DAS
GEGENSEITIGE IN-BEZIEHUNG-TRETEN ZWISCHEN DEN LEBENDEN UND DEN
SOGENANNTEN TOTEN
Stuttgart, 20. Februar 1913
Zweiter Vortrag
Es
wurde oft gesagt, daß Geisteswissenschaft, wenn sie sich
ausbreiten wird, eingreifen soll in das Leben als eine
wirkliche Lebensmacht. Und die verschiedensten einzelnen
Betrachtungen über Lebenszusammenhänge können
diese Behauptung erhärten. Dadurch schon, daß wir
immer mehr und mehr die Eigentümlichkeiten jener
unsichtbaren Welt kennenlernen, die der sichtbaren zugrunde
liegt, dadurch setzen sich in unseren Seelen Vorstellungen,
Begriffe fest, welche wiederum der Antrieb sein werden zu einem
ganz bestimmten Handeln, einem ganz bestimmten Verhalten im
Leben. Von ganz besonderer Wichtigkeit wird das Verhalten sein,
welches angebahnt werden kann gegenüber den sogenannten
Toten, gegenüber denen, die also während unseres
Lebens die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt durchmachen.
Wie
der Mensch hier im physischen Leibe in den mannigfaltigsten
Verhältnissen steht durch seine Seele und seinen Leib mit
der physischen und der ihr zugrunde liegenden geistigen Umwelt,
so steht der Mensch auch zwischen Tod und neuer Geburt mit den
Tatsachen, Vorgängen und Wesenheiten der
übersinnlichen Welt in den mannigfaltigsten Beziehungen.
Und wie die Menschen eine Beschäftigung, eine
Betätigung haben können in der physischen Welt
zwischen Geburt und Tod, so haben sie auch Betätigungen,
gewissermaßen Geschäfte zwischen Tod und neuer
Geburt. Dasjenige, was wir da kennenlernen können
über das menschliche Leben und über die menschliche
Betätigung zwischen Tod und neuer Geburt, das wird immer
mehr und mehr das herbeiführen, was man nennen kann
Hinwegschaffen des Abgrundes, der sich insbesondere in unserer
materialistischen Zeit auftut zwischen den hier auf Erden
Lebenden und den Toten. Immer mehr und mehr wird das eintreten,
was man nennen kann einen Verkehr, ein gegenseitiges
In-Beziehung-Treten zwischen Lebendigen und sogenannten
Toten.
Auf
Einzelheiten sowohl in bezug auf diesen Verkehr zwischen
Lebenden und Toten sei heute aufmerksam gemacht wie auch auf
die Beschäftigungen und Lebensarten der Seelen, die
zwischen Tod und neuer Geburt leben. Diejenigen, welche vor den
Menschen hinwegsterben, mit denen sie hier auf Erden in
Beziehung gestanden haben, müssen ja in begreiflicher
Weise oftmals zurückschauen von der geistigen Welt auf die
Wesen, die hier als geliebte Wesen oder sonstwie
zurückgeblieben sind im Erdenleben. Nun handelt es sich
dann darum, ob solche zwischen Tod und neuer Geburt befindliche
Seelen wahrnehmen können die Menschen, die hier zwischen
Geburt und Tod leben. Wenn man die Fähigkeiten entwickelt
hat, einzudringen in das Leben zwischen Tod und neuer Geburt,
da macht man ganz besondere, man möchte sagen,
erschütternde Erfahrungen. Da kann man zum Beispiel Seelen
finden von Verstorbenen, welche zuweilen das Folgende sagen in
der Sprache, die möglich ist zwischen den verstorbenen
Seelen und dem Seher, und diesem, der von diesseits
hineinschauen kann in die Welt der Verstorbenen, allein
verständlich ist. In der folgenden Art machte sich zum
Beispiel eine Seele nach dem Tode vernehmlich — es war
eine Seele, die in ihrer letzten Inkarnation in einem
männlichen Leibe verkörpert war —: Da gehen
alle meine Gedanken und Erinnerungen zurück nach
derjenigen Persönlichkeit, die meine traute Gattin gewesen
war. Als ich drunten im Erdenleben war, war sie mir sozusagen
der Sonnenschein des Lebens. Wenn ich nach beendeten
Geschäften abends nach Hause kam, erlabte sich meine Seele
an demjenigen, was sie mir sein konnte, was aus ihrer Seele
damals in die meine kam. Eine rechte geistige Lebensnahrung war
sie mir. Und die Sehnsucht nach ihr ist mir geblieben. Mein
geistiges Auge richtet sich hinunter auf die Erde, und nicht
kann ich sie finden, sie ist nicht da. Ich weiß ja nach
all dem, was ich gelernt habe, daß diese Seele auf Erden
wie früher in einem physischen Leibe sein muß, aber
für mich ist sie wie ausgelöscht, wie nicht da.
Diese erschütternde Erfahrung, man kann sie oftmals machen
gegenüber Seelen, die zurückdenken an die
Zurückgelassenen und die sich wie gefesselt fühlen,
so daß sie nicht durchdringen können, nicht
herunterschauen können zu diesen Seelen. Gefesselt sind
sie nicht durch ihre eigene Wesenheit, vielmehr durch die
andere Seele, die zurückgeblieben ist. Und wenn man das
untersucht, woher es kommt, daß eine solche Seele des
Jenseits nicht wahrnehmen kann die Seele, die noch auf Erden
geblieben ist, dann erfährt man, daß diese
zurückgebliebene Seele in sich durch die
gegenwärtigen Zeitverhältnisse nicht in die Lage
gekommen ist, irgendwelche Gedanken aufzunehmen, in sich leben
zu lassen, welche sichtbar, wahrnehmbar werden können
einer solchen Seele, welche durch die Pforte des Todes gegangen
ist. Man könnte noch einen anderen Vergleich gebrauchen.
Solche Seelen, die durch die Pforte des Todes gegangen sind und
sich sehnen nach dem Anblicke derjenigen, die da
zurückgeblieben sind in physischen Leibern, sie ahnen
zwar, daß diese Seelen auf dem physischen Plane sind, aber
sie können sich ihnen nicht kundgeben. Wie ein stummer
Mensch sich nicht durch die Sprache kundgeben kann, so daß
der andere nichts von ihm vernehmen kann, so bleibt die ganze
Seele selber stumm dem, der sich nach ihr sehnt, in ihrer
geistigen Wesenheit nicht vernehmbar dem, der schon durch die
Pforte des Todes gegangen ist.
