauft wird. Ein Tausch wird eingegangen
zwischen Geld (als Repräsentant der Waren) und Arbeit. Aber ein
solcher Tausch kann sich in Wirklichkeit gar nicht vollziehen. Er
scheint sich nur zu vollziehen. In Wirklichkeit nimmt der
Arbeitgeber von dem Arbeiter Waren entgegen, die nur entstehen können,
wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft für die Entstehung hingibt. Aus
dem Gegenwert dieser Waren erhält der Arbeiter einen Anteil, der
Arbeitgeber den andern. Die Produktion der Waren erfolgt durch das
Zusammenwirken des Arbeitgebers und Arbeitnehmers. Das Produkt des
gemeinsamen Wirkens geht erst in den Kreislauf des Wirtschaftslebens
über. Zur Herstellung des Produktes ist ein Rechtsverhältnis zwischen
Arbeiter und Unternehmer notwendig. Dieses kann aber durch die
kapitalistische Wirtschaftsart in ein solches verwandelt werden,
welches durch die wirtschaftliche Übermacht des Arbeitgebers über den
Arbeiter bedingt ist. Im gesunden sozialen Organismus muß zutage
treten, daß die Arbeit nicht bezahlt werden kann. Denn diese
kann nicht im Vergleich mit einer Ware einen wirtschaftlichen Wert
erhalten. Einen solchen hat erst die durch Arbeit hervorgebrachte Ware
im Vergleich mit andern Waren. Die Art, wie, und das Maß, in dem
ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat,
müssen aus seiner Fähigkeit heraus und aus den Bedingungen eines
menschenwürdigen Daseins geregelt werden. Das kann nur geschehen, wenn
diese Regelung von dem politischen Staate aus in Unabhängigkeit von
den Verwaltungen des Wirtschaftslebens geschieht.
Durch eine solche Regelung wird der Ware eine Wertunterlage
geschaffen, die sich vergleichen läßt mit der andern, die in den
Naturbedingungen besteht. Wie der Wert einer Ware gegenüber einer
andern dadurch wächst, daß die Gewinnung der Rohprodukte für
dieselbe schwieriger ist als für die andere, so muß der
Warenwert davon abhängig werden, welche Art und welches Maß von
Arbeit zum Hervorbringen der Ware nach der Rechtsordnung aufgebracht
werden dürfen.
Das Wirtschaftsleben wird auf diese Weise von zwei Seiten her seinen
notwendigen Bedingungen unterworfen: von Seite der Naturgrundlage,
welche die Menschheit hinnehmen muß, wie sie ihr gegeben ist,
und von Seite der Rechtsgrundlage, die aus dem Rechtsbewußtsein
heraus auf dem Boden des vom Wirtschaftsleben unabhängigen politischen
Staates geschaffen werden soll.
Es ist leicht einzusehen, daß durch eine solche Führung des
sozialen Organismus der wirtschaftliche Wohlstand sinken und steigen
wird je nach dem Maß von Arbeit, das aus dem
Rechtsbewußtsein heraus aufgewendet wird. Allein eine solche
Abhängigkeit des volkswirtschaftlichen Wohlstandes ist im gesunden
sozialen Organismus notwendig. Sie allein kann verhindern, daß
der Mensch durch das Wirtschaftsleben so verbraucht werde, daß
er sein Dasein nicht mehr als menschenwürdig empfinden kann. Und auf
dem Vorhandensein der Empfindung eines menschenunwürdigen Daseins
beruhen in Wahrheit alle Erschütterungen im sozialen Organismus.
Eine Möglichkeit, den volkswirtschaftlichen Wohlstand von der
Rechtsseite her nicht allzu stark zu vermindern, besteht in einer
ähnlichen Art, wie eine solche zur Aufbesserung der Naturgrundlage.
Man kann einen wenig ertragreichen Boden durch technische Mittel
ertragreicher machen; man kann, veranlaßt durch die allzu starke
Verminderung des Wohlstandes, die Art und das Maß der Arbeit
ändern. Aber diese Änderung soll nicht aus dem Kreislauf des
Wirtschaftslebens unmittelbar erfolgen, sondern aus der
Einsicht, die sich auf dem Boden des vom Wirtschaftsleben
unabhängigen Rechtslebens entwickelt.
