DIE
UMWANDLUNG MENSCHLICH-IRDISCHER KRÄFTE ZU KRÄFTEN
HELLSEHERISCHER FORSCHUNG
Bergen, 11. Oktober 1913
Zweiter Vortrag
Es
kann mancherlei gefragt werden über das eine und das
andere, wenn man allmählich herandringt an die
geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse; es kann in berechtigter
Weise mancherlei gefragt werden. Wollen wir einmal heute einen
Teil unserer Betrachtung damit ausfüllen, daß wir uns
selbst solche Fragen vorlegen. Die Beantwortung solcher Fragen
ist oftmals geeignet, uns tiefer hineinzuführen in den
ganzen Zusammenhang der Welttatsachen, insofern die geistige
Welt in diese Tatsachen hineinwirkt, und namentlich in den
Zusammenhang der Tatsachen der menschlichen Natur selber. Eine
Frage kann so aufgeworfen werden: Wenn man allmählich dazu
kommt, die Wichtigkeit und die große Bedeutung der
sogenannten Reinkarnation einzusehen, so kann man fragen: Ja,
wie kommt es denn, daß der Mensch im gewöhnlichen
Leben in unserer Gegenwart kein Bewußtsein erlangen kann
von den vorhergehenden Erdenleben? Das hellsichtige
Bewußtsein kann ja in der Tat dazu dringen, gleichsam das
Gedächtnis so weit auszudehnen, daß wirklich
frühere Erdenleben wie eine Erinnerung im Gedächtnis
auftauchen. Aber im gewöhnlichen Leben der heutigen
Menschheit ist es ja so, daß ein Bewußtsein der
früheren Erdenleben nicht vorhanden ist. Wenn man nun die
Frage gleichsam vom Gesichtspunkt der hellsichtigen Forschung
stellt, so bekommt sie die folgende Gestalt. Man ist sich ja
klar, daß die Kraft, die man zur hellsichtigen Forschung
braucht, eigentlich aus dem menschlichen Innern und seiner
Seele selber hervorkommt. Man entwickelt sich von dem
gewöhnlichen Standpunkt des Menschen zu dem hellsichtigen
Standpunkt: daher müssen ja die Kräfte, mit denen man
später zurückblicken kann auf vorhergehende
Erdenleben, in jedem Menschen selbstverständlich vorhanden
sein. Die Frage ist nun diese: Was geschieht denn mit diesen
Kräften, was macht die menschliehe Natur mit diesen
Kräften, die da sind, die mit dem Menschen geboren werden
und die er doch nicht dahin bringt, daß er zu einer
Rückerinnerung an frühere Erdenleben kommt?
Wenn man hellsichtig die Frage untersucht, den Blick hinwendet
auf diejenigen Kräfte, die da in Betracht kommen, so
muß man die Betrachtung schon in ein sehr frühes
Kindheitsalter lenken. Denn dann erst sieht man diese
Kräfte, die beim Hellsehen verwendet werden können
für den Rückblick in frühere Erdenleben, an der
Arbeit. Nämlich: Diese Kräfte werden für die
heutige Menschheit verwendet zum Aufbau des menschlichen
Kehlkopfes und alles dessen, was damit zusammenhängt. Sie
werden namentlich verwendet zu all dem, was den menschlichen
Kehlkopf später befähigt, die Sprache zu lernen. Die
Kräfte sind also da in jedem Menschen, die ihn
befähigen würden, zurückzublicken in
frühere Erdenleben. Aber sie werden in einem solchen
Maße heute dazu verwendet, die Sprachorgane beim Menschen
auszubilden, daß unter normalen Verhältnissen der
Mensch diese Rückerinnerung nicht haben kann. Allerdings
gab es früher Erdenzeiten, in denen die Menschen diese
Rückerinnerung wohl hatten. Fast über die ganze Erde
hin hatten die Menschen diese Rückerinnerung in
frühere Erdenleben. Aber das beruht darauf, daß nicht
alle Kräfte, die zum Aufbau der Sprachorgane verwendet
werden, für den Rückblick in frühere Erdenleben
verlorengehen, weil beim Aufbau der Sprachorgane noch gewisse
Kräfte zurückgehalten werden. Die Entwickelung der
Menschheit ist ja so, daß die Sprache allmählich eine
Gestaltung angenommen hat, die heute im gegenwärtigen
Menschheitszyklus viel mehr Kräfte namentlich des
Ätherleibes aufruft, als das in früheren Zeitaltern
der Fall war. So kommt der Mensch der heutigen Zeit gar nicht
dazu, dasjenige, was zurückbleibt als Kräfte, von
denen der größte Teil zum Aufbau der Sprachorgane
verwendet wird, zu berücksichtigen. Würde er das tun,
wie es der Hellseher ja tun muß, so würde er in
frühere Erdenleben zurückblicken. Daher kommt das,
was ich auch im öffentlichen Vortrage über «Die
Rätsel des Lebens» angedeutet habe: Wenn man es dazu
bringt, diejenige Tätigkeit des Ätherleibes zu
entfalten, die sonst nur entfaltet wird in der Anstrengung der
Sprachorgane, wenn man frei bekommt die Sprachkräfte von
den Sprachorganen, wenn man dazu kommt, sich innerlich
gewissermaßen zuhören zu können, ohne daß
man äußerlich spricht, und dieses immer mehr und mehr
fühlt, dann ist die Übung dieser Kräfte dazu
geeignet, wirklich das Gedächtnis an frühere
Erdenleben herzustellen. In der heutigen Menschheit ist es so,
daß der Mensch gar keine Aufmerksamkeit verwendet auf die
Kräfte seiner Sprachbildung, die zurückbleiben und
die verwendet werden können zum Rückblick in
frühere Erdenleben. Dies ist ein solcher Fall, wo man
nachweisen kann durch die hellseherische Forschung, wohin die
Kräfte kommen im normalen Leben, die sonst die Menschen zu
Einblicken des geistigen Lebens befähigen würden. So
ist es auch mit den Kräften, die beim Menschen in unserer
heutigen Zeit verwendet werden, um die sogenannte graue
Gehirnsubstanz zustande zu bringen, welche hauptsächlich
das Organ des Denkens ist. Dieses Denken ist natürlich
nicht etwas, was das Gehirn verrichtet, aber man braucht das
Gehirn als ein Werkzeug, um zu denken. Und jene
Denkkräfte, die den Menschen befähigen würden,
wenn er sie ganz zur Verfügung hätte, um zum Beispiel
mit Leichtigkeit auf dasjenige zu kommen, was in meiner
«Geheimwissenschaft» steht, diese Kräfte, die in
leichter Art befähigen, zu dieser ganzen
Auseinandersetzung der «Geheimwissenschaft» zu
kommen, werden beim normalen Menschen heute verwendet, um die
graue Gehirnsubstanz in entsprechender Weise zu gliedern. Diese
Gliederung der grauen Gehirnsubstanz war noch gar nicht in
