Die Kernpunkte der sozialen Frage
Die Kernpunkte der sozialen Frage: Kapitel III. Kapitalismus und soziale Ideen
III. Kapitalismus und soziale Ideen (Kapital, Menschenarbeit)
Man kann nicht zu einem Urteile darüber kommen, welche Handlungsweise
auf sozialem Gebiete gegenwärtig durch die lautsprechenden Tatsachen
gefordert wird, wenn man nicht den Willen hat, dieses Urteil bestimmen
zu lassen von einer Einsicht in die Grundkräfte des sozialen
Organismus. Der Versuch, eine solche Einsicht zu gewinnen, liegt der
hier vorangehenden Darstellung zugrunde. Mit Maßnahmen, die sich
nur auf ein Urteil stützen, das aus einem eng umgrenzten
Beobachtungskreis gewonnen ist, kann man heute etwas Fruchtbares nicht
bewirken. Die Tatsachen, welche aus der sozialen Bewegung
herausgewachsen sind, offenbaren Störungen in den Grundlagen des
sozialen Organismus, und keineswegs solche, die nur an der Oberfläche
vorhanden sind. Ihnen gegenüber ist notwendig, auch zu Einsichten zu
kommen, die bis zu den Grundlagen vordringen. Spricht man heute von
Kapital und Kapitalismus, so weist man auf das hin, worin die
proletarische Menschheit die Ursachen ihrer Bedrückung sucht. Zu einem
fruchtbaren Urteil über die Art, wie das Kapital fördernd oder hemmend
in den Kreisläufen des sozialen Organismus wirkt, kann man aber nur
kommen, wenn man durchschaut, wie die individuellen Fähigkeiten der
Menschen, wie die Rechtsbildung und wie die Kräfte des
Wirtschaftslebens das Kapital erzeugen und verbrauchen. - Spricht man
von der Menschenarbeit, so deutet man auf das, was mit der
Naturgrundlage der Wirtschaft und dem Kapital zusammen die
wirtschaftlichen Werte schafft und an dem der Arbeiter zum
Bewußtsein seiner sozialen Lage kommt. Ein Urteil darüber, wie
diese Menschenarbeit in den sozialen Organismus hineingestellt sein
muß, um in dem Arbeitenden die Empfindung von seiner
Menschenwürde nicht zu stören, ergibt sich nur, wenn man das
Verhältnis ins Auge fassen will, welches Menschenarbeit zur Entfaltung
der individuellen Fähigkeiten einerseits und zum
Rechtsbewußtsein anderseits hat.
Man fragt gegenwärtig mit Recht, was zu allernächst zu tun ist,
um den in der sozialen Bewegung auftretenden Forderungen gerecht zu
werden. Man wird auch das Allernächste nicht in fruchtbarer Art
vollbringen können, wenn man nicht weiß, welches
Verhältnis das zu Vollbringende zu den Grundlagen des gesunden
sozialen Organismus haben soll. Und weiß man dieses, dann wird
man an dem Platze, an den man gestellt ist, oder an den man sich zu
stellen vermag, die Aufgaben finden können, die sich aus den Tatsachen
heraus ergehen. Der Gewinnung einer Einsicht, auf die hier gedeutet
wird, stellt sich, das unbefangene Urteil beirrend, gegenüber, was im
Laufe langer Zeit aus menschlichem Wollen in soziale Einrichtungen
übergegangen ist. Man hat sich in die Einrichtungen so eingelebt,
daß man aus ihnen heraus sich Ansichten gebildet hat über
dasjenige, was von ihnen zu erhalten, was zu verändern ist. Man
richtet sich in Gedanken nach den Tatsachen, die doch der Gedanke
beherrschen soll. Notwendig ist aber heute, zu sehen, daß man
nicht anders ein den Tatsachen gewachsenes Urteil gewinnen kann als
durch Zurückgehen zu den Urgedanken, die allen sozialen
Einrichtungen zugrunde liegen.
Wenn nicht rechte Quellen vorhanden sind, aus denen die Kräfte, welche
in diesen Urgedanken liegen, immer von neuem dem sozialen Organismus
zufließen, dann nehmen die Einrichtungen Formen an, die nicht
lebenfördernd, sondern lebenhemmend sind. In den instinktiven Impulsen
der Menschen aber leben mehr oder weniger unbewußt die
Urgedanken fort, auch wenn die vollbewußten Gedanken in die Irre
gehen und lebenhemmende Tatsachen schaffen, oder schon geschaffen
haben. Und diese Urgedanken, die einer lebenheinmenden Tatsachenwelt
gegenüber chaotisch sich äußern, sind es, die offenbar oder
verhüllt in den revolutionären Erschütterungen des sozialen Organismus
zutage treten. Diese Erschütterungen werden nur dann nicht eintreten,
wenn der soziale Organismus in der Art gestaltet ist, daß in ihm
jederzeit die Neigung vorhanden sein kann, zu beobachten, wo eine
Abweichung von den durch die Urgedanken vorgezeichneten Einrichtungen
sich bildet, und wo zugleich die Möglichkeit besteht, dieser
Abweichung entgegenzuarbeiten, ehe sie eine verhängnistragende Stärke
gewonnen hat.
In unsern Tagen sind in weitem Umfange des Menschenlebens die
Abweichungen von den durch die Urgedanken geforderten Zuständen
groß geworden. Und das Leben der von diesen Gedanken getragenen
Impulse in Menschenseelen steht als eine durch Tatsachen laut
sprechende Kritik da über das, was sich im sozialen Organismus der
letzten Jahrhunderte gestaltet hat. Daher bedarf es des guten Willens,
in energischer Weise zu den Urgedanken sich zu wenden und nicht zu
verkennen, wie schädlich es gerade heute ist, diese Urgedanken als
«unpraktische» Allgemeinheiten aus dem Gebiete des Lebens zu
verbannen. In dem Leben und in den Forderungen der proletarischen
Bevölkerung lebt die Tatsachen-Kritik über dasjenige, was die neuere
Zeit aus dem sozialen Organismus gemacht hat. Die Aufgabe unserer Zeit
dem gegenüber ist, der einseitigen Kritik dadurch entgegenzuarbeiten,
daß man aus dem Urgedanken heraus die Richtungen findet, in
denen die Tatsachen bewußt gelenkt werden müssen. Denn
die Zeit ist abgelaufen, in der der Menschheit genügen kann, was
bisher die instinktive Lenkung zustande gebracht hat.
Eine der Grundfragen, die aus der zeitgenössischen Kritik heraus
auftreten, ist die, in welcher Art die Bedrückung aufhören kann,
welche die proletarische Menschheit durch den privaten Kapitalismus
erfahren hat. Der Besitzer oder Verwalter des Kapitals ist in der
Lage, die körperliche Arbeit anderer Menschen in den Dienst dessen zu
stellen, das er herzustellen unternimmt. Man muß in dem sozialen
Verhältnis, das in dem Zusammenwirken von Kapital und menschlicher
Arbeitskraft entsteht, drei Glieder unterscheiden: die
Unternehmertätigkeit, die auf der Grundlage der individuellen
Fähigkeiten einer Person oder einer Gruppe von Personen beruhen
muß; das Verhältnis des Unternehmers zum Arbeiter, das ein
Rechtsverhältnis sein muß; das Hervorbringen einer Sache, die im
Kreislauf des Wirtschaftslebens einen Warenwert erhält. Die
Unternehmertätigkeit kann in gesunder Art nur dann in den sozialen
Organismus eingreifen, wenn in dessen Leben Kräfte wirken, welche die
individuellen Fähigkeiten der Menschen in der möglichst besten Art in
die Erscheinung treten lassen. Das kann nur geschehen, wenn ein Gebiet
des sozialen Organismus vorhanden ist, das dem Fähigen die freie
Initiative gibt, von seinen Fähigkeiten Gebrauch zu machen, und das
die Beurteilung des Wertes dieser Fähigkeiten durch freies Verständnis
für dieselben bei andern Menschen ermöglicht. Man sieht: die soziale
Betätigung eines Menschen durch Kapital gehört in dasjenige Gebiet des
sozialen Organismus, in welchem das Geistesleben Gesetzgebung und
Verwaltung besorgt. Wirkt in diese Betätigung der politische Staat
hinein, so muß notwendigerweise die Verständnislosigkeit
gegenüber den individuellen Fähigkeiten bei deren Wirksamkeit
mitbestimmend sein. Denn der politische Staat muß auf dem
beruhen, und er muß das in Wirksamkeit versetzen, das in allen
Menschen als gleiche Lebensforderung vorhanden ist. Er muß in
seinem Bereich alle Menschen zur Geltendmachung ihres Urteils kommen
lassen. Für dasjenige, was er zu vollbringen hat, kommt Verständnis
oder Nichtverständnis für individuelle Fähigkeiten nicht in Betracht.
Daher darf, was in ihm zur Verwirklichung kommt, auch keinen
Einfluß haben auf die Betätigung der individuellen menschlichen
Fähigkeiten. Ebensowenig sollte der Ausblick auf den wirtschaftlichen
Vorteil bestimmend sein können für die durch Kapital ermöglichte
Auswirkung der individuellen Fähigkeiten. Auf diesen Vorteil geben
manche Beurteiler des Kapitalismus sehr vieles. Sie vermeinen,
daß nur durch diesen Anreiz des Vorteils die individuellen
Fähigkeiten zur Betätigung gebracht werden können. Und sie berufen
sich als «Praktiker» auf die «unvollkommene» Menschennatur, die sie zu
kennen vorgeben. Allerdings innerhalb derjenigen Gesellschaftsordnung,
welche die gegenwärtigen Zustände gezeitigt hat, hat die Aussicht auf
wirtschaftlichen Vorteil eine tiefgehende Bedeutung erlangt. Aber
diese Tatsache ist eben zum nicht geringen Teile die Ursache der
Zustände, die jetzt erlebt werden können. Und diese Zustände drängen
nach Entwickelung eines andern Antriebes für die Betätigung der
individuellen Fähigkeiten. Dieser Antrieb wird in dem aus einem
gesunden Geistesleben erfließenden sozialen Verständnis
liegen müssen. Die Erziehung, die Schule werden aus der Kraft des
freien Geisteslebens heraus den Menschen mit Impulsen ausrüsten, die
ihn dazu bringen, kraft dieses ihm innewohnenden Verständnisses das zu
verwirklichen, wozu seine individuellen Fähigkeiten drängen.
Solch eine Meinung braucht nicht Schwarmgeisterei zu sein.
Gewiß, die Schwarmgeisterei hat unermeßlich großes
Unheil auf dem Gebiete des sozialen Wollens ebenso gebracht wie auf
anderen. Aber die hier dargestellte Anschauung beruht nicht, wie man
aus dem Vorangehenden ersehen kann, auf dem Wahnglauben, daß
«der Geist» Wunder wirken werde, wenn diejenigen möglichst viel von
ihm sprechen, die ihn zu haben meinen; sondern sie geht hervor aus der
Beobachtung des freien Zusammenwirkens der Menschen auf geistigem
Gebiete. Dieses Zusammenwirken erhält durch seine eigene Wesenheit ein
soziales Gepräge, wenn es sich nur wahrhaft frei entwickeln
kann.
