DAS FÜNFTE EVANGELIUM
Köln, 17. Dezember 1913
Erster Vortrag
Es wird mir obliegen, gelegentlich des
heutigen und morgigen Abends einiges
zu sprechen über dasjenige, was wir gewohnt sind, das
«Mysterium von Golgatha» zu nennen, und zwar wird der
Versuch zu machen sein, in einer etwas anderen Form, als das
bisher geschehen ist, davon zu
sprechen. Ich möchte sagen, daß die bisherigen
Erörterungen über dieses Mysterium von Golgatha
einen, wenn auch okkultistischen, so doch mehr noch
okkultistisch-theoretischen Inhalt hatten. Es wurde über das Wesen und die Bedeutung des
Mysteriums von Golgatha für die
Entwickelung der Menschheit gesprochen. Daß es
gewissermaßen das Zentralereignis
für die gesamte Entwickelung der Menschheit auf Erden ist, und inwiefern es dieses
Zentralereignis ist, darüber
wurden Gedanken gegeben. Diese sind ja durchaus aus den
Quellen okkulter Forschung heraus geholt.
Es sind diejenigen Gedankenquellen dadurch angebrochen worden,
welche von dem Mysterium von
Golgatha gleichsam ausstrahlen, weitergehen und
verlebendigt sind in unserer
irdischen Entwickelung. Aus dem, was in der
Menschheitsentwickelung auf Erden lebt, kann, wenn es mit
seherischem Blick erfaßt wird,
das gefunden werden, was als die Bedeutung des
Mysteriums von Golgatha angegeben worden
ist.
Jetzt aber wird es mir obliegen, näher
zu sprechen von dem, was sich ganz
im Konkreten sagen läßt über die Ereignisse, die
sich im Beginn unserer Zeitrechnung
abgespielt haben. Über die Ereignisse werde ich zu sprechen haben, welche gewissermaßen
in ihren Kräften das
ausgestrahlt haben, was in der lebendigen Erdenaura
weiterlebt und okkult beobachtet
werden kann. Ich werde dann morgen einiges über die Gründe sprechen, warum diese Dinge
gerade jetzt in diesem unserem
Zeitalter innerhalb anthroposophischer Kreise besprochen
werden sollen. Heute aber werde ich
versuchen, einiges anzudeuten von
dem, was sich im Beginne unserer Zeitrechnung in Palästina
zugetragen hat. Und ich hoffe, daß in Ihren Herzen, in
Ihren Seelen, das Ereignis von
Golgatha, wie es mehr in Ideenform charakterisiert worden ist,
nicht an Bedeutung verliert dadurch, daß wir einmal
direkt hinschauen auf das, was sich
damals abgespielt hat, es gleichsam ganz konkret ins Auge fassen.
Ich habe ja schon bei Gelegenheit der
Besprechung des Lukas-Evangeliums und jener
Vortragsserie über das sogenannte Evangelium des
Matthäus einiges Wesentliche über das Gebiet
angedeutet, das hier in Betracht
kommt. Es ist die Tatsache, daß zwei Jesusknaben
ungefähr gleichzeitig geboren worden
sind im Beginne unserer Zeitrechnung. Ich habe
daraufhingewiesen, daß diese beiden Jesusknaben,
die damals geboren worden sind, an
Charakter und Fähigkeiten sehr stark voneinander verschieden waren. Der eine der
Jesusknaben, dessen Schilderung noch
wie durchleuchtet durch das sogenannte Evangelium des Matthäus, der stammt ab aus der
salomonischen Linie des Hauses
David. In ihm lebte die Seele oder das Ich desjenigen,
den wir als Zarathustra kennen.
Wir müssen uns, wenn wir eine solche
Inkarnation ins Auge fassen, zunächst insbesondere über eines klar sein:
Selbst wenn eine so hohe Individualität sich wieder inkarniert, wie der
Zarathustra es war — namentlich in der Zeit, als er in dem Jesus geboren
worden ist — , mußte diese
Individualität keineswegs im Kindes- oder
Jünglingsalter wissen, daß
sie diese Individualität ist. Nicht das Bewußtsein
braucht vorzuliegen, das sich in den Worten aussprechen
würde: Ich bin der und der.
— Das liegt nicht vor. Wohl aber liegt vor in einem
solchen Falle, daß jene
erhöhten Fähigkeiten, die eine Menschenseele
gewinnen kann dadurch, daß sie
eine solche Inkarnation durchgemacht hat, sich
früh bedeutsam zeigen und dann die
ganze Grundstruktur des Charakters des betreffenden Kindes
bedingen. So ist denn der salomonische Jesusknabe — so
möchte ich ihn nennen — , in dem das Ich des
Zarathustra lebt, mit hohen
Fähigkeiten ausgestattet, und das ist das
Charakteristische: er ist ausgestattet mit
solchen Fähigkeiten, welche es
ihm möglich machen, leicht einzudringen in das, was in
seiner Umgebung lebt als
Errungenschaft dessen, was sich die Menschheit
auf Erden in der fortlaufenden Kultur
erobert hat. In der Umgebung eines
solchen Kindes lebte ja, besonders aber damals, die ganze
Kultur der Menschheit in den Worten,
den Gebärden, den Handlungen, kurz in alledem, was man sehen und hören konnte. Ein
gewöhnliches Kind nimmt wenig
auf von dem, was es sieht und hört. Dieser Knabe
aber nahm auf mit einer großen
inneren Genialität aus den spärlichsten
Andeutungen, in denen sich das auslebte,
was die Menschheit sich erobert
hatte, kurz, er erwies sich als im höchsten Maße
begabt für alles, was die
Menschheitskultur bis dahin an schulmäßig
Erlernbarem hervorgebracht hatte.
Man würde einen solchen Knaben heute einen
hochbegabten Knaben nennen. So war der
salomonische Jesusknabe. Bis in sein
zwölftes Jahr lernte er schnell, was er aus seiner
Umgebung lernen konnte.
Ganz anderer Art war der andere Jesusknabe,
der in bezug auf Charakter durchschimmert — mehr kann man
nicht sagen — durch die Schilderungen des
Lukas-Evangeliums. Er stammte ab aus der nathanischen Linie des
Hauses David. Er war nun gerade unbegabt für das,
was man äußerlich erlernen kann.
Bis zu seinem zwölften Jahr zeigte er gar keine Interessen für irgend etwas, was man
schulmäßig aus der Menschheitskultur bekommen kann. Dagegen
zeigte er
von frühester Kindheit an das
im höchsten Grade, was man nennen könnte:
Genialität des Herzens, Mitgefühl mit jeglicher
Menschenfreude, mit jeglichem Menschenleid. Er zeigte sich
darin ganz besonders genial, daß er weniger in sich lebte, weniger sich
erwerben konnte solche Tüchtigkeit, die man auf Erden erwerben kann,
sondern daß er fremdes Leid und fremde Freude von
frühester Kindheit an als sein eigenes Leid und seine
eigene Freude fühlte, sich in die Seelen anderer
Menschen versetzen konnte; dieses zeigte er
im höchsten Maße.
