Teil 1
Unsägliches Leiden, tiefe Trauer leben in den Seelen der
gegenwärtigen Menschen neben dem Willen, dem
weltgeschichtlich unvergleichlichen Augenblicke die Opfer des
Mutes, der Tapferkeit, der Liebe zu bringen, die er fordert.
Den Krieger stählt das Bewußtsein, daß er
für ein Teuerstes einsteht, das die Erde der Menschheit zu
geben hat. Er sieht dem Tod ins Antlitz mit dem Gefühl,
daß sein Sterben von jenem Leben gefordert wird, das als
Höheres gegenüber dem einzelnen Menschen auch seinen
Tod beanspruchen darf. Väter, Mütter und Söhne,
Frauen, Schwestern und Töchter müssen aus dem
persönlichen Leide heraus sich finden in der Idee,
daß aus Blut und Tod die Entwickelung der Menschheit sich
erheben werde zu Zielen, denen die Opfer notwendig waren und
die sie rechtfertigen werden. Der Aufblick vom Einzelerlebnis
zum Leben der Menschheit, von dem Vergänglichen zu
dem, was in diesem Vergänglichen als das
Unvergängliche lebt: er wird gefordert von den Erlebnissen
dieser Zeit. Die Zuversicht erhebt sich aus der Empfindung
dessen, was geschieht, daß, was erlebt wird, die
Morgenröte einer neuen Zeit der Menschheit heraufheben
werde, deren Kräfte dieses Erlebnis reifen solle.
Mit
dem Verständnis, das auch der Menschen Verirrungen zu
begreifen sucht, möchte man auf die Flammen des Hasses
blicken, die sich entzünden. Zu stark ist eben für
manchen der Eindruck, den er empfängt, wenn er das
gegenwärtig Erlebte vergleicht mit dem, was ihm durch die
Entwickelung der Menschheit für die Gegenwart bereits
errungen schien. Menschen, die verstanden, über dies der
Menschheit Errungene aus einer vollen Anteilnahme heraus
sich auszusprechen, fanden dafür Worte wie
diejenigen sind, die der feine deutsche Kunstbetrachter, der im
Jahre 1901 verstorbene Herman Grimm, gesprochen hat. Der
vergleicht das Erleben des Menschen in früherer Zeit mit
dem, was die Gegenwart diesem Erleben zuführt. Er sagt:
«Es ist mir zuweilen, als sei man in ein neues Dasein
versetzt und habe nur das nötigste geistige
Handgepäck mitgenommen. Als zwängen völlig
veränderte Lebensbedingungen zu völlig neuer
Gedankenarbeit. Denn Entfernungen sind nichts mehr, was
Menschen trennt. In spielender Leichtigkeit umkreisen unsere
Gedanken den Umfang der Erdoberfläche und fliegen von
jedem Einzelnen zu jedem Anderen, wo er auch sei. Die
Entdeckung und Ausnutzung neuer Naturkräfte vereinigt
sämtliche Völker zu unablässiger gemeinsamer
Arbeit. Neue Erfahrungen, unter deren Drucke unsere Anschauung
alles Sichtbaren und Unsichtbaren in ununterbrochenem Wechsel
sich ändert, drängen uns a%ch für die
Entwickelungsgeschichte der Menschheit neue Beobachtungsweisen
auf.» In seiner individuellen Art hane vor dem Ausbruche
dieses Krieges jeder europäische Mensch solche
Empfindungen in seiner Seele. Und nun: Was ist für die
Zeit dieses Krieges aus dem gemacht, was zu diesen Empfindungen
anregte. Ist es nicht, als ob der Menschheit gezeigt werden
sollte, wie die Welt aussieht, wenn die Wirkungen von vielem
aufhören, was Frucht der Entwickelung ist? Und doch auch:
Zeigt nicht der Krieg durch seine Schrecken, wozu
Völkerkonflikte führen müssen, die mit den
Mitteln ausgekämpft werden, welche die neueste
Entwickelung gebracht hat?
Verwirrend können die Empfindungen sein, die aus den
Erlebnissen entstehen. Man möchte aus dem Vorhandensein
dieser Verwirrung heraus verstehen, warum viele Menschen nicht
begreifen können, daß der Krieg selber des Krieges
Schrecken und Leiden bringt, und warum sie den Gegner als
«Barbaren» verschreien, wenn ihm eine herbe
Notwendigkeit den Gebrauch der Kampfesmittel aufzwingt,
welche die neuere Zeit geschaffen hat.