Es
gibt einen großen Unterschied zwischen Seelen und Seelen
hier auf Erden, je nachdem diese Seelen den einen oder anderen
Inhalt haben. Nehmen wir eine Seele, die hier im physischen
Leibe lebt und sich vom Aufwachen bis zum Einschlafen nur
beschäftigt mit Vorstellungen, die der materiellen Welt
entlehnt worden sind; eine solche Seele, die ganz
ausgefüllt ist mit bloß der materiellen Welt
entlehnten Vorstellungen, Begriffen, Ideen und Empfindungen,
sie kann man von der anderen Welt her gar nicht wahrnehmen. Man
merkt nichts von ihr. Eine Seele, die angefüllt ist mit
spirituellen Vorstellungen, wie sie zum Beispiel die
spirituelle Wissenschaft gibt, die durchglüht und
durchleuchtet ist von spirituellen Vorstellungen, sie ist
wahrnehmbar vom Jenseits aus. Deshalb können solche
Seelen, die zurückgeblieben sind, wenn sie auch noch so
gute Menschen waren, wenn sie im Materialismus aufgehen,
wesenlos und unwahrnehmbar bleiben für die jenseitige,
für die andere Welt. Das gibt für den Seher, der
gewiß Gelassenheit sich errungen hat, trotzdem
erschütternde, furchtbare Eindrücke. Zahlreich aber
sind diese Wahrnehmungen, die man der jenseitigen Welt
gegenüber gerade in unserem Zeitalter machen kann. In
unserem Zeitalter ist es gerade, wie wenn jedes Verhältnis
abgeschnitten würde zwischen den Seelen, die sich hier
oftmals so nahe stehen. Wenn die eine Seele durch die Pforte
des Todes gegangen ist, so nimmt sich die Sache oft so aus,
während man immer finden kann, daß die Seelen, die
jenseits leben, also durch die Pforte des Todes gegangen sind
und herunterschauen auf solche, welche in sich, wenn auch nur
ab und zu, spirituelle Gedanken hegen und durch die Seele
ziehen lassen, diese nun wahrnehmen können, so daß
diese Seelen für sie dableiben als reale Seelen. Noch
bedeutsamer ist, daß dasjenige praktisch werden kann, um
was es sich da handelt. Nicht wahrnehmen nur, sondern verstehen
können die Seelen im Jenseits die spirituellen Gedanken,
welche die Seelen hier hegen. Und dadurch kann das zustande
kommen, was so wichtig werden kann für den Verkehr der
diesseitigen mit den jenseitigen Seelen: nämlich das, was
man nennen kann Vorlesen den Toten. Und solches Vorlesen den
Toten ist oftmals außerordentlich wichtig.
Auch da kann der Seher die Erfahrung machen, daß Menschen,
die sich hier gar nicht bekümmert haben um irgendwelche
spirituellen Weistümer, dann, nachdem sie durch die Pforte
des Todes geschritten sind, eine starke Sehnsucht haben nach
solchen spirituellen Weistümern, sie hören wollen.
Wenn dann die Seelen, die hier zurückgeblieben sind, den
Toten sich vorstellen und in Gedanken, durchaus nicht laut,
irgendwelche spirituelle Gedankengänge durchgehen oder
geisteswissenschaftliche Bücher aufschlagen und in
Gedanken lesen, vorlesen dem Toten, den sie sich geistig vor
Augen hinstellen, dann vernimmt das der Tote. Wir haben gerade
in unserer Bewegung auf diesem Gebiet die allerschönsten
Erfolge aufzuweisen dadurch, daß lebendgebliebene Freunde
ihren hingestorbenen Angehörigen vorlesen. Man kann
oftmals sehen, wie diese Toten lechzen nach dem Vernehmen
dessen, was von hier aus zu ihnen hinaufdringt. Namentlich in
den ersten Zeiten nach dem Tode ist eines notwendig, damit man
in ein Verhältnis kommen kann mit einer Seele.
Man
kann nicht so ohne weiteres mit jedem beliebigen Wesen in ein
Verhältnis kommen. Da gibt es viel Täuschung, viel
Blendwerk; es ist nicht so leicht. Wenn man glaubt, daß
ein Mensch nur zu sterben braucht, um sozusagen mit der ganzen
geistigen Welt in Berührung zu kommen, so ist das ein
großer Irrtum, ein ganz großer Irrtum. — Es war
mir einmal ganz besonders aufgefallen, wie ein Mensch, der
eigentlich sonst nicht gerade das Pulver erfunden hatte, aber
immerfort von Kant, Schopenhauer und so weiter sprach, auch
Vorträge hielt über Kant und Schopenhauer, mir, als
ich Vorträge hielt über das Wesen der
Unsterblichkeit, in einer etwas selbstgefälligen Weise
erwiderte: Über die Unsterblichkeit können die
Menschen doch hier auf Erden nichts wissen, da wir das erst
erfahren, wenn wir gestorben sind. — Man könnte ihm
sagen: so wie er veranlagt ist, wird er sich nicht besonders
unterscheiden in bezug auf seine Seele nach dem Tode und jetzt.
Das ist ein vollständiges Vorurteil, daß man glaubt,
daß die Seelen gleich ganz weise sind, wenn sie durch die
Pforte des Todes durchgegangen sind. Im Gegenteil, wir
können nach dem Tod nicht ohne weiteres Verhältnisse
anknüpfen zu Wesenheiten, wenn wir sie nicht hier vor dem
Tode angeknüpft haben. Diese Verhältnisse, die hier
angeknüpft werden, wirken lange fort. Das gibt es nicht
ohne weiteres, daß eine Seele sich von jenseitigen Seelen
sofort unterrichten lassen kann: weil sie keine Beziehungen zu
ihnen haben kann. Beziehungen aber hat der Mensch zu Wesen
diesseits, und die können ihm die Labe bringen, wonach er
lechzt, die können ihm die spirituelle Weisheit bringen,
indem sie den Toten vorlesen, und können ungeheuer
verdienstvoll wirken dadurch. Ihnen äußere,
materialistische Wissenschaft vorlesen, etwa Chemie oder
Physik, das hilft nichts, das ist eine Sprache, die sie nicht
verstehen, weil diese Wissenschaften nur für das
Erdenleben Wert haben. Aber dasjenige, was über die
spirituellen Welten als eine Sprache gesprochen wird in der
Geisteswissenschaft, das bleibt den Toten
verständlich.
