DIE
LEBENDIGE WECHSELWIRKUNG ZWISCHEN LEBENDEN UND TOTEN
Bergen, 10. Oktober 1913
Erster Vortrag
In
der herzlichsten Weise erwidre ich den lieben Gruß, der
soeben von Ihrem Vertreter ausgesprochen worden ist. Und
überzeugt bin ich, daß diejenigen Freunde, die mit
mir hier in diese Stadt heraufgekommen sind, um mit unseren
Bergener Freunden anthroposophisches Leben zu pflegen, herzlich
einstimmen in diese Begrüßung. Es ist ja zweifellos
schön gewesen bei der Herfahrt über die uns so
freundlich und so großartig anmutenden Berge, und ich
glaube, daß unsere Freunde sich in der alten hanseatischen
Stadt wohl fühlen werden in den Tagen, in denen sie hier
sein können. Nicht nur hat uns das Menschenwunderwerk der
Bahn, mit welcher wir gefahren sind, in intimer Weise gerade in
dieser Gegend den Eindruck nahebringen können, den man in
anderen Gegenden Europas wenig hat, daß, unmittelbar
zusammengedrängt, uns entgegentrat menschliche energische
Schaffenskraft in der ursprünglichen Natur: wenn man
sieht, wie Steine, die notwendig gebrochen werden mußten,
um so etwas zustande zu bringen, wie es der menschliche Geist
heute zustande bringt, unmittelbar neben den anderen liegen,
die die Natur aufgetürmt hat, dann kommen Eindrücke,
die wahrhaftig den Besuch eines solchen Landes zu dem
Herrlichsten machen können, das man heute unternehmen
kann. In dieser alten Stadt werden die Freunde die Tage, an
denen wir hier sein dürfen, schön durchleben und sie
besonders in Erinnerung bewahren durch diesen erhabenen
Hintergrund des Aufenthaltes. Es werden Tage des Andenkens
sein. Insbesondere aber werden sie das sein aus dem Grunde,
weil wir uns durch den äußeren, physischen
Augenschein überzeugen durften, daß wir auch hier in
dieser Gegend anthroposophische Herzen finden können, die
mit uns zusammenschlagen in dem Erstreben der geistigen
Schätze der Menschheit. Gewiß werden sich die
Besucher dieser Stadt noch enger, noch lieber, noch teurer
verbunden glauben mit denen, die uns hier so lieb aufgenommen
haben.
Dasjenige, was ich, da wir ja gewissermaßen zum ersten
Male hier zusammen sind, besprechen möchte, wird eine Art
aphoristischen Charakter tragen. Ich möchte aus dem
Gebiete der geistigen Welt einiges von dem besprechen, was
leichter und besser mündlich gesagt werden kann, als es in
unserer Schrift aufgezeichnet werden kann. Leichter
mündlich gesagt werden kann es nicht nur aus dem Grunde,
weil es heute gegenüber den Vorurteilen der Welt nicht
bloß in vieler Beziehung noch schwierig ist, alles
sozusagen der Schrift anzuvertrauen, was man gerne
anthroposophischen hingebungsvollen Herzen anvertraut, sondern
auch schwierig aus dem Grunde, weil wirklich sich die geistigen
Wahrheiten besser mündlich sagen lassen, als daß sie
der Schrift und dem Druck anvertraut werden. Insbesondere
muß das gelten von den intimeren geistigen Wahrheiten. Man
hat immer ein etwas bitteres Gefühl, trotzdem in unserer
Zeit es ja sein muß, daß diese Dinge auch
aufgeschrieben und gedruckt werden; es ist immer mißlich,
die intimeren geistigen Wahrheiten, die sich auf die
höheren geistigen Welten selber beziehen, aufzuschreiben
und sie drucken zu lassen. Schon aus dem Grunde ist das
mißlich, weil ja die Schrift und der Druck zu den Dingen
gehören, welche die Wesen, von denen man da spricht, die
geistigen Wesen, nicht lesen können. Bücher
können in der geistigen Welt nicht gelesen werden.
Bücher können zwar von uns eine kurze Zeit nach
unserem Tode aus der Erinnerung heraus noch gelesen werden,
aber die Wesen der höheren Hierarchien können unsere
Bücher nicht lesen. Und wenn Sie fragen, ob sie sich denn
diese Kunst des Lesens nicht aneignen wollen, so muß ich
nach meiner Erfahrung gestehen, daß sie vorläufig
keine Lust dazu zeigen, weil sie das Lesen desjenigen, was auf
der Erde hervorgebracht wird, für sich selber nicht
nötig und nicht nützlich finden. Das Lesen der
geistigen Wesenheiten beginnt erst dann, wenn Menschen auf der
Erde in den Büchern lesen, das heißt: wenn das, was
in den Büchern steht, lebendiger Gedanke der Menschen
wird, dann lesen die Geister in den Gedanken der Menschen. Aber
dasjenige, was geschrieben oder gedruckt ist, das ist wie die
Finsternis für die Wesen der geistigen Welt; so daß
man gegenüber diesen geistigen Wesenheiten selber das
Gefühl hat, daß wenn man der Schrift oder dem Druck
etwas anvertraut, man Mitteilungen macht hinter dem Rücken
der geistigen Wesenheiten. Das ist ein reales Gefühl, das
ein Kulturbürger der Gegenwart vielleicht nicht ganz
teilen wird; aber jeder wahre Okkultist wird dieses Gefühl
des Widerstrebens gegen Schrift und Druck haben.