diesem ausgiebigen Maße, wie es heute beim
Durchschnittsmenschen der Fall ist, beim Menschen des alten
Griechenlandes im sechsten oder fünften Jahrhundert
vorhanden. In dieser Beziehung ändert sich die
Menschennatur rascher, als man denkt. Daher war für die
Griechen der vorhistorischen Zeit, des zehnten, elften,
zwölften Jahrhunderts, in einem bestimmten Lebensalter
ganz selbstverständlich, daß ihnen das Hellsehen
aufging, das man heute wiederum als Geheimwissenschaft
darstellen kann. Und man muß die Kräfte, die einem
doch noch erspart bleiben bei der Bearbeitung der grauen
Gehirnsubstanz, zur Übung verwenden in der Weise, wie es
geschildert worden ist, um in reiner, klarer Weise zu
überschauen, was zum Beispiel in meiner
«Geheimwissenschaft» beschrieben ist. Worauf beruht
das, wenn man so beschreibt, wie es in diesem Buche geschehen
ist? Die Bedingungen zu Schilderungen aus der geistigen Welt
sind eigentlich auch von dem heutigen Menschen gar nicht so
schwer zu erlangen. Man möchte fast sagen, man könne
sich wundern, daß heute nicht viel mehr Menschen ganz von
selbst zur Anschauung dieser Verhältnisse kommen —
und man könnte sich wundern, daß diese Schilderungen
eine so starke Gegnerschaft finden. Denn es ist
verhältnismäßig nicht schwierig, zu jenem Grad
des Hellseherischen zu kommen, der notwendig ist, um diese
Dinge zu überschauen. Man braucht nur das Folgende zu
machen, obwohl man diesen Dingen gegenüber das Faustwort
anwenden kann: «Zwar ist es leicht, doch ist das
Leichte schwer.»
Die
Entwickelung des Gehirns ist zwar am lebhaftesten in den ersten
Jahren des menschlichen Lebens; da sieht man hellsichtig den
Ätherleib und auch den Astralleib am meisten tätig an
der Furchung, an der Gliederung des Gehirns. Aber es dauert
diese Arbeit an unserem Gehirn verhältnismäßig
sehr lange. Und es ist nicht zu viel gesagt, wenn man
behauptet, daß der Mensch wirklich — wenn es auch in
späteren Jahren angsamer geht — durch die
Lebenserfahrung schon immer gescheiter und gescheiter wird.
Immer findet eine Arbeit an der Gehirnsubstanz statt. Aber man
beobachtet das Folgende nicht und kann es ja auch nicht
beobachten: Wenn man sich in einem bestimmten Jahre vornimmt,
eine geistige Lieblingsbeschäftigung, die man getrieben
hat, einmal nicht zu treiben — doch müsste sich
diese nur auf äußere Verhältnisse beziehen, weil
durch diese die graue Substanz sich gliedert —
Geisteswissenschaft kann es natürlich nicht sein, wenn man
sie nicht wie irgendeine andere Wissenschaft studiert —,
doch wenn man irgend etwas sonst, was man als
Lieblingsbeschäftigung betrieben hat, sieben Jahre lang
nicht zu treiben sich vornimmt und wirklich das
durchführt, streng durchführt, und man versucht, in
stiller Meditation die Kräfte wachzurufen, die man auf
diese Weise erspart hat, die, hätte man die Tätigkeit
fortgesetzt, anders verwendet worden wären, nun aber
erspart, herausgesondert sind: so kann man
verhältnismäßig leicht, wenigstens in hohem
Grade selbst zur Erkenntnis derjenigen Dinge kommen, die in
meiner «Geheimwissenschaft» geschildert sind.
Daß so wenige Menschen dazu kommen, bezeugt nur, daß
so wenig nach dieser Richtung ausgeführt wird. Es wird in
der Tat nicht ausgeführt, denn derjenige, der wirklich
eine Lieblingsbeschäftigung hat, wird selten die Entsagung
haben, sieben Jahre lang sich gar nicht mit ihr zu
befassen.
So
sehen Sie, daß ein Teil dessen, was heute verkündet
werden kann, verhältnismäßig leicht zu erringen
wäre. Wenn Sie unsere heutige Kultur betrachten mit allem,
was sie an Ungeheuerem äußerlich geleistet hat, so
werden Sie sich gar nicht wundern, daß viele Kräfte
des Ätherleibes verwendet werden auf die Bearbeitung des
Gehirns, denn diese äußere Kultur ist ja fast ganz
nur ein Ergebnis eben der Gehirnarbeit, da gehen die
Kräfte ganz und gar in der Bearbeitung des Gehirnes auf.
Nun könnte mancher sagen: Ja, ich habe mich aber gar nicht
beteiligt an dieser Kulturarbeit, ich habe ja gar nichts dabei
getan! — Das kann sich jemand in Wirklichkeit
vortäuschen, aber es ist doch nicht der Fall. Man kann
heute kaum einen noch so einsam gelegenen Ort auf der Erde
finden, wohin nicht die äußere Kultur doch so weit
dringt, daß man beteiligt ist mit seinem Denken an dieser
äußeren Kultur. Und das genügt schon, um die
Kräfte abzulenken von dem, was man nennen könnte:
Erlangen des hellsichtigen Bewußtseins. Freilich
könnte jemand sagen: Nun, die Wilden beschäftigen
sich ja nicht mit dem, was das Gehirn so bearbeitet, aber man
kann auch von den Wilden heute nicht sagen, daß sie
besondere hellsichtige Kräfte nach dieser Richtung
entwickeln. — Das ist der Fall, weil ein ganz bestimmtes
geistiges Gesetz besteht. Dasjenige nämlich, was man auf
diese Weise hellsichtig erlangen soll, das muß eine
bestimmte Vorbereitung haben. Der Wilde könnte vielleicht
ganz andere hellsichtige Kräfte entwickeln. Die
hellsichtigen Kräfte aber, die notwendig sind für das
Sehen dessen, was in meiner «Geheimwissenschaft»
beschrieben ist, könnte der Wilde nicht entwickeln, weil
er dazu keine Vorbereitung hat. Denn diese Kräfte
müssen wiederum die Umkehrung von anderen Kräften
sein. Sie könnten zum Beispiel sagen: Aber viele Menschen
haben sich doch das, was ich als Lieblingsbeschäftigung
gehabt habe, überhaupt erspart! Warum sind diese nicht
hellsichtig geworden? — Das beruht darauf, daß die
Entwickelung der hellsichtigen Kräfte nicht kommt aus dem
Nichts heraus, sondern kommt durch die Umkehrung dessen, was
vorhanden ist. Man muß Kräfte in einer gewissen
Richtung schon entwickelt haben, man muß den Anlauf schon
genommen haben zu derjenigen Intelligenz, die heute unsere
Kulturintelligenz ist; man muß eine Zeitlang auf diese
Kräfte verzichten, dann werden sie gleichsam umgekehrt.