In
den ersten Zeiten nach dem Tode ist allerdings eines zu
berücksichtigen: da bleibt den Seelen dasjenige
verständlich, was in den Sprachen, die sie gewöhnlich
gesprochen haben hier auf Erden, erklingt. Und erst nach
einiger Zeit werden die Toten von der Sprache unabhängig;
dann kann man ihnen in jeder beliebigen Sprache vorlesen; sie
vernehmen den Gedankeninhalt. In der ersten Zeit nach dem Tode
ist der Mensch auch mit der Sprache verbunden, die er zuletzt
gesprochen hat, wenn er ausgesprochenermaßen eine Sprache
gesprochen hat. Das sollte man schon berücksichtigen,
daß man den Toten in der ersten Zeit wirklich vordenkt
denn man denkt ihnen vor, ein Vordenken ist gemeint — in
der Sprache, die ihre gewohnte Sprache ist.
Da
sind wir gleich bei einem Kapitel, meine lieben Freunde, das
uns lehren kann, wie der Abgrund überbrückt wird
dadurch, daß Anthroposophie in unser geistiges Leben
einfließt hier in dieser Welt und in der anderen Welt, in
der Welt, in der wir leben zwischen Tod und neuer Geburt.
Während der Materialismus nur gestattet einen Verkehr ins
Leben zu führen zwischen Seelen, die in ihrem Erdenleben
eingeschlossen sind, wird die Anthroposophie die Bahn frei
machen für ein freies Kommunizieren, einen Verkehr
zwischen den Seelen, die hier sind, und den Seelen, die in der
anderen Welt drüben sind. Die Toten werden mit uns leben.
Und es wird wirklich nur wie eine Art Änderung der
Lebensform nach und nach empfunden werden, was man da nennen
kann das Durchgehen durch die Pforte des Todes. Und von
großer Bedeutung wird die ganze Veränderung des
Seelenund des geistigen Lebens sein, die dann eintritt, wenn
solche Dinge allgemein werden.
Das
war eben ein Beispiel, wie die Lebenden auf die Toten wirken.
Wir können uns auch Vorstellungen davon bilden, wie
wiederum die Toten auf die Lebenden zurückwirken. Ich
durfte schon öfters davon sprechen — verzeihen Sie,
wenn die Rede auf das Persönliche kommt —, daß
ich in verflossenen Zeiten viele Kinder zu unterrichten hatte.
Ich hatte eine Reihe von Kindern zu unterrichten in einer
Familie, bei denen nur die Mutter vorhanden war; der Vater war
gestorben, und es war mir immer darum zu tun — das ist es
eigentlich, worum es sich bei dem Erzieher handeln muß
—, die Anlagen und Fähigkeiten der Kinder
herauszubekommen, um sie in richtiger Weise erziehend und
unterrichtend zu führen. Bei den Kindern, von denen ich
jetzt sprechen will, blieb immer etwas unverständlich, was
man auch versuchte: es zeigte sich ein gewisses Verhalten der
Kinder, das nicht aus den Anlagen und nicht aus der Umgebung
folgte; man konnte damit nicht recht fertig werden. Man
muß ja in einem solchen Falle alles zu Hilfe rufen; und da
ergab ein spirituelles Nachforschen das Folgende: Der Vater war
gestorben und durch die besonderen Verhältnisse, die sich
hier in der Verwandtschaft zugetragen hatten, war er nicht
einverstanden mit dem, was die Verwandten mit den Kindern
machten, auch nicht mit dem, was in der engsten Familie
geschah, und durch besondere Verhältnisse wirkte er herein
auf die Kinder. Und erst von dem Augenblicke an, als ich damit
rechnen konnte, daß es etwas Besonderes gibt, was weder
aus den Anlagen folgte noch aus der Umgebung, sondern was aus
der übersinnlichen Welt kam von dem verstorbenen Vater,
der in die Seelen der Kinder hinein seine Kräfte richtete,
erst von da an konnte man sich danach richten. Jetzt mußte
man damit rechnen, was der Vater eigentlich wollte. Und in dem
Augenblicke, als man erforschen konnte, was der Vater, der
durch die Pforte des Todes gegangen war, wollte, und als man
ihn als eine reale Persönlichkeit betrachtete wie die
anderen physischen Persönlichkeiten, die da mitwirkten
für die Kinder, da kam man zurecht.
Das
ist ein solcher Fall, wo sich klar und deutlich zeigte,
daß spirituelles Wissen einem zeigen kann, einem weisen
kann das Hereinwirken der Kräfte aus der
übersinnlichen, geistigen Welt in diese physische Welt.
Aber um so etwas wahrzunehmen, braucht man den richtigen
Zeitpunkt. Man muß zum Beispiel versuchen, eine Art Kraft
zu entwickeln, welche es einem möglich macht, das
Hereinleuchten der übersinnlichen Kraft gleichsam
wahrzunehmen, also in diesem Falle des Vaters in die kindliche
Seele herein. Das ist oftmals schwierig. Ein leichtes Mittel
wäre ja zum Beispiel, wenn man versuchen wollte zu
erkennen, wie der tote Vater gerade dieses oder jenes in die
Seele des Kindes hineinsenken will, nach den Gedanken des
Vaters. Das stellt sich aber nicht immer als richtig heraus,
kann vor allem auch nicht immer von neuem geschehen. Da erweist
sich als ein gutes Mittel, wenn man sich ein Bild verschafft
von dem Aussehen, der Art, wie der Vater in der letzten Zeit
ausgesehen hat; wenn man sich ein deutliches Bild von seinen
Schriftzügen einprägt und dieses ins Auge faßt
und sich so präpariert für einen Unterricht, wie er
hier gemeint ist, indem man sich konzentriert auf Schrift oder
Bild: dann nimmt man in das, was man selber zu arbeiten hat,
die Ansichten, die Intentionen, die Ziele des Toten auf. Man
wird einmal rechnen mit dem, was die Toten wollen für die
Zurückgebliebenen. Wir können heute nur mit dem
Willen derjenigen rechnen, die auf dem physischen Plan sind.