Wenn wir mit dem hellsichtigen Blick in die geistigen Welten
eindringen, dann erscheint es uns besonders in der Gegenwart
von ganz besonderer Wichtigkeit, daß immer mehr und mehr,
von der Gegenwart angefangen, in die nächste Zukunft
hinein das Wissen von der geistigen Welt Verbreitung und immer
mehr und mehr Verbreitung gewinnt, weil von dieser Verbreitung
der Geisteswissenschaft vieles abhängen wird in bezug auf
eine immer notwendiger und notwendiger werdende Änderung
des menschlichen Seelenlebens. Sehen Sie, wenn wir in alte
Zeiten zurückgehen mit unserem geistigen Blick, wenn wir
nur um Jahrhunderte zurückgehen, so finden wir mit dem
geistigen Blick etwas, was für den Nichtkenner recht
überraschend sein kann. Man findet nämlich, daß
der Verkehr zwischen Lebenden und Toten immer schwieriger und
schwieriger wird, daß noch vor einer
verhältnismäßig kurzen Zeit die lebendige
Wechselwirkung der Lebenden und der Toten eine viel regsamere
war. Wenn der Christ des Mittelalters oder auch der Christ noch
gar nicht lang verflossener Jahrhunderte mit seinem Gebet das
Gedenken an die ihm verwandten oder bekannten Verstorbenen
gerichtet hat, so waren in diesen verflossenen Jahrhunderten
die Gefühle, die Empfindungen eines solchen Betenden viel
kraftvoller, als sie heute sind, um zu den verstorbenen Seelen
hinaufzudringen. Viel leichter fühlte sich die verstorbene
Seele in der Vergangenheit durchdrungen von dem warmen Hauch
der Liebe derjenigen, die im Gebet zu ihr hinaufschauten oder
hinaufdachten, als das heute der Fall sein kann, wenn wir uns
nur der äußeren Zeitbildung hingeben. Und wiederum
sind heute die Toten viel abgeschnittener von den Lebenden, als
es noch vor einer verhältnismäßig kurzen Zeit
der Fall war. Die Toten haben es heute gewissermaßen viel
schwieriger, dasjenige zu erblicken, was in den Seelen der
Zurückgebliebenen lebendig vorgeht. Dieses liegt in der
Evolution der Menschheit. Aber in der Evolution der Menschheit
muß es auch liegen, diesen Zusammenhang, diesen lebendigen
Verkehr zwischen den Lebenden und den Toten wiederum zu finden.
Es war in früheren Zeiten der Menschenseele ein lebendiger
Zusammenhang mit den Toten noch auf natürliche Weise
eigen, wenn auch nicht mehr mit vollem Bewußtsein, weil ja
schon seit einer längeren Vergangenheit die Menschen nicht
mehr hellsichtig sind. In noch früherer Zeit konnten die
Lebenden auch noch hellsichtig aufblicken zu den Toten, das
Leben der Toten verfolgen. Wie früher es der Seele
natürlich war, eine lebendige Wechselwirkung zu haben mit
den Toten, so kann heute die Seele dadurch, daß sie sich
aneignet Gedanken und Ideen über die höheren,
geistigen Welten, wieder die Kraft finden, den Verkehr mit den
Toten, die lebendige Wechselwirkung herzustellen. Und unter den
praktischen Aufgaben des anthroposophischen Lebens wird auch
diese sein, daß wiederum die Brücke immer mehr und
mehr gebaut werde durch die Geisteswissenschaft zwischen den
Lebenden und den Toten.
Damit wir uns recht verstehen, möchte ich zuerst auf
einiges in der Wechselwirkung zwischen Lebenden und Toten
aufmerksam machen. Ich möchte von einer ganz einfachen
Erscheinung ausgehen und möchte geistesforscherisch an
diese Erscheinung anknüpfen. Seelen, welche manchmal ein
wenig mit sich zu Rate gehen, werden folgendes bei sich
beobachten können — ich glaube, daß es viele
Seelen gibt, die das bei sich beobachtet haben: Nehmen wir
einmal an, irgend jemand habe im Leben eine andere Person
gehaßt oder vielleicht nur sich sagen müssen,
daß ihr diese andere Person antipathisch war oder ist.
Wenn diese Person, die gehaßt wurde oder der
gegenüber jemand Antipathie empfunden hat, dann stirbt
— ich glaube, daß viele Seelen das von sich aus
wissen —, dann fühlt derjenige, der gehaßt hat
oder der Antipathie empfunden hat im Leben, wenn er von dem
Tode erfährt, daß er nicht mehr in derselben Weise
diese Persönlichkeit hassen kann oder nicht mehr die
Antipathie aufrechterhalten kann. Und wenn der Haß
fortdauert über das Grab hinaus, dann fühlen zartere
Seelen Schamgefühl über einen solchen Haß,
über eine solche Antipathie, die über das Grab hinaus
dauert. Diese Empfindung, die sich bei vielen Seelen findet,
kann nun hellsichtig verfolgt werden. Man kann während der
Forschung sich die Frage stellen: Warum tritt denn dieses
Schamgefühl der Seele ein gegenüber einem Haß
oder einer Antipathie, warum tritt es ein, wenn man auch gar
nicht einmal im Leben irgendeiner zweiten Person angedeutet
hat, daß man diesen Haß hat?
Wenn der Hellseher den Menschen, der durch die Pforte des Todes
gegangen ist, in die geistigen Welten hinauf verfolgt und da
einen Blick tut auf die Seele, die hier auf Erden
zurückgeblieben ist, so stellt sich heraus, daß im
allgemeinen die verstorbene Seele eine sehr deutliche
Wahrnehmung, eine sehr deutliche Empfindung von dem Haß in
der lebenden Seele hat; gleichsam, wenn ich mich eines Bildes
bedienen darf: der Tote sieht den Haß. Das kann der
Hellseher ganz genau konstatieren, daß der Tote einen
solchen Haß sieht. Aber wir können auch verfolgen,
was ein solcher Haß für den Toten bedeutet. Ein
solcher Haß bedeutet nämlich für den Toten ein
Hindernis für die guten Absichten in seiner geistigen
Entwickelung, ein Hindernis, das etwa verglichen werden kann
mit Hindernissen, die wir für die Erreichung eines
äußeren Zieles auf Erden haben finden können.