Und dadurch entsteht dasjenige, was einen befähigt, die
Tatsachen in der «Geheimwissenschaft» hellseherisch
zu verfolgen. Es sind namentlich diejenigen Kräfte bei
solchen Schilderungen verwendet, die in der normalen
menschlichen Entwickelung vorzugsweise das Gehirn zu den
höheren, intelligenteren Kräften befähigen.
Dagegen wird man dasjenige, was nicht diese allgemeinen,
großen Gesichtspunkte, wie sie in der
«Geheimwissenschaft» geschildert sind, erreicht,
sondern was mehr einzelne Verhältnisse erreicht, durch
Umkehrung von anderen menschlichen Kräften und
Fähigkeiten erlangen. Die Fähigkeit zum Beispiel, in
frühere Erdenleben zurückzublicken, erreicht man
dadurch, daß man gewisse Kräfte, die sonst ganz
für die Sprachorganbildung verwendet werden,
zurückbehält in der Art, wie ich es geschildert habe.
Am hinderlichsten sind den Menschen, um in die geistigen Welten
zu dringen, gewisse Kräfte, welche gewöhnlich
überhaupt gar nicht beachtet werden. Ich habe jetzt
zweierlei von den Kräften angeführt, welche den
Menschen befähigen, hellsehend hineinzublicken in die
geistigen Welten. Auf die Kräfte, die heute verwendet
werden zur Ausbildung der grauen Gehirnsubstanz, habe ich
hingewiesen; jene Kräfte aber, die den Menschen
befähigen, rückzublicken auf frühere Erdenleben,
sind die Kräfte, die mit der Ausbildung der Sprache zu tun
haben. Es gibt aber noch Kräfte, die den Menschen
befähigen, mehr im einzelnen zu sehen, was zwischen Tod
und neuer Geburt liegt, in Einzelheiten zu sehen, was der
einzelne Mensch da tut. In der «Geheimwissenschaft»
findet man mehr das Allgemeine. Das ist aber wieder etwas
anderes: wirklich hineinzusehen in die geistige Welt; dazu sind
wieder andere Kräfte notwendig, die man kaum beachtet im
Leben. Es gibt etwas, zu dem der Mensch sehr viel Kräfte
verwenden muß: das ist, daß er sein Leben lang nicht
auf allen vieren kriecht, sondern im jugendlichen Lebensalter
dazu kommt, sich aufzurichten. Die Kräfte, die den
Menschen zum vertikalen Wesen machen, sind Kräfte, die
denjenigen, der eingedrungen ist in die geistige Welt, mit ganz
besonderer Ehrfurcht erfüllen. Zuzuschauen, wie ein Kind
gehen lernt, das schließt für den, der hellsichtige
Forschung anstellt, ein wunderbares Mysterium ein. Die
Kräfte, die man verwendet, um sich aufzurichten als Kind,
die lassen übrig — aber man berücksichtigt
dieses Überbleibsel zu wenig —, die lassen
übrig diejenigen Kräfte, die einen befähigen,
hineinzuschauen in die Welt zwischen Tod und neuer Geburt. Wenn
man es nämlich dahin bringt — es gibt dazu noch
andere Wege, aber dieses ist ein Weg —, sich zu erinnern,
wie man gehen gelernt hat, was man da für Anstrengungen
gemacht hat: dann entdeckt man in sich die Kräfte, die man
erspart hat in seinem Ätherleib. Denn dieser muß sich
namentlich dabei anstrengen. Wenn man diese Kräfte in sich
sucht, die man dazumal erspart hat — sie sind noch in
allen Menschen vorhanden —, dann kann auf diesem Wege
vieles herausgeholt werden aus dem Menschen, was ihn
befähigt, in das Leben, das verflossen ist zwischen seinem
letzten Tod und seiner Geburt, zurückzusehen.
Sie
können fragen: Wie macht man denn das? Wir haben, wenn uns
das Glück wird, unsere anthroposophische Bewegung
fortzusetzen, schon einen Anfang damit gemacht, daß diese
Kräfte hervorgesucht werden. Und wenn es gut geht, werden
diese Kräfte gewöhnlich erst nach sieben Jahren rege;
aber ein Anfang ist da, und dieser Anfang wird sich fortsetzen
in der Menschennatur. Gewöhnlich bleiben die Kräfte
unberücksichtigt, die man da erspart hat. Nun kann der
Mensch das Gewahrwerden dieser Kräfte in sich dadurch
fördern, daß er eine gewisse naturgemäße
Art des Tanzes übt. Es kann gewiß auch durch
Meditation hervorgerufen werden, aber seit noch nicht ganz
einem Jahre wird aus den Grundsätzen der Bewegungen des
Ätherleibes in gewissen Kreisen bei uns die sogenannte
Eurythmie getrieben. Das ist nicht etwas wie die
gewöhnliche Art des Turnens und Tanzens — was
eigentlich zu nichts Besonderem führt —, sondern das
sind Bewegungen, die ganz im Sinne der Bewegungen des
Ätherleibes gegeben sind. Durch diese Bewegungen wird der
Mensch allmählich die Kräfte gewahr werden, die noch
in ihm sind, diese Kräfte werden durch diese freie
Tanzbewegung entdeckt werden. Und so werden Anlagen
allmählich geschaffen werden, die dasjenige erwecken, was
im Menschen an Kräften ist, um wirklich hineinzuschauen in
jene geistigen Welten, die zwischen dem letzten Tode und seiner
Geburt liegen.
