Berlin, 4. November 1913
Zweiter Vortrag
Durch ein okkultes Studium, welches in
entsprechender Weise angestellt wird, ist es in unserer Zeit
möglich, dasjenige gewissermaßen zu erfahren, was man
nennen könnte das Fünfte Evangelium.
Wenn Sie Ihre Seelen auf mancherlei von dem
richten, was im Laufe der Jahre in
bezug auf das Mysterium von Golgatha gesagt worden
ist, so wird Ihnen unter mancherlei, was
gesagt worden ist, um die vier
Evangelien zu erklären, auch solches begegnet sein, was
als Mitteilung über das Leben des Christus Jesus nicht in
den Evangelien steht. Ich
erwähne aus der Reihe der in dieser Beziehung
angeführten Tatsachen nur die
Erzählung von den beiden Jesusknaben. Aber es
ist mancherlei anderes auch, was heute aus
den rein geistigen Urkunden gefunden werden kann und was
wichtig ist für unsere Zeit, so wichtig ist für unsere Zeit, daß es eben
wünschenswert erscheint, daß die dazu vorbereiteten Seelen es nach und nach
kennenlernen. Vorläufig
muß allerdings in unserem Kreise bleiben, was aus
diesen Quellen heraus erzählt
wird. Aber es darf trotzdem so aufgefaßt
werden, als wenn es eben etwas wäre,
was bestimmt ist, sich so in die
Seelen unserer Gegenwart hineinzuergießen, daß man
ein noch viel anschaulicheres Bild
des Christus Jesus-Wirkens empfängt, als dies
bisher möglich gewesen ist.
Wenn Sie das nehmen, was ich im ersten
Vortrag als Einleitung vorgebracht
habe, so werden Sie daraus den Eindruck empfangen
haben, daß in unserer Zeit ein viel
bewußteres Erfassen der Gestalt des Christus Jesus notwendig ist, als es für
frühere Zeiten der Fall war.
Wenn etwa eingewendet werden sollte, daß es gegen die
christliche Entwickelung verstoßen würde, etwas Neues
über das Leben des Christus
Jesus vorzubringen, so braucht nur an den Schluß
des Johannes-Evangeliums erinnert zu
werden, wo ausdrücklich steht, daß
in den Evangelien die Dinge nur teilweise
aufgezeichnet sind, die geschehen
sind, und daß die Welt die Bücher nicht
hervorbringen könnte, die
notwendig wären, wenn alles, was geschehen ist,
aufgezeichnet werden sollte. Aus solchen Dingen kann man den
Mut und die Kraft empfangen, um
dann, wenn es in einem Zeitalter notwendig ist, Neues über das Leben des Christus
Jesus vorzubringen, dieses auch wirklich zu tun. Und wissen
kann man aus solchen Dingen,
daß es doch nur Engherzigkeit ist, wenn gegen solches
Vorbringen etwas gesagt wird.
Nun möchte ich an das erinnern, was
ich auch hier an diesem Orte öfter vorgebracht habe: daß im Beginne
unserer Zeitrechnung zwei Jesusknaben geboren worden sind. Wir wissen das ja
schon, und wir wissen auch, daß
der eine der beiden Jesusknaben so geboren worden ist, daß
in ihm das Ich, die Geistwesenheit des Zarathustra
verkörpert war, daß dieser Jesusknabe dann
ungefähr bis zu seinem zwölften Jahre mit dieser Geistwesenheit des
Zarathustra gelebt hat, bis zu jenem
Zeitpunkte, den das Lukas-Evangelium so schildert,
daß die Eltern den Jesus nach
Jerusalem geführt haben, ihn dann verloren
haben, und daß er gefunden wurde unter
den Schriftgelehrten, denen er in
einer Weise, die sie und die Eltern in Verwunderung setzte,
die Lehren ausgelegt habe, zu deren
Auslegung sie selber berufen waren. Aufmerksam darauf habe ich gemacht, daß diese
Szene, wie sie im Lukas-Evangelium
geschildert wird, in Wahrheit darauf hinweist, daß
das Ich des Zarathustra, das also durch
ungefähr zwölf Jahre in dem einen Jesusknaben gelebt hat, hinüberzog in den
anderen, jetzt ebenfalls zwölfjährigen Jesusknaben,
der bis dahin von einer ganz anderen Geistesart gewesen war; so daß wir jetzt jenen
Jesusknaben haben, der aus der
nathanischen Linie des Hauses David stammt, und der
das Zarathustra-Ich bis zum zwölften
Jahre nicht in sich hatte, es aber von jetzt ab in sich hat.
Es ist nun möglich, mit den Mitteln,
von denen ich öfter gesprochen habe, die man bezeichnen
kann als das Lesen in der Akasha-Chronik, weitere Einblicke
zu bekommen in das Leben jenes nun mit dem Zarathustra-Ich ausgestatteten Jesusknaben. Man
kann dabei drei Zeiträume in
dem Leben dieses Jesus unterscheiden. Der eine Zeitraum
erstreckt sich ungefähr vom zwölften bis zum
achtzehnten Lebensjahre, der zweite
vom achtzehnten bis zum vierundzwanzigsten und der dritte etwa vom vierundzwanzigsten Lebensjahre
bis zu dem Zeitpunkt, der durch die
Johannestaufe im Jordan gekennzeichnet wird, also bis gegen das dreißigste
Lebensjahr.