Dies ist der Tatbestand in der geistigen Welt, daß der
Tote den Haß als Hindernis seiner guten und besten
Absichten vorfindet. Und jetzt begreifen wir, warum in der
Seele, die ein wenig mit sich selbst zu Rate geht, sogar der im
Leben berechtigte Haß erstirbt: weil sie Scham empfindet,
wenn der gehaßte Mensch gestorben ist. Wenn der Mensch
kein Hellseher ist, so weiß er zwar nicht, was da
vorliegt, aber das ist wie durch ein natürliches
Gefühl in die Seele gepflanzt, daß er sich beobachtet
fühlt; er fühlt: der Tote schaut meinen Haß, ja,
dieser Haß ist für ihn sogar ein Hindernis in seinen
guten Absichten. — Viele tiefe Gefühle sind in der
Menschenseele, die sich erklären, wenn man in die
Geisteswelten hinaufsteigt und die geistigen Tatsachen ins Auge
faßt, welche diesen Gefühlen zugrunde liegen. Wie man
für manche Dinge auf der Erde äußerlich physisch
nicht beobachtet sein will, beziehungsweise wie man diese Dinge
nicht tut, wenn man sich beobachtet weiß, so haßt man
nicht über den Tod hinaus, wenn man die Empfindung hat:
man wird von dem Toten beobachtet. Die Liebe aber oder auch nur
die Sympathie, die wir dem Toten entgegenbringen, die ist dem
Toten tatsächlich eine Erleichterung auf seinem Wege, die
schafft ihm Hindernisse hinweg. Das was ich jetzt sage,
daß Haß Hindernisse schafft im Jenseits und Liebe sie
beseitigt, das ist nicht eine Durchbrechung des Karma, wie ja
auch hier auf der Erde viele Dinge geschehen, die wir nicht
unmittelbar einzurechnen haben in das Karma. Wenn wir unseren
Fuß an einen Stein stoßen, so müssen wir das
nicht immer in das Karma einrechnen, wenigstens nicht in das
moralische Karma. Ebenso widerspricht es nicht dem Karma, wenn
der Tote sich erleichtert fühlt durch die Liebe, die ihm
zuströmt von der Erde, und wenn er Hindernisse findet
für seine guten Absichten.
Etwas anderes, was, man möchte sagen, schon energischer zu
den Seelen sprechen wird in bezug auf den Verkehr zwischen
Toten und Lebenden, das ist, daß die toten Seelen auch in
einer gewissen Weise Nahrung brauchen, allerdings nicht
Nahrung, wie sie die Menschen brauchen auf der Erde, sondern
geistig-seelische Nahrung. Wie es einer Tatsache entspricht,
daß wir Menschen auf der Erde — ich darf diesen
Vergleich gebrauchen — unsere Saatfelder haben
müssen, auf denen die Früchte gedeihen, von denen wir
auf Erden physisch leben, so müssen die Seelen der Toten
Saatfelder haben, auf denen sie gewisse Früchte ernten
können, die sie brauchen in der Zeit zwischen dem Tode und
einer neuen Geburt. Wenn der hellsichtige Blick die toten
Seelen verfolgt, so sieht er, wie die schlafenden
Menschenseelen das Saatfeld sind für die Toten, für
die Dahingegangenen. Es ist gewiß nicht nur
überraschend, sondern für den, der das zum ersten
Male sieht in der geistigen Welt, sogar im höchsten Grade
erschütternd, zu sehen, wie die Menschenseelen, die
zwischen dem Tode und einer neuen Geburt leben, gleichsam
hineilen zu den schlafenden Menschenseelen und nach den
Gedanken und Ideen suchen, welche in den schlafenden
Menschenseelen sind: denn von diesen nähren sie sich, und
sie brauchen diese Nahrung. Wenn wir nämlich des Abends
einschlafen, können wir schon sagen: da beginnen die
Ideen, die Gedanken, die während unseres Wachzustandes
durch unser Bewußtsein gegangen sind, zu leben, werden
gleichsam lebendige Wesen. Und die toten Seelen kommen herbei
und nehmen Anteil an diesen Ideen. In dem Anblick dieser Ideen
fühlen sie sich genährt. Oh, es hat etwas
Erschütterndes, wenn man den hellsichtigen Blick richtet
auf hingestorbene Menschen, die allnächtlich zu den
schlafenden Zurückgebliebenen kommen wir müssen da
sowohl die Freunde als auch besonders die Blutsverwandten in
Betracht ziehen — und wollen sich gleichsam laben,
nähren an den Gedanken und Ideen, die diese mit in den
Schlaf genommen haben — und finden nichts, was für
sie nahrhaft ist. Denn es ist ein großer Unterschied
zwischen Ideen und Ideen in bezug auf unsern Schlafzustand.
Wenn wir den ganzen Tag über uns nur beschäftigen mit
den materiellen Ideen des Lebens, wenn wir die Blicke nur
richten auf dasjenige, was in der physischen Welt vor sich geht
und dort verrichtet werden kann, und wenn wir nicht einmal vor
dem Einschlafen einen Gedanken haben an die geistigen Welten,
sondern im Gegenteil in vieler Beziehung anders als durch
Gedanken uns in die geistigen Welten hinüberbringen, so
bieten wir keine Nahrung für die Toten. — Ich kenne
Gegenden in Europa, wo die jungen Leute an den Hochschulen so
erzogen werden, daß sie sich in Schlaf bringen, indem sie
sich die sogenannte Bettschwere mit dem nötigen Quantum
Bier antrinken. Das ist ein Hinüberbringen von Ideen, die
nicht leben können drüben. Und wenn dann die toten
Seelen herankommen, dann finden sie ein leeres Feld, dann geht
es diesen toten Seelen so, wie es uns geht für unsern
physischen Leib, wenn durch Unfruchtbarkeit auf unsern Feldern
Hungersnot ausbricht. Namentlich in unserer Zeit kann viel
Seelenhungersnot beobachtet werden in den geistigen Welten,
denn das materialistische Fühlen und Empfinden hat viel
Verbreitung schon gefunden. Und es gibt ja heute schon
zahlreiche Menschen, die es als kindisch empfinden, sich mit
Gedanken an die geistige Welt zu befassen. Sie entziehen
dadurch Menschen, die von ihnen Nahrung bekommen sollen nach
dem Tode, diese Nahrung, diese Seelennahrung.