Nur die unfreie Art des Geisteslebens hat bisher dieses soziale
Gepräge nicht aufkommen lassen. Innerhalb der leitenden Klassen haben
sich die geistigen Kräfte in einer Art ausgebildet, welche die
Leistungen dieser Kräfte in antisozialer Weise innerhalb gewisser
Kreise der Menschheit abgeschlossen haben. Was innerhalb dieser Kreise
hervorgebracht worden ist, konnte nur in künstlicher Weise an die
proletarische Menschheit herangebracht werden. Und diese Menschheit
konnte keine seelentragende Kraft aus diesem Geistesleben schöpfen,
denn sie nahm nicht wirklich an dem Leben dieses Geistesgutes
teil. Einrichtungen für «volkstümliche Belehrung», das «Heranziehen»
des «Volkes» zum Kunstgenuß und Ähnliches sind in Wahrheit keine
Mittel zur Ausbreitung des Geistesgutes im Volke, so lange dieses
Geistesgut den Charakter beibehält, den es in der neueren Zeit
angenommen hat. Denn das «Volk» steht mit dein innersten Anteil seines
Menschenwesens nicht in dem Leben dieses Geistesgutes drinnen. Es wird
ihm nur ermöglicht, gewissermaßen von einem Gesichtspunkte aus,
der außerhalb desselben liegt, darauf hinzuschauen. Und was von
dem Geistesleben im engern Sinne gilt, das hat seine Bedeutung auch in
denjenigen Verzweigungen des geistigen Wirkens, die auf Grund des
Kapitals in das wirtschaftliche Leben einfließen. Im gesunden
sozialen Organismus soll der proletarische Arbeiter nicht an seiner
Maschine stehen und nur von deren Getriebe berührt werden, während der
Kapitalist allein weiß, welches das Schicksal der erzeugten
Waren im Kreislauf des Wirtschaftslebens ist. Der Arbeiter soll mit
vollem Anteil an der Sache Vorstellungen entwickeln können über die
Art, wie er sich an dem sozialen Leben beteiligt, indem er an der
Erzeugung der Waren arbeitet. Besprechungen, die zum Arbeitsbetrieb
gerechnet werden müssen wie die Arbeit selbst, sollen regelmäßig
von dem Unternehmer veranstaltet werden mit dem Zweck der Entwickelung
eines gemeinsamen Vorstellungskreises, der Arbeitnehmer und
Arbeitgeber umschließt. Ein gesundes Wirken dieser Art wird bei
dem Arbeiter Verständnis dafür erzeugen, daß eine rechte
Betätigung des Kapitalverwalters den sozialen Organismus und damit den
Arbeiter, der ein Glied desselben ist, selbst fördert. Der Unternehmer
wird bei solcher auf freies Verstehen zielenden Öffentlichkeit seiner
Geschäftsführung zu einem einwandfreien Gebaren veranlaßt. Nur,
wer gar keinen Sinn hat für die soziale Wirkung des innerlichen
vereinten Erlebens einer in Gemeinschaft betriebenen Sache, der wird
das Gesagte für bedeutungslos halten. Wer einen solchen Sinn hat, der
wird durchschauen, wie die wirtschaftliche Produktivität gefördert
wird, wenn die auf Kapitalgrundlage ruhende Leitung des
Wirtschaftslebens in dem Gebiete des freien Geisteslebens seine
Wurzeln hat. Das bloß wegen des Profites vorhandene Interesse am
Kapital und seiner Vermehrung kann nur dann, wenn diese Voraussetzung
erfüllt ist, dem sachlichen Interesse an der Hervorbringung von
Produkten und am Zustandekommen von Leistungen Platz machen.
Die sozialistisch Denkenden der Gegenwart streben die Verwaltung der
Produktionsmittel durch die Gesellschaft an. Was in diesem ihrem
Streben berechtigt ist, das wird nur dadurch erreicht werden können,
daß diese Verwaltung von dem freien Geistesgebiet besorgt wird.
Dadurch wird der wirtschaftliche Zwang unmöglich gemacht, der vom
Kapitalisten dann ausgeht und als menschenunwürdig empfunden wird,
wenn der Kapitalist seine Tätigkeit aus den Kräften des
Wirtschaftslebens heraus entfaltet. Und es wird die Lähmung der
individuellen menschlichen Fähigkeiten nicht eintreten können, die als
eine Folge sich ergeben muß, wenn diese Fähigkeiten vom
politischen Staate verwaltet werden.
Das Erträgnis einer Betätigung durch Kapital und individuelle
menschliche Fähigkeiten muß im gesunden sozialen Organismus wie
jede geistige Leistung aus der freien Initiative des Tätigen
einerseits sich ergeben und anderseits aus dem freien Verständnis
anderer Menschen, die nach dem Vorhandensein der Leistung des Tätigen
verlangen. Mit der freien Einsicht des Tätigen muß auf diesem
Gebiete im Einklange stehen die Bemessung dessen, was er als Erträgnis
seiner Leistung - nach den Vorbereitungen, die er braucht, um sie zu
vollbringen, nach den Aufwendungen, die er machen muß, um sie zu
ermöglichen und so weiter - ansehen will. Er wird seine Ansprüche nur
dann befriedigt finden können, wenn ihm Verständnis für seine
Leistungen entgegengebracht wird.
Durch soziale Einrichtungen, die in der Richtung des hier
Dargestellten liegen, wird der Boden geschaffen für ein wirklich
freies Vertragsverhältnis zwischen Arbeitleiter und Arbeitleister. Und
dieses Verhältnis wird sich beziehen nicht auf einen Tausch von Ware
(beziehungsweise Geld) für Arbeitskraft, sondern auf die Festsetzung
des Anteiles, den eine jede der beiden Personen hat, welche die Ware
gemeinsam zustande bringen.
Was auf der Grundlage des Kapitals für den sozialen Organismus
geleistet wird, beruht seinem Wesen nach auf der Art, wie die
individuellen menschlichen Fähigkeiten in diesen Organismus
eingreifen. Die Entwickelung dieser Fähigkeiten kann durch nichts
anderes den ihr entsprechenden Impuls erhalten als durch das freie
Geistesleben. Auch in einem sozialen Organismus, der diese
Entwickelung in die Verwaltung des politischen Staates oder in die
Kräfte des Wirtschaftslebens einspannt, wird die wirkliche
Produktivität alles dessen, was Kapitalaufwendung notwendig macht, auf
dem beruhen, was sich an freien individuellen Kräften durch die
lähmenden Einrichtungen hindurchzwängt. Nur wird eine Entwickelung
unter solchen Voraussetzungen eine ungesunde sein. Nicht die freie
Entfaltung der auf Grundlage des Kapitals wirkenden individuellen
Fähigkeiten hat Zustände hervorgerufen, innerhalb welcher die
menschliche Arbeitskraft Ware sein muß, sondern die Fesselung
dieser Kräfte durch das politische Staatsleben oder durch den
Kreislauf des Wirtschaftslebens. Dies unbefangen zu durchschauen, ist
in der Gegenwart eine Voraussetzung für alles, was auf dem Gebiete der
sozialen Organisation geschehen soll. Denn die neuere Zeit hat den
Aberglauben hervorgebracht, daß aus dem politischen Staate oder
dem Wirtschaftsleben die Maßnahmen hervorgehen sollen, welche
den sozialen Organismus gesund machen. Beschreitet man den Weg weiter,
der aus diesem Aberglauben seine Richtung empfangen hat, dann wird man
Einrichtungen schaffen, welche die Menschheit nicht zu dem führen, was
sie erstrebt, sondern zu einer unbegrenzten Vergrößerung des
Bedrückenden, das sie abgewendet sehen möchte.
Über den Kapitalismus hat man denken gelernt in einer Zeit, in welcher
dieser Kapitalismus dem sozialen Organismus einen
Krankheitsprozeß verursacht hat. Den Krankheitsprozeß
erlebt man ; man sieht, daß ihm entgegengearbeitet werden
muß. Man muß mehr sehen. Man muß gewahr
werden, daß die Krankheit ihren Ursprung hat in dem Aufsaugen
der im Kapital wirksamen Kräfte durch den Kreislauf des
Wirtschaftslebens. Derjenige nur kann in der Richtung dessen wirken,
was die Entwickelungskräfte der Menschheit in der Gegenwart energisch
zu fordern beginnen, der sich nicht in Illusionen treiben läßt
durch die Vorstellungsart, welche in der Verwaltung der
Kapitalbetätigung durch das befreite Geistesleben das Ergebnis eines
«unpraktischen Idealismus » sieht.
In der Gegenwart ist man allerdings wenig darauf vorbereitet, die
soziale Idee, die den Kapitalismus in gesunde Bahnen lenken soll, in
einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Geistesleben zu bringen. Man
knüpft an dasjenige an, was dem Kreis des Wirtschaftslebens angehört.
Man sieht, wie in der neueren Zeit die Warenproduktion zum
Großbetrieb, und dieser zur gegenwärtigen Form des Kapitalismus
geführt hat. An die Stelle dieser Wirtschaftsform solle die
genossenschaftliche treten, die für den Selbstbedarf der Produzenten
arbeitet. Da man aber selbstverständlich die Wirtschaft mit den
modernen Produktionsmitteln beibehalten will, verlangt man die
Zusammenfassung der Betriebe in eine einzige große
Genossenschaft. In einer solchen, denkt man , produziere ein jeder im
Auftrage der Gemeinschaft, die nicht ausbeuterisch sein könne, weil
sie sich selbst ausbeutete. Und da man an Bestehendes anknüpfen will
oder muß, blickt man nach dem modernen Staat aus, den man in
eine umfassende Genossenschaft verwandeln will.
Man bemerkt dabei nicht, daß man von einer solchen
Genossenschaft sich Wirkungen verspricht, die um so weniger eintreten
können, je größer die Genossenschaft ist. Wenn nicht die
Einstellung der individuellen menschlichen Fähigkeiten in den
Organismus der Genossenschaft so gestaltet wird, wie es in diesen
Ausführungen dargestellt worden ist, kann die Gemeinsamkeit der
Arbeitsverwaltung nicht zur Gesundung des sozialen Organismus führen.
Daß für ein unbefangenes Urteil über das Eingreifen des
Geisteslebens in den sozialen Organismus gegenwärtig wenig Veranlagung
vorhanden ist, rührt davon her, daß man sich gewöhnt hat, das
Geistige möglichst fern von allem Materiellen und Praktischen
vorzustellen. Es wird nicht wenige geben, die etwas Groteskes in der
hier dargestellten Ansicht finden, daß in der Betätigung des
Kapitals im Wirtschaftsleben die Auswirkung eines Teiles des geistigen
Lebens Sich offenbaren soll. Man kann sich denken, daß in dieser
Charakterisierung des als grotesk Dargestellten Zugehörige der bisher
leitenden Menschenklassen mit sozialistischen Denkern übereinstimmen.
Man wird, um die Bedeutung dieses grotesk Befundenen für eine
Gesundung des sozialen Organismus einzusehen, den Blick richten müssen
in gewisse Gedankenströmungen der Gegenwart, die in ihrer Art
redlichen Seelenimpulsen entspringen, die aber das Entstehen eines
wirklich sozialen Denkens dort hemmen, wo sie Eingang finden.