Es ist die denkbar größte
Verschiedenheit zwischen den beiden Jesusknaben, so wie sie sich der
Akasha-Chronik-mäßigen Beobachtung darstellen. Nun
trat ja, nachdem die beiden Knaben das zwölfte
Lebensjahr erreicht hatten, das Ereignis
ein, das ich schon des öfteren charakterisiert habe: daß bei der Wanderung nach
Jerusalem, welche die Eltern mit dem
nathanischen Jesusknaben machten, das Ich des
Zarathustra, das bisher in dem anderen, dem
salomonischen Jesusknaben, verblieben war, aus dessen Leib
herausging und Besitz nahm von den
Leibeshüllen des nathanischen Jesusknaben. Daher kam
es so, daß alles, was dieses
königliche Ich sich hatte aneignen können,
jetzt in der Seele des anderen, des
nathanischen Jesusknaben, wirken konnte und dieser Knabe jetzt mit all der Kraft des
Zarathustra, ohne es zu wissen, so
wirken konnte, daß er das Erstaunen erregte der
Schriftgelehrten, unter denen er lehrend
auftrat, wie es auch die Bibel schildert. Auch das habe ich angedeutet, daß jener
andere, der salomonische Jesusknabe, aus dem das Ich gewichen
war, sehr schnell dahinsiechte und
in verhältnismäßig kurzer Zeit starb.
Es muß durchaus bemerkt werden,
daß keineswegs sofort die Lebensmöglichkeit
aufhört für einen Menschen, der, wie jetzt für
den salomonischen Jesusknaben
geschildert worden ist, sein Ich aufgibt. Wie eine Kugel eine Zeitlang fortrollt, gleichsam durch
ihre innere Kraft, so lebt ein
solches Wesen eine Zeitlang fort durch die Kraft,
die in ihm lebt; und für denjenigen,
der nicht in feiner Weise Menschenseelen beobachten kann, ist
der Unterschied kein sehr großer zwischen dem, was sich darbietet als eine solche Seele,
die ihr Ich noch hat, und einer, die
ihr Ich verloren hat. Denn im gewöhnlichen
Leben wirkt nicht so sehr, wenn wir einer
Seele gegenübertreten, unmittelbar das Ich. Was wir an einem Menschen
erfahren, was wir von ihm gewahr
werden, das ist im allergeringsten Maße eine unmittelbare
Offenbarung des Ichs, das ist eine Offenbarung des Ichs
durch den Astralleib. Den Astralleib aber
behielt jener andere Jesusknabe; und nur der, welcher
sorgfältig unterscheiden kann — und es
ist dies nicht leicht — , ob alte
Gewohnheiten, alte Gedanken weiterwirken in einer Seele, oder
ob fortan noch Neues aufgenommen wird, der kann dadurch gewahr werden, ob das Ich noch da ist
oder nicht. Aber ein Siechtum
beginnt, eine Art Absterben, Abdorren, und so
war es bei diesem Jesusknaben.
Durch eine gewisse karmische Schickung
starb nun auch bald nach dem
Hinübergange des Ichs des Zarathustra in den anderen
Jesusknaben die leibliche Mutter des nathanischen Jesusknaben
und auch der Vater des salomonischen
Jesusknaben, und aus dem Vater des nathanischen und der Mutter des salomonischen
Jesusknaben wurde ein Ehepaar. Der
nathanische Jesusknabe hatte keine leiblichen Geschwister, und
die Stiefgeschwister, die er jetzt bekam, waren eben
die Geschwister des salomonischen
Jesusknaben. Aus den zwei Familien wurde eine, die fortan in
dem Örtchen wohnte, das dann den Namen Nazareth bekommen hat; so daß wir, wenn wir
jetzt von dem nathanischen
Jesusknaben sprechen, in dem nun das Ich des Zarathustra lebte,
den Ausdruck gebrauchen: Jesus von Nazareth.
Ich möchte nun auch hier heute einiges
aus dem Jugendleben dieses Jesus von
Nazareth, wie es Akasha-Chronik-mäßig erforscht
werden kann, so erzählen,
daß wir dadurch das Verständnis gewinnen
können für einen gewissen
bedeutsamen historischen Augenblick der Erdenentwickelung,
welcher dann das Mysterium von Golgatha, auf welches wir morgen
noch zu sprechen kommen werden, vorbereitete.
In drei für den Seher deutlich
voneinander unterschiedenen Phasen spielt sich dieses Leben des Jesus von Nazareth ab. Hat
sich doch schon in den
Gesprächen mit den Schriftgelehrten gezeigt, daß in
ihm aufgelebt war schon in seinem
zwölften Jahr durch den Hinübergang
des Zarathustra-Ichs eine innere Kraft,
erleuchtet zu werden, Erleuchtung zu empfangen und sie zu
verbinden mit dem, was als Fähigkeit in der Zarathustra-Seele lebte. Hatte sich schon
gezeigt, daß eine ungeheure
Kraft inneren Erlebens in dieser Seele war, so kann man
jetzt in dem heranwachsenden Jesus vom
zwölften bis zum siebzehnten und achtzehnten Jahr hin
bemerken, wie, aus dem Inneren der Seele hervorkommend, die inneren Erleuchtungen immer
reicher und reicher werden, und
insbesondere sind es jetzt Erleuchtungen, die sich
auf die ganze Entwickelung des
althebräischen und überhaupt des hebräischen Volkes beziehen.
So wie Jesus von Nazareth hineingestellt
war in das hebräische Volk, so
war ja in diesem hebräischen Volk durchaus nicht mehr
wahrzunehmen die Größe desjenigen, was einmal in den
alten Zeiten der Propheten diesem
Volk als unmittelbare Weltgeheimnisse gegeben
war. Es hatte sich vieles von den alten
Offenbarungen der Propheten fortgeerbt, aber die ursprünglichen
Fähigkeiten, die geistigen Geheimnisse unmittelbar aus den
geistigen Welten heraus zu bekommen, die waren längst verglommen. Aus den bewährten
Schriften nahm man sie auf. Einige
waren allerdings auch da, wie zum Beispiel der
berühmte Hillel,
welche durch ihre individuelle Entwickelung
fähig waren, noch etwas zu
vernehmen von dem, was den alten Propheten
verkündigt worden war. Aber es
war längst nicht mehr in diesen wenigen Menschen jene
Kraft, die in der Urzeit des hebräischen Volkes, in
der Zeit der Offenbarungen, da war.
Es war durchaus ein Abstieg in der Geistesentwickelung des hebräischen Volkes zu
bemerken. Das aber, was einmal da
war, was geoffenbart worden war in der Zeit der Propheten, das
tauchte jetzt wie aus den Tiefen der Seele des Jesus von
Nazareth als innere Erleuchtung
auf.
Aber weniger möchte ich Sie aufmerksam
machen auf diese historische Tatsache, daß in einem
einzelnen Menschen durch innere Erleuchtung wieder auftauchte,
was einmal in der Prophetenzeit geoffenbart worden war.