Damit man dieses Faktum richtig versteht, muß erwähnt
werden, daß man sich nach dem Tode nähren kann von
den Ideen und Gedanken nur derjenigen Seelen, mit denen man
irgendwie im Leben im Zusammenhang war. Von denjenigen, mit
denen man gar keinen Zusammenhang hatte, kann man sich nach dem
Tode nicht nähren. Wenn wir in unserer heutigen Zeit, um
wiederum spirituell Lebendiges in den Seelen zu haben, von dem
sich die Toten nähren können, Geisteswissenschaft
verbreiten, dann arbeiten wir wirklich nicht bloß für
die Lebenden, nicht bloß darum, daß die Lebenden eine
theoretische Befriedigung haben, sondern wir versuchen unsere
Herzen und Seelen anzufüllen mit Gedanken der geistigen
Welt, weil wir wissen, daß die Toten, die mit uns auf der
Erde verbunden waren, nach dem Tode von diesen Ideen und diesen
Empfindungen für das spirituelle Leben sich nähren
müssen. Wir fühlen uns heute nicht nur als Arbeiter
für die sogenannten lebenden Menschen, sondern zugleich
auch als Arbeiter so, daß die geisteswissenschaftliche
Arbeit, die Verbreitung des anthroposophischen Lebens auch den
geistigen Welten dient. Wir schaffen, indem wir zu den Lebenden
sprechen für deren Tagesleben, durch die spirituelle
Seelenbefriedigung für das Nachtleben solche Ideen, die
fruchtbare Nahrung für die Seelen sind, die früher
hinzusterben als wir das Karma haben. Und deshalb ist der Drang
vorhanden, nicht nur auf dem gewöhnlichen Wege
äußerer Mitteilung die Geisteswissenschaft oder
Anthroposophie zu verbreiten, sondern das liegt, man
möchte sagen, insgeheim auf dem Grunde unserer Sehnsucht,
diese Geisteswissenschaft oder Anthroposophie in
Gesellschaften, in Zweigen zu verbreiten, weil es einen Wert
hat, daß persönlich physisch in Gemeinsamkeit, in
Gesellschaft diejenigen Menschen zusammen sind, die
Geisteswissenschaft treiben. Denn ich habe ja gesagt, daß
man als Toter nur Nahrung schöpfen kann von den Seelen,
mit denen man zusammen war im Leben. Wir suchen die Seelen
zusammenzubringen, um das Saatfeld für die Toten immer
größer und größer zu machen. Gar mancher
Mensch, der heute, wenn er dahingestorben ist, kein Saatfeld
findet, weil seine Familie nur aus Materialisten besteht,
findet es bei jenen Seelen der Anthroposophen, weil er mit
Geisteswissenschaft zusammengebracht worden ist. Das ist der
tiefere Grund, warum wir gesellschaftsmäßig arbeiten,
warum wir eine gewisse Sorge haben, daß derjenige, der
dahinstirbt, bevor er hinstirbt, kennenlernen kann Menschen,
die sich noch auf Erden mit spirituellen Dingen
beschäftigen; denn daraus kann er Nahrung schöpfen,
wenn diese Menschen im schlafenden Zustand sind.
In
alten Zeiten der Menschheitsentwickelung, wo noch ein gewisses
religiöses, spirituelles Leben die Seelen durchzog, waren
es die religiösen Gemeinschaften und besonders die
Blutsverwandten, bei denen die Zuflucht nach dem Tode gesucht
worden ist. Aber die Kraft der Blutsverwandtschaft hat
abgenommen, und ersetzt werden muß diese immer mehr und
mehr durch die Pflege des spirituellen Lebens, wie wir es
versuchen. So sehen wir, daß uns die Anthroposophie
versprechen kann, daß ein neues Band, eine neue
Brücke geschaffen werde zwischen den Lebenden und den
Toten, daß wir gewissermaßen für die Toten durch
die Anthroposophie etwas sein können. Und wenn wir heute
schon mit dem hellsichtigen Blick zuweilen Menschen finden in
dem Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt, die das
Unglück erleben, daß diejenigen, die sie gekannt
haben, auch die Nächststehenden, nur materialistische
Gedanken haben, dann erkennen wir die Notwendigkeit des
Durchsetzens der Erdenkultur mit geistigen, spirituellen
Gedanken. Wenn man so kennenlernt zum Beispiel einen Menschen,
der vor einiger Zeit gestorben ist, wenn man ihn findet in der
geistigen Welt, und man hat ihn gekannt, als er hier auf Erden
lebte, und er hat gewisse Glieder seiner Familie
zurückgelassen, die man auch kannte, seine Frau, Kinder
— im äußern Sinne gute Menschen, die einander
wirklich liebten —, und dann findet man jetzt mit dem
hellsichtigen Blick den Vater, der dahingestorben ist, dem die
Gattin vielleicht wie eine Art Lebenssonne war, wenn er im
Leben nach Hause kam von der schweren Arbeit, dann findet man,
daß er, weil diese Gattin keine spirituellen Gedanken im
Kopf und im Herzen haben kann, nicht in die Seele dieser Gattin
hineinschauen kann, und daß er fragt, wenn er dazu in der
Lage ist: Ja, wo ist denn meine Gattin? — Er sieht nur
zurück in die Zeit, in der er auf Erden mit ihr vereint
war. Da wo er sie aber am meisten sucht, weiß er sie nicht
zu finden. Das kann auch passieren. Es gibt ja heute schon
viele Menschen, welche gewissermaßen glauben, daß der
Tote eben in eine Art von Nichts eingegangen sei, die nur mit
ganz materialistischem Denken, nicht mit einem
fruchtbaren Gedanken an den Toten denken können. Bei
diesem Hinschauen auf die Gebiete des Lebens zwischen dem Tode
und einer neuen Geburt, auf jemanden, von dem man weiß: er
ist noch unten auf der Erde, er hat einen lieb gehabt, aber er
verbindet damit nicht den Glauben an die Fortdauer der Seele
nach dem Tode, da kann allerdings, gerade in dem Augenblicke
nach dem Tode, wo man die meiste Aufmerksamkeit darauf richtet
— durch dieses Hinschauen-Wollen auf den Lebenden, den
man geliebt hat —, aller Blick ersterben. Und man kann
nicht finden den noch Lebenden, kann mit ihm in keinen
Zusammenhang kommen, von dem man aber weiß, daß er
dasein könnte, wenn in der Seele des Lebenden da unten
spirituelle Gedanken wären. Das ist ein häufiges,
schmerzliches Erlebnis für die Toten. Und so kann es
vorkommen — von dem hellsichtigen Blick kann das
beobachtet werden, wie mancher dahinstirbt und Hindernisse
findet in den besten Absichten durch die Haßgedanken, die
ihn verfolgen, und keinen Trost findet in den Liebegedanken
derjenigen, die ihn auf Erden geliebt haben, da er sie nicht
wahrnehmen kann wegen ihres Materialismus.