In alles, was durch das Wirtschaftsleben und das
Rechtsbewußtsein in der Organisation des sozialen Lebens
hervorgebracht wird, wirkt hinein, was aus einer dritten Quelle
stammt: aus den individuellen Fähigkeiten des einzelnen Menschen.
Dieses Gebiet umfaßt alles von den höchsten geistigen Leistungen
bis zu dem, was in Menschenwerke einfließt durch die bessere
oder weniger gute körperliche Eignung des Menschen für Leistungen, die
dem sozialen Organismus dienen. Was aus dieser Quelle stammt,
muß in den gesunden sozialen Organismus auf ganz andere Art
einfließen, als dasjenige, was im Warenaustausch lebt, und was
aus dem Staatsleben fließen kann. Es gibt keine andere
Möglichkeit, diese Aufnahme in gesunder Art zu bewirken, als sie von
der freien Empfänglichkeit der Menschen und von den Impulsen, die aus
den individuellen Fähigkeiten selbst kommen, abhängig sein zu lassen.
Werden die durch solche Fähigkeiten erstehenden Menschenleistungen
vorn Wirtschaftsleben oder von der Staatsorganisation künstlich
beeinflußt, so wird ihnen die wahre Grundlage ihres eigenen
Lebens zum größten Teile entzogen. Diese Grundlage kann nur in
der Kraft bestehen, welche die Menschenleistungen aus sich selbst
entwickeln müssen. Wird die Entgegennahme solcher Leistungen vom
Wirtschaftsleben unmittelbar bedingt, oder vom Staate organisiert, so
wird die freie Empfänglichkeit für sie gelähmt. Sie ist aber allein
geeignet, sie in gesunder Form in den sozialen Organismus
einfließen zu lassen. Für das Geistesleben, mit dem auch die
Entwickelung der anderen individuellen Fähigkeiten im Menschenleben
durch unübersehbar viele Fäden zusammenhängt, ergibt sich nur eine
gesunde Entwickelungsmöglichkeit, wenn es in der Hervorbringung auf
seine eigenen Impulse gestellt ist, und wenn es in verständnisvollem
Zusammenhange mit den Menschen steht, die seine Leistungen empfangen.
Worauf hier als auf die gesunden Entwickelungsbedingungen des
Geisteslebens gedeutet wird, das wird gegenwärtig nicht durchschaut,
weil der rechte Blick dafür getrübt ist durch die Verschmelzung eines
großen Teiles dieses Lebens mit dem politischen Staatsleben.
Diese Verschmelzung hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte ergeben
und man hat sich in sie hineingewöhnt. Man spricht ja wohl von
«Freiheit der Wissenschaft und des Lehrens». Aber man betrachtet es
als selbstverständlich, daß der politische Staat die «freie
Wissenschaft» und das «freie Lehren» verwaltet. Man entwickelt keine
Empfindung dafür, wie dieser Staat dadurch das Geistesleben von seinen
staatlichen Bedürfnissen abhängig macht. Man denkt, der Staat schafft
die Stellen, an denen gelehrt wird; dann können diejenigen, welche
diese Stellen einnehmen, das Geistesleben « frei» entfalten. Man
beachtet, indem man sich an eine solche Meinung gewöhnt, nicht, wie
eng verbunden der Inhalt des geistigen Lebens ist mit dem
innersten Wesen des Menschen, in dem er sich entfaltet. Wie diese
Entfaltung nur dann eine freie sein kann, wenn sie durch keine andern
Impulse in den sozialen Organismus hineingestellt ist als allein durch
solche, die aus dem Geistesleben selbst kommen. Durch die
Verschmelzung mit dem Staatsleben hat eben nicht nur die Verwaltung
der Wissenschaft und des Teiles des Geisteslebens, der mit ihr
zusammenhängt, in den letzten Jahrhunderten das Gepräge erhalten,
sondern auch der Inhalt selbst. Gewiß, was in Mathematik oder
Physik produziert wird, kann nicht unmittelbar vom Staate
beeinflußt werden. Aber man denke an die Geschichte, an die
andern Kulturwissenschaften. Sind sie nicht ein Spiegelbild dessen
geworden, was sich aus dem Zusammenhang ihrer Träger mit dem
Staatsleben ergeben hat, aus den Bedürfnissen dieses Lebens heraus?
