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Aus der Akasha-Forschung. Das Fuenfte Evangelium

Schmidt-Nummer: S-2852

Online seit: 6th November, 2007

München, 10. Dezember 1913
Zweiter Vortrag

Bevor ich fortfahren werde, Ihnen einiges Weitere aus dem Fünften Evangelium mitzuteilen, gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu machen, die zusammenhängen mit der Bekanntgabe dieses Fünften Evangeliums. Es wird keineswegs im weiteren Kreise der Gegenwart schon die Bedeutung desjenigen erfaßt, was durch den Okkultismus, die Geisteswissenschaft an unsere Zeit herangebracht werden soll, denn es ist noch allzuwenig Neigung vorhanden in weiteren Kreisen, sich zu befassen mit den niedergehenden Kulturelementen unserer Zeit, namentlich den geistigen Kulturelementen und denen, die einen Aufstieg bedeuten und gewissermaßen der Anfang sind zu einer Erneuerung unseres geistigen Lebens, und die doch keine andere Gestalt annehmen können als die, welche zu einer, wenn auch heute noch so sehr verpönten Bekanntschaft mit den Tatsachen der konkreten okkulten Forschung führen.

Die Bitte vor allen Dingen möchte ich an Sie richten, im Zusammenhang mit dem eben Gesagten zu bedenken, daß solche Mitteilungen aus konkreter okkulter Forschung heute noch mit einer gewissen Pietät behandelt werden müssen. Unsere Zeit ist ganz und gar nicht geneigt, ohne weiteres solche Dinge aufzunehmen und nur das Mitleben, das Mit-ihnen-Empfinden aus Lebensimpulsen, die wir in uns aufnehmen in unserem anthroposophischen Zusammensein, macht unsere Seelen geeignet, diese Dinge im rechten Licht zu sehen. Wenn sie aber an Unvorbereitete übertragen werden, dann zeigt schon das, was durch den Druck der Öffentlichkeit übergeben werden mußte über die beiden Jesusknaben, wie wild auch die Gutmeinendsten wurden. Ich will ganz absehen von den zahlreichen törichten Angriffen, die gegen solche Dinge gerichtet werden. Wie wild und leidenschaftlich sind solche Dinge aufgenommen worden! Man kann sich heute nicht denken, daß aus der geistigen Welt heraus Erkenntnisse, die weniger einen abstrakten, die einen so konkreten Charakter haben wie die Forschungsergebnisse, die vorgestern mitgeteilt worden sind, wirklich als Erkenntnisse herausgeholt werden können. Das hängt zusammen — wenn es auch nicht ohne weiteres erkennbar ist, daß es zusammenhängt — mit jener gründlichen Oberflächlichkeit namentlich auch des Denkens und Vorstellens, welche unsere zeitgenössische Weltanschauungsliteratur ergriffen hat.

Nicht um überflüssigerweise kritisch zu sein, erwähne ich gerade innerhalb unserer Zweige das eine oder das andere, sondern um unsere Freunde aufmerksam zu machen, wie jämmerlich es steht auch mit der reinen Denklogik in unserer Zeit. Es ist in unserer Zeit nicht vorhanden Unterscheidungsvermögen. Man nimmt, mehr als man glaubt — namentlich da man immer schreit über das sich Emanzipieren von jeglicher Autorität — , gern und willig alles auf Autorität hin an, besonders in den Kreisen, die sich heute oft für die gebildetsten halten. Man erlebt solche Dinge immer wieder, die — selbst wenn es nur durch Inanspruchnahme der Zeit geschehen kann, die sonst besser zu verwenden wäre — erwähnt werden müssen, Dinge wie ich sie in Berlin erleben mußte bei einem Vortrag, den ich in einem Weltanschauungsbund über Giordano Bruno hielt und wo ich zu erwähnen hatte — es ist das lange her — , wie wenig unsere Zeit geeignet ist, sich in das Gedankengefüge großer Persönlichkeiten wie Giordano Bruno wirklich hineinzufinden. Ich machte damals aufmerksam auf die Denkverirrung, die mit einer Empfindungsverirrung zusammenhängt, in einem damals berühmten Buch, in Harnacks «Wesen des Christentums».

Ich habe gestern im öffentlichen Vortrag bemerkt, daß ich, wenn ich etwas erwähne, um es zu bekämpfen, nicht damit sagen will, daß die Kapazität, die Wissenschaftlichkeit dieser Persönlichkeit damit abfällig beurteilt werden soll. Ich will damit gerade zeigen, wie das Bedeutende zu gleicher Zeit verheerend wirkt durch die suggestive Wirkung. So mußte man dazumal die Erfahrung machen, daß diese Schrift, «Wesen des Christentums», von einem der berühmtesten Theologen der Gegenwart als etwas sehr Bedeutendes angesehen worden ist. Da geht man nicht ein auf Einzelheiten. Da wird in dieser Schrift vertreten zum Beispiel die Anschauung über die Auferstehung des Christus Jesus, die etwa so lautet: Was auch geschehen sein mag damals in Palästina, das können wir heute nicht mehr wissen, so daß man den Auferstehungsbegriff nicht zu rekonstruieren braucht; aber ausgegangen ist von dieser Tatsache in Palästina der Glaube an die Auferstehung. An diesen Glauben halte man sich, gleichgültig was geschehen sein mag, das zu diesem Glauben geführt haben könne.

Der Vorsitzende dieses Weltanschauungsbundes sagte mir nach dem Vortrag, er habe Harnacks «Wesen des Christentums» genau gelesen, aber er habe diese Stelle in dem Buche nicht gefunden. Das wäre ja eine katholische Anschauung. Die Katholiken sagen: Es kommt nicht darauf an, ob das in Trier der Heilige Rock sei, sondern auf den Glauben, daß es der Rock sei. Er wandte sich zwar dagegen, erklärte aber, es stände nicht in dem Buch. Am nächsten Tag schrieb ich ihm die Seite, wo es selbstverständlich steht. Der gelehrte Herr liest einfach darüber hinweg. So verheerend ist heute alles das, was als Autorität suggestiv wirkt, daß man es nicht bemerkt, aber diejenigen, die sich im wahren Sinne Anthroposophen nennen, müssen so etwas merken, denn es ist das Allerverheerendste in der heutigen Geisteskultur.