Fassen wir ins Auge, daß jener
Jesusknabe, der nun mit seinem zwölften Jahre das Zarathustra-Ich in sich hatte,
vor den Schriftgelehrten des israelitischen Volkes sich
darstellt als eine Individualität, die ein elementarisches
Wissen hatte über das, was das Wesen der jüdischen Lehre war, was das Wesen der alten
hebräischen Gesetzeskunde war, und daß er imstande
war, darüber in sachgemäßer Weise zu sprechen. Es lebte also in der Seele jenes
Jesusknaben diese althebräische
Welt. Alles das namentlich lebte in ihm, was heruntergekommen
war an Nachrichten über das Verhältnis des
hebräischen Volkes zu seinem
Gotte, was gewöhnlich als die Verkündigung des
Gottes des hebräischen Volkes an Moses
aufgefaßt wird. Wenn wir skizzenhaft sprechen, können wir also sagen: Ein
reicher Schatz aus der heiligen
Lehre dessen, was im hebräischen Volke war, lebte
in Jesus; und mit diesem Schatze,
mit diesem Wissen lebte er, das Gewerbe seines Vaters treibend,
in Nazareth, hingegeben dem, was er so wußte, es in seiner Seele verarbeitend.
Nun zeigt uns die Akasha-Chronik-Forschung,
wie für ihn das, was er so
wußte, ein Quell wurde von mancherlei seelischen
Zweifeln und seelischen Schmerzen,
wie er namentlich im tiefsten Sinne empfand, immer
gründlicher und unter schweren inneren
Seelenkämpfen empfand, wie zwar
einstmals in ganz anderen Zeiten der Menschheitsentwickelung
eine grandiose Verkündigung, eine grandiose
Offenbarung heruntergeflossen ist aus den
geistigen Welten in die Seelen
derjenigen, die damals, ausgestattet mit ganz anderen
Seelenkräften, eine solche Lehre empfangen konnten. Das
trat besonders vor die Seele jenes
Jesus, daß einst Menschen da waren mit ganz anderen
Seelenkräften, die hinaufschauen konnten zu den sich
offenbarenden Geistesmächten und in einer ganz anderen
Weise verstanden, was da geoffenbart wurde, als das
spätere Geschlecht, dem er selbst nun angehörte, das abgeleitete, das weniger
hinaufgeleitete Seelenkräfte
hatte, um das zu verarbeiten, was einst heruntergeleitet
worden war. Oft kam für ihn der
Augenblick, wo er sich sagte: Das alles ist einst verkündet worden, man kann es
heute noch wissen; aber nicht mehr
kann man es so voll erfassen, wie es diejenigen
erfaßt haben, welche es damals
bekommen hatten. — Und je mehr sich von diesem ihm innerlich offenbarte, je mehr er von
diesem in seine Seele hereinbekam, wie er es jetzt bekam, als er vor den jüdischen
Schriftgelehrten stand und ihnen ihre
eigene Gesetzeskunde auslegte, desto
mehr empfand er das Unvermögen der Seelen seiner Zeit,
sich hineinzufinden in das, was alte
hebräische Offenbarung war. Daher kamen ihm die Menschen, die Seelen seiner Zeit, die
Charaktereigentümlichkeiten dieser Seelen seiner Zeit so
vor wie die Nachkommen von Menschen, die einst große
Offenbarungen bekommen hatten, die
aber jetzt nicht mehr hinaufreichen konnten zu dieser
Offenbarung. Was einst hell flammend und
mit größter Wärme in diese Seelen gezogen sein mochte — so konnte er
sich oft sagen — , das
verblaßte jetzt, das kam einem in vieler Beziehung
öde vor, während die
Seelen es früher in tiefstem Sinne empfunden
hatten. So empfand er gegenüber
vielem, was jetzt durch Inspiration mehr und mehr in seiner Seele auftauchte.
Das war das Leben seiner Seele vom
zwölften bis achtzehnten Jahre,
daß sie immer tiefer und tiefer in die jüdische Lehre
eindrang, und immer weniger von ihr befriedigt sein konnte, ja,
daß sie ihm immer mehr
Schmerzen und Leiden machte. Es erfüllt die Seele
mit tiefster tragischer Empfindung, wenn
man darauf hinblickt, wie der Jesus
von Nazareth zu leiden hatte unter dem, was aus einer uralt
heiligen Lehre in einem späteren Menschengeschlecht
geworden war. Und oftmals sagte er
sich, wenn er still träumend, sinnend dasaß: Die Lehre ist einstmals heruntergeflossen,
die Offenbarung ward einstmals den
Menschen gegeben; aber jetzt sind die Menschen
nicht mehr da, die sie zu fassen
vermögen! — Das charakterisiert in skizzenhafter Weise die Seelenstimmung des Jesus von
Nazareth. Das wirkte in dem
Nachsinnen seiner Seele in jenen Augenblicken,
die ihm übrigblieben innerhalb der
Zeit, die er verbrachte als Handwerker, als Tischler oder als
Schreiner in Nazareth.