Gerade durch diesen ihnen aufgeprägten Charakter haben die
gegenwärtigen wissenschaftlich orientierten, das Geistesleben
beherrschenden Vorstellungen auf das Proletariat als Ideologie
gewirkt. Dieses bemerkte, wie ein gewisser Charakter den
Menschengedanken aufgeprägt wird durch die Bedürfnisse des
Staatslebens, in welchem den Interessen der leitenden Klassen
entsprochen wird. Ein Spiegelbild der materiellen Interessen und
Interessenkämpfe sah der proletarisch Denkende. Das erzeugte in ihm
die Empfindung, alles Geistesleben sei Ideologie, sei Spiegelung der
ökonomischen Organisation.
Eine solche, das geistige Leben des Menschen verödende Anschauung hört
auf, wenn die Empfindung entstehen kann: Im geistigen Gebiet waltet
eine über das materielle Außenleben hinausgehende Wirklichkeit,
die ihren Inhalt in sich selber trägt. Es ist unmöglich, daß
eine solche Empfindung ersteht, wenn das Geistesleben nicht aus seinen
eigenen Impulsen heraus sich innerhalb des sozialen Organismus frei
entfaltet und verwaltet. Nur solche Träger des Geisteslebens, die
innerhalb einer derartigen Entfaltung und Verwaltung stehen, haben die
Kraft, diesem Leben das ihm gebührende Gewicht im sozialen Organismus
zu verschaffen. Kunst, Wissenschaft, Weltanschauung und alles, was
damit zusammenhängt, bedarf einer solchen selbständigen Stellung in
der menschlichen Gesellschaft. Denn im geistigen Leben hängt alles
zusammen. Die Freiheit des einen kann nicht ohne die Freiheit des
andern gedeihen Wenn auch Mathematik und Physik in ihrem Inhalt nicht
von den Bedürfnissen des Staates unmittelbar zu beeinflussen sind: Was
man von ihnen entwickelt, wie die Menschen über ihren Wert denken,
welche Wirkung ihre Pflege auf das ganze übrige Geistesleben haben
kann, und vieles andere wird durch diese Bedürfnisse bedingt, wenn der
Staat Zweige des Geisteslebens verwaltet. Es ist ein anderes, wenn der
die niederste Schulstufe versorgende Lehrer den Impulsen des
Staatslebens folgt; ein anderes, wenn er diese Impulse erhält aus
einem Geistesleben heraus, das auf sich selbst gestellt ist. Die
Sozialdemokratie hat auch auf diesem Gebiete nur die Erbschaft aus den
Denkgewohnheiten und Gepflogenheiten der leitenden Kreise übernommen.
Sie betrachtet es als ihr Ideal, das geistige Leben in den auf das
Wirtschaftsleben gebauten Gesellschaftskörper einzubeziehen. Sie
könnte, wenn sie dieses von ihr gesetzte Ziel erreichte, damit den Weg
nur fortsetzen, auf dem das Geistesleben seine Entwertung gefunden
hat. Sie hat eine richtige Empfindung einseitig entwickelt mit ihrer
Forderung: Religion müsse Privatsache sein. Denn im gesunden sozialen
Organismus muß alles Geistesleben dem Staate und der Wirtschaft
gegenüber in dem hier angedeuteten Sinn «Privatsache» sein. Aber die
Sozialdemokratie geht bei der Überweisung der Religion auf das
Privatgebiet nicht von der Meinung aus, daß einem geistigen Gute
dadurch eine Stellung innerhalb des sozialen Organismus geschaffen
werde, durch die es zu einer wünschenswerteren, höheren Entwickelung
kommen werde als unter dem Einfluß des Staates. Sie ist der
Meinung, daß der soziale Organismus durch seine Mittel nur
pflegen dürfe, was ihm Lebensbedürfnis ist. Und ein solches sei
das religiöse Geistesgut nicht. In dieser Art, einseitig aus dem
öffentlichen Leben herausgestellt, kann ein Zweig des Geisteslebens
nicht gedeihen, wenn das andere Geistesgut gefesselt ist. Das
religiöse Leben der neueren Menschheit wird in Verbindung mit allem
befreiten Geistesleben seine für diese Menschheit seelentragende Kraft
entwickeln.