So
kann Geisteswissenschaft ganz praktisch an der Menschenkultur
arbeiten. Und überzeugt kann man sein, daß nach und
nach Geisteswissenschaft nicht bloß dabei stehenbleiben
wird, einzelne Wahrheiten abstrakt zu lehren, sondern auch den
ganzen Menschen so behandeln wird, daß Kräfte, die
heute schlummern, geweckt werden, daß der Mensch sich
wirklich zu einer geistigen Lebensempfindung aufschwingen
lernt. Das sind sonderbare Sachen, die man da sagen muß,
aber sie sind nun einmal so: Wenn man entdeckt die Kräfte,
die einem beim Gehenlernen zurückgeblieben sind, dann wird
man dadurch befähigt, hellsichtig hinzuschauen auf die
Welten, in denen man lebt zwischen Tod und einer neuen Geburt.
Durch Meditation ist das ja auch zu erreichen, aber sie
muß dann so getrieben werden, daß sie auch
Gefühl werde. Gefühle sind aber durch Meditation
eigentlich am schwierigsten zu bilden. Es sollen die
Kräfte also gefunden werden, die den Menschen
befähigen, hineinzuschauen in die Welt zwischen Tod und
einer neuen Geburt. Namentlich diejenigen Kräfte werden
dabei gefunden, durch die man auf das schaut, was längere
Zeit der Geburt vorangegangen ist. Auf diesem Gebiete liegt
vieles, was das Leben uns erst verständlich macht.
Irgendein Unglück trifft uns zum Beispiel. Zunächst
haben wir nur die Empfindung: das ist ein Unglück. Wir
ertragen es schwer. Wüßten wir aber, warum wir vor
der Geburt Jahrzehnte-, ja jahrhundertelang alles so
eingerichtet haben, daß dieses Unglück uns trifft,
dann würde uns vieles erträglicher sein!
Denn wir wüßten, daß dieses Unglück eine
Prüfung ist, damit wir vollkommener werden. Aber auch
sonst erlebt man gar mancherlei, wenn man gerade in denjenigen
Teil der geistigen Welt hineinsieht, in dem man
gewissermaßen die Vorbereitung für das
gegenwärtige Leben durchmacht.
Die
allgemeinen Verhältnisse will ich hier nicht schildern,
die finden Sie ja dargestellt in meinen Schriften. Aber ich
möchte gleichsam an einigen Beispielen zeigen, wie das
Leben vor der Geburt beeinflußt das Leben nach der Geburt.
Sehen Sie, so sonderbar das klingt, wenn wir die Mitte unseres
Lebens zwischen Tod und einer neuen Geburt durchschritten haben
— nicht wahr, zwischen Tod und einer neuen Geburt
verfließt ja gewöhnlich eine Anzahl von
Jahrhunderten, da gibt es natürlich eine Mitte —,
dann richtet sich das innere Erleben der Seele in der geistigen
Welt vor allen Dingen hinunter auf die Erde. Und man bekommt,
wenn man nach dieser Mitte lebt, von der Erde herauf immer mehr
Eindrücke von dem, was da unten getrieben wird, von dem,
was die Menschen da unten denken und fühlen; und es ist
für jede Seele so, daß sie ganz bestimmte
Eindrücke bekommt. So zum Beispiel kann eine Seele sich
hereinleben in der zweiten Hälfte des geistigen Lebens
ihrer neuen Geburt entgegen, und immer mehr und mehr schaut sie
da unten jene Menschen, die, sagen wir, da unten das
spätere Zeitalter vorbereiten: die geistig wirksamen
Menschen. Einzelne von diesen geistig wirksamen Menschen werden
der Seele ganz besonders wertvoll. Ja, es kommt vor, daß
man von der geistigen Welt aus auf eine oder zwei Gestalten,
die auf der Erde sich betätigen, ganz besonders
herabsieht. Ein Mensch zum Beispiel, der in der zweiten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts geboren worden ist,
war, nehmen wir an, am Anfang des neunzehnten und in der
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in der
geistigen Welt; aber er schaute herunter auf die bedeutsamen
Menschen, welche die Kultur damals beeinflußten. Einzelne
daraus findet er besonders wertvoll, sie sind ihm besonders
lieb. Das ist eines, was man da erlebt: daß man
herunterschaut auf die Menschen, die da unten sich entwickeln.
Aber indem man da herunterschaut, beeinflußt man diese
Menschen auch, doch nicht so, daß dadurch die Freiheit
beeinträchtigt würde; man beeinflußt sie so,
daß gewisse Dinge, die in ihrer Seele leben, leichter in
ihrer Seele auftauchen dadurch, daß von der geistigen Welt
aus irgendeine Seele auf sie herunterblickt. So werden
Erdenmenschen zum Schaffen, zur Tätigkeit angeregt durch
Seelen, welche erst später als diese Erdenmenschen geboren
werden und auf sie herunterschauen. In weiteren und auch in
intimeren Angelegenheiten kann das der Fall sein.
Zum
Beispiel ist der Fall vorgekommen, daß jemand als Seele im
achtzehnten und in der ersten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts in der geistigen Welt gelebt hat und einen
hervorragenden Menschen der Erdenwelt sich geradezu zu seinem
Ideal genommen hat: wie er dann hat werden wollen wie dieser,
ihm hat nachstreben wollen nach seiner Geburt; man sieht zum
Beispiel die Bücher eines solchen Menschen, dem man
nacheifern will nach der Geburt. Man sieht also mit einer
gewissen inneren Sehnsucht, mit einem gewissen inneren Trieb so
vom Himmel auf die Erde herunter, wie man — allerdings
mit etwas anderem Gefühl — als ein lebender Mensch
mit Sehnsucht nach dem Jenseits, nach dem Himmel aufblickt. Nur
ist dieser beträchtliche Unterschied, daß, wenn man
als Erdenmensch ohne die Erkenntnis der Geisteswissenschaft zum
Himmel aufblickt, das ziemlich unbestimmt bleibt. Der Mensch im
Himmel aber, derjenige, der in der geistigen Welt lebt, hat die
Eigentümlichkeit, daß er die Verhältnisse der
Erde, die Menschenseele, die er besonders verehrt, deren
Schriften er vielleicht lesen will, auch ganz besonders genau
sieht von der geistigen Welt aus. Kurz, man lernt in der
zweiten Hälfte seines geistigen Daseins zwischen Tod und
einer neuen Geburt in Einzelheiten die Menschenseelen kennen,
man lernt in Seelen hineinschauen. Und wir selber, die wir
jetzt leben, wir können uns bewußt sein, daß da
oben in der geistigen Welt Seelen leben, die darauf warten, in
den nächsten Jahrzehnten geboren zu werden, die in unsere
Seelen schauen mit einem sehnsüchtigen Blick und die in
unseren Seelen dasjenige erblicken, was sie brauchen für
ihre Vorbereitung zur Erdenwelt. Sie sehen unsere Seelen in
dieser Zeit ihres geistigen Lebens so genau, wie der
Erdenmensch seinen Himmel ungenau sieht. Das ist wiederum so
ein Bild, das uns zeigt, wie wir, wenn wir die geistigen Welten
auch nur ein wenig kennenlernen, wirklich zu der Empfindung
kommen: Wir sind beobachtet. Denn das sind wir vielfach. Es
richten sich die Blicke der geistigen Wesen und namentlich
derjenigen, die geboren werden sollen, auf unsere Seelen.