Diese Gedankenströmungen streben mehr oder weniger unbewußt -
hinweg von dem, was dem inneren Erleben die rechte Stoßkraft
gibt. Sie erstreben eine Lebensauffassung, ein seelisches, ein
denkerisches, ein nach wissenschaftlicher Erkenntnis suchendes inneres
Leben gewissermaßen wie eine Insel im Gesamtmenschenleben. Sie
sind dann nicht in der Lage, die Brücke zu bauen von diesem Leben hin
zu demjenigen, was den Menschen in die Alltäglichkeit einspannt. Man
kann sehen, wie viele Menschen der Gegenwart es gewissermaßen
«innerlich vornehm» finden, in einer gewissen, sei es auch
schulmäßigen Abstraktheit nachzudenken über allerlei
ethisch-religiöse Probleme in Wolkenkuckucksheimhöhen; man kann sehen,
wie die Menschen nachdenken über die Art und Weise, wie sich der
Mensch Tugenden aneignen könne, wie er in Liebe zu seinen Mitmenschen
sich verhalten soll, wie er begnadet werden kann mit einem «inneren
Lebensinhalt». Man sieht dann aber auch das Unvermögen, einen Übergang
zu ermöglichen von dem, was die Leute gut und liebevoll und
wohlwollend und rechtlich und sittlich nennen, zu dem, was in der
äußern Wirklichkeit, im Alltag den Menschen umgibt als
Kapitalwirkung, als Arbeitsentlöhnung, als Konsum, als Produktion, als
Warenzirkulation, als Kreditwesen, als Bank- und Börsenwesen. Man kann
sehen, wie zwei Weltenströmungen nebeneinandergestellt werden auch in
den Denkgewohnheiten der Menschen. Die eine Weltenströmung ist
die, welche sich gewissermaßen in göttlich-geistiger Höhe halten
will, die keine Brücke bauen will zwischen dem, was ein geistiger
Impuls ist, und was eine Tatsache des gewöhnlichen Handelns im Leben
ist. Die andere lebt gedankenlos im Alltäglichen. Das Leben
aber ist ein einheitliches. Es kann nur gedeihen, wenn die es
treibenden Kräfte von allem ethisch-religiösen Leben herunterwirken in
das alleralltäglichste profanste Leben, in dasjenige Leben, das
manchem eben weniger vornehm erscheint. Denn, versäumt man , die
Brücke zu schlagen zwischen den beiden Lebensgebieten, so verfällt man
in bezug auf religiöses, sittliches Leben und auf soziales
Denken in bloße Schwarmgeisterei, die fernsteht der
alltäglichen wahren Wirklichkeit. Es rächt sich dann
gewissermaßen diese alltäglich-wahre Wirklichkeit. Dann strebt
der Mensch aus einem gewissen «geistigen» Impuls heraus alles mögliche
Ideale an, alles mögliche, was er «gut» nennt; aber denjenigen
Instinkten, die diesen «Idealen» gegenüberstehen als Grundlage der
gewöhnlichen täglichen Lebensbedürfnisse, deren Befriedigung aus der
Volkswirtschaft heraus kommen muß, diesen Instinkten gibt sich
der Mensch ohne «Geist» hin. Er weiß keinen
wirklichkeitsgemäßen Weg von dem Begriff der Geistigkeit zu dem,
was im alltäglichen Leben vor sich geht. Dadurch nimmt dieses
alltägliche Leben eine Gestalt an, die nichts zu tun haben soll mit
dem, was als ethische Impulse in vornehmeren, seelisch-geistigen Höhen
gehalten werden will. Dann aber wird die Rache der Alltäglichkeit eine
solche, daß das ethisch-religiöse Leben zu einer innerlichen
Lebenslüge des Menschen sich gestaltet, weil es sich ferne hält von
der alltäglichen, von der unmittelbaren Lebenspraxis, ohne daß
man es merkt.
Wie zahlreich sind doch heute die Menschen, die aus einer gewissen
ethisch-religiösen Vornehmheit heraus den besten Willen zeigen
zu einem rechten Zusammenleben mit ihren Mitmenschen, die ihren
Mitmenschen nur das Allerallerbeste tun möchten. Sie versäumen es
aber, zu einer Empfindungsart zu kommen, die dies wirklich ermöglicht,
weil sie sich kein soziales, in den praktischen
Lebensgewohnheiten sich auswirkendes Vorstellen aneignen können.
Aus dem Kreise solcher Menschen stammen diejenigen, die in diesem
welthistorischen Augenblick, wo die sozialen Fragen so drängend
geworden sind, sich als die Schwarmgeister, die sich aber für echte
Lebenspraktiker halten, hemmend der wahren Lebenspraxis
entgegenstellen. Man kann von ihnen Reden hören wie diese: Wir haben
nötig, daß die Menschen sich erheben aus dem Materialismus, aus
dem äußerlich materiellen Leben, das uns in die
Weltkriegs-Katastrophe und in das Unglück hineingetrieben hat, und
daß sie sich einer geistigen Auffassung des Lebens zuwenden. Man
wird, wenn man so die Wege des Menschen zur Geistigkeit zeigen will,
nicht müde, diejenigen Persönlichkeiten zu zitieren, die man in der
Vergangenheit wegen ihrer dem Geiste zugewendeten Denkungsart verehrt
hat. Man kann erleben, daß jemand, der versucht, gerade auf
dasjenige hinzuweisen, was heute der Geist für das wirkliche
praktische Leben so notwendig leisten muß, wie das tägliche Brot
erzeugt werden muß, darauf aufmerksam gemacht wird, daß es
ja in erster Linie darauf ankomme, die Menschen wiederum zur
Anerkennung des Geistes zu bringen. Es kommt aber gegenwärtig darauf
an, daß aus der Kraft des geistigen Lebens heraus die
Richtlinien für die Gesundung des sozialen Organismus gefunden werden.
Dazu genügt nicht, daß die Menschen in einer Seitenströmung des
Lebens sich mit dem Geiste beschäftigen. Dazu ist notwendig, daß
das alltägliche Dasein geistgemäß werde. Die Neigung, für das
«geistige Leben» solche Seitenströmungen zu suchen, führte die bisher
leitenden Kreise dazu, an sozialen Zuständen Geschmack zu haben, die
in die gegenwärtigen Tatsachen ausgelaufen sind.
Eng verbunden sind im sozialen Leben der Gegenwart die Verwaltung des
Kapitals in der Warenproduktion und der Besitz der Produktionsmittel,
also auch des Kapitals. Und doch sind diese beiden Verhältnisse des
Menschen zum Kapital ganz verschieden mit Bezug auf ihre Wirkung
innerhalb des sozialen Organismus. Die Verwaltung durch die
individuellen Fähigkeiten führt, zweckmäßig angewendet, dem
sozialen Organismus Güter zu, an deren Vorhandensein alle Menschen,
die diesem Organismus angehören, ein Interesse haben. In welcher
Lebenslage ein Mensch auch ist, er hat ein Interesse daran, daß
nichts von dem verloren gehe, was aus den Quellen der Menschennatur an
solchen individuellen Fähigkeiten erfließt, durch die Güter
zustande kommen, welche dem Menschenleben zweckentsprechend dienen.
Die Entwickelung dieser Fähigkeiten kann aber nur dadurch erfolgen,
daß ihre menschlichen Träger aus der eigenen freien Initiative
heraus sie zur Wirkung bringen können. Was aus diesen Quellen nicht in
Freiheit erfließen kann, das wird der Menschenwohlfahrt
mindestens bis zu einem gewissen Grade entzogen. Das Kapital aber ist
das Mittel, solche Fähigkeiten für weite Gebiete des sozialen Lebens
in Wirksamkeit zu bringen. Den gesamten Kapitalbesitz so zu verwalten,
daß der einzelne in besonderer Richtung begabte Mensch oder
daß zu Besonderem befähigte Menschengruppen zu einer solchen
Verfügung über Kapital kommen, die lediglich aus ihrer ureigenen
Initiative entspringt, daran muß jedermann innerhalb eines
sozialen Organismus ein wahrhaftes Interesse haben. Vom
Geistesarbeiter bis zum handwerklich Schaffenden muß ein jeder
Mensch, wenn er vorurteilslos dem eigenen Interesse dienen will,
sagen: Ich möchte, daß eine genügend große Anzahl
befähigter Personen oder Personengruppen völlig frei über Kapital
nicht nur verfügen können, sondern daß sie auch aus der eigenen
Initiative heraus zu dem Kapitale gelangen können; denn nur sie allein
können ein Urteil darüber haben, wie durch die Vermittlung des
Kapitals ihre individuellen Fähigkeiten dem sozialen Organismus
zweckmäßig Güter erzeugen werden.
Es ist nicht nötig, im Rahmen dieser Schrift darzustellen, wie im
Laufe der Menschheitsentwickelung zusammenhängend mit der Betätigung
der menschlichen individuellen Fähigkeiten im sozialen Organismus sich
der Privatbesitz aus andern Besitzformen ergeben hat. Bis zur
Gegenwart hat sich unter dem Einfluß der Arbeitsteilung
innerhalb dieses Organismus ein solcher Besitz entwickelt. Und von den
gegenwärtigen Zuständen und deren notwendiger Weiterentwickelung soll
hier gesprochen werden. Wie auch der Privatbesitz sich gebildet hat,
durch Macht- und Eroberungsbetätigung und so weiter, er ist ein
Ergebnis des an individuelle menschliche Fähigkeiten gebundenen
sozialen Schaffens. Dennoch besteht gegenwärtig bei sozialistisch
Denkenden die Meinung, daß sein Bedrückendes nur beseitigt
werden könne durch seine Verwandlung in Gemeinbesitz. Dabei stellt man
die Frage so: Wie kann der Privatbesitz an Produktionsmitteln in
seinem Entstehen verhindert werden, damit die durch ihn bewirkte
Bedrükkung der besitzlosen Bevölkerung aufhöre? Wer die Frage so
stellt, der richtet dabei sein Augenmerk nicht auf die Tatsache,
daß der soziale Organismus ein fortwährend Werdendes,
Wachsendes ist. Man kann diesem Wachsenden gegenüber nicht so
fragen: Wie soll man es am besten einrichten, damit es durch diese
Einrichtung dann in dem Zustande verbleibe, den man als den richtigen
erkannt hat? So kann man gegenüber einer Sache denken, die von einem
gewissen Ausgangspunkt aus wesentlich unverändert weiter wirkt. Das
gilt nicht für den sozialen Organismus. Der verändert durch sein Leben
fortwährend dasjenige, das in ihm entsteht. Will man ihm eine
vermeintlich beste Form geben, in der er dann bleiben soll, so
untergräbt man seine Lebensbedingungen.
Eine Lebensbedingung des sozialen Organismus ist, daß
demjenigen, welcher der Allgemeinheit durch seine individuellen
Fähigkeiten dienen kann, die Möglichkeit zu solchem Dienen aus der
freien eigenen Initiative heraus nicht genommen werde. Wo zu solchem
Dienste die freie Verfügung über Produktionsmittel gehört, da würde
die Verhinderung dieser freien Initiative den allgemeinen sozialen
Interessen schaden. Was gewöhnlich mit Bezug auf diese Sache
vorgebracht wird, daß der Unternehmer zum Anreiz seiner
Tätigkeit die Aussicht auf den Gewinn braucht, Öder an den Besitz der
Produktionsmittel gebunden ist: das soll hier nicht geltend gemacht
werden. Denn die Denkart, aus welcher die in diesem Buche dargestellte
Meinung von einer Fortentwickelung der sozialen Verhältnisse
erfließt, muß in der Befreiung des geistigen Lebens von
dem politischen und dem wirtschaftlichen Gemeinwesen die Möglichkeit
sehen, daß ein solcher Anreiz wegfallen kann. Das befreite
Geistesleben wird soziales Verständnis ganz notwendig aus sich selbst
entwickeln; und aus diesem Verständnis werden Anreize ganz anderer Art
sich ergeben als derjenige ist, der in der Hoffnung auf
wirtschaftlichen Vorteil liegt. Aber nicht darum kann es sich allein
handeln, aus welchen Impulsen heraus der Privatbesitz an
Produktionsmitteln bei Menschen beliebt ist, sondern darum, ob die
freie Verfügung über solche Mittel, oder die durch die Gemeinschaft
geregelte den Lebensbedingungen des sozialen Organismus entspricht.
Und dabei muß immer im Auge behalten werden, daß man für
den gegenwärtigen sozialen Organismus nicht die Lebensbedingungen in
Betracht ziehen kann, die man bei primitiven Menschengesellschaften zu
beobachten glaubt, sondern allein diejenigen, welche der heutigen
Entwickelungsstufe der Menschheit entsprechen.
Auf dieser gegenwärtigen Stufe kann eben die fruchtbare
Betätigung der individuellen Fähigkeiten durch das Kapital nicht ohne
die freie Verfügung über dasselbe in den Kreislauf des
Wirtschaftslebens eintreten. Wo fruchtbringend produziert werden soll,
da muß diese Verfügung möglich sein, nicht weil sie einem
einzelnen oder einer Menschengruppe Vorteil bringt, sondern weil sie
der Allgemeinheit am besten dienen kann, wenn sie zweckmäßig von
sozialem Verständnis getragen ist.
Der Mensch ist gewissermaßen, wie mit der Geschicklichkeit
seiner eigenen Leibesglieder, so verbunden mit dem , was er selbst
oder in Gemeinschaft mit andern erzeugt. Die Unterbindung der freien
Verfügung über die Produktionsmittel kommt gleich einer Lähmung der
freien Anwendung seiner Geschicklichkeit der Leibesglieder.