Vielmehr möchte ich Ihre Empfindungen hinlenken
auf das, was es heißt, daß in
unendlicher Einsamkeit eine so verhältnismäßig
junge Seele, die Seele des dreizehn- bis
vierzehnjährigen Jesus von
Nazareth, in sich heraufkommen fühlt eine
Offenbarung, welche alle anderen
Menschen in seiner Umgebung nicht mehr heraufkommen
fühlten, welche die Besten höchstens in einem
schwachen Abglanz hatten. Versetzen
Sie Ihre Empfindungen in das Leben einer solchen Seele, die mit einem Größten der
Menschheit allein dasteht, und legen
Sie Wert darauf, daß das Mysterium von Golgatha
vorbereitet werden mußte dadurch, daß in der Seele
des Jesus von Nazareth jene einsamen Gefühle und einsamen
Empfindungen Platz greifen mußten. Wenn man so wie auf einer Seeleninsel
dasteht mit etwas, was man so wie
Er, der ja schon in seiner Kindheitszeit mit allen
Menschen fühlen konnte, allen Menschen
zuteil werden lassen möchte, aber nicht zuteil werden lassen kann, weil man sieht,
daß die Seelen auf eine Stufe
niedergestiegen sind, wo sie es nicht mehr aufnehmen
können, wenn man dies alles empfindet:
in Schmerz und Leid etwas wissen zu
müssen, was die anderen nicht aufnehmen können,
wovon man aber so gern wünschen
möchte, daß es auch in ihren Seelen lebe,
dann bereitet man sich für eine
Mission vor. Dafür bereitete sich Jesus von Nazareth vor. Das gab seiner Seele die
Grundnote, die Grundnuance, daß
er sich immer wieder sagen mußte: Zu mir tönt
eine Stimme aus der geistigen Welt. Wenn
die Menschheit sie hören könnte, würde es ihr zu unendlichem Segen
werden. In alten Zeiten waren
Menschen da, die sie vernehmen konnten, jetzt aber sind
keine Ohren mehr da, zu hören.
— Dieses Leid des Alleinseins, das preßte
sich immer mehr und mehr ein in seine
Seele.
Das war das Seelenleben des Jesus von
Nazareth etwa vom zwölften bis
zum achtzehnten Jahr. Dadurch war er auch unverstanden
von seinem leiblichen Vater und
seiner Zieh- oder Pflegemutter, und nicht nur unverstanden von seinen Stiefgeschwistern, sondern
oft verspottet, ja, als ein halb Wahnsinniger angesehen. Er
arbeitete fleißig im Schreinerhandwerk seines Vaters. Aber während er
arbeitete, lebten die Empfindungen,
die ich eben ausgesprochen und angedeutet habe,
in seiner Seele. Dann, als er so im
achtzehnten Lebensjahre stand, ging
er hinaus auf die Wanderschaft. Er durchzog, arbeitend in
verschiedenen Familien, bei verschiedenen Handwerkern seines
Handwerks Palästina und auch umliegende heidnische
Ortschaften. Er wurde so durch sein
Karma geführt. Indem er so herumwanderte
durch Palästina, zeigte sich die ganze
Eigenart seiner Natur bei allen denen, in deren Kreis er trat. Bei Tage arbeitete er,
abends saß er mit den Leuten
zusammen. Und die Leute, mit denen er zusammensaß, so von
seinem neunzehnten bis zum zweiundzwanzigsten Jahr
etwa, hatten alle bei diesem Zusammensitzen
mit ihm das Gefühl, was sie
sich nicht immer klar zum Bewußtsein brachten, aber um so
deutlicher fühlten: daß da ein Mensch von einer ganz
besonderen Eigenart unter ihnen war, wie sie einen solchen noch
nie gesehen hatten, ja, noch mehr,
wie sie sich nie vorstellen konnten, daß einer
leben könnte. Sie wußten
ihn nicht zu nehmen.
Wenn man dies verstehen will, muß man
eines berücksichtigen, was überhaupt berücksichtigt werden muß,
wenn man so recht eindringen will in
verschiedene Geheimnisse der Menschheitsevolution: daß
so etwas zu erleben, wie ich es
angedeutet habe bei dem jungen Jesus von Nazareth, tiefsten Schmerz in der Seele verursacht.
Aber dieser Schmerz wandelt sich um
in Liebe. Und viele höchste Liebe, die im
Leben lebt, ist umgewandelter Schmerz
dieser Art. Tiefster Schmerz hat die
Fähigkeit, sich in Liebe umzuwandeln, die nicht bloß
wirkt wie gewöhnliche Liebe
durch das bloße Dasein des liebenden Wesens,
sondern die gleichsam ausstrahlt wie
weithin wirkende aurische
Strahlen. So daß die Leute,
unter denen Jesus in dieser Zeit war, viel mehr
als bloß einen Menschen unter sich zu
haben glaubten. Und wenn er wieder
von einem Orte weggezogen war, da wirkte das so, daß
die Leute, wenn sie des Abends
wieder zusammensaßen, wirklich das Gefühl von seiner
Gegenwart hatten. Als wenn er noch da wäre, so empfanden
sie. Und das trat stets ein, wieder und wieder, wenn er
längst fortgezogen war von
einem Orte, wo er sich aufgehalten hatte: daß
die Leute, die abends um den Tisch
saßen, gemeinschaftliche Visionen hatten. Sie sahen ihn hereintreten als Geistgestalt.
Jeder einzelne hatte zugleich diese
Vision, daß Jesus wieder unter sie gekommen
wäre, daß er mit ihnen
spräche, ihnen Dinge mitteilte, wie einst in
leiblicher Gegenwart. So lebte er
sichtbarlich unter den Leuten, wenn er längst
schon fort war. Das war eben der in Liebe
umgewandelte Schmerz, der ihn so
wirksam machte. Die Leute, bei denen er war, fühlten
sich dadurch in einem besonderen
Maße mit ihm verbunden. Sie fühlten
sich eigentlich niemals mehr von ihm
getrennt, sie fühlten: er war bei ihnen geblieben und er kam immer wieder.
Aber er zog nicht nur in der Gegend von
Palästina umher, sondern sein
Karma führte ihn — die einzelnen Umstände,
warum sein Karma ihn so führte,
zu besprechen, das würde heute zu weit führen —
auch in heidnische Orte. Dorthin
also kam er, nachdem er kennengelernt hatte die niedergehende Entwickelung im Judentum. Und
er lernte kennen, wie in den
Kulthandlungen der Heiden, wie in den heidnischen
Religionsverrichtungen ebenso wie im Judentum erstorben
war das, was einstmals als
Uroffenbarung im alten Heidentum gelebt hatte.
So mußte er die zweite Phase erleben
im Wahrnehmen des Herabstiegs der
Menschheit aus einer einstmals geistigen Höhe. Aber auf
eine andere Art als bei dem Judentum sollte er wahrnehmen, wie
das Heidentum herabgestiegen war.
Die Art, wie er den Abstieg des Judentums
vernahm, war mehr innerlich, durch
innere Erleuchtung gewonnen. Da sah er, wie die
Offenbarungen aus der geistigen Welt, die
einst durch die alten Propheten verkündigt worden waren,
aufgehört hatten, weil keine Ohren mehr da waren, zu hören. Wie es im Heidentum war,
das wurde ihm klar an einem Ort, wo
der alte heidnische Gottesdienst
besonders verfallen war, wo sich
auch in äußeren Zeichen der Verfall des Heidentums
zeigte. Die Menschen waren an dem Ort, in den er jetzt kam,
von Aussatz und sonstigen
häßlichen Krankheiten befallen. Bösartig waren
sie zum Teil geworden, zum Teil bresthaft, lahm. Sie waren
gemieden von den Priestern, die geflohen waren von den Orten.
Als man seiner ansichtig wurde,
verbreitete sich wie ein Lauffeuer, daß da jemand ganz
Besonderer käme. Denn er hatte jetzt auch in seinem
äußeren Auftreten schon etwas erlangt, was eben wie
umgewandelter Schmerz, wie Liebe
war. Man sah, daß da ein Wesen herankam, wie es
noch nie über die Erde gewandelt war.
Das sagte der eine dem anderen. Rasch hatte es sich verbreitet,
so daß viele herzuliefen, denn die Leute glaubten, daß ihnen zugeführt worden
sei ein Priester, der wieder ihre Opfer verrichten würde.