Diese Gesetze der geistigen Welt, die man auf diese Weise mit
dem hellsichtigen Blick beobachtet, sind tatsächlich
unbedingt gültig. Sie sind so unbedingt gültig, wie
ein Fall lehrt, der öfters zu beobachten gelungen ist. Es
war lehrreich, zu beobachten, wie Haßgedanken oder
wenigstens Antipathiegedanken wirken, selbst da, wo sie nicht
mit vollem Bewußtsein gehegt werden! Schullehrer kann man
beobachten, die gewöhnlich streng genannt werden, die sich
nicht die Liebe ihrer noch jungen Schüler zuziehen konnten
— da sind es gleichsam unschuldige Antipathieund
Haßgedanken. Wenn ein solcher Lehrer stirbt, so sieht man,
wie er auch in diesen Gedanken, die ja bleiben, Hindernisse hat
für seine guten Absichten in der geistigen Welt. Das Kind,
der junge Mensch, gibt sich oftmals nicht die Rechenschaft,
wenn der Lehrer gestorben ist, daß er nicht mehr hassen
soll, sondern er behält das auf naturgemäße
Weise bei in dem bleibenden Gefühl, wie der Lehrer ihn
gequält hat. Durch solche Einblicke erfährt man viel
über die Wechselbeziehung zwischen Lebenden und Toten.
Und
nichts anderes versuchte ich eigentlich auseinanderzusetzen, um
etwas erwähnen zu dürfen vor Ihnen, was wirklich wie
ein gutes Ergebnis geisteswissenschaftlichen Strebens sich
entwickeln kann. Ich meine das sogenannte Vorlesen den Toten.
Man kann nämlich in der Tat, wie es sich gezeigt hat
gerade innerhalb unserer anthroposophischen Bewegung,
außerordentliche Dienste leisten den vor uns
hingestorbenen Menschenseelen, wenn wir ihnen von spirituellen
Dingen vorlesen. Das kann so gemacht werden, daß man die
Gedanken an den Verstorbenen richtet und, um eine Erleichterung
zu haben, versucht, ihn zu denken, wie man sich seiner
erinnert: vor einem stehend oder sitzend. Man kann das mit
mehreren zugleich machen. Man liest dann nicht laut vor,
sondern verfolgt mit Aufmerksamkeit die Gedanken, immer mit dem
Gedanken an den Toten: der Tote steht vor mir. Das ist Vorlesen
den Toten. Man braucht kein Buch zu haben, aber man darf nicht
in abstrakter Weise denken, sondern muß tatsächlich
jeden Gedanken durchdenken: so liest man vor den Toten. Man
kann es sogar so weit bringen, obzwar das schwieriger ist,
daß, wenn man innerhalb einer gemeinsamen Weltanschauung,
oder über irgendein Gebiet des Lebens überhaupt,
einen gemeinsamen Gedanken mit dem Toten gehabt hat und eine
persönliche Beziehung zu ihm hatte, man auch einem
Fernerstehenden vorlesen kann. Das geschieht so, daß er
durch den warmen Gedanken, den man an ihn richtet, nach und
nach auf einen aufmerksam wird. So kann es sogar nützlich
werden, wenn man Fernerstehenden nach ihrem Tode vorliest.
Dieses Vorlesen kann zu jeder Zeit geschehen. Ich bin schon
gefragt worden, zu welcher Stunde man das am besten tut. Das
ist ganz unabhängig von der Stunde. Man muß nur die
Gedanken wirklich durchdenken. Oberfläche genügt
nicht. Wort für Wort muß man die Sachen durchgehen,
wie wenn man es innerlich aufsagen würde. Dann lesen die
Toten mit. Und es ist auch nicht richtig, wenn man glaubt,
daß solches Vorlesen nur denjenigen nützlich sein
kann, welche der Geisteswissenschaft im Leben nahegetreten
sind. Das braucht durchaus nicht der Fall zu sein.
Einer unserer Freunde wurde vor einiger Zeit, vielleicht nicht
einmal vor einem Jahre, zugleich mit seiner Frau, jede Nacht
beunruhigt. Sie fühlten eine Beunruhigung. Und da vor
kurzer Zeit der Vater des Betreffenden gestorben war, so hatte
unser Freund sogleich die Meinung, daß der Vater etwas
wolle, sich als Seele bei ihm melde. Und als unser Freund mit
mir zu Rate gegangen war, da stellte es sich heraus, daß
der Vater, der im Leben von Geisteswissenschaft nichts wissen
wollte, nach dem Tode das lebendigste Bedürfnis hatte, von
Geisteswissenschaft etwas zu erfahren. Und als dann der Sohn
mit seiner Frau zusammen den Zyklus über das
Johannes-Evangelium, den ich einmal in Kassel gehalten habe,
dem Vater vorlas, war diese Seele in hohem Grade befriedigt,
fühlte sich über manche Disharmonien, die sie vorher
kurz nach dem Tode empfunden hatte, herausgehoben. Das ist in
diesem Falle deshalb bemerkenswert, weil die betreffende Seele
diejenige eines Predigers war, der seinen religiösen
Standpunkt immer und immer vor den Menschen vertreten hat, nach
dem Tode aber nur befriedigt sein konnte durch das
Mitlesenkönnen einer geisteswissenschaftlichen
Auseinandersetzung über das Johannes-Evangelium. So sehen
wir, daß durchaus nicht notwendigerweise derjenige, dem
wir helfen wollen, dem wir dienen wollen nach dem Tode, im
Leben Anthroposoph gewesen zu sein braucht, obwohl wir
natürlich diesem ganz besonders dienen werden, wenn wir
ihm vorlesen.
Aber wir lernen auch, wenn wir eine solche Tatsache betrachten,
über die Seele des Menschen überhaupt etwas anders
denken, als man das gewöhnlich tut. Die Menschenseelen
sind nämlich viel komplizierter, als man gewöhnlich
denkt. Was sich bewußt abspielt, das ist wirklich
eigentlich nur ein kleiner Teil des menschlichen Seelenlebens.
Vieles spielt sich ab in den unterbewußten Tiefen der
Seele, von dem der Mensch höchstens etwas ahnt, aber in
dem hellen Tagesbewußtsein kaum etwas weiß. Und das
Entgegengesetzte kann sich oftmals abspielen im
unterbewußten Leben, das Entgegengesetzte von dem, was der
Mensch glaubt oder denkt im Oberbewußtsein. Ein sehr
häufiger Fall ist der, daß ein Mitglied einer Familie
zur Geisteswissenschaft herankommt. Ein Bruder oder ein Mann
oder eine Frau, mit dem die Betreffenden verbunden sind, die
werden immer antipathischer und antipathischer gesinnt gegen
die Geisteswissenschaft, oftmals zornig und immer zorniger,
wütig und immer wütiger, weil der Gatte oder der
Bruder oder die Gattin zur Geisteswissenschaft gekommen sind.