Nun ist aber das Privateigentum nichts anderes als der Vermittler
dieser freien Verfügung. Für den sozialen Organismus kommt in Ansehung
des Eigentums gar nichts anderes in Betracht, als daß der
Eigentümer das Recht hat, über das Eigentum aus seiner freien
Initiative heraus zu verfügen. Man sieht, im sozialen Leben sind zwei
Dinge miteinander verbunden, welche von ganz verschiedener Bedeutung
sind für den sozialen Organismus: Die freie Verfügung über die
Kapitalgrundlage der sozialen Produktion, und das
Rechtsverhältnis, in das der Verfüger zu andern Menschen tritt
dadurch, daß durch sein Verfügungsrecht diese anderen Menschen
ausgeschlossen werden von der freien Betätigung durch diese
Kapitalgrundlage.
Nicht die ursprüngliche freie Verfügung führt zu sozialen
Schäden, sondern lediglich das Fortbestehen des Rechtes auf
diese Verfügung, wenn die Bedingungen aufgehört haben, welche in
zweckmäßiger Art individuelle menschliche Fähigkeiten mit dieser
Verfügung zusammenbinden. Wer seinen Blick auf den sozialen Organismus
als auf ein Werdendes, Wachsendes richtet, der wird das hier
Angedeutete nicht mißverstehen können. Er wird nach der
Möglichkeit fragen, wie dasjenige, was dem Leben auf der einen Seite
dient, so verwaltet werden kann, daß es nicht auf der anderen
Seite schädlich wirkt. Was lebt, kann gar nicht in einer andern
Weise fruchtbringend eingerichtet sein als dadurch, daß im
Werden das Entstandene auch zum Nachteil führt. Und soll man an einem
Werdenden selbst mitarbeiten, wie es der Mensch am sozialen Organismus
muß, so kann die Aufgabe nicht darin bestehen, das Entstehen
einer notwendigen Einrichtung zu verhindern, um Schaden zu vermeiden.
Denn damit untergräbt man die Lebensmöglichkeit des sozialen
Organismus. Es kann sich allein darum handeln, daß im rechten
Augenblick eingegriffen werde, wenn sich das Zweckmäßige in ein
Schädliches verwandelt.
Die Möglichkeit, frei über die Kapitalgrundlage aus den individuellen
Fähigkeiten heraus zu verfügen, muß bestehen; das damit
verbundene Eigentumsrecht muß in dem Augenblicke verändert
werden können, in dem es umschlägt in Mittel zur ungerechtfertigten
Machtentfaltung. In unserer Zeit haben wir eine Einrichtung, welche
der hier angedeuteten sozialen Forderung Rechnung trägt, teilweise
durchgeführt nur für das sogenannte geistige Eigentum. Dieses geht
einige Zeit nach dem Tode des Schaffenden in freies Besitztum der
Allgemeinheit über. Dem liegt eine dem Wesen des menschlichen
Zusammenlebens entsprechende Vorstellungsart zugrunde. So eng auch die
Hervorbringung eines rein geistigen Gutes an die individuelle Begabung
des einzelnen gebunden ist: es ist dieses Gut zugleich ein Ergebnis
des sozialen Zusammenlebens und muß in dieses im rechten
Augenblicke übergeleitet werden. Nicht anders aber steht es mit
anderem Eigentum. Daß mit dessen Hilfe der einzelne im Dienste
der Gesamtheit produziert, das ist nur möglich im Mitwirken dieser
Gesamtheit. Es kann also das Recht auf die Verfügung über ein Eigentum
nicht von den Interessen dieser Gesamtheit getrennt verwaltet werden.
Nicht ein Mittel ist zu finden, wie das Eigentum an der
Kapitalgrundlage ausgetilgt werden kann, sondern ein solches, wie
dieses Eigentum so verwaltet werden kann, daß es in der besten
Weise der Gesamtheit diene.
In dem dreigliedrigen sozialen Organismus kann dieses Mittel gefunden
werden. Die im sozialen Organismus vereinigten Menschen wirken als
Gesamtheit durch den Rechtsstaat. Die Betätigung der individuellen
Fähigkeiten gehört der geistigen Organisation an.
Wie alles am sozialen Organismus einer Anschauung, die für
Wirklichkeiten Verständnis hat, und die nicht von subjektiven
Meinungen, Theorien, Wünschen und so weiter sich ganz beherrschen
läßt, die Notwendigkeit der Dreigliederung dieses Organismus
ergibt, so insbesondere die Frage nach dem Verhältnis der
individuellen menschlichen Fähigkeiten zur Kapitalgrundlage des
Wirtschaftslebens und dem Eigentum an dieser Kapitalgrundlage. Der
Rechtsstaat wird die Entstehung und die Verwaltung des privaten
Eigentums an Kapital nicht zu verhindern haben, solange die
individuellen Fähigkeiten so verbunden bleiben mit der
Kapitalgrundlage, daß die Verwaltung einen Dienst bedeutet für
das Ganze des sozialen Organismus. Und er wird Rechtsstaat bleiben
gegenüber dem privaten Eigentum; er wird es niemals selbst in seinen
Besitz nehmen, sondern bewirken, daß es im rechten Zeitpunkt in
das Verfügungsrecht einer Person oder Personengruppe übergeht, die
wieder ein in den individuellen Verhältnissen bedingtes Verhältnis zu
dem Besitze entwickeln können. Von zwei ganz verschiedenen
Ausgangspunkten wird dadurch dem sozialen Organismus gedient werden
können. Aus dem demokratischen Untergrund des Rechtsstaates heraus,
der es zu tun hat mit dem, was alle Menschen in gleicher Art
berührt, wird gewacht werden können, daß Eigentumsrecht nicht im
Laufe der Zeit zu Eigentumsunrecht wird. Dadurch, daß dieser
Staat das Eigentum nicht selbst verwaltet, sondern sorgt für die
Überleitung an die individuellen menschlichen Fähigkeiten, werden
diese ihre fruchtbare Kraft für die Gesamtheit des sozialen Organismus
entfalten. Solange es als zweckmäßig erscheint, werden durch
eine solche Organisation die Eigentumsrechte oder die Verfügung über
dieselben bei dem persönlichen Elemente verbleiben können. Man kann
sich vorstellen, daß die Vertreter im Rechtsstaate zu
verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Gesetze geben werden über die
Überleitung des Eigentums von einer Person oder Personengruppe an
andere. In der Gegenwart, in der sich in weiten Kreisen ein
großes Mißtrauen zu allem privaten Eigentum entwickelt
hat, wird an ein radikales Überführen des privaten Eigentums in
Gemeineigentum gedacht. Würde man auf diesem Wege weit gelangen, so
würde man sehen, wie man dadurch die Lebensmöglichkeit des sozialen
Organismus unterbindet. Durch die Erfahrung belehrt, würde man einen
andern Weg später einschlagen. Doch wäre es zweifellos besser, wenn
man schon in der Gegenwart zu Einrichtungen griffe, die dem sozialen
Organismus im Sinne des hier Angedeuteten seine Gesundheit gäben.
Solange eine Person für sich allein oder in Verbindung mit einer
Personengruppe die produzierende Betätigung fortsetzt, die sie mit
einer Kapitalgrundlage zusammengebracht hat, wird ihr das
Verfügungsrecht verbleiben müssen über diejenige Kapitalmasse, die
sich aus dem Anfangskapital als Betriebsgewinn ergibt, wenn der
letztere zur Erweiterung des Produktionsbetriebes verwendet wird. Von
dem Zeitpunkt an, in dem eine solche Persönlichkeit aufhört, die
Produktion zu verwalten, soll diese Kapitalmasse an eine andere Person
oder Personengruppe zum Betriebe einer gleichgearteten oder anderen
dem sozialen Organismus dienenden Produktion übergehen. Auch dasjenige
Kapital, das aus dem Produktionsbetrieb gewonnen wird und nicht zu
dessen Erweiterung verwendet wird, soll von seiner Entstehung an den
gleichen Weg nehmen. Als persönliches Eigentum der den Betrieb
leitenden Persönlichkeit soll nur gelten, was diese bezieht auf Grund
derjenigen Ansprüche, die sie bei Aufnahme des Produktionsbetriebes
glaubte wegen ihrer individuellen Fähigkeit machen zu können, und die
dadurch gerechtfertigt erscheinen, daß sie aus dem Vertrauen
anderer Menschen heraus bei Geltendmachung derselben Kapital erhalten
hat. Hat das Kapital durch die Betätigung dieser Persönlichkeit eine
Vergrößerung erfahren, so wird in deren individuelles Eigentum
aus dieser Vergrößerung so viel übergehen, daß die
Vermehrung der ursprünglichen Bezüge der Kapitalvermehrung im Sinne
eines Zinsbezuges entspricht. - Das Kapital, mit dem ein
Produktionsbetrieb eingeleitet worden ist, wird nach dem Willen der
ursprünglichen Besitzer an den neuen Verwalter mit allen übernommenen
Verpflichtungen übergehen, oder an diese zurückfließen, wenn der
erste Verwalter den Betrieb nicht mehr besorgen kann oder will.
Man hat es bei einer solchen Einrichtung mit Rechtsübertragungen zu
tun. Die gesetzlichen Bestimmungen zu treffen, wie solche
Übertragungen stattfinden sollen, obliegt dem Rechtsstaat. Er wird
auch über die Ausführung zu wachen und deren Verwaltung zu führen
haben. Man kann sich denken, daß im einzelnen die Bestimmungen,
die eine solche Rechtsübertragung regeln, in sehr verschiedener Art
aus dem Rechtsbewußtsein heraus für richtig befunden werden.
Eine Vorstellungsart, die wie die hier dargestellte
wirklichkeitsgemäß sein soll, wird niemals mehr wollen
als auf die Richtung weisen, in der sich die Regelung bewegen
kann. Geht man verständnisvoll auf diese Richtung ein, so wird man im
konkreten Einzelfalle immer ein Zweckentsprechendes finden. Doch wird
aus den besondern Verhältnissen heraus für die Lebenspraxis dem Geiste
der Sache gemäß das Richtige gefunden werden müssen. Je
wirklichkeitsgemäßer eine Denkart ist, desto weniger wird sie
für einzelnes aus vorgefaßten Forderungen heraus Gesetz und
Regel feststellen wollen. - Nur wird andrerseits eben aus dem Geiste
der Denkart in entschiedener Weise das eine oder das andere mit
Notwendigkeit sich ergeben. Ein solches Ergebnis ist, daß der
Rechtsstaat durch seine Verwaltung der Rechtsübertragungen selbst
niemals die Verfügung über ein Kapital wird an sich reißen
dürfen. Er wird nur dafür zu sorgen haben, daß die Übertragung
an eine solche Person oder Personengruppe geschieht, welche diesen
Vorgang durch ihre individuellen Fähigkeiten als gerechtfertigt
erscheinen lassen. Aus dieser Voraussetzung heraus wird auch zunächst
ganz allgemein die Bestimmung zu gelten haben, daß, wer aus den
geschilderten Gründen zu einer Kapitalübertragung zu schreiten hat,
sich aus freier Wahl über seine Nachfolge in der Kapitalverwertung
entscheiden kann. Er wird eine Person oder Personengruppe wählen
können, oder auch das Verfügungsrecht auf eine Korporation der
geistigen Organisation übertragen können. Denn wer durch eine
Kapitalverwaltung dem sozialen Organismus zweckentsprechende Dienste
geleistet hat, der wird auch über die weitere Verwendung dieses
Kapitals aus seinen individuellen Fähigkeiten heraus mit sozialem
Verständnis urteilen. Und es wird für den sozialen Organismus
dienlicher sein, wenn auf dieses Urteil gebaut wird, als wenn darauf
verzichtet und die Regelung von Personen vorgenommen wird, die nicht
unmittelbar mit der Sache verbunden sind.
Eine Regelung dieser Art wird in Betracht kommen bei Kapitalmassen von
einer bestimmten Höhe an, die von einer Person oder einer
Personengruppe durch Produktionsmittel (zu denen auch Grund und Boden
gehört) erworben werden, und die nicht auf der Grundlage der
ursprünglich für die Betätigung der individuellen Fähigkeiten
gemachten Ansprüche persönliches Eigentum werden.