Waren doch ihre Priester geflohen! Da liefen sie herbei. So zeigt es die Akasha-Chronik,
wie ich es Ihnen erzähle. Er
hatte nicht vor, das heidnische Opfer zu verrichten.
Aber jetzt zeigte sich ihm, wie in
lebhaften Imaginationen, das ganze Rätsel
vom Herabstiege auch der heidnischen
Geistepoche. Er konnte jetzt unmittelbar wahrnehmen, was in die Geheimnisse der
heidnischen Mysterien eingeflossen war, was in den heidnischen
Mysterien gelebt hatte: daß die
Kräfte hoher göttlicher Wesenheiten auf die
Opferaltäre herabgeflossen
waren. Jetzt aber strömten statt der Kräfte der
guten Geister allerlei Dämonen,
Sendboten des Luzifer und Ahriman, auf die heiligen Altäre herab. Nicht so innerlich durch
Erleuchtung wie beim Judentum,
sondern wie in äußeren Visionen, nahm er den Verfall
des heidnischen Geisteslebens
wahr.
Es ist noch etwas anderes, etwas ganz
anderes, sozusagen die Dinge theoretisch kennenzulernen, als zu schauen, wie auf
einen Opferaltar, auf den einstmals
göttlich-geistige Kräfte herabgeflossen waren,
jetzt Dämonen herabstiegen, die
abnorme Seelenzustände, Krankheiten und
so weiter bewirkten. Dies anzuschauen in
Geistesschau ist etwas anderes, als theoretisch davon zu
wissen. Aber Jesus von Nazareth sollte das in unmittelbarer Geistesschau erkennen, sollte
sehen, wie die Sendboten von Luzifer und Ahriman wirkten; er
sollte sehen, was sie unter dem
Volke angerichtet hatten. Er fiel plötzlich wie tot hin.
Die Menschen ergriffen erschrocken die Flucht. Er aber hatte,
während er so wie entgeistert,
wie entrückt war in eine geistige Welt, den
Eindruck von alledem, was einstmals
die Uroffenbarungen zu den Heiden gesprochen hatten. Und so wie
er Geheimnisse vernommen hatte, die den alten Propheten verkündet worden waren und die
jetzt nicht einmal mehr wie ein
Schatten in der jüdischen Kultur lebten, so konnte
er jetzt durch geistige Inspiration
hören, in welcher Art diese Geheimnisse den Heiden
verkündet worden waren.
Den tiefsten Eindruck machte auf ihn etwas,
was versucht worden ist von mir zu
erforschen, und was ich zum erstenmal mitgeteilt habe
bei Gelegenheit der Grundsteinlegung
unseres Dornacher Baues. Man könnte es nennen «Das umgekehrte
Vaterunser», da es wie das Umgekehrte war von dem, was der
substantielle Inhalt des Gebetes ist, das dem Christus Jesus von seinen Jüngern
zugeschrieben wurde. Der Jesus von Nazareth nahm jetzt etwas
wahr wie ein umgekehrtes Vaterunser, so daß er fühlen
konnte, in diesen Worten ist wie zusammengepreßt das
Geheimnis des menschlichen Werdens und das
Verkörpertwerden in irdische Inkarnationen:
Amen
Es walten die Übel
Zeugen sich lösender
Ichheit
Von ändern erschuldete
Selbstheitschuld
Erlebet im täglichen Brote
In dem nicht waltet der Himmel
Wille
Indem der Mensch sich schied von Eurem
Reich
Und vergaß Euren Namen
Ihr Väter in den Himmeln.
Das ist, mit stammelnden Worten
wiedergegeben, dasjenige, was ausdrückt etwas wie die
Gesetze des sich einkörpernden Menschen, der
aus dem Makrokosmos in den Mikrokosmos
kommt. Seit mir diese Worte
bekanntgeworden sind, habe ich gefunden, daß sie eine
außerordentlich bedeutsame Meditationsformel sind. Sie
haben eine Kraft über die
Seele, die ganz außerordentlich ist, und man merkt
sozusagen um so mehr die starke
Kraft, die diese Worte haben, je mehr man sie
betrachtet. Und dann, wenn man sie
auflöst und zu verstehen sucht, dann zeigt sich an ihnen, wie in der Tat in ihnen das
Geheimnis des Menschen und das
Schicksal der Menschheit zusammengepreßt ist,
und wie aus dem Umkehren der Worte das
mikrokosmische Vaterunser entstehen konnte, das dann der
Christus seinen Bekennern verkündet hat.
Aber nicht nur dieses Geheimnis der
heidnischen Uroffenbarung nahm Jesus
wahr. Als er wieder aufwachte aus der Vision, lernte er
kennen durch die fliehenden Menschen und
Dämonen das ganze Geheimnis des Heidentums. Das war der
zweite maßlose Schmerz, der sich in seine Seele senkte. Er hatte zuerst in so
bedeutender Weise kennengelernt den
Verfall des Judentums dadurch, daß er erkannte,
was einst dem noch nicht verfallenen
Judentum offenbart worden war. Jetzt
lernte er ein Gleiches bei den Heiden kennen. Auf diese
Weise brachte er sich zum
bewußten Erleben die Empfindung der Tatsache,
daß in seiner Umgebung die Menschheit
leben mußte im Sinne der Worte:
Sie haben Ohren und hören nicht das, dasjenige, was
die Weltgeheimnisse sind. — So
mußte er sich das unbegrenzte Mitgefühl
erobern, das er mit den Menschen immer
gehabt hatte und das in den Worten
ausgedrückt werden kann: Jetzt konnte er schauen;
die Menschheit sollte den Inhalt
seines Schauens haben, aber wo sind die Wesen, es der Menschheit mitzuteilen?
Solche Erfahrungen mußte er bis zu
seinem vierundzwanzigsten Lebensjahr
etwa machen. Dann führte ihn sein Karma heim in der
Zeit, als sein Vater starb. Er lebte dann
mit seinen Stiefgeschwistern und mit
seiner Zieh- oder Stiefmutter zusammen. Während die
Stiefmutter ihn früher auch wenig verstanden hatte, machte
sich jetzt immer mehr und mehr ein
Verständnis von ihrer Seite bemerkbar für
das, was er als großen Schmerz in sich
trug. Und so folgten weitere Erlebnisse vom vierundzwanzigsten bis zum
achtundzwanzigsten, neunundzwanzigsten, dreißigsten Lebensjahr, in
denen er immer mehr und mehr —
obwohl es auch hier schwer war — Verständnis fand
bei seiner Stief- oder Ziehmutter.
Es waren das zugleich die Jahre, in denen er mit dem Essäerorden näher bekannt
wurde. Ich möchte heute nur die
Hauptmomente andeuten, wie Jesus den Essäerorden
kennenlernte. Es war dies ein Orden, in welchem Menschen sich
vereinigten, die sich von der
übrigen Menschheit absonderten und die ein besonderes
Leben des Leibes und der Seele entwickelten, um durch
dieses Leben sich wieder zu jener
Uroffenbarung des Geistes, welche die Menschheit verloren hatte, hinaufzuranken. In strengen
Übungen und in einer strengen
Lebensweise sollten die aufsteigenden Seelen eine
Stufe erreichen, durch die sie wieder
zusammengebracht werden konnten mit den geistigen Regionen, aus
denen die Uroffenbarungen geflossen waren.