Dann kam vom achtzehnten bis zum
vierundzwanzigsten Jahre die Zeit,
in welcher er in nahen und auch in etwas ferneren
Gegenden herumzog. Er berührte
bei diesem Herumziehen, wo er in seinem Gewerbe an den
verschiedensten Orten arbeitete, nicht nur Orte
Palästinas, sondern auch außerhalb Palästinas.
Er lernte in diesen Jahren, in denen
die Menschenseele so frisch hingegeben an die Umgebung
vieles aufnimmt, viele Menschen und viele
Menschengesinnungen kennen, lernte
kennen, wie die Menschenseelen mit dem lebten, was
ihnen als uralt heilige Lehre geblieben
war, das heißt mit dem, was sie
davon verstehen konnten. Und es ist von vornherein
verständlich, daß auf ein
Gemüt, das durch sechs Jahre dieses durchgemacht
hatte, was ich eben erzählte,
alles, was an inneren Freuden, Leiden, Enttäuschungen auf
der Seele lastete, einen ganz anderen Eindruck machen
mußte als auf das Gemüt anderer Menschen. Jede Seele
war für ihn ein Rätsel,
das er zu lösen hatte; jede Seele war aber auch
etwas, das ihm sagte, daß sie
wartet auf etwas, was da kommen müsse.
Unter den mancherlei Gegenden, die er
berührte, waren auch solche, die dem damaligen Heidentume
angehörten. Eine Szene, die uns aus dem Geistgemälde dieser seiner Wanderungen
inner- und außerhalb Palästinas in der Zeit von
seinem achtzehnten bis vierundzwanzigsten Jahre
herüberleuchtet, machte einen ganz besonders tiefen
Eindruck. Da erblickt man ihn einmal ankommend an einer
heidnischen Kultstätte, an
einer solchen heidnischen Kultstätte, wie sie den
heidnischen Göttern unter diesem oder jenem Namen in
Asien, Afrika und Europa errichtet
waren. Es war eine jener Kultstätten, wie sie in
ihren Zeremonien erinnerten an die
Art, wie diese in den Mysterien auch geübt wurde, dort aber mit Verständnis
geübt wurde, während sie in diesen heidnischen Kultstätten oft in eine Art
äußerlichen Zeremoniells übergegangen waren.
Aber es war dies eine solche Kultstätte,
an die der Jesus von Nazareth kam, die von
ihren Priestern verlassen war, wo
also der Kult nicht mehr verrichtet wurde. Das war in
einer Gegend, wo die Leute in Not
und Elend, in Krankheit und Mühseligkeit lebten; ihre
Kultstätte war von den Priestern verlassen. Als der
Jesus von Nazareth aber an diese
Kultstätte kam, da versammelten sich die Leute um ihn herum, die Leute, die vielfach
geplagt waren von Krankheit, Elend
und Not, aber namentlich geplagt waren von dem
Gedanken: Das ist die Stätte, wo wir
uns einst versammelt haben, wo die
Priester mit uns geopfert haben und uns die Wirkung der
Götter gezeigt haben; jetzt
stehen wir vor der verlassenen Kultstätte.
Ein eigentümlicher Zug in der Seele
des Jesus tritt dabei dem spirituell
Betrachtenden entgegen. Schon bei anderen Wanderungen
konnte man bemerken, daß der Jesus
überall aufgenommen wurde in einer ganz besonderen Art. Die Grundstimmung seiner
Seele verbreitete etwas, was milde und wohltätig auf die
Menschen wirkte, in deren Kreisen er
sich aufhalten konnte. Er reiste von Ort zu Ort,
arbeitete da und dort in dieser oder
jener Schreinerwerkstätte und saß dann mit
den Leuten zusammen, mit denen er sich
unterhielt. Jedes Wort, das er
sprach, wurde in einer besonderen Weise aufgefaßt, denn es
war in einer ganz besonderen Weise
gesprochen; es war durchzogen von der Milde und dem Wohlwollen des Herzens. Nicht so sehr das
Was, sondern das Wie goß etwas wie einen Zauberhauch in
die Seelen der Menschen. Es bildeten sich überall
herzliche Verhältnisse zu dem Herumwandernden. Man nahm
ihn nicht wie einen anderen Menschen; man sah aus seinen Augen etwas Besonderes strahlen,
fühlte aus seinem Herzen etwas
Besonderes sprechen.
Und so war es auch, als ob in den Leuten,
die in Mühsal und in Elend und
Not um ihren Altar herumstanden und sahen, wie da ein
Fremder gekommen war, als ob in jeder Seele
gelebt hätte der Gedanke: Ein
Priester ist uns gekommen, der nun wieder das Opfer an
dem Altar verrichten will! —
Das war die Stimmung, die um ihn herum war, durch den Eindruck hervorgerufen, den sein Ankommen
machte. Es war, wie wenn er den
Heiden als Priester erschienen wäre, der wieder
ihr Opfer verrichten würde.