Nicht nur die Hervorbringung, sondern auch die Aufnahme dieses
Geisteslebens durch die Menschheit muß auf dem freien
Seelenbedürfnis beruhen. Lehrer, Künstler und so weiter, die in ihrer
sozialen Stellung nur im unmittelbaren Zusammenhange sind mit einer
Gesetzgebung und Verwaltung, die aus dem Geistesleben selbst sich
ergeben und die nur von dessen Impulsen getragen sind, werden durch
die Art ihres Wirkens die Empfänglichkeit für ihre Leistungen
entwickeln können bei Menschen, welche durch den aus sich
wirkenden politischen Staat davor behütet werden, nur dem Zwang zur
Arbeit zu unterliegen, sondern denen das Recht auch die Muße
gibt, welche das Verständnis für geistige Güter weckt. Den Menschen,
die sich «Lebenspraktiker» dünken, mag bei solchen Gedanken der Glaube
aufsteigen: Die Menschen werden ihre Mußezeit vertrinken, und
man werde in den Analphabetismus zurückfallen, wenn der Staat für
solche Muße sorgt, und wenn der Besuch der Schule in das freie
Verständnis der Menschen gestellt ist. Möchten solche «Pessimisten»
doch abwarten, was wird, wenn die Welt nicht mehr unter ihrem
Einfluß steht. Dieser ist nur allzu oft von einem gewissen
Gefühle bestimmt, das ihnen leise zuflüstert, wie sie ihre Muße
verwenden, und was sie nötig hatten, um sich ein wenig «Bildung»
anzueignen. Mit der zündenden Kraft, die ein wirklich auf sich selbst
gestelltes Geistesleben im sozialen Organismus hat, können sie ja
nicht rechnen, denn das gefesselte, das sie kennen, hat auf sie nie
eine solch zündende Kraft ausüben können.
Sowohl der politische Staat wie das Wirtschaftsleben werden den
Zufluß aus dem Geistesleben, den sie brauchen, von dem sich
selbst verwaltenden geistigen Organismus erhalten. Auch die praktische
Bildung für das Wirtschaftsleben wird durch das freie Zusammenwirken
desselben mit dem Geistesorganismus ihre volle Kraft erst entfalten
können. Entsprechend vorgebildete Menschen werden die Erfahrungen, die
sie im Wirtschaftsgebiet machen können, durch die Kraft, die ihnen aus
dem befreiten Geistesgut kommt, beleben. Menschen mit einer aus dem
Wirtschaftsleben gewonnenen Erfahrung werden den Übergang finden in
die Geistesorganisation und in derselben befruchtend wirken auf
dasjenige, was so befruchtet werden muß.