Daraus ersehen wir, daß Geisteswissenschaft auch in dieser
Beziehung durchaus nicht etwas Schlechtes den Menschen gibt,
denn es wird durch sie der Mensch angeleitet, würdig zu
sein dessen, was in seiner Seele beobachtet wird von den noch
ungeborenen Seelen.
Wenn die hellsichtige Forschung sich auf diese Dinge
einläßt, dann erlebt sie allerdings bedeutsame, oft
erschütternde Dinge. Und zu den wirklich in hohem Grade
erschütternden Dingen gehört es, wenn man
hinaufblickt in die geistigen Welten zu den Seelen, die auf dem
Wege sind geboren zu werden, und sieht, wie sie herunterschauen
auf die Erde, um nach denjenigen zu blicken, die ihre Eltern
werden könnten. Für ältere Zeiten war das sogar
noch bedeutsamer; für unsere Zeiten ist das schon weniger
bedeutsam geworden. Aber es gehört noch immer zu den
erschütterndsten Ereignissen, solche Seelen zu beobachten.
Denn da kann man die allerverschiedensten Eindrücke
erhalten. Hier ein Eindruck, den ich schildern möchte nach
der Wirklichkeit.
Eine Seele, die sich anschickt verkörpert zu werden,
weiß zum Beispiel, daß sie zu ihrem nächsten
Erdenleben eine gewisse Art von Erziehung braucht, eine gewisse
Art von Kenntnissen, die sie aufnehmen muß schon in
früher Jugend. Aber sie sieht nun: Ja, da und dort kann
ich die Möglichkeit finden, solche Erkenntnisse zu
gewinnen. — Aber das ist oftmals nur möglich, wenn
man in der Zeit verzichtet auf ein solches Elternpaar, das
einem ein glückliches Dasein in anderer Beziehung geben
könnte, und wenn man seine Zuflucht nimmt zu einem
Elternpaar, das einem vielleicht kein glückliches Leben
gewähren kann. Würde man ein anderes Elternpaar
vorziehen, so würde man sich sagen müssen: Gerade das
Wichtigste kannst du nicht erreichen. — Man darf nicht
alle Verhältnisse des geistigen Lebens sich so verschieden
vorstellen von denen auf der Erde. So sieht man Seelen, die vor
der Geburt in furchtbarstem Kampf sind, sieht zum Beispiel eine
Seele, die sich sagt: Ich werde vielleicht in meiner Jugend
mißhandelt von einem rohen Elternpaar. — Wenn eine
solche Seele in diese Lage kommt, dann gibt das furchtbare
innere Kämpfe für sie. Und man sieht in der geistigen
Welt vielen Seelen an, die an die Vorbereitung für die
Geburt schreiten, wie sie sich diese ungeheuren Kämpfe
bereiten. Dazu muß man nehmen, daß man in der
geistigen Welt diese Kämpfe etwa wie eine Art von
Außenwelt vor sich hat. In der geistigen Welt ist das, was
ich jetzt schilderte, nicht nur innerer Seelenkampf, nicht nur
Kampf des Gemütes, sondern diese Kämpfe projizieren
sich nach außen, und man hat sie sozusagen um sich. Man
sieht in aller bildlichen Anschaulichkeit die Imaginationen,
die einem darstellen, wie diese Seelen innerlich gespalten zu
ihrer nächsten Inkarnation schreiten müssen. Wenn wir
diese Verhältnisse uns vor Augen führen, so
können wir natürlich leicht auf den Gedanken kommen,
warum so viele Menschen die Geisteswissenschaft gar nicht
mögen. Denn am meisten würden es die Menschen lieben,
wenn es wahr wäre, daß man nach dem Tode gleich in
die ewige Seligkeit für alle Zeiten einginge. Das ist aber
nicht so. Und es ist gut, daß die Dinge so sind, wie sie
sind, denn unter diesen Verhältnissen wird die Welt schon
den Grad von Vollkommenheit erreichen, den sie erreichen
muß.
Hineinzublicken in das eigene oder in das fremde Leben
innerhalb der geistigen Welt, dazu werden wir kurioserweise
durch die Kräfte, die wir vom Ätherleibe beim
Gehenlernen ersparen, befähigt. Aber diese Kräfte,
wenn sie wirklich entwickelt werden, haben einen gewissen
Vorzug — das zeigt das praktische Hellsehertum —
vor denjenigen Hellseherkräften, welche entwickelt werden
zum Zurückschauen in die früheren Erdenleben. Ich
bitte, diesen Unterschied sehr wohl zu berücksichtigen,
denn er ist in vielem Sinne aufklärend über so
manches.