Ein gegenseitiger, man möchte sagen freier Verkehr wird
stattfinden zwischen Lebenden und Toten. Man wird lernen das zu
erforschen, was die Toten wollen für den physischen Plan.
Malen Sie sich einmal die große Umwälzung aus, man
möchte sagen, auch der Äußerlichkeiten des
irdischen Lebens, wenn also die Toten ihren Anteil haben werden
und durch die Lebenden hereinwirken werden auf den physischen
Plan. Geisteswissenschaft wird eben, wenn sie richtig
verstanden wird und sie muß immer richtig verstanden
werden —, nicht eine bloße Theorie sein,
Geisteswissenschaft wird immer mehr ein Lebenselixier werden,
das eingreift in das ganze Dasein, umgestalten wird das ganze
Dasein, je mehr sie sich ausbreiten wird. Und sie wird das
sicher tun, denn sie wird nicht wirken wie ein abstraktes
Ideal, das gepredigt wird, das durch Vereine vertrieben wird.
Sie wird, langsam zwar, aber sicher, die Seelen ergreifen und
die Erdenseelen umgestalten.
Aber auch manches andere wird sich in unseren Vorstellungen
bereichern. Wir werden in ganz anderer Weise in unserem Dasein
zusammenleben mit den Toten, weil wir verstehen werden, was die
Toten tun. Vieles bleibt eben zunächst recht
unverständlich in dem Zusammenhang zwischen der Welt hier
auf Erden, dem physischen Plan, und der Welt, die wir
durchleben zwischen Tod und neuer Geburt; denn
unverständlich bleibt vieles, was hier in der physischen
Welt geschieht. Und da alles dasjenige, was hier geschieht, in
Korrespondenz steht mit dem, was drüben geschieht, so
bleibt auch unverständlich das Verhältnis der Welt
und der Menschheit zu den übersinnlichen Welten. Aber
indem Geisteswissenschaft richtig aufgefaßt wird, wird an
die Stelle des Nichtverstehens auf diesem Gebiete immer mehr
das Verstehen treten.
Nun
soll ein Zusammenhang erörtert werden, der zeigen kann,
wie merkwürdig verschlungene Wege die Wesen gehen, die
sozusagen die Weiterentwickelung der Weltenweisheit
vollführen. Merkwürdig verschlungene Wege haben diese
Wesen, aber dennoch, wenn wir sie verfolgen, so erweisen sie
sich in allen Punkten als weisheitsvoll. Wir werden
verschiedene Verhältnisse ins Auge fassen. Fassen wir
zunächst einmal ins Auge Seelen, die wir zwischen Tod und
neuer Geburt mit dem Seherauge schauen können in ihrer
Beschäftigung. Da sehen wir — das ist wiederum
für den Seher etwas Erschütterndes — viele
Seelen, die eine gewisse Zeit zwischen Tod und neuer Geburt
verurteilt sind, Sklaven zu werden der Geister, die da
hereinsenden in das physische Leben Krankheit und Tod. Da sehen
wir also Seelen zwischen Tod und Neugeburt, welche in das
Sklavenjoch gespannt sind derer, die wir die ahrimanischen
Geister oder die Geister der Hindernisse nennen, also
derjenigen, die auf Erden am Tode schaffen, und derjenigen, die
Hindernisse ins Leben bringen. Das ist ein hartes Los, das der
Seher beobachtet bei manchen Seelen, wenn sie sich so in das
Sklavenjoch beugen müssen. Wenn man solche Seelen dann
zurückverfolgt bis ins Leben, das sie geführt haben,
bevor sie durch die Pforte des Todes gegangen sind, so findet
man, daß die Seelen, welche dienen müssen eine
gewisse Zeit nach dem Tode den Geistern des Widerstandes, sich
das durch die im Leben entwickelte Bequemlichkeit bereitet
haben. Und die Sklaven der Geister von Krankheit und Tod haben
sich das dadurch zubereitet, daß sie Gewissenlosigkeit vor
dem Tode entwickelt haben. Da sehen wir also ein gewisses
Verhältnis von Menschenseelen zu den bösen Geistern
von Krankheit und Tod, den bösen Geistern der
Widerstände. Aber jetzt schauen wir weiter auf folgende
Sache: jetzt schauen wir auf die Seelen, die hier auf Erden
befallen werden von dem, was solche Seelen tun müssen.
Sehen wir uns die Seelen an, die hier auf Erden in der
Blüte des Lebens hinsterben, ohne daß sie den
Alterstod sterben können. Sehen wir die Seelen, die hier
auf Erden von Krankheit befallen werden, die vom Unglück
verfolgt werden, wie sich ihnen Hindernisse über
Hindernisse auftürmen. Was bemerkt der Seher, wenn er
solche Seelen verfolgt, die frühzeitig sterben oder von
Unglück verfolgt werden und eingehen in die geistige Welt?
Was merkt der Seher bei solchen Seelen? Man kann
merkwürdige Erfahrungen machen in menschlichen
Erdenschicksalen. Immerhin wollen wir auf ein Beispiel
hinweisen, das zu den ergreifenden Erdenschicksalen
gehört, und was sich immerhin zutragen kann.
Ein
Kind wird geboren; die Mutter stirbt während der Geburt
des Kindes; das Kind wird schon bei der Geburt Waise
gegenüber der Mutter. Der Vater hört am Tage der
Geburt des Kindes, daß sein ganzes Vermögen, das auf
ein Schiff gesetzt war, welches über das Meer fuhr,
verlorengegangen ist; er hört, daß das Schiff
Schiffbruch gelitten hat, er wird darüber melancholisch,
stirbt auch, das Kind ist ganz verwaist. Das kleine
Mädchen wird angenommen von einer wohlhabenden Dame. Sie
hat das Kind sehr gern, vermacht ihm ihr großes
Vermögen. Die Dame stirbt, als das Kind noch
verhältnismäßig jung ist. Man prüft das
Testament, es findet sich ein Formfehler: keinen Pfennig
bekommt das Kind von dem, was ihm vermacht worden ist. Es ist
zum zweiten Mal völlig mittellos in die Welt
hinausgestoßen und muß sich als Magd verdingen,
muß niedrige Dienste tun. Es verliebt sich in sie ein
Mann, aber es ist den beiden unmöglich, zusammenzukommen
wegen der Vorurteile, die in der Gemeinschaft herrschen: sie
sind verschiedenen Glaubens. Aber der Mann hat das Mädchen
sehr gern, so daß er verspricht, sobald sein Vater stirbt,
der schon sehr alt ist, werde er zu ihrem Glauben
übertreten. Er geht in die Fremde; da hört er,
daß sein Vater krank geworden ist. Sein Vater stirbt; er
tritt zum Glauben des Mädchens über, und während
er hineilt zu dem Mädchen, ist das Mädchen krank
geworden und gestorben. Wie er zurückkommt, ist sie tot.