In diesem Kreise lernte Jesus von Nazareth
auch Johannes den Täufer
kennen, aber sie wurden beide nicht im eigentlichen Sinn
Essäer. Das zeigt gerade die
Akasha-Chronik auf diesem Gebiet. Aber aus alledem, was ich geschildert habe, geht ja hervor,
daß eine Menschenpersönlichkeit ganz besonderer Art
da war, die auf jeden ganz außerordentlich wirkte; hatte sie doch so
außerordentlich, wie ich es geschildert habe, bei den Heiden gewirkt, so daß
auch die Essäer — trotzdem sie sonst das, was sie für ihre Seelen
errungen hatten, wie das heiligste
Geheimnis bewahrten, nichts davon verrieten an
Außenstehende — harmlos sprachen mit Jesus über
wichtige Ordensgeheimnisse, über Wichtigstes, was sie sich
im Streben ihrer Seelen errungen hatten. So lernte Jesus kennen, wie ein in jener Zeit
gegenwärtiger Weg für die
Menschenseele da war, um hinaufzusteigen zu den Höhen, in
denen die Urseelen der Menschen einmal geweilt hatten
und von denen sie herabgestiegen
waren. Ja, das konnte er an den Essäern
merken, wie es den Menschen doch noch
möglich sei, durch besondere Übungen zu diesen Höhen wieder
hinaufzuklimmen. Aber schon machte
es auf seine Seele einen tief, man möchte sagen, wenn
das triviale Wort in diesem
Zusammenhang erlaubt ist, unbehaglichen Eindruck, daß ein solcher Essäer, wenn er zu
diesen Höhen aufsteigen wollte, von der übrigen
Menschheit sich absondern, ein Leben führen mußte außerhalb des Kreises der
übrigen Menschen. Das war ganz
und gar nicht nach der Art von allgemeinster Menschenliebe,
wie Jesus von Nazareth sie
fühlte, der nicht ertragen konnte, daß etwas
an geistigem Gut bestehen sollte,
das nicht die ganze Menschheit sich aneignen konnte, sondern
nur einzelne auf Kosten der ganzen Menschheit. Und oft ging er
mit größtem Schmerz weg von den Stätten
der Essäer. Das, was er
empfand, läßt sich mit den Worten
ausdrücken: Auch da sind
einzelne, und es können immer nur wenige sein, die
den Weg zurückfinden zur
Uroffenbarung, aber gerade wenn diese wenigen sich absondern,
müssen die anderen um so mehr in Verfall leben.
Sie können nicht hinaufkommen, denn
sie müssen die grobe materielle Arbeit verrichten für die, die sich
absondern.
Als er wieder einmal aus einem Tore der
Ordensniederlassung herausging, da sah er im Geiste, wie zwei
Gestalten von dem Tore wegflohen. Von diesen beiden Gestalten,
die wir heute in unserer anthroposophischen Sprache Luzifer und
Ahriman nennen, hatte er den Eindruck, daß die Essäer
sich vor ihnen schützten, sie durch ihre Übungen,
durch ihr asketisches Leben, durch die strengen
Ordensregeln vertrieben. Nichts
sollte von Luzifer und Ahriman an diese Seelen
herankommen. Daher sah Jesus von Nazareth
Ahriman und Luzifer wegfliehen, aber
er wußte jetzt auch: gerade dadurch, daß eine
solche Stätte geschaffen war,
wo man Ahriman und Luzifer nicht zuließ, wo
man nichts wissen wollte von ihnen, gerade
dadurch zogen sie um so mehr zu den
anderen Menschen hin, weil sie fliehen mußten von diesen
Stätten. Das hatte er jetzt vor sich. Wiederum wirkt das
ganz anders, wenn man es nur durch
Theorie kennt, als wenn man sieht, was einzelne Seelen für ihre Förderung tun
und wie dadurch Luzifer und Ahriman
zu anderen Menschen hingeschickt werden, indem einzelne sie
sich vom Leibe schaffen. Jetzt wußte er, daß das kein
Heilsweg ist, den die Essäer gingen, sondern daß das
ein Weg ist, der durch Absonderung
auf Kosten der übrigen Menschheit nur die eigene
Förderung sucht.
Ein unsägliches Erbarmen kam über
ihn. Er empfand keine Freude an dem
Aufsteigen der Essäer, da er wußte, andere Menschen
mußten um so tiefer sinken,
während einzelne stiegen. Das alles kam um so
mehr über ihn, als er immer wieder
auch an anderen Toren der Essäer — es gab mehrere
solcher Stätten — das Bild sah des fliehenden
Luzifer und Ahriman, die vor den
Toren standen, aber nicht hineinkommen konnten in diese Ordensstätten. So wußte er,
wie Ordenssitten und Ordensregeln
— nach dem Muster der Essäerregeln — Luzifer
und Ahriman den anderen Menschen zutreiben. Und dies war der
dritte große, unendliche
Schmerz, den er über den Herabstieg der Menschheit empfand
und der sich so über seine Seele gebreitet
hatte.
Ich sagte schon, daß seine Stief- oder
Ziehmutter immer mehr Verständnis bekam für das, was
in seiner Seele lebte. Jetzt trug sich das zu,
was bedeutsam wurde als Vorbereitung
für das Mysterium von Golgatha: Ein Gespräch fand
statt — so ergibt es die Forschung in der
Akasha-Chronik — zwischen Jesus von
Nazareth und der Stief- oder Ziehmutter. So weit war ihr Verständnis schon
vorgerückt, daß er zu ihr
von dem dreifachen Schmerz sprechen konnte, den er über
den Abstieg der Menschheit, den er
auf dem Gebiete des Judentums und des Heidentums sowie des Essäertums durchgemacht
hatte. Und indem er ihr schilderte seinen ganzen einsamen
Schmerz, und was er erfahren hatte, sah er, daß dies auf
ihre Seele wirkte.
Es gehört zu den großartigsten
Eindrücken, die man auf okkultistischem Felde erhalten
kann, gerade den Charakter dieses Gespräches
kennenzulernen. Denn man kann eigentlich im
ganzen Bereich der Erdenentwickelung
etwas Ähnliches, ich sage nicht, etwas
Größeres, denn
natürlich: das Mysterium von Golgatha ist
größer, aber etwas Ähnliches kann man sonst nicht sehen. Das, was er
zu der Mutter sprach, waren nicht
etwa bloß im gewöhnlichen Sinn Worte, sondern
sie waren wie lebendige Wesen, die von ihm
zu der Stiefmutter hinübergingen, und seine Seele
beflügelte diese Worte mit ihren eigenen
Kräften. Alles, was er so unendlich
stark erlitten hatte, ging in dem Gespräch wie auf den Flügeln der Worte
hinüber in die Seele der Stiefmutter. Sein eigenes Ich
begleitete jedes Wort, und es war nicht bloß
ein Worte- oder Gedankenaustausch, es war
ein lebendiges Seelenwandern von ihm in die Seele der
Stiefmutter, die Worte von seiner unendlichen Liebe, aber auch von seinem unendlichen
Schmerz. Und so konnte er ihr alles
wie in einem großen Tableau entwickeln, was er
dreimal erlebt hatte. Was sich da
abspielte, wurde noch dadurch erhöht, daß Jesus von
Nazareth allmählich das Gespräch übergehen
ließ in etwas, was sich ihm
ergeben hatte aus dem dreifachen Leid des Menschenabstieges heraus.