Der Name Eucken ist bekannt als der des Wiederherstellers des Idealismus. Eine berühmte Preisstiftung ist ihm zuteil geworden. Er soll darum nicht beneidet werden. Er schrieb ein Buch unter dem Titel: «Können wir noch Christen sein?» Da findet sich, daß auf einer Seite gesagt wird: Solche Dinge können wir als Gebildete der Gegenwart nicht mehr hinnehmen, daß Leute von Dämonen sprechen, wie zur Zeit als Christus auf der Erde wandelte. An Dämonen kann kein gebildeter Mensch der Gegenwart mehr glauben.

Wenn der «gebildete» Mensch der Gegenwart das liest, so fühlt er sich sehr geschmeichelt. Der ihm das Kompliment macht, ist sein Mann. Ob dieser Gebildete merkt, daß sich einige Seiten weiter in demselben Buche ein anderer Satz findet «Die Berührung von Göttlichem und Menschlichem erzeugt dämonische Mächte»? Das wird so hübsch hingenommen. Wenn man das anführt als Unsinn, hört man die Antwort: Das meint er nicht im Sinne des Dämonischen. — Wenn man diese Antwort hört, muß man besonders betrübt sein, denn aus dieser Antwort wird vollständig klar, daß man heute die Worte in gewissenloser Weise braucht, ohne daran zu denken, ihnen den Sinn zu geben, den sie haben sollen. Das ist das Furchtbare.

Daher kann es auch nur kommen, daß eine so betrübende Erscheinung zutage getreten ist wie das Buch, das jetzt schon, trotzdem es drei dicke Bände umfaßt, eine zweite Auflage erlebt, das Buch «Kritik der Sprache» von Fritz Mauthner, der durch die Verfassung eines großen philosophischen Wörterbuches der Mann für viele geworden ist. Solche Erscheinungen müssen heute besprochen werden, wenn es auch nicht angenehm ist. Die «Kritik der Sprache» soll die letzte bedeutende Kritik alles philosophischen Weltanschauungsstrebens sein. Ganz bedeutend ist das Buch im Sinne der äußeren Gescheitheit der Gegenwart. Nicht bestritten soll werden, daß es ein bedeutendes Buch ist, voller geistreicher Apercus. Abgekanzelt wird da die ganze Weltanschauungsvergangenheit der Menschheit. Bei der Abkanzelung einer Weltanschauungsströmung, die mir auch nicht sympathisch sein kann, gebraucht der Kritiker ganz ernsthaft folgendes Bild: Der da von dieser Weltanschauung spricht, ist wie ein Clown, der auf eine freistehende Leiter steigt und sie dann, oben angekommen, zu sich hinaufziehen wollte. Er wird herunterpurzeln. — Aber ich bitte Sie: Wie macht man das, wenn man eine Leiter senkrecht aufgestellt hat und hinaufgestiegen ist und dann oben sie zu sich hinaufzieht und dann herunterpurzelt? Wie vollzieht man einen solchen Gedanken, ohne gedankenlos zu sein? Diesen hohlen Gedanken bemerken die meisten Leute nicht, weil heute wenig Übung in der Logik da ist. Sonst würde man bemerken, daß heute in jedem zweiten Buch auf jeder zwanzigsten Seite solche Ungedanken sich finden. Das muß auch einmal erwähnt werden, weil es charakteristisch ist dafür, wie heute gedacht wird, wie das Denken suggestiv beeinflußt wird. Ich habe dieses Beispiel nicht ohne Bedeutung angeführt, denn für den der denken kann, ist das ganze Buch mit derselben Logik geschrieben, aber man merkt es nicht. Viele werden nicht einmal die Unmöglichkeit dieses Gedankens bemerken, sondern so, wie das Geistesleben heute nun einmal ist, wird eine solche literarische Erscheinung als etwas ungeheuer Bedeutendes ausposaunt und viele glauben, daß das so ist, studieren es, und aus der Summe derer, die in einer solchen Weise denken können, rekrutieren sich die Gegner der Geisteswissenschaft.

Ich finde es brutal, daß ich dieses zu sagen genötigt bin, aber es muß schon einmal gesagt werden, weil Sie nicht ungewarnt sein sollen vor dem, was heute passiert. Wenn auch nicht viele das Buch lesen werden, aber das, was davon abstammt, wandert in viele Bücher und Vorträge und figuriert als Logik. Daher kommt es ja, daß es so unendlich schwierig ist gegenüber dem unreifen Denken unserer Zeit, nicht nur mit geisteswissenschaftlichen Gedanken zu kommen, sondern mit den positiven Resultaten der Akasha-Forschung, von denen ich das letzte Mal sprach. Das nötigte mich zum Aussprechen der Worte, die eben gebraucht worden sind, daß wirklich von unseren Freunden empfunden werden sollte die Notwendigkeit, sich gründlich und tief zu durchdringen — gerade dann, wenn es sich darum handelt, Dinge zu behandeln, bei denen das gewöhnliche Denken nicht mehr ausreichen kann — mit der Anschauung von der Notwendigkeit eines streng geschulten Denkens. Sonst wird es selbstverständlich noch lange dauern, bis wir dahin kommen, daß wir gegenüber dem Denknebel unserer Zeit, der sich so kritisch gebärdet, mit positiver okkulter Forschung durchkommen. Selbstverständlich kann diese nur einer aufnehmen, der seine Seele durch die Ergebnisse der Geisteswissenschaft, die mehr in Gedanken geprägt werden können, erst vorbereitet hat. Zu solchen nur kann man sprechen von Dingen, in die man mit bloßen Gedanken nicht mehr hineinkommen kann, sondern die erzählt werden müssen, wie sie sich ergeben aus der Akasha-Forschung. Nicht unzusammenhängend — trotzdem es nur Erzählungen sind, was ich als Fünftes Evangelium gab — sind sie mit dem, was in strengem Gedankengefüge auch die Geistesforschung zu geben hat, wenn es auch nicht sogleich so erscheint.