Er empfindet tiefsten Schmerz und kann nicht anders, als das
Grab öffnen zu lassen, um sie noch einmal zu sehen. Und
aus der Lage des Leichnams findet man, daß das
Mädchen scheintot begraben worden ist. — Es ist das
eine Sage — Hamerling hat sie wiedererzählt
in seinen Werken —, es ist eine Sage, die nicht wahr ist,
aber es kann hundertfältig so sein. Wir sehen, daß
eine Menschenseele nicht nur hinstirbt in der Blüte der
Jahre, sondern wir sehen sie von Unglück verfolgt von
Anfang an, in gewisser Weise. Bei der Herausarbeitung solcher
Verhältnisse arbeiten diejenigen Seelen mit, die durch
Gewissenlosigkeit die Diener werden der bösen Geister von
Krankheit, Tod und Ungemach. So müssen solche gewissenlose
Seelen an der Herbeiführung solcher schwerer Schicksale
arbeiten: das ist ein Zusammenhang! Dem Seher zeigt sich das
ganz besonders bei einer solchen Sache wie zum Beispiel der
Titanic-Katastrophe. Untersuchen wir da, wie da gewirkt haben
die Seelen, die durch Gewissenlosigkeit die Diener geworden
sind dieser Geister von Krankheit und Ungemach. Karma muß
sich ja vollziehen, die Dinge sind notwendig, aber es ist doch
ein schlimmes Schicksal, in das diese Seelen verstrickt sind,
die nach dem Tode gebannt sind in solches Sklavenjoch. —
Aber fragen wir uns weiter: Was ist es mit den Seelen, die hier
auf Erden ein solches Schicksal erfahren, die hier auf Erden in
der Blüte ihrer Jahre hinsterben, die frühzeitig von
Seuchen hinweggerafft werden? Wenn diese durch die Pforte des
Todes in die geistige Welt zur Unzeit gehen, was ist es mit
diesen Seelen?
Das
Schicksal dieser Seelen erfahren wir, wenn wir mit dem
Seherauge eindringen sozusagen in die Beschäftigung der
Geister, welche die Erdentwickelung oder überhaupt die
Entwickelung vorwärts geleiten. Diese Wesenheiten der
höheren Hierarchien haben gewisse Kräfte, gewisse
Mächte, um die Entwickelung vorwärtszurücken;
aber sie sind in diesen Kräften und Mächten in einer
gewissen Weise beschränkt. So ergibt sich zum Beispiel das
Folgende. Den ganz materialistischen Seelen, die alle Gesinnung
für die übersinnliche Welt verlieren, denen droht
eigentlich schon in diesem unserem Zeitalter eine Art von
Untergang, eine Art von Abschnürung aus der fortgehenden
Entwickelung. Und es ist in gewisser Weise schon in unserem
Zeitalter für einen großen Teil der Menschen die
Gefahr vorhanden, daß sie nicht mitkommen können,
weil sie sozusagen durch ihre eigene Seelenschwere, indem sie
ganz materialistische Seelen sind, festgehalten werden auf
Erden und nicht mitgenommen werden zur nächsten
Verkörperung. Aber diese Gefahr soll nach dem
Ratschluß von höheren Hierarchien abgelenkt werden.
In Wahrheit verhält es sich so, daß eigentlich erst
im sechsten Zeitraum und zuletzt eigentlich gar erst
während der Venus-Entwickelung die Entscheidungsstunde
schlägt für die Seelen, die, sich ganz
abschnürend, von der Entwickelung nicht mitgenommen
werden. Es sollen im Grunde genommen die Seelen jetzt noch
nicht soweit in die Schwere verfallen, daß sie
zurückbleiben müssen. Das ist ja wohl so nach dem
Ratschluß der höheren Hierarchien, daß dies
nicht geschehen soll. Aber diese Wesenheiten der höheren
Hierarchien sind in gewisser Weise beschränkt in ihren
Kräften und Fähigkeiten. Unbeschränkt ist
nichts, auch nicht unter den Wesenheiten der höheren
Hierarchien. Und wenn es nur ankäme auf die Kräfte
dieser höheren Hierarchien, so müßten ganz
materialistische Seelen jetzt schon durch sich selbst in
gewisser Weise von der fortlaufenden Entwickelung
abgeschnürt werden. Durch sich selber können diese
Wesenheiten der höheren Hierarchien eigentlich diese
Seelen nicht retten; da wird ein Auskunftsmittel genommen. Die
Seelen nämlich, die hier eines frühzeitigen Todes
sterben, haben ja als Seelen eine Möglichkeit vor sich.
Sagen wir, sie sterben durch irgendeine Katastrophe, zum
Beispiel ein Schnellzug überfährt sie: dann wird ja
einer solchen Seele die Hülle genommen; sie ist jetzt
leibfrei, leib-entblößt, aber sie hat durchaus noch
all die Kräfte in sich, die hier auf Erden im Leibe wirken
könnten. Indem solche Seelen in die geistige Welt hinauf
gehen, bringen sie noch ganz besondere Kräfte mit hinauf,
die eigentlich noch hier auf Erden wirksam sein könnten,
die hier aber vorzeitig abgelenkt worden sind. Das sind
besonders verwendbare Kräfte, welche diese
Frühverstorbenen hinaufbringen. Und diese Kräfte
benutzen nun die Wesenheiten der höheren Hierarchien, um
diejenigen Seelen zu retten, die sie durch eigene Kraft nicht
retten könnten.