Nun ist es wirklich schwierig, in Worte zu
kleiden das, was er, wie
zusammenfassend seine eigenen Erlebnisse, zur Stiefmutter
jetzt sprach. Aber da wir ja
geisteswissenschaftlich vorbereitet sind, so kann
auch mit Zuhilfenahme
geisteswissenschaftlicher Formeln und Ausdrücke versucht
werden, den Schluß des Gespräches seinem Sinne
nach zu schildern. Natürlich
ist das, was ich jetzt zu sagen habe, nicht so
gesprochen worden, aber es wird
ungefähr eine Vorstellung hervorrufen von dem, was Jesus
jetzt als Vorstellung in der Seele der Stiefmutter hervorrufen
wollte: Wenn man so in die Entwickelung der Menschheit zurückblickt, dann stellt sich das
gesamte Leben der Menschheit auf
Erden so dar wie das einzelne menschliche Leben, nur
verändert für die späteren
Generationen, ihnen unbewußt. Das nachatlantische Leben
der Menschheit, könnte man sagen, trat da vor die
Seele des Jesus von Nazareth: wie zuerst
nach dem großen Naturereignis eine urindische Kultur sich
entwickelte, wo die großen heiligen Rishis ihre gewaltigen Weistümer an die Menschheit
heranbringen konnten. Mit anderen
Worten: es war eine spirituell-geistige Kultur
da. Ja, so sagte er, so wie im einzelnen
Menschen ein kindliches Alter da ist
zwischen der Geburt und dem siebenten Jahr, wo ganz
andere geistige Kräfte walten
als im späteren Menschenleben, so wirkten geistige
Kräfte in dieser urindischen Zeit. Weil diese Kräfte
nicht nur bis zum siebenten Jahr da
waren, sondern über das ganze Leben sich ergossen, so war
die Menschheit in einer anderen Evolution als
später. Damals wußte man
das ganze Leben hindurch, was heute das Kind bis
zum siebenten Jahr weiß und erlebt.
Man denkt heute so zwischen dem
siebenten und vierzehnten und dem vierzehnten und
einundzwanzigsten Jahr, so wie man eben denkt, weil man die
Kindheitskräfte verloren hat, die bei uns heute im
siebenten Jahr abgestellt werden.
Weil diese damals über das ganze Menschenleben
ausgegossen waren, diese
Kräfte, die heute nur bis zum siebenten Lebensjahr
da sind, waren die Menschen in der
ersten nachatlantischen Epoche hellsichtig. Höher stiegen
sie mit den Kräften, die heute nur bis zum siebenten Jahre
im Menschen leben. Ja, da war das Goldene Zeitalter in
der Menschheitsentwickelung. Dann kam ein
anderes Zeitalter, da waren die Kräfte in der ganzen
Menschheit tätig, ausgebreitet über das
ganze Leben, die sonst nur zwischen dem
siebenten und vierzehnten Lebensjahr
tätig sind. Dann kam die dritte Epoche, in der tätig
waren die Kräfte, die heute
zwischen dem vierzehnten und einundzwanzigsten Jahr wirken. Und
dann lebten wir in einer Epoche, in der die Kräfte ausgegossen waren über das ganze
Menschheitsleben, die sonst zwischen
dem einundzwanzigsten und achtundzwanzigsten Jahre
tätig sind. Da nähern wir
uns aber schon, so sagte Jesus von Nazareth, der
Mitte des Menschenlebens, die in den
Dreißigerjahren liegt, wo für den einzelnen Menschen die Jugendkräfte aufhören
aufzusteigen, wo er beginnt, den
Abstieg zu vollziehen. Wir leben jetzt in dem Zeitalter,
das entspricht dem achtundzwanzigsten bis
fünfunddreißigsten Jahr des einzelnen Menschen, wo der Mensch den Abstieg des
Lebens beginnt. Während beim einzelnen Menschen andere
Kräfte noch da sind, die ihn
weiterleben lassen, so ist in der ganzen Menschheit nichts
mehr da. Das ist der große
Schmerz, daß die Menschheit greisenhaft werden
soll, ihre Jugend hinter sich hat, daß
sie steht in dem Alter zwischen dem
achtundzwanzigsten und fünfunddreißigsten Lebensjahr.
Wo kommen neue Kräfte her? Die
Jugendkräfte sind erschöpft.
In einer solchen Weise sprach Jesus zu
seiner Stiefmutter über den Abstieg, der für das ganze Leben der sich
fortentwickelnden Menschheit beginne, daß ein
unsäglicher Schmerz in seinen Worten sich ausdrückte,
so daß man sah, es war jetzt wie hoffnungslos, ganz
hoffnungslos für die Menschheit. Die Jugendkräfte
sind erschöpft, die Menschheit
kann jetzt dem Greisenalter entgegengehen. Der einzelne
Mensch, das wußte er, der führt
gleichsam dadurch, daß ihm ein Rest der Kräfte verbleibt, zwischen dem
fünfunddreißigsten Lebensjahr und dem Tode sein Leben weiter. Die Menschheit aber
hatte so etwas nicht; in die
mußte erst etwas hineinkommen: das, was dem Einzelleben
eines Menschen notwendig ist zwischen dem achtundzwanzigsten
bis fünfunddreißigsten Lebensjahr. Makrokosmisch
mußte die Erde durchleuchtet
werden von der Kraft, von der sonst der Mensch
durchleuchtet werden muß da, wo er den
Aufstieg des Lebens zwischen dem achtundzwanzigsten und
vierunddreißigsten Jahr durchmacht.
Daß die Menschheit als solche alt
wird, das ist der Gedanke, das ist die Empfindung, die man jetzt in der Akasha-Chronik
sieht und während der Erzählung des Jesus von
Nazareth fühlt. Während er so zu der Mutter sprach, während sozusagen der Sinn der
Menschheitsentwickelung aus seinen Worten tönte, da
wußte er in einem Augenblick, in dem gleichsam alles, was
in seinem Selbst war, in seine Worte überfloß, daß mit ihnen aus seinem
Eigenwesen etwas fortging, denn seine Worte waren dasjenige geworden, was er selbst
war. Das war auch der Moment, wo
jetzt hineinfloß in die Seele der Stief- oder Ziehmutter
jene Seelenwesenheit, die in seiner leiblichen Mutter gelebt
hatte, die nach dem Herausgehen des
Zarathustra-Ichs in den Leib des anderen Jesusknaben der Erde
abgestorben war und seit dem zwölften Lebensjahr des Jesus in geistigen Regionen lebte. Sie
konnte von jetzt ab diese Seele der
Stiefmutter durchgeistigen, so daß diese mit der
Seele der leiblichen Mutter des
nathanischen Jesusknaben lebte.
Der Jesus von Nazareth aber hatte so
intensiv sich selbst verbunden mit den Worten, in die er all
seinen Schmerz über die Menschheit geprägt hatte, daß dieses Selbst wie aus
seinen Leibeshüllen verschwunden war, und seine
Leibeshüllen jetzt wieder so waren, wie sie
waren, als er ein kleiner Knabe war, nur
durchtränkt von alldem, was er
durchlitten hatte seit seinem zwölften Jahr. Das Ich des
Zarathustra war weggegangen, und es
lebte in seinen drei Hüllen nur das, was
zurückgeblieben war durch die Macht der Erlebnisse. In
diesen drei Hüllen machte sich jetzt ein Impuls geltend;
der trieb ihn auf einen Weg, welcher
ihn dann zu Johannes dem Täufer am Jordan führte. Wie
in einer Art von Traum, der aber
doch wieder kein Traum war, sondern ein höheres Bewußtsein, so ging er den Weg,
und nur die drei Hüllen waren
da, durchgeistigt und durchpulst von den Wirkungen der
Erlebnisse seit dem zwölften Jahr. Das Ich des Zarathustra
war weggegangen. Die drei Hüllen führten ihn so,
daß er kaum etwas wahrnahm von
dem, was um ihn war. Er lebte, gerade weil das Ich fort war,
ganz im Anschauen des Schicksals der
Menschen, in dem auch, was den Menschen fehlte.