Die in der letzteren Art gemachten Erwerbungen und alle Ersparnisse,
die aus den Leistungen der eigenen Arbeit entspringen, verbleiben bis
zum Tode des Erwerbers oder bis zu einem spätern Zeitpunkte im
persönlichen Besitz dieses Erwerbers oder seiner Nachkommen. Bis zu
diesem Zeitpunkte wird auch ein aus dem Rechtsbewußtsein sich
ergebender, durch den Rechtsstaat festzusetzender Zins von dem zu
leisten sein, dem solche Ersparnisse zum Schaffen von
Produktionsmitteln gegeben werden. In einer sozialen Ordnung, die auf
den hier geschilderten Grundlagen ruht, kann eine vollkommene
Scheidung durchgeführt werden zwischen den Erträgnissen, die auf Grund
einer Arbeitsleistung mit Produktionsmitteln zustandekommen und den
Vermögensmassen, die auf Grund der persönlichen (physischen und
geistigen) Arbeit erworben werden. Diese Scheidung entspricht dem
Rechtsbewußtsein und den Interessen der sozialen Allgemeinheit.
Was jemand erspart und als Ersparnis einem Produktionsbetrieb zur
Verfügung stellt, das dient den allgemeinen Interessen. Denn es macht
erst die Produktionsleitung durch individuelle menschliche Fähigkeiten
möglich. Was an Kapitalvermehrung durch die Produktionsmittel - nach
Abzug des rechtmäßigen Zinses - entsteht, das verdankt seine
Entstehung der Wirkung des gesamten sozialen Organismus. Es soll also
auch in der geschilderten Art wieder in ihn zurückfließen. Der
Rechtsstaat wird nur eine Bestimmung darüber zu treffen haben,
daß die Überleitung der in Frage kommenden Kapitalmassen
in der angegebenen Art geschehe; nicht aber wird es ihm obliegen,
Entscheidungen darüber zu treffen, zu welcher materiellen oder
geistigen Produktion ein übergeleitetes oder auch ein erspartes
Kapital zur Verfügung zu stellen ist. Das würde zu einer Tyrannis des
Staates über die geistige und materielle Produktion führen. Diese aber
wird in der für den sozialen Organismus besten Art durch die
individuellen menschlichen Fähigkeiten geleitet. Nur wird es
demjenigen, der nicht selbst die Wahl darüber treffen will, an wen er
ein durch ihn entstandenes Kapital übertragen soll, frei überlassen
sein, für das Verfügungsrecht eine Korporation der geistigen
Organisation einzusetzen.
Auch ein durch Ersparnis gewonnenes Vermögen geht mit dem
Zinserträgnis nach dem Tode des Erwerbers oder einige Zeit danach an
eine geistig oder materiell produzierende Person oder Personengruppe -
aber nur an eine solche, nicht an eine unproduktive Person, bei
der es zur Rente würde - über, die durch letztwillige Anordnung von
dem Erwerber zu wählen ist. Auch dafür wird, wenn eine Person oder
Personengruppe nicht unmittelbar gewählt werden kann, die Übertragung
des Verfügungsrechtes an eine Korporation des geistigen Organismus in
Betracht kommen. Nur wenn jemand von sich aus keine Verfügung trifft,
so wird der Rechtsstaat für ihn eintreten und durch die geistige
Organisation die Verfügung treffen lassen.
Innerhalb einer so geregelten sozialen Ordnung ist zugleich der freien
Initiative der einzelnen Menschen und auch den Interessen der sozialen
Allgemeinheit Rechnung getragen; ja es wird den letzteren eben dadurch
voll entsprochen, daß die freie Einzel-Initiative in ihren
Dienst gestellt wird. Wer seine Arbeit der Leitung eines andern
Menschen anzuvertrauen hat, wird bei einer solchen Regelung wissen
können, daß das mit dem Leiter gemeinsam Erarbeitete in der
möglichst besten Art für den sozialen Organismus, also auch für den
Arbeiter selbst, fruchtbar wird. Die hier gemeinte soziale Ordnung
wird ein dem gesunden Empfinden der Menschen entsprechendes Verhältnis
schaffen zwischen den durch das Rechtsbewußtsein geregelten
Verfügungsrechten über in Produktionsmitteln verkörpertes Kapital und
menschlicher Arbeitskraft einerseits und den Preisen der durch beides
geschaffenen Erzeugnisse andrerseits. - Vielleicht findet mancher in
dem hier Dargestellten Unvollkommenheiten. Die mögen gefunden werden.
Es kommt einer wirklichkeitsgemäßen Denkart nicht darauf an,
vollkommene «Programme» ein für alle Male zu geben, sondern darauf,
die Richtung zu kennzeichnen, in der praktisch gearbeitet
werden soll. Durch solche besondere Angaben, wie sie die hier
gemachten sind, soll eigentlich nur wie durch ein Beispiel die
gekennzeichnete Richtung näher erläutert werden. Ein solches Beispiel
mag verbessert werden. Wenn dies nur in der angegebenen Richtung
geschieht, dann kann ein fruchtbares Ziel erreicht werden.
Berechtigte persönliche oder Familienimpulse werden sich durch solche
Einrichtungen mit den Forderungen der menschlichen Allgemeinheit in
Einklang bringen lassen. Man wird gewiß darauf hinweisen können,
daß die Versuchung, das Eigentum auf einen oder mehrere
Nachkommen noch bei Lebzeiten zu übertragen, sehr groß ist. Und
daß man ja in solchen Nachkommen scheinbar Produzierende
schaffen kann, die aber dann doch gegenüber anderen untüchtig sind und
besser durch diese anderen ersetzt würden. Doch diese Versuchung wird
in einer von den oben angedeuteten Einrichtungen beherrschten
Organisation eine möglichst geringe sein können. Denn der Rechtsstaat
braucht nur zu verlangen, daß unter allen Umständen das
Eigentum, das an ein Familienmitglied von einem andern übertragen
worden ist, nach Ablauf einer gewissen, auf den Tod des letzteren
folgenden Zeit einer Korporation der geistigen Organisation zufällt.
Oder es kann in andrer Art durch das Recht die Umgehung der Regel
verhindert werden. Der Rechtsstaat wird nur dafür sorgen,
daß diese Überführung geschehe; wer ausersehen sein soll,
das Erbe anzutreten, das sollte durch eine aus der geistigen
Organisation hervorgegangene Einrichtung bestimmt sein. Durch
Erfüllung solcher Voraussetzungen wird sich ein Verständnis dafür
entwickeln, daß Nachkommen durch Erziehung und Unterricht für
den sozialen Organismus geeignet gemacht werden, und nicht durch
Kapitalübertragung an unproduktive Personen sozialer Schaden
angerichtet werde. Jemand, in dem wirklich soziales Verständnis lebt,
hat kein Interesse daran, daß seine Verbindung mit einer
Kapitalgrundlage nachwirke bei Personen oder Personengruppen, bei
denen die individuellen Fähigkeiten eine solche Verbindung nicht
rechtfertigen.
Niemand wird, was hier ausgeführt ist, für eine bloße Utopie
halten, der Sinn für wirklich praktisch Durchführbares hat. Denn es
wird gerade auf solche Einrichtungen gedeutet, die ganz unmittelbar an
jeder Stelle des Lebens aus den gegenwärtigen Zuständen heraus
erwachsen können. Man wird nur zu dem Entschluß greifen müssen,
innerhalb des Rechtsstaates auf die Verwaltung des geistigen Lebens
und auf das Wirtschaften allmählich zu verzichten und sich nicht zu
wehren, wenn, was geschehen sollte, wirklich geschieht, daß
private Bildungsanstalten entstehen und daß sich das
Wirtschaftsleben auf die eigenen Untergründe stellt. Man braucht die
Staatsschulen und die staatlichen Wirtschaftseinrichtungen nicht von
heute zu morgen abzuschaffen; aber man wird aus vielleicht kleinen
Anfängen heraus die Möglichkeit erwachsen sehen, daß ein
allmählicher Abbau des staatlichen Bildungs- und Wirtschaftswesens
erfolge. Vor allem aber würde notwendig sein, daß diejenigen
Persönlichkeiten, welche sich mit der Überzeugung durchdringen können
von der Richtigkeit der hier dargestellten oder ähnlicher sozialer
Ideen, für deren Verbreitung sorgen. Finden solche Ideen Verständnis,
so wird dadurch Vertrauen geschaffen zu einer möglichen
heilsamen Umwandlung der gegenwärtigen Zustände in solche, welche
deren Schäden nicht zeigen. Dieses Vertrauen aber ist das
einzige, aus dem eine wirklich gesunde Entwickelung wird hervorgehen
können. Denn wer ein solches Vertrauen gewinnen soll, der muß
überschauen können, wie Neueinrichtungen sich praktisch an das
Bestehende anknüpfen lassen. Und es scheint gerade das Wesentliche der
Ideen zu sein, die hier entwickelt werden, daß sie nicht eine
bessere Zukunft herbeiführen wollen durch eine noch weitergehende
Zerstörung des Gegenwärtigen, als sie schon eingetreten ist; sondern
daß die Verwirklichung solcher Ideen auf dem Bestehenden
weiterbaut und im Weiterbauen den Abbau des Ungesunden herbeiführt.
Eine Aufklärung, die ein Vertrauen nach dieser Richtung nicht
anstrebt, wird nicht erreichen, was unbedingt erreicht werden
muß: eine Weiterentwickelung, bei welcher der Wert der bisher
von den Menschen erarbeiteten Güter und der erworbenen Fähigkeiten
nicht in den Wind geschlagen, sondern gewahrt wird. Auch der ganz
radikal Denkende kann Vertrauen zu einer sozialen Neugestaltung unter
Wahrung der überkommenen Werte gewinnen, wenn er vor Ideen sich
gestellt sieht, die eine wirklich gesunde Entwickelung einleiten
können. Auch er wird einsehen müssen, daß, welche Menschenklasse
auch immer zur Herrschaft gelangt, sie die bestehenden Übel nicht
beseitigen wird, wenn ihre Impulse nicht von Ideen getragen sind, die
den sozialen Organismus gesund, lebensfähig machen. Verzweifeln, weil
man nicht glauben kann, daß bei einer genügend großen
Anzahl von Menschen auch in den Wirren der Gegenwart Verständnis sich
finde für solche Ideen, wenn auf ihre Verbreitung die notwendige
Energie gewandt werden kann, hieße an der Empfänglichkeit der
Menschennatur für Impulse des Gesunden und Zweckentsprechenden
verzweifeln. Es sollte diese Frage, ob man daran verzweifeln
müsse, gar nicht gestellt werden, sondern nur die andere: was
man tun solle, um die Aufklärung über vertrauenerweckende Ideen so
kraftvoll als möglich zu machen.