Materialistisch gestimmte Seelen werden dadurch in bessere
Zeiten hinweggeführt und gerettet, da ihre Kräfte nur
für den regelmäßigen Gang der
Menschheitsentwickelung ausgerüstet sind. Rettung
geschieht dadurch, daß diesen Wesenheiten der höheren
Hierarchien Zuwachs geschieht an Kraft von solchen
unverwendeten Kräften, die von der Erde herkommen, die
noch in sich Energiespannungen haben, welche unverwendet
blieben. Diese Kräfte wachsen den Wesenheiten der
höheren Hierarchien zu. So helfen die Seelen, die
frühzeitig zugrunde gehen, ihren Mitmenschen, die sonst im
Morast des Materialismus versinken würden. Da haben wir
dasjenige, was Seelen zu tun haben, die in frühzeitiger
Weise dahinsinken. Merkwürdige Zusammenhänge, nicht
wahr, in den komplizierten Wegen der Weltenweisheit! Da wird
von der Weltenweisheit zugelassen auf einer Seite, daß
Menschenseelen durch Gewissenlosigkeit verurteilt werden,
mitzuarbeiten, daß Krankheit, frühzeitiger Tod in die
Welt hereinkomme — die Seelen, die davon betroffen
werden, werden von guten Wesenheiten der höheren
Hierarchien verwendet, um anderen Menschen zu helfen. So wird
also, was äußerlich in der Maja als Böses
erscheint, oftmals ins Gute geleitet, aber auf komplizierten
Wegen. Die Weisheitswege sind sehr kompliziert, die da
eingeschlagen werden in der Welt. Man lernt nur allmählich
sich hindurchzufinden durch diese Weisheitswege. Man
möchte sagen: Da halten Rat oben die Geister der
höheren Hierarchien. Weil die Menschen frei sein
müssen, lassen sie ihnen die Möglichkeit, in den
Materialismus, in das Böse zu versinken. Sie geben ihnen
so viel Freiheit, daß sie ihnen gleichsam
entschlüpfen, diese Menschenseelen, die sich so durch ihre
eigene Kraft nicht bis zu einem gewissen Zeitpunkt hinbringen
könnten. Sie brauchen Seelen, die auf Erden Kräfte
entwickeln, die dann durch den frühzeitigen Abfall vom
Leib in Spannung bleiben, wenn sie in die geistige Welt
zurückgehen müssen durch frühzeitigen Tod und
Unglück. Daß diese eintreten können, dazu
müssen wiederum die Dienste geleistet werden von den
Menschenseelen, die infolge ihrer Freiheit in Gewissenlosigkeit
versunken sind. Ein wunderbarer zyklischer Weg eröffnet
sich da; man darf sagen, auch ein zyklischer Weg der
Weltenweisheit. Man darf durchaus nicht glauben, daß das
sogenannte Einfache das Universelle ist. Die Welt ist
kompliziert geworden. Es war immerhin ein bedeutsames Wort
Nietzsches, das sich ihm ergeben hat wie durch
Inspiration, als er sagte: «Die Welt ist tief, und tiefer
als der Tag gedacht.» — Diejenigen Menschen, die da
glauben, daß alles durch die Tagesweisheit des Verstandes
begriffen werden könne, die irren sich ganz gewaltig. Denn
das höhere geistige Licht ist nicht dasjenige, das in die
Tagesweisheit hineinscheint, sondern dasjenige, das in die
Finsternis hineinscheint. Wir müssen dieses Licht suchen,
damit wir in den Finsternissen, in denen doch die
Weltenweisheit waltet, uns zurechtfinden können.
Wenn wir solche Begriffe, Ideen und Gedanken aufnehmen, meine
lieben Freunde, dann ist es so, daß wir eben mit anderen
Augen die Welt anschauen als vorher. Und das wird immer mehr
nötig werden, daß man mit anderen Augen die Welt
anschauen lernt; denn die Menschheit hat ja manches verloren
seit alten Zeiten. Was sie verloren hat, davon kann man sich
einen Begriff machen, wenn man das Folgende bedenkt. Noch in
der dritten nachatlantischen Kulturperiode gab es oft solche
Zwischenzustände zwischen Schlafen und Wachen, wo diese
Seelen hineinschauten in die Sternenwelt und nicht bloß
physische Sterne sahen wie jetzt, sondern wo die geistigen
Wesenheiten der höheren Hierarchien, die Lenker und Leiter
des Sterngeschickes und der Sternbewegung von ihnen
wahrgenommen wurden. Und was da als alte Sternkarten vorhanden
war aus uralten Zeiten, wo noch allerlei
Gruppenseelenhaftigkeit gezeichnet wird, was tierähnlich
aussah und doch nicht Tier ist, das ist nicht der Phantasie
entsprungen, sondern das ist geistig geschaut. Die Seelen
nahmen das wahr in dem Geistigen. Dieses Geistige konnten sie
durch die Pforte des Todes tragen. Dieses Schauen des Geistes
in die Welt des Übersinnlichen ist den Seelen
verlorengegangen. Heute, wenn die Seelen geboren werden, treten
sie der physischen Welt gegenüber durch ihre leiblichen
Sinnesorgane und sehen nur mehr das äußere Physische.
Dasjenige, was das äußere Physische umspielt als das
Geistig-Seelische in den Wesenheiten der höheren
Hierarchien, das können sie nicht mehr schauen. Aber was
sind denn das für Seelen, die da in den heutigen Leibern
auftreten? Alle die Seelen, die hier sitzen, waren in
früheren Zeiten verkörpert, und die weitaus meisten
Seelen waren in ägyptisch-chaldäischen Leibern
inkarniert und haben da durch diese Leiber hinausgeschaut in
die Welt, in der sie auch geistig wahrgenommen haben. Dieses
Geistige haben sie hereingenommen, es ist in den Seelen
drinnen. Nicht in allen den Seelen; aber selbst die Seelen, die
heute gar nichts mehr sehen als physische Tatsachen, sie lebten
einstmals im Anschauen des Geistigen, sie lebten ein ganzes
Vorstellungsleben des Geistigen. Wie leben diese Seelen jetzt?
Sie leben ganz genau so, wie wenn sie dieses Geistige total
vergessen hätten. So leben diese Menschen, daß sie
die Vorstellungen vergessen haben, die sie damals aufgenommen
haben. Was man vergessen hat, das ist nur für das
Bewußtsein vergessen; es lebt in den tiefsten
Untergründen der Seele. Da stellt sich das
Eigentümliche heraus, daß die heute lebenden Seelen
zwar bewußterweise nur ein physisch-sinnliches Weltenbild
um sich herum haben; aber im Innern leben unbewußt in den
Tiefen der Seele die Vorstellungen, die einstmals als wahres
spirituelles Sehen aufgenommen worden sind. Von denen wissen
die Seelen nichts, nur zeigen sie solche eigentümlichen
Vorstellungen, die in den Seelentiefen wühlen, die nicht
heraufkommen ins Bewußtsein; die wirken lähmend,
tötend. Und so entsteht tatsächlich in den jetzigen
Menschen etwas, was in ihnen ein tötendes Element ist.