Als er so dahinging auf dem Wege zu
Johannes dem Täufer am Jordan,
da begegneten ihm zwei Essäer, mit denen er oft
Gespräche geführt hatte.
So wie er jetzt war, erkannte er die beiden Essäer
nicht, denn wie entrückt war
seine Ichheit. Sie aber kannten ihn. Und darum
sprachen sie ihn an: Wohin geht dein Weg,
Jesus von Nazareth? — Das, was
er zu ihnen sprach, habe ich versucht in Worte zu kleiden.
Er sprach die Worte so, daß sie
nicht wußten, woher sie kamen, sie kamen
aus ihm und doch nicht aus ihm: Dahin,
wohin Seelen eurer Art nicht blicken
wollen, wo der Schmerz der Menschheit die Strahlen des
vergessenen Lichtes finden kann.
Das waren die Worte, wie sie von ihm kamen.
Und sie verstanden seine Rede nicht;
sie merkten jetzt, daß er sie nicht erkannte. Und
sie sprachen weiter: Jesus von
Nazareth, kennst du uns nicht? — Und jetzt
kamen noch merkwürdigere Worte. Es
war, wie wenn er zu ihnen gesprochen hätte: Ihr seid wie
verirrte Lämmer, ich aber war des Hirten
Sohn, dem ihr entlaufen seid. Wenn ihr mich
recht erkennet, werdet ihr bald von
neuem entlaufen. Es ist lange her, daß ihr von mir in
die Welt entflohen seid.
Die Essäer wußten nicht, was sie
von ihm halten sollten, denn indem er so zu sprechen schien,
nahmen seine Augen ein ganz besonderes Gepräge an. Sie
waren wie nach außen und doch wieder nach innen
blickend. Sie waren wie Augen, die in ihrem
Ausdruck etwas hatten wie von
Vorwurf für die angesprochenen Seelen. Es waren
Augen, durch die es strahlte wie von
milder Liebe, aber von einer Liebe, die für die Essäer zum Vorwurf wurde, der aus
ihrer eigenen Seele kam. So etwa
kann man charakterisieren, was die Essäer empfanden, als
sie ihn hörten: Was seid ihr
für Seelen? Wo ist eure Welt? Warum hüllt
ihr euch in täuschende Hüllen?
Warum brennt in eurem Inneren ein Feuer, das in meines Vaters Hause nicht entfacht
ist?
Und es verstummten gleichsam ihre Seelen
bei diesen Worten. Und er sprach
weiter: Ihr habt des Versuchers Mal an euch, der traf
euch nach eurer Flucht. Er hat mit
seinem Feuer eure Wolle gleißend gemacht. Die Haare dieser
Wolle stechen meinen Blick. Ihr verirrten Lämmer! Er hat eure Seelen mit Hochmut
durchtränkt.
Als er die Worte gesprochen hatte:
Gleißend ist eure Wolle geworden, die Haare dieser Wolle
stechen meinen Blick — , da nahm einer der
Essäer das Wort und sagte: Haben wir
nicht dem Versucher die Türe gewiesen? Er hat kein Teil mehr an uns. — Da dies
der Essäer gesprochen hatte, sagte Jesus weiter: Wohl
wieset ihr ihm die Türe, doch er lief hin und kam zu den anderen Menschen. So greift er
sie von allen Seiten an. Ihr
erhöht euch nicht, wenn ihr die anderen erniedriget.
Ihr kommt euch doch nur vor, als
wenn ihr euch erhöhtet, weil ihr die anderen laßt verkleinert werden! Ihr bleibt so
hoch, wie ihr seid, und nur weil ihr
die anderen kleiner macht, so kommt ihr euch groß
vor.
Jesus von Nazareth sprach so, daß es
die Essäer merken konnten. Und
da er dies gesprochen hatte, war es so bedrückend für
die Essäer, daß sie nicht
mehr schauen konnten. Ihre Augen verdunkelten sich,
und Jesus von Nazareth war wie vor ihren
Augen entschwunden. Dann aber, als
er wie entschwunden war, da sahen sie wie von ferne
sein Angesicht, aber ins Riesenhafte
vergrößert, wie eine Fata Morgana vor sich, weit, weit weg, und wie aus dieser Fata
Morgana sprechend, kamen Worte her,
etwas, was sie empfanden wie: Eitel ist euer Streben, weil leer
ist euer Herz, das ihr nur erfüllet habt mit dem
Geiste, der den Stolz in die
Hüllen der Demut täuschend birgt.
Dann war auch diese Fata Morgana
entschwunden, und sie blieben bedrückt und bestürzt stehen. Als sie wieder
schauen konnten, sahen sie, daß
er schon ein Stück Wegs weitergegangen war, während
sie das Gesicht gesehen hatten. Und
sie konnten nichts tun, als das Bewußtsein haben, daß
er schon ein Stück weitergezogen war. Bedrückt gingen
sie weiter in ihre Essäerherberge, und sie erzählten
niemals etwas von dem, was sie
erlebt hatten, sondern schwiegen darüber zeit ihres
Lebens. Sie waren dadurch allerdings die
Tiefsten an Seele unter ihren Mitbrüdern geworden, aber sie schwiegen und wurden
überaus stumme Brüder, die
nichts redeten als das, was zur alltäglichsten
Verständigung notwendig war. Ihre Brüder wußten
nicht, warum sich ihr Wesen so verändert hatte. Bis zu
ihrem Tod verrieten sie nichts von dem, was sie vernommen hatten. Sie erlebten daher in ganz
besonderer Weise das mit, was sich
ereignete als das Mysterium von Golgatha. Aber für die anderen war das, was sie erlebt
hatten, wie unwahrnehmbar.
Als Jesus eine Weile des Weges
weitergegangen war, da begegnete er
einem Menschen, der in seiner Seele tief verzweifelt war. Aber,
wie gesagt, wie entrückt war
Jesus den irdischen Verhältnissen, so daß
ihm unverständlich war, daß etwas
wie ein Mensch an ihn herankam. Um
so tieferen Eindruck machte sein Wesen auf diesen Menschen,
der in seiner Seele so verzweifelt
war, daß er den Eindruck allertiefsten Leides machte. Den mächtigen Eindruck, den diese
Seele im Anblick des Jesus von
Nazareth hatte, als er so daher kam, entlockte dem
Jesus von Nazareth Worte, die etwa so
gesprochen werden können: Wozu
hat deine Seele ihr Weg geführt? Ich habe dich vor viel
tausend Jahren gesehen; damals warst
du anders!
Alles das hörte dieser verzweifelte
Mensch wie gesprochen von der Erscheinung des Jesus von Nazareth, die eben herankam.
Durch diese Worte fühlte sich
der Verzweifelte getrieben, das Folgende zu sagen.