Und siehe da, als er so stand vor den
Versammelten, da fühlte er sich
in einem bestimmten Augenblicke wie entrückt, wie in einen
besonderen Seelenzustand gebracht — und er schaute
Grausiges! Er schaute am Altare und
unter der Volksmenge, die um ihn herum sich immer zahlreicher versammelte, das, was man
Dämonen nennen kann, und er
erkannte, was diese Dämonen zu bedeuten hatten. Er
erkannte, wie allmählich die heidnischen Opfer
übergegangen waren in etwas,
was solche Dämonen magisch herbeizog. Und so waren,
als Jesus an den Altar gekommen
war, nicht nur die Menschen
herbeigekommen, sondern auch die
Dämonen, die sich bei den früheren
Opferhandlungen an dem Altar versammelt
hatten. Denn dieses erkannte er: daß zwar solche
heidnische Opferhandlungen abstammten von dem, was in den alten Heidenzeiten und an guten
Kultstätten den wahren
Göttern, soweit sie für die Heidenzeit erkennbar
waren, an Opfertaten verrichtet
werden konnte, daß aber diese Opfer nach und
nach in Verfall gekommen waren. Es waren
die Geheimnisse ausgeartet, und statt daß die Opfer zu den
Göttern strömten, zogen diese Opfer und das, was an Gedanken in den Priestern lebte,
Dämonen herbei, luziferische
und ahrimanische Gewalten, die er jetzt wiederum
um sich sah, nachdem er in einen anderen
Bewußtseinszustand versetzt war. Und als die um ihn herum Versammelten gesehen
hatten, wie er in diesen anderen
Bewußtseinszustand versetzt war und deshalb hinfiel, da
ergriffen sie die Flucht. Die Dämonen aber
blieben.
Auf eine noch eindringlichere Art als der
Verfall der alten hebräischen Lehre war so vor die Seele
des Jesus von Nazareth der Verfall der heidnischen Mysterien
getreten. Von seinem zwölften bis achtzehnten Jahre hatte
er in sich erlebt, wie das, was einst der Menschheit gegeben
war, so daß es die Seelen wärmte und erleuchtete,
nicht mehr wirken konnte und so zu
einer gewissen Seelenverödung führte.
Jetzt sah er, wie an die Stelle der alten
wohltätigen Götterwirkungen Dämonenwirkungen luziferischer und ahrimanischer
Art getreten waren. Er sah den Verfall des Heidentums an dem,
was er da um sich herum spirituell
wahrgenommen hatte. Stellen Sie sich diese Seelenerlebnisse
vor, diese Art zu erfahren, was aus der Wirkung der
alten Götter und dem Verkehr
der Menschen mit den alten Göttern geworden war; stellen
Sie sich die Empfindung vor, die auf diese Weise erzeugt wird:
Die Menschheit muß dürsten nach Neuem, denn sie
wird elend in ihren Seelen, wenn
nicht Neues kommt!
Und der Jesus von Nazareth hatte damals,
nachdem die Dämonen ihn
sozusagen betrachtet hatten und dann den fliehenden
Menschen nachgezogen waren, eine Art
Vision, eine Vision, von der wir noch sprechen werden, in der ihm wie aus den geistigen
Höhen der Entwickelungsgang der Menschheit auf eine
besondere Art entgegentönte. Er hatte die Vision
dessen, was ich in einem
künftigen Vortrage mitteilen
werde, was wie eine Art von makrokosmischem Vaterunser ist. Er
empfand, was einstmals im reinen Wort, als reiner Logos
der Menschheit verkündet worden
war.
Als der Jesus von Nazareth von dieser
Wanderung nach Hause kam, war es
ungefähr um die Zeit — so stellt es uns die
spirituelle Forschung vor — , in welcher der Vater des
Jesus von Nazareth gestorben war. In
den folgenden Jahren dann, so vom vierundzwanzigsten
Jahre bis zu der Zeit, die
gekennzeichnet wird als die der Johannestaufe im
Jordan, machte der Jesus von Nazareth
Bekanntschaft mit dem, was man die
Essäerlehre und die Essäergemeinschaft nennen kann.
Die Essäer waren eine
Gemeinschaft, die ihren Sitz in einem Tale
Palästinas aufgeschlagen hatte.
Der Zentralsitz war einsam gelegen. Aber die
Essäer hatten überall
Niederlassungen; auch in Nazareth war etwas wie eine Art Niederlassung. Die Essäer hatten sich
die Aufgabe gestellt, ein besonderes Leben auszubilden, ein
besonderes Seelenleben, das aber im
Einklänge stehen sollte mit dem äußeren Leben,
wodurch die Seele sich
hinaufentwickeln konnte zu einem höheren
Standpunkte des Erlebens, wodurch
sie in eine Art Gemeinsamkeit mit der geistigen Welt kommen
konnte. In gewissen Graden stieg man auf zu dem,
was die Essäergemeinschaft ihren
Mitgliedern, ihren Mitbekennern als das Höchste geben wollte: eine Art Vereinigung mit
der höheren Welt.
Die Essäer hatten damit etwas
ausgebildet, was gewissermaßen eine solche Pflege der Menschenseele bewirken sollte, welche
diese Menschenseele wieder geeignet machte, zu fassen, was
durch den naturgemäßen Gang der
Menschheitsentwickelung nicht mehr gefaßt werden konnte:
den alten Zusammenhang mit der göttlich-geistigen
Welt. In strengen Regeln, die sich
auch auf die äußere Lebensweise bezogen, suchten die
Essäer das zu erreichen. Sie suchten es dadurch zu
erreichen, daß sie sich sozusagen
streng zurückzogen vor der Berührung mit alledem, was
äußere Welt war. Ein solcher Essäer hatte
kein persönliches Eigentum. Die
Essäer waren aus allen möglichen Teilen
der damaligen Welt zusammengekommen. Jeder
aber, der Essäer werden wollte, mußte das, was er an
Besitz hatte, abgeben an die Essäergemeinschaft; nur die
Essäergemeinschaft hatte Besitz, Eigentum.