Die Ablehnung dieser konkreten Forschungsresultate rührt von nichts anderem her als davon, daß das moderne Denken zu stumpf ist, um wirklich in die Ergebnisse der Geistesforschung einzudringen. Erkennen sollte man, daß es natürlich ist, daß ein Mensch, der solche Gedanken formen kann wie sie angeführt wurden, gar nicht in der Lage ist, in die Geisteswissenschaft wirklich einzudringen. Das ergibt die Richtlinie, die wir einhalten sollen gegenüber dem, was sich heute vielfach als philosophische Weltanschauungsliteratur brüstet. Das macht notwendig, daß wir uns gerade bei Besprechung solcher Dinge durchdringen mit dem Gedanken von der Notwendigkeit, daß solche Dinge gegenwärtig wenigstens an einige Seelen herankommen, damit sie allmählich in der richtigen Weise in das Geistesleben der Gegenwart einfließen.

Nun habe ich öfter auf das Mysterium von Golgatha hingewiesen, auf die Momente davon, welche durchaus einem strengen Denken begreiflich sein müssen, wenn dieses einsetzen will in der Betrachtung der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit. Eine wirkliche Betrachtung der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit haben wir im Grunde genommen gar nicht. Wir haben heute keine Geschichte, kein verständnisvolles Eindringen in das, was geschehen ist. Haben wir das einmal, dann wird man erkennen, wie in der Zeit vor dem Mysterium von Golgatha in der Tat die Menschheitsentwickelung eine absteigende war, und wie durch Golgatha ein Impuls eintrat, wodurch der Menschheit jene Verjüngung gegeben wurde, die die alt gewordenen Kulturkräfte influenzierte. Durch die Betrachtung der konkreten Ereignisse, die sich in Palästina abspielten, wird wahrhaftig dieser allgemeine Gedanke nicht herabgestimmt, er wird im Gegenteil erhöht durch Erkennen des Konkreten, das sich zugetragen hat.

Vorgestern bin ich in der Erzählung gekommen bis dahin, wo der Jesus von Nazareth nach dem Gespräch, das er mit seiner Ziehmutter hatte und wo das Ich des Zarathustra sich losgelöst hatte von den drei Leibern, die dann in einer eigenartigen Zusammenfügung ohne ein menschliches Erden-Ich waren, den zwei Essäern begegnete. Ich habe versucht, diese Szene zu schildern; geschildert habe ich sie bis zu dem Punkte, wo Jesus, nachdem er mit ihnen sprach, ihnen gegenüberstand, wie wenn er sich auflöste, und sie ihn erblickten wie eine Fata Morgana, aus der die Worte ertönten: Eitel ist euer Streben, weil leer ist euer Herz, weil ihr euch erfüllt habt mit dem Geiste, der den Stolz in der Hülle der Demut täuschend birgt. — Als sie das gehört hatten, diese zwei Essäer, waren ihre Augen für eine Weile wie getrübt. Sie sahen ihn dann erst wieder, als er schon eine Strecke weitergegangen war. Ich konnte aus der Akasha-Chronik konstatieren, daß die beiden Essäer tief betroffen waren von dem, was sie erlebt hatten, und schweigsam wurden von diesem Tage an und den anderen Essäern nichts erzählten.

Als Jesus eine Strecke weitergegangen war, begegnete er einem Menschen, der den Eindruck machte des tiefsten Leides, des Gepreßtseins, des Bedrücktseins. Gesenkten Hauptes, auch physisch bedrückten Leibes ging der Betreffende dem Jesus entgegen. Da vernahm er, wie jene Wesenheit, die ich vorgestern gerade als den Jesus zu dieser Zeit charakterisierte, Worte zu ihm sprach, die wie aus tiefstem Quell dieser Wesenheit heraus tönten. Dieser gepreßte Mann hörte, daß Jesus sprach: Wozu hat deine Seele ihr Weg geführt? Ich kannte dich einst vor Jahrtausenden, vor vielen Jahrtausenden, da warst du anders. — Es fühlte sich dieser gepreßte Mensch gedrängt, gewisse Dinge auszusprechen vor dieser Erscheinung, denn als Erdenmenschen können wir eine solche Wesenheit, die nur aus dem physischen Leib, Ätherleib und Astralleib bestand, mit der Nachwirkung des Zarathustra-Ichs in diesen drei Leibern, nicht bezeichnen. Wir können sie nur eine Wesenheit nennen. Der in Verzweiflung befindliche Mensch fühlte sich gedrängt zu dieser Wesenheit zu sagen: Ich bin in meinem Leben zu hohen Würden gekommen, und stets, wenn ich zu neuen Würden gestiegen, fühlte ich mich so recht in meinem Element, und oft überkam mich die Empfindung: Was bist du doch für ein seltener Mensch, daß deine Mitmenschen dich so erhöhen, daß du es auf der Erde so weit bringen konntest. Was bist du für ein seltener Mensch! Ich war über alles glücklich. Dann aber ist es schnell gegangen, daß ich dieses Glück verlor. In einer Nacht ist das gekommen. Und eben als ich einmal eingeschlafen war, kam ein Traum so über mich, daß ich in den Traum das Gefühl hineinbrachte, daß ich mich vor mir selbst schämte, so etwas zu träumen. Ich träumte, daß ein Wesen vor mir stand, das mich fragte: Wer hat dich so groß gemacht, dich zu so hohen Würden gebracht? — Darüber schämte ich mich, daß überhaupt im Traum eine solche Frage an mich gerichtet werden konnte, denn es war mir so klar, daß ich eben ein seltener Mensch war und daß ich selbstverständlich durch meine großen Tugenden zu diesen Würden gekommen war. Und als das Wesen so zu mir gesprochen hatte, war ich im Traum ganz ergriffen von einem immer größer werdenden Schamgefühl vor mir selbst, im Traum — , so sagte dieser sich in Verzweiflung befindliche Mensch. Da ergriff ich die Flucht, aber kaum war ich entflohen, so stand die Erscheinung in veränderter Gestalt wieder vor mir und sagte: Ich habe dich erhöht, dich zu Würden gebracht. — Da erkannte ich in ihm den Versucher, von dem die Schrift erzählt, daß er im Paradiese schon der Versucher war. Da wachte ich auf und seit dem Augenblick habe ich keine Ruhe mehr. Ich verließ meine Würden, den Wohnort, alles, und irre seitdem tatenlos in der Welt umher. Und jetzt führt mich, irrenden Menschen, der ich mich durch Betteln ernähre, mein Weg vor dich. — Und in dem Augenblicke, wo der Mann das gesprochen hatte — so ergibt es die Akasha-Chronik — , da war die Erscheinung wieder vor ihm, stellte sich vor Jesus von Nazareth, der in dem Augenblicke wieder vor seinen Augen verschwand. Dann löste sich die Erscheinung auf, und der Mann war seinem Schicksal überlassen.