Auf dem Gebiete des politischen Staates werden sich die notwendigen
gesunden Ansichten durch eine solche freie Wirkung des Geistesgutes
bilden. Der handwerklich Arbeitende wird durch den Einfluß eines
solchen Geistesgutes eine ihn befriedigende Empfindung von der
Stellung seiner Arbeit im sozialen Organismus sich aneignen können. Er
wird zu der Einsicht kommen, wie ohne die Leitung, welche die
handwerkliche Arbeit zweckentsprechend organisiert, der soziale
Organismus ihn nicht tragen kann. Er wird das Gefühl von der
Zusammengehörigkeit seiner Arbeit mit den organisierenden
Kräften, die aus der Entwickelung individueller menschlicher
Fähigkeiten stammen, in sich aufnehmen können. Er wird auf dem Boden
des politischen Staates die Rechte ausbilden, welche ihm den Anteil
sichern an dem Ertrage der Waren, die er erzeugt; und er wird in
freier Weise dem ihm zukommenden Geistesgut denjenigen Anteil gönnen,
der dessen Entstehung ermöglicht. Auf dem Gebiet des Geisteslebens
wird die Möglichkeit entstehen, daß dessen Hervorbringer von den
Erträgnissen ihrer Leistungen auch leben. Was jemand für sich im
Gebiete des Geisteslebens treibt, wird seine engste Privatsache
bleiben; was jemand für den sozialen Organismus zu leisten vermag,
wird mit der freien Entschädigung derer rechnen können, denen das
Geistesgut Bedürfnis ist. Wer durch solche Entschädigung innerhalb der
Geistesorganisation das nicht finden kann, was er braucht, wird
übergehen müssen zum Gebiet des politischen Staates oder des
Wirtschaftslebens.
In das Wirtschaftsleben fließen ein die aus dem geistigen Leben
stammenden technischen Ideen. Sie stammen aus dem geistigen Leben,
auch wenn sie unmittelbar von Angehörigen des Staats- oder
Wirtschaftsgebietes kommen. Daher kommen alle die organisatorischen
Ideen und Kräfte, welche das wirtschaftliche und staatliche Leben
befruchten. Die Entschädigung für diesen Zufluß in die beiden
sozialen Gebiete wird entweder auch durch das freie Verständnis derer
zustande kommen, die auf diesen Zufluß angewiesen sind, oder sie
wird durch Rechte ihre Regelung finden, welche im Gebiete des
politischen Staates ausgebildet werden. Was dieser politische Staat
selber für seine Erhaltung fordert, das wird aufgebracht werden durch
das Steuerrecht. Dieses wird durch eine Harmonisierung der Forderungen
des Rechtsbewußtseins mit denen des Wirtschaftslebens sich
ausbilden.
Neben dem politischen und dem Wirtschaftsgebiet muß im gesunden
sozialen Organismus das auf sich selbst gestellte Geistesgebiet
wirken. Nach der Dreigliederung dieses Organismus weist die Richtung
der Entwickelungskräfte der neueren Menschheit. Solange das
gesellschaftliche Leben im wesentlichen durch die Instinktkräfte eines
großen Teiles der Menschheit sich führen ließ, trat der
Drang nach dieser entschiedenen Gliederung nicht auf. In einer
gewissen Dumpfheit des sozialen Lebens wirkte zusammen, was im Grunde
immer aus drei Quellen stammte. Die neuere Zeit fordert ein
bewußtes Sichhineinstellen des Menschen in den
Gesellschaftsorganismus. Dieses Bewußtsein kann dem Verhalten
und dem ganzen Leben der Menschen nur dann eine gesunde Gestaltung
geben, wenn es von drei Seiten her orientiert ist. Nach dieser
Orientierung strebt in den unbewußten Tiefen des Seelischen die
moderne Menschheit; und was sich als soziale Bewegung auslebt, ist nur
der getrübte Abglanz dieses Strebens.
Aus andern Grundlagen heraus, als die sind, in denen wir heute leben,
tauchte aus tiefen Untergründen der menschlichen Natur heraus am Ende
des 1$. Jahrhunderts der Ruf nach einer Neugestaltung des sozialen
menschlichen Organismus. Da hörte man wie eine Devise dieser
Neuorganisation die drei Worte: Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit.