Wenn also irgendwie jemand an einem Orte
etwas besaß, und er wollte Essäer werden, so übergab er das Haus und was
an Grundstücken dazugehörte, der Essäergemeinschaft. Dadurch
hatte diese an den verschiedensten Orten Besitzungen. Es ist
ein eigentümlicher Grundsatz in
der Essäergemeinschaft gewesen, der heute ganz gewiß
nach unseren Anschauungen Anstoß erregen kann, der aber
eben notwendig war für alles,
was die Essäer gerade wollten. Sie pflegten das
Leben der Seele dadurch, daß
sie sich widmeten einem reinen Leben, einem Leben in Hingabe an die Weisheit, aber auch einem
wohltätigen Leben in Liebe. So
waren sie auch die, welche überall, wo sie hinkamen
— und sie zogen ja in der Welt herum, um eben ihre
Aufgabe zu erfüllen — ,
Wohltaten wirkten. Ein Teil ihrer Lehre war die Heilung der
Kranken. Heilend wirkten sie überall nach der Art der
damaligen Zeit. Aber auch an materieller Wohltätigkeit
taten sie viel. Und da war jener
Grundsatz geltend, der in unserer heutigen sozialen Ordnung
nicht nachgeahmt werden kann, wohl auch nicht nachgeahmt
werden darf: ein Essäer konnte jeden
unterstützen, den er für bedürftig hielt, nur
keinen Familienangehörigen.
Es galt diesen Essäern als Ideal,
daß sie das Ziel hatten, die Seele zu vervollkommnen, um sie wieder zu einem Zusammenhang mit
der geistigen Welt zu führen.
Dieses Ziel der Essäer war darauf angelegt,
an die Seele des Essäers nicht
herankommen zu lassen die Versuchungen von Ahriman und Luzifer.
Wir könnten also auch das Essäerideal so
charakterisieren, daß wir sagen: Der Essäer versuchte
alles, was man nennen kann
luziferische und ahrimanische Verlockungen, von sich fernzuhalten. Er versuchte so zu leben,
daß das, was ahrimanisches Herabziehen in die
Sinnlichkeit, in die äußere Welt, in das
materialistische Leben ist, gar nicht an
ihn herankommen konnte. Er versuchte
aber auch ein Leben in der Reinheit des Körpers zu
führen, damit die aus der Seele
aufsteigenden luziferischen Verlockungen und
Versuchungen diese Seele nicht befallen
konnten. Er versuchte also ein
solches Leben zu führen, daß Luzifer und Ahriman
nicht an die Essäerseele
herankommen konnten.
Durch die ganze Art und Weise, wie sich der
Jesus von Nazareth entwickelt hatte,
kam er in ein Verhältnis zu den Essäern, wie es
bei einem anderen Menschen nicht
möglich gewesen wäre, und in den Jahren, von denen ich hier spreche, überhaupt
nicht möglich geworden wäre, wenn er nicht selbst
Essäer geworden wäre. Der Jesus von
Nazareth durfte sogar an der
Zentralstätte der Essäer, soweit das
überhaupt nur irgend möglich war
innerhalb der strengen Regeln des Essäerordens, die Räumlichkeiten, die
heiligsten, einsamsten Räumlichkeiten betreten, durfte
Gespräche mit den Essäern pflegen, die sie
sonst nur untereinander pflegten. Er konnte
sich dabei einweihen in das, was
tiefste Ordensregeln der Essäer waren. So lernte er
kennen, wie der einzelne Essäer
fühlte und strebte und lebte, und er lernte vor
allem empfinden — und das ist etwas
von dem, worauf es ankommt — , was als äußerste Möglichkeit für
eine Seele seiner Zeit bestand, um durch Vervollkommnung wieder heranzudringen zu der
uralt heiligen Offenbarung. Das
alles lernte er kennen.
Eines Tages, als er die Versammlung der
Essäer verließ, hatte er ein bedeutsames Erlebnis. Als er zum Tore der einsamen
Wohnstätte der Essäer
hinausging, sah er zwei Gestalten von beiden Seiten des
Tores wie wegfliehend, und er konnte
empfinden, daß Luzifer und Ahriman das seien. Und öfter wiederholte sich ihm dies wie
eine ähnliche Vision. Die
Essäer waren ja ein an Menschen sehr zahlreicher
Orden. Sie hatten überall ihre
Niederlassungen auf die Art, wie ich es geschildert habe. Daher
wurden sie als solche auch in einer gewissen Weise
respektiert, obwohl sie ihr soziales Leben
in einer ganz anderen Art führten als die anderen Menschen der damaligen
Zeit. Die Städte, die sie
besuchten, machten ihnen besondere Tore; denn der Essäer
durfte — das gehörte zu seinen Regeln — durch kein
Tor gehen, an dem ein Bildnis
angebracht war. Er mußte, wenn er in eine Stadt wollte
und an ein Tor kam, wo ein Bildnis
angebracht war, wieder umkehren und
an einem anderen Orte zur Stadt hineingehen, wo kein
Bildnis angebracht war. In dem
ganzen System der Essäer-Vervollkommnungslehre spielte das
eine gewisse Rolle, denn es war so, daß nichts
von Legendenhaftem, Mythischem oder
Religiösem im Bilde dargestellt werden durfte. Das
Luziferische der Bildimpulse wollte der Essäer dadurch fliehen. So lernte denn auf seinen
Wanderungen der Jesus von Nazareth
die bildlosen Essäertore kennen. Und immer wieder und
wieder zeigte sich ihm an diesen bildlosen Essäertoren,
wie Luzifer und Ahriman wie
unsichtbare Bildnisse sich dort hingestellt hatten, wo die sichtbaren Bildnisse verpönt waren.