Einer wirksamen Verbreitung der hier dargestellten Ideen wird zunächst
entgegenstehen, daß die Denkgewohnheiten des gegenwärtigen
Zeitalters aus zwei Untergründen heraus mit ihnen nicht zurechtkommen
werden. Entweder wird man in irgendeiner Form einwenden, man könne
sich nicht vorstellen, daß ein Auseinanderreißen des
einheitlichen sozialen Lebens möglich sei, da doch die drei
gekennzeichneten Zweige dieses Lebens in der Wirklichkeit überall
zusammenhängen; oder man wird finden, daß auch im Einheitsstaate
die notwendige selbständige Bedeutung eines jeden der drei Glieder
erreicht werden könne, und daß eigentlich mit dem hier
Dargestellten ein Ideengespinst gegeben sei, das die Wirklichkeit
nicht berühre. Der erste Einwand beruht darauf, daß von einem
unwirklichen Denken ausgegangen wird. Daß geglaubt wird,
die Menschen könnten in einer Gemeinschaft nur eine Einheit des Lebens
erzeugen, wenn diese Einheit durch Anordnung erst in die Gemeinschaft
hineingetragen wird. Doch das Umgekehrte wird von der
Lebenswirklichkeit verlangt. Die Einheit muß als das
Ergebnis entstehen; die von verschiedenen Richtungen her
zusammenströmenden Betätigungen müssen zuletzt eine Einheit
bewirken. Dieser wirklichkeitsgemäßen Idee lief die
Entwickelung der letzten Zeit zuwider. Deshalb stemmte sich, was in
den Menschen lebte, gegen die von außen in das Leben gebrachte
«Ordnung» und führte zu der gegenwärtigen sozialen Lage. - Das zweite
Vorurteil geht hervor aus dem Unvermögen, die radikale Verschiedenheit
im Wirken der drei Glieder des sozialen Lebens zu durchschauen. Man
sieht nicht, wie der Mensch zu jedem der drei Glieder ein
besonderes Verhältnis hat, das in seiner Eigenart nur entfaltet
werden kann, wenn im wirklichen Leben ein für sich bestehender Boden
vorhanden ist, auf dem sich, abgesondert von den beiden andern, dieses
Verhältnis ausgestalten kann, um mit ihnen zusammenzuwirken. Eine
Anschauung der Vergangenheit, die physiokratische, meinte: Entweder
die Menschen machen Regierungsmaßregeln über das wirtschaftliche
Leben, welche der freien Selbstentfaltung dieses Lebens widerstreben;
dann seien solche Maßregeln schädlich. Oder die Gesetze
laufen in derselben Richtung, in welcher das Wirtschaftsleben von
selbst läuft, wenn es sich frei überlassen bleibt; dann seien sie
überflüssig. Als Schulmeinung ist diese Anschauung überwunden; als
Denkgewohnheit spukt sie aber überall noch verheerend in den
Menschenköpfen. Man meint, wenn ein Lebensgebiet seinen Gesetzen
folgt, dann müsse aus diesem Gebiete alles für das Leben
Notwendige sich ergeben. Wenn, zum Beispiel, das Wirtschaftsleben in
einer solchen Art geregelt werde, daß die Menschen die Regelung
als eine sie befriedigende empfinden, dann müsse auch das Rechts- und
Geistesleben aus dem geordneten Wirtschaftsboden sich richtig ergeben.
Doch dieses ist nicht möglich. Und nur ein Denken, das der
Wirklichkeit fremd gegenübersteht, kann glauben, daß es möglich
sei. Im Kreislauf des Wirtschaftslebens ist nichts vorhanden,
das von sich aus einen Antrieb enthielte, dasjenige zu regeln, was aus
dem Rechtsbewußtsein über das Verhältnis von Mensch zu Mensch
erfließt. Und will man dieses Verhältnis aus den
wirtschaftlichen Antrieben heraus ordnen, so wird man den Menschen mit
seiner Arbeit und mit der Verfügung über die Arbeitsmittel in das
Wirtschaftsleben einspannen. Er wird ein Rad in einem
Wirtschaftsleben, das wie ein Mechanismus wirkt. Das Wirtschaftsleben
hat die Tendenz, fortwährend in einer Richtung sich zu bewegen, in die
von einer andern Seite her eingegriffen werden muß. Nicht, wenn
die Rechtsmaßnahmen in der Richtung verlaufen, die vom
Wirtschaftsleben erzeugt wird, sind sie gut, oder wenn sie ihr
zuwiderlaufen, sind sie schädlich; sondern, wenn die Richtung, in
welcher das Wirtschaftsleben läuft, fortwährend beeinflußt wird
von den Rechten, welche den Menschen nur als Menschen angehen, wird
dieser in dem Wirtschaftsleben ein menschenwürdiges Dasein führen
können. Und nur dann, wenn ganz abgesondert von dem Wirtschaftsleben
die individuellen Fähigkeiten auf einem eigenen Boden erwachsen und
dem Wirtschaften die Kräfte immer wieder neu zuführen, die aus ihm
selbst sich nicht erzeugen können, wird auch das Wirtschaften
in einer den Menschen gedeihlichen Art sich entwickeln können.
Es ist merkwürdig: auf dem Gebiete des rein äußerlichen Lebens
sieht man leicht den Vorteil der Arbeitsteilung ein. Man glaubt nicht,
daß der Schneider sich seine Kuh züchten solle, die ihn mit
Milch versorgt. Für die umfassende Gliederung des Menschenlebens
glaubt man , daß die Einheitsordnung das allein
Ersprießliche sein müsse.
Daß Einwände gerade bei einer dem wirklichen Leben
entsprechenden sozialen Ideenrichtung von allen Seiten sich ergeben
müssen, ist selbstverständlich. Denn das wirkliche Leben erzeugt
Widersprüche. Und wer diesem Leben gemäß denkt, der muß
Einrichtungen verwirklichen wollen, deren Lebenswidersprüche durch
andere Einrichtungen ausgeglichen werden. Er darf nicht
glauben: eine Einrichtung, die sich vor seinem Denken als «ideal gut»
ausweist, werde, wenn sie verwirklicht wird, auch widerspruchslos sich
gestalten. - Es ist eine durchaus berechtigte Forderung des
gegenwärtigen Sozialismus, daß die neuzeitlichen Einrichtungen,
in denen produziert wird um des Profitierens des einzelnen willen,
durch solche ersetzt werden, in denen produziert wird, um des
Konsumierens aller willen. Allein gerade derjenige, welcher diese
Forderung voll anerkennt, wird nicht zu der
Schlußfolgerung dieses neueren Sozialismus kommen können: Also
müssen die Produktionsmittel aus dem Privateigentum in Gemeineigentum
übergehen. Er wird vielmehr die ganz andere Schlußfolgerung
anerkennen müssen: Also muß, was privat auf Grund der
individuellen Tüchtigkeiten produziert wird, durch die rechten Wege
der Allgemeinheit zugeführt werden. Der wirtschaftliche Impuls der
neueren Zeit ging dahin, durch die Menge des Gütererzeugens Einnahmen
zu schaffen; die Zukunft wird danach streben müssen, durch
Assoziationen aus der notwendigen Konsumtion die beste Art der
Produktion und die Wege von dem Produzenten zu dem Konsumenten zu
finden. Die Rechtseinrichtungen werden dafür sorgen, daß ein
Produktionsbetrieb nur so lange mit einer Person oder Personengruppe
verbunden bleibt, als sich diese Verbindung aus den individuellen
Fähigkeiten dieser Personen heraus rechtfertigt. Statt dem
Gemeineigentum der Produktionsmittel wird im sozialen
Organismus ein Kreislauf dieser Mittel eintreten, der sie immer
von neuem zu denjenigen Personen bringt, deren individuelle
Fähigkeiten sie in der möglichst besten Art der Gemeinschaft nutzbar
machen können. Auf diese Art wird zeitweilig diejenige Verbindung
zwischen Persönlichkeit und Produktionsmittel hergestellt, die bisher
durch den Privatbesitz bewirkt worden ist. Denn der Leiter einer
Unternehmung und seine Unterleiter werden es den Produktionsmitteln
verdanken, daß ihre Fähigkeiten ihnen ein ihren Ansprüchen
gemäßes Einkommen bringen. Sie werden nicht verfehlen, die
Produktion zu einer möglichst vollkommenen zu machen, denn die
Steigerung dieser Produktion bringt ihnen zwar nicht den vollen
Profit, aber doch einen Teil des Erträgnisses. Der Profit fließt
ja doch nur im Sinne des oben Ausgeführten der Allgemeinheit bis zu
dem Grade zu, der sich ergibt nach Abzug des Zinses, der dem
Produzenten zugute kommt wegen der Steigerung der Produktion. Und es
liegt eigentlich schon im Geiste des hier Dargestellten, daß,
wenn die Produktion zurückgeht, sich das Einkommen des Produzenten in
demselben Maße zu verringern habe, wie es sich steigert bei der
Produktionserweiterung. Immer aber wird das Einkommen aus der
geistigen Leistung des Leitenden fließen, nicht aus einem
solchen Profit, welcher auf Verhältnissen beruht, die nicht in der
geistigen Arbeit eines Unternehmers, sondern in dem Zusammenwirken der
Kräfte des Gemeinlebens ihre Grundlage haben.
Man wird sehen können, daß durch Verwirklichung solcher sozialer
Ideen, wie sie hier dargestellt sind, Einrichtungen, die gegenwärtig
bestehen, eine völlig neue Bedeutung erhalten werden. Das Eigentum
hört auf, dasjenige zu sein, was es bis jetzt gewesen ist. Und es wird
nicht zurückgeführt zu einer überwundenen Form, wie sie das
Gemeineigentum darstellen würde, sondern es wird fortgeführt zu etwas
völlig Neuem. Die Gegenstände des Eigentums werden in den Fluß
des sozialen Lebens gebracht. Der einzelne kann sie nicht aus seinem
Privatinteresse heraus zum Schaden der Allgemeinheit verwalten; aber
auch die Allgemeinheit wird sie nicht zum Schaden der einzelnen
bureaukratisch verwalten können; sondern der geeignete einzelne wird
zu ihnen den Zugang finden, um durch sie der Allgemeinheit dienen zu
können.
Ein Sinn für das Allgemeininteresse kann sich durch die Verwirklichung
solcher Impulse entwickeln, welche das Produzieren auf eine gesunde
Grundlage stellen und den sozialen Organismus vor Krisengefahren
bewahren. - Auch wird eine Verwaltung, die es nur zu tun hat mit dem
Kreislauf des Wirtschaftslebens, zu Ausgleichen führen können, die
etwa aus diesem Kreislauf heraus als notwendig sich ergeben. Sollte,
zum Beispiel, ein Betrieb nicht in der Lage sein, seinen Darleihern
ihre Arbeitsersparnisse zu verzinsen, so wird, wenn er doch als einem
Bedürfnis entsprechend anerkannt wird, aus andern Wirtschaftsbetrieben
nach freier Übereinkunft mit allen an den letzteren beteiligten
Personen das Fehlende zugeschossen werden können. Ein in sich
abgeschlossener Wirtschaftskreislauf, der von außen die
Rechtsgrundlage erhält und den fortdauernden Zufluß der zutage
tretenden individuellen Menschenfähigkeiten, wird es in sich nur mit
dem Wirtschaften zu tun haben. Er wird dadurch der Veranlasser einer
Güterverteilung sein können, die jedem das verschafft, was er nach dem
Wohlstande der Gemeinschaft gerechter Art haben kann. Wenn einer
scheinbar mehr Einkommen haben wird als ein anderer, so wird dies nur
deshalb sein, weil das «Mehr» wegen seiner individuellen Fähigkeiten
der Allgemeinheit zugute kommt. Ein sozialer Organismus, der im Lichte
der hier dargestellten Vorstellungsart sich gestaltet, wird durch eine
Übereinkunft zwischen den Leitern des Rechtslebens und denen des
Wirtschaftslebens die Abgaben regeln können, welche für das
Rechtsleben notwendig sind. Und alles, was zum Unterhalte der
geistigen Organisation nötig ist, wird dieser zufließen durch
die aus freiem Verständnis für sie erfolgende Vergütung von seiten der
Einzelpersonen, die am sozialen Organismus beteiligt sind. Diese
geistige Organisation wird ihre gesunde Grundlage durch die in freier
Konkurrenz sich geltend machende individuelle Initiative der zur
geistigen Arbeit fähigen Einzelpersonen haben.
Aber nur in dem hier gemeinten sozialen Organismus wird die
Verwaltung des Rechtes das notwendige Verständnis finden für eine
gerechte Güterverteilung. Ein Wirtschaftsorganismus, der nicht aus den
Bedürfnissen der einzelnen Produktionszweige die Arbeit der Menschen
in Anspruch nimmt, sondern der mit dem zu wirtschaften hat, was ihm
das Recht möglich macht, wird den Wert der Güter nach dem bestimmen,
was ihm die Menschen leisten. Er wird nicht die Menschen leisten
lassen, was durch den unabhängig von Menschenwohlfahrt und
Menschenwürde zustande gekommenen Güterwert bestimmt ist. Ein solcher
Organismus wird Rechte sehen, die aus rein menschlichen Verhältnissen
sich ergeben. Kinder werden das Recht auf Erziehung haben; der
Familienvater wird als Arbeiter ein höheres Einkommen haben können als
der Einzelnstehende. Das «Mehr» wird ihm zufließen durch
Einrichtungen, die durch Übereinkommen aller drei sozialen
Organisationen begründet werden. Solche Einrichtungen können dem
Rechte auf Erziehung dadurch entsprechen, daß nach den
allgemeinen Wirtschaftsverhältnissen die Verwaltung der
wirtschaftlichen Organisation die mögliche Höhe des
Erziehungseinkommens bemißt und der Rechtsstaat die Rechte des
einzelnen festsetzt nach den Gutachten der geistigen Organisation.