Wenn man als Seher den heutigen Menschen betrachtet, wie er
anatomisch aufgebaut ist, da findet man im jetzigen Menschen,
namentlich im Nervensystem, gewisse Strömungen, gewisse
Kräfte, die Todeskräfte sind und die herrühren
von Vorstellungen, die in früheren Inkarnationen gelebt
haben. Diese spirituellen Vorstellungen, die die Menschen jetzt
vergessen haben, haben etwas Aufzehrendes. Das würde sich
immer mehr zeigen, je mehr die Menschheit der Zukunft
entgegengeht, wenn es nicht etwas geben würde, was dem
entgegenwirkt. Was kann das nur sein? Nichts anderes, als
daß man das, was vergessen worden ist, zur Erinnerung
bringt. Man muß die Seelen erinnern an dasjenige, was sie
vergessen haben. Das tut die Geisteswissenschaft. Sie tut im
Grunde genommen nichts anderes, als daß sie an die
Vorstellungen erinnert, welche die Seelen in früheren
Erdenleben aufgenommen haben. Die Geisteswissenschaft hebt
diese Vorstellungen in das Bewußtsein herauf. Damit gibt
sie den Menschen wieder die Möglichkeit, das zu beleben,
was wie ein toter Einschlag im Leben wäre.
Nun
beachten Sie diese zwei Dinge, die Sie im Laufe der heutigen
Betrachtung erhalten haben. Der Seher nimmt auf der einen Seite
Menschenseelen wahr, die durch die Pforte des Todes gegangen
sind, die sich zurücksehnen nach den Seelen, welche
zurückgeblieben sind, die sie nicht wahrnehmen
können, weil in diesen Seelen, trotzdem sie vielleicht
ganz guten Menschen angehören, nur materialistische
Weltbilder existieren. Für den Seher ist es
erschütternd, auch wenn er Gelassenheit erworben hat, wenn
er diese lechzenden Seelen wahrnimmt. Auf der ändern Seite
sieht der Seher hin auf eine Menschenzukunft, die immer mehr
tote Einschlüsse in sich enthält, wenn sie nicht
wieder belebt die Vorstellungen, die sie einstens aufgenommen
hat und die sie töten, wenn sie nicht zum Bewußtsein
kommen. Hinschauen müßte der Seher auf eine Zukunft,
wo die Menschen — noch viel früher, als es heute der
Fall ist, durch alles mögliche Vererbliche
Alterserscheinungen zeigen. Wie man schon jetzt kindliche
Alters-, ja Greisenerscheinungen sehen kann, so würden die
Menschen dann bald nach dem Geborenwerden Runzeln und sonstige
Alterserscheinungen bekommen, wenn nicht belebende Kräfte
durch die Geisterkenntnis auftreten würden, welche
Erinnerungen sind an die einstens auf naturgemäße
Weise aufgenommenen Vorstellungen. Um das ersterbende
Menschengeschlecht mit einem es belebenden Elixier zu versehen,
um den Toten die Möglichkeit zu geben, mit ihren
zurückgebliebenen Angehörigen in Verbindung kommen zu
können, deshalb sucht der Seher, der sich dieser Tatsache
bewußt wird, nach einer Sprache, die nicht nur verstanden
wird hier auf Erden von den im physischen Leibe
verkörperten Seelen, sondern die gemeinsam gesprochen wird
von den Seelen, die hier leben zwischen Geburt und Tod, und
denen, die drüben leben zwischen Tod und neuer Geburt:
nach einer Sprache für Lebende und Tote.
Und
wahrhaftig, es ist nicht, weil man bloße Sympathie
empfindet mit dem, was eine spirituelle Wissenschaft ist, solch
theoretische Sympathie wie mit anderen Dingen, das ist nicht
maßgebend, sondern der wirklich Verstehende, der in die
Welt hineinschaut, empfindet es als Weltenmission. Er sagt
sich: Die Notwendigkeit liegt vor, daß die gemeinsame
Sprache gefunden wird, daß das Lebenselixier gefunden
wird, das die Menschen behütet vor dem Verdorren ihrer
Vorstellungen. Dies ist die Mission der Geisteswissenschaft
für die spirituellen Welten selber. Man empfindet diese
Mission als eine hohe, heilige Pflicht, als etwas sehr Ernstes
und Bedeutsames. Und nicht nur Gefallen sollen wir finden an
den Vorstellungen, die uns diese Geisteswissenschaft zu unserer
theoretischen Befriedigung geben kann, sondern empfinden sollen
wir aus den Notwendigkeiten der Menschheitsund Weltentwickelung
heraus die geistige Macht, welche sie haben muß. Dann
werden wir im rechten Sinne des Wortes empfinden, warum
Geisteswissenschaft sein muß, warum sie dem Geistesleben
der Menschheit eingepflanzt werden muß. Diese Empfindung
müssen wir uns im Grunde genommen aneignen, von ihr
müssen wir uns durchdringen. Diese Empfindung hat eine
sehr heilsame Kraft; sie gehört zu denen, welche die
Menschenseele in eine wirkliche Harmonie ihrer Kräfte
bringt. Das ist so. Je mehr dasjenige, wovon wir in unserem
Gemüte uns durchdringen lassen, angehört der Welt der
übersinnlichen Wahrheiten, desto innerlich geschickter
werden die Empfindungen, um uns zu dirigieren im Leben, desto
wesensvoller werden diese Empfindungen. Derjenige Mensch, dem
die Geisteswissenschaft bloß gefällt, der sie aus
Neugierde oder irgendeinem ähnlichen Grunde aufnimmt, der
wird vielleicht von ihr einen recht schlechten Gebrauch machen
im Leben. Derjenige aber, der durchdrungen ist von der oben
charakterisierten Empfindung, jener heiligen Empfindung, die
uns wird, weil wir wissen, daß Geisteswissenschaft sein
muß aus inneren Notwendigkeiten heraus, der wird sich mit
rechten Empfindungen ihr gegenüber auch ins Leben
hineinstellen. Er wird sich in den ernstesten und schwierigsten
Lebenslagen mit der Geisteswissenschaft wenigstens innerlich
zurechtfinden können; vielleicht gerade dann
zurechtfinden, wenn äußerlich die größten
Schwierigkeiten eintreten. Denn Geisteswissenschaft ist eine
Zukunftssache, sie ist heute in die Welt eingetreten, weil sie
im umfassendsten Sinne, in umfassendster Weise der Menschheit
dienen soll. Das bewirkt aber, daß die Menschen, welche
gewissermaßen in den Tiefen ihrer Seelen Furcht haben vor
den geistigen Welten, in ihrem Bewußtsein diese Furcht als
Haß ausleben. Verwandt sind mancherlei menschliche
Gefühle miteinander, Ehrgeiz und Eitelkeit sind zum
Beispiel verwandt mit der Furcht. Und auf komplizierte Art sind
mancherlei Gefühle miteinander verwandt. Warum ist der
Mensch ehrgeizig, eitel? Was heißt ehrgeizig, eitel sein?