Es waren das bedeutsame Erfahrungen in dem Leben des Jesus von
Nazareth.
Was ergab sich ihm aus diesen bedeutsamen
Erfahrungen im Zusammenhange mit den zahlreichen
Gesprächen, die er haben konnte mit den Essäern, die eine hohe
Vollkommenheitsstufe erlangt hatten? Es ergab sich ihm etwas, was wieder ungeheuer
bedrückend, tief, tief bedrückend auf seine Seele wirkte, was ihm
unendliche Qualen und Schmerzen
machte. Es ergab sich ihm nämlich, daß er sich
sagen mußte: Ja, da ist eine
streng in sich abgeschlossene Gemeinschaft; da
sind Leute, die streben darnach, in der
Gegenwart einen Zusammenhang zu bekommen mit den spirituellen
Mächten, mit der göttlichgeistigen Welt. Es ist also
auch in der Gegenwart noch etwas da unter den Menschen, was diesen Zusammenhang wieder zu
bekommen sucht. Aber auf welche
Kosten hin? Auf das hin, daß diese Gemeinschaft der
Essäer ein Leben führt, welches die anderen Menschen
nicht führen konnten. Denn
hätten alle Menschen das Leben der Essäer
geführt, so wäre eben das Leben
der Essäer nicht möglich gewesen. Und jetzt ging ihm auf ein auf seine Seele ungeheuer
bedrückend wirkender
Zusammenhang: Wohin fliehen denn Luzifer und Ahriman, sagte er
sich, wenn sie von den Toren der Essäer wegfliehen?
Sie fliehen dahin, wo die Seelen der
anderen Menschen sind! Dazu also hatte es die Menschheit gebracht, daß eine
Gemeinschaft sich aussondern muß, wenn sie den
Zusammenhang mit der göttlich-geistigen
Welt finden will. Und weil sie sich
aussondert, sich so aussondert, daß sie sich in ihrem ganzen sozialen Zusammenhalt
nur entwickeln kann, indem sie die
anderen Menschen von sich ausschließt, verurteilt
sie die anderen Menschen, gerade um so
tiefer in das hineinzusinken, was
sie, diese Essäergemeinschaft, floh. Dadurch, daß die
Gemeinschaft der Essäer stieg, mußten die anderen um
so mehr fallen! Dadurch, daß der Essäer ein Leben
führte, welches Luzifer und Ahriman nicht mit ihm in Berührung kommen ließ,
konnten Ahriman und Luzifer gerade versuchend und verlockend zu
den anderen Menschen hin kommen.
Das war des Jesus von Nazareth Erfahrung
mit einem esoterischen Orden. Was in
seiner Zeit mit der jüdischen Gesetzeskunde zu erfahren
war, das hatte er schon in früheren Jahren in seiner Seele
erfahren. Wozu die heidnischen Kulte
in seiner Zeit gekommen waren, das hatte er ebenfalls in früheren Jahren in seiner
Seele erfahren, als ihm die
Dämonenwelt in bedeutungsvollem Augenblicke vor die
Seele getreten war. Jetzt hatte er
hinzuerfahren, auf welche Kosten hin die Menschheit seiner Zeit ihre Annäherung suchen
mußte zu den göttlich-geistigen Weltengeheimnissen.
So leben wir in einer Zeit — das trat bitter vor seine Seele — , in welcher jene, die
den Zusammenhang mit dem
Göttlich-Geistigen suchen, in enger Gemeinschaft und auf
Kosten der anderen Menschen dieses
tun müssen. So leben wir in einer Zeit,
in welcher der Schrei der Sehnsucht ist
nach einem solchen Zusammenhange mit der
göttlich-geistigen Welt, der allen Menschen werden kann.
Das hatte sich auf seine Seele drückend gelegt.