Jesus führte sein Trieb weiter. Er traf dann einen Aussätzigen und mußte, als der an ihn herantrat, die Worte sagen: Wozu hat deine Seele ihr Weg geführt? Ich habe dich vor Jahrtausenden, vor vielen Jahrtausenden anders gesehen. Ja, damals warst du anders. — Der Aussätzige sagte: Mich haben die Menschen überall wegen meines Aussatzes verstoßen. Daher mußte ich in der Welt umherirren und niemand nahm mich auf. Froh war ich, wenn man mir Abfälle zur Tür oder zum Fenster herauswarf, die mich notdürftig nährten. Aber ich konnte nirgends stille sitzen, ich mußte von Ort zu Ort irren. Da kam ich einmal nachts in einen Wald. Da war es, wie wenn von ferne mir ein Baum, der wie eine Flamme war, entgegenleuchtete. Das Licht zog mich an. Als ich immer näher kam, trat aus dem leuchtenden Baum eine Gestalt in Form eines Gerippes und sprach zu mir die furchtbaren Worte: Ich bin du! Ich zehre an dir. — Da übermannte mich furchtbarste Angst; und da sie mich so durchschauerte, daß ich an mir spürte, wie die Aussatzschorfe aneinander stießen und wie aneinander knisterten, da fühlte das Wesen, was in mir vorging und sagte: Warum fürchtest du dich so vor mir? Du hast so manches Leben früher durchlebt, da liebtest du den Lebensgenuß, vieles, was dir Begierde in deinem Leben schuf, was dir Freuden des Alltags brachte, da konntest du schwelgen in den Freuden des Alltags; da liebtest du mich, mich liebtest du, tief liebtest du mich. Du wußtest es nicht immer, aber du liebtest mich, und weil du mich so liebtest, zog deine Seele mein Wesen an. Ich wurde du und darf nun an dir zehren. — Und meine Furcht wurde noch größer. Da verwandelte sich das Gerippe in einen schönen Erzengel; den schaute ich an. Ja, sprach er, du liebtest mich dereinst. — Da sank ich in tiefen Schlaf und morgens fand ich mich, erwachend, an dem Baum liegend, und irrte weiter in der Welt herum, und jetzt finde ich dich. Seit diese Erscheinung mir ward, ist der Aussatz immer schlimmer geworden. — Als er so sprach, stand das Totengerippe wieder da und verdeckte Jesus, der verschwand und seines Weges durch den in ihm waltenden Trieb weitergehen mußte. Der Mann mußte auch weitergehen.

Nach diesen drei Begegnungen — der Begegnung mit den beiden Essäern, mit dem Verzweifelten und mit dem Aussätzigen — die Jesus von Nazareth in der Gestalt, von der ich das vorige Mal erzählt habe, gehabt hatte, setzte er seinen Weg fort und kam an den Jordan zu Johannes. Es vollzog sich dasjenige, was aus den anderen Evangelien bekannt ist: Die Christus-Wesenheit stieg aus kosmischen Höhen herab, ergriff Besitz von den drei Leibern des Jesus, in denen die Christus-Wesenheit drei Jahre verbleiben sollte.

Das nächste, was mir obliegt zu erzählen, das ist die Versuchungsgeschichte. Da stellt die Akasha-Chronik die Sache genauer dar als die anderen Evangelien. Ich muß nur im voraus bemerken, daß ich sie so, wie sie sich mir ergeben hat, darstellen werde, daß es aber sehr leicht sein kann — weil es schwierig ist, solche Dinge zu erforschen und man vorsichtig sein muß — , daß später einmal die Korrektur nötig sein könnte, die drei Stufen der Versuchung, die ich erzählen werde, umzuändern. Denn die Aufeinanderfolge kann in der Beobachtung der Akasha-Chronik manchmal leicht durcheinandergeworfen werden, und da bin ich in der Reihenfolge nicht ganz sicher. Ich will nur erzählen in dem Ausmaße, wie ich es genau kenne.

Nachdem Christus Jesus — jetzt war ja der Christus in Jesus — in die Einsamkeit sich zurückgezogen hatte, trat zuerst an ihn heran jene Wesenheit, welche er sogleich empfand als Luzifer, denn in seiner Seele spielten sich zunächst zwei wichtige Empfindungen ab. Er erinnerte sich, jetzt mit dem Ich des Christus und dem Ätherleib und Astralleib des Jesus von Nazareth, wie Luzifer und Ahriman von dem Essäertor zu den anderen Menschen geflohen waren, als er nach einem Gespräch mit den Essäern durch das Essäertor getreten war. Daran mußte er denken. Die zweite Empfindung, die durch seine Seele zog, erinnerte ihn an den Verzweifelten, der ihm auf dem Gange zum Jordan begegnet war, den diese Gestalt verdeckte und ihn, Jesus, zum Weitergehen zwang. Er wußte jetzt, wie man in okkulter Wahrnehmung solche Dinge erkennt: Luzifer war es, den ich damals mit Ahriman fliehen sah vor dem Essäertore, Luzifer stand zwischen mir und dem Verzweifelten, er ist es, der jetzt wieder vor mir steht.