Durch nichts wird ein gefährliches Hellsehen leichter
entwickelt als durch die Entwickelung derjenigen Kräfte,
die eigentlich beim heutigen Menschen für die
Sprachbildungsorgane da sind, die ihn befähigen, wenn er
sie zurückhält, zum Zurückschauen in
frühere Erdenleben. Denn diese Kräfte hängen
allermeist in der menschlichen Natur mit den niederen
Instinkten und Leidenschaften zusammen. Und man kommt durch
nichts so sehr in die Nähe von Luzifer und Ahriman, als
wenn man gerade diese Kräfte entwickelt, die in einer
gewissen Höhe allerdings gestatten, in frühere
Erdenleben bei sich und anderen zurückzublicken. Zu
Kräften der Täuschung führen sie; aber
namentlich führen sie dazu, wenn sie nicht richtig
entwickelt werden, daß der Hellseher unter dem
Einfluß dieser Kräfte moralisch eher herunterkommen
kann als herauf — so daß diese Kräfte, die
gerade befähigen, in frühere Erdenleben zu schauen,
die gefährlichsten sind. Man darf diese Kräfte nur
entwickeln, wenn man zugleich voll bedacht ist auf die
Entwickelung der reinen Moralität im Menschen. Deshalb,
weil man angewiesen ist, auf die reinste Moralität im
Menschen zu sehen, wenn man diese Kräfte ausbilden will,
werden sich kundige Lehrer nicht leicht dazu herbeilassen,
systematisch die Kräfte, die in die früheren
Inkarnationen schauen lassen, zu entwickeln. Und man kann
sagen: So verbreitet es ist, ein gewisses niederes Hellsehen zu
haben, das in die anderen Welten hineinschaut, das aus
geistigen Regionen Schilderungen geben kann, so wenig ist ein
wirkliches, sachgemäßes Hineinschauen in die
früheren Inkarnationen auf die Weise entwickelt, daß
man nur die Sprachkräfte in Betracht zieht.
Gewöhnlich werden daher andere Mittel noch zu Hilfe
genommen, wenn man die Menschen dazu führen will, in
frühere Inkarnationen zurückzuschauen. Und da kommen
wir auf einen interessanten Punkt, der uns zeigt, wie
allerdings der Mensch auf Dinge achten muß, auf die man
sonst wenig achtet. Daß jemand bloß durch die
Entwickelung der Sprachkräfte dazu gebracht würde in
seiner geistigen Führung, auf frühere Erdenleben
zurückzublicken, das wird sich selten ereignen. Dennoch
gibt es viele Menschen, die das in der Gegenwart können;
das wird durch andere Mittel gewöhnlich erreicht. Und
eines dieser Mittel ist ein solches, das einem sonderbar
erscheinen wird, aber durchaus auf einer tieferen Wahrheit
beruht.
Irgend jemand lebt sich in das innere Leben hinein. Es
würde ihn zu viel Anstrengung kosten oder vielleicht zu
starke Versuchungen herbeiführen, wenn er nur durch die
Ausbildung der Sprachkräfte dazu kommen würde,
karmisch zurückzuschauen in die früheren Erdenleben.
Daher nehmen die geistigen Mächte zu einem anderen Mittel
Zuflucht. Wie ein Zufall sieht es aus: Da erlebt zum Beispiel
dieser Mensch, daß ein anderer Mensch ihn antrifft, und
nennt ihm einen Namen oder eine bestimmte Zeit oder ein
bestimmtes Volk. Und das wirkt auf die Seele von außen so,
daß sie durch diese Vorstellung die
Unterstützungskräfte für das Hellsehen
entwickelt. Und er merkt dann, daß dieser Name oder
Hinweis, ohne daß es derjenige, der es gesagt hat, selber
weiß, ihn zu dem führt, daß er hineinblicken
kann in frühere Erdenleben. Da wird also zu einem
äußeren Mittel Zuflucht genommen. Da hört der
Betreffende einen Namen oder ein Zeitalter oder einen
Volksnamen und wird wie von außen angeregt, in die
früheren Erdeninkarnationen zurückzublicken. Solche
Anregungen von außen sind zuweilen für die
hellseherische Betrachtung der Welt außerordentlich
wichtig. Man erlebt etwas scheinbar ganz Zufälliges, aber
es strahlt davon aus eine Anregung für hellsichtige
Kräfte, die man sonst nur rudimentär entwickelt
hätte.
Das
sind solche aphoristische Andeutungen, die ich geben
möchte über das Hereinragen der geistigen Welt in
unsere Erdenwelt. Denn dieses Hereinragen ist in der Tat sehr
kompliziert.
Also das Zurückblicken in frühere Erdenleben hat es
mit verhältnismäßig gefährlichen, weil
versuchenden Kräften zu tun. Dagegen wird kaum jemand, der
die hellsichtigen Kräfte ausbildet, um einen Einblick zu
erhalten in das Leben, das im Geiste vorangegangen ist der
Geburt, leicht versucht werden können, gerade diese
hellsichtigen Kräfte zu mißbrauchen. Und in der Regel
werden es Seelen sein mit einer gewissen Reinheit, mit einer
gewissen natürlichen Moralität, die mit einer
gewissen Sicherheit zurückblicken in das Leben im
Geistigen, das vorangegangen ist dem gegenwärtigen
Erdenleben. Das hängt damit zusammen, daß die
Kräfte, die verwendet werden als hellsichtige Kräfte,
um gerade in diese Zeit hineinzuschauen, die kindlichen
Kräfte sind, diejenigen Kräfte, die man eben vom
Gehenlernen erspart. Es sind die unschuldigsten Kräfte,
die der Mensch in seiner Natur hat. — Und ich bitte Sie,
darauf zu achten, denn es ist sehr bedeutsam: die
unschuldigsten Kräfte sind zugleich diejenigen, durch die
man, wenn man sie ausbildet, hineinschaut in das Leben, das der
Geburt vorangeht. Das ist auch dasjenige, was den Anblick des
Kindes zu einem so zauberhaft befriedigenden macht, weil das
Kind umspielt ist in seiner Aura von den Kräften, von
denen der größte Teil benützt wird zum
Gehenlernen, von jenen Kräften, die hineinleuchten noch in
dasjenige, was der Geburt vorangegangen ist. Und in dieser
Beziehung kann für die hellseherische Betrachtung in der
Tat das Kind, auf dessen Antlitz sich ausdrückt Unschuld
und Weltunerfahrenheit, in seiner Aura ausdrücken etwas,
was wahrhaftig interessanter ist als dasjenige, was sich in der
Aura vieler Erwachsener ausdrückt. Die im Geistesland
durchgemachten Kämpfe, die vorausgegangen sind der Geburt
und das Schicksal bestimmen, die machen dasjenige, was aurisch
das Kind umspielt, zu etwas ungeheuer Großem und
Weisheitsvollem. Und die Weisheit, die das Kind in seiner Aura
umspielt, ist wahrhaftig oftmals eine viel größere
als diejenige, die der Mensch im späteren Alter
äußern kann durch seine Worte. Die Physiognomie des
Kindes mag noch unbestimmt sein; derjenige aber, der als
Hellseher das Kind sieht, kann ungeheuer viel von dem Kinde
lernen, wenn er das, was das Kind umspielt, schauen kann mit
dem hellsichtigen Blick. Und wenn dann das, was im kindlichen
Alter an Kräften vorhanden ist, später hellsichtig
ausgebildet wird, dann sieht man gerade in die konkreten
Verhältnisse hinein, die dem Geborenwerden des Menschen
lange vorangehen. Es ist vielleicht nicht so die Selbstsucht
befriedigend, in diese Welt hineinzuschauen. Für
denjenigen aber, der den ganzen Zusammenhang der Welt verstehen
will, ist dieses Hineinblicken auch ganz besonders interessant.