Und wie sich das so auf seine Seele legte,
da hatte er einmal gerade innerhalb
der Essäergemeinschaft auch ein geistiges Gespräch
mit der Seele des Buddha. Viel
Ähnlichkeit mit dem, was der Buddha auf die
Welt gebracht hatte, hatte ja die ganze Art
und Weise der Essäergemeinschaft. Und der Jesus sah sich
dem Buddha gegenüberstehen und vernahm, von dem Buddha sich selber gesagt: Auf dem
Wege, den ich der Menschheit gegeben
habe, kann doch nicht der Zusammenhang mit der göttlich-geistigen Welt an alle Menschen
herankommen; denn ich habe eine
Lehre begründet, die, wenn sie in ihren höheren
Gliedern begriffen und erlebt werden soll, eine solche
Absonderung notwendig macht, wie sie in dieser Lehre enthalten
ist. — Mit ganzer Schärfe, mit ganzer Gewalt stand es vor der Seele
des Jesus von Nazareth, wie der Buddha eine Lehre
begründet hat, die voraussetzt, daß
außer denen, die sich zum Intimsten
dieser Lehre bekennen, eben wieder
andere Menschen da sein müssen, die sich nicht zu diesem
Intimsten bekennen können. Denn wie hätten Buddha und
seine Schüler hingehen
können mit der Opferschale in der Hand und Almosen
sammeln, wenn es nicht solche Menschen gegeben hätte, die
ihnen Almosen hätten geben können? Das hörte er
nun von Buddha, daß seine Lehre
nicht eine solche war, die jeder Mensch in jeder Lage des
Lebens zur Ausbildung bringen
konnte.
Welche Entwickelungsmöglichkeiten in
seiner Zeit vorhanden waren, das hatte der Jesus von Nazareth
in den drei Perioden seines Lebens
vor der Johannestaufe im Jordan erfahren, hatte es nicht
so erfahren, wie man etwas lernt,
sondern so, wie man etwas erlebt, wenn man in unmittelbare, allernächste Berührung
mit diesen Dingen kommt. Er war in
allernächste Berührung gekommen mit der alten
jüdischen Gesetzeskunde, indem diese
in ihm aufgeleuchtet hatte auf inspiratorische Art, und er in sich etwas hatte erleben
können wie einen Nachklang der
Offenbarungen, die an Moses und die Propheten
ergangen waren. Er hatte aber auch dabei
erleben können, wie es einer Seele seiner Zeit mit der damaligen Leibesorganisation
nicht mehr möglich war, diese
Dinge voll zu erfassen. Andere Zeiten waren gekommen als die, in welchen man die alte jüdische
Gesetzeskunde hatte voll aufnehmen
können. Und wie der Verfall der heidnischen
Mysterien die Dämonenwelt
herbeigerufen hatte, das hatte er ebenfalls durch
allernächste Berührung erfahren, durch eine Erfahrung
in der übersinnlichen Welt,
indem er nicht nur die Menschen herbeigerufen hatte, die durch
die verfallene Kultstätte in Not und Elend
versetzt worden waren, sondern auch die
Dämonen, die statt der guten alten heidnischen Kräfte sich um die
Opferstätte versammelt hatten. Und wie es trotz den Anforderungen der kommenden Zeit
den Menschen unmöglich war, etwas von dem tiefsten
geheimen Wissen des Essäerordens zu erfahren, das hatte er
während der sechs Jahre vor der Johannestaufe erlebt.
Was man aus der Betrachtung der
Akasha-Chronik auf diesem Gebiete
gewinnt, das ist die Erkenntnis, daß hier durch innere
seelische Erfahrung etwas erlitten worden ist, was von keiner
anderen Seele auf der Erde jemals
hat gelitten werden können. Gerade für dieses Wort,
das ich jetzt eben ausgesprochen habe, ist vielleicht
nicht das volle Verständnis in
unserer Zeit vorhanden. Daher möchte ich
hier etwas einschalten. Ich werde
nämlich im weiteren Verlaufe der Mitteilungen aus dem Fünften Evangelium
auszuführen haben, wie sich
diese Leiden noch ins Ungeheure steigerten in der Zeit
zwischen der Johannestaufe im Jordan
und dem Mysterium von Golgatha. Unsere Zeit könnte leicht
einwenden: Aber warum soll eine so hohe Seele
überhaupt leiden? Denn unsere Zeit hat
ja sonderbare Begriffe über diese Dinge. Und wenn ich die ganze Tiefe des Jesus-
und später des Christus-Leidens
zu erörtern haben werde, so muß ich Sie schon
aufmerksam machen auf manche Mißverständnisse, welche
da entstehen.
Ich habe schon öfter erwähnt,
auch hier, daß in der letzten Zeit von Maurice Maeterlinck ein Buch erschienen ist, «Vom Tode», das man
aus dem Grunde lesen sollte, damit
man sehen kann, wie Absurdes ein solcher Mensch schreiben kann,
der sonst auch Gutes auf dem Gebiete des geistigen Lebens geschrieben hat. Unter manchem
Absurden findet sich in diesem Buche Maeterlincks auch die
Behauptung, daß ein Geist, der
keinen Leib hat, nicht leiden könne, weil nur ein
physischer Leib leiden könne.
Daraus zieht dann Maeterlinck die Folgerung, daß
ein Mensch, der seinen Leib verlassen habe,
in der geistigen Welt nicht leiden
könne. Wer so denkt, könnte auch leicht zu der
Folgerung kommen, daß die
Christus-Wesenheit, nachdem sie in den Leib des
Jesus von Nazareth eingezogen war, nicht
hat leiden können. Trotzdem werde ich das nächste Mal
zu schildern haben von tiefstem Leiden gerade des Christus in
dem Leibe des Jesus von Nazareth.