Nun wohl, derjenige, der sich mit vorurteilslosem Sinn und mit einem
gesunden Menschheitsempfinden einläßt auf die Wirklichkeit der
menschlichen Entwickelung, der kann natürlich nicht anders, als
Verständnis haben für alles, worauf diese Worte deuten. Dennoch, es
gab scharfsinnige Denker, welche im Laufe des 19. Jahrhunderts sich
Mühe gegeben haben, zu zeigen, wie es unmöglich ist, in einem
einheitlichen sozialen Organismus diese Ideen von Brüderlichkeit,
Gleichheit, Freiheit zu verwirklichen. Solche glaubten zu erkennen,
daß sich diese drei Impulse, wenn sie sich verwirklichen sollen,
im sozialen Organismus widersprechen müssen. Scharfsinnig ist
nachgewiesen worden zum Beispiel, wie unmöglich es ist, wenn der
Impuls der Gleichheit sich verwirklicht, daß dann auch
die in jedem Menschenwesen notwendig begründete Freiheit zur Geltung
komme. Und man kann gar nicht anders als zustimmen denen, die diesen
Widerspruch finden; und doch muß man zugleich aus einem
allgemein menschlichen Empfinden heraus mit jedem dieser drei Ideale
Sympathie haben!
Dies Widerspruchsvolle besteht aus dem Grunde, weil die wahre soziale
Bedeutung dieser drei Ideale erst zutage tritt durch das Durchschauen
der notwendigen Dreigliederung des sozialen Organismus. Die drei
Glieder sollen nicht in einer abstrakten, theoretischen Reichstags-
oder sonstigen Einheit zusammengefügt und zentralisiert sein. Sie
sollen lebendige Wirklichkeit sein. Ein jedes der drei sozialen
Glieder soll in sich zentralisiert sein; und durch ihr lebendiges
Nebeneinander- und Zusammenwirken kann erst die Einheit des sozialen
Gesamtorganismus entstehen. Im wirklichen Leben wirkt eben das
scheinbar Widerspruchsvolle zu einer Einheit zusammen. Daher wird man
zu einer Erfassung des Lebens des sozialen Organismus kommen, wenn man
imstande ist, die wirklichkeitsgemäße Gestaltung dieses sozialen
Organismus mit Bezug auf Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit zu
durchschauen. Dann wird man erkennen, daß das Zusammenwirken der
Menschen im Wirtschaftsleben auf derjenigen Brüderlichkeit
ruhen muß, die aus den Assoziationen heraus ersteht. In dem
zweiten Gliede, in dem System des öffentlichen Rechts, wo man
es zu tun hat mit dem rein menschlichen Verhältnis von Person zu
Person, hat man zu erstreben die Verwirklichung der Idee der
Gleichheit. Und auf dem geistigen Gebiete, das in relativer
Selbständigkeit im sozialen Organismus steht, hat man es zu tun mit
der Verwirklichung des Impulses der Freiheit. So angesehen, zeigen
diese drei Ideale ihren Wirklichkeitswert. Sie können sich nicht in
einem chaotischen sozialen Leben realisieren, sondern nur in dem
gesunden dreigliedrigen sozialen Organismus. Nicht ein abstrakt
zentralisiertes Sozialgebilde kann durcheinander die Ideale der
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verwirklichen, sondern jedes
der drei Glieder des sozialen Organismus kann aus einem dieser Impulse
seine Kraft schöpfen. Und es wird dann in fruchtbarer Art mit den
andern Gliedern zusammenwirken können.
Diejenigen Menschen, welche am Ende des 18. Jahrhunderts die Forderung
nach Verwirklichung der drei Ideen von Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit erhoben haben, und auch diejenigen, welche sie später
wiederholt haben, sie konnten dunkel empfinden, wohin die
Entwickelungskräfte der neueren Menschheit weisen. Aber sie haben
damit zugleich nicht den Glauben an den Einheitsstaat überwunden. Für
diesen bedeuten ihre Ideen etwas Widerspruchsvolles. Sie bekannten
sich zu dem Widersprechenden, weil in den unterbewußten Tiefen
ihres Seelenlebens der Drang nach der Dreigliederung des sozialen
Organismus wirkte, in dem die Dreiheit ihrer Ideen erst zu einer
höheren Einheit werden kann. Die Entwickelungskräfte, die in dem
Werden der neueren Menschheit nach dieser Dreigliederung hindrängen,
zum bewußten sozialen Wollen zu machen, das fordern die deutlich
sprechenden sozialen Tatsachen der Gegenwart.
Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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