Es entwickelt sich dann oft viel Antipathie gegen die
Geisteswissenschaft in einer solchen Familie, so daß es
manche Menschen aus diesem Grunde schwierig haben, weil gute
Freunde oder Verwandte oftmals sehr zornig und wütig
werden. Wenn man solche Seelen untersucht, so hat man oftmals
die Erkenntnis, daß in den unterbewußten Tiefen einer
solchen Seele die tiefste Sehnsucht nach der
Geisteswissenschaft sich entwickelt. Manchmal ist solch eine
Seele sehnsüchtiger nach der Geisteswissenschaft als
derjenige, der mit seinem Oberbewußtsein ein eifriger
Besucher der geisteswissenschaftlichen Versammlungen ist. Aber
der Tod hebt ja die Decke von dem Unterbewußtsein weg, der
Tod gleicht solche Dinge in merkwürdiger Weise aus. Im
Leben kommt es häufig vor, daß sich jemand
betäubt gegen dasjenige, was im Unterbewußtsein ist,
und die Menschen sind wirklich da, die eigentlich Sehnsucht,
tiefste Sehnsucht hätten nach der Geisteswissenschaft,
aber sie betäuben sich. Indem sie gegen die
Geisteswissenschaft toben, betäuben sie ihre Sehnsucht und
täuschen sich über sie hinweg. Da tritt aber nach dem
Tode die Sehnsucht um so gewaltiger hervor. Und gerade oftmals
bei solchen, die im Leben gegen die Geisteswissenschaft
gewütet haben, stellt sich nach dem Tode die heftigste
Sehnsucht nach ihr ein. Daher versäumen Sie es nicht,
gerade gegenüber solchen Toten, die im Leben die
Geisteswissenschaft bekämpft haben, das Vorlesen
vorzunehmen! Sie werden ihnen damit vielleicht dann oftmals
gerade den allergrößten Dienst tun.
Eine Frage, die im Zusammenhang mit alledem sehr häufig
sich ergibt, ist diese: Ja, wie kann man wissen, ob der Tote
wirklich zuhören kann? Nun, ohne den hellsichtigen Blick
ist es schwierig, das zu wissen, obwohl man sich
allmählich, wenn man sich mit dem Andenken an die Toten
beschäftigt, von einem Gefühl wird überrascht
finden: der Tote hört zu. Man wird dieses Gefühl nur
dann nicht haben, wenn man unaufmerksam ist und auf jene
eigentümliche Wärme nicht achtet, die sich oft beim
Vorlesen verbreitet. Man kann sich wirklich ein solches
Gefühl aneignen. Kann man das aber nicht tun, meine lieben
Freunde, so muß gesagt werden, daß in dem Verhalten
zur geistigen Welt ja auch in diesem Falle eine Regel zur
Anwendung kommen muß, die oftmals berücksichtigt
werden muß. Das ist die Regel: Ja, wenn wir vorlesen dem
Toten, so nützen wir ihm unter allen Umständen, wenn
er uns hört! Hört er uns nicht, so erfüllen wir
erstens unsere Pflicht, bringen es vielleicht dazu, daß er
uns doch hört, sonst aber gewinnen wir wenigstens etwas,
erfüllen uns mit Gedanken und Ideen, die ja ganz
gewiß Nahrung sein werden für die Toten in der zuerst
angedeuteten Weise. Also verloren ist unter allen
Umständen nichts. Aber die Praxis hat gezeigt, daß
tatsächlich dieses Vernehmen dessen, was vorgelesen wird,
von Seiten der Toten etwas außerordentlich Verbreitetes
ist, daß ein ungeheurer Dienst geleistet werden kann
denjenigen, denen wir in dieser Weise das, was heute an
geistiger Weisheit herangezogen werden kann, vorlesen.
So
dürfen wir hoffen, daß die Scheidewand zwischen
Lebenden und Toten immer geringer und geringer wird, indem sich
die Geisteswissenschaft über die Welt hin verbreitet. Und
wahrhaftig, es wird ein schöner, ein herrlicher Erfolg der
Geisteswissenschaft sein, so paradox das klingen mag, wenn in
der Zukunft die Menschen wissen werden — aber praktisch
wissen werden, nicht nur theoretisch: es ist eigentlich nur
eine Verwandlung des Erlebens, wenn man durch den sogenannten
Tod gegangen ist, und man ist beisammen auch mit den Toten; man
kann sie sogar teilnehmen lassen an demjenigen, woran man
selber teilnimmt im physischen Leben. Man macht sich eine
falsche Vorstellung von dem Leben zwischen Tod und einer neuen
Geburt, wenn man etwa die Frage stellen würde: Ja, wozu
braucht man den Toten vorzulesen? Wissen sie das denn nicht aus
eigener Anschauung, was der Mensch hier auf der Erde vorlesen
kann, wissen sie das nicht viel besser? Dieses fragt allerdings
nur derjenige, der da nicht in der Lage ist zu beurteilen, was
man eben in der geistigen Welt erfahren kann. Sehen Sie, man
kann ja auch in der physischen Welt sein, ohne das Wissen der
physischen Welt zu erfahren. Wenn man nicht in der Lage ist,
dies oder jenes zu beurteilen, so erfährt man eben das
Wissen von der physischen Welt nicht. Die Tiere leben ja mit
uns auch zusammen in der physischen Welt und wissen doch nicht
das von ihr, was wir Menschen wissen. Daß ein Toter in der
geistigen Welt lebt, das macht noch nicht, daß er auch von
dieser geistigen Welt etwas weiß, obzwar er sie anschauen
kann. Dasjenige, was in der Geisteswissenschaft erworben wird,
das wird nur auf der Erde als Wissen erworben, es kann nur auf
der Erde erworben werden, es kann nicht in der geistigen Welt
erworben werden. Es muß daher, wenn es eben von Wesen in
der geistigen Welt gewußt werden soll, durch diejenigen
Wesen erfahren werden, die es selbst auf der Erde erfahren. Das
ist ein bedeutsames Geheimnis der geistigen Welten, daß
man in diesen sein kann, sie anschauen kann, daß aber
dasjenige, was als Wissen über die geistigen Welten
notwendig ist, auf der Erde erworben werden muß.