Ehrgeizig, eitel sein heißt: durch das Urteil seiner
Umgebung etwas gelten wollen und sich gefallen darin, durch
dieses Urteil etwas zu gelten, Wollust zu haben durch dieses
Urteil. Warum will man denn das? Man kann es aus verschiedenen
Gründen wollen. Heute aber ist die Zeit, wo sich die
Menschen, wenn man in die tieferen Seelentiefen hinunterschaut
bei ihnen, als ganz besondere Hasenfüße entpuppen.
Menschen, die in ihrem äußern Bewußtsein sich
manchmal ganz robust ausnehmen — in den Tiefen ihrer
Seele sind sie Hasenfüße. Und sie suchen mancherlei
Betäubungsmittel, wenn sie so rechte Furcht haben
gegenüber den übersinnlichen Welten. Das heißt,
weil mancher den Boden unter den Füßen zu verlieren
glaubt, wenn er in die geistigen Welten eindringt, deshalb
überkommt ihn Furcht. Aber diese Furcht will er
übertäuben — manchmal aus Angst vor der ernsten
und würdigen Kraft, die er anwenden muß, um
hineinzukommen in die geistigen Welten. Man hat schon manchen
gesehen, der geglaubt hat, in vier Wochen in der geistigen Welt
zu sein, aber da ergibt es sich, o schrecklichster der
Schrecken, daß man in dieser Inkarnation auf Grundlage der
Geisterkenntnis nicht mehr das werden kann, was man so gern
möchte, nämlich ein berühmter Mann! Da verliert
mancher die Freude, davor hat mancher Furcht, und über
diese Furcht will er sich hinwegbetäuben, und da ersinnt
er die von Haß und Eitelkeit durchdrungene Antipathie
gegen diese Geisteswissenschaft.
Diese Stimmung wird sich immer weiter verbreiten in der
Gegenwart, denn die innerlich feigen, äußerlich
eitlen Seelen werden heute immer verbreiteter in der Welt. Und
da kann es sich in der nächsten Zeit sehr wohl ergeben,
daß noch viel mehr Haß, noch viel mehr Angriffe gegen
die Geisteswissenschaft geschleudert werden, als dies schon
geschehen ist. Da ist denn genügend Grund vorhanden,
daß man in all diesen Dingen absolut klar sehe und klar
empfinde, daß man trotz der charakterisierten Empfindungen
Harmonie habe, gerade wenn es äußerlich oftmals
scheinen will, daß alles schiefgehen kann. Klar und
deutlich zu sehen, das wird notwendig sein, wenn man auf dem
Boden des Geisterkennens wird feststehen wollen. Denn in
unserer heutigen Zeit wissen oftmals diejenigen, die am
allerärgsten glauben, kritisch auftreten zu können,
gar nicht, wovon sie reden. Es gibt Leute, die, sagen wir,
Artikel zu schreiben anfangen über die
Geisteswissenschaft, fürchterlich schimpfen über die
Phantastik des Geistesforschers: was der alles ersinnen kann!
In der zweiten Hälfte des Artikels kommen dann allerhand
Angaben über den Autor, die alle erlogen sind, die nicht
wahr sind. Eine wüste Phantasie herrscht in diesen
Beschreibungen. Keiner, der in die übersinnlichen Welten
hinaufsteigt, könnte eine solche Phantastik ersinnen wie
derjenige, der im ersten Teile seines Artikels über die
phantastische Geisteswissenschaft hergezogen ist. So legen sich
die Dinge um in der menschlichen Seele. Diejenigen, die da
glauben, recht klar die Wahrheit sagen zu dürfen, und die
begabt sind mit einer gewissen unlauteren Phantasie über
die Tatsachen des physischen Planes, betäuben sich, indem
sie schimpfen über das, was übersinnlich erfaßt
werden muß. So sucht die Menschheit nicht nur im Alkohol,
sondern auch in allerlei anderen Mitteln Betäubung. In
mancherlei muß man klar sehen, und zum Klarsehen wird uns
die spirituelle Weltanschauung Anleitung geben. Die
allermannigfaltigsten Betäubungsmittel werden gesucht und
auch gefunden, und sie werden gefunden aus dem Grunde, weil
immer mehr und mehr recht dämonische Naturen in den
verborgenen Tiefen der Menschenseelen wirken. Diese
dämonischen Wesen werden schon nach und nach losgelassen
werden gerade gegen dasjenige, was die Menschheit von der
spirituellen Seite her befruchten soll.
Das
ist etwas, was ich gerade in dieser Zeit, meine lieben Freunde,
vor Ihre Seele als eine Art Zukunftsbild hinmalen möchte
aus dem Grunde, weil es gut ist, daß wir uns in unserer
Zeit erinnern, wie wir, wenn wir die Geisteswissenschaft und
ihre Mission wirklich erkennen, durch diese Erregung der
richtigen Empfindungen gegenüber dieser
Geisteswissenschaft und ihrer Mission, uns fest und sicher auf
den Boden stellen wollen, von dem aus wir in unserem Innern
ruhig der Entwickelung in die Zukunft hinein zuschauen
können, wenn wir auch vielleicht äußerlich immer
mehr und mehr in Disharmonie hereingebracht werden können,
immer mehr beunrechtet werden können.
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