Worte haßerfüllter Verurteilung deutschen Wesens,
jetzt ausgesprochen von Persönlichkeiten, die führend
sind unter den Völkern, mit denen Deutschland
gegenwärtig im Kriege lebt: wie klingen sie einer Seele,
die als wahren Ausdruck deutschen Gefühles empfindet, was
der schon erwähnte Herman Grimm kurz vor dem Eintritt
dieses Jahrhunderts als einen Grundzug in der Auffassung des
Lebenswillens der neueren Menschheit gekennzeichnet hat. Er
schrieb: «Die Solidarität der sittlichen
Überzeugungen aller Menschen ist heute die uns alle
verbindende Kirche. Wir suchen leidenschaftlicher als jemals
nach einem sichtbaren Ausdrucke dieser Gemeinschaft. Alle
wirklich ernsten Bestrebungen der Massen kennen nur dies
eine Ziel. Die Trennung der Nationen existiert hier bereits
nicht mehr. Wir fühlen, daß der ethischen
Weltanschauung gegenüber kein nationaler Unterschied
walte. Wir alle würden uns für unser Vaterland
opfern; den Augenblick aber herbeizusehnen oder
herbeizuführen, wo dies durch Krieg geschehen könne,
sind wir weit entfernt. Die Versicherung, daß Friede zu
halten unser aller heiligster Wunsch sei, ist keine Lüge.
durchdringt uns. Die Bewohner unseres Planeten, allesamt als
Einheit gefaßt, erfüllt ein allverständliches
Feingefühl ... Die Menschen als Totalität
anerkennen sich als einem wie in den Wolken thronenden
unsichtbaren Gerichtshofe unterworfen, vor dem nicht
bestehen zu dürfen, sie als ein Unglück
erachten, und dessen gerichtlichem Verfahren sie ihre inneren
Zwistigkeiten anzupassen suchen. Mit ängstlichem Bestreben
suchen sie hier ihr Recht. Wie sind die heutigen Franzosen
bemüht, den Krieg gegen Deutschland, den sie vorhaben, als
eine sittliche Forderung hinzustellen, deren Anerkennung sie
von den anderen Völkern, ja von den Deutschen selber
fordern. » Herman Grimms Lebensarbeit ist in solcher Art
im deutschen Geistesleben mit all ihren Wurzeln gegründet,
daß man sagen kann: Wenn er einen solchen Gedanken
ausspricht, so ist es, als ob er von dem Bewußtsein
durchdrungen wäre, er spreche im geistigen Auftrage seines
Volkes. Er gebrauche Worte, bei denen er die Gewißheit
haben durfte: Wenn das deutsche Volk als Ganzes sich
äußern könnte, so würde es solche Worte
gebrauchen, um seine Gesinnung darüber zu
äußern, wie es sein eigenes Wollen innerhalb der
Gesamtheit der Menschheit auffaßt. Herman Grimm will
nicht sagen: was von solcher Gesinnung im gegenwärtigen
Leben der Menschheit vorhanden ist, könne Kriege
verhindern. Er spricht ja davon, daß er den Gedanken haben
müsse, die Franzosen wollen einen Krieg gegen Deutschland.
Daß aber auch durch Kriege hindurch diese Gesinnung ihre
Kraft bewähren werde, das mußte Herman Grimms
Überzeugung sein, wenn er Gedanken wie die
angeführten zum Ausdrucke brachte. Gegner des deutschen
Volkes sprechen gegenwärtig so, als ob sie für
erwiesen hielten, die einzige Ursache dieses Krieges liege nur
darin, daß den Deutschen das Verständnis für
eine solche Gesinnung fehle. Als ob das Ergebnis dieses Krieges
sein müßte, daß die Deutschen zum
Verständnis einer solchen Gesinnung gezwungen werden. Als
ob bei den Deutschen maßgebende Geister sich die Aufgabe
gesetzt hätten, diese Gesinnung bei ihrem Volke
auszutilgen.
Man
hört jetzt manche Namen deutscher Persönlichkeiten in
haßerfüllter Art aussprechen. Nicht nur von
Tagesschriftstellern, auch von geistigen Führern der mit
Deutschland im Kriege lebenden Völker. Ja, auch aus
Ländern, mit denen Deutschland keinen Krieg hat, kommen
solche Stimmen. Unter diesen deutschen Persönlichkeiten
ist zum Beispiel der Geschichtsschreiber des deutschen Volkes,
Heinrich von Treitschke. Die Deutschen, die über die
wissenschaftliche Bedeutung und das Wesen der
Persönlichkeit Treitschkes sich Gedanken bilden, sprechen
die verschiedensten Werturteile über ihn aus. Aus
welchen Gesichtspunkten diese Urteile gefällt werden, ob
sie berechtigt oder unberechtigt sind, darauf kommt es in
diesem Augenblicke nicht an; den Stimmen der Gegner des
deutschen Wesens gegenüber ist ein ganz anderer
Gesichtspunkt maßgebend. Diese Gegner wollen in Treitschke
eine Persönlichkeit sehen, die auf das jetzige deutsche
Geschlecht so gewirkt habe, daß gegenwärtig das
deutsche Volk sich für das nach allen Richtungen
begabteste der Völker halte, das die anderen deshalb
zwingen wolle, sich seiner Führung unterzuordnen, und das
die Erlangung der Macht über alles Recht stelle. Lebte
Treitschke noch, und vernähme er die Urteile der Gegner
des deutschen Wesens über seine Person, er könnte
sich erinnern an Worte, die er 1861 als den Ausdruck seines
tiefsten Empfindens in der Abhandlung über «Die
Freiheit» niedergeschrieben hat. Er sprach sich da
über solche Menschen aus, die ihrer Achtung und Duldung
fremder Meinungen sogleich eine Grenze setzen, wenn ihnen in
solchen Meinungen etwas entgegentritt, das ihnen nicht
gefällt. Solchen Menschen - meint Treitschke -
verhüllt sich der Gedanke durch die Leidenschaft, und er
sagt: so lange solche Art, die aus der Leidenschaft geborene
Phrase an die Stelle des Urteiles zu setzen, noch lebt,
«so lange lebt in uns noch, ob auch in milderer Form, der
fanatische Geist jener alten Eiferer, welche fremde Meinungen
nur deshalb erwähnten, um zu beweisen, daß ihre
Urheber sich gerechte Ansprüche auf den Höllenpfuhl
erworben hätten». Ein Mann, der als Franzose unter
Franzosen, als Italiener unter Italienern so gewirkt hätte
wie Treitschke als Deutscher unter Deutschen: er erschiene den
Deutschen nicht als Verführer der Franzosen oder
Italiener. Treitschke war ein Geschichtsschreiber und
Politiker, der aus einem starken, entschiedenen Empfinden
heraus allen seinen Urteilen eine scharf wirkende Prägung
gab. Eine solche Prägung hatten auch die Urteile, die er
aus der Liebe zu seinem Volke über die Deutschen
aussprach. Aber alle diese Urteile waren getragen von dem
Gefühle: nicht nur seine Seele spreche so, sondern der
Verlauf der deutschen Geschichte. Am Schlusse des Vorwortes des
fünften Teiles seiner «Deutschen Geschichte im
neunzehnten Jahrhundert» stehen die Worte: «so
gewiß der Mensch nur versteht, was er liebt, ebenso
gewiß kann nur ein starkes Herz, das die Geschicke des
Vaterlandes wie selbsterlebtes Leid und Glück empfindet,
der historischen Erzählung die innere Wahrheit geben. In
dieser Macht des Gemüts, und nicht allein in der
vollendeten Form, liegt die Größe der
Geschichtsschreiber des Altertums». Manches Urteil,
das Treitschke über das gesprochen hat, was das deutsche
Volk durch andere Völker erlebt hat, klingt wie herbe
Verurteilung dieser anderen Völker. Wie in dieser Richtung
liegende Äußerungen Treitschkes zu verstehen
sind, erkennt nur derjenige, der auf die Herbheit auch der
Urteile blickt, mit denen Treitschke oft richtet über das,
was er innerhalb seines eigenen Volkes tadelnswert
findet. Treitschke hatte die tiefste Liebe zu seinem Volke, die
edles Feuer in seiner Seele war; aber er glaubte, daß es
nicht schade, wenn man am schroffsten da richtet, wo man am
meisten liebt. Es wäre denkbar, daß sich Feinde des
deutschen Volkes fänden, die aus Treitschkes Werken eine
Sammlung von Aussprüchen sich anlegten, diesen
Aussprüchen dann die Farbe der Liebe nähmen, die sie
bei Treitschke haben, und sie mit ihrer Farbe des Hasses
übertünchten: sie könnten sich dadurch
Wortwaffen gegen das deutsche Volk anfertigen. Schlechter
wären diese Wortwaffen auch nicht als diejenigen, mit
denen sie auf ein Zerrbild Treitschkes schießen, um das
deutsche Volk zu verwunden. Herman Grimm, der Treitschke zu
schätzen wußte und gut mit ihm und seiner
persönlichen Art bekannt war, sprach einige Zeit nach
dessen Tode über ihn die Worte: «Wenige sind so
geliebt, aber auch so gehaßt worden wie er. »
Treitschke wurde von Grimm mit den deutschen
Geschichtslehrern Curtius und Ranke zu einer Dreiheit deutscher
Lehrer zusammengestellt, über die er sich so
äußerte: «Sie waren freundlich und vertraulich
im Verkehr. Sie suchten ihre Zuhörer zu
fördern. Sie erkannten das Verdienst an, wo sie ihm
begegneten. Sie suchten ihre Gegner nicht zu unterdrücken.
Sie hatten keine Partei und keine Parteigenossen. Sie sprachen
ihre Meinung aus. In ihrem Auftreten lag etwas Vorbildliches.
Sie sahen in der Wissenschaft die höchste Blüte des
deutschen Geistes. Sie traten ein für ihre Würde. Es
gibt eine ausführliche Besprechung von Treitschkes
«Deutscher Geschichte» durch Herman Grimm. Wer sie
liest, muß zu der Erkenntnis kommen, Herman Grimm habe
Treitschke unter diejenigen gerechnet, welche über die
Beziehung, die das deutsche Volk zu anderen Völkern haben
wolle, nicht anders dachten als er selbst.
Wer
aus Feindesland eine deutsche Persönlichkeit, wie sie in
Treitschke lebte, schmäht und als Verführer des
jüngeren Geschlechts brandmarkt, dem fehlt ein Urteil
darüber, wie ein Deutscher, der «die Geschicke
des Vaterlandes wie selbsterlebtes Leid und Glück»
empfand, zu Deutschen sprechen mußte, die, zum
Verständnis der eigenen Geschichte, hinblicken
müssen auf Erfahrungen in der Vergangenheit, die
Herman Grimm (in seinem Buche über Michelangelo, 16.
Auflage) mit den Worten kennzeichnet: «Dreißig Jahre
lang war Deutschland, das als eigene Nation den Ausschlag nicht
zu geben vermochte, das Schlachtfeld für die uns
umgrenzenden Völker, und nachdem die Fremden, die so
auf unserem Boden sich bekriegt, endlich Frieden geschlossen,
kehrte der alte unbestimmte Zustand wieder.» In Herman
Grimms Goethebuch steht über diese Erfahrungen mit
derselben Beziehung: «der Dreißigjährige Krieg,
diese furchtbare, von außen her zu uns hineingetragene und
künstlich genährte Krankheit», hat «alle
die jungen Triebe unserer Fortentwickelung welk werden und
absterben» lassen. Wie kurze Zeit war erst verflossen,
seit sich das deutsche Volk von der Wirkung des Leides befreit
hatte, das ihm Europa durch den Dreißigjährigen Krieg
gebracht hatte, als im Beginne des neunzehnten Jahrhunderts das
andere Schicksalserlebnis eintrat, das zusammenfiel mit einer
Blüte des deutschen Geisteslebens. Waren es die Worte
eines Mannes, in dessen Herzen mitklangen die Leiden seines
Volkes «wie selbsterlebtes Leid», oder waren es Worte
eines Volksverführers, mit denen Treitschke von den
Geistern sprach, deren Wirken mit Deutschlands
Schicksalserlebnis vom Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts zusammenfiel? Er spricht über diese Geister
so: «Sie hüteten das Eigenste unseres Volkes, das
heilige Feuer des Idealismus, und ihnen vornehmlich
danken wir, daß es noch immer ein Deutschland gab, als das
Deutsche Reich verschwunden war, daß die Deutschen
mitten in Not und Knechtschaft noch an sich selber, an die
Unvergänglichkeit deutschen Wesens glauben durften. Aus
der Durchbildung der freien Persönlichkeit ging unsere
politische Freiheit, ging die Unabhängigkeit des deutschen
Staates hervor.» Verlangen die Gegner des deutschen
Wesens, daß Treitschke hätte sagen sollen: die
Geschichte lehre, daß die Deutschen «an die
Unvergänglichkeit deutschen Wesens glauben
dürfen», weil sie für alle Vergangenheit und
Zukunft sich überzeugt halten können, daß
Franzosen, Engländer, Italiener, Russen niemals
für etwas anderes gekämpft haben und kämpfen
werden, als für «Recht und Freiheit» der
Völker? Sollten die anderen Deutschen, die
gegenwärtig Deutschlands Verführer genannt werden,
den Deutschen den Rat geben: baut nicht auf das, was euch in
harten Kriegen «Recht und Freiheit» verschafft hat;
ihr werdet «Recht und Freiheit» haben, weil bei
denen, die euch umgeben, der Sinn für «Recht und
Freiheit der Volker» im hellen Lichte erglänzt? Ihr
müßt nur nicht glauben, daß ihr euer «Recht
als Volk» anders denken dürft als im Sinne dessen,
wozu euch die Völker für berechtigt halten, die euch
umkreisen. Ihr müßt nur niemals etwas anderes eure
«Freiheit als Volk» nennen, als wovon diese
Völker durch ihr Verhalten euch zeigen werden, daß es
euch «als Volk freistehe»?
Wo
die Empfindungen wurzeln, welche die Angehörigen von
«Europas Mitte» in dem gegenwärtigen Kriege
haben, möchte der Verfasser dieses Schriftchens
aussprechen. Die Tatsachen, die er besprechen will, sind, ihren
allgemeinen Grundzügen nach, gewiß jedem Leser
bekannt. Es liegt nicht in des Verfassers Absicht, nach dieser
Richtung hin über noch Unbekanntes zu sprechen. Nur auf
gewisse Zusammenhänge, in denen das längst
Bekannte steht, möchte er hindeuten.
Wenn Gegner des deutschen Volkes etwa dieses Schriftchen
lesen sollten, so werden sie ganz begreiflicherweise sagen: So
spricht ein Deutscher, der naturgemäß der Auffassung
anderer Völker kein Verständnis entgegenbringen kann.
Wer in dieser Art urteilt, begreift nicht, daß die Wege,
die der Verfasser dieser Betrachtung sucht, um die Entstehung
dieses Krieges zu besprechen, ganz unabhängig davon sind,
wie viel er von dem Wesen eines nichtdeutschen Volkes versteht
oder nicht versteht. Er will so sprechen, daß, wenn die
Gründe, die er für das Behauptete vorbringt, etwas
taugen, seine Gedanken auch dann richtig sein
könnten, wenn er in bezug auf ein Verständnis
der Eigenart und des Wertes nichtdeutscher Völker, sofern
sie einem Deutschen verschlossen sein sollen, der reine
Tor wäre. Wenn er, zum Beispiele, darauf verweist, was ein
Franzose über die Kriegsabsichten der Frnzosen sagt, und
darauf ein Urteil über die Entstehung des Krieges sich
bildet, so könnte dies Urteil richtig sein, wenn ihm auch
ein Franzose jedes Verständnis für
französische Eigenart glaubte absprechen zu müssen.
Wenn er über das englische politische Ideal urteilt, so
kommt dabei nicht in Frage, wie der Engländer an sich
denkt oder empfindet, sondern wie die Handlungen sind, in denen
sich dieses politische Ideal auslebt, und was gerade der
Deutsche durch diese Handlungen erlebt. Für sich ist der
Verfasser allerdings davon überzeugt, daß in diesem
Schriftchen kein Anlaß liegen wird, darüber zu
urteilen, welches Verständnis er dieser oder jener
nichtdeutschen Volkart entgegenbringt.
Der
Verfasser des Schriftchens glaubt, was er als Deutscher
über das Fühlen «Mitteleuropas»
auszusprechen sich erlaubt, sagen zu dürfen, denn er hat
die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens in
Österreich verbracht, in dem er durch Abstammung,
Volksangehörigkeit und Erziehung als österreichischer
Deutscher lebte; und er hat die andere - fast ebenso lange -
Zeit dieses Lebens in Deutschland tätig sein
dürfen.
Vielleicht wird mancher, der von des Verfassers Schriften die
eine oder die andere kennt, von jemand, der auf dem
Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft steht, wie sie in diesen
Schriften gemeint ist, «höhere Gesichtspunkte»
in den folgenden Ausführungen suchen, als er sie
findet. Insbesondere werden diejenigen unzufrieden sein, welche
erwarten, hier etwas darüber zu finden, wie sich die
gegenwärtigen Kriegsereignisse «auf Grundlage der
ewigen, höchsten Wahrheiten alles Seins und
Lebens» beurteilen lassen. Solchen
«Enttäuschten», die sich vielleicht gerade unter
den Freunden des Verfassers finden werden, möchte
dieser sagen, daß die «höchsten ewigen
Wahrheiten» selbstverständlich überall gelten,
also auch für die gegenwärtigen Ereignisse, daß
aber diese Betrachtung nicht in der Absicht unternommen wurde,
um zu zeigen, wie man auch mit Bezug auf diese Ereignisse von
diesen «höheren Wahrheiten» zeugen kann, sondern
in der andern, von diesen Ereignissen selbst zu sprechen.
Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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