Ja,
meine lieben Freunde, etwas muß ich Ihnen da sagen in
bezug auf die geistigen Welten, was in mancher Beziehung
weiterklingen wird und ausgeführt werden wird in unserer
morgigen Betrachtung, von dem man sich gewöhnlich nicht
eine rechte Vorstellung macht. Wenn der Mensch in der Zeit
zwischen Tod und einer neuen Geburt in der geistigen Welt lebt,
so richtet er auf unsere physische Welt sein Sehnen
ungefähr so hin, wie hier in einer gewissen Weise der
physische Mensch sein Sehnen richtet nach der geistigen Welt.
Und was der Mensch zwischen Tod und einer neuen Geburt von den
Menschen auf der Erde erwarten muß, das ist, daß
diese Menschen ihm von der Erde aus zeigen und
auferglänzen lassen dasjenige, was nur auf der Erde
erworben werden kann. Die Erde ist wahrhaftig im spirituellen
Weltendasein nicht umsonst gegründet worden. Sie ist in
das Leben gerufen worden, damit dasjenige entstehen kann, was
nur auf der Erde möglich ist. Wissen von der geistigen
Welt, das über das Anschauen, das Anstarren der geistigen
Welten hinausgeht, ist nur auf der Erde möglich. Und wenn
ich früher gesagt habe, daß die geistigen Wesenheiten
der geistigen Welten unsere Bücher nicht lesen
können, so muß ich jetzt sagen: Dasjenige, was in uns
als Geisterkenntnis lebt, das ist für die geistigen
Wesenheiten und auch für unsere eigenen Seelen nach dem
Tode, was für den physischen Menschen die Bücher hier
auf unserer Erde sind, was für den physischen Menschen
dasjenige ist, wodurch er etwas über die Welt
erfährt. Nur sind diese Bücher, die wir selber sind
für die Toten, eben lebendig. Fühlen Sie dieses
gewichtige Wort, daß wir den Toten gewissermaßen die
Lektüre geben müssen! Unsere Bücher sind ja in
einer Beziehung geduldiger, unsere Bücher bringen es nicht
zustande, daß sie zum Beispiel ihre Buchstaben
verschlucken in das Papier hinein, während wir sie lesen.
Wir Menschen entziehen den Toten dadurch oftmals die
Lektüre, daß wir uns nur mit dem, was wirklich
unsichtbar ist in den geistigen Welten, daß wir uns nur
mit materiellen Gedanken anfüllen. Das muß ich sagen,
weil die Frage oftmals auftaucht, ob denn die Toten nicht
selber wissen könnten, was wir ihnen geben können.
Das können sie nicht, weil Geisteswissenschaft nur auf der
Erde gegründet werden kann und von dort aus hinaufgetragen
werden muß in die geistigen Welten.
Und
wenn wir nun die geistigen Welten selber betreten und ein wenig
dieses Leben in den geistigen Welten erfahren, dann treten uns
da ganz andere Verhältnisse entgegen als hier im
physischen Leben der Erde. Deshalb ist es auch so
außerordentlich schwierig, in Menschenworten und
Menschengedanken hereinzuholen diese Verhältnisse der
geistigen Welten. Und es klingt manchmal so paradox, wenn man
versucht, sich konkret auszusprechen über die
Verhältnisse in den geistigen Welten. Sehen Sie, da
wüßte ich Ihnen von einem Wesen zu erzählen, um
nur eines herauszugreifen, von einer gestorbenen Menschenseele,
mit der zusammen es mir gelungen ist, einiges zu erforschen in
der geistigen Welt, weil sie besondere Kunde von ihm hatte,
über den Maler Lionardo da Vinci, namentlich
über dasjenige, wie das berühmte Bild in Mailand
ausgesehen hat. Wenn man mit einer solchen Seele
gemeinschaftlich eine geistige Tatsache durchsucht, da kann
einen eine solche Seele auf manches hinweisen, was man sonst
vielleicht durch den bloßen hellsichtigen Blick nicht
finden würde in der Akasha-Chronik. Die Menschenseele
aber, die in der geistigen Welt ist, kann darauf hinweisen. Sie
wird einen aber nur dann hinweisen können, wenn man
Verständnis hat für dasjenige, worauf sie einen
hinweisen will. Da stellt sich etwas Eigentümliches
heraus. Nehmen wir an, man erforscht mit einer solchen Seele
die Art, wie geschaffen hat Lionardo da Vinci sein
berühmtes Abendmahl in Mailand. Von dem, was heute dieses
Bild ist, bekommt man kaum viel mehr zu sehen als einige
Farbenflecken. Aber man kann den malenden Lionardo in der
Akasha-Chronik beobachten, kann beobachten, wie dieses Bild
war, obwohl das nicht leicht ist. Wenn man es so macht,
daß man mit einer Seele, die nicht verkörpert ist,
aber einen Zusammenhang hat mit Lionardo da Vinci und seiner
Malerei, forscht, so sieht man, daß diese Seele einem dies
oder jenes zeigt. Sie konnte zum Beispiel verständlich
machen, wie eigentlich das Christusgesicht und das Judasgesicht
waren auf diesem Bilde. Aber man merkt, die Seele könnte
einem das nicht zeigen, wenn nicht in dem Augenblicke, wo sie
es zeigt, Verständnis einziehen würde in die Seele
des lebenden Forschers. Dieses Verständnis braucht die
Seele. Und die tote Seele lernt selber erst verstehen, was sie
sonst nur anschaut, in dem Augenblick, wo die lebende
Menschenseele sich belehren läßt. Daher sagt einem,
der Ausdruck ist ja symbolisch, eine solche Seele, nachdem man
etwas mit ihr zusammen erfahren hat, was man nur so erfahren
kann: Du hast mich hierher gebracht zu dem Bilde — das
sagt die Seele zum Lebenden dadurch, daß der Lebende das
Bedürfnis hatte, das Bild zu erforschen — und nun
fühle ich den Drang, mit dir zusammen das Bild zu
erschauen. — So sagt die tote Seele, und dann wird
mancherlei durchgemacht. Aber es kommt ein Moment, wo die tote
Seele entweder plötzlich nicht mehr da ist oder sagt,
jetzt müsse sie fort. In diesem Falle, den ich eben
erzähle, sagte die tote Seele zum Beispiel: Während
Lionardo da Vincis Seele bis jetzt wohlgefällig hierher
gesehen hat, will sie jetzt nicht mehr, daß
weitergeforscht werde.