Wieder liegt es in der Art eines wirklichkeitsgemäßen Denkens,
daß mit einer solchen Angabe nur wie durch ein Beispiel die
Richtung bezeichnet wird, in welcher die Einrichtungen bewirkt
werden können. Es wäre möglich, daß für das einzelne ganz anders
geartete Einrichtungen als richtig befunden würden. Aber dieses
«Richtige» wird sich nur finden lassen durch das zeitgemäße
Zusammenwirken der drei in sich selbständigen Glieder des sozialen
Organismus. Hier, für diese Darstellung, möchte im Gegensatz zu
vielem, was in der Gegenwart für praktisch gehalten wird, es aber
nicht ist, die ihr zugrunde liegende Denkart das wirklich Praktische
finden, nämlich eine solche Gliederung des sozialen Organismus, die
bewirkt, daß die Menschen in dieser Gliederung das sozial
Zweckmäßige veranlassen.
Wie Kindern das Recht auf Erziehung, so steht Altgewordenen,
Invaliden, Witwen, Kranken das Recht auf einen Lebensunterhalt zu, zu
dem die Kapitalgrundlage in einer ähnlichen Art dem Kreislauf des
sozialen Organismus zufließen muß wie der gekennzeichnete
Kapitalbeitrag für die Erziehung der noch nicht selbst
Leistungsfähigen. Das Wesentliche bei all diesem ist, daß die
Feststellung desjenigen, was ein nicht selbst Verdienender als
Einkommen bezieht, nicht aus dem Wirtschaftsleben sich ergeben soll,
sondern daß umgekehrt das Wirtschaftsleben abhängig wird von
dem, was in dieser Beziehung aus dem Rechtsbewußtsein sich
ergibt. Die in einem Wirtschaftsorganismus Arbeitenden werden von dem
durch ihre Arbeit Geleisteten um so weniger haben, je mehr für die
nicht Verdienenden abfließen muß. Aber das «Weniger» wird
von allen am sozialen Organismus Beteiligten gleichmäßig
getragen, wenn die hier gemeinten sozialen Impulse ihre Verwirklichung
finden werden. Durch den vom Wirtschaftsleben abgesonderten
Rechtsstaat wird, was eine allgemeine Angelegenheit der Menschheit
ist, Erziehung und Unterhalt nicht Arbeitsfähiger, auch wirklich zu
einer solchen Angelegenheit gemacht, denn im Gebiete der
Rechtsorganisation wirkt dasjenige, worinnen alle mündig gewordenen
Menschen mitzusprechen haben.
Ein sozialer Organismus, welcher der hier gekennzeichneten
Vorstellungsart entspricht, wird die Mehrleistung, die ein Mensch auf
Grund seiner individuellen Fähigkeiten vollbringt, ebenso in die
Allgemeinheit überführen, wie er für die Minderleistung der weniger
Befähigten den berechtigten Unterhalt aus dieser Allgemeinheit
entnehmen wird. «Mehrwert» wird nicht geschaffen werden für den
unberechtigten Genuß des einzelnen, sondern zur Erhöhung dessen,
was dem sozialen Organismus seelische oder materielle Güter zuführen
kann; und zur Pflege desjenigen, was innerhalb dieses Organismus aus
dessen Schoß heraus entsteht, ohne daß es ihm unmittelbar
dienen kann.
Wer der Ansicht zuneigt, daß die Auseinanderhaltung der drei
Glieder des sozialen Organismus nur einen ideellen Wert habe, und
daß sie sich auch beim einheitlich gestalteten Staatsorganismus
oder bei einer das Staatsgebiet umfassenden, auf Gemeineigentum an den
Produktionsmitteln beruhenden wirtschaftlichen Genossenschaft «von
selbst» ergebe, der sollte seinen Blick auf die besondere Art von
sozialen Einrichtungen lenken, die sich ergeben müssen, wenn die
Dreigliederung verwirklicht wird. Da wird, zum Beispiel, nicht mehr
die Staatsverwaltung das Geld als gesetzliches Zahlungsmittel
anzuerkennen haben, sondern diese Anerkennung wird auf den
Maßnahmen beruhen, welche von den Verwaltungskörpern der
Wirtschaftsorganisation ausgehen. Denn Geld kann im gesunden sozialen
Organismus nichts anderes sein als eine Anweisung auf Waren, die von
andern erzeugt sind und die man aus dem Gesamtgebiet des
Wirtschaftslebens deshalb beziehen kann, weil man selbst erzeugte
Waren an dieses Gebiet abgegeben hat. Durch den Geldverkehr wird ein
Wirtschaftsgebiet eine einheitliche Wirtschaft. Jeder produziert auf
dem Umwege durch das ganze Wirtschaftsleben für jeden. Innerhalb des
Wirtschaftsgebietes hat man es nur mit Warenwerten zu tun. Für dieses
Gebiet nehmen auch die Leistungen, die entstehen aus der
geistigen und der staatlichen Organisation heraus, den Warencharakter
an. Was ein Lehrer an seinen Schülern leistet, ist für den
Wirtschaftskreislauf Ware. Dem Lehrer werden seine individuellen
Fähigkeiten ebensowenig bezahlt wie dem Arbeiter seine Arbeitskraft.
Bezahlt kann beiden nur werden, was, von ihnen ausgehend, im
Wirtschaftskreislauf Ware und Waren sein kann. Wie die freie
Initiative, wie das Recht wirken sollen, damit die Ware zustande
komme, das liegt ebenso außerhalb des
Wirtschaftskreislaufes wie die Wirkung der Naturkräfte auf das
Kornerträgnis in einem segensreichen oder einem magern Jahr. Für den
Wirtschaftskreislauf sind die geistige Organisation bezüglich dessen,
was sie beansprucht als wirtschaftliches Erträgnis, und auch der
Staat einzelne Warenproduzenten. Nur ist, was sie produzieren,
innerhalb ihres eigenen Gebietes nicht Ware, sondern es wird erst
Ware, wenn es von dem Wirtschaftskreislauf aufgenommen wird. Sie
wirtschaften nicht in ihren eigenen Gebieten; mit dem von ihnen
Geleisteten wirtschaftet die Verwaltung des Wirtschaftsorganismus.
Der rein wirtschaftliche Wert einer Ware (oder eines Geleisteten),
insofern er sich ausdrückt in dem Gelde, das seinen Gegenwert
darstellt, wird von der Zweckmäßigkeit abhängen, mit der sich
innerhalb des Wirtschaftsorganismus die Verwaltung der
Wirtschaft ausgestaltet. Von den Maßnahmen dieser Verwaltung
wird es abhängen, inwiefern auf der geistigen und rechtlichen
Grundlage, welche von den andern Gliedern des sozialen Organismus
geschaffen wird, die wirtschaftliche Fruchtbarkeit sich entwickeln
kann. Der Geldwert einer Ware wird dann der Ausdruck dafür sein,
daß diese Ware in der den Bedürfnissen entsprechenden Menge
durch die Einrichtungen des Wirtschaftsorganismus erzeugt wird. Würden
die in dieser Schrift dargelegten Voraussetzungen verwirklicht, so
wird im Wirtschaftsorganismus nicht der Impuls ausschlaggebend sein,
welcher durch die bloße Menge der Produktion Reichtum ansammeln
will, sondern es wird durch die entstehenden und sich in der
mannigfaltigsten Art verbindenden Genossenschaften die Gütererzeugung
sich den Bedürfnissen anpassen. Dadurch wird das diesen Bedürfnissen
entsprechende Verhältnis zwischen dem Geldwert und den
Produktionseinrichtungen im sozialen Organismus hergestellt. Das Geld
wird im gesunden sozialen Organismus wirklich nur Wertmesser sein;
denn hinter jedem Geldstück oder Geldschein steht die Warenleistung,
auf welche hin der Geldbesitzer allein zu dem Gelde gekommen sein
kann. Es werden sich aus der Natur der Verhältnisse heraus
Einrichtungen notwendig machen, welche dem Gelde für den Inhaber
seinen Wert benehmen, wenn es die eben gekennzeichnete Bedeutung
verloren hat. Auf solche Einrichtungen ist schon hingewiesen worden.
Geldbesitz geht nach einer bestimmten Zeit in geeigneter Form an die
Allgemeinheit über. Und damit Geld, das nicht in Produktionsbetrieben
arbeitet, nicht mit Umgehung der Maßnahmen der
Wirtschaftsorganisation von Inhabern zurückbehalten werde, kann
Umprägung oder Neudruck von Zeit zu Zeit stattfinden. Aus solchen
Verhältnissen heraus wird sich allerdings auch ergeben, daß der
Zinsbezug von einem Kapitale im Laufe der Jahre sich immer verringere.
Das Geld wird sich abnützen, wie sich Waren abnützen. Doch wird eine
solche vom Staate zu treffende Maßnahme gerecht sein. «Zins auf
Zins» wird es nicht geben können. Wer Ersparnisse macht, hat
allerdings Leistungen vollbracht, die ihm auf spätere
Waren-Gegenleistungen Anspruch machen lassen, wie gegenwärtige
Leistungen auf den Eintausch gegenwärtiger Gegenleistungen; aber die
Ansprüche können nur bis zu einer gewissen Grenze gehen; denn aus der
Vergangenheit herrührende Ansprüche können nur durch Arbeitsleistungen
der Gegenwart befriedigt werden. Solche Ansprüche dürfen nicht zu
einem wirtschaftlichen Gewaltmittel werden. Durch die Verwirklichung
solcher Voraussetzungen wird die Währungsfrage auf eine gesunde
Grundlage gestellt. Denn gleichgültig wie aus andern Verhältnissen
heraus die Geldform sich gestaltet: Währung wird die
vernünftige Einrichtung des gesamten Wirtschaftsorganismus durch
dessen Verwaltung. Die Währungsfrage wird niemals ein Staat in
befriedigender Art durch Gesetze lösen; gegenwärtige Staaten
werden sie nur lösen, wenn sie von ihrer Seite auf die Lösung
verzichten und das Nötige dem von ihnen abzusondernden
Wirtschaftsorganismus überlassen.
Man spricht viel von der modernen Arbeitsteilung, von deren Wirkung
als Zeitersparnis, Warenvollkommenheit, Warenaustausch und so weiter;
aber man berücksichtigt wenig, wie sie das Verhältnis des einzelnen
Menschen zu seiner Arbeitsleistung beeinflußt. Wer in
einem auf Arbeitsteilung eingestellten sozialen Organismus arbeitet,
der erwirbt eigentlich niemals sein Einkommen selbst, sondern
er erwirbt es durch die Arbeit aller am sozialen Organismus
Beteiligten. Ein Schneider, der sich zum Eigengebrauch einen Rock
macht, setzt diesen Rock zu sich nicht in dasselbe Verhältnis wie ein
Mensch, der in primitiven Zuständen noch alles zu seinem
Lebensunterhalte Notwendige selbst zu besorgen hat. Er macht sich den
Rock, um für andere Kleider machen zu können; und der Wert des
Rockes für ihn hängt ganz von den Leistungen der andern ab. Der
Rock ist eigentlich Produktionsmittel. Mancher wird sagen, das sei
eine Begriffsspalterei. Sobald er auf die Wertbildung der Waren
im Wirtschaftskreislauf sieht, wird er diese Meinung nicht mehr haben
können. Dann wird er sehen, daß man in einem
Wirtschaftsorganismus, der auf Arbeitsteilung beruht, gar nicht für
sich arbeiten kann. Man kann nur für andere arbeiten, und andere für
sich arbeiten lassen. Man kann ebensowenig für sich arbeiten, wie man
sich selbst aufessen kann. Aber man kann Einrichtungen herstellen,
welche dem Wesen der Arbeitsteilung widersprechen. Das geschieht, wenn
die Gütererzeugung nur darauf eingestellt wird, dem einzelnen Menschen
als Eigentum zu überliefern, was er doch nur durch seine Stellung im
sozialen Organismus als Leistung erzeugen kann. Die Arbeitsteilung
drängt den sozialen Organismus dazu, daß der einzelne Mensch in
ihm lebt nach den Verhältnissen des Gesamtorganismus; sie
schließt wirtschaftlich den Egoismus aus. Ist dann dieser
Egoismus doch vorhanden in Form von Klassenvorrechten und dergleichen,
so entsteht ein sozial unhaltbarer Zustand, der zu Erschütterungen des
sozialen Organismus führt. In solchen Zuständen leben wir gegenwärtig.