Durch diese Erzählung können wir eine Vorstellung bekommen, wie okkulte Wahrnehmungen gemacht werden, wenn sie sich auf die Vergangenheit beziehen. Sie sind wahrhaftig nicht so, daß man sie mit Kälte, Objektivität empfangen könnte wie anderes, was man etwa erzählt bekommt. Diese Dinge sprechen tiefe Weltengeheimnisse aus, treten in alle Kräfte unseres Seelenlebens hinein und berühren nicht nur unser Vorstellen und gewöhnliches Verständnis. Daher ist es so schwierig, die Worte in solche Entfernung zu bringen von den entsprechenden okkulten Wahrnehmungen, von diesen Forschungen, daß man nicht zu verstummen braucht, sondern das erschütternde Forschungsergebnis dennoch in Worte der gewöhnlichen Umgangssprache pressen kann. Nur wenn es notwendig ist, solche Dinge mitzuteilen, werden sie mitgeteilt.

So stand also Luzifer vor dem Christus Jesus. Es spielte sich ab, was ausgedrückt werden kann mit den Worten der anderen Evangelien — sie sind Umschreibungen der geistigen Vorgänge: Wenn du mich anerkennst, so will ich dir die Reiche dieser Welt geben.

So etwa sprach Luzifer zu Christus Jesus, in dem zwar jetzt die göttliche Wesenheit des Christus war, der den Luzifer verstehen konnte, aber zum Verständnis sich nun eben doch bedienen mußte des astralischen Leibes des Jesus von Nazareth, so wie er sich entwickelt hatte durch das Zarathustra-Ich, das den astralischen Leib des Jesus durchdrungen hatte, so daß er sich seiner als Werkzeug bedienen konnte. Deshalb hörte er die Worte sozusagen nicht wie ein Gott, sondern nur wie ein durchgotteter Mensch: Erkennst du mich an, so werden meine Engel alle deine Schritte bewachen.

Man muß jetzt zu Hilfe nehmen, was ich einmal in einem Vortragszyklus, der jetzt auch schon gedruckt erschienen ist, sagte: daß noch zur alten Sonnenzeit Luzifer eine Wesenheit war, die dazumal der Christus-Wesenheit gleichstand, so daß also die Christus-Wesenheit, die jetzt untergetaucht war in einen menschlichen Leib, den hohen kosmischen Rang fühlen mußte, den Luzifer hatte und ihn als ebenbürtig fühlen mußte trotz allem, was mit ihm vorgegangen war, bis er der Versucher wurde. So daß schon verstanden werden kann, wie Luzifer an ihn die Forderung richten konnte: Erkenne mich an. — Wenn Luzifer so etwas spricht, wirklich so sagt, daß es auf okkulten Wegen sich in die Menschenseele ergießt, da schwillt alles das gewaltig an, was in der Menschenseele an Kräften des Hochmuts, des Stolzes lebt. Daher gibt es kein anderes Mittel — wenn die allerstärkste Versuchung herantritt, den Gefühlen des Hochmutes und versteckten Stolzes zu verfallen — , als mit konzertiertester Seelenkraft dem zu widerstehen.

«Wenn du mich anerkennst, gebe ich dir alle die Reiche, die du jetzt in meinem Umkreis siehst.» Das sind weite Reiche von großer Herrlichkeit, das sind ganze Welten, die Luzifer in einem solchen Momente ausbreiten kann. Diese Reiche haben nur diese eine Eigentümlichkeit, daß man Begierde nach ihnen nur aus dem berechtigten oder unberechtigten Hochmut der Seele heraus empfinden kann. Und man entkommt sozusagen nur so, wie dazumal der Christus Jesus entkommen ist: wenn man das durchschaut. Denn in solchem Moment empfindet man nichts als Hochmut und Stolz, der in der menschlichen Seele ist; alle anderen Gefühle sind gelähmt. Aber dieser Versuchung entging Christus Jesus und stieß Luzifer von sich.

Dann erfolgte die zweite Attacke. Jetzt kamen ihrer zwei. Jetzt hatte Christus Jesus wiederum die Empfindungen, die ihn erkennen ließen, wer die zwei waren. Es tauchten auf wiederum die Empfindungen, wie sie in ihm aufgestiegen waren bei den zwei Fliehenden vor den Toren der Essäer, und auf dem Wege zum Jordan bei der Erscheinung im Gespräch mit dem Verzweifelten und dem Totengerippebild, das sich verwandelt hatte in den Erzengel. Er wußte, daß er jetzt die beiden Versucher vor sich hatte. Die Aufforderung, welche auch die anderen Evangelien richtig wiedergeben, erging an ihn: « Stürze dich hinunter, dir wird nichts geschehen!»

Bei solchen Versuchungen spricht sich in grandioser Weise im Menschen aus ein alle Furcht überwindender Mut, der den Menschen auch mutwillig machen kann. Auch diese beiden Versucher konnte Christus Jesus zurückschlagen.

Da kam eine dritte Attacke. Sie ging von Ahriman allein aus. Er stand jetzt allein vor Christus Jesus. Und da kam die Versuchung, die wiederum ausgesprochen werden kann mit den Worten der anderen Evangelien: «Mache mit meiner Kraft, daß diese Steine zu Brot werden.»

Was auf diese ahrimanische Frage zu erwidern war — das unterscheidet im Fünften Evangelium den weiteren Verlauf der Ereignisse von dem, wie ihn die anderen Evangelien berichten — , das konnte nicht beantwortet werden von dem Christus Jesus. Diese Frage blieb zum Teil unbeantwortet, blieb als letzter ungelöster Rest der Versuchung zurück. Daraus ergab sich ein Impuls, der für das weitere Erleben des Christus im Leibe des Jesus von Nazareth wirksam blieb. Denn daß er die letzte Frage des Ahriman bei der Versuchung in der Einsamkeit nicht vollständig beantworten konnte, das stellte den Zusammenhang her zwischen dem Christus Jesus und den irdischen Ereignissen, die mit Ahriman zusammenhängen.