Sonderbar ist es allerdings, wie ein Mensch
mit gesunder Vernunft glauben kann,
daß ein physischer Leib leiden kann. Leiden kann ja
doch nur die Seele im physischen Leibe,
denn der physische Leib kann keine
Schmerzen und Leiden haben. Was Schmerz und Leid ist,
das sitzt in dem seelisch-geistigen
Teile eines Leibes, und die körperlichen
Schmerzen sind eben solche, die verursacht
werden durch Unregelmäßigkeiten des physischen
Organismus. Insofern der physische Organismus ein Organismus
ist, sind es Unregelmäßigkeiten. Man kann
in ihm eine Muskelzerrung haben und so
weiter; aber der physische Leib, die
physische Organisation leidet nicht, wenn auch die
Materie von einem Orte zum anderen
gezerrt wird. Ebensowenig wie ein Strohsack leiden kann, wenn man das Stroh herumwirft,
ebensowenig kann ein physischer Leib
leiden. Aber weil ein geistig-seelisches Wesen in dem Leibe steckt, so leidet dadurch, daß
etwas nicht so ist, wie es sein
muß, das Geistig-Seelische. So ist das, was leidet,
das Geistig-Seelische; und immer ist es das
Geistig-Seelische. Und je höher
das Geistig-Seelische steht, desto mehr kann es leiden, und
je höher es steht, desto mehr
kann es leiden unter geistig-seelischen Eindrücken.
Das sage ich, damit Sie sich eine
Empfindung, ein Gefühl zu bilden versuchen, wie die Zarathustra-Wesenheit in diesen
Jahren litt unter dem Erleben
dessen, daß die alten Offenbarungen unmöglich
geworden sind für dasjenige, was die Menschenseele in der
neueren Zeit braucht. Das war
zunächst das unendliche Leiden, das mit keinem
Leiden der Erde zu vergleichen ist, das uns
entgegentritt, wenn wir Akasha-Chronik-mäßig den heute ins Auge
gefaßten Teil des Lebens des
Jesus von Nazareth betrachten.
Am Ende des Zeitraumes, den ich zuletzt
charakterisiert habe, hatte dann der
Jesus von Nazareth ein Gespräch mit der Mutter.
Dieses Gespräch mit der Mutter war
für dasjenige entscheidend, was
er nun unternahm: den Weg zu demjenigen, zu dem er schon
durch sein Verhältnis zu dem
Essäerorden in eine Art von Beziehung getreten war, was er unternahm als den Gang zu Johannes
dem Täufer. Über dieses Gespräch mit der Mutter,
das dann entscheidend ist für
das Folgende in dem Leben des Jesus von Nazareth, werde
ich das nächste Mal
sprechen.
Betrachten Sie — das möchte ich
heute zum Schlüsse sagen — die Mitteilungen über dieses Fünfte Evangelium
als etwas, was gegeben wird, so gut
es gegeben werden kann, weil die geistigen Mächte
unserer Zeit es erfordern, daß eine
Anzahl von Seelen von jetzt ab von
diesen Dingen wisse. Betrachten Sie aber auch das, was
gegeben wird, mit einer gewissen
Pietät. Denn ich habe hier schon einmal
erwähnt, wie wild das äußere
Geistesleben Deutschlands, selbst bei den redlicher Denkenden, in dem Momente geworden ist,
als zuerst eine
Veröffentlichung gemacht worden ist nur über die zwei
Jesus-knaben. Solche Dinge, die aus der geistigen Welt
herausgeholt werden, die unmittelbar geistigen Forschungen
entstammen, solche Dinge kann das
außerhalb unserer Bewegung stehende Publikum eben durchaus
noch nicht vertragen, kann sie nicht vertragen. Und in der
mannigfaltigsten Art treten einem die Dinge dann entgegen, die
wie eine wilde Leidenschaft
vernehmbar sind, und die abwehren wollen so etwas, was wie eine neue Verkündigung aus der
geistigen Welt heraus kommt. Es ist
nicht notwendig, daß durch unvorsichtiges Schwatzen
diese Dinge ebenso herabgewürdigt und
lächerlich gemacht werden, wie
das mit der Geschichte der beiden Jesusknaben geschehen
ist, denn uns sollen diese Dinge
heilig sein.
Es ist eigentlich durchaus nicht leicht,
über diese Dinge in der Gegenwart zu sprechen, eben in Anbetracht des
Umstandes, daß gegen diese
Dinge die Widerstände am allergrößten sind. Und
es ist im Grunde genommen doch das,
was ich oftmals schon charakterisiert habe: die unendliche Bequemlichkeit der Menschenseelen
in unserer Zeit, die auf Genaueres
der Geistesforschung doch nicht eingehen will und daher sich auch keine Einsicht verschaffen
will in die Möglichkeit, zu solchen Dingen zu kommen. Es
ist schon so in der Gegenwart, daß auf der einen Seite der
lechzende Ruf nach Offenbarungen der geistigen Welt in den
verborgenen Tiefen der Menschenseele sitzt, und daß auf
der anderen Seite der bewußte Teil der Menschenseele in
unserer Zeit gerade dann am leidenschaftlichsten ablehnend
wird, wenn von solchen Kundgebungen aus der geistigen
Welt gesprochen wird.
Bedenken Sie die Worte, die ich als
Abschluß der heutigen Betrachtung gesagt habe, und nehmen
Sie sie als Richtschnur dafür, wie die Dinge, welche wir über das Fünfte
Evangelium sprechen, von uns
genommen sein wollen.
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