Ich
will damit etwas sehr Wichtiges aus dem geistigen Leben
schildern. Wie man nämlich im physischen Leben immer
weiß, was man ansieht, wie man immer weiß: man sieht
das oder jenes, man sieht die Rose, man sieht den Tisch —
so weiß man im geistigen Leben immer: dies oder jenes
Wesen sieht einen an. Man geht durch die geistigen Welten und
hat immer das Gefühl: jetzt schauen dich diese Wesen an.
Während man in der physischen Welt das Bewußtsein
hat, man geht durch die Welt wahrnehmend, hat man in der
geistigen Welt das Erlebnis: du wirst jetzt von diesem, dann
von jenem gesehen. Man fühlt sich fortwährend Blicken
ausgesetzt, die einen zugleich aber zum Entschluß bringen,
irgend etwas zu tun. Indem man weiß: man wird jetzt
wohlgefällig angesehen oder nicht, damit man etwas tun
solle oder nicht, so tut man es oder tut es nicht. Wie man nach
einer Blume greift, die einem gefällt, weil man sie
gesehen hat, so tut man in der geistigen Welt etwas, weil es
irgendein Wesen gerne sieht, wohlgefällig sieht, oder man
unterläßt es, weil man nicht aushaken kann den Blick,
der hingewendet wird auf diese Tat. Das ist etwas, was man sich
durchaus aneignen muß. Man hat dort das Gefühl,
daß man selber gesehen wird, wie man hier das Gefühl
hat, daß man sieht. Es ist in einer gewissen Weise dort
passiv, was hier aktiv ist, wie dort wiederum aktiv ist, was
hier passiv ist. — Daraus sehen Sie, daß man sich
gewissermaßen ganz andere Begriffe aneignen muß, wenn
man in der richtigen Weise Schilderungen aus der geistigen Welt
auffassen will. Und Sie werden daher begreifen, wie schwierig
es ist, in gewöhnliche Menschenworte zu prägen
dasjenige, was man so gerne als Schilderungen der geistigen
Welten geben möchte. So werden Sie begreifen, wie
notwendig es ist, daß für viele Dinge erst das
nötige vorbereitende Verständnis geschaffen
werde.
Ich
möchte nur noch auf eines aufmerksam machen. Es
könnte die Frage entstehen: Ja, warum schildert die
geisteswissenschaftliche Literatur so im allgemeinen das, was
so unmittelbar nach dem Tode in der geistigen Welt geschieht,
was im Kamaloka, was im Geisterlande geschieht, und warum wird
so wenig von einzelnen hellsichtigen Einblicken geschildert?
Denn es könnte ja jemand leicht glauben, daß man
einen einzelnen, bestimmten Toten nach dem Tode leichter
beobachten könnte als dasjenige, was im allgemeinen
geschildert wird. So ist es nicht. Und um anzudeuten, wie es
ist, möchte ich einen Vergleich gebrauchen. Es ist dem
richtig entwickelten Hellsehen leichter, die großen
Verhältnisse zu überschauen — wie den Durchgang
der Menschenseele durch den Tod, wie sie durch Kamaloka in das
Devachan hinaufkommt —, als irgendein einzelnes Erlebnis
einer einzelnen Seele zu überschauen. Geradeso, wie es
leichter ist, in der physischen Welt dasjenige zu erkennen, was
etwa sozusagen unter dem Einflüsse der großen
Himmelsbewegungen steht, und schwieriger dasjenige, was in
einer gewissen Weise unregelmäßig zu den großen
Himmelsbewegungen steht. Nun wird jeder von Ihnen für den
morgigen Tag leicht voraussagen können, daß die Sonne
morgens aufgehen wird und abends wieder untergehen wird. Das
wird jeder ungefähr wissen. Was morgen aber für
Wetter sein wird, das wird schon weniger genau gewußt
werden. So ist es mit dem Hellsehen auch. Die
Verhältnisse, die wir gewöhnlich in den Schilderungen
über die geistigen Welten geben, sind zu vergleichen mit
dem Wissen über den allgemeinen Gang der
Himmelskörper; die weiß man zuerst im hellseherischen
Bewußtsein. Und man kann immer rechnen darauf, daß
die Ereignisse sich im allgemeinen so vollziehen. Die einzelnen
Ereignisse aber in dem Leben zwischen Tod und einer neuen
Geburt sind wie die Wetterverhältnisse hier auf der Erde,
die selbstverständlich auch gesetzmäßig sind,
aber eben schwieriger zu erkennen auch auf der Erde selber;
denn man kann ja nicht von jedem Orte wissen, was für ein
Wetter an einem anderen Orte ist. So ist es eben nun einmal. Es
ist schwierig, hier zu wissen, wie das Wetter in Berlin ist,
nicht aber, wie dort die Sonne oder der Mond stehen. Es
gehört eine besondere Ausbildung der hellsichtigen Gabe
dazu, da es schwieriger ist, das einzelne Leben nach dem Tode
zu verfolgen als den allgemeinen Gang der Menschenseele. Und
auf dem richtigen Wege erwirbt man sich das Wissen von den
allgemeinen Verhältnissen zuerst, und zuallerletzt erwirbt
man sich, wenn es durch Schulung errungen wird, dasjenige, was
ja am leichtesten scheint. Man kann lange schon sehr richtig
sehen in bezug auf Kamaloka und Devachan und es doch
außerordentlich schwierig haben, zu sehen, wieviel es auf
der eigenen Uhr ist, die man in der Tasche hat. Die Dinge in
der physischen Welt sind für die hellseherische Schulung
die allerschwierigsten. Gerade das Umgekehrte ist im
Erkennenlernen der höheren Welten der Fall. Irrtümern
gibt man sich auf diesem Gebiete aus dem Grunde hin, weil ja
auch noch ein natürliches Hellsehen vorhanden ist, und
dieses zwar unsicher ist, mannigfachen Irrtümern
unterworfen ist, aber es kann lange vorhanden sein, ohne
daß man den hellsichtigen Blick für die allgemeinen
Verhältnisse hat, die in der Geisteswissenschaft
geschildert werden, die dem geschulten Hellseher leichter
sind.
Das
sind die Dinge, die ich Ihnen heute in bezug auf die geistigen
Welten schildern wollte. Morgen wollen wir diese Betrachtungen
fortsetzen und etwas vertiefen.
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