Es mag manchen geben, der nichts davon hält, wenn man fordert, die
Rechtsverhältnisse und anderes müssen sich nach dem egoismusfreien
Schaffen der Arbeitsteilung richten. Ein solcher möge dann nur aus
seinen Voraussetzungen die Konsequenz ziehen. Diese wäre: man könne
überhaupt nichts tun; die soziale Bewegung könne zu nichts führen. Man
kann in bezug auf diese Bewegung allerdings Ersprießliches nicht
tun, wenn man der Wirklichkeit nicht ihr Recht geben will. Die
Denkungsart, aus der die hier gegebene Darstellung heraus geschrieben
ist, will, was der Mensch innerhalb des sozialen Organismus zu tun
hat, nach dem einrichten, was aus den Lebensbedingungen dieses
Organismus folgt.
Wer seine Begriffe nur nach den eingewöhnten Einrichtungen bilden
kann, der wird ängstlich werden, wenn er davon vernimmt, daß das
Verhältnis des Arbeitsleiters zu dem Arbeiter losgelöst werden solle
von dem Wirtschaftsorganismus. Denn er wird glauben, daß eine
solche Loslösung notwendig zur Geldentwertung und zur Rückkehr in
primitive Wirtschaftsverhältnisse führe. (Dr. Rathenau äußert in
seiner Schrift «Nach der Flut» solche Meinungen, die von seinem
Standpunkt aus berechtigt erscheinen.) Aber dieser Gefahr wird durch
die Dreigliederung des sozialen Organismus entgegengearbeitet. Der auf
sich selbst gestellte Wirtschaftsorganismus im Verein mit dem
Rechtsorganismus sondert die Geldverhältnisse ganz ab von den auf das
Recht gestellten Arbeitsverhältnissen. Die Rechtsverhältnisse werden
nicht unmittelbar auf die Geldverhältnisse einen Einfluß haben
können. Denn die letzteren sind Ergebnis der Verwaltung des
Wirtschaftsorganismus. Das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitsleiter und
Arbeiter wird einseitig gar nicht in dem Geldwert zum Ausdruck kommen
können, denn dieser ist nach Beseitigung des Lohnes, der ein
Tauschverhältnis von Ware und Arbeitskraft darstellt, lediglich der
Maßstab für den gegenseitigen Wert der Waren (und Leistungen). -
Aus der Betrachtung der Wirkungen, welche die Dreigliederung
für den sozialen Organismus hat, muß man die Überzeugung
gewinnen, daß sie zu Einrichtungen führen werde, die in den
bisherigen Staatsformen nicht vorhanden sind.
Und innerhalb dieser Einrichtungen wird dasjenige ausgetilgt werden
können, was gegenwärtig als Klassenkampf empfunden wird. Denn
dieser Kampf beruht auf der Einspannung des Arbeitslohnes in den
Wirtschaftskreislauf. Diese Schrift stellt eine Form des sozialen
Organismus dar, in dem der Begriff des Arbeitslohnes ebenso
eine Umformung erfährt wie der alte Eigentumsbegriff. Aber
durch diese Umformung wird ein lebensfähiger sozialer
Zusammenhang der Menschen geschaffen. - Nur eine leichtfertige
Beurteilung wird finden können, daß mit der Verwirklichung des
hier Dargestellten nichts weiter getan sei, als daß der
Arbeitszeitlohn in Stücklohn verwandelt werde. Mag sein, daß
eine einseitige Ansicht von der Sache zu diesem Urteil führt. Aber
hier ist diese einseitige Ansicht nicht als die rechte
geschildert, sondern es ist die Ablösung des Entlohnungsverhältnisses
durch das vertragsgemäße Teilungsverhältnis in bezug auf das von
Arbeitsleiter und Arbeiter gemeinsam Geleistete in Verbindung mit
der gesamten Einrichtung des sozialen Organismus ins Auge
gefaßt. Wem der dem Arbeiter zukommende Teil des
Leistungserträgnisses als Stücklohn erscheint, der wird nicht gewahr,
daß dieser «Stücklohn» (der aber eigentlich kein «Lohn»
ist) sich im Werte des Geleisteten in einer Art zum Ausdruck
bringt, welche die gesellschaftliche Lebenslage des Arbeiters zu
andern Mitgliedern des sozialen Organismus in ein ganz anderes
Verhältnis bringt, als dasjenige ist, das aus der einseitig
wirtschaftlich bedingten Klassenherrschaft entstanden ist. Die
Forderung nach Austilgung des Klassenkampfes wird damit befriedigt. -
Und wer sich zu der namentlich auch in sozialistischen Kreisen zu
hörenden Meinung bekennt: die Entwickelung selbst müsse die
Lösung der sozialen Frage bringen, man könne nicht Ansichten
aufstellen, die verwirklicht werden sollen; dem muß erwidert
werden: Gewiß wird die Entwickelung das Notwendige bringen
müssen; aber in dem sozialen Organismus sind die Ideenimpulse des
Menschen Wirklichkeiten. Und wenn die Zeit ein wenig
vorgeschritten sein wird und das verwirklicht sein wird, was
heute nur gedacht werden kann: dann wird eben dieses Verwirklichte in
der Entwickelung drinnen sein Und diejenigen, welche «nur von der
Entwickelung» und nicht von der Erbringung fruchtbarer Ideen etwas
halten, werden sich Zeit lassen müssen mit ihrem Urteil bis dahin, wo,
was heute gedacht wird, Entwickelung sein wird. Doch wird es eben dann
zu spät sein zum Vollbringen gewisser Dinge, die von den
heutigen Tatsachen schon gefordert werden. Im sozialen
Organismus ist es nicht möglich, die Entwickelung objektiv zu
betrachten wie in der Natur. Man muß die Entwickelung
bewirken. Deshalb ist es für ein gesundes soziales Denken
verhängnisvoll, daß ihm gegenwärtig Ansichten gegenüberstehen,
die, was sozial notwendig ist, so «beweisen» wollen, wie man in der
Naturwissenschaft «beweist». Ein «Beweis» in sozialer Lebensauffassung
kann sich nur dem ergeben, der in seine Anschanung das
aufnehmen kann, was nicht nur im Bestehenden liegt, sondern
dasjenige, was in den Menschenimpulsen - von ihnen oft
unbemerkt - keimhaft ist und sich verwirklichen will. Eine derjenigen
Wirkungen, durch welche die Dreigliederung des sozialen Organismus
ihre Begründung im Wesenhaften des menschlichen Gesellschaftslebens zu
erweisen haben wird, ist die Loslösung der richterlichen Tätigkeit von
den staatlichen Einrichtungen. Den letzteren wird es obliegen, die
Rechte festzulegen, welche zwischen Menschen oder Menschengruppen zu
bestehen haben. Die Urteilsfindungen selbst aber liegen in
Einrichtungen, die aus der geistigen Organisation heraus gebildet
sind. Diese Urteilsfindung ist in hohem Maße abhängig von der
Möglichkeit, daß der Richtende Sinn und Verständnis habe für die
individuelle Lage eines zu Richtenden. Solcher Sinn und solches
Verständnis werden nur vorhanden sein, wenn dieselben Vertrauensbande,
durch welche die Menschen zu den Einrichtungen der geistigen
Organisation sich hingezogen fühlen, auch maßgebend sind für die
Einsetzung der Gerichte. Es ist möglich, daß die Verwaltung der
geistigen Organisation die Richter aufstellt, die aus den
verschiedensten geistigen Berufsklassen heraus genommen sein können,
und die auch nach Ablauf einer gewissen Zeit wieder in ihre eigenen
Berufe zurückkehren. In gewissen Grenzen hat dann jeder Mensch die
Möglichkeit, sich die Persönlichkeit unter den Aufgestellten für fünf
oder zehn Jahre zu wählen, zu der er so viel Vertrauen hat, daß
er in dieser Zeit, wenn es dazu kommt, von ihr die Entscheidung in
einem privaten oder strafrechtlichen Fall entgegennehmen will. Im
Umkreis des Wohnortes jedes Menschen werden dann immer so viele
Richtende sein, daß diese Wahl eine Bedeutung haben wird. Ein
Kläger hat sich dann stets an den für einen Angeklagten zuständigen
Richter zu wenden. - Man bedenke, was eine solche Einrichtung in den
österreichisch-ungarischen Gegenden für eine einschneidende Bedeutung
gehabt hätte. In gemischtsprachigen Gegenden hätte der Angehörige
einer jeden Nationalität sich einen Richter seines Volkes erwählen
können. Wer die österreichischen Verhältnisse kennt, der kann auch
wissen, wieviel zum Ausgleich im Leben der Nationalitäten eine solche
Einrichtung hätte beitragen können. - Aber außer der
Nationalität gibt es weite Lebensgebiete, für deren gesunde Entfaltung
eine solche Einrichtung im gedeihlichen Sinne wirken kann. - Für die
engere Gesetzeskenntnis werden den in der geschilderten Art bestellten
Richtern und Gerichtshöfen Beamte zur Seite stehen, deren Wahl auch
von der Verwaltung des geistigen Organismus zu vollziehen ist, die
aber nicht selbst zu richten haben. Ebenso werden Appellationsgerichte
aus dieser Verwaltung heraus zu bilden sein. Es wird im Wesen
desjenigen Lebens liegen, das sich durch die Verwirklichung solcher
Voraussetzungen abspielt, daß ein Richter den Lebensgewohnheiten
und der Empfindungsart der zu Richtenden nahestehen kann, daß er
durch sein außerhalb des Richteramtes - dem er nur eine Zeitlang
vorstehen wird - liegendes Leben mit den Lebenskreisen der zu
Richtenden vertraut wird. Wie der gesunde soziale Organismus überall
in seinen Einrichtungen das soziale Verständnis der an seinem Leben
beteiligten Personen heranziehen wird, so auch bei der richterlichen
Tätigkeit. Die Urteilsvollstreckung fällt dem Rechtsstaate zu.
Die Einrichtungen, die sich durch die Verwirklichung des hier
Dargestellten für andere Lebensgebiete als die angegebenen notwendig
machen, brauchen vorläufig hier wohl nicht geschildert zu werden.
Diese Schilderung würde selbstverständlich einen nicht zu begrenzenden
Raum einnehmen.
Die dargestellten einzelnen Lebenseinrichtungen werden gezeigt haben,
daß es der zugrunde liegenden Denkungsart sich nicht, wie
mancher meinen könnte - und wie tatsächlich geglaubt wurde, als ich
hier und dort das Dargestellte mündlich vorgetragen habe -, um eine
Erneuerung der drei Stände, Nähr-, Wehr- und Lehrstand handelt. Das
Gegenteil dieser Ständegliederung wird angestrebt. Die Menschen werden
weder in Klassen noch in Stände sozial eingegliedert sein,
sondern der soziale Organismus selbst wird gegliedert sein. Der Mensch
aber wird gerade dadurch wahrhaft Mensch sein können. Denn die
Gliederung wird eine solche sein, daß er mit seinem Leben in
jedem der drei Glieder wurzeln wird. In dem Gliede des sozialen
Organismus, in dem er durch den Beruf drinnen steht, wird er mit
sachlichem Interesse stehen; und zu den andern wird er lebensvolle
Beziehungen haben, denn deren Einrichtungen werden zu ihm in einem
Verhältnisse stehen, das solche Beziehungen herausfordert. Dreigeteilt
wird der vom Menschen abgesonderte, seinen Lebensboden bildende
soziale Organismus sein; jeder Mensch als solcher wird ein
Verbindendes der drei Glieder sein.
Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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