Auf der einen Seite fühlte er das
Bedürfnis seiner Seele, sich auszusprechen, auf der
anderen Seite selbst seines Schicksals Antwort zu
finden: Ich habe es in meinem Leben zu
hohen Würden gebracht. Ich lernte immer; durch das Gelernte stieg ich unter meinen
Mitmenschen zu immer höheren
und höheren Würden. Jede Würde hat mich
stolzer gemacht und oft sagte ich
mir: Was bist du doch für ein seltener Mensch, so glänzend emporzusteigen über deine
Nebenmenschen! Ich fühlte den
Wert meiner Seele, die mehr wert sein mußte als die
Seele anderer Menschen. Mein Hochmut
stieg bei jeder neuen Würde. Da hatte ich einmal einen Traum. Ach, was war das für
ein furchtbarer Traum! Nicht nur,
daß ich träumte, sondern indem ich träumte,
war meine Seele ausgefüllt von
Schamgefühl. Denn ich schämte mich, so
etwas zu träumen. Ich war in meinem
Leben so stolz! Und jetzt träumte ich so etwas, was ich nie hätte träumen
mögen, und das kam mir im Traum
gut vor. Ich träumte, ich stellte mir die Frage: Wer hat
mich groß
gemacht? Und da stand ein Wesen vor mir, das sagte: Ich
habe dich groß gemacht, ich
habe dich erhöht, doch dafür bist du mein!
— Das war, was ich als tiefste
Schande fühlte, daß ich jetzt die Offenbarung
erhielt, ich wäre nicht eine Seele, die auserlesen war,
die durch eigene Kraft gestiegen
war; eine andere Wesenheit hatte mich erhöht.
Im Traume ergriff ich die Flucht. Ich habe,
als ich erwachte, wirklich die
Flucht ergriffen, habe alle meine Würden verlassen. Ich
wußte nicht, was ich suchte,
und so wandele ich, vor mir und vor dem, was
ich erreicht habe, entfliehend, lange schon
in der Welt herum, mich schämend alles dessen, was ich einst im Hochmut
gedacht habe.
Als der verzweifelnde Mensch diese Worte
gesprochen hatte, stand das Wesen,
das zu ihm im Traum gesprochen hatte, wieder vor ihm,
zwischen ihm und Jesus von Nazareth. Es
deckte dieses Traumwesen die Gestalt
des Jesus von Nazareth zu. Und als das Traumbild sich
wieder verwandelt hatte, wie in Nebel
zergangen war, da war auch Jesus
schon weitergegangen. Als der Verzweifelnde sich umsah,
sah er ihn schon ein ganzes
Stück weiter. Da mußte er denn in seiner Verzweiflung
seines Weges weiterziehen.
Dann kam Jesus von Nazareth ein
Aussätziger entgegen, dessen Aussatz und dessen Leiden schon aufs höchste
gestiegen waren. Und durch das, was
diese Seele empfand, fühlte sich wiederum das Wesen
des Jesus von Nazareth zu Worten
gedrängt, die der Aussätzige hörte.
Es waren wiederum die Worte: Wozu hat deine
Seele ihr Weg geführt? Ich habe dich vor vielen
Jahrtausenden gesehen, da warst du anders!
Durch diese Worte wurde der Aussätzige
bestimmt, zu sprechen; wiederum in
einer ähnlichen Weise, wie vorher der Verzweifelnde
bestimmt worden war, zu sprechen. Der Aussätzige sagte:
Ich weiß nicht, wie ich zu der
Krankheit komme; sie trat allmählich an mich
heran. Und die Menschen duldeten mich nicht
mehr unter sich. Ich mußte in
die Einöde wandern, konnte kaum vor den Türen das
erbetteln, was die Leute mir hinwarfen. Da kam ich eines Nachts
in die Nähe eines dichten
Waldes. Da sah ich wie aus einer Lichtung mir entgegenkommend
einen Baum, der, von selbst leuchtend, zu mir hinblinkte. Ich
hatte den Drang, dem Baum, der so leuchtend mir
entgegenblinkte, näherzutreten. Der Baum zog mich an. Und
als ich in die Nähe des Baumes
kam, da trat wie aus dem Licht des Baumes auf mich los
ein Gerippe. Ich wußte: Der Tod ist
es, der in dieser Form vor mir steht. Und der Tod sagte zu mir: Ich bin du; ich zehre
an dir. Fürchte dich nicht!
— Aber das Gerippe sprach weiter: Warum fürchtest
du dich? Hast du mich nicht einst
geliebt durch viele Leben hindurch? Nur wußtest du es nicht, daß du mich
liebtest, denn ich war dir erschienen als ein schöner
Erzengel; den glaubtest du zu lieben. — Und
dann stand nicht der Tod vor mir, sondern
der Erzengel, den ich oft gesehen
hatte, und von dem ich wußte: Das war das Bild, das ich
geliebt hatte. Dann war er verschwunden. Ich aber erwachte erst
am nächsten Morgen, an dem
Baume liegend, und fand mich so, daß ich
noch elender war als vorher. Und ich
wußte, daß alles das, was ich an Lebensgenüssen geliebt hatte, was an Eigenliebe in
mir lebte, daß alles das
zusammenhängt mit dem Wesen, das mir als Tod und als
Erzengel erschienen war, das
behauptete, ich liebte es, und ich wäre es selbst.
Jetzt stehe ich vor dir, von dem ich nicht
weiß, wer er ist. — Und jetzt erschien wiederum der Erzengel und dann auch der Tod
und stellte sich zwischen den
Aussätzigen und Jesus von Nazareth und verdeckte
dem Blick des Aussätzigen den Jesus
von Nazareth. Als der Aussätzige nur den Erzengel sah, verschwand Jesus, und dann
verschwand auch der Tod und der
Erzengel. Und der Aussätzige mußte weitergehen
und sah nur, wie schon weiter
fortgeschritten, den Jesus von Nazareth.
Das waren solche Ereignisse, die sich
darboten auf dem Weg, wenn man ihn
Akasha-Chronik-mäßig verfolgt, den Jesus von Nazareth
gegangen war zwischen dem Gespräch mit der Mutter und der
Johannestaufe im Jordan.
Wir werden dann morgen sehen, wie diese
Ereignisse, die sich da abgespielt
haben in der Begegnung mit den zwei Essäern, in der
Begegnung mit dem Verzweifelnden und in der Begegnung mit
dem Aussätzigen, weiterwirkten
in den Hüllen des Jesus von Nazareth, wie
das, was da an Berührungen mit der
Welt, die der Jesus, welcher er wie entrückt war, kaum verstand, sich verquickte mit
dem, was er empfing bei der
Johannestaufe im Jordan.
Wem diese Ereignisse, die ich da
erzählt habe, sonderbar oder wunderbar erscheinen, diese Ereignisse, die sich gerade
zwischen dem Gespräch mit der
Stief- oder Ziehmutter und der Johannestaufe abspielten, dem
kann ich nur sagen: Sie mögen sonderbar erscheinen;
sie stellen sich wahrhaftig dar bei dem
Erforschen in der Akasha-Chronik. Sie stellen Ereignisse dar,
die allerdings so einzig in ihrer Art sind, wie sie einzig sein müssen, da sie die
Vorbereitung sind zu einem Ereignis, das auch nur einmal hat
stattfinden können, zu dem Ereignis, das wir das Mysterium von Golgatha nennen. Wer nicht
eingehen will auf den Gedanken,
daß sich dazumal innerhalb der Entwickelung der
Menschheit etwas ganz Besonderes abgespielt
hat, dem wird der ganze Hergang der
Menschheitsentwickelung schwer verständlich sein.
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