Wenn Sie sich erinnern, wie Ahriman der Herr des Todes ist, wie er durch jene Art von Täuschung, die er hervorruft, indem er die Materialität vor der Seele ausbreitet, so daß die Seele das Materielle in der Täuschung hinnimmt, wenn Sie sich erinnern, was diesen Sommer gesagt wurde über die Taten Ahrimans in der Erdenentwickelung, werden Sie begreiflich finden, daß die Taten des Ahriman in der Erdenentwickelung eingebettet sind. Und so kam es, daß eine Verbindung entstand durch den unbeantworteten Rest dieser Frage zwischen dem Erdenwandel des Christus Jesus und der ganzen Erdenentwickelung. Gleichsam verbunden mit der Erdenentwickelung, insofern Ahriman hineinverwoben ist, wurde Christus Jesus durch diese nicht beantwortete Frage.

Manchmal muß man Dinge mit trivialen Worten bezeichnen; sie sind aber nicht trivial gemeint. Ahriman macht alles so, daß es in der Materialität erscheint und in dieser auch erhalten wird. Damit aber, daß dies von ihm so gehandhabt wird, ist ein solches Ereignis nicht möglich gewesen, daß Christus Jesus die Steine in Brot verwandelt hätte. Das verhinderte eben das ahrimanische Wirken. Es ist dieselbe Erscheinung, die bedingt, daß gewisse Stufen, die mit der Erdenentwickelung zusammenhängen, insofern sie mit Ahriman verknüpft sind, erst im gesamten Zeitverlauf und der totalen Durchchristung der Erdenevolution überwunden werden können.

Was im kosmischen Vaterunser gesagt wird: «Von ändern erschuldete Selbstheitschuld, Erlebet im täglichen Brote», das drückt sich aus in den ahrimanischen Mächten, von denen gesagt wird in diesem Vaterunser: «In dem nicht waltet der Himmel Wille», sondern Ahrimans Wille, das muß also innerhalb der irdischen Gesetzmäßigkeit behandelt und kann nicht bloß geistig behandelt werden. Diese Dinge hängen zusammen mit diesem täglichen Brot. In der äußeren sozialen Welt drückt sich das darin aus, daß man in der Tat das Materielle in der Form des Geldes, des Mammons braucht, des gröbsten Bildes der ahrimanischen Fesselung, was dann verhindert, daß im sozialen Leben Steine zu Brot werden können, was notwendig macht, daß der Mensch auf der Erde verknüpft bleibt mit dem Ahrimanischen, dem Materiellen.

Sie müssen diesen Gedanken selbst weiterdenken: wie die Aufforderung «Mache die Steine zu Brot», zusammenhängt mit der Funktion des Geldes im sozialen Wirken. Daß aber so die ahrimanische Macht mit dem irdischen Wandel des Christus Jesus verbunden blieb, dadurch war Ahriman imstande, dann später einzufließen in die Seele des Judas, und auf dem Umwege über den Judas zu den in den anderen Evangelien gesagten Ereignissen zu führen, die auf dem Umwege durch Judas dann den Christus Jesus für seine Verfolger erkenntlich machten. Ahriman in Judas führte eigentlich Christi Tod herbei und daß er das konnte, rührt von der nicht vollständig beantworteten Frage bei der Versuchung her.

Nun muß man aber, um den ganzen irdischen Wandel des Christus Jesus zu verstehen, eines berücksichtigen. Die Christus-Wesenheit war in die drei Leiber eingezogen, aber nicht gleich so, daß dieses Christus-Ich so verbunden war mit diesen drei Leibern, wie ein menschliches Ich mit ihnen verbunden ist. Es war im Beginn des dreijährigen irdischen Wandels die Christus-Wesenheit zunächst nur lose verknüpft mit den drei Leibern des Jesus und dann wurde sie immer mehr in die drei Leiber hineingezogen. Darin bestand die Entwickelung in den drei Jahren, daß langsam und allmählich diese Christus-Wesenheit, die zuerst nur wie eine Aura die Jesus-Wesenheit durchsetzte, immer mehr in die drei Leiber hineingepreßt wurde. So dicht hineingepreßt wie ein menschliches Ich wurde diese Christus-Wesenheit erst kurz vor dem Tode am Kreuz. Dieses Hineinpressen war aber die drei Jahre hindurch ein fortwährendes Schmerzempfinden. Der Vorgang dieser völligen Menschwerdung, der drei Jahre dauerte und zum Mysterium von Golgatha führte, war dieses Hineingepreßtwerden in die drei Leiber, es war der Schmerz des Gottes, der auf der Erde empfunden werden mußte, damit das geschehen konnte, was notwendig war, um den Christus-Impuls in die Erdenentwickelung hineinzuführen. Zu dem, was ich über Jesu Schmerz und Leid in der Jugend erzählte, mußte noch dieses hinzukommen.

Wenn man von Gottesschmerz spricht, könnte es leicht sein, daß man heute schlecht verstanden wird. Bei Maeterlinck zum Beispiel, der in seinem ganz gewiß berühmt werdenden Buch «Vom Tode» manches so Schöne sagt, der immerhin bestrebt war, mit den Mitteln, die er hatte, Dinge des geistigen Lebens zu erklären, konnte es vorkommen, daß er zu sagen vermag, eine entkörperte Seele könne keinen Schmerz haben, Schmerz empfinden könne nur der sterbliche Leib. — Das ist der Gipfelpunkt des Unsinns, denn ein Leib empfindet keinen Schmerz, ebensowenig wie ein Stein. Schmerz empfindet der Astralleib mit dem Ich im physischen Leibe drinnen; außerdem gibt es ja auch seelische Schmerzen und daher hören die Schmerzen nicht auf nach dem Tode. Sie können nur nicht mehr verursacht werden durch Störungen im physischen Leibe, für die Seele aber brauchen sie dadurch nicht aufzuhören.