Und in der AkashaChronik zu forschen in bezug auf gewisse
Menschen der Weltgeschichte besteht nicht nur darin, daß
man dasjenige erforscht, was sie ausleben auf dem physischen
Plane, sondern auch dasjenige, wie sie ihr Leben auf dem
physischen Plan als Seelen in der geistigen Welt vorbereiten
zwischen Tod und einer neuen Geburt.
Die
Kräfte aber, die, wenn man sie rein erhält, in
frühere Inkarnationen hineinleuchten, die werden weniger
im Kindesalter erspart, sondern gerade in dem Alter des
Menschen, in dem sich die Leidenschaftlichkeit und manchmal
gerade die schlimmsten Leidenschaften im Menschen entwickeln.
Diese Kräfte, die ja auch andere Aufgaben noch haben in
der menschlichen Natur, werden lange nach den
Sprachbildungskräften entwickelt. Sie hängen zusammen
mit dem, was sich im Menschen an Gefühlen sinnlicher Liebe
entwickelt, und all dem, was damit zusammenhängt. Da
besteht eine ganze Verwandtschaft zwischen dem, was zur
sinnlichen Liebe führt, und dem, was zur Sprache leitet,
welcher Zusammenhang sich ja auch in der Mannesnatur
ausdrückt im Stimmbruch, in dem Mutieren der Stimme. Und
in diesem Lebenszeitalter werden besonders viele von diesen
Kräften erspart. Werden sie rein erhalten, so führen
sie zum Rückblick in frühere Erdenleben. Werden sie
nicht rein erhalten, werden sie herangebracht an die sinnlichen
Instinkte des Menschen, dann können sie zu den
größten okkulten Lastern führen. Gerade diese
Sorte von hellsichtigen Kräften, die von Ersparnissen aus
diesem Lebensalter herrühren, sind auch am leichtesten der
Versuchung ausgesetzt. — So werden Sie den ganzen
Zusammenhang verstehen können, meine lieben
anthroposophischen Freunde! Der Hellseher, der gerne redet
über die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt —
vielleicht haben einige von Ihnen schon bemerkt, daß
über diese sonst wenig geredet wird —, dieser
Hellseher hat in sich namentlich ausgebildet ersparte
Kräfte des frühesten Kindesalters. Bei Hellsehern,
die — und das meistens mit Unfug — viel reden
über frühere Inkarnationen von Menschen, was sehr
häufig vorkommt, denn manche Leute haben die Aussagen
über frühere Inkarnationen nur so auf dem
Präsentierteller, bei denen muß man aus dem Grunde
mißtrauisch sein, weil allzuleicht auf diesem Gebiete die
Kräfte herangezogen werden können, die am
allermeisten der Versuchung unterliegen können. Denn die
Kräfte, die man dafür ersparen kann, die erspart man
in der Zeit, w sich die sinnliche Liebe entwickelt und wo man
noch nicht äußerlich im sozialen Leben steht. Diese
Kräfte führen zuweilen zu vielem Unfug, insbesondere
führen sie zu einem bestimmten okkulten Unfug, weil sie am
meisten dazu beitragen, Täuschung über Täuschung
hervorzurufen auf dem Gebiete der geistigen Welt.
Warum sind denn die Angaben solcher Hellseher, die Versuchungen
ausgesetzt sind, so häufig falsch? Weil unter den auf
diese Weise ersparten Kräften aus diesem Lebensalter mit
der Anwendung dieser Kräfte zugleich aus dem Menschen wie
ein Nebel aufsteigen die niederen Instinkte und Triebe. Und
wenn diese aufsteigen, dann kommen Ahriman und die
ahrimanischen Geister und formen aus dem, was da aufsteigt,
Gespenster, so daß man diese Gespenster sehen kann und sie
für frühere Inkarnationen hält. Die Art von
Hellsehen, die notwendig ist, um Verhältnisse zu
schildern, wie sie in der «Geheimwissenschaft»
dargestellt sind, die wird besonders leicht entwickelt werden
können, wenn solche Kräfte erspart werden, die erst
im späteren Lebensalter zurückgehalten werden
können. Und da man in diesem Lebensalter, nach dem
einundzwanzigsten bis achtundzwanzigsten Jahre, in der Regel
solche Kräfte entwickelt, die sich mehr auf das
intellektuelle Leben beziehen, auf das Leben, das man schon mit
einer gewissen Nüchternheit betrachtet, so werden
Untersuchungen auf diesem Gebiete am allerwenigsten dem Irrtum
und der Täuschung ausgesetzt sein.
So
haben wir also gesehen, daß die Einsichten in die
großen geistigen Weltenverhältnisse durch Ausbildung
derjenigen Kräfte gewonnen werden, welche in der
Menschennatur zur Bearbeitung des Gehirns wirken. Das
Hineinschauen in die früheren Erdenleben wird durch
Ausbildung derjenigen Kräfte erreicht, welche namentlich
erspart werden im Jugendalter, wenn die sprachbildenden
Kräfte nicht mehr zur Sprachbildung verwendet werden und
im Reiche der sinnlichen Triebe und ihrer Organe walten. Das
eigentliche Geistgebiet, das Gebiet, das insbesondere
interessant wird da, wo sich das neue Leben vorbereitet, das
kann erforscht werden durch die Kräfte, die wir namentlich
ersparen im allerersten Kindesalter, in dem Alter, wo man
sozusagen das Gehen lernt.