Was da vorging beim Durchpreßtwerden der drei Leiber des Jesus mit der Christus-Wesenheit, das war für die Christus-Wesenheit höchster Schmerz. Es wird nach und nach für die Menschheit notwendig sein zu begreifen, daß in der Tat, um von Golgatha an die Erdenentwickelung fortzuführen, diese Christus-Wesenheit durch den Schmerz einziehen mußte in die Erdenaura, und verbunden mit diesem Christus-Schmerz wird die Menschheit ihr Schicksal fühlen müssen. Immer konkreter wird werden müssen die Verbindung der Menschheit mit dem Christus-Schmerz. Dann wird man erst verstehen, wie in der Erdenaura dieser Schmerz in verjüngenden Kräften weiterwirkte für die Erdenentwickelung seit dem Mysterium von Golgatha.

Dieses Mysterium von Golgatha immer besser zu verstehen, wird die Aufgabe sein der fortschrittlichen geistigen Entwickelung. Manches was in der gegenwärtigen Kultur eine große Rolle spielt, wird allerdings überwunden werden müssen. Wir stehen gerade in der Gegenwart dem Verständnis des Christentums gegenüber in einer Krisis, in einer wirklichen Krisis. Ich spreche natürlich nicht etwa von dem, was von dieser oder jener landläufigen Theologie in bezug auf das Christentum vorgebracht werden kann. Ich möchte nur aufmerksam machen auf elementare Ereignisse des Unverständnisses in der Gegenwart. Bei einer von jenen Versammlungen im Jahre 1910, wo über den historischen Christus gesprochen wurde, sprach ein vielgenannter Theologe, um zu betonen, daß die Worte der Lehre des Christus Jesus nur zusammengefaßte Lehren seien, die auch schon früher dagewesen wären: Ich werde Ihnen dankbar sein, wenn mir nur ein einziger Satz unter den Aussprüchen des Jesus Christus nachgewiesen werden kann, der nicht schon früher in irgendeiner Form da war. — Wenn heute ein liberaler theologischer Forscher das belegen kann, was jener behauptet hat, ist er für unsere Zeitgenossen ein großer Mann, denn wie überzeugend muß das wirken, wenn man wirklich nachweisen kann, daß alle Aussprüche von Christus schon früher von anderen gesagt worden sind, daß sie also nichts Neues waren. Dem, der die Dinge durchschaut, erscheint ein solcher Ausspruch in anderem Lichte. Man denke sich, Goethe hätte ein Gedicht gemacht, noch nicht aufgeschrieben, nur gesprochen, und ein Kind, das zuhörte, hätte gerufen: Das sind ja alles Worte, die ich schon gehört habe. — Wie das Kind, so ist der Theologe, der nichts hört, als was er schon kennt und nicht merkt, worauf es ankommt, denn das steht über den Aussprüchen, die früher schon da waren, so hoch, wie ein Goethesches Gedicht über den einzelnen Worten, die das Kind schon gehört hat. Wenn man gar nicht weiß, was man als die Hauptsache ins Auge zu fassen hat, und glauben kann, man treibe heute echte Theologie dadurch, daß man sich in dieser Weise an Worte hält, sich daran hält, was wahr ist, daß die Aussprüche schon dagewesen sind, so wird damit angedeutet, daß wir in einer tiefen Krisis in bezug auf die Erfassung des Christentums stehen, aus der man schon wird begreifen können, daß wirkliches Christus-Verständnis erst dadurch in die Welt kommen kann, wenn die heutige Theologie, die das öffentliche Amt hat, über das Christus-Verständnis zu wachen, erst abstirbt. Das ist es, worauf es ankommt: daß man erfühlen lernt die ganze Größe der Tatsachen, die sich um Golgatha abspielten.

Noch anderes Bedeutsames zeigt uns die Akasha-Chronik: Da die Christus-Wesenheit nicht gleich eng verbunden war mit den Leibern des Jesus, sondern nur lose und äußerlich, so konnte in der ersten Zeit folgendes vorkommen: Zuweilen war die Christus-Wesenheit äußerlich verbunden mit den drei Leibern des Jesus von Nazareth, war in solcher Verbindung unter den Jüngern und nächsten Anhängern, sprach mit ihnen. Aber das war nicht immer notwendig. Es konnten die äußeren Hüllen an irgendwelchen Orten sein und die Christus-Wesenheit konnte sich von ihnen entfernen; sie konnte dann als geistige Wesenheit da oder dort weit weg erscheinen. Viele Erscheinungen des Christus sind so, daß nur die Christus-Wesenheit den Jüngern, den Bekennern und auch anderen erscheint. Später wandelte er mit den Jüngern vielfach im Lande umher, lehrend, sprechend, heilend. Während er so mit zehn oder fünfzehn oder noch mehr Anhängern wandelte, und die Christus-Wesenheit sich immer mehr in seine Leiber hineinpreßte, kam wieder eine andere Erscheinung zum Vorschein. Da zeigte es sich mehrfach, daß der eine oder andere der Jünger sich plötzlich von Inspiration ergriffen fühlte. Dann verwandelte sich sein Gesicht, so daß man auch von außen sehen konnte, wie er eine ganz andere Physiognomie bekam. Und wenn so etwas eintrat und er die herrlichsten Christus-Worte sprach, da verwandelte sich die wirkliche äußere Erscheinung des Christus Jesus so, daß er wie der Schlichteste im Kreise ausschaute.

Das wiederholte sich immer wieder. So zeigt es die Akasha-Chronik. Das führte dazu, daß die Verfolger nie wußten, wer aus der herumziehenden Schar derjenige war, den sie eigentlich suchten, so daß sie vor der Gefahr standen, einen zu greifen, der gar nicht der Richtige war. Dann wäre der Richtige entkommen. Darum wurde der Verrat des Judas notwendig. So wie er gewöhnlich erzählt wird, ist er nicht sehr geistreich erzählt. Denn wenn man sich in die Situation hineindenkt, fragt man sich: Warum ist des Judas Kuß notwendig gewesen? Er war eben erst notwendig aus dem Grunde, den ich eben angedeutet habe.

Viel Geheimnisvolles ist mit dem irdisch-menschlichen Wandel des Christus verbunden, aber was den erschütterndsten Eindruck macht, zeigt sich, wenn man den Blick wendet auf seinen Tod. Da muß man das sagen, was ich ungescheut ausspreche, weil es für das okkulte Erkennen Tatsache ist: daß an wichtigsten Punkten des historisch-geistigen Geschehens das, was sonst getrennt fließt, moralische und physische Weltordnung, sich wiederum berühren. Als in der Erdenentwickelung dieses am stärksten der Fall war, trat das Mysterium von Golgatha ein.

Als Christus ans Kreuz geschlagen worden war, trat eine weit über die Gegend sich ausbreitende Verfinsterung ein. Aus der Akasha-Chronik war bisher noch nicht zu konstatieren, woher sie gekommen ist, ob sie irdischen oder kosmischen Ursprungs war. Aber sie war da, und was eine solche Verfinsterung bedeutet, kann okkult beobachtet werden bei einer Sonnenfinsternis. Ich will nicht sagen, daß es damals eine Sonnenfinsternis war, es könnte sich auch um eine bedeutende Wolkenverfinsterung gehandelt haben. Aber es ist etwas anderes, wenn die Sonne bei Tag verfinstert am Himmel steht, als wenn es einfach Nacht ist. Was eine solche allgemeine Verfinsterung aber für eine Wirkung hat, ist schon bei einer zum Beispiel durch den Mond eintretenden Sonnenbedeckung zu erkennen. Dabei gehen große okkulte Veränderungen bei allen Lebewesen, Menschen, Tieren und Pflanzen vor sich; das ganze Gefüge zum Beispiel zwischen physischem Leib und Ätherleib der Pflanzen verändert sich, die ganze Welt sieht ganz verändert aus und mit ihr die Erdenaura. Das letzte Mal hat es einen ganz besonders erschütternden Eindruck auf mich gemacht, als ich es beobachten konnte bei einer Sonnenfinsternis während eines kurzen Vortragszyklus in Stockholm. Es ist da tatsächlich so, daß für das Stück Erdenaura, wo die Verfinsterung am größten ist, große Veränderungen vor sich gehen. Und durch ein solcherart beeinflußtes Stück Erdenaura floß der Christus-Impuls damals in die Erdenentwickelung ein, als der Christus Jesus am Kreuze starb. Das ist das Wunderbare, das heilige Ereignis der Verfinsterung weithin um das Kreuz auf Golgatha.

Das andere ist das, was ich schon einmal in Karlsruhe angedeutet habe und was auch in dem gedruckten Zyklus von Karlsruhe steht, was auch das Fünfte Evangelium zeigt, wie der physische Leib des Jesus von Nazareth gleichsam aufgesogen wurde von der physischen Erde, denn als der Leichnam ins Grab gelegt war, hat in der Tat eine erdbebenartige Durchrüttelung der Erde stattgefunden, verbunden mit einem Sturm, so daß ein Erdspalt sich öffnete und den Leib aufnahm. Der Sturm wirbelte so, daß sich tatsächlich die eigentümliche Aufwickelung und Lage der Tücher ergab, die das Johannes-Evangelium schildert. Es schloß sich dann der Spalt, der sich durch das Erdbeben gebildet hatte, und so konnte der Leib natürlich nicht vorgefunden werden. Den Suchenden konnte nur die Antwort aus okkulten Regionen gegeben werden: Der, den ihr suchet, ist nicht mehr hier. — Ein ähnliches ereignete sich später, als sich viele in Europa als Kreuzfahrer aufmachten, des Christus Gedächtnis in Golgatha zu suchen. Auch ihnen wurde, wenn auch für sie nicht vernehmlich, die Antwort: Der, den ihr suchet, ist nicht mehr hier.

Denn der Christus-Impuls geht geistig durch die Seelen der Menschen, er wirkt als Tatsache auch in denen, die ihn nicht verstehen. Nicht darf man bloß von dem großen Lehrer sprechen. Was geschah, wirkt als Tatsache und gab die großen Impulse für die fernere Menschheitsentwickelung. Das wird die Aufgabe der wirklichen okkulten Forschung auf diesem Gebiete sein, daß man immer besser wird verstehen lernen, anders den Christus zu suchen, damit einem nicht die Antwort gegeben werden müßte: Der, den ihr suchet, ist nicht mehr hier. — Aber wenn man ihn immer geistiger wird suchen wollen, wird man die wahre, der Wirklichkeit entsprechende Antwort finden können.

Dieses wollte ich Ihnen heute erzählen und in diesen Mitteilungen liegt, glaube ich, für die Schilderung des Mysteriums von Golgatha gegenüber den Abstraktionen der Theologen das große Schwergewicht. So wie diese Tatsachen in der Akasha-Chronik erscheinen, lassen sie erkennen, daß in jener Zeit ein Allerwichtigstes vorgegangen ist.

Der Okkultist ist von Folgendem überzeugt: Wenn einmal die Gemüter der Menschheit sich etwas in anderer Richtung als bisher werden erhoben haben über all das, was heute mit so viel Wissenshochmut und Unlogik die Seelen beherrscht, wie ich es anfangs charakterisieren mußte, wenn einmal die Gemüter von richtigem Denkvermögen sich werden durchzogen haben, dann werden — trotzdem manche glauben könnten: Was hat Denken zu tun mit dem Entgegennehmen solcher Mitteilungen und dem Versuch, sie zu erkennen? — dann werden sich die Gemüter dadurch reif machen, auch solche Dinge, die scheinbar mit dem Denken nichts zu tun haben, wirklich zu verstehen, weil gerade durch das wahre Denken die Seelen durchzogen werden von dem echten Wahrheitssinn, der das in diesen beiden Vorträgen Gegebene nicht als lächerlich empfindet, sondern als sorgfältig gemachte Forschungen aus der Akasha-Chronik hinzunehmen strebt.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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