Dies sind allerdings merkwürdige Tatsachen, doch muß
man sich schon gewöhnen, wenn man in die geistigen Welten
dringen will, viele Vorstellungen aufzunehmen, die man am
Anfang als paradox betrachtet. Aber die geistige Welt ist auch
wirklich nicht dazu da, um eine bloße Fortsetzung der
sinnlich-physischen Welt zu sein, sondern sie ist eine Welt,
die in vieler Beziehung gerade entgegengesetzt der physischen
Welt ist. Und der Mensch erscheint uns gerade dann als ein so
bedeutungsvoll im Weltenall stehendes Wesen, wenn wir auf der
einen Seite auf dasjenige blicken, was er als sein Schicksal,
als seine Fähigkeiten, als seine Tüchtigkeiten in
seinem Erdenleben durchmacht, und auf der anderen Seite —
eben durch das Kennenlernen der Geistigkeit — darauf
blicken, wie etwas von einem dem irdischen ganz verschiedenen
Leben durchgemacht wird vom Menschen zwischen Tod und einer
neuen Geburt. Da erst erscheint uns der Mensch in seiner wahren
Bedeutung und Bestimmung, wenn wir dies ins Auge fassen!
So
wollte ich Ihnen in diesen zwei Vorträgen eine
Darstellung, eine Schilderung geben von verschiedenen Dingen
der geistigen Welt. Ich wollte dies in mehr aphoristischer
Weise tun, weil wir zum ersten Male hier in dieser Stadt
beisammen waren, weil die meisten auch die systematischen
Darstellungen schon kennengelernt haben aus den Büchern
und Schriften und weil ich zu dem oder jenem noch eine
Ergänzung liefern wollte. Das schien mir für unsere
Freunde in dieser Stadt nützlicher zu sein, als wenn ich
ein Kapitel der Geisteswissenschaft gewählt hätte,
das zusammenhängender gewesen wäre. Man möchte
ja — das lassen Sie mich am Schlüsse unserer auch
mich so sehr erfreuenden Zusammenkunft hier aussprechen
—, man möchte ja in der Gegenwart von der
Geisteswissenschaft, daß sie so viel als möglich in
die Herzen und Seelen der Menschen einzieht! Denn zweierlei ist
wichtig. Erstens, wenn wir das Leben um uns betrachten und auf
die Tatsachen dieses Lebens hinblicken, sehen, wie die
Menschen, selbst durch die größten Errungenschaften
der Kultur, immer materieller und materieller werden, dann
zeigt sich uns, wie immer mehr und mehr der Menschheit diese
Geisteswissenschaft notwendig ist, wie die Menschen sie
brauchen, gerade weil das äußere Leben den Menschen
materialistisch macht. Weil gerade die größten
Errungenschaften des äußeren Lebens den Menschen
materialistisch machen müssen, bedarf er des
Gegengewichtes der Geisteswissenschaft. Geisteswissenschaft ist
eine Notwendigkeit des Erdenlebens der Menschheit und wird es
immer mehr und mehr werden gegen die nächste Zukunft hin.
Und wer bedenkt, wie das äußere Leben im
Materialismus durch die größten Errungenschaften der
menschlichen Kultur veröden, nach und nach ersterben
müßte, der wird am meisten die Sehnsucht in sich
verspüren, daß Geisteswissenschaft einziehen
möge in die Herzen und Seelen der Menschen. Unsere Kultur
wird immer größere und größere Fortschritte
machen; aber so wahr es ist, daß viele Singvögel, die
früher die Gegenden bevölkerten, in solchen Gegenden
verschwinden, wo sich die Schornsteine der Fabriken erheben, so
wahr ist es, daß — trotzdem wir Eisenbahnen,
Dampfschiffe und alles das, was uns die Kultur geben kann,
Telephon, Luftschiffe und so weiter brauchen, trotzdem nichts
gegen die Fortschritte der äußeren Kultur vorgebracht
werden soll —, so wahr ist es doch, daß wie die
Singvögel durch den Rauch der Schornsteine vertrieben
werden — Seelenglück und Seelenfrische und
Seelenharmonie und Seelenleben ersterben müßten unter
dem Einfluß der materiellen Kultur, wenn nicht
Geisteswissenschaft den Menschenseelen die Spiritualität
zuführte. Daher muß derjenige, der die
Verhältnisse durchschaut, tiefste Sehnsucht haben nach der
Verbreitung der Geisteswissenschaft, denn das ist eine
Notwendigkeit.
Auf
der anderen Seite steht die andere Tatsache, daß wegen
dieser materialistischen Kultur die Menschen niemals so stark
Geisteswissenschaft zurückgewiesen, ja gehaßt haben
wie heute. — Und diesen beiden Tatsachen der
Notwendigkeit und auch des Mißverstehens stehen wir heute
gegenüber wie zwei Säulen, durch die wir
durchzuschreiten haben, wenn wir Geisteswissenschaft in der
Welt schaffen wollen. Für uns aber, die wir versuchen
wollen, unsere Seelen für diese Geisteswissenschaft reif
zu machen, wird auf jeder dieser Säulen eine Aufforderung,
eine starke Aufforderung stehen: alles zu tun, was uns selber
und diejenigen Menschen, die es wollen, zur Geisteswissenschaft
heranbringt.
Von
diesem Gesichtspunkte aus wollte ich zu Ihnen auch gesprochen
haben, da ich das erste Mal in dieser Stadt spreche. Und von
diesem Gesichtspunkte aus möchte ich als
Abschiedsgruß die Worte zu Ihnen sprechen: daß
einiges von dem, was ich sagen durfte, in Ihre Herzen und
Gefühle, nicht nur in Ihren Verstand, übergegangen
sein möchte! So daß Sie sich dadurch noch tiefer und
noch gründlicher mit uns und allen verbunden fühlen,
die diese Bewegung gerne in die Welt tragen möchten, mehr
in die Welt tragen möchten, als sie es bisher getan haben!
Da wir noch nicht räumlich Zusammensein konnten und es in
diesen Tagen zum ersten Male waren, wünschen wir alle,
daß dieses Dasein unsere Seelenbande inniger, fester
gemacht habe.
Dies wünschend, möchte ich von Ihnen, meine lieben
Freunde, und von dieser schönen Stadt Abschied nehmen in
dem Bewußtsein, daß, wenn so etwas geschehen ist,
dann auch dieses räumliche Zusammensein eine Anregung
gegeben hat zu einem nicht vom Räume und von der Zeit
abhängigen Zusammensein. Lassen Sie mich Ihnen als
Abschiedsgruß sagen: Es möge durch unser Zusammensein
im Räume die Anregung gegeben worden sein zu einem
bleibenden, immerwährenden Zusammensein